Hydrodynamik in der Astrophysik

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Hydrodynamik in der Astrophysik:
Grundlagen, numerische Verfahren und
Anwendungen
Vorlesung an der TU München
Wintersemester 2012/13
PD Dr. Ewald Müller
Max-Planck-Institut für Astrophysik
Karl-Schwarzschild-Straße 1
85748 Garching
13. Februar 2013
Inhaltsverzeichnis
1 Die
1.1
1.2
1.3
hydrodynamischen Gleichungen
Die Boltzmann-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . .
Bedingungen für eine hydrodynamische Beschreibung
Herleitung der hydrodynamischen Gleichungen . . . .
1.3.1 Maxwell–Boltzmann–Gleichung . . . . . . . .
1.3.2 Hydrodynamische Gleichungen . . . . . . . . .
1.4 Relativistische Hydrodynamik . . . . . . . . . . . . .
1.4.1 Speziell–relativistische Hydrodynamik . . . . .
1.4.2 Allgemein–relativistische Hydrodynamik . . .
1.5 Magnetohydrodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2 Eigenschaften und analytische Lösungen
2.1 Systeme Quasilinearer Partieller Differentialgleichungen . . . .
2.2 Charakteristiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.1 Die lineare Advektionsgleichung . . . . . . . . . . . . .
2.2.2 Lineare, homogene PDE 1. Ordnung in 1 Dimension . .
2.2.3 Nicht–viskose Burger–Gleichung . . . . . . . . . . . . .
2.2.4 Homogenes hyperbolisches System quasilinearer PDE’s
in 1 Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3 Charakteristische Form der hydrodynamischen Gleichungen . .
2.4 Einfache Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.1 Verdünnungs und Verdichtungswellen: . . . . . . . . .
2.5 Schwache Lösungen und Diskontinuitäten . . . . . . . . . . . .
2.5.1 Stoßwellen in einem idealen Gas . . . . . . . . . . . . .
2.6 Das Riemann–Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Ordnung
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3 Diskretisierungsverfahren
3.1 Grundlegende Begriffe und Definitionen . . . . .
3.2 Explizite und implizite Verfahren . . . . . . . .
3.3 Methode der Operatoren–Zerlegung . . . . . . .
3.4 Konservative Verfahren . . . . . . . . . . . . . .
3.5 Stabilität, Konsistenz und Diskretisierungsfehler
3.5.1 Diffusionsgleichung . . . . . . . . . . . .
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1
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5
5
12
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14
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24
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33
36
36
37
38
40
43
47
47
51
57
58
63
63
66
67
69
71
71
INHALTSVERZEICHNIS
3.6
3.7
3.5.2 Advektionsgleichung . . . . . . . . . . . .
3.5.3 Allgemeine Tatsachen . . . . . . . . . . . .
Exakte Riemannlöser: Verfahren von Godunov . .
Approximative Riemannlöser: Verfahren von Roe
2
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4 Anwendungen aus der Astrophysik
4.1 Strömungsinstabilitäten in Supernovahüllen . . . . .
4.1.1 Rayleigh–Taylor Instabilität . . . . . . . . . .
4.1.2 Kelvin–Helmholtz Instabilität . . . . . . . . .
4.1.3 Instabilitäten in Supernovahüllen . . . . . . .
4.2 Turbulentes Brennen in thermonuklearen Supernovae
4.3 Relativistische Jets und Gammablitze . . . . . . . . .
4.3.1 Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3.2 Simulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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75
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89
89
92
93
106
116
116
119
Literatur
• zu Kapitel 1:
– A.M. Anile, Relativistic Fluids and Magnetofluids, Cambridge University Press,
1989
– A.R. Choudhuri, The Physics of Fluids and Plasmas, Cambridge University
Press, Cambridge, 1998
– G. Ecker, Theory of Fully Ionized Plasmas, Academic Press, New York, 1972
– L.D. Landau & E.M. Lifschitz, Band VI, Hydrodynamik, Kap. I–III, VIII-X, XVIXV, Akademie-Verlag, Berlin, 1991
– L.D. Landau & E.M. Lifschitz, Band VIII, Elektrodynamik der Kontinua,
Kap. VIII, Akademie-Verlag, Berlin, 1990
– S.N. Shore, An Introduction to Astrophysical Hydrodynamics, Academic Press,
San Diego, 1992
– F.H. Shu, The Physics of Astrophysics Vol II: Gas Dynamics, University Science,
Mill Valley, 1992
• zu Kapitel 2:
– A.J. Chorin & J.E. Marsden, A Mathematical Introduction to Fluid Mechanics,
Springer, New York, 1979
– R. Courant & K.O. Friedrichs, Supersonic Flow and Shock Waves, Springer, Berlin, 1976
– H.. Goedbloed & S. Poedts, Principles of Magnetohydrodynamics Cambridge
University Press, Cambridge, 2004
– E.F. Toro, Riemann Solvers and Numerical Methods for Fluid Dynamics - A
Practical Introduction, Springer, Berlin, 1997
– R.J. LeVeque, Numerical Methods for Conservation Laws, Birkhäuser, Basel,
1992
– R.J. LeVeque, Nonlinear Conservation Laws and Finite Volume Methods, in
“Computational methods for astrophysical fluid flow”, LeVeque, R.J., Mihalas,
D., Dorfi, E.A. & Muelller, E., Springer, Berlin, 1998
3
INHALTSVERZEICHNIS
4
• zu Kapitel 3:
– D.A. Anderson, J.C. Tannehill & R.H. Pletcher, Computational Fluid Mechanics
and Heat Transfer, McGraw-Hill, New York, 1984
– J.Antonio Font, Numerical Hydrodynamics in General Relativity, Living Reviews in Relativity, lrr-2008-7
http://relativity.livingreviews.org/Articles/lrr-2008-7/
– C.B. Laney, Computational Gasdynamics, Cambridge University Press, Cambridge, 1998
– J.M. Martı́ and E. Müller, Numerical Hydrodynamics in Special Relativity, Living Reviews in Relativity, lrr-2003-7
http://relativity.livingreviews.org/Articles/lrr-2003-7/index.html
– E. Oran & J.P. Boris, Numerical Simulation of Reactive Flow, Elsevier, New
York, 1987
– D. Potter, Computational Physics, Wiley, New York, 1977
• zu Kapitel 4:
– S. Chandrasekhar, Hydrodynamic and Hydromagnetic Stability, Dover, 1961
– W. Hillebrandt and J.C. Niemeyer Type IA Supernova Explosion Models, Annual
Review of Astronomy and Astrophysics, Vol. 38, p. 191-230 (2000)
– E. Müller, Simulation of Astrophysical Fluid Flow, in “Computational methods
for astrophysical fluid flow”, LeVeque, R.J., Mihalas, D., Dorfi, E.A. & Mülller,
E., Springer, Berlin, 1998
• Interessante und nützliche WWW-Adressen:
– CFD Online:
– Astro-Sim:
– CCSE:
http://www.cfd-online.com
http://www.astro-sim.org/content/view/15/29/
https://ccse.lbl.gov/index.html
Kapitel 1
Die hydrodynamischen Gleichungen
1.1
Die Boltzmann-Gleichung
• Gegeben sei ein klassisch–mechanisches System von N Teilchen ohne innere Freiheitsgrade (d.h. Teilchen ohne innere Struktur). Die Bewegung der Teilchen ist durch
die Hamiltonschen Gleichungen
∂H
∂~qi
=
,
∂t
∂~pi
∂~pi
∂H
=−
∂t
∂~qi
i = 1, . . . , N
(1.1)
bei gegebenen Anfangsbedingungen festgelegt (kanonisches, auch Hamiltonsches oder
konservatives System). Hierbei sind:
~qi = (q1 , q2 , q3 )
die verallgemeinerten Koordinaten
und
p~i = (p1 , p2 , p3 )
die verallgemeinerten Impulse
der Teilchen und H = H(~q1 , . . . , ~qN , p~1 , . . . , p~N , t) die Hamilton–Funktion des Systems
• Für große Teilchenzahlen N ist es nicht möglich, die Bewegungsgleichungen aller
Teilchen zu lösen (Rechenaufwand zu groß; Unkenntnis der genauen Anfangsbedingungen).
• statistische Beschreibung von Systemen mit großer Teilchenzahl erforderlich
• Gibbs–Gesamtheit oder Ensemble:
Vielzahl von gleichartigen physikalischen Systemen (gleiche Hamilton–Funktion H),
die unter denselben makroskopischen (nicht in H enthalten ) Bedingungen als
nebeneinander etabliert gedacht werden können.
5
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
6
• Unter gewissen Umständen (Energieerhaltung) kann man ein einzelnes physikalisches
System im zeitlichen Hintereinander als äquivalentes Ensemble betrachten (Ergodenhypothese)
• Beschreibungsgrundlage für die statistische Beschreibung einer Gibbs–Gesamtheit ist
der Γ-Phasenraum.
• Dies ist ein 6N –dimensionaler Raum (allgemein ein 2f N –dimensionaler Raum, wobei
f die Anzahl der Freiheitsgrade der Teilchen ist), der von den Vektoren ~q1 , . . . , ~qN
und p~1 , . . . , p~N aufgespannt wird.
• Ein Punkt in diesem Phasenraum beschreibt den Zustand aller N Teilchen zu einem
gegebenen Zeitpunkt. Die zeitliche Entwicklung des Systems ist durch eine (eindeutige) Phasenbahn (Trajektorie) im Γ–Raum gegeben.
• Die bisherigen Betrachtungen sind auf ein klassisch–mechanisches System aus sehr
vielen (gleichartigen oder nicht gleichartigen) wechselwirkenden Teilchen zugeschnitten.
• Liegt zwischen den Teilchen keine Wechselwirkung vor, so reicht die Betrachtung
des einem Einzelteilchen zugeordneten 6 (allgemein 2f )–dimensionalen Phasenraums
aus, der von den Vektoren ~q und p~ aufgespannt wird. Dieser Phasenraum wird als
µ–Phasenraum bezeichnet.
• Wegen der Unabhängigkeit der Teilchen: bei N Teilchen, N Phasenraumpunkte in
demselben µ–Raum (in der Quantenmechanik: Phasenraumpunkt → Phasenraumzelle)
• Grundaufgabe der statistischen Beschreibung: Bestimmung der Verteilung der Phasenraumpunkte, die den physikalischen Systemen der betrachteten Gibbs-Gesamtheit
zugeordnet sind.
Definition: N -Teilchen oder Liouville-Verteilungsfunktion
F (~q1 , . . . , ~qN , p~1 , . . . , p~N , t)
ist Wahrscheinlichkeitsdichte im Γ–Raum mit
Z
F (~q1 , . . . , ~qN , p~1 , . . . , p~N , t) dΩ = 1
wobei dΩ ≡ d~q1 , . . . , d~qN , d~p1 , . . . , d~pN das Volumenelement des Phasenraumes ist.
Die Größe F dΩ ist demnach die Wahrscheinlichkeit zur Zeit t das physikalische
System im Volumenelement dΩ anzutreffen, d.h. Teilchen (1) im Ortsintervall
[~q1 , ~q1 + d~q1 ] und im Impulsintervall [~p1 , p~1 + d~p1 ], Teilchen (2) im Ortsintervall
[~q2 , ~q2 + d~q2 ] und im Impulsintervall [~p2 , p~2 + d~p2 ], u.s.w.
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
7
• für wechselwirkungsfreie Teilchen (d.h. Eigenvolumen = 0) ist der Γ–Phasenraum
gleich dem Produkt aus den unabhängigen µ–Phasenräumen. Ordnet man dem (i)-ten
Teilchen die Verteilungsfunktion fi (~qi , p~i , t) mit der Eins–Normierung
Z
fi (~qi , p~i , t)d~qi d~pi = 1
zu, so gilt die Produktdarstellung der Gesamtverteilungsfunktion
F (~q1 , . . . , ~qN , p~1 , . . . , p~N , t) =
N
Y
fi (~qi , p~i , t)
(1.2)
i=1
• Im Spezialfall gleichartiger, wechselwirkungsfreier Teilchen stimmen die Verteilungsfunktionen fi (~qi , p~i , t) überein
F (~q1 , . . . , ~qN , p~1 , . . . , p~N , t) =
N
Y
fi (~qi , p~i , t) = [f (~q, p~, t)]N
i=1
• Zur Herleitung von Differentialgleichungen (d.h. Entwicklungsgleichungen) für die
Verteilungsfunktionen verwendet man für kanonische Systeme den Liouville’schen
Satz
d
(dΩ) = 0
dt
(1.3)
d.h. das Phasenraumvolumen dΩ eines kanonischen Systems bleibt bei der zeitlichen
Entwicklung des Systems (=
ˆ Bewegung im Phasenraum) erhalten. Es gilt
d
dt
Z
Z
F dΩ = 0
da
F dΩ = 1
Daraus folgt
Z
Z
d
(F dΩ) = 0
dt
d.h.
dΩ
dF
=0
dt
und damit die Liouville–Gleichung für die Verteilungsfunktion einer Gibbsschen
Gesamtheit im Γ–Phasenraum.
3N
dF
∂F X
≡
+
dt
∂t
i=1
∂F dqi ∂F dpi
+
∂qi dt
∂pi dt
=0
(1.4)
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
8
• Betrachtet man ein physikalisches System dieser Gesamtheit, das aus gleichartigen
wechselwirkungsfreien Teilchen besteht, dann wird dieses System selbst zu einer
statistischen Gesamtheit im µ–Phasenraum
Für die Einteilchen–Verteilungsfunktion gilt dann die Vlasov–Gleichung:
3
∂f X
+
∂t
i=1
∂f dqi
∂f dpi
+
∂qi dt
∂pi dt
=0
(1.5)
• Wenn die Teilchendichte zunimmt werden Stöße zwischen den Teilchen wichtig, da
sich das Eigenvolumen der Teilchen bemerkbar macht.
Liouville–Gleichung muss anstelle der Vlasov–Gleichung verwendet werden.
a) Falls Wechselwirkung kurzreichweitig und Dichte nicht “allzu hoch” (nur Zweierstöße + molekulare Unordnung, d.h. die durch einen Stoß erzeugte lokale
Ordnung wird vor nächstem Stoß wieder völlig verwischt). In diesem Fall ist
das System als verdünntes, neutrales Gas beschreibbar und die Dynamik des
Systems ist durch die Boltzmann–Gleichung gegeben.
b) Falls Wechselwirkung langreichweitig (Coulomb, Gravitation): Es finden viele
Kleinwinkelstreuprozesse statt. Die Beschreibung des Systems ist durch die
Fokker–Planck–Gleichung gegeben.
c) Falls Wechselwirkung langreichweitig und falls kollektive Abschirmprozesse
wirksam sind (wie in einem Plasma): Das System ist durch die Lenard–
Balescu–Gleichung beschreibbar
Alle diese Stoßgleichungen (im µ–Phasenraum) lassen sich aus der Liouville–
Gleichung z.B. unter Verwendung der BBGKY–Hierarchie (Born, Bogoljubov,
Green, Kirkwood, Yvon) streng ableiten (siehe Abb. 1.1 und z.B. Ecker 1972).
• Die BBGKY–Hierarchie basiert auf der sukzessiven Integration der Liouville–
Gleichung über die Koordinaten der N –Teilchen-Verteilungsfunktionen. Daraus resultieren gekoppelte Integro–Differentialgleichungen mit einer zunehmenden Ordnung
von Teilchenkorrelationen.
• Integriert man die N -Teilchenfunktion über die Orts- und Impulskoordinaten von
N − 1 Teilchen, so erhält man die nur von den Koordinaten und Impulsen eines
Teilchens abhängige Liouville’sche Einteilchen-Verteilungsfunktion
Z
F(1) (~q1 , p~1 , t) ≡
F (~q1 , . . . , ~qN , p~1 , . . . , p~N , t) d~q2 . . . d~qN d~p2 . . . d~pN ,
die die Wahrscheinlichkeit angibt, an der Stelle (~q1 , p~1 ) ein Teilchen anzutreffen.
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
9
Liouville − Gleichung
Green − Funktions−
methode
Aufstiegsmethode
von Dupree
Lenard − Balescu −
Gleichung
Fokker − Planck −
Gleichung
BBGKY
Abstiegsmethode
Vernachlässigung
von Stößen
BBGKY −
Gleichung
Boltzmann − Gleichung
( adaptiert aus F. Cap )
Vlasov −
Gleichung
Vernachlässigung
der Stöße
Momentenmethode
Hydrodynamik − Gleichungen
Abbildung 1.1: Übersicht zur Herleitung der hydrodynamischen Gleichungen
• Wenn Teilchen i und j durch ein Wechselwirkungspotential Ψi,j (qi , qj ) aufeinander
Kräfte ausüben 1 , dann ist in der Liouville–Gleichung (1.4) die auf das Teilchen i
wirkende Beschleunigung
d~ui
1 d~pi
≡
mi dt
dt
durch
X ∂Ψi,j
∂Ψi
−
≡−
∂~qi
∂~qi
j6=i
zu ersetzen, wobei ~ui die Geschwindigkeit des Teilchens i ist. Damit lautet die
Liouville–Gleichung (1.4):
N ∂F X
∂F
∂Ψi ∂F
+
~ui
−
= 0.
(1.6)
∂t
∂~
q
∂~
q
∂~
u
i
i
i
i=1
Setzt man ohne Beschränkung der Allgemeinheit i = 1 und integriert (1.6) über die
verallgemeinerten Koordinaten und Impulse der anderen N − 1 Teilchen, so folgt
Z
∂F(1)
∂F(1)
∂Ψ1 ∂F
+ ~u1
=
d~q2 . . . d~qN d~p2 . . . d~pN .
(1.7)
∂t
∂~q1
∂~q1 ∂~u1
1
In diesem Fall sind die Kräfte zwischen den Teilchen konservativ, d.h. die Beschleunigung, die auf ein
Teilchen wirkt, hängt nur von den Koordinaten, aber nicht von den Impulsen der Teilchen ab.
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
10
Dabei wurde verwendet,
dass die Integration der Terme mit ∂F/∂~qi für i = 2, . . . , N
R
Null ergibt, da (∂F/∂~qi ) d~qi = 0 falls die N-Teilchenfunktion F für |~qi | → ∞ ausreichend schnell gegen Null strebt. Dies gilt analog auch für die Terme mit ∂F/∂~ui .
Nimmt man nun noch zur Vereinfachung an, dass F eine symmetrische Funktion der
unabhängigen Variablen d~q1 . . . d~qN d~p1 . . . d~pN ist (ohne diese Vereinfachung ist die
Ableitung langwieriger), dann lässt sich die rechte Seite von (1.7) unter Beachtung
von
Ψ1 =
X
Ψ1,j
j6=2
in der Form
Z
∂Ψ1,2 ∂F
d~q2 . . . d~qN d~p2 . . . d~pN
(N − 1)
∂~q1 ∂~u1
schreiben.
Definiert man gemäß
Z
F(2) (~q1 , ~q2 , p~1 , p~2 , t) ≡
F (~q1 , . . . , ~qN , p~1 , . . . , p~N , t) d~q3 . . . d~qN d~p3 . . . d~pN
die Zweiteilchen-Verteilungsfunktion F(2) , so folgt aus (1.7)
∂F(1)
∂F(1)
+ ~u1
= (N − 1)
∂t
∂~q1
Z
∂Ψ1,2 ∂F(2)
d~q2 d~p2 .
∂~q1 ∂~u1
(1.8)
• Um die Zweiteilchen-Verteilungsfunktion F(2) zu berechnen, muss man die (N −
2)-fach integrierte Liouville–Gleichung lösen, wobei die unbekannte DreiteilchenVerteilungsfunktion F(3) auftritt, die aus der (N − 3)-fach integrierten Liouville–
Gleichung folgt, die die Wechselwirkung zwischen drei Teilchen (Dreierstöße) beinhaltet.
• Das sich so ergebende hierarchische Gleichungssystem ist geschlossen nicht lösbar und
man muss mit Näherungsverfahren ein Abbrechen der BBGKY–Hierarchie erzwingen
(z.B. Annahme über F(3) als Funktion von F(2) ).
• Beschränkt man sich bei geringer Dichte auf Zweierstöße, betrachtet nur geschwindigkeitsunabhängige Wechselwirkungkräfte kurzer Reichweite (die nur vom Abstand zwischen den Teilchen abhängen), nimmt weiterhin an, dass molekulares Chaos herrscht
und dass die Wirkung von äußeren Kräften während des Stoßvorgangs vernachlässigt
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
11
werden kann, fordert schließlich noch, dass F(1) während des Stoß konstant ist, so
erhält man die Boltzmanngleichung für die Einteilchen-Verteilungsfunktion f
∂f
∂f
+ ~u gradq f − gradq Φ gradu f =
∂t
∂t c
(1.9)
wobei
gradq ≡
∂
∂
∂
,
,
∂q1 ∂q2 ∂q3
,
gradu ≡
∂
∂
∂
,
,
∂u1 ∂u2 ∂u3
und Φ ein äußeres Potential ist, das eine glatte (d.h. auf makroskopischen Skalen
varierende) Beschleunigung d~u/dt bewirkt.
• Der irreversible Stoßterm [∂f /∂t]c beschreibt die zeitliche Änderung der Einteilchenverteilungsfunktion aufgrund von Teilchenstößen (d.h. die Teilchen-Wechselwirkung)
auf statistische Weise. Er repräsentiert irreversible Prozesse (z.B. Viskosität, Diffusion).
• Es existieren zwei weitere Methoden zur Herleitung von Stoßgleichungen.
a) Die Methode von Klimontovitsch und Dupree geht von der Einteilchenverteilungsfunktion und der Einteilchen–Bewegungsgleichung und führt zur
Fokker–Planck–Gleichung (und auch zur Boltzmann–Gleichung).
b) Die Methode von Lenard und Balescu basiert auf Greens–Funktionen und
kann zur Herleitung der Lenard–Balescu–Gleichung (und auch der Fokker–
Planck–Gleichung) verwendet werden.
Bemerkung: Die Lösungen der Lenard–Balescu–Gleichung streben der Gleichgewichtsverteilung ∂F/∂t = 0 (Maxwell–Verteilung) zu, falls auch Φ = 0. Hierbei ist zu beachten, dass im Gleichgewicht Stöße auftreten, aber das Stoßintegral
verschwindet!
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
1.2
12
Bedingungen für eine hydrodynamische Beschreibung
Ein System von N freien Teilchen läßt sich als ein Kontinuum beschreiben, wenn
a) das mikroskopische Verhalten einzelner Teilchen vernachlässigbar ist
λl
(1.10)
