Sporttherapie bei Kindern und Jugendlichen mit Typ 1

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Fachbereich 02 – Sozialwissenschaften,
Medien und Sport
Institut für Sportwissenschaft, Bereich Sportphysiologie
Kurzfassung der Diplomarbeit zu dem Thema:
Sporttherapie bei Kindern und Jugendlichen mit Typ 1-Diabetes und
die daraus resultierenden Empfehlungen für zukünftige Diabetesschulungen – systematische Literaturanalyse und empirische Studie
vorgelegt von Sven Hartmann (Mai 2010)
1. Referent: Prof. i. R. Dr. med. H.-V. Ulmer (i.R.)
Korreferent: Dr. med. Ella Lachtermann
Einleitung
In Deutschland leiden ca. 11.000 Kinder und Jugendliche an Typ 1 Diabetes. Diese Patienten haben einen absoluten Insulinmangel mit den aus erhöhten Blutzuckerwerten resultierenden Komplikationen. Ziel der Therapie
ist das Erreichen der Normoglykämie durch Insulinsubstitution, kohlenhydratdefinierte Diät und regelmäßige
Selbstkontrollen. Die chronische Störung des Glukosestoffwechsels verlangt von betroffenen Kindern und ihren
Eltern eine Umstellung des Lebens sowie dauerhafte Disziplin ab. Für eine gesunde Entwicklung des Kindes
sollten jedoch freie Entfaltungsmöglichkeiten nicht durch die Krankheit beschnitten werden. „Regelmäßige
sportliche Aktivitäten sollten für alle Kinder und Jugendliche zum Alltag gehören. Sport fördert Leistungsfähigkeit und trägt zur seelischen Ausgeglichenheit bei “ (HÜRTER, LANGE 2004, 223).
Die pauschale Befürwortung von Sport für Typ 1 Diabetiker wird allerdings aufgrund der Schwierigkeit der
Stoffwechseleinstellung unter wechselnder körperlicher Anstrengung in der Literatur auch in Frage gestellt (NICKENICH 2001).
Nach intensiven Ausdaueraktivitäten kann der Blutzuckerspiegel noch nach Stunden weiter absinken. Verzögerte Hypoglykämien können entstehen (HÜRTER, LANGE 2004, 228). Allerdings kann der Blutzucker trotz körperlicher Aktivität auch weiter ansteigen. Liegt ein Insulinmangel vor, kann sich eine Ketoazidose schnell entwickeln.
(HÜRTER, LANGE 2004, 230). Die komplexen Auswirkungen sportlicher Aktivität auf den Glukosestoffwechsel
verunsichern viele betroffene Kinder und ihre Eltern. Vordringlich ist, aufgrund der gravierenden Symptome bis
hin zur Bewusstlosigkeit, die Angst vor Hypoglykämien. Aber auch hyperglykämische Stoffwechselentgleisungen werden befürchtet.
Eine sporttherapeutische Kooperation mit dem Diabetes-Behandlungszentrum der Pädiatrie der Deutschen
Klinik für Diagnostik in Wiesbaden erbrachte die Möglichkeit, die Ängste der betroffenen Familien im Bezug auf
sportliche Aktivitäten der an Diabetes mellitus Typ 1 erkrankten Kinder anhand einer Befragung zu untersu1
chen . Auf diesem Hintergrund sollte im Rahmen einer empirischen Studie geklärt werden, wie gut die betroffenen Kinder ihr in standardisierten Diabetes Schulungen vermitteltes theoretisches Wissen bei sportlichen Aktivitäten im Alltag umsetzen können und wie gut sie dadurch in der Lage sind, ihren Glukosestoffwechsel an die
körperlichen Aktivitäten anzupassen.