Hier ist λ die mittlere freie Weglänge der Teilchen und l die charakteristische makroskopische lineare Dimension des Systems, oder die Skala, über die die Verteilungsfunktion signifikant variiert.
Das Konzept des Flüssigkeitselements ist sinnvoll, falls
λ lf l
(1.11)
In diesem Fall ist die Anzahl der Teilchen im Flüssigkeitelement groß, d.h. mittlere
Größen sind sinnvoll definierbar, z.B. die Dichte ρ und die Geschwindigkeit eines
Flüssigkeitselements ~v . Die Geschwindigkeit eines Teilchens
~u = ~v + w
~
(1.12)
setzt sich aus einer statistischen Komponente w
~ und der mittleren Geschwindigkeit
~v zusammen.
Da λ l, besitzen die Teilchen eine kleine zufällige Geschwindigkeitskomponente (“random walk”) zusätzlich zur mittleren Strömungsgeschwindigkeit, d.h. das
Flüssigkeitselement bleibt während der Entwicklung “erhalten” (bis auf einen geringen Teilchenaustausch an seinem Rand, der sich als Diffusionsprozeß beschreiben
läßt)
b) Die Wechselwirkung zwischen den Teilchen muss sättigen, d.h. die Wechselwirkung
muss kurzreichweitig sein, da sonst kollektive Effekte berücksichtigt werden müssen.
Formal heißt dies
lim
N →∞
E
N
= const
wobei E/N die Energie pro Teilchen ist.
(1.13)
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
13
• Energiedichte und Druck (auf die “Wände” des Flüssigkeitselements) sind dann
wie folgt definerbar:
E
=n
e≡
V
p≡n
E
N
(1.14)
∂e
−e
∂n
(1.15)
wobei n ≡ N/V und V das Volumen des Flüssigkeitelements ist.
• Beispiel für nicht-sättigende Kräfte:
Gravitation, Coulomb (∼ 1r )
E
∼
N
N2
N 4/3
Bosonen
Fermionen
Gravitation muss als äußere makroskopische Kraft in Hydrodynamik beschrieben
werden.
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
1.3
14
Herleitung der hydrodynamischen Gleichungen
• Hauptproblem bei der Herleitung makroskopischer Gleichungen ist der Stoßterm in
den kinetischen Gleichungen
• Mehrere Verfahren existieren (z.B. Methode von Grad und von Chapman und Enskog), um makroskopische Transportgleichungen für mittlere Größen aus der Boltzmanngleichung abzuleiten.
• Basis: Makroskopische Größen, die als Geschwindigkeits- bzw. Impulsmomente der
Verteilungsfunktion definiert sind.
1.3.1
Maxwell–Boltzmann–Gleichung
• Verfahren: Multiplikation der Boltzmann–Gleichung mit Größen
Θ(τ ) ≡ m~uτ
τ = 0, 1, 2, . . .
(1.16)
und Integration über den Impuls- bzw. Geschwindigkeitsraum.
• Speziell von Interesse sind dabei die 3 niedrigsten Momente, die eine direkte physikalische Bedeutung besitzen. Sie sind die Dichte, der Impuls und die kinetische Energie
der statistischen Geschwindigkeitskomponente w
~ = ~u − ~v (innere Energie) des Gases
am Ort ~q zur Zeit t
Z
ρ=
m f (~q, p~, t)d~p
(1.17)
m~u f (~q, p~, t)d~p
(1.18)
m 2
|w|
~ f (~q, p~, t)d~p
2
(1.19)
Z
ρv =
Z
ρε =
• Allgemein ist das r-te Moment definiert als
(r) 1
Θ
≡
n
Z
Θ(r) f d~p ,
(1.20)
woraus sich gemäß (1.9) die r-te Momentengleichung ergibt
Z
(r)
Θ
Z ∂f
∂f
+ ~ugradq f − gradq Φ gradu f d~p =
Θ(r) d~p
∂t
∂t c
(1.21)
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
15
Die mittlere Teilchenanzahldichte n ist gemäß
Z
n≡
f d~p
(1.22)
definiert, wobei
R
hnΘi =
nΘf d~p
=
n
Z
Θf d~p = n hΘi
(1.23)
gilt.
• Da Θ(r) nicht explizit von ~q und t abhängt, folgt aus Gleichung (1.21)
∂
∂t
Z
Z
(r)
Θ f d~p +
Z
(r)
Θ(r) gradq Φ gradu f d~p
Z ∂f
=
Θ(r) d~p
∂t c
~u gradq (Θ f ) d~p −
(1.24)
1. Term von (1.24):
∂
∂t
Z
Θ(r) f d~p =
∂
∂ (r) n Θ(r) =
nΘ
∂t
∂t
2. Term von (1.24):
Z
(r)
Z
Z
divq (Θ f~u) d~p − Θ(r) f · divq ~u d~p
= divq nΘ(r)~u − nΘ(r) divq ~u
~ugradq (Θ f ) d~p =
(r)
wobei die Identität
~ = AgradΨ
~
~
divΨA
+ Ψ divA
(1.25)
verwendet wurde.
3. Term von (1.24):
Z
−
(r)
Θ gradq Φ gradu f d~p =
Z
(r)
Θ
~u˙ gradu f d~p =
Z
Θ(r) p~˙ gradp f d~p
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
16
wegen ~u˙ = −gradq Φ. Mit Hilfe der Identität (1.25) folgt dann
Z
Z
Z
(r)
(r) ˙
− Θ gradq Φ gradu f d~p = divp (Θ p~f ) d~p − f divp (Θ(r) p~˙ ) d~p
|
{z
}
≡0
Das erste Integral auf der rechten Seite ist identisch gleich Null. Dies kann man mit
Hilfe des Gauss’schen Satz zeigen unter der sinnvollen Annahme, dass f für |~u| → ∞
schneller gegen Null strebt als jede Potenz von |~u| (z.B. Boltzmannverteilung).
Nochmalige Anwendung der Identität (1.25) liefert
Z
Z
Z
(r)
(r)
˙
− Θ gradq Φ gradu f d~p = − f Θ divp p~ d~p − f p~˙ gradp Θ(r) d~p
Die Divergenz im Integranden des ersten Integrals auf der rechten Seite läßt sich mit
Hilfe der Hamiltonschen Gleichungen (1.1) umschreiben. Wegen ṗ1 = −∂H/∂q1 und
q̇1 = +∂H/∂p1 gilt
∂ 2H
∂ q̇1
∂ ṗ1
=−
=−
∂p1
∂p1 ∂q1
∂q1
und damit
∂ ṗ1 ∂ q̇1
+
=0
∂p1 ∂q1
bzw.
divp p~˙ = −divq ~q˙
(1.26)
Demnach läßt sich der 3-te Term von (1.24) unter Verwendung von ~q˙ = ~u in der Form
Z
Z
(r)
(r)
− Θ gradq Φ gradu f d~p = nΘ divq ~u − f p~˙ gradp Θ(r) d~p
bzw.
Z
Z
(r)
(r)
− Θ gradq Φ gradu f d~p = nΘ divq ~u + f gradq Φ gradu Θ(r) d~p
schreiben. Zusammenfassung aller Terme ergibt die Maxwell–Boltzmann–
Transportgleichung (MBT–Gleichung) für das Moment Θ(r)
∂ (r) nΘ
+ divq nΘ(r)~u + gradq Φ ngradu Θ(r)
∂t
Z =
∂f
∂t
Θ(r) d~p
c
(1.27)
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
17
• Die rechte Seite dieser Transportgleichung ist gleich null, falls Θ(r) (oder eine Linearkombination von Θ(r) ’s) eine Erhaltungsgröße bei Stößen ist
• Für elastische Kollisionen infolge kurzreichweitiger Kräfte gibt es im nicht–
relativistischen Grenzfall genau 5 unabhängige Erhaltungsgrößen:
– Masse: m
– Impuls: m~u
– kinetische Energie: 12 m|~u|2
• Die Maxwell–Boltzmann–Transportgleichungen stellen ein hierarchisches
System von
(r) Gleichungen dar, da das r-te Moment wegen des Terms divq nΘ ~u vom (r+1)–ten
Moment abhängt und weil der Stoßterm nicht auf eine Funktion des r-ten Moments
reduzierbar ist. Daher ist eine unabhängige Schließbedingung erforderlich.
1.3.2
Hydrodynamische Gleichungen
Zur Herleitung der hydrodynamischen Gleichungen verwendet man die MBT–
Gleichungen für die 3 niedrigsten Momente und eine Zustandsgleichung für das 3-te
Moment als Schließbedingung.
• Nulltes Moment r = 0:
Θ(0) = m
(1.28)
∂
hnmi + div hnm~ui = 0 ,
∂t
(1.29)
da die Masse der Teilchen während der Teilchenkollision erhalten ist (nicht–
relativistische Beschreibung und keine Reaktionen).
R
Mit nm = ρ = mf d~p ergibt sich dann die Kontinuitätsgleichung
∂ρ
+ div (ρ~v ) = 0
∂t
(1.30)
• Erstes Moment r = 1:
Θ(1) = m~u
(1.31)
Aus der Maxwell–Boltzmann–Transportgleichung (1.27) folgt dann
∂
(ρ~v ) + div [ρ h~u ⊗ ~ui] + ρgradΦ = 0
∂t
(1.32)
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
18
Hierbei ist ~u ⊗ ~u die symmetrische Dyade ui uk . Der Stoßterm (d.h. die rechte Seite)
ist gleich null, da der Impuls in Teilchenkollisionen erhalten ist.
Für die Dyade ~u ⊗ ~u gilt
h~u ⊗ ~ui = h~v ⊗ ~v i + h~v ⊗ wi
~ + hw
~ ⊗ ~v i + hw
~ ⊗ wi
~
Da ~v eine gemittelte Größe ist und da hwi
~ = 0 gilt, folgt
h~u ⊗ ~ui = h~v ⊗ ~v i + hw
~ ⊗ wi
~
(1.33)
und damit die Navier–Stokes–Gleichung (Bewegungsgleichung der Hydrodynamik)
∂
(ρ~v ) + div [ρ(~v ⊗ ~v )] + divΠ = −ρgradΦ
∂t
(1.34)
Der Drucktensor Π ≡ ρ (w
~ ⊗ w)
~ wird üblicherweise in der Form
Π = pI − π
(1.35)
geschrieben, wobei I der Einheitstensor ist,
p≡
1 2
ρ |w|
~
3
(1.36)
der isotrope Gasdruck (Spur der symmetrischen Dyade) und
π≡ρ
1 2
|w|
~ I −w
~ ⊗w
~
3
(1.37)
der Viskositätstensor.
Für reibungsfreie Gase gilt die Euler–Gleichung:
∂
(ρ~v ) + div [ρ(~v ⊗ ~v )] + gradp = −ρgradΦ
∂t
(1.38)
oder auch
∂~v
1
+ (~v grad)~v + gradp = −gradΦ
∂t
ρ
(1.39)
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
19
• Zweites Moment r = 2:
Mit
1
Θ(2) = m|~u|2
2
(1.40)
folgt
i
i
∂ (2) ∂ hρ ∂ hρ 2 ρ
2
2
=
=
nΘ
|w
~ + ~v |
|~v | + < |w|
~ >
∂t
∂t 2
∂t 2
2
(zeitliche Änderung der totalen, d.h. kinetischen plus thermischen Energiedichte) und
"
#
X ∂ ρ X
div nΘ(2)~u =
u2j ui
∂xi 2 j
i
Die Summe in der eckigen Klammer läßt sich umformen zu
X
X
2
u2j ui =
(wj + 2wj vj + vj2 ) (wi + vi )
j
j
+
*
X
wj2 wi + 2wj wi vj + vj2 wi +wj2 vi + 2wj vj vi +vj2 vi
| {z }
|{z}
j
=0
=0
X
2 2
= |w|
~ wi + 2
hwi wj i vj + |w|
~ vi + ~v 2 vi
=
j
und daraus folgt dann
X ∂
div nΘ(2)~u =
∂xi
i
#)
( "
X
ρ
|~v |2 vi + vi |w|
~ 2 +2
vj hwi wj i + wi |w|
~2
2
j
Mit Hilfe der spezifischen inneren Energie [erg/g]
ε≡
1 2
|w|
~
2
und des Energieflußes durch Wärmeleitung (Transport von Wärme
durch thermische Bewegung)
1 2
~h ≡ ρ w
~ |w|
~
,
2
(1.41)
ρ
2
h|w|
~ 2i
(1.42)
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
20
läßt sich die Energiegleichung in der Form
∂
(ρE) + div [(ρE + p)~v ] + div~h − div(π~v ) = −ρ~v gradΦ
∂t
(1.43)
schreiben, wobei die spezifische Gesamtenergiedichte E [erg/g] durch
1
E ≡ |~v |2 + ε
2
(1.44)
gegeben ist.
• Im Spezialfall einer adiabatische Strömung ohne Gravitation (d.h. Entropie ist konstant) gilt für die spezifische Gesamtenergiedichte die Gleichung
∂
(ρE) + div [(ρE + p) ~v ] = 0
∂t
(1.45)
und für die spezifische Entropie S (pro Masseneinheit) die Gleichung
∂ρS
+ div(ρS~v ) = 0 .
∂t
(1.46)
• Einen phänomenologischer Ansatz für die Wärmeleitung erhält man durch Taylor–
Entwicklung bis zur 1. Ordnung in T
~h = −κ gradT ,
(1.47)
wobei κ der Wärmeleitungskoeffizient [erg/K/sec/cm2 ] ist.
• Die allgemeinste Form des Viskositätstensors lautet (siehe z.B., Landau und Lifshitz):
∂vi
∂vk 2
πik = η
+
− δik div~v − ζδik div ~v ,
(1.48)
∂xk ∂xi 3
wobei η und ζ die Viskositätskoeffizienten sind. Man beachte, dass der erste Term
spurfrei ist.
• Die Zustandsgleichung (Schließbedingung) verknüpft den Druck p (3.Moment) mit
der Dichte ρ und der spezifischen inneren Energie ε bzw. der Temperatur T der
Flüssigkeit oder des Gases. Im Falle eines idealen, einatomigen Boltzmanngases lautet
die Zustandsgleichung
p = nkB T = RρT
(1.49)
wobei n die Teilchenanzahldichte [cm−3 ], kB = 1.38 10−16 [erg/K] die Boltzmannkonstante und R = 8.31 107 [erg/K mol] die allgemeine Gaskonstante sind.
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
1.4
21
Relativistische Hydrodynamik
• In der Newtonschen Theorie der Gravitation wird ein absoluter“ euklidischer Raum
”
postuliert, in dem sich die Massen bewegen, die sich gegenseitig durch die von ihnen
ausgeübten Gravitationskräfte beeinflussen. In der Einsteinschen Allgemeinen Relativitätstheorie bewirken die in einer Raumzeit vorhandenen Massen (Energien) eine
Krümmung der Raumzeit (d.h. eine Veränderung der Raumzeitgeometrie) und die
Raumzeitkrümmung (Gravitation) bestimmt ihrerseits die Bewegung der Massen.
• Mathematisch lässt sich dieses physikalische Konzept im Rahmen einer Theorie einer
Pseudo–Riemannschen Geometrie einer kontinuierlichen vierdimensionalen Raumzeit
formulieren. Die Raumzeit wird durch eine Mannigfaltigkeit M mit einer symmetrischen Metrik g µν (Tensorfeld 2. Stufe mit µ, ν = 0, 1, 2, 3) beschrieben, die durch
sechs unabhängige Metrikfunktionen definiert ist (4 Koordinaten–Freiheitsgrade).
• Die nicht–linearen (es gilt kein Superpositionsprinzip für Gravitationsfelder) Einsteinschen Feldgleichungen verknüpfen die Krümmung der Raumzeit spezifiziert durch den
Einstein–Tensor Gµν (quasilinearer Differentialoperator von 2. Ordnung in der Metrik g µν , d.h. linear in den 2. Ableitungen) mit dem Energie–Impuls–Tensor T µν der
Massenenergieverteilung der Raumzeit
Gµν =
8πG µν
T ,
c2
(1.50)
wobei G die Newtonsche Gravitationskonstante und c die Lichtgeschwindigkeit sind.
• Annahme: Ideale Flüssigkeit charakterisiert durch 4–Geschwindigkeit (dimensionslos)
uµ =
dxµ
,
c dτ
(1.51)
wobei dxµ und dτ das Koordinaten- bzw. das Eigenzeitintervall sind, sowie durch den
Energie–Impuls–Tensor
T µν = (e + p)uµ uν + pg µν .
(1.52)
Hierbei ist e = ρc2 + ρε die Gesamtenergiedichte [erg/cm3 ], p der Druck und ρ die
Eigenruhemassendichte bzw. die Baryonenanzahldichte (alle Größen gemessen
im lokalen Bezugssystem der Flüssigkeit)
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
22
• Mit Hilfe der Relation
e + p = ρ(c2 + ε) + p = ρh ,
wobei
h ≡ c2 + ε + p/ρ
die spezifische Enthalpie [erg/g] ist, läßt sich der Energie–Impuls–Tensor auch in
der Form
T µν = ρhuµ uν + pg µν
(1.53)
schreiben.
• Mit Hilfe der Bianchi–Identität ∇ν Gµν = 0 folgen aus den Einsteinschen Feldgleichungen zwei Erhaltungssätze in kovarianter (koordinatenfreier) Form, die die Bewegung der Flüssigkeit mit dem Teilchenstrom J µ ≡ ρuµ beschreiben:
– Teilchenzahlerhaltung
∇µ J µ = 0
(1.54)
– Energie–Impuls–Erhaltung
∇µ T µν = 0
(1.55)
• Die kovariante Ableitung ∇µ ist wie folgt definiert:
∇µ Aν ≡ Aν , µ + Γνσµ Aσ
wobei
Aν , µ ≡ ∂µ Aν ≡
∂Aν
∂xµ
die gewöhnliche Ableitung bedeutet und
1
Γνσµ ≡ g νλ (∂σ gλµ + ∂µ gλσ − ∂λ gσµ )
2
(1.56)
der metrische Zusammenhang (kein Tensor, da er sich linear inhomogen transformiert), bzw. die Christoffelsymbole zweiter Art der Metrik der Raumzeit–
Mannigfaltigkeit sind.
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
23
• Wichtig: Um die kovarianten Gleichungen für die Teilchenzahl-Erhaltung 1.54) und
die Erhaltung des Energie-Impulses (1.55) numerisch intergrieren zu können, muss
man ein geeignetes Koordinatensystem wählen. Da das Newtonsche Konzept eines
absoluten Raums und einer absoluten Zeit in der Allgemeinen Relativitätstheorie
nicht existiert, muss man bei der Interpretation der geometrischen Bedeutung der
Koordinaten sehr vorsichtig sein.
1.4.1
Speziell–relativistische Hydrodynamik
• Die Raumzeit–Metrik
Minkowski–Metrik
der
speziellen
g µν −→ η µν ≡ diag(−1, 1, 1, 1)
Relativitätstheorie
ist
die
(“flache”)
und Γνσµ = 0 .
In dieser Metrik geht die kovariante Ableitung ∇µ in die gewöhnliche Ableitung ∂µ
über. Die Gleichungen für die Teilchenzahlerhaltung bzw. für die Energie–Impuls–
Erhaltung lauten dann
∂µ (ρuµ ) = 0
∂µ T µν = 0 .
∧
(1.57)
• Mit Hilfe des Lorentzfaktors
W ≡ [1 − ~v 2 /c2 ]−1/2 ,
(1.58)
wobei ~v ≡ d~x/dt die 3–Geschwindigkeit ist, läßt sich die 4–Geschwindigkeit in der
Form
uµ = W (1, ~v /c)
schreiben.
• Definition relativistischer Erhaltungsgrößen im Laborsystem:
– Ruhemassendichte [g/cm3 ]
D ≡ ρu0 = ρW
(1.59)
– Impulsdichte
S i ≡ T 0i /c =
h 2 i
W ρv , i = 1, 2, 3
c2
(1.60)
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
24
– und Energiedichte [erg/cm3 ]
τ ≡ T 00 − ρu0 c2 = ρhW 2 − p − ρW c2
(1.61)
• Damit lauten die relativistischen hydrodynamischen Gleichungen in Erhaltungsform
wie folgt:
∂D
∂t
+ div(D~v ) = 0
∂S i
+ div(S i~v ) + (∇p)i = 0
∂t
∂τ
∂t
(1.62)
~ − D~v ) = 0
+ c2 div(S
• Im Newtonschen Grenzfall ~v → 0 und h → 1 gilt:
D→ρ
∂ρ
+ div(ρ~v ) = 0
∂t
~ → ρ~v
S
∂(ρ~v )
+ div(ρ~v ~v ) + gradp = 0
∂t
τ → 12 ρ~v 2 + ρε = ρE
1.4.2
(1.63)
∂(ρE)
+ div [(ρE + p)~v ] = 0
∂t
Allgemein–relativistische Hydrodynamik
• In der numerischen Relativitätstheorie wird zur Lösung der Einsteinschen Feldgleichungen üblicherweise ein 1962 von Arnowitt, Deser & Misner 2 vorgeschlagener Formalismus verwendet. Es basiert auf der sogenannten {3 + 1} Foliation der Raumzeit
durch Lichnerovicz 3 und ist allgemein als der ADM {3 + 1} Formalismus bekannt.
Der ADM {3 + 1} Formalismus basiert auf einer Foliation der vierdimensionalen
Raumzeit–Mannigfaltigkeit M in eine Abfolge dreidimensionaler, sich nicht schneidender raumartiger Hyperflächen Σt̂ , wobei t̂ ein skalarer Zeitparameter ist. Diese
Foliation der Raumzeit hat eine anschauliche geometrische Interpretation (Abb. 1.2):
2
Arnowitt, R., Deser, S. & Misner, C.W., “The dynamics of general relativity”, in Witten, L., ed.,
Gravitation: An introduction to current research, 227–265, (Wiley, New York, U.S.A., 1962).
3
Lichnerovicz, A., “L’integration des équations de la gravitation relativiste et le problème des n corps”,
J. Math. Pures Appl., 23, 37–63, (1944).
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
25
^
t
numerical
grid
t^ 2
^1
t
boundaries
t^ 0
initia
l data
x1
x2
hypersurfaces
Abbildung 1.2: Foliation der Raumzeit–Mannigfaltigkeit M in Hyperflächen Σt̂ im ADM
{3 + 1} Formalismus.
Jeder zeitlicher Schnitt Σt̂ ist eine raumartige Hyperfläche, die den gesamten dreidimensionalen Raum umfasst. Damit ist ein Cauchy–Problem definierbar, d.h. falls
Anfangsdaten auf einer Hyperfläche Σt̂0 und Randbedingungen für alle anderen Hyperflächen Σt̂>t̂0 spezifiziert sind, ist die zeitliche Entwicklung der Anfangsdaten vollkommen bestimmt.
• Die allgemeinste Metrik, die eine entsprechend foliierte Raumzeit beschreibt, kann
man auf folgende Weise herleiten: Zuerst führt man Koordinaten (xµ ) = (t, xi ) ein, die
die gesamte Raumzeit–Mannigfaltigkeit M überdecken. Das Linienelement ds2 , d.h.
das Intervall zwischen zwei Ereignissen x̂µ und xµ , die auf den zeitlich infinitesimal
voneinander entfernten Schnitten Σt̂ und Σt̂+dt̂ der Raumzeit stattfinden, ist durch
den auf die Riemannsche Geometrie verallgemeinerten Satz des Pythagoras gegeben
(Achtung: In den folgenden Gleichungen werden geometrische Einheiten mit
c = G = 1 verwendet):
Eigenzeitabstand
ds = −
der Hyperflächen
2
2
+
Eigenabstand innerhalb
der Hyperfläche
2
,
(1.64)
d.h.
ds2 = −(dt̂ )2 +
X
(dx̂i )2 .
(1.65)
i
• Im ADM {3 + 1} Formalismus ist der Abstand zweier zeitlich infinitesimal benachbarter Schnitte im allgemeinen eine Funktion der Position xi auf Σt̂ . Damit folgt
dt̂ = αdt ,
(1.66)
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
26
wobei α die sogenannte Zeitablauffunktion oder lapse function“ ist.
”
i
Projeziert man die Position des Punktes x auf die Hyperfläche Σt̂+dt̂ unter Verwendung des Normalenvektors der Hyperfläche Σt̂ , so wird sich diese im allgemeinen
infinitesimal um einen Betrag β i dt verschieben, d.h.
dx̂i = dxi + β i dt ,
(1.67)
wobei β i der sogenannte Verschiebungsvektor oder shift vector“ ist. Daher ist die
”
Weltlinie eines Beobachters mit festen Raumkoordinaten im allgemeinen nicht orthogonal zu den räumlichen Hyperflächen. Die vier Koordinatenfunktionen α und β i
bestimmen demnach die Beziehung zwischen den Koordinaten zweier infinitesimal
benachbarter Zeitschnitte.
• Für das ADM–Linienelement ergibt sich daraus die Form
ds2 = gµν dxµ dxν = −α2 dt2 + γij (dxi + β i dt)(dxj + β j dt) ,
(1.68)
wobei γij der intrinsische dreidimensionale Krümmungstensor der Hyperfläche Σt̂ ist.
Für die vierdimensionale Raumzeit–Metrik gµν gilt:

−α2 + βi β i β1 β2 β3


β1
.
=


β2
γij
β3

gµν
(1.69)
• Ist uµ die 4–Geschwindigkeit der Flüssigkeit bzw. des Gases, dann ist die entsprechende 3–Geschwindigkeit für einen ruhenden Eulerschen (d.h. raumfesten) Beobachter
in der raumartigen Hyperfläche Σt̂ der ADM–Foliation durch
vi =
ui
βi
+
αu0
α
(1.70)
gegeben. Der Lorentzfaktor ist gemäß W ≡ αu0 = (1 − v 2 )−1/2 mit v 2 = γij v i v j
definiert.
• Führt man, wie 1997 von Banyuls 4 et al. vorgeschlagen, die folgenden hydrodynamischen Erhaltungsgrößen (siehe Gl. 1.59–1.61)
D = ρW,
S i = ρhW 2 v i ,
τ = ρhW 2 − p − ρW,
4
Ruhemassendichte,
(1.71)
Impulsdichte,
(1.72)
Gesamtenergiedichte
(1.73)
Banyuls, F., Font, J.A., Ibáñez, J.Ma , Martı́, J.Ma & Miralles, J.A., “Numerical {3 + 1} general
relativistic hydrodynamics: A local characteristic approach”, Astrophys. J., 476, 221–231, (1997).
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
27
ein, so lauten die zugehörigen hydrodynamischen Erhaltungsgleichungen
√ 0
√
∂ γF
1
∂ −gF i
√
+
= Q,
−g
∂x0
∂xi
(1.74)
wobei der Zustandsvektor (Vektor der Erhaltungsgrößen), der Flussvektor und der
Quellenvektor durch
F 0 = (D, Sj , τ )T
(1.75)
T
βi
βi
βi
(1.76)
, Sj v i −
+ δji p, τ v i −
+ pv i ,
F i = D vi −
α
α
α
T
∂gνj
λ
µν
µν 0
µ0 ∂ ln α
Q = 0, T
− Γ µν gλj , α T
− T Γµν
(1.77)
∂xµ
∂xµ
√
√
gegeben sind. Hierbei gilt −g = α γ mit den Determinanten der 4–Metrik g =
λ
die vierdimensionalen
det(gµν ) und der 3–Metrik γ = det(γij ). Weiterhin sind Γµν
i
Christoffelsymbole (Gl. 1.56) und δj das Kroneckersymbol.
• In expliziter Form und mit v̂ i = v i − β i /α lauten die allgemein–relativistischen hydrodynamischen Gleichungen:
√
√
∂ γρW
1
∂ −gρW v̂ i
√
+
= 0,
−g
∂t
∂xi
√
√
∂ γρhW 2 vj ∂ −g(ρhW 2 vj v̂ i +pδji )
1
λ
µν ∂gνj
√
+
−Γµν gλj ,
=T
−g
∂t
∂xi
∂xµ
√
√
∂ γ(ρhW 2−p−ρW ) ∂ −g((ρhW 2−p−ρW )v̂ i+pv i )
1
µ0 ∂ ln α
µν 0
√
+
=α T
−T Γµν .
−g
∂t
∂xi
∂xµ
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
1.5
28
Magnetohydrodynamik
Befindet sich ein leitendes flüssiges (oder gasförmiges) Medium in einem Magnetfeld, so
werden in ihm bei seinen hydrodynamischen Bewegungen in ihm elektrische Felder induziert, und es entstehen elektrische Ströme. Im Magnetfeld wirken auf Ströme aber Kräfte.
Gleichzeitig verändern diese Ströme das Magnetfeld. Es bestehen also komplizierte Wechselwirkungen zwischen den magnetischen und den hydrodynamischen Erscheinungen, die
auf der Grundlage des kombinierten Systems der Feldgleichungen und der Bewegungsgleichungen der Flüssigkeit untersucht werden müssen.
• Das Verhalten elektromagnetischer Felder wird durch vier gekoppelte partielle Differentialgleichungen 1. Ordnung beschrieben. Diese berühmten Maxwellschen Gleichungen lauten für ein einkomponentiges, elektrisch neutrales Medium (ρQ = 0 mit
ε0 = 1, µ0 = 1):
~ =0
divE
~
~ + 1 ∂B
rotE
c ∂t = 0
~ =0
divB
~
~ = 4π J~ + 1 ∂ E
rotB
c
c ∂t
(1.78)
Wegen ihrer Lorentz-Invarianz gelten die Maxwellschen Gleichungen in dieser Form
auch in einem Koordinatensystem, das sich mit der Geschwindigkeit ~v bewegt. Be~ 0 das elektrische Feld im Ruhsystem des Mediums und mit
zeichnet man etwa mit E
~ das elektrische Feld in einem System relativ zu dem sich das Medium mit der
E
Geschwindigkeit ~v bewegt, so hat (1.78) in beiden Systemen die gleiche Form.
Die in der Induktionsgleichung auftretende elektrische Stromdichte J~ folgt aus
dem Ohmschen Gesetz gemäß
~
~ + ~v × B
J~ = σ E
c
,
(1.79)
wobei σ die (isotrope) elektrische Leitfähigkeit des Mediums ist, denn im Ruhsy~ 0 , und für nicht-relativistische Geschwinstem des Mediums gilt nach Ohm J~ 0 = σ E
~0 = E
~ + ~v /c × B
~ sowie J~ 0 = J,
~
digkeiten (|~v | c) die Transformationsbeziehungen E
falls ρQ = 0.
Ist σ sehr groß (d.h. effektiv unendlich) strömt die Flüssigkeit bzw. das Gas unter
dem Einfluss der elektromagnetischen Felder gemäß der Bedingung (ideale Magnetohydrodynamik)
~ + 1 ~v × B
~ = 0.
E
c
(1.80)
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
29
• Die beiden grundlegenden Näherungen der nicht–relativistischen Magnetohydrodynamik (MHD) sind:
– (i) Alle Geschwindigkeiten sind klein im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit
|~v | c (quasistationäre Näherung)
– (ii) die Ladungsdichte und das elektrische Feld im Ruhesystem der Flüssigkeit
sind Null (Einflüssigkeitsmodell). Das Medium ist daher elektrisch neutral.
Mit diesen Annahmen kann man zeigen, dass das elektrische Feld im Laborsystem
verglichen mit dem magnetischen Feld klein von erster Ordnung in v/c ist
~ =O
|E|
v
c
~ ,
|B|
und dass der Verschiebungsstrom verglichen mit dem Ladungsstrom klein von zweiter
Ordnung ist
2 ~ v ~
1 ∂ E
.
= O 2 |J|
c ∂t c
Das bedeutet insgesamt: Die Gleichungen der Magnetohydrodynamik folgen aus den
Maxwellschen Gleichungen (Gl. 1.78), wenn alle Größen vernachlässigt werden, die
klein von zweiter Ordnung in v/c sind [Landau & Lifschitz, 1985].
• Mit den obigen Annahmen ergibt sich mit Gl. (1.79) und der Vektoridentität
2~
~ = grad(divB)−∇
~
B die folgende Näherung für die Induktionsgleichung
rot(rotB)
~
∂B
~ + νm ∇2 B
~.
= rot(~v × B)
∂t
(1.81)
Der zweite Term auf der rechten Seite beschreibt die resistive Felddiffusion mit dem
Diffusionskoeffizienten
νm =
c2
.
4πσ
(1.82)
Für eine ruhende Flüssigkeit verschwindet in Gleichung (1.81) der erste Term
auf der rechten Seite und die Induktionsgleichung geht in eine Diffusionsgleichung
über, die besagt, dass ein vorhandenes Anfangsmagnetfeld innerhalb einer Zeitskala τ ≡ 4πσL/c2 zerfällt, wobei L eine charakteristische Längenskala ist. Für den
geschmolzenen Kern der Erde ist τ ∼ 104 Jahre und für das typischen Sonnenmagnetfeld gilt τ ∼ 1010 Jahre.
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
30
Für Zeiten klein im Vergleich zur Diffusionszeit τ oder, in anderen Worten, wenn
die elektrische Leitfähigkeit σ so groß ist, dass man den 2. Term in der Induktionsgleichung vernachlässigen kann, besagt Gl. (1.81), dass das Magnetfeld eingefroren“
”
ist, d.h. die Kraftlinien werden mit der Flüssigkeit advektiert (siehe z.B. Landau &
Lifschitz, Bd.8). Außerdem gilt dann Gl. 1.80.
Falls die Strömung von Wirbeln durchsetzt bzw. turbulent ist, werden die Feldlinien schnell aufgewickelt und Gebiete mit hoher magnetischer Energiedichte entstehen. In diesen Gebieten wechselt das Feld innerhalb sehr kleiner Volumina die
Richtung. Physikalisch führt dies zum Kurzschluss ( reconnection“) der Feldlinien
”
und zur Auslöschung des Feldes, wobei Magnetfeldenergie in thermische Energie umgesetzt wird. Diese turbulente Felddiffusion bewirkt, dass Wirbelzentren sehr schnell
feldfrei und je nach Feldstärke mehr oder weniger stark aufgeheizt werden.
~
• Gleichung (1.81) kann in die Form einer Kontinuitätsgleichung für die Flussdichte B
umgeschrieben werden (von Bedeutung für numerische Simulationen)
∂B i
= −∇k [F ik − Gik ],
∂t
mit den anti–symmetrischen
(1.83)
5
Transport- und Diffusionsflusstensoren
F ik = B i v k − B k v i ,
(1.84)
Gik = νm (∇k B i − ∇i B k ).
(1.85)
~ = 0 wird durch die Gleichungen
• Die Quellfreiheit des magnetischen Feldes divB
(1.81) bzw. (1.83) zu einer reinen Anfangsbedingung reduziert, da für einen belie~ = 0 bzw. für einen beliebigen antisymmetrischen Tensor
biges Vektorfeld div(rotA)
∇i ∇k Aik = 0 gilt, und somit ein ursprünglich quellfreies Feld diese Eigenschaft beibehält.
• Die restlichen elektromagnetischen Größen sind in der MHD keine unabhängigen
Variablen, sondern Funktionen des Magnetfeldes:
5
c
~
rotB
J~ =
4π
(1.86)
1 ~
~
~
E=
B × ~v + νm rotB .
c
(1.87)
Für anti–symmetrische Tensoren gilt: T ik = −T ki und T ii = 0.
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
31
• Durch das Auftreten elektromagnetischer Größen müssen sowohl die Energie- (1.43)
als auch die Impuls–Gleichungen (1.34) abgeändert werden. Zu Energie- und Impulsdichte sind die jeweiligen Feldanteile zu addieren. Die zugehörigen Flüsse müssen um
den Poyntingfluss bzw. den Maxwellschen Spannungstensor erweitert werden.
Die Energiedichte des Feldes [erg/cm3 ], die zu (1.44) hinzu addiert werden muss,
ergibt sich wegen O(E 2 ) = O(v 2 /c2 B 2 ) ≈ 0 zu
B2
=
8π
ρEmag
(1.88)
und der magnetische Energiefluss zu
~qmag =
1 ~ ~ − νm B
~ × rotB
~,
B × ~v × B
4π
4π
(1.89)
bzw. zu
k
qmag
1
=−
4π
2
B2 k
νm
i
k
i
k
kB
B vi B −
v +
B ∇i B − ∇
.
2
4π
2
(1.90)
Weiterhin läßt sich zeigen, dass der Feldimpuls klein von zweiter Ordnung im Vergleich zum mechanischen Impuls ist und daher vernachlässigt werden darf. Im Maxwellschen Spannungstensor T ik werden die elektrischen Terme vernachlässigt:
−T
ik
≈
Πik
mag
1
=−
4π
B 2 ik
δ
BB −
2
i
k
.
(1.91)
Dieser magnetische Drucktensor muss zum Drucktensor Πik (1.35) in der Navier–
Stokes–Gleichung (1.34) hinzu addiert werden. Den isotropen Anteil des magnetischen Drucktensors (2. Term in 1.91) kann man auch mit dem isotropen Gasdruck
(1.36) zu einem isotropen Gesamtdruck ptot ≡ p + pmag mit pmag ≡ B 2 /8π zusammenfassen.
• In der gewöhnlichen Hydrodynamik wird die Reynolds–Zahl verwendet, um die
relative Stärke der Viskositäts- und Trägheitsterme in den Bewegungsgleichungen zu
charakterisieren
Re ≡
ul
,
ν
(1.92)
wobei l und u = l/τ für die gegebene Bewegung charakteristische Längen- und Geschwindigkeitsskalen sind und ν ≡ η/ρ die kinematische Zähigkeit der Flüssigkeit
bzw. des Gases ist (η ist die entsprechende dynamische Zähigkeit; siehe Gl. 1.48).
KAPITEL 1. DIE HYDRODYNAMISCHEN GLEICHUNGEN
32
Neben dieser Zahl kann man in der MHD eine magnetische Reynolds–Zahl
Rem ≡
ul
νm
(1.93)
einführen (mit νm aus Gl. 1.82), die die relative Stärke des Leitfähigkeitsterms charakterisiert. Dessen Vernachlässigung ist im allgemeinen für Rem 1 gerechtfertigt.
• Durch Entwicklung der Eulerschen Gleichungen nach kleinen Störungen und nach
anschließender Linearisierung erhält man Wellengleichungen für die Dichte ρ, den
Druck p und das Geschwindigkeitspotential Ψ, für das gilt ~v = gradΨ. Die Phasengeschwindigkeit der so definierten Schallwellen ist
s ∂p
c0 =
,
(1.94)
∂ρ S
wobei die Ableitung bei konstanter Entropie zu bilden ist. Wie auf Grund der verschwindenden Scherkräfte für ideale Flüssigkeiten zu erwarten ist, sind Schallwellen
longitudinale Wellen, d.h. der Wellenvektor ist parallel zur Geschwindigkeit ~k k ~v .
Auf analoge Weise ist es möglich, die MHD–Gleichungen zu linearisieren. Die Projektion der (vektoriellen) Dispersionsrelation senkrecht zur Ebene, die durch den
~ aufgespannt ist, liefert die sogenannten
Wellenvektor ~k und das ungestörte Feld B
Alfvén–Wellen. Deren Phasengeschwindigkeit ist
Bk
,
cA = √
4πρ
(1.95)
~ auf ~k bezeichnet B
~ k = (~k B)
~ ~k / |~k|2 . Die Projektion
wobei Bk die Projektion von B
~
der Dispersionsrelation in die ~k B-Ebene
und ihre weitere Zerlegung parallel und
senkrecht zu ~k liefert die schnellen und langsamen sonischen Wellen. Deren
Phasengeschwindigkeiten sind

"
# 
2
2 2 1/2 

2
2
B
c
1 B
B
k 0
c2S,L =
+ c20 ±
+ c20 −
.
(1.96)

2  4πρ
4πρ
πρ
Alfvén-Wellen sind grundsätzlich transversale Wellen, während die sonischen Wellen
~ – sowohl transversale
im allgemeinen Fall – beliebiger Winkel zwischen ~k und B
als auch longitudinale Anteile besitzen. Für die Phasengeschwindigkeiten lassen sich
jedoch einige Beziehungen ableiten, die allgemein gelten
cL < cA < cS
und cL < cO < cS .
(1.97)
Im Grenzfall kleiner Felder verschwinden cL und cA , und cS geht in die gewöhnliche
Schallgeschwindigkeit c0 über.
Kapitel 2
Eigenschaften und analytische
Lösungen
2.1
Systeme Quasilinearer Partieller Differentialgleichungen
Die hydrodynamischen Gleichungen stellen ein System quasilinearer partieller Differentialgleichungen (kurz PDE) erster Ordnung dar. Die wichtigsten mathematischen Begriffe für
solche Systeme sind im folgenden kurz zusammengefasst.
Man betrachte ein System partieller Differentialgleichungen 1. Ordnung in einer Dimension der Form
m
∂uj
∂ui X
+
aij (x, t, u1 , . . . , um )
+ bi (x, t, u1 , . . . , um ) = 0
∂t
∂x
j=1
(2.1)
mit i = 1, . . . , m. Dies ist ein System von m Gleichungen mit m Unbekannten ui , die von
der Ortskoordinate x und einer zeitartigen Variable t abhängen. Hierbei sind die ui die
abhängigen Variablen und x, t die unabhängigen Variablen; dies wird durch die Bezeichnungsweise ui = ui (x, t) ausgedrückt.
Das System (2.1) läßt sich in Matrixform wie folgt schreiben
Ut + AUx + B = 0
(2.2)
mit



U=

u1
u2
..
.
um



,




B=

b1
b2
..
.
bm



,




A=

a11
a21
..
.
···
···
..
.
a1m
a2m
..
.
am1 · · · amm



,

wobei Ut und Ux die partiellen Ableitungen von U(x, t) nach t bzw. x bezeichnen.
33
(2.3)
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
34
Sind die Matrixelemente aij der Matrix A und die Komponenten bj des Vektors B konstant, dann ist (2.2) ein lineares System mit konstanten Koeffizienten. Falls aij = aij (x, t)
und bj = bj (x, t) liegt ein lineares System mit variablen Koeffizienten vor. Das System ist
auch dann noch linear, wenn B linear von U abhängt. Es heißt quasi-linear, falls die
Koeffizientenmatrix A eine Funktion des Vectors U ist, d.h. wenn A=A(U) gilt. Man
beachte, dass quasilineare Systeme im allgemeinen Systeme von nichtlinearen Gleichungen
sind. Das System (2.2) heißt homogen, falls B=0 ist.
Für ein System von PDEs der Form (2.2) muss man Wertebereiche für die unabhängigen
Variablen x und t vorgeben. Gewöhnlich wählt man für x ein Teilintervall der reellen
Zahlenachse, d.h. xl < x < xr ; dieses Teilintervall nennt man die räumliche Domäne
der PDEs, oder einfach die Domäne. An den Intervallgrenzen xl , xr muss man zusätzlich
Randbedingungen vorgeben. Dies ist nicht nötig, wenn die Domäne die gesamte reelle Achse
(−∞ < x < ∞) umfasst. Als Wertebereich für die unabhängige Variable t nimmt man
im allgemeinen t0 < t < ∞ an, wobei man noch Anfangsbedingungen zum Zeitpunkt t0
spezifizieren muss. Oft wird t0 = 0 gewählt.
• Definition 1:
Erhaltungsätze sind Systeme von quasilinearen PDEs 1. Ordnung, die man in der
Form
Ut + F(U)x = 0,
(2.4)
schreiben kann, wobei



U=

u1
u2
..
.




,



F(U) = 

um
f1
f2
..
.



.

(2.5)
fm
U ist ein Vektor von Erhaltungsgrößen und F(U) heißt Flussvektor. Jede seiner
Komponenten fi ist eine Funktion der Komponenten ui von U.
• Definition 2:
Die Jacobi–Matrix des Flussvektors F(U) ist die Matrix

∂F 

=
∂U 
∂f1 /∂u1
∂f2 /∂u1
..
.
∂fm /∂u1
· · · ∂f1 /∂um
· · · ∂f2 /∂um
..
..
.
.
· · · ∂fm /∂um



,

(2.6)
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
35
d.h. die Elemente der Matrix ∂F/∂U sind die partiellen Ableitungen der Komponenten fi des Vektors F bezüglich der Komponenten uj des Vektors der Erhaltungsgrößen
U.
Die Erhaltungssätze (2.4)–(2.5) lassen sich auch in quasilinearer Form (2.2) schreiben.
Mit B ≡ 0 und mit Hilfe der Kettenregel folgt für den zweiten Term in (2.4)
∂F ∂U
∂F(U)
=
∂x
∂U ∂x
(2.7)
und damit für (2.4)
Ut +
∂F(U)
Ux = 0 ,
∂U
(2.8)
was ein Spezialfall von (2.2) ist.
• Definition 3:
Eigenwerte λi der Matrix A sind Lösungen des charakteristischen Polynoms
|A − λI| = det(A − λI) = 0,
(2.9)
wo I die Einheitsmatrix ist. Die Eigenwerte der Koeffizientenmatrix A eines Systems
der Form (2.2) nennt man auch die Eigenwerte des Systems.
Physikalisch repräsentieren die Eigenwerte Geschwindigkeiten der Informationsausbreitung (positiv gemessen in positive x–Richtung).
• Definition 4:
Ein rechter Eigenvektor einer Matrix A bezüglich eines Eigenwerts λi von A ist ein
(i) (i)
(i)
Vektor r(i) = (r1 , r2 , . . . , rm )T , der der Beziehung A r(i) = λi r(i) genügt. Analog
ist ein linker Eigenvektor der Matrix A bezüglich eines Eigenwerts λi von A ein
(i) (i)
(i)
Vektor l(i) = (l1 , l2 , . . . , lm ), für den l(i) A = λi l(i) gilt.
• Definition 5:
Ein System (2.2) heißt hyperbolisch im Punkt (x,t), falls die Matrix A m reelle
Eigenwerte λ1 , . . . , λm und einen dazu gehörigen Satz von m linear unabhängigen
rechten Eigenvektoren r(1) , . . . , r(m) besitzt. Das System ist strikt hyperbolisch, falls
alle Eigenwerte λi verschieden sind.
System (2.2) heißt elliptisch in einem Punkt (x, t), falls keiner der Eigenwerte λi
von A reell ist.
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
36
f(x)
t>0
t
x−
at
=x
0
t=0
x0
x
Abbildung 2.1:
2.2
Charakteristiken
Zur Erläuterung des Begriffs der Charakteristik untersuchen wir verschiedene einfache Beispiele von linearen, nicht–linearen und quasilinearen PDEs 1. Ordnung in 1 Raumdimension.
2.2.1
Die lineare Advektionsgleichung
ut + aux = 0 ,
u(x, 0) = f (x) ,
a = const.
(2.10)
• Die Lösung der linearen Advektionsgleichung lautet u(x, t) = f (x − at). Dies ist eine
Welle der Form f , die sich mit konstanter Geschwindigkeit a nach rechts (a > 0)
bzw. nach links (a < 0) ausbreitet (siehe Abb. 2.1).
• Die Lösung u(x, t) ist konstant längs der Geraden x − at = constant. Diese Geraden heißen Wellenfronten oder Charakteristiken. u(x, t) ist das Signal oder die
Welleninformation und a ist die Signalgeschwindigkeit.
• Information propagiert entlang den Charakteristiken, d.h. entlang Kurven in der x-t–
Ebene, die der gewöhnlichen Differentialgleichung ẋ(t) = a mit x(0) = x0 genügen
(siehe Abb. 2.2).
• Falls Anfangsdaten auf einer Kurve C gegeben sind, die transversal zu allen Charakteristiken ist (d.h. nirgends tangential), so ist die Lösung u(x0 , t0 ) im Punkte (x0 , t0 )
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
37
x − at = const.
t
(x0, t0)
C
P
x
Abbildung 2.2:
gegeben durch den Anfangswert auf C wo die Charakteristik durch (x0 , t0 ) die Kurve
C schneidet.
• Wichtig: Falls C nicht überall transversal zu den Charakteristiken ist, hat die Differentialgleichung im allgemeinen keine Lösung.
2.2.2
Lineare, homogene PDE 1. Ordnung in 1 Dimension
ut + a(x, t)ux = 0,
(2.11)
• Charakteristiken sind jetzt Kurven (siehe Abb. 2.3) und sind in Parameterdarstellung
t = t(q), x = x(q) gegeben durch
dt
= 1,
dq
dx
= a(x, t) ,
dq
da dann
d
dx
dt
u(x(q), t(q)) = ux
+ ut = 0
dq
dq
dq
gilt.
(2.12)
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
t
38
Charakteristiken
(x0, t0)
P
C
x
Abbildung 2.3:
• Falls a(x, t) stetig ist, existieren Charakteristiken (zumindest lokal), die sich nicht
schneiden (folgt aus Eindeutigkeit- und Existenzsatz gewöhnlicher Differentialgleichungen).
2.2.3
Nicht–viskose Burger–Gleichung
ut + uux = 0
(2.13)
bzw.
1
ut + (u2 )x = 0
2
(2.14)
• Die Charakteristiken dieser quasilinearen PDE sind durch
dt
= 1,
dq
dx
= u,
dq
du
=0
dq
gegeben und hängen von der Lösung U ab.
dt
• u ist konstant auf Charakteristiken, d.h. es gilt dq
= 1 und dx
= const. Die Charakdq
teristiken sind also Geraden, die von verschiedenen Punkten ausgehen. Anders als im
linearen Fall können sich die Charakteristiken daher im nicht–linearen Fall schneiden
(siehe Abb. (2.4).
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
39
t
(x0, t0)
Charakteristiken
(x1, 0)
(x2, 0)
x
Abbildung 2.4:
• Im linearen Fall hat man 2 gewöhnliche Differentialgleichungen
dt
= 1,
dq
dx
= a(x, t) ,
dq
d.h. falls a stetig ist, ist die Lösung durch (x0 , t0 ) eindeutig.
• Im nicht–linearen Fall hat man dagegen 3 gewöhnliche Differentialgleichungen
dt
= 1,
dq
dx
= u,
dq
du
=0
dq
Die Lösung durch (x0 , t0 , u0 ) ist eindeutig bestimmt, aber Charakteristiken sind Kurven in der (x, t)–Ebene, die man durch Projektion der eindeutigen dreidimensionalen
Lösung in die Ebene erhält. Daher sind Schnittpunkte möglich.
Falls Schnittpunkte auftreten versagt die Lösungsmethode, da die Signale auf sich
schneidenden Charakteristiken im allgemeinen verschieden sind. Dieser Konflikt läßt
sich nur durch eine Unstetigkeit (einen Sprung) in der Lösung beheben, die man
Stoßwelle oder kurz Stoß nennt (siehe weiter unten).
Wichtig: Stoßwellen können immer auftreten, wenn Charakteristiken konvergieren,
selbst wenn die Anfangsdaten und die Randbedingungen vollständig glatt und stetig
sind.
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
2.2.4
40
Homogenes hyperbolisches System quasilinearer PDE’s
1. Ordnung in 1 Dimension
Ut + A(x, t, U)Ux = 0
(2.15)
• Für die Änderung von U längs der Kurve (x(q), t(q)) gilt
dU
dt
dx
dt dx
= Ut + Ux
= −A(x, t, U) +
Ux
dq
dq
dq
dq dq
(2.16)
• Definition: 1 Charakteristik ist eine Kurve mit folgender Eigenschaft: Falls Anfangsdaten auf der Kurve gegeben sind, ermöglicht es die Differentialgleichung nicht, die
Lösung an irgendeinem Punkt zu bestimmen, der nicht auf der Kurve liegt.
• Falls die Charakteristik nicht parallel zu x-Achse ist, kann man bei Kenntnis von U,
die Ableitung Ux nicht bestimmen. Dies ist der Fall, wenn die Matrix
−A(x, t, U)
dt dx
+ I
dq dq
(2.17)
(I ist die Einheitsmatrix) singulär ist, d.h. wenn die Bedingungen
dx
= λi (x, t, U) und
dq
dt
=1
dq
(2.18)
erfüllt sind. Die Größen λi , i = 1 . . . n sind die Eigenwerte der Matrix A.
• Für ein System von n Gleichungen gibt es n verschiedene Wellenfamilien, d.h. durch
jeden Punkt (x, t) der x − t–Ebene gehen n Charakteristiken. Dies ist in Abb. 2.5 für
n = 3 illustriert.
• Ein beliebiger Punkt (x0 , t0 ) in der x − t–Ebene wird offensichtlich nur von Punkten
zu früheren Zeiten (t < t0 ) beeinflusst und kann selbst nur Punkte zu späteren Zeiten
(t > t0 ) beeinflussen. Da sich aber der Einfluss nur mit endlicher Geschwindigkeit
ausbreitet, wird der Punkt (x0 , t0 ) nicht von allen früheren Punkten beeinflusst und
kann auch nicht alle späteren Punkte beeinflussen. Stattdessen wird der Punkt (x0 , t0 )
nur von Punkten in seinem Abhängigkeitsgebiet beeinflusst und wirkt seinerseits
nur auf Punkte in seinem Einflussgebiet. Diese Gebiete sind durch die, durch den
Punkt gehenden, Charakteristiken mit der größten und kleinsten Geschwindigkeit
begrenzt (Abb. 2.5).
1
Allgemeine Definition einer Charakteristik, falls U 6= konst. auf Charakteristik.
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
t
41
C2
C1
C3
Einflußgebiet
Abhängigkeitsgebiet
x
Abbildung 2.5:
• Wie man an der Abb. 2.5 sieht, sind Schnittpunkte von Charakteristiken verschiedener Wellenfamilien unproblematisch. Nur wenn sich Charakteristiken einer Wellenfamilie schneiden, treten Stoßwellen auf.
• Falls C eine Kurve ist, die transversal zu allen Charakteristiken ist, dann ist die
Matrix (2.17) invertierbar und es gilt (q parametrisiert Kurve C)
dt dx
Ux = −A(x, t, U) +
dq dq
Ut = −AUx
−1
dU
dq
(2.19)
(2.20)
d.h. die Lösung ist in einer gewissen Umgebung von C (wegen möglicher Schnittpunkte der Charakteristiken) eindeutig bestimmt.
Lösung ist in durch Charakteristiken getrennten Gebieten entkoppelt (Kausalität).
• Falls Lösung eindeutig sein soll, sind Unstetigkeiten in U nur auf Charakteristiken
möglich.
• U ist im allgemeinen nicht konstant auf Charakteristiken. Es ist aber möglich,
Funktionen fi mit i = 1 . . . n zu finden, die konstant auf der zu λi gehörenden Cha-
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
42
rakteristik sind:
n
dfi
∂fi dU X ∂fi ∂uj
=
≡
.
dq
∂U dq
∂u
dq
j
j=1
Mit (2.16) folgt daraus
dfi
∂fi
=
(−A + λ)Ux ,
dq
∂U
d.h. fi ist konstant entlang der Charakteristik C λi , falls ∂fi /∂U Eigenvektor von AT
ist. Solche Größen heißen Riemannsche Invarianten.
• Falls man n Invarianten gefunden hat, kann man diese invertieren und U als Funktion
der fi ausdrücken. Damit besteht die Möglichkeit, die Charakteristik C λi als explizite
Funktion der Anfangsdaten anzugeben und die Lösung zu erhalten.
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
2.3
43
Charakteristische Form der hydrodynamischen
Gleichungen
Die idealen, eindimensionalen hydrodynamischen Gleichungen ohne äußere Kräfte lauten
in Erhaltungsform
ρt + (ρu)x
=0
(ρu)t + (ρu2 + p)x
=0
(ρE)t + [(ρE + p)u]x = 0
(2.21)
oder in vektorieller Notation
Ut + F(U)x = 0 ,
(2.22)
wobei


ρ
U =  ρu 
ρE
(2.23)
der Vektor der Erhaltungsgrößen und


ρu
F(U) =  ρu2 + p  .
(ρE + p)u
(2.24)
der Flussvektor ist (siehe Definition 2.5). Für Strömungen ohne Diskontinuitäten gilt
Ut +
∂F
Ux = Ut + AUx = 0 .
∂U
(2.25)
Hierbei ist A = ∂F/∂U die Jacobi–Matrix des Flussvektors (siehe Definition 2.6). Das
System (2.21) ist ein Spezialfall eines strikt hyperbolischen Systems quasilinearer PDEs 1.
Ordnung in 1 Dimension (siehe Gleichung 2.1).
• Im Falle einer idealen Gaszustandsgleichung
p = (γ − 1)ρε ,
(2.26)
wo γ ≡ cp /cV das Verhältnis der spezifischen Wärmen bei konstantem Druck bzw.
Volumen ist, gilt

A=
∂F 
=
∂U
0
γ−3 2
u
2
−γuE + (γ − 1)u3

1
0
(3 − γ)u
γ−1 
3
2
γE − 2 (γ − 1)u
γu
(2.27)
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
44
• Die Eigenwerte und die Charakteristiken der hydrodynamischen Gleichungen lauten:
λ+ = u + c
λ0 = u
λ− = u − c
(2.28)
bzw.
C+ :
C0 :
C− :
dx
dt
dx
dt
dx
dt
=u+c
=u
=u−c
(2.29)
wobei c die Schallgeschwindigkeit
∂p c ≡
∂ρ s
2
ist.
• Für eine isentrope Strömung, d.h. für eine Strömung mit s = const. lauten die
Riemannschen Invarianten (ρ∗ ist eine beliebige Konstante)
±
Z
ρ
Γ =u±
ρ∗
dρ0
c(ρ0 )
.
ρ0
(2.30)
• Für nicht isentrope Stromungen gilt
ds
dt
dx
= st + sx
= st + usx = 0 ,
dq
dq
dq
d.h. die Entropie ist konstant auf C 0 und damit eine Riemannsche Invariante.
Da c(ρ)
dρ jetzt kein totales Differential mehr ist, kann diese Größe nicht unabhängig
ρ
von s integriert werden. Daher gibt es im allgemeinen Fall keine 3 Riemannschen
Invarianten.
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
45
• Es ist manchmal vorteilhaft, die hydrodynamischen Gleichungen (2.25) mit Hilfe der
sogenannten primitiven Variablen auszudrücken, die sich direkt messen lassen.
Definiert man den Vektor der primitiven Variablen gemäß


ρ
W= u 
p
(2.31)
so lauten die hydrodynamischen Gleichungen in primitiver Form
Wt + CWx = 0 ,
(2.32)
wobei

u ρ 0
C =  0 u ρ1  .
0 ρc2 u

(2.33)
Man beachte, dass man (2.32) nicht in der Form ∂W/∂t + ∂f (W)/∂x = 0 schreiben
kann und dass die Matrix C keine Jacobi–Matrix irgendeiner Flussfunktion f(W) ist.
• Gemäß Kapitel (2.1) lassen sich die hydrodynamischen Gleichungen in quasilinearer
Formulierung (2.25) auch in der charakteristischen Form
Q−1 Ut + Q−1 AUx = 0 .
(2.34)
schreiben, wobei
Q−1 AQ = Λ
gilt.
2
Λ ist eine Diagonalmatrix, deren Elemente die Eigenwerte von A sind


u
0
0
0 .
Λ= 0 u+c
0
0
u−c
2
(2.35)
Die Matrizen A und Λ sind demnach ähnliche Matrizen, d.h. sie besitzen die gleichen Eigenwerte aber
nicht notwendingerweise die gleichen Eigenvektoren, und es gilt Q−1 A = ΛQ−1 , bzw. AQ = QΛ.
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
46
Q ist eine Matrix, deren Spalten r(i) die rechten Eigenvektoren von A sind
ρ
2c

1
 u
Q=
u
ρ
2c
ρ
(u
2c
u2
2
+
+ c)
c2
γ−1
ρ
+ cu − 2c
ρ
− 2c
ρ
− 2c (u − c)
u2
2
+
c2
γ−1

− cu


(2.36)
und Q−1 ist eine Matrix, deren Zeilen l(i) die linken Eigenvektoren von A sind

Q−1 =
γ−1

ρc 
ρ
c
2
c2
− u2 + γ−1
u2
cu
− γ−1
2
2
cu
− u2 − γ−1
ρ
u
c
− ρc


c
−u + γ−1
1 
.
c
u + γ−1
−1
(2.37)
Definiert man charakteristische Variablen gemäß
dV ≡ Q−1 dU ,
(2.38)
dann folgt aus (2.34) eine weitere charakteristische Form der hydrodynamischen Gleichungen
Vt + Q−1 AQ Vx = 0 ,
(2.39)
oder
Vt + ΛVx = 0
(2.40)
Mit V = (v0 , v+ , v− ) gilt dann
∂v0
∂v0
+u
=0
∂t
∂x
∂v+
∂v+
+ (u + c)
=0
∂t
∂x
∂v−
∂v−
+ (u − c)
= 0.
∂t
∂x
(2.41)
(2.42)
(2.43)
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
2.4
47
Einfache Wellen
Wir definieren zunächst einige Begriffe, die wir für die folgenden Überlegungen benötigen.
• Ein hydrodynamischer Zustand eines Gases ist das Tripel (ρ, u, s).
• Ein konstanter Zustand ist Bereich in x − t–Ebene, wo ρ, u und s konstant sind.
• Ein isentroper Bereich, in dem die Riemann Invariante Γ+ bzw. Γ− konstant ist, heißt
Γ+ –einfache Welle bzw. Γ− –einfache Welle.
• Für einen konstanten Zustand gilt:
(i) c = const. und Γ± existieren
(ii) Charakteristiken sind Geraden, da u = const. und c = const.
(iii) Charakteristiken einer Sorte sind parallel zueinander
• Für eine Γ+ –einfache Welle (und analog für eine Γ− –einfache Welle) gilt:
(i) Γ+ = const.
(ii) Γ− = const. auf C − (da Riemann Invariante)
(iii) u = const. und c = const. auf C − , d.h. die C − –Charakteristiken sind Geraden
(Umkehrschluss gilt auch)
Es gilt folgender Satz:
An einen konstanten Zustand grenzt entweder eine Unstetigkeit oder eine einfache Welle
an. Die Grenzen sind Geraden. Sie sind entweder C + , C 0 oder C − –Charakteristiken. Ist
die Strömung glatt, so grenzt an einen konstanten Zustand eine einfache Welle an und die
Grenze ist eine C ± –Charakteristik
Folgerung: Glatte Strömungen bestehen nur aus konstanten Zuständen und einfachen
Wellen.
2.4.1
Verdünnungs und Verdichtungswellen:
Wir betrachten ein (ausreichend langes) Rohr, in dem sich zum Zeitpunkt t = 0 ein Gas
im konstanten Zustand u = 0 und ρ = ρ0 befindet. Das Rohr ist nach links hin mit einen
Stempel abgeschlossen, der sich für t > 0 mit konstanter Geschwindigkeit vs > 0 (und
|u| < c) nach links (x(t > 0) < 0) bewegt (siehe Abb. 2.6). Infolge der Stempelbewegung,
beginnt auch das Gas sich zu bewegen. Das zugehörige Raumzeitdiagramm ist in Abb. 2.7
dargestellt.
Es gilt nun die Behauptung, dass die Dichte am Stempel konstant ist. Um dies zu beweisen, benutzt man die Charakteristiken und die oben definierten Eigenschaften einfacher
Wellen.
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
48
Rohr
Stempel
t = 0: Gas mit u = 0 , ρ = ρ0
−vs < 0
x
x=0
Abbildung 2.6:
t
Γ−− einfache Welle
(II)
konstanter
Zustand: (III)
Ste
mp
B
elt
raj
ek
C+
C−
tor
ie:
x=
−v
s
konstanter
Zustand: (I)
u = 0 , ρ = ρ0
t
x
Abbildung 2.7:
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
49
• C − –Charakteristiken sind Geraden im Gebiet (I), da es ein konstanter Zustand ist,
und sie verlassen“ das Gebiet (I), da u = 0 und ihr Anstieg 1/(−c) beträgt.
”
• Das Gebiet zwischen Stempel und (I) ist eine Γ− –einfache Welle (teilweise auch ein
konstanter Zustand).
• Für einen beliebigen Punkt B auf der Stempeltrajektorie gilt
−
Γ−
B = Γ0
und daher
Z
ρ(B)
−vs −
ρ∗
c(ρ0 ) 0
dρ = Γ−
0
ρ0
(2.44)
bzw.
Z
ρ(B)
ρ∗
c(ρ0 ) 0
dρ = −vs − Γ−
0 = const
ρ0
d.h. ρ(B) ist konstant entlang der Stempeltrajektorie, da c und ρ beide größer Null
sind.
• Für alle Punkte B gilt
−
Γ+
B = −vs + (−vs − Γ0 ) = const. ,
d.h. unabhängig von der gewählten C + –Charakteristik. Daher muss ein konstanter
Zustand (III) an den Stempel angrenzen und seine andere Grenze muss eine gerade
C + –Charakteristik sein, die vom Ursprung ausgeht.
• Damit muss das Gebiet zwischen (I) und (III) eine Γ− –einfache Welle sein, da die
C − –Charakteristiken aus dem konstanten Zustand (I) kommen. Weiterhin folgt, dass
alle C + –Charakteristiken im Gebiet (II) Geraden durch den Ursprung sind. Dies
nennt man eine zentrierte Verdünnungswelle.
• Allgemein gilt: Eine einfache Welle, deren gerade Charakteristiken sich in einem
Punkt schneiden heißt zentrierte Verdünnungswelle.
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
50
• Mit
Z
ρ(B)
ρ0
c(ρ0 ) 0
dρ =
ρ0
Z
ρ(B)
ρ∗
Z ρ(B)
=
ρ∗
c(ρ0 ) 0
dρ −
ρ0
Z
ρ0
ρ∗
c(ρ0 ) 0
dρ + Γ−
0
ρ0
c(ρ0 ) 0
dρ
ρ0
(2.45)
(2.46)
(2.47)
und (2.44) folgt
Z
ρ(B)
ρ0
c(ρ0 ) 0
dρ = −vs < 0
ρ0
(2.48)
Da c > 0 und ρ > 0, folgt ρB < ρ0 , d.h. es handelt sich um eine Verdünnungswelle.
• Achtung: Falls ∂c/∂ρ < 0 gilt (d.h. falls ∂ 2 p/∂ρ2 < 0, wie z.B. für Kernmaterie oder
Wasser) sind auch Verdichtungswellen möglich.
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
2.5
51
Schwache Lösungen und Diskontinuitäten
Für die bisherigen Überlegungen in diesem Kapitel wurden immer stetig differenzierbare
Lösungen, d.h. sogenannte starke Lösungen vorausgesetzt. Schreibt man die hydrodynamischen Gleichungen in integraler Form, so sind auch Lösungen möglich, die auf einer
Menge vom Maße Null unstetig sind. Diese Lösungen nennt man schwache Lösungen.
Die eindimensionalen hydrodynamischen Gleichungen in vektorieller Schreibweise (2.22)
Ut + F(U)x = 0
(2.49)
lassen sich mit Hilfe der Definitionen
G ≡ (F(U), U)
und
Div(F1 , F2 ) ≡ (F1 )x + (F2 )t
in der kompakten Form
DivG = 0
(2.50)
schreiben. Falls Φ eine beliebige glatte Funktion ist, gilt
Z
Φ DivG dxdt = 0 .
Partielle Integration ergibt unter der Annahme, dass G im Unendlichen hinreichend schnell
gegen Null geht (kompakte Funktion!)
Z
gradΦ · G dxdt = 0 .
(2.51)
Für glatte Lösungen U ist (2.50) äquivalent zu (2.51). Die letztere Form läßt aber auch
unstetige Lösungen zu. Eine solche Lösung U, die für eine beliebige glatte Funktion Φ,
die Gleichung (2.51) erfüllt, heißt schwache Lösung der Gleichung (2.51).
Wir betrachten ein Gebiet Ω, das durch eine Unstetigkeitsfläche Σ in zwei Teilgebiete
Ω1 und Ω2 unterteilt sei (Abb. 2.8). Weiterhin sei Φ eine glatte Funktion, die außerhalb
von Ω identisch Null ist. Dann folgt
Z
gradΦ · G dxdt = 0
Ω
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
x
D
n
Ω2
52
x = x(t)
1
D
1
Ω1
Σ
t
Abbildung 2.8:
und damit
Z
Z
gradΦ · G dxdt +
Ω1
gradΦ · G dxdt = 0 .
Ω2
Mit Hilfe der Vektoridentität (1.25) gilt dann
Z
Z
Z
Z
Div(ΦG) dxdt −
Φ DivG dxdt +
Div(ΦG) dxdt −
Ω1
Ω1
Ω2
Φ DivG dxdt = 0 .
Ω2
Da DivG = 0 gilt (falls U stetig ist!) folgt unter Verwendung des Gauss’schen Satzes
Z
Z
Φ G1 · n dσ − Φ G2 · n dσ = 0
Σ
Σ
und damit
Z
Φ (G1 − G2 ) · n dσ = 0 ,
Σ
wobei n der Normaleneinheitsvektor der Unstetigkeitsfläche Σ ist, der von Ω1 nach Ω2
weist (Abb. 2.8). Die Größe dσ ist ein differentielles Flächenelement von Σ und Gi ist der
Grenzwert von G, wenn man sich Σ vom Gebiet Ωi aus nähert.
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
53
Da Φ ein beliebige glatte Funktion ist, gilt auf der Unstetigkeitsfläche Σ
[G · n] ≡ G1 · n − G2 · n = 0
(2.52)
Parametrisiert man die Unstetigkeitsfläche Σ durch x = x(t) (Abb. 2.8), dann ist die
Geschwindigkeit von Σ gegeben durch
D=
dx
dt
und der Normalen–Einheitsvektor durch
D
1
ex − √
et ,
n= √
D2 + 1
D2 + 1
wobei ex und et die Einheitsvektoren in x- und t–Richtung sind. Da G = (F, U), folgt aus
(2.52)
−D[U] + [F(U)] = 0
oder komponentenweise
D[ρ] = [ρu]
D[ρu] = [ρu2 + p]
.
(2.53)
D[ρE] = [(ρE + p)u]
Dies sind die Rankine–Hugoniot Bedingungen.
• In einem Koordinatensystem, das sich mit der Unstetigkeitsfläche mitbewegt, d.h. in
dem D = 0 gilt, lauten die Rankine–Hugoniot Bedingungen
ρ1 u1 = ρ2 u2
ρ1 u21 + p1 = ρ2 u22 + p2
(2.54)
u1 (ρ1 E1 + p1 ) = u2 (ρ2 E2 + p2 )
Die dritte Rankine–Hugoniot Bedingung läßt sich unter Verwendung der Definition
der spezifischen Gesamtenergiedichte E = u2 /2 + ε (siehe Gl. (1.44)) und der ersten
Rankine–Hugoniot Bedingung auch in der Form
u21
p1
u2
p2
+ ε1 +
= 2 + ε2 +
2
ρ1
2
ρ2
(2.55)
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
54
bzw.
1
p1 p2
(u1 − u2 )(u1 + u2 ) + ε1 − ε2 +
−
=0
2
ρ1 ρ2
(2.56)
schreiben.
• Der Massenfluss durch die Unstetigkeitsfläche oder Diskontinuität ist durch M =
ρ1 u1 = ρ2 u2 gegeben. Da ρ > 0, ist im Ruhesystem von Σ ein verschwindender
Massenfluss M = 0 gleichbedeutend mit u1 = u2 = 0. Unstetigkeiten mit dieser
Eigenschaft heißen Kontaktunstetigkeiten.
Eine Kontaktunstetigkeit ist ein Spezialfall einer tangentialen Unstetigkeit, an der im
Falle einer mehrdimensionalen Strömung die beiden tangentialen Geschwindigkeitskomponenten und alle thermodynamischen Größen außer dem Druck p unstetig sein
können.
• Falls M 6= 0 gilt, heißen die Lösungen Stoß oder Stoßwellen. Für diese Lösungen
folgt aus der zweiten Rankine–Hugoniot Bedingung für den Massenfluss
M =−
p1 − p2
u1 − u2
(2.57)
oder mit dem spezifischen Volumen τ ≡ 1/ρ und
ui = M τi
,
i = 1, 2
(2.58)
die Beziehung
M2 = −
p1 − p 2
τ1 − τ2
(2.59)
Man beachte, dass
– (2.57) und (2.59) rein mechanische Beziehungen sind, die unabhängig von der
Zustandsgleichung gelten,
– die Gleichung (2.59) zwei Lösungstypen besitzt, nämlich einmal Lösungen mit
p2 > p1 und τ1 > τ2 (Stoß), sowie Lösungen mit p2 < p1 und τ1 < τ2 .
– die Gerade p − p1 = −M 2 (τ − τ1 ) alle Möglichkeiten repräsentiert, den Zustand
(p1 , τ1 ) mit einem Stoß zu verbinden (Abb. 2.9).
Diese Gerade mit dem Anstieg −M 2 heißt Rayleigh–Linie und wird üblicherweise mit R(p, τ ) bezeichnet.
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
p
55
Hugoniot−Funktion H1(p,τ)
(p2 , τ2)
p2
Rayleigh−Linie R1(p,τ)
( Anstieg: − M2 )
(p1 , τ1)
p1
τ2
τ1
τ=1/ρ
Abbildung 2.9:
• Mit Hilfe von (2.57) und (2.58) folgt aus der dritten Rankine-Hugoniot Bedingung
(2.56) die Beziehung
−
p1 − p2
(M τ1 + M τ2 ) + ε1 − ε2 + p1 τ1 − p2 τ2 = 0
2M
(2.60)
und daraus die Hugoniot–Gleichung oder Stoßadiabate
p1 + p2
(τ1 − τ2 ) + ε1 − ε2 = 0 ,
2
(2.61)
die eine rein thermodynamische Beziehung darstellt.
• Da ε = ε(p, τ ) führt man die Hugoniot–Funktion zum Zentrum (p1 , τ1 ) ein
H1 (p, τ ) ≡ ε(p, τ ) − ε(p1 , τ1 ) +
p + p1
(τ − τ1 )
2
und kann damit die Hugoniot–Gleichung(2.61) in der Form
H1 (p2 , τ2 ) = 0
(2.62)
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
56
schreiben. Die Kurve H1 (p, τ ) repräsentiert alle Möglichkeiten, den Zustand (p1 , τ1 )
mit einem Stoß zu verbinden. Im Falle einer idealen Gaszustandsgleichung (2.26) ist
H1 (p, τ ) eine Hyperbel (Abb. 2.9).
• Für einen schwachen Stoß gilt (siehe Landau & Lifschitz, Bd. 6)
1
s2 − s1 =
12T1
∂ 2τ
∂p21
(p2 − p1 )3
(2.63)
s
d.h. die Entropieänderung in einer Stoßwelle geringer Intensität ist von dritter Ordnung klein im Vergleich zur Druckänderung.
• Für fast alle bekannten Zustandsgleichungen (Ausnahme: Phasenübergänge) nimmt
die adiabatische Kompressibilität (∂τ /∂p)s mit zunehmendem Druck ab, d.h.
2 ∂ τ
> 0.
∂p2 s
und daher folgt mit p2 > p1 aus (2.63) s2 > s1 , d.h. die Entropie wächst in Stößen
an. Ursache hierfür ist die Dissipation von kinetischer Energie in Wärme (selbst in
einer idealen Flüssigkeit!).
• Schwache Stöße, d.h. Stöße für die ∆p/p 1 und ∆ρ/ρ 1, breiten sich mit
einer Geschwindigkeit D & c1 aus (siehe z.B. Landau & Lifschitz, Bd. 6).
• Eine notwendige Bedingung für das Auftreten von Stoßwellen ist u1 > c1 (d.h. Überschallströmung vor dem Stoß) und u2 < c2 (d.h. Unterschallströmung hinter dem
Stoß), wobei die Geschwindigkeiten im Bezugssystem des Stoßes gemessen sind.
• Es gilt folgendes allgemeines Theorem (siehe z.B. Courant & Friedrichs):
Seien (p1 , τ1 , s1 ) und (p2 , τ2 , s2 ) zwei Zustände und die Zustandsgleichung erfülle die
Bedingungen
∂p
< 0,
∂τ
∂ 2p
< 0,
∂τ 2
∂p
> 0,
∂s
dann und nur dann ist die Entropiebedingung ds/dt ≥ 0 erfüllt, wenn der Stoß
kompressiv ist, d.h. wenn ρ2 > ρ1 und p2 > p1 gilt. Die Geschwindigkeiten an beiden
Seiten des Stoßes müssen dann die Bedingungen u21 > c21 und u22 < c22 erfüllen.
Nachdem wir nun Kontaktunstetigkeiten, Stoßwellen und ihre Eigenschaften kennengelernt
haben, können wir eine Erweiterung des Satzes über konstante Zustände aus dem vorigen
Unterkapitel formulieren.
• Satz: An einen konstanten Zustand grenzt entweder eine Stoßwelle, eine Kontaktunstetigkeit oder eine einfache Welle an. Der Übergang zu einfachen Wellen
findet an C ± –Charakteristiken, der zu einer Kontaktunstetigkeit dagegen an C 0 –
Charakteristiken statt.
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
2.5.1
57
Stoßwellen in einem idealen Gas
Im Falle einer idealen Gaszustandsgleichung (2.26) lauten die Rankine–Hugoniot Bedingungen unter Verwendung der Machzahl Ma ≡ u/c im Bezugsystem des Stoßes
(γ + 1)Ma21
ρ2
=
ρ1
(γ − 1)Ma21 + 2
2γMa21
p2
γ−1
=
−
p1
γ+1
γ+1
2
[2γMa1 − (γ − 1)][(γ − 1)Ma21 + 2]
T2
=
T1
(γ + 1)2 Ma21
Im Grenzfall eines sehr starken Stoßes, d.h. im Grenzfall Ma1 → ∞ gilt

∞ für γ = 1
γ+1 
ρ2
7 für γ = 4/3 ,
=
=
ρ1
γ−1 
4 für γ = 5/3
sowie
p2
→ ∞ (∼ Ma21 )
p1
und
T2
→ ∞ (∼ Ma21 )
T1
(2.64)
(2.65)
(2.66)
(2.67)
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
2.6
58
Das Riemann–Problem
Ein Riemann–Problem ist ein Cauchy–Anfangswertproblem mit stückweise konstanten Anfangsbedingungen
Ut + F(U)x = 0 mit U(x, 0) = wl , x < 0 und U(x, 0) = wr , x > 0 .
(2.68)
• Physikalische Motivation: Gas gefüllter Behälter sei durch Membran in zwei Bereiche
getrennt, die den Druck pl und die Dichte ρl , bzw. pr und ρr besitzen. Das Gas ist
in beiden Bereichen zunächst in Ruhe. Zur Zeit t = t0 reißt die Membran.
• Wichtig: Anfangsunstetigkeiten in ρ, u und p sind beliebig wählbar, d.h. es müssen
keinerlei Beziehungen zwischen ihnen erfüllt sein.
• Ohne Beschränkung der Allgemeinheit kann man daher ur = 0 und pr < pl annehmen.
Der Zerfall der Anfangsunstetigkeit A kann in drei verschiedene Kombinationen von
Unstetigkeiten (Stoß S und tangentiale Unstetigkeit T ) erfolgen, die sich voneinander entfernen:
a)
A → S← T S→
(2.69)
d.h. zwei Stoßwellen, die sich in entgegengesetzter Richtung ausbreiten und die durch
eine tangentiale Unstetigkeit getrennt sind. Eine solche Situation entsteht beim Zusammenstoß zweier Gasmassen mit großer Geschwindigkeit.
b)
A → V← T S→
(2.70)
d.h. eine Stoßwelle und eine Verdünnungswelle, die sich in entgegengesetzter Richtung ausbreiten und die durch eine tangentiale Unstetigkeit gretrennt sind. Eine
solche Situation entsteht, wenn zwei gegeneinander unbewegte Gasmassen (ul = ur ),
die unterschiedliche Drücke besitzten, sich anfänglich berühren (Stoßrohr).
c)
A → V← T V→
(2.71)
d.h. zwei Verdünnungswellen, die sich in entgegengesetzter Richtung ausbreiten und
die durch eine tangentiale Unstetigkeit getrennt sind. Der Druck im Gebiet zwischen
den beiden Verdünnungswellen kann auf Null abfallen, d.h. eine Vakuumzone kann
entstehen.
Die Lösung des Riemann–Problems hängt nur von den Anfangszuständen wl und wr
sowie von dem Verhältnis ζ = x/t ab, d.h. es gilt U = U( xt ; wl , wr ). Letzteres gilt, da die
hydrodynamischen Gleichungen forminvariant unter der Transformation
x → x0 = Lx
t → t0 = Lt
;
L>0
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
59
sind. Die Lösung besteht aus konstanten Zuständen, die durch zentrierte Wellen (d.h.
durch zentrierte Verdünnungswellen oder Stöße) und/oder tangentiale Unstetigkeiten getrennt sind.
Als Beispiel betrachten wir nun im Detail ein Stoßrohr (siehe Abb. (2.10)) bzw. den
Fall (2.70), und leiten die Lösung des entsprechenden Riemannproblems her.
• Zur Lösung des Anfangswertproblems muss man 8 unbekannte Größen in den
Gebieten (3) und (4) bestimmen (siehe Abb. 2.10): ρ3 , p3 , u3 , ε3 und ρ4 , p4 , u4 , ε4 .
Die konstanten Zustände links (1) und rechts(5) von der Diskontinuität sind durch
die Anfangsbedingungen gegeben. Gebiet (2) ist eine Verdünnungswelle, die durch
die Zustände (1) und (3) eindeutig bestimmt ist.
• Die Unbekannten ε3 und ε4 sind mit Hilfe der Zustandsgleichung eliminierbar.
• Da der Massenfluss durch die Kontaktunstetigkeit gleich null ist und da der Druck
an der Kontaktunstetigkeit stetig ist, folgt
u3 = u4 ≡ uc
und
p3 = p4 ≡ pc .
• Damit verbleiben noch 4 Unbekannte: ρ3 , ρ4 , uc und pc , d.h. zur Lösung des Riemannproblems sind noch 4 weitere Bedingungen erforderlich.
• Zwei der gesuchten vier Bedingungen ergeben sich aus den (allgemeinen) Rankine–
Hugoniot Bedingungen (2.53) am Stoß, der sich mit der Geschwindigkeit D ausbreitet.
m ≡ ρ5 (D − u5 ) = ρ4 (D − uc )
m(uc − u5 ) =
pc − p5
m(Ec − E5 ) = pc uc − p5 u5
(2.72)
Da das Gas vor dem Stoß in Ruhe ist, d.h. da u5 = 0 gilt, folgt für die erste Rankine–
Hugoniot Bedingung
m = ρ5 D = ρ4 (D − uc )
und damit für die zweite Rankine–Hugoniot Bedingung
muc = ρ4 (D − uc )uc = pc − p5 .
Die letzte Gleichung läßt sich durch Elimination von D aus der ersten Rankine–
Hugoniot Bedingung
D=
ρ4 uc
ρ4 − ρ5
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
60
Riemann Problem:
P1
ρ1
P5
ρ5
u1=0
u5=0
x
xD
1
2
3
4
contact
discontinuity
tail
head
of rarefaction
5
shock
x
t
2
3
4
5
1
x
Abbildung 2.10:
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
61
in der Form
ρ 4 uc
ρ4
− uc uc = pc − p5
ρ4 − ρ5
schreiben. Ein kleine Umformung ergibt schließlich die gesuchte erste Bedingung
(p5 − pc )
1
1
−
ρ5 ρ4
= −u2c
(2.73)
• Die dritte Rankine–Hugoniot Bedingung (2.72) kann wegen E = u2 /2+ε in der Form
m(ε4 +
u2c
− ε5 ) = p c u c ,
2
bzw. nach Elimination von m und einfacher Umformung in der Form
ε4 − ε5 =
pc + p5 u2c
pc − p5 2
geschrieben werden. Mit Hilfe von (2.73) und unter der Annahme einer idealen Gaszustandsgleichung (2.26) eliminiert man jetzt uc bzw. εi und erhält
1
γ−1
pc
p5
−
ρ4 ρ5
=
pc + p5
(ρ4 − ρ5 ) .
2ρ4 ρ5
Weitere einfache Umformungen führen schließlich zu der gesuchten zweiten Bedingung
pc − p5
ρ4 − ρ5
=γ
pc + p5
ρ4 + ρ5
(2.74)
• Die dritte Bedingung folgt aus der Tatsache, dass die Entropie in der Verdünnungswelle, die eine Γ+ –einfache Welle ist, konstant ist. Da für die Entropie eines idealen
Gases s ∼ ln(p/ργ ) gilt, kann die dritte Bedingung in der Form
p1
=
pc
ρ1
ρ3
γ
geschrieben werden.
(2.75)
KAPITEL 2. EIGENSCHAFTEN UND ANALYTISCHE LÖSUNGEN
62
• Die vierte Bedingung ergibt sich aus der Tatsache, dass in einer Γ+ –einfachen
Welle die Riemann’sche Invariante
Z
cdρ
+
Γ =u+
ρ
konstant ist. Daraus folgt
Z
uc +
c3
dρ = u1 +
ρ3
Z
c1
dρ .
ρ1
Mit der Schallgeschwindigkeit c =
Z
2
c
dρ =
ρ
γ−1
r
p
γp/ρ gilt
γp
ρ
und damit lautet die vierte Bedingung
2
uc +
γ−1
r
2
γpc
=
ρ3
γ−1
r
γp1
ρ1
(2.76)
• Kombiniert man die vier Bedingungen (2.73), (2.74), (2.75) und (2.76)), so lässt sich
eine nicht–lineare, algebraische Gleichung für das Druckverhältnis P ≡ pc /p5
(bzw. für den Druck pc , da p5 durch die Anfangsbedingungen vorgegeben ist) ableiten.
#2
"
γ−1
ρ1 1
(1 − P )2
2γ
P 2γ
=
1−
ρ5 λ γ(1 + P ) − 1 + P
(γ − 1)2
λ
(2.77)
wobei λ ≡ (p1 /p5 ) das Druckverhältnis zwischen den beiden konstanten Anfangszuständen ist. Die restlichen unbekannten Größen ergeben sich aus der Lösung pc
durch Einsetzen: ρ4 aus (2.74), uc nach Berechnung von ρ4 aus (2.73) und ρ3 aus
(2.75).
In der folgenden Tabelle ist die Lösung von (2.77) für einige Fälle angegeben.
λ γ = 4/3 γ = 5/3
2
1.403
1.400
5
2.139
2.114
10
2.876
2.812
20
3.786
3.653
Kapitel 3
Diskretisierungsverfahren
3.1
Grundlegende Begriffe und Definitionen
• Die partiellen Differentialgleichungen der Hydrodynamik bzw. der Magnetohydrodynamik beschreiben Strömungen in einem Raum–Zeit–Kontinuum.
Die numerische Integration der Gleichungen erfordert eine Diskretisierung des
Raum–Zeit–Kontinuums und eine entsprechende Diskretisierung der Gleichungen. Bei Gitterverfahren (andere Diskretisierungsverfahren werden hier nicht betrachtet) wird das zu simulierende Raumgebiet mit einem Rechengitter bestehend
aus einer endlichen Anzahl von Zellen überdeckt (siehe Abb. (3.1).
=⇒ Satz von algebraischen Gleichungen für diskrete hydrodynamische Variable
=⇒ unvermeidbare Diskretisierungsfehler
• Finite Differenzenverfahren: Gitterpunkten (Zellenmitten, Zellenecken, Zellenrändern) werden diskrete Variablenwerte 1 zugeordnet, z.B. (siehe Abb. (3.1):
gkn+1 ≡ g(xk , tn+1 ) .
Man diskretisiert die hydrodynamischen Gleichungen in differentieller Form, wobei
Ableitungen durch Differenzenbildung zwischen den diskreten Variablenwerten benachbarter Zonen approximiert werden.
• Finite Volumenverfahren: Zellvolumina werden zellgemittelte Variablen zugeordnet:
Z yj+1/2 Z xi+1/2
1
n
n
g(x, y, tn )dxdy
gi,j ≡ g(xi , yj , t ) ≡
∆xi ∆yj yj−1/2 xi−1/2
Man diskretisiert die hydrodynamischen Gleichungen in integraler Erhaltungsform.
1
Nomenklatur: Unterer bzw. oberer Index bezeichnet diskrete Raumkoordinate bzw. Zeitkoordinate.
63
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
64
g
tn+1
n+1
k+1/2
g
tn
n+1/2
k+1/2
∆t n+1/2
g nk
tn−1
xk−1
xk
∆x k+1/2
xk+1
Abbildung 3.1:
• Ableitungen: Die Taylor–Entwicklung einer Funktion f um einen Punkt x0 lautet
bis zur zweiten Ordnung:
∂f
1 ∂ 2f
2
3
f (x0 + ∆x) = f (x0 ) +
∆x +
(∆x)
+
O
(∆x)
.
∂x x0
2 ∂x2 x0
Daraus folgt
n
fk+1
=
fkn
+
∂f
∂x
1
∆xk+1/2 +
2
xk
∂ 2f
∂x2
(∆xk+1/2 )2 + O (∆x)3 .
xk
Auflösen dieser Gleichung nach (∂f /∂x)k ergibt:
∂f
∂x
k
f n − fkn 1
= k+1
−
∆xk+1/2
2
∂ 2f
∂x2
∆xk+1/2 + O (∆x)2
(3.1)
k
• Vorwärts- bzw. Rückwärtsdifferenzenapproximation der 1. Ortsableitung; Diskretierungsfehler O [∆x], d.h. von 1. Ordnung.
∂f
∂x
n
∂f
∂x
n
≈
n
fk+1
− fkn
∆xk+1/2
(3.2)
≈
n
fkn − fk−1
∆xk−1/2
(3.3)
k
k
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
65
tn+1
✖
✖
tn
✖
✖
tn−1
✖
✖
xk−1
xk
Funktionswerte
xk+1
✖ Ableitungen
Abbildung 3.2:
• Zentrierte Differenzenapproximation der 1. Ortsableitung; Diskretierungsfehler
O [(∆x)2 ], d.h. von 2. Ordnung für äquidistante Gitter.
∂f
∂x
n
≈
k
n
n
fk+1
− fk−1
2∆xk
mit ∆xk ≡
∆xk+1/2 + ∆xk−1/2
2
(3.4)
n
n
• 2. Ortsableitung: Taylor–Entwicklung von fk+1
und fk−1
um den Punkt xk bis zur
2
2
4. Ordnung. Auflösen nach ∂ f /∂x ergibt eine Approximation O [(∆x)2 ]:
∂ 2f
∂x2
n
≈
k
n
n
fk+1
+ fk−1
− 2fkn
(∆xk )2
(3.5)
• Versetzte (staggered) Gitter: Funktionswerte und Ableitungen werden versetzt
zueinander auf dem Rechengitter definiert (siehe Abb. (3.2)); z.B.
∂f
∂x
n
k+1/2
n
fk+1
− fkn
≈
∆xk+1/2
Vorteil: Approximation ist auch für nicht–äquidistante Gitter von O [(∆x)2 ].
(3.6)
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
3.2
66
Explizite und implizite Verfahren
U(r, t) sei der Zustandsvektor eines (dynamischen) Systems im Raumgebiet R = R(r)
mit U = U0 zur Zeit t = 0. Ferner sei U für alle Zeiten t > 0 auf der Oberfläche S
des Raumgebiets R gegeben. Dann ist die zeitliche Entwicklung des Zustandsvektor U des
Systems in R für alle Zeiten t > 0 bestimmt durch
∂U
= LU
∂t
(3.7)
Dies ist ein Anfangswertproblem mit Randbedingungen. L ist ein nichtlinearer Operator.
Falls die Entwicklung des System durch gewöhnliche Differentialgleichungen beschrieben
wird, ist L algebraischer Natur. Falls dagegen die Entwicklung des System durch partielle
Differentialgleichungen bestimmt wird, ist L ein räumlicher Differentialoperator.
Vernachlässigt man Terme zweiter Ordnung und höherer, ergibt sich die folgende allgemeine (für zwei Zeitniveaus!) diskretisierte Gleichung:
Un+1 = Un + LUn (1 − )∆t + LUn+1 ∆t
(3.8)
wobei ∆t ≡ tn+1 − tn und ein Interpolationsparamter mit 0 ≤ ≤ 1 ist.
• Falls = 1/2, ist die zeitliche Integration O [(∆t)2 ] genau.
• Falls 6= 1/2, ist die zeitliche Integration O [∆t] genau.
• Falls = 0, ist Un+1 explizit durch Un gegeben, d.h. man erhält eine explizite
Zeitdiskretisierung.
• Falls 6= 0, liegt eine implizite Zeitdiskretisierung vor.
Werden die hydrodynamischen Gleichungen zeitlich explizit diskretisiert, so muss
aus Stabilitätsgründen die Zeitschrittgröße der Courant–Friedrichs–Lewy oder CFL–
Bedingung genügen. Im Falle einer eindimensionalen Strömung (mit der Geschwindigkeit
u und der Schallgeschwindigkeit c) lautet diese
∆t ≤ ∆tCF L ≡ Mini
∆xi
|ui | + ci
(3.9)
wobei das Minimum über alle Stützstellen i zu bilden ist. Für eine dreidimensionale
Strömung mit den Geschwindigkeitskomponenten (u, v, w) lautet die CFL–Bedingung (in
kartesischen Koordinaten (x, y, z)):


s
2 2 2 −1
 |u |
|vj |
|wk |
1
1
1
i
∆t ≤ ∆tCF L ≡ Minijk
+
+
+ cijk
+
+
 ∆xi ∆yj ∆zk
∆xi
∆yj
∆zk 
wobei das Minimum über alle Stützstellen i, j, k zu bilden ist.
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
67
• Implizite Verfahren erlauben im allgemeinen die Verwendung von größeren Zeitschritten. Allerdings ist in diesem Fall jedoch die Lösung eines nichtlinearen, algebraischen
Gleichungssystems in jedem Zeitschritt notwendig, um den Zustandsvektor für den
nächsten Zeitschritt zu berechnen.
Dies geschieht üblicherweise mit Hilfe einer (im mehrdimensionalen) Newton–
Iteration, wobei in jeder Iteration ein lineares Gleichungssystem zu lösen ist. Typischerweise sind 3 bis 5 Iterationen pro Zeitschritt notwendig.
Die Anzahl der notwendigen Rechenoperationen skaliert gemäß (N V ·N X ·N Y ·N Z)3 ,
wobei N V die Anzahl der unabhängigen Variablen bzw. Gleichungen des zu lösenden
nichtlinearen, algebraischen Gleichungssystems ist. N X, N Y und N Z sind die Anzahl
der Stützstellen in x-, y- und z–Richtung.
Eine signifikante Reduktion der Anzahl der Operationen läßt sich durch Ausnutzung
der Matrixblockstruktur des Gleichungssytems erreichen.
• Weitere Probleme die bei impliziten Verfahren auftreten:
- Tabellen und numerische Ableitungen können die Konvergenz der Iteration verschlechtern, oder gar verhindern.
- Die Suche nach Programmfehlern ist erheblich erschwert.
- Unter Umständen sind adaptive Rechengitter erforderlich, da sonst ein zu kleiner
Zeitschritt für die Konvergenz erforderlich ist.
3.3
Methode der Operatoren–Zerlegung
• Man betrachte ein nicht–lineares System von partiellen Differentialgleichungen für
~
einen Zustandsvektor U
∂ ~
~ U
~ , ~r, t) ,
U (~r, t) = G(
∂t
(3.10)
~ ein Vektor–Operator sei, der keine Zeitableitungen von U
~ enthält.
wobei G
~ in N Teiloperatoren G
~ i , so dass
• Man zerlegt nun den Operator G
∂ ~
~1 + G
~2 + G
~3 ... + G
~N
U (~r, t) = G
∂t
(3.11)
gilt. Die zeitliche Integration der Differentialgleichung (3.10) wird nun in mehreren
~ i den
Teilschritten durchgeführt, wobei in jedem Schritt nur einer der Operatoren G
~
Zustandsvektor U modifiziert. Eine Zerlegung könnte z.B. so aussehen, dass G1 die
Advektion, G2 die Druck- und Gravitationskräfte, G3 die Wärmeleitung und G4 das
Kernbrennen beschreiben.
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
68
• Vorteil 1: Teilschritte können unabhängig voneinander bearbeitet werden und verschiedene Lösungsmethoden können für die einzelnen Teilschritte verwendet werden.
• Vorteil 2: Ein modularer Programmaufbau ist möglich.
• Qualitatives Kriterium für die Operatoren-Zerlegung: Der Zustandsvektor sollte
sich während eines Teil–Zeitschritts nicht allzu sehr ändern.
• Warnung: Operatoren–Zerlegung ist oft weder streng mathematisch begründbar,
noch gibt es eine Garantie dafür, dass die so erhaltene Zerlegung zur richtigen Lösung
führt. Zerlegung wird oft nur aufgrund von Empirie, Erfahrung und physikalischer
Intuition vorgenommen.
• Daumenregel: Keine sich gegenseitig kompensierende“ Terme trennen, wie z.B.
”
Druck- und Potential-Gradienten oder Emissions- und Absorptions-Prozesse.
• Eine der wichtigsten Anwendungen der Methode der Operatoren–Zerlegung ist die
Behandlung mehrdimensionaler Probleme.
– dimension–splitting (Godunov 1959)
– directional–splitting (G. Strang, 1968 SIAM J Num Anal 5, 506)
d.h. Lösung von 2D und 3D Strömungsproblemen durch mehrere sogenannte
Durchläufe (sweeps), z.B. im 2D–Fall (x,y)
– 1. Durchlauf nur Ableitungen nach x berücksichtigen
– 2. Durchlauf nur Ableitungen nach y berücksichtigen
Falls einzelne Durchläufe von der Ordnung O [(∆t)2 ] genau sind, dann ist der Gesamtalgorithmus ebenfalls von der Ordnung O [(∆t)2 ] genau, falls auf ein (x, y)- ein
(y, x)-Zeitschritt folgt, d.h. falls die Durchlaufrichtungen von Zeitschritt zu Zeitschritt
alternieren.
• directional–splitting“ ermöglicht den Aufbau mehrdimensionaler Hydrodynamikpro”
gramme, die im Kern eine 1D Programmstruktur besitzen, und führt zu einer erheblichen Effizienzsteigerung bei impliziten Algorithmen; z.B. 2D–Problem mit N X ×N Y
Stützstellen
– voll implizit: (N X × N Y )3 –Operationen
– gesplittet: N X × N Y 3 + N X 3 × N Y –Operationen (u.U. aber mehrere Iterationen notwendig)
Falls N X = N Y = 100 müssen nur 2 · 108 anstatt 1012 Operationen ausgeführt
werden (Rechenzeit um einen Faktor 5000 geringer).
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
3.4
69
Konservative Verfahren
• Hydrodynamische Gleichungen drücken die Erhaltung von Masse, Impuls und Energie
aus.
• Die entsprechenden Differentialgleichungen können in verschiedenen analytisch
äquivalenten Formen geschrieben werden, die aber numerisch betrachtet nicht
äquivalent sind.
• Die Kontinuitätsgleichung läßt sich in der Form
∂ρ
+ div(ρ~v) = 0
∂t
(3.12)
oder in der Form
∂ρ
+ ~v gradρ + ρdiv~v = 0
∂t
(3.13)
schreiben. Gleichung (3.12) ist besser für die Diskretisierung geeignet, da sie die
Massenerhaltung direkt ausdrückt.
• Allgemein gilt: Die diskretisierten Gleichungen erhalten nicht notwendigerweise
Masse, Impuls und Energie! (Beachte: Eine Impulskomponente ist physikalisch nur
dann erhalten, wenn die entsprechende Ortskoordinate geradlinig ist.)
• Notwendigkeit für konservative Differenzenverfahren
• Zur Konstruktion solcher Verfahren integriert man die hydrodynamischen Gleichungen über eine endliches (raumfestes) Volumen ∆V mit der Oberfläche ∂V .
Aus der Kontinuitätsgleichung folgt dann
Z
Z
∂
ρdV +
divρ~v dV = 0 ,
∂t ∆V
∆V
und weiter mit dem Gauss’schen Satz
Z
Z
∂
ρdV +
ρ~v · df~ = 0 ,
∂t ∆V
∂V
(3.14)
wobei df~ der Einheitsnormalenvektor (nach außen zeigend!) der Oberfläche ∂V ist.
Analoge Ausdrücke erhält man aus der Impuls- und Energiegleichung:
Z
Z
Z
∂
ρ~v dV +
ρ~v (~v · df~) = (−ρgradΦ − gradp) dV
∂t ∆V
∂V
V
Z
Z
Z
∂
~
ρEdV +
(ρE + p)~v · df =
−ρ~v gradΦ dV
∂t ∆V
∂V
V
(3.15)
(3.16)
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
70
• Die integrale Form hat den zusätzlichen Vorteil, dass damit auch Diskontinuitäten
(z.B. Stoßwellen) in der Strömung behandelbar sind.
• Ein Differenzenverfahren ist konservativ, falls für die Dichte ξ einer Erhaltungsgröße
(z.B. Masse) die Relation
N Z
X
i=1
n+1
ξdV
=
Vc (i)
N Z
X
n
ξdV
Z
+ ∆t
Vc (i)
i=1
n
~jξ df~
(3.17)
∂Vt
gilt, wobei Vt dasPVolumen des Rechengebiets ist, das in N Zellen mit Volumina
Vc (i) (d.h. Vt = N
i Vc (i)) unterteilt ist, und das eine Oberfläche ∂Vt besitzt. Die
~
Stromdichte jξ ist gemäß ~jξ = ξ · ~v definiert.
Anders ausgedrückt: Die Summe der Volumenintegrale darf sich nicht
ändern, falls kein Fluss über den Rand des Rechengebiets hinaus und
hinein vorhanden ist.
Diese Bedingung erscheint trivial, aber sie ist nicht immer erfüllt.
• Betrachten wir dazu (in kartesischen Koordinaten) die eindimensionale Kontinuitätsgleichung in nicht–konservativer Form (Gl. 3.13) für ein inkompressibles Gas (div~v =
0) und approximieren wir den Gradientenoperator durch eine zentrierte Differenz.
Mit δ ≡ 0.5∆t/∆x folgt dann für die Zonen i − 2 bis i + 2
ρn+1
i−2
ρn+1
i−1
ρn+1
i
ρn+1
i+1
ρn+1
i+2
−
−
−
−
−
ρni−2
ρni−1
ρni
ρni+1
ρni+2
=
=
=
=
=
−δ
−δ
−δ
−δ
−δ
(
(
(
(
(
uni−2
uni−1
uni
uni+1
uni+2
ρni−1
ρni
ρni+1
ρni+2
ρni+3
−
−
−
−
−
uni−2
uni−1
uni
uni+1
uni+2
ρni−3
ρni−2
ρni−1
ρni
ρni+1
)
)
)
)
)
Summiert man diese Differenzengleichungen über alle Stützstellen i = 1, . . . , N , so
heben sich offensichtlich keine Terme auf der rechten Seite weg, d.h. das Verfahren
ist nicht konservativ.
Geht man dagegen von der Kontinuitätsgleichung in Erhaltungsform (Gl. 3.12) aus
und approximiert den Divergenzoperator durch eine zentrierte Differenz, so folgt
ρn+1
i−2
n+1
ρi−1
ρn+1
i
n+1
ρi+1
ρn+1
i+2
−
−
−
−
−
ρni−2
ρni−1
ρni
ρni+1
ρni+2
=
=
=
=
=
−δ
−δ
−δ
−δ
−δ
(
(
(
(
(
uni−1
uni
uni+1
uni+2
uni+3
ρni−1
ρni
ρni+1
ρni+2
ρni+3
−
−
−
−
−
uni−3
uni−2
uni−1
uni
uni+1
ρni−3
ρni−2
ρni−1
ρni
ρni+1
)
)
)
)
)
Jetzt fallen bei der Aufsummation alle Terme auf der rechten Seite (bis auf jeweils
zwei Terme am Rand des Rechengebiets) weg, d.h. das Verfahren ist konservativ.
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
3.5
71
Stabilität, Konsistenz und Diskretisierungsfehler
Die Stabilität eines numerischen Verfahrens ist durch sein Fehlerfortpflanzungsverhalten bestimmt. Bei der Untersuchung der zeitlichen Entwicklung einer kleinen Störung
sind folgende Fälle möglich:
unbeschränktes Anwachsen
der Störung
→ Verfahren instabil
Störung nimmt ab, falls Zeitschritt → Verfahren beschränkt stabil
gewissen Bedingungen genügt
Störung nimmt ab für
beliebige Zeitschritte
→ Verfahren unbeschränkt stabil
Es existieren verschiedene Verfahren zur Untersuchung der Stabilität eines Differenzenschemas, z.B. die von Neumann’sche Stabilitätsanalyse (Modenanalyse für lineare
Anfangsprobleme). Für nicht–lineare Probleme läßt sich nur die Stabilität der linearisierten Gleichungen bestimmen, d.h. man kann nur notwendige Stabilitätskriterien für nicht–
lineare Probleme ableiten.
Ein Differenzenverfahren muss nicht nur genau sein, sondern es muss auch konsistent
zur Differentialgleichung sein, d.h. es muss
lim
∆x,∆t→0
{Differentialgleichung − Differenzengleichung} = 0
(3.18)
gelten.
3.5.1
Diffusionsgleichung
Als Beispiel zur Veranschaulichung der Konzepte Stabilität, Konsistenz und Diskretisierungsfehler betrachten wir im folgenden die eindimensionale Diffusionsgleichung
∂f
∂ 2f
=α 2
∂t
∂x
(3.19)
mit dem konstanten Diffusionskoeffizienten α. Wir nehmen o.B.d.A. weiterhin an, dass ∆t
und ∆x konstant sind.
• Diskretisierung nach Richardson: O[(∆t)2 , (∆x)2 ]
n
f n + fk−1
− 2fkn
fkn+1 − fkn−1
= α k+1
2∆t
(∆x)2
(3.20)
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
72
Daraus folgt:
n
n
fkn+1 = fkn−1 + d(fk+1
+ fk−1
− 2fkn ) mit d ≡ 2α
∆t
> 0.
(∆x)2
(3.21)
- sei Fehler der numerischen Lösung, d.h.
fnum = f + ,
wobei f die exakte Lösung sei. Da sowohl f als auch fnum der Differenzengleichung genügen müssen, folgt
n+1
= n−1
+ d (nk+1 + nk−1 − 2nk ) .
k
k
(3.22)
d.h. exakte Lösung (3.21) und Fehler (3.22) haben dasselbe Zeitverhalten!
- Als Ansatz für die Fehlerverteilung auf dem Rechengitter wählen wir eine Fourierreihe, deren Fundamentalmode (m = 1) eine Wellenlänge λ = 2π/k gleich
der zweifachen Gitterlänge L hat, d.h. es gilt
(x, t) =
M
X
bm (t) eikm ·x
(3.23)
m=0
mit den Wellenzahlen
mπ
km =
, m = 0, 1, . . . , M und M ∆x = L .
L
- Da die Differenzengleichung (3.20) linear ist, gilt das Superpositionsprinzip für
Fehler, d.h. für die Stabilitätsanalyse genügt die Betrachtung eines Terms der
Fourierreihe
m (x, t) = bm (t) eikm ·x .
Einsetzen in die Differenzengleichung (3.22) liefert
n
bn+1
= bn−1
m
m + bm 2d (cos φm − 1)
mit dem Phasenwinkel φm ≡ km ∆x.
- Die weitere Diskussion gestaltet sich leichter, wenn man eine äquivalente Matrixformulierung verwendet:
n+1 n bm
bm
2d(cos φm − 1) 1
=
(3.24)
n
1
0
bm
bn−1
m
wobei die Matrix auf der rechten Seite Fehlerfortpflanzungsmatrix heißt
und üblicherweise mit Gm bezeichnet wird. Nach der Diagonalisierung dieser
Gleichung erhält man:
bn+1
= λl bnm
m
oder bnm = λl bn−1
m ,
wobei λl die Eigenwerte der Fehlerfortpflanzungsmatrix Gm sind.
(3.25)
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
73
- Das Differenzschema ist stabil, falls
∀l :
|λl | ≤ 1
(3.26)
gilt. Die Eigenwerte für die Richardson–Diskretisierung ergeben sich aus dem
charakteristischen Polynom
λ2 − 2d(cos φm − 1)λ − 1 = 0
zu
λ± = d(cos φm − 1) ±
p
d2 (cos φm − 1)2 + 1 ,
(3.27)
d.h. das Richardson–Schema
ist instabil (da für cos φm 6= 1 der Betrag des
√
Eigenwerts λ− = −|D| − D2 + 1 mit D ≡ d(cos φm − 1) < 0 größer 1 ist).
• Diskretisierung nach DuFort–Frankel: (3 Zeitniveaus)
n
f n + fk−1
− (fkn+1 + fkn−1 )
fkn+1 − fkn−1
= α k+1
,
2∆t
(∆x)2
(3.28)
d.h. fkn in (3.20) wurde durch den zentrierten Zeitmittelwert (fkn+1 + fkn−1 )/2 ersetzt.
Für die Fehlerfortpflanzungsmatrix findet man
Gm =
2d cos φm
1+d
1−d
1+d
1
0
.
Damit ergeben sich die folgenden Eigenwerte
d cos φm
λ± =
±
1+d
s
d cos φm
1+d
2
+
1−d
.
1+d
Mit Hilfe der Dreiecks–Abschätzung |a ± b| ≤ |a| + |b| folgt
s
d cos φm d2 cos2 φm 1 − d +
|λ± | ≤ +
,
1+d (1 + d)2
1 + d
s
2
d d
1
−
d
|λ± | ≤ +
+
,
2
(1 + d)
1+d
1 + d
s
d2 + 1 − d2 d
|λ± | ≤
+
1+d (1 + d)2 KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
|λ± | ≤
74
1
d
+
= 1,
1+d 1+d
d.h. beide Eigenwerte sind betragsmäßig kleiner gleich Eins für alle positiven d und
für beliebige Phasenwinkel φm . Daher ist das DuFort–Frankel Differenzenschema
unbeschränkt stabil.
- Der Diskretisierungsfehler des DuFort–Frankel Schemas ist von der Ordnung O[(∆t)2 , (∆x)2 , (∆t/∆x)2 ], d.h. damit das Schema konsistent ist, muss
(∆t/∆x)2 gegen Null gehen, wenn (∆t)2 und (∆x)2 gegen Null streben.
Ist dies nicht der Fall und strebt (∆t/∆x)2 stattdessen gegen einen konstanten
Wert γ, ist das DuFort–Frankel Schema konsistent mit der hyperbolischen
Differentialgleichung
∂ 2f
∂ 2f
∂f
= α 2 − αγ 2 + O[∆3 ] .
∂t
∂x
∂t
Um dies zu sehen, entwickelt man die DuFort–Frankel Differenzengleichung
(3.28) in eine Taylorreihe um n und k.
- Der Gewinn an Stabilität wurde daher auf Kosten der Konsistenz erzielt!
Man muss daher aus Genauigkeitsgründen den Zeitschritt ∆t so wählen, dass
αγ = α(∆t/∆x)2 ausreichend klein ist, d.h. trotz unbeschränkter Stabilität des
Verfahrens ist eine Zeitschrittbeschränkung erforderlich.
• Diskretisierung nach Crank–Nicholson:
- Basiert auf zeitgemittelter Ableitung anstelle zeitgemittelter Funktion
fkn+1 − fkn
δ 2 f n+1 + δx2 fkn
=α x k
∆t
2(∆x)2
(3.29)
n
n
wobei δx2 fkn ≡ fk−1
− 2fkn + fk+1
der zentrale Differenzenoperator (siehe 3.5) ist.
- Differenzenverfahren ist unbeschränkt stabil und konsistent und von
O[(∆t)2 , (∆x)2 ]
- Die Differenzengleichung lautet mit β ≡ α∆t/(∆x)2 :
1 n+1 1 n
1 n+1
1 n
− βfk−1
+ (1 + β)fkn+1 − βfk+1
= βfk−1 + (1 − β)fkn + βfk+1
2
2
2
2
(3.30)
- Implizites Verfahren, da Werte zur Zeit tn+1 gekoppelt sind
→ tridiagonales Gleichungssystem für fkn+1 (k = 1, . . . , N )
→ durch zweifache Rekursion effizient lösbar; erfordert nur 5N −4 Operationen,
d.h. der Rechaufwand wächst linear mit der Anzahl der Stützstellen (siehe, z.B.
Potter 1973)
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
75
• 4. Möglichkeit die Diffusionsgleichung zu diskretisieren
Man drückt die Zeitableitung mit Hilfe der Vorwärtsdifferenzenapproximation (3.2)
aus
n
f n − 2fkn + fk−1
fkn+1 − fkn
= α k+1
∆t
(∆x)2
(3.31)
Damit folgt:
n
n
fkn+1 = βfk−1
+ (1 − 2β)fkn + βfk+1
.
- Aus der von Neumann’sche Stabilitätsanalyse ergibt sich
G = 1 − 2β(1 − cosφ) ,
und damit als Bedingung für die Stabilität des Schemas: β ≤ 0.5 bzw.
1 (∆x)2
.
2 α
Das Schema ist also bedingt stabil mit ∆t ≤ τdif f (∆x)/2, d.h. der Zeitschritt
muss kleiner sein als die Hälfte der Diffusionszeit durch eine Gitterzone
∆t ≤
- Sehr restriktive Bedingung an den Zeitschritt
∆x → ∆x/2 =⇒ ∆t → ∆t/4 =⇒ CPU → 8 · CPU
• =⇒ In fast allen Anwendungen wird das Crank–Nicholsen Schema verwendet, um
Diffusionsprobleme numerisch zu lösen.
3.5.2
Advektionsgleichung
Die Advektionsgleichung ist die Kontinuitätsgleichung (2.21) für eine vorgegebene konstante Geschwindigkeit v0 (o.B.d.A.: v0 > 0):
∂ρ
∂ρ
+ v0
=0
∂t
∂x
(3.32)
Ersetzt man die räumliche Ableitung durch die Rückwärtsapproximation (3.3), erhält man
die Differenzengleichung
n
n
n
ρn+1
k+1/2 = ρk+1/2 − β(ρk+1/2 − ρk−1/2 ) ,
(3.33)
wobei β ≡ v0 ∆t/∆x die Anzahl der Zonen ist, die die Flüssigkeit pro Zeitschritt durchströmt.
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
76
• Die Stabilitätsanalyse ergibt:
G = (1 − β) + β cos φ − iβ sin φ ,
d.h. das explizite Schema ist bedingt stabil, falls die CFL–Bedingung
β≤1
oder
∆t ≤
∆x
v0
(3.34)
erfüllt ist, oder anders ausgedrückt, keine Information darf sich schneller als eine
Gitterzone pro Zeitschritt ausbreiten!.
Diese Bedingung folgt auch direkt aus den Charakteristikengleichungen (2.29), da
diese für die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Information dx/dt ≤ |v0 | + c fordern,
und damit ∆t ≤ ∆x/(|v0 |+c) implizieren, was im Falle von c = 0 (keine Schallwellen)
identisch mit der Bedingung (3.34) ist.
• Schreibt man (3.33) in der alternativen Form
n
n
ρn+1
k+1/2 = (1 − β)ρk+1/2 + βρk−1/2 ,
(3.35)
n
so sieht man, dass sich für β = 1 die exakte Lösung ρn+1
k+1/2 = ρk−1/2 ergibt.
Allerdings ist die obige Differenzengleichung für β 6= 1 sehr diffusiv. Dies zeigt sich,
wenn man die Differenzengleichung um (k + 1/2) und n in eine Tayloreihe entwickelt.
Daraus folgt
v0 ∆x ∂ 2 ρ ∆t ∂ 2 ρ
∂ρ
∂ρ
2
+ v0
=
−
+
O
(∆x)
,
∂t
∂x
2 ∂x2
2 ∂t2
d.h. die Differenzengleichung ist konsistent mit der ursprünglichen Differentialgleichung, aber stark (∝ ∆x) diffusiv.
3.5.3
Allgemeine Tatsachen
• Differenzengleichungen enthalten Terme, die nicht in der Differentialgleichung enthalten sind. Die Konsequenzen, die daraus resultieren, lassen sich durch Taylorentwicklungen und Stabilitätsanalyse untersuchen.
→ falls der führende Fehlerterm vom Typ ∂ 2 /∂x2 ist, spricht man von numerischer
Diffusion (siehe Abb. 3.3).
→ falls der führende Fehlerterm vom Typ ∂ 3 /∂x3 ist, spricht man von numerischer
Dispersion (siehe Abb. 3.4).
ACHTUNG: Im Allgemeinen sind beide Fehler am Werk!
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
analytische Lösung
numerische Lösung
Abbildung 3.3:
analytische Lösung
numerische Lösung
Abbildung 3.4:
77
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
3.6
78
Exakte Riemannlöser: Verfahren von Godunov
In diesem Kapitel werden Differenzenverfahren zur Integration der hydrodynamischen Gleichungen erläutert, bei denen zur Berechnung der Flüsse (durch die Zellränder) an jedem
Zonenrand ein lokales Riemannproblem exakt gelöst werden muss.
Diese Vorgehensweise wurde von Godunov (1959) vorgeschlagen. Sein inzwischen als
Godunov–Verfahren bezeichnetes Differenzenverfahren, ist aber räumlich nur von erster
Ordnung genau. Riemannlöser–Verfahren höherer Ordnung wurden später von van Leer
(1979), Collela & Woodward (1985) und Marquina (1994) entwickelt. Bevor wir das Verfahren von Godunov genauer diskutieren, sollen einige seiner Eigenschaften genannt werden.
• Es ist ein upwind“ bzw. upstream“ Verfahren. Solche Verfahren verwenden
”
”
einseitige Differenzenapproximationen, wobei die Richtung nicht global festgelegt ist,
sondern von der lokalen Strömung abhängt.
Für ein inkompressibles Gas lautet die einfachste upwind“–Diskretisierung der 1D
”
Kontinuitätsgleichung in nicht-konservativer Form (Gl. 3.13):
ρn+1
i
−
ρni
∆t n
u
=−
∆x i
ρi − ρi−1 ; ui > 0
.
ρi+1 − ρi ; ui < 0
(3.36)
Diese Form der Diskretisierung, die man als Donor Cell“ Diskretisierung bezeich”
net, garantiert, dass das Abhängigkeitsgebiet der hyperbolischen Kontinuitätsgleichung korrekt berücksichtigt wird und insbesondere keine Störung in eine Überschallströmung hineinpropagieren kann (was unphysikalisch wäre).
• Das Verfahren ist konservativ und monoton. Letzteres bedeutet, dass eine Anfangsverteilung so advektiert wird, dass keine neuen, numerisch bedingten Extrema
auftreten.
• Das Verfahren ist stark diffusiv. Dieser Nachteil ist bei modernen GodunovVerfahren höherer Ordnung behoben.
• Es handelt sich um ein shock-capturing“ Verfahren, d.h. Diskontinuitäten in der
”
Strömung müssen nicht mit speziellen Techniken behandelt werden, sondern werden
durch das Differenzenverfahren automatisch und ohne gitterabhängige Parameter
(wie z.B. bei Verfahren die eine künstliche Viskosität verwenden) korrekt beschrieben.
Wir betrachten ein allgemeines Anfangswertproblem für ein nicht-lineares System hyperbolischer partieller Differentialgleichungen (PDE) in einer Raumdimension:
PDEs:
Ut + F(U)x = 0
Anfangswerte U(x, 0) = U0 (x)
Randwerte:
U(0, t) = Ul (t) ,
U(L, t) = Ur (t)
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
79
Hierbei sind U(x, t) ein Vektor von Erhaltungsgrößen, F(U) der Flussvektor, U(0) (x)
die Anfangsdaten zur Zeit t = 0 und [0, L] das Raumgebiet. Ul (t) und Ur (t) sind die
zeitabhängigen linken und rechten Randbedingungen.
Da auch nicht–stetige Lösungen auftreten können, muss man die integrale Form der
Erhaltungsgleichungen
Z t2
Z t2
Z x2
Z x2
F [U(x2 , t)] dt
(3.37)
F [U(x1 , t)] dt −
U(x, t1 )dx +
U(x, t2 )dx =
t1
x1
x1
t1
verwenden. Hierbei ist [x1 , x2 ] × [t1 , t2 ] ein beliebiges Kontrollvolumen im betrachteten
Raumzeitgebiet.
Man diskretisiert das Raumgebiet [0, L] in M Zellen Ii = [xi−1/2 , xi+1/2 ], die von äquidistanter Größe ∆x = xi+1/2 − xi−1/2 = L/M , i = 1, . . . , M sein sollen. Für eine gegebene
Zelle Ii sind die Koordinaten des Zellzentrums xi und der beiden Zellränder xi−1/2 , xi+1/2
durch
xi−1/2 = (i − 1)∆x ,
1
xi = (i − )∆x ,
2
xi+1/2 = i∆x
(3.38)
gegeben. Die Diskretisierung des Zeitintervalls [0, T ] erfolgt durch variable Zeitschritte ∆t,
deren Größe sich aus der CFL-Bedingung oder aus der gewünschten Genauigkeit bestimmt.
Das Verfahren von Godunov besteht aus vier Teilschritten:
e
(1) Zu einem Zeitpunkt t = tn seien die Anfangsdaten U(x,
tn ) gegeben. Um deren
Entwicklung bis zu dem Zeitpunkt tn+1 = tn + ∆t zu bestimmen, werden zunächst
Zonenmittelwerte
Uni
1
≡
∆x
Z
xi+1/2
e
U(x,
tn )dx
(3.39)
xi−1/2
berechnet. Mit Hilfe der Zonenmittelwerte definiert man eine stückweise konstante
Verteilung U(x, tn ) gemäß
U(x, tn ) = Uni
x ∈ Ii = [xi−1/2 , xi+1/2 ] , i = 1, . . . , M ,
e
die die Anfangsdaten U(x,
tn ) bis auf erste Ordnung genau approximiert.
Die zu integrierenden Daten setzen sich nun aus einer Menge {Uni } konstanter
Zustände zusammen, die in Form von Erhaltungsgrößen gegeben sind. Für die Lösung
des Riemannproblms ist es aber i.A. notwendig, die Erhaltungsgrößen durch die primitiven Variablen ρ, u und p auszudrücken (siehe 2.31).
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
rarefaction
shock
80
contact discontinuity
n+1
t
n
n
Vi−1
n
Vi
n
Vi+1
Vi+2
n
xi−1
xi− 1_
2
xi
xi+ 1_
2
xi+1
xi+ 3_
2
xi+2
t
n
V
x
xi−1
xi
xi+1
xi+2
Abbildung 3.5: Illustration des Godunov–Verfahren
(2) Man sucht nun als nächstes die Lösung des ursprünglichen AnfangsRandwertproblems für die modifizierten Anfangsdaten Uni . Dazu muss an jedem
Zonenrand xi+1/2 die Lösung eines lokalen Riemannproblems RP (Uni , Uni+1 ) berechnet werden (siehe Abb. 3.5), die nur von den Zonenmittelwerten Uni (links) und
Uni+1 (rechts) abhängt. Außerdem ist die Lösung selbstähnlich und hängt von der
Koordinatenkombination (x/t) ab.
Wir werden die Lösung im folgenden mit Ui+1/2 (x/t) bezeichnen, wobei (x, t) lokale
Koordinaten sind, die gemäß
x = x − xi+1/2 , t = t − tn
x ∈ [xi , xi+1 ]
, t ∈ [tn , tn+1 ]
x ∈ [− ∆x
, ∆x
]
2
2
, t ∈ [0, ∆t]
(3.40)
durch die globalen Koordinaten (x, t) gegeben sind. Offensichtlich gilt x = 0 falls
x = xi+1/2 und t = 0 falls t = tn .
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
81
(3) Falls ∆t hinreichend klein ist, d.h. falls keine Wechselwirkung zwischen benachbarten
e
Riemannproblemen stattfindet, ist die globale Lösung U(x,
t) im Gebiet x ∈ [0, L] ∧
n n+1
t ∈ [t , t ] durch
e
U(x,
t) = Ui+1/2 (x/t) ,
x ∈ [xi , xi+1 ]
(3.41)
gegeben.
(4) Die Lösung zur Zeit tn+1 = tn + ∆t erhält man, in dem man einen neuen Satz von
Zellmittelwerten Un+1
definiert. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten.
i
In der ersten Varianten des Godunov–Verfahrens definiert man die neuen Zellmittelwerte mit Hilfe der Integrale
Un+1
i
Z
1
=
∆x
xi +1/2
e
U(x,
tn+1 )dx
(3.42)
xi −1/2
für jede Zone Ii . Diese Mittelung ist allerdings nur sinvoll durchführbar, wenn innerhalb der Zone Ii keine Wellen im Zeitraum ∆t miteinander wechselwirken. Daraus
ergibt sich die folgende (CFL) Bedingung an die Größe des Zeitschritts:
∆t ≤
1 ∆x
,
n
2 Smax
(3.43)
n
wobei Smax
die maximale Wellengeschwindigkeit im Rechengebiet zur Zeit tn ist.
Infolge der Zeitschrittbedingung (3.43) beeinflussen nur zwei Riemannlösungen die
Zone Ii , nämlich die nach rechts popagierenden Wellen von Ui−1/2 (x/t) und die nach
links propagierenden Wellen von Ui+1/2 (x/t). Daher folgt aus (3.42) unter Verwendung von (3.41)
Un+1
i
1
=
∆x
Z
0
1
∆x
2
Z 0
x x 1
Ui−1/2
dx +
Ui+1/2
dx .
∆t
∆x − 12 ∆x
∆t
(3.44)
Diese erste Variante des Godunov–Verfahrens hat zwei Nachteile: (i) eine etwas restriktivere CFL–Bedingung und (ii) die Berechnung der Integrale in (3.44) ist unter
Umständen aufwändig
Die zweite Variante des Godunov–Verfahrens ist numerisch attraktiver und kann
in der konservativen Formulierung
Un+1
i
=
Uni
∆t +
Fxi−1/2 − Fi+1/2
∆x
(3.45)
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
82
geschrieben werden, wobei der numerische Fluss am Zellenrand durch
Fi+1/2 = F Ui+1/2 (0)
(3.46)
gegeben ist, falls der Zeitschritt die Bedingung
∆x
n
Smax
∆t ≤
(3.47)
erfüllt.
Beweis:
e
Der Integrand U(x,
tn+1 ) in (3.42) ist eine exakte Lösung der Erhaltungsgleichungen
(siehe 3.41). Daher kann man die integrale Form der Erhaltungsgleichung (3.37) mit
dem Kontrollvolumen [xi−1/2 , xi+1/2 ] × [tn , tn+1 ] anwenden. Es folgt
Z
xi +1/2
n+1
e
U(x,
t
xi +1/2
Z
e
U(x,
tn )dx
)dx =
xi −1/2
xi −1/2
∆t
Z
+
Z
i
e
F U(xi−1/2 , t) dt −
h
0
∆t
h
i
e i+1/2 , t) dt
F U(x
(3.48)
0
mit
e i−1/2 , t) =Ui−1/2 (0) = const
U(x
e i+1/2 , t) =Ui+1/2 (0) = const
U(x
(3.49)
(3.50)
n
für ∆t ≤ ∆x/Smax
, wobei Ui−1/2 (0) die Lösung von RP (Uni−1 , Uni ) und Ui+1/2 (0) die
Lösung von RP (Uni , Uni+1 ) entlang x/t = 0 ist. Division durch ∆x ergibt
1
∆x
Z
xi +1/2
xi −1/2
1
e
U(x,
tn+1 )dx =
∆x
+
Z
xi +1/2
e
U(x,
tn )dx
xi −1/2
∆t F(Ui−1/2 (0)) − F(Ui+1/2 (0))
∆x
(3.51)
und mit (3.42) folgt daraus die Behauptung (3.45).
Diese zweite Variante des Godunov–Verfahrens bedingt eine weniger restriktive CFL–
Bedingung, die auch gilt, wenn Wellen innerhalb von ∆t in der Zelle Ii miteinander
wechselwirken, vorausgesetzt dass daraus keine Wellenbeschleunigung resultiert (Linearitätsannahme).
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
83
Bei der Berechnung des Zeitschritts gemäß der notwendigen Bedingung (3.47) geht man
wie folgt vor:
n
• üblich: Smax
= Maxi {|uni | + ani }, wobei uni die Strömungsgeschwindigkeit und ani
die Schallgeschwindigkeit sind.
n
Diese Form kann zur Unterschätzung von Smax
führen, z.B. bei einem stationären
n
n
n
eingeht und daher u.U. ein zu
Anfangszustand (ui = 0), da dann nur ai in Smax
großer Anfangszeitschritt gewählt wird.
o
n
R
L
R
L
n
| die be| und |Si+1/2
• verlässlich: Smax = Maxi |Si+1/2 |, |Si+1/2 | , wobei |Si+1/2
kannten Wellengeschwindigkeiten der nichtlinearen Wellen (Stöße, Verdünnungwellen) des Riemannproblems sind.
• Üblicherweise verwendet man einen zusätzlichen Sicherheitsfaktor gemäß
∆t = CCFL
∆x
n
Smax
(3.52)
mit 0 < CCFL ≤ 1, wobei in der Praxis Werte von CCF L = 0.2 . . . 0.8 üblich sind.
3.7
Approximative Riemannlöser: Verfahren von Roe
Exakte Riemannlöser erfordern die Kenntnis der vollen spektralen Dekomposition (Eigenwerte, recht und linke Eigenvektoren) des zu lösenden hyperbolischen Differentialgleichungssystems. Ist diese analytische Information nicht vorhanden oder ist die Lösung des
exakten Riemann–Problems zu aufwändig (z.B. im Falle von relativistischen Strömungen,
wo anstelle einer algebraischen Gleichung eine gewöhnliche Differentialgleichung zu lösen
ist), kann man approximative Riemannlöser verwenden. Der von P. Roe vorgeschlagene
Lösungsweg basiert auf der lokalen Linearisierung des Problems.
Dazu betrachten wir nochmals das Anfangswertproblem (3.6) für den Zustandsvektor
U. Mit Hilfe der Jacobi-Matrix A ≡ ∂F/∂U des Flussvektors F(U) schreiben wir die
Differentialgleichung in quasilinearer Form (siehe Kap. 2.1 und 2.3)
Ut + A(U)Ux = 0 .
(3.53)
e L , UR ),
Ersetzt man die Jacobi-Matrix A(U) durch die konstante Jacobi-Matrix A(U
so erhält man ein lineares System mit konstanten Koeffizienten:
e x = 0,
Ut + AU
(3.54)
d.h. man hat das ursprüngliche Riemann-Problem (3.53) durch ein lineares Problem (3.54)
ersetzt, das dann exakt gelöst wird.
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
84
e muss folgende Eigenschaften besitzen:
Die Matrix A
e hat reelle Eigenwerte und einen kompletten Satz von linear unabhängigen rechten
(a) A
Eigenvektoren (Hyperbolizität)
e ist konsistent zur ursprünglichen Jacobi–Matrix, d.h. A(U,
e
(b) A
U) = A(U)
e R − UL )
(c) Es gelten die Erhaltungsätze F(UR ) − F(UL ) = A(U
Die Wellenstärken α
ei = α
ei (UL , UR ) ergeben sich aus der Projektion der Zustandsdifferenz
∆U = UR − UL auf die rechten Eigenvektoren
∆U =
m
X
e(i)
α
ei R
(3.55)
i=1
und die numerischen Flüsse gemäß
m
1
1 X e (i)
F1+1/2 (Roe) = (FL + FR ) −
α
ei |λi |R .
2
2 i=1
(3.56)
Demnach benötigt man für den approximativen Roe–Löser:
e mit den Eigenschaften (a) - (c),
• Eine Matrix A
• Wellenstärken α
ei ,
ei der Matrix A,
e
• die Eigenwerte λ
e
• die rechten Eigenvektoren R(i) der Matrix A,
e L , UR ).
aber nicht explizit die Jacobi–Matrix A(U
Um einen Eindruck von der Qualität exakter und approximativer Riemannlöser zu
bekommen, betrachten wir vier Stoßrohr-Probleme (siehe Tabelle 3.1 und Abbildungen 3.6
bis 3.9, sowie die MPEG–Filme auf der Web–Seite), die bis auf Problem 4 dem Buch von
Toro (Kap. 6.4) entnommen sind.
Tabelle 3.1: Anfangsdaten für Stoßrohr-Testprobleme
Test
1
2
3
4
ρL
uL
pL
1.0
0.75
1.0
1.0
-2.0
0.4
1.0
0.0
1000.0
5.99924 19.5975 460.894
ρR
uR
pR
0.125
0.0
0.1
1.0
2.0
0.4
1.0
0.0
0.01
5.99242 -6.19633 46.0950
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
85
Abbildung 3.6: Die Lösung des Testproblems 1 besteht aus einer nach rechts propagierenden
Stoßwelle gefolgt von einer ebenfalls nach rechts propagierenden Kontaktunstetigkeit, sowie
einer nach links laufenden sonischen Verdünnungswelle. (V← T→ S→ )
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
86
Abbildung 3.7: Die Lösung des Testproblems 2 besteht aus zwei symmetrischen
Verdünnungswellen, die in entgegengesetzte Richtung propagieren und annähernd ein Vakuumgebiet erzeugen, sowie aus einer stationären Kontaktunstetigkeit (V← T V→ )
.
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
87
Abbildung 3.8: Die Lösung des Testproblems 3 besteht aus einem nach rechts propagierenden starken Stoß und einer in dieselbe Richtung propagierenden Kontaktunstetigkeit,
sowie aus einer nach links laufenden Verdünnungswelle (V← T→ S→ )
KAPITEL 3. DISKRETISIERUNGSVERFAHREN
88
Abbildung 3.9: Die Lösung des Testproblems 4 besteht drei starken Diskontinuitäten (Stoß,
Kontaktunstetigkeit, Stoß), die alle nach rechts propagieren (S→ T→ S→ )
Kapitel 4
Anwendungen aus der Astrophysik
4.1
4.1.1
Strömungsinstabilitäten in Supernovahüllen
Rayleigh–Taylor Instabilität
Eine Rayleigh–Taylor Instabilität tritt dann auf, wenn auf zwei aneinander grenzende,
unterschiedlich dichte Flüssigkeiten (oder auch auf eine Flüssigkeit mit Dichtegradient) eine
Kraft wirkt (z.B. Schwerkraft oder eine Beschleunigung), die von der dichteren Flüssigkeit
in Richtung auf die spezifisch leichtere Flüssigkeit weist (siehe Chandrasekhar (1961), Seite
428ff). In der Astrophysik findet man Rayleigh–Taylor Instabilitäten in einer Vielzahl von
Situationen, unter anderem in Supernovaexplosionen infolge der Propagation der Stoßwelle
durch die Sternhülle.
Abbildung 4.1:
Als einfachsten Fall betrachten wir zwei ruhende, homogene, inkompressible Flüssigkeiten der Dichten ρ1 und ρ2 , die durch eine ebene Grenzfläche (z = 0) voneinander getrennt
sind, und die eine Beschleunigung g erfahren, die in negative z–Richtung weist (Abb. 4.1
89
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
90
Abbildung 4.2: Computersimulation einer Rayleigh–Taylor Instabilität. Zwei homogene
Flüssigkeiten konstanter Dichte ρ1 (hellbraun) und ρ2 = 2ρ1 (dunkelbraun) sind anfänglich durch eine horizontale Grenzfläche (weisse Linie) voneinander getrennt und erfahren
beide eine konstante Beschleunigung g, die senkrecht nach unten gerichtet ist. Diese Anordnung der Flüssigkeiten ist Rayleigh-Taylor instabil. Stört man die Anordnung durch ein
vertikal konstantes und horizontal sinusförmiges Geschwindigkeitsfeld von kleiner Amplitude, dann ergibt eine hydrodynamische Simulation die gezeigte Entwicklung. Die dichte
Flüssigkeit (dunkelbraun) dringt in das Gebiet der weniger dichten Flüssigkeit (hellbraun)
ein und umgekehrt. Die pilzförmigen Köpfe an den Enden der eindringenden “Finger ,
”
sowie die wirbelförmigen Strukturen an ihren Rändern werden durch Kelvin–Helmholtz
Instabilitäten verursacht. Diese treten immer auf, wenn eine Scherströmung vorliegt, und
bewirken ein Aufrollen“ der Scherschicht.
”
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
91
Abbildung 4.3:
und 4.2). Wir nehmen nun an, dass die Grenzfläche leicht gestört wird und betrachten die
zeitliche Entwicklung der Störung mit Hilfe einer linearen Stabilitätsanalyse nach Fouriermoden. Dazu suchen wir Lösungen der Form
ξ ∝ exp(ikx x + iky y + nt) ,
(4.1)
wobei kx , ky und n Konstanten sind. Setzt man diesen Störungsansatz in die hydrodynamischen Gleichungen ein und vernachlässigt alle Terme, die nichtlinear in der Störung sind,
erhält man die folgende Dispersionsrelation:
ρ2 − ρ1
−2
2
τRT = n = gk
.
(4.2)
ρ2 + ρ1
Hierbei ist τRT ≡ n−1 die Anwachszeitskala und k = (kx2 + ky2 )1/2 der Absolutwert des Wellenvektors der Störung. Demnach ist die Anordnung der Flüssigkeiten stabil, falls
ρ2 < ρ1 , d.h. wenn sich die leichtere Flüssigkeit oberhalb der schwereren Flüssigkeit befindet, da dann n2 < 0 ist. Im Falle ρ2 > ρ1 ist die Anordnung der Flüssigkeiten instabil.
Gemäß der Dispersionsrelation wachsen kurzwellige Störungen am schnellsten (exponentiell) an.
Die Rayleigh–Taylor Instabilität kann man in Fallturmexperimenten untersuchen
(Abb.4.3). Man verwendet dazu einen Behälter mit zwei übereinander geschichteten
Flüssigkeiten unterschiedlicher Dichte in einem Schwerefeld. Die leichtere Flüssigkeit ρ2
befindet sich dabei oberhalb der schwereren Flüssigkeit ρ1 > ρ2 , d.h. die Anordnung ist
Rayleigh–Taylor stabil. Nun beschleunigt man den Behälter nach unten, und zwar mit
einer Kraft Fb , die größer als die Schwerkraft Fg ist. Die Flüssigkeiten spüren infolge der
Beschleunigung eine nach oben gerichtete Trägheitskraft −Fb . Die Nettokraft auf die Anordnung ist −Fb + Fg 0. Sie ist wegen |Fb | > |Fg | nach oben gerichtet und macht die
Schichtung instabil.
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
92
Abbildung 4.4:
4.1.2
Kelvin–Helmholtz Instabilität
Eine Kelvin–Helmholtz Instabilität tritt dann auf, wenn zwischen zwei aneinander
grenzenden Flüssigkeiten (oder auch innerhalb einer Flüssigkeit) ein Scherströmung (d.h.
ein Geschwindigkeitsgradient senkrecht zur Richtung der Strömung) vorhanden ist (siehe Chandrasekhar (1961), Seite 481ff). In der Astrophysik findet man Kelvin–Helmholtz
Instabilitäten in einer Vielzahl von Situationen, unter anderem in Jets. Sie treten auch immer als Folge von Rayleigh–Taylor Instabilitäten auf, wenn sich die auf- und absteigenden
Blasen oder Finger relativ zur Umgebung bewegen (Abb. 4.2).
Als einfachsten Fall betrachten wir zwei homogene, inkompressible Flüssigkeiten der
Dichten ρ1 und ρ2 < ρ1 , die durch eine ebene Grenzfläche (z = 0) voneinander getrennt
sind, und die sich parallel zu der Grenzfläche in x–Richtung mit konstanten Geschwindigkeiten u1 und u2 bewegen (~v = u~ex . Die beiden Flüssigkeiten erfahren außerdem eine
Beschleunigung g, die in negative z–Richtung weist (siehe Chandrasekhar, 1961, Seite 481ff;
Abb. 4.4). Wir nehmen nun an, dass die Grenzfläche leicht gestört wird und betrachten die
zeitliche Entwicklung der Störung mit Hilfe einer linearen Stabilitätsanalyse nach Fouriermoden ganz analog wie im Fall der Rayleigh–Taylor Instabilität. Setzt man den Störungsansatz (4.1) in die hydrodynamischen Gleichungen ein und vernachlässigt alle Terme, die
nichtlinear in der Störung sind, erhält man die folgende Dispersionsrelation:
1/2
−1
τKH
= n = −ikx (α1 u1 + α2 u2 ) ± gk(α2 − α1 ) + kx2 α1 α2 (u1 − u2 )2
,
(4.3)
wobei
α1 =
ρ1
,
ρ1 + ρ2
α2 =
ρ2
ρ1 + ρ2
(α2 < α1 )
und τ die Anwachszeitskala und k = (kx2 + ky2 )1/2 der Absolutwert des Wellenvektors der
Störung.
• Im Falle kx = 0 gilt:
p
n = ± gk(α2 − α1 )
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
93
oder
n2 = gk
ρ2 − ρ1
ρ1 + ρ2
d.h. das Auftreten von Instabilitäten (RT) transversal zur Strömungsrichtung bleibt
unbeeinflusst von der Scherströmung.
• Im Falle kx 6= 0 ist die Strömung instabil, falls
gk(α2 − α1 ) + kx2 α1 α2 (u1 − u2 )2 > 0 ,
bzw. falls
k>−
g(α2 − α1 )
α1 α2 (u1 − u2 )2 cos2 θ
wobei θ der Winkel zwischen dem Wellenvektor der Störung ~k und der x–Richtung
(d.h. der Strömungsrichtung) ist. Falls weiterhin ky = 0 (oder allgemein, falls ~k||~v )
und damit θ = 0, folgt
k > kmin ≡
4.1.3
g(α1 − α2 )
.
α1 α2 (u1 − u2 )2
Instabilitäten in Supernovahüllen
Einige Fakten zu Supernovae allgemein:
• Supernovae (= Sternexplosionen) gehören zu den energiereichsten Phänomenen im
Universum. Sie entfesseln so viel Energie, wie die Sonne in zehn Milliarden Jahren
erzeugt. Dabei erreichen sie für mehrere Wochen die Helligkeit einer ganzen Galaxie (Lmax ≈ 1043 erg/s). Der weitaus größere Teil der Energie, rund 1051 erg, wird
aber nicht als elektromagnetische Strahlung abgegeben, sondern steckt in der kinetischen Energie des stellaren Gases, das mit bis zu 0.1 c in den interstellaren Raum
geschleudert wird. Radioaktive Elemente, die bei der Explosion entstehen, heizen
durch ihren Zerfall die expandierende Gaswolke und lassen ihre Helligkeit über viele
Jahre exponentiell abklingen.
Wenn ein massereicher Stern als Supernova explodiert, sind selbst diese Energiemengen winzig im Vergleich zu der Energie, die in Form von Neutrinos abgestrahlt
wird: Einige 1053 erg oder das Äquivalent von ∼ 0.1 M werden freigesetzt, wenn der
stellare Kern zu einem Neutronenstern oder Schwarzen Loch kollabiert.
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
94
• Die Suche nach Supernovae wird heute systematisch durch automatische Teleskope betrieben. Jedes Jahr gelingt es so, weit über 100 Ereignisse in fernen Galaxien aufzuspüren. In unserer Milchstraße ereignen sich Supernovae recht selten, nach
Schätzungen nur wenige pro Jahrhundert. Rund 200 diffuse oder sphärische Gasnebel zeugen jedoch von vergangener Aktivität. Der wahrscheinlich bekannteste ist der
Krebsnebel, der Überrest einer Supernova, die im Jahr 1054 als Gaststern“ von chi”
nesischen, japanischen, koreanischen und arabischen Astronomen beobachtet wurde.
Die letzte mit freiem Auge sichtbare Supernova in unserer Galaxie war die Keplersche
im Jahr 1604. Ein noch jüngerer Supernovaüberrest ist Cassiopeia A (Abb.4.5), der
mit einer Sternexplosion um das Jahr 1680 in Verbindung gebracht wird.
Seit ihrer Entstehung vor etwa 12 Milliarden Jahren haben viele 100 Millionen Supernovae das Gas der Milchstraße unter anderem mit Fe, Si, O, C und Ca angereichert
und damit die Entstehung von Planeten und des Lebens auf der Erde erst ermöglicht.
Die durch den interstellaren Raum pflügenden Explosionswellen haben das Gas verdichtet und die Geburt neuer Sterne eingeleitet. Supernovae spielen deshalb eine
zentrale Rolle im kosmischen Kreislauf der Materie und beim Werden und
Vergehen von Sternen.
Supernovae sind auch die wichtigste Quelle der hochenergetischen kosmischen
Strahlung, von der die Erde getroffen wird, und beeinflussen mit ihrer riesigen Energiefreisetzung die Entwicklung der Galaxien. Durch ihre enorme Helligkeit können sie
selbst am Rand des sichtbaren Universums beobachtet werden.
• Jüngste Beobachtungen belegen einen Zusammenhang zwischen den kosmischen
Gammablitzen und gewissen Supernovaexplosionen (Typ Ic). Astrophysiker haben
daher ein starkes Interesse zu klären, welche Sterne als Supernovae explodieren, welche Vorgänge zur Explosion führen und welche Prozesse die beobachtbaren Eigenschaften der Explosion bestimmen.
• Empirisch unterscheidet man traditionell Supernovae vom Typ I und II. Bei ersteren
fehlen Balmerlinien des Wasserstoffs im Spektrum, während bei letzteren stark dopplerverbreiterte Emissions- und Absorptionslinien von Wasserstoff gemessen werden,
die auf hohe Expansionsgeschwindigkeiten der Sternmaterie hindeuten. Desweiteren
unterteilt man Supernovae vom Typ I in die Untertypen Ia, Ib und Ic abhängig vom
Auftreten oder Fehlen von Spektrallinien von Silizium bzw. von Helium während des
Helligkeitsmaximums (Abb. 4.6).
• Theoretisch sind nur zwei mögliche Energiequellen für eine Supernovaexplosion bekannt: Thermonukleare Energie und Gravitationsbindungsenergie (Abb. 4.6).
– Supernovae vom Typ Ia zeigen im Spektrum Si-Linien, aber keine H-Linien,
und die Form ihrer Lichtkurve und ihre maximale Helligkeit ist erstaunlich ähnlich. Sie eignen sich daher als extrem helle Standardkerzen“ zur Vermessung
”
von kosmischen Entfernungen. Man erklärt sie als thermonukleare Explosionen
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
Abbildung 4.5:
95
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
keine H−Balmerlinien
thermonukleare
96
H−Balmerlinien
Siliziumlinien
SN I a
Explosion
−/−
keine Siliziumlinien
Gravitations−
kollaps
He
SN I b
kein He
SN Ic
SN II
Abbildung 4.6: Klassifikationsschema von Supernovae mit empirischer und theoretischer
Unterteilung.
Abbildung 4.7:
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
97
von Weißen Zwergen, die aus Helium oder Kohlenstoff und Sauerstoff bestehen.
Der Weiße Zwerg wird bei der Explosion vollständig zerstört und es bleibt nur
ein diffuser Gasnebel als Überrest (siehe auch Kpa. 4.2).
– Typ II, Typ Ib und Typ Ic Supernovae sind das Endprodukt massereicher
Sterne (M >
∼ 10 M ) und beziehen ihre Explosionsenergie aus der gravitativen
Bindungsenergie des kollabierenden stellaren Eisenkerns. Solche Sterne durchlaufen die komplette Abfolge möglicher nuklearer Brennphasen, in deren Verlauf
im Zentrum immer schwerere chemische Elemente bis hin zu Eisen aufgebaut
werden. Am Ende ihrer Entwicklung besitzen diese Sterne eine Zwiebelscha”
lenstruktur“, bei der ein stellarer Eisenkern von Schichten umgeben ist, die
vorwiegend aus Silizium, Sauerstoff, Kohlenstoff, Helium und Wasserstoff bestehen (Abb.4.7). Wenn die Masse des stellaren Eisenkerns schießlich zu groß wird,
kommt es zum Gravitationskollaps, wodurch die Explosion des Sterns ausgelöst
wird.
Besitzt der Stern zum Zeitpunkt der Explosion noch seine Wasserstoffhülle, erscheinen in den Supernovaspektren Balmerlinien (Typ II). Hat er dagegen seine
Hülle in vorangegangenen Entwicklungsphasen durch Sternwind abgeblasen, fehlen diese Linien (Typ Ib). Wurde über Sternwinde oder durch Gasaustausch mit
einem Begleitstern auch die Heliumschale abgestreift, sind Heliumlinien in den
Spektren ebenfalls nicht vorhanden (Typ Ic). Im Zentrum des expandierenden
Explosionsnebels bleibt – im Gegensatz zu Typ Ia Supernovae – eine kompakter
Überrest zurück, in der Regel ein Neutronenstern. Wenn jedoch der explodierende Stern eine anfängliche Masse von mehr als dem 25-fachen der Sonnenmasse
hatte, entsteht wahrscheinlich ein Schwarzes Loch.
Rayleigh–Taylor–Instabilitäten in Gravitationskollapssupernovae:
• Supernova 1987A: Es war ein historischer Glücksfall für die Astronomen, als am
23. Februar 1987 eine Supernova in der Großen Magellanschen Wolke, einer Satellitengalaxie der Milchstraße, in nur 170.000 Lichtjahren Entfernung explodierte. Mit
den Methoden der modernen astronomischen Beobachtung war es möglich, eine beispiellose Fülle von Daten in allen Wellenlängenbereichen des elektromagnetischen
Spektrums über die gesamte Entwicklung der Explosion bis heute zu sammeln.
• Hinweise auf Mischvorgänge in der Supernova 1987A: Röntgen- und Gammastrahlung aus radioaktiven Zerfällen wurde schon nach drei Monaten und nicht wie
vorher vermutet erst nach Jahren beobachtet (Abb.4.8). Dies lässt sich nur verstehen,
wenn die Zwiebelschalenstruktur des Vorläufersterns durch nichtradiale Instabilitäten
zerstört wird und großskalige Mischprozesse radioaktive Nuklide aus Regionen nahe
dem Neutronenstern, wo sie synthetisert werden, bis in die Wasserstoffhülle transportieren, wo die beim radioaktiven Zerfall entstehende Röntgen- und Gammastrahlung
aus dem Stern entweichen kann (Abb.4.9). Wären nämlich die radioaktive Nuklide
nicht nach außen gemischt worden, so hätte die Röntgen- und Gammastrahlung erst
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
98
Supernova 1987A
42
40
39
Ginga: Entdeckung
41
Ginga: kein Signal
Log Leuchtkraft [erg/s]
bolometrische Lichtkurve
GRAD
SMM
CIT
Mischgebiet
LM
40%
20%
10%
37
0
des
Stern−
radius
]
38
100
200
300
400
Tage seit der Explosion
500
Abbildung 4.8:
nach Jahren entweichen können, wenn die Sternhülle infolge der durch die Explosion
bewirkten Expansion genügend verdünnt worden wäre. Andere Beobachtungsergebnisse lassen sich nur verstehen, wenn umgekehrt Helium und Wasserstoff tief ins
Innere des explodierenden Sterns verfrachtet werden. Die hydrodynamischen Instabilitäten, die das Mischen bewirken, führen auch zu starken Inhomogenitäten in der
Explosionswolke. Dopplereffekte in den Spektren zeigen, daß Nickelklumpen mit bis
zu mehreren tausend Kilometern pro Sekunde expandieren. Diese Geschwindigkeiten
sind typisch für die Wasserstoffhülle des Sterns und damit viel höher als in sphärisch
symmetrischen Modellen für Nickel vorhergesagt.
• Hinweise auf Mischvorgänge in anderen Supernovae: Die anisotrope und geklumpte Verteilung der chemischen Elemente in der Explosionswolke scheint ein generisches Phänomen, für das es mittlerweile Evidenzen aus Lichtkurven und Spektren einer ganzen Reihe von Supernovae gibt. Auch Röntgenaufnahmen der diffusen,
gasförmigen Überreste von Supernovae zeigen derartige Inhomogenitäten. Besonders
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
Abbildung 4.9:
99
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
100
Abbildung 4.10:
eindrucksvoll sind die schnell fliegenden, dichten Fragmente auf Aufnahmen des Vela Überrests durch den Röntgensatelliten ROSAT, die den durch das zirkumstellare
Medium jagenden Supernovastoß bereits überholt haben und durch ihre überschallschnelle Bewegung Machkegel ausformen (Abb.4.10). Die Rekonstruktion ihrer Bewegungsrichtungen deutet auf einen gemeinsamen Ursprungsort nahe dem Zentrum
des Supernovaüberrests, so daß ihre Entstehung bereits zu Beginn der Sternexplosion
vermutet wird. Aufnahmen des Cassiopeia A Überrests durch das CHANDRA Röntgenobservatorium der NASA offenbaren räumlich getrennte Filamente, die dominante
Anteile von Eisen, Kalzium, Silizium oder Schwefel enthalten (Abb.4.5). Die eisenreichen Strukturen scheinen am äußeren Rand des Überrests zu liegen, was bedeuten
könnte, daß das Material, das in der Explosion am weitesten innen entstand, später
mit den höchsten Geschwindigkeiten expandierte. Ein solches Ergebnis steht im Widerspruch zu sphärisch symmetrischen Modellen, die das genaue Gegenteil erwarten
lassen.
• Stoßpropagation: Wenn der Supernovastoß durch den Stern nach außen rast, beschleunigt er in Schichten mit einem Dichtegradienten steiler als r−3 und wird abgebremst, wenn er Zonen mit flacherer Dichteschichtung durchläuft. Dadurch kommt
es nach dem Stoßdurchgang zum Aufbau von lokalen Dichtemaxima in der Nähe der
Grenzen zwischen Sternschichten unterschiedlicher chemischer Komposition, wo der
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
Abbildung 4.11:
101
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
102
Dichtegradient flacher ist (Abb.4.11). Stabilitätsanalysen zeigen (siehe weiter unten),
dass dort hohe Anwachsraten für Rayleigh–Taylor Instabilitäten zu erwarten sind.
Da die Energie der Stoßwelle in einer Gravitationskollapssupernova (Typ II, Ib, Ic)
viel größer ist als die gravitative Bindungsenergie der ausgeschleuderten Hüllenmaterie, ist die Gravitation für die Ausbreitung der Stoßwelle dynamisch irrelevant.
Ausserdem bestehen die Sternhüllen aus kompressiblem Gas, d.h. es sind Dichteund Druckgradienten vorhanden.
• Die obigen Überlegungen zur Rayleigh–Taylor Instabilität (Kap. 4.1.1) sind daher
nicht direkt auf Supernovae anwendbar. Trotzdem können auch in Supernovahüllen
Rayleigh–Taylor Instabilitäten auftreten. In diesem Fall wird die Rolle der Schwerebeschleunigung g vom negativen Druckgradienten übernommen
g =⇒ −
1 ∂p
,
ρ ∂r
und das (lokale) Instabilitätskriterium lautet: Supernovahüllen (i.A. kompressible Gase) sind Rayleigh–Taylor instabil, wenn die (lokale) Druckskalenhöhe P ≡
∂ ln p/∂r und die (lokale) Dichteskalenhöhe R ≡ ∂ ln ρ/∂r die Bedingung
1
R
<
P
γ
(4.4)
erfüllen, wobei γ der (lokale) Adiabatenindex des Gases ist. Diese Bedingung ist
immer erfüllt, wenn Druck- und Dichtegradient ein unterschiedliches Vorzeichen besitzen. Für die Anwachsrate der Instabilität gilt
σRT =
cs p 2
P − γPR ,
γ
wobei cs die (lokale) Schallgeschwindigkeit ist.
• Damit Rayleigh–Taylor Instabilitäten auch Konsequenzen für eine Supernovaexplo−1
sion haben, muss ihre Anwachszeitskala τRT ≡ σRT
offensichtlich kürzer als die hydrodynamische Zeitskala τhyd ≡ rsh /vsh sein. Hierbei sind rsh und vsh der Radius und
die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Stoßwelle.
• Simulationen: Mehrdimensionale hydrodynamische Simulationen bestätigen, daß
sich am Si/O-, (C+O)/He- und He/H-Übergang innerhalb weniger Minuten die
charakteristischen Rayleigh–Taylor Pilzstrukturen entwickeln und in die aneinander grenzenden Schichten einzudringen beginnen (Abb.4.12). Nachdem die Stoßfront
durch die Sternschichten mit vorwiegend Sauerstoff, Kohlenstoff und Helium nach
außen gerast ist, beginnen Rayleigh–Taylor Instabilitäten die Kompositionsgrenzen
zu zerfransen. Die radioaktiven Produkte der explosiven Nukleosynthese, ebenso wie
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
Abbildung 4.12:
103
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
104
Silizium und Sauerstoff des Vorläufersterns, werden über eine weiten Bereich von Radien und Geschwindigkeiten verteilt. Helium und Wasserstoff werden tief ins Innere
des explodierenden Sterns gemischt. Nickel findet sich schließlich hoch konzentriert in
schnell fliegenden Klumpen und Knoten entlang ausgedehnter Filamente aus verdichtetem Gas, die auch mit Sauerstoff, Kohlenstoff und Silizium angereichert sind. Die
schnellsten dieser Nickelklumpen bewegen sich mit Geschwindigkeiten von mehreren
tausend Kilometern pro Sekunde schneller als das umgebende Helium. Allerdings
gelang es mit diesen Simulationen nicht, das beobachtete Ausmaß des radialen Mischens und die gemessenen hohen Nickelgeschwindigkeiten zu reproduzieren. Um die
Beobachtungsdaten zu erklären, ist sehr wahrscheinlich bereits ein nicht–radialer Explosionsbeginn erforderlich, d.h. bereits bei der Entstehung der Stoßwelle müssen
merkliche Abweichungen von der Radialsymmetrie auftreten.
• Laser-Experimente: Seit wenigen Jahren ist es auch möglich, die Rayleigh–Taylor
Instabilitäten in Supernovahüllen im Labor durch den Einsatz extrem leistungsstarker
Laser zu untersuchen (Abb.4.13).
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
Abbildung 4.13:
105
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
4.2
106
Turbulentes Brennen in thermonuklearen Supernovae
Thermonukleare Supernovae: Nach der heute allgemein akzeptierten Vorstellung ist
eine Supernova vom Typ Ia die thermonukleare Explosion eines vorwiegend aus Kohlenstoff
und Sauerstoff bestehenden Weißen Zwerges, der sich in einem engen Doppelsternsystem
befindet und eine Masse nahe an der Chandrasekharmasse besitzt (d.h. deutlich oberhalb
der typischen Weißen Zwergmasse von 0.6 M ). Der Weiße Zwerg akkretiert Masse von dem
Begleitstern und heizt sich dabei langsam auf. Schließlich kommt es im Zentrum des Weißen
Zwergs zur Zündung des thermonuklearen Brennstoffs durch die Schwerionenreaktionen
12
C + 12 C (siehe z.B. Hillebrandt & Niemeyer, Ann. Rev. Astron. Astrophys. 38 (2000),
191).
• Die Ausbreitung des Brennens kann prinzipiell durch zwei verschiedene Typen
von Brennfronten erfolgen, die beide sowohl im Labor (als chemische Brennfornten)
als auch in der Astrophysik (als thermonukleare Brennfronten) auftreten können:
– Detonation: Der Brennstoff wird durch starke Kompression zur Zündung gebracht. Dies geschieht z.B. durch eine Stoßwelle, wobei die freigesetzte Energie
die Stoßwelle wiederum antreibt.
– Deflagration: Der Brennstoff zündet infolge von Wärmeleitung oder Wärmediffusion, wobei der Wärmestrom von der heißen Brennstoffasche herrührt.
• Für das Verständnis der Ausbreitung von Brennfronten spielen mehrere Zeitskalen
eine wichtige Rolle:
– Die Zündzeitskala gibt an in welcher Zeit sich die Temperatur des Brennstoffs
um einen Faktor e erhöht (e-folding time):
τT =
T
CV T
≈
.
dT /dt
dnuc /dt
(4.5)
Hierbei ist dnuc /dt die Energiefreisetzungsrate durch (Kern-) Reaktionen. Da
thermonukleare Reaktionen zwischen geladenen Teilchen sehr empfindlich von
der Höhe der zu durchtunnelnden Coulomb-Barriere abhängen, nimmt die Zündzeitskala sehr stark mit zunehmender Temperatur ab.
– Die Brennzeitskala gibt an in welcher Zeit sich die Menge des Brennstoffs um
einen Faktor e reduziert:
Xi
Yi
τi =
=
.
(4.6)
dXi /dt
dYi /dt
Hierbei sind Xi