Schlussfolgerung für die Praxis
Diabetikerschulungen sollten Patienten zu „Experten in eigener Sache“ machen (FUX 2009). Gerade in Bezug
auf Sport gibt es jedoch wenige Informationen, mit denen die Sicherheit der betroffenen Kinder und ihrer Eltern
gefördert wird. Vielmehr lernen Patienten derzeit vornehmlich durch das Prinzip „Versuch und Irrtum“ (THURM,
HARPER 1992). In den Leitlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft aus dem Jahr 2008 heißt es „ Menschen
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Herrn Professor Weitzel sei für die Möglichkeit, die Studie in der DKD Wiesbaden durchzuführen, sowie Herrn
Heiko Müller für die Unterstützung im Rahmen der experimentellen Studie vielmals gedankt.
http://www.uni-mainz.de/FB/Sport/physio
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mit Diabetes können jegliche Sportart ausüben“. Die Behandlungsstrategie muss dabei dem Patienten ein möglichst hohes Maß an Sicherheit bieten (HALLE, et al. 2008). In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Rehabilitation aus dem Jahr 2007 ist Sporttherapie ein fester Bestandteil des interdisziplinären Therapieplanes (HERMANN 2007, 3-7). Das Sportprogramm im Rahmen der stationären Rehabilitation sollte sich an
den Vorlieben der Kinder und Jugendlichen orientieren. Angesichts sehr unterschiedlicher Konsequenzen für
den Stoffwechsel und Insulinbedarf der Sporttreibenden – je nach Sportart, Intensität und Dauer – sollte die
Therapie individuell auf den beabsichtigten Sport eingestellt werden. Die Kinder und Jugendlichen sollten lernen, selbstständig erforderliche Anpassungen der Insulindosis und Kohlenhydratmenge vorzunehmen, Unterzuckerungs Symptome bei sportlicher Aktivität zu erkennen und richtig darauf reagieren. Ein weiteres Ziel des
Sportes ist die Förderung der sozialen Integration. Diese Therapieziele sollten auch in der ambulanten Betreuung der Kinder umgesetzt werden. Bedenkt man, dass sich Eltern nach der aktuellen Befragung im Mittel erst
nach neun Monaten der Erkrankung ihres Kindes gewachsen fühlen, so wird deutlich, dass auch im ambulanten
Bereich eine langfristige intensive Betreuung notwendig ist. Gerade besondere Situationen wie körperliche Aktivität verunsichern auch erfahrene Eltern immer wieder. Das Schulungskonzept für Kinder sollte gerade im Bezug auf körperliche Aktivität ausgeweitet werden. Dazu sollte die Vermittlung sportphysiologischer Grundlagen
wie aerobe und anaerobe Energiebereitstellung sowie der Zusammenhang zwischen Trainingszustand und
Glykogenspeichern gehören, um eine bessere Einschätzung der Blutzuckerreaktion durch Ausdauer-, Kraftund Ballsportarten zu ermöglichen. Da die Reaktion auf sportliche Aktivität jedoch individuell ist (MASOPUST
2006) und von Art, Dauer und Intensität der Sportart sowie Alter, Geschlecht und Trainingszustand der Kinder
abhängig ist (BACHMANN, ZUMSTEG 2009, 17), sollten wiederholt Sportveranstaltungen mit entsprechenden
Schwerpunkten durchgeführt werden. So könnten Kinder individuelle Erfahrungswerte in sicherer Umgebung
mit Unterstützung durch Diabetesberater und Ärzte sammeln. Die aktuelle Stoffwechselsituation und die daraus
notwendigen Reaktionen könnten so mit dem Diabetesberater erarbeitet werden. Um gewonnene Erfahrungswerte auch in Zukunft nutzen zu können, sollte eine Dokumentation von Blutzucker, Insulindosis und Broteinheiten in genauem Zusammenhang mit der detaillierten Angabe der körperlichen Aktivität in einem Sporttagebuch
erfolgen. Dieses Heft könnte dann bei zukünftigen privaten Veranstaltungen der Kinder als Hilfestellung genutzt
werden. Des Weiteren könnten Kinder im Rahmen organisierter Sportveranstaltungen konsequent angeleitet
werden, immer optimal vorbereitet zu sein und eine feste Messroutine zu etablieren. Planung, Organisation
sowie theoretische Vorbereitung der Veranstaltung sollte durch Sporttherapeuten und Diabetesberater gemeinsam erfolgen. Hierfür die strukturellen Rahmenbedingungen zu schaffen, wäre von hoher präventiver Bedeutung.
Abgesehen von medizinischen Aspekten könnten organisierte Sportveranstaltungen auch die psychosoziale
Situation der betroffenen Kinder und ihrer Eltern positiv beeinflussen. Die Tatsache, mit einer schweren potenziell tödlichen Erkrankung konfrontiert zu sein, löst zwangsläufig Ängste aus (FUX 2009). Diese Ängste lassen
sich abbauen. Der Fokus sollte darauf gerichtet sein, über die in Schulungen neu gewonnen Kenntnisse und
Kompetenzen die Krankheit kontrollieren zu können. Dies betrifft sowohl die betroffenen Kinder als auch ihre
Eltern. Über die sicheren Rahmenbedingungen organisierter Sportveranstaltungen könnten Eltern lernen, ihren
Kindern zunehmend zu vertrauen. Der Gefahr des sozialen Rückzuges und des Ausschlusses von sportlichen
Aktivitäten der Kinder durch ausgeprägte Ängste der Eltern könnte so begegnet werden. Über den Austausch
mit anderen Eltern diabetischer Kinder könnte ebenfalls den in der aktuellen Befragung formulierten Wünschen
der Eltern nachgekommen werden. Für die Umsetzung dieser Ziele ist es jedoch wichtig, dass Familien die
Angebote des Schulungszentrums annehmen. Organisierte Sportveranstaltungen würden aufgrund des Schulalltages der Kinder weitgehend an Wochenenden stattfinden. Bedenkt man, dass im Rahmen der aktuellen
Studie von 37 eingeladenen Familien nur elf an dem Zirkeltraining teilgenommen hatten, so ist hier noch Überzeugungsarbeit zu leisten. Um die Integration solcher Sportveranstaltungen in den familiären Alltag zu erleichtern, sollten Geschwisterkinder grundsätzlich willkommen sein. Auch die Möglichkeit, Freunde mitzubringen,
wäre ein wichtiges Element, die Erkrankung des Kindes auch in den Alltag seines Umfeldes zu integrieren. Für
Sportlehrer und Übungsleiter könnten solche Veranstaltungen ebenfalls eine praxisnahe Hilfestellung im Umgang mit diabetischen Kindern sein.
Das Jahr 2007 war durch die WHO zum „Jahr der Kinder und Jugendlichen mit Diabetes“ ernannt worden. In
einer Pressemitteilung der EU zu diesem Thema wird eine „Verbesserung des Diabetes Managements bei Kindern und Jugendlichen“ gefordert (EUROPÄISCHE UNION 2007). Vor allem „soziale und psychologische Folgen für
das einzelne Kind und die betroffenen Familien“ sollten mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Zusätzlich zu
den positiven medizinischen Aspekten könnte Sport als wichtiger Baustein einer normalen Entwicklung und
einer erfolgreichen sozialen Integration mehr Bedeutung erlangen.
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Zusammenfassung
In Deutschland leiden 11000 Kinder an Diabetes mellitus Typ 1. Kennzeichnend für diese Erkrankung ist eine
Störung des Glukosestoffwechsels durch absoluten Insulinmangel. In Schulungen werden Kinder durch Diabetes-Berater und Kinderärzte bezüglich der in Broteinheiten bemessenen Kohlenhydrataufnahme, Blutzuckerkontrollen, Insulinarten und Insulinsubstitution unterrichtet. Standardisierte Schulungskonzepte bezüglich der Blutzuckereinstellung im Rahmen sportlicher Aktivität gibt es nicht, da individuelle Faktoren wie Leistungsfähigkeit,
Art, Dauer und Intensität der sportlichen Aktivität ein therapeutisch individuelles Vorgehen erfordern. Sowohl die
durchgeführte Literaturanalyse als auch die Befragung der Eltern im Rahmen der aktuellen Studie zeigen, dass
es große Unsicherheiten bezüglich sportlicher Aktivitäten diabetischer Kinder gibt. Dies betrifft sowohl die Auswahl der Sportart, als auch die Stoffwechsel-Einstellung wie Anpassung der Kohlenhydratzufuhr und der Insulindosierung, die Häufigkeit der Blutzuckerkontrollen vor, während und nach der körperlichen Aktivität, sowie die
Bedeutung der Aceton-Bestimmung vor körperlicher Aktivität bei hohen Ausgangsblutzuckerwerten.
Durch Blutzuckermessungen während privater Sportveranstaltungen sowie Messungen im Rahmen eines organisierten Zirkeltrainings konnte in der aktuellen empirischen Studie gezeigt werden, dass insbesondere am Tag
nach der sportlichen Aktivität Stoffwechselentgleisungen auftreten. Dies betrifft vor allem Patienten der intensivierten Insulintherapie (ICT), die im Vergleich zu den Pumpenpatienten deutlich mehr Blutzuckervariabilitäten
aufweisen, da sie schwerer auf einen verminderten Insulinbedarf reagieren können. Relevant sind sowohl Hypo- als auch in geringerem Maß Hyperglykämien am Tag nach der sportlichen Aktivität. Hyperglykämien lassen
sich insbesondere durch eine zu intensive Reduktion der Insulindosis erklären. Hyperglykämien stehen vor allem bei ICT Patienten auch mit einer kompensatorischen Zufuhr von Korrekturbroteinheiten in Verbindung. Die
Steigerung der Insulinsensitivität und insulinunabhängige Glukoseverwertung zeigen bei möglichen Hypoglykämien hier ihre Wirkung. Beide Patientengruppen sind auf die zeitlich lang anhaltenden Effekte körperlicher
Aktivität auf den Glukosestoffwechsel nicht vorbereitet. Dies zeigt sich in der verminderten Anzahl der Blutzuckermessungen am Tag nach dem Sport. Die vor allem von den Eltern gefürchteten Hypoglykämien während
des Sportes wurden nicht beobachtet.
Im Rahmen der aktuellen empirischen Studie können auch günstige Einflüsse von körperlicher Aktivität auf den
Stoffwechsel nachgewiesen werden. So sinkt am Tag der sportlichen Aktivität sowie am Folgetag in beiden
Patientengruppen der Insulinverbrauch.
Die Auswahl geeigneter Sportarten wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Da in den meisten wissenschaftlichen Studien bezüglich Sport und Diabetes mellitus Typ 1 keine genaue Differenzierung der körperlichen Aktivität erfolgt, wurde dieser Aspekt auch bei der Konzeption der vorliegenden Arbeit nicht ausreichend berücksichtigt. Daher ist es schwer, anhand der Datenlage konkrete Empfehlungen für betroffene Familien auszusprechen. Aus den Befragungsergebnissen lassen sich jedoch eindeutige Hinweise über den Umgang mit sportlichen Aktivitäten und für die Diabetiker-Schulung – speziell für Kinder und Jugendliche – herleiten.
Bedenkt man, dass es sich bei den betroffenen Patienten um Kinder handelt, so sollte der Aspekt einer möglichst unbeschwerten Entwicklung nicht aus den Augen verloren werden. Nach der aktuellen Studie fühlen sich
die Familien im Mittel nach 9 Monaten den Anforderungen der Erkrankung gewachsen. Unerwartete Situationen
verunsichern auch sehr erfahrene Familien immer wieder. In Zusammenschau der durchgeführten Literaturanalyse und der aktuellen Studie sollten betroffene Kinder und ihre Familien in dieser Zeit intensiv betreut werden.
Dies sollte nicht nur durch Arztbesuche und Gespräche mit Diabetesberatern erfolgen. Vergleichbar mit Sportgruppen und Veranstaltungen wie diese schon seit Jahren für Typ 2 Diabetiker in Deutschland etabliert sind,
sollten Programme für Kinder und Jugendliche mit Typ 1 Diabetes entwickelt werden. Diabetes Schulungen
sollten für ein besseres Verständnis der Stoffwechselvorgänge während unterschiedlicher körperlicher Aktivitäten um die Vermittlung sportphysiologischer Grundlagen ergänzt werden. Da die Reaktion auf körperliche Aktivität jedoch individuell ist, sollten thematisch passende Veranstaltungen also Ballspiele, Kraft- und Ausdauertraining wiederholt mit den Kindern durchgeführt werden. So können betroffene Kinder Kenntnisse und Erfahrungswerte gewinnen, die sie gerade auch im Hinblick auf den Schulsport, dessen konkrete Inhalte oft erst unmittelbar vor Beginn der Unterrichtsstunde bekannt sind, nutzen können, um Stoffwechselentgleisungen zu
vermeiden.
Ul: Kurzfassung f Homepage Hartmann 08 07 2010 (2).doc
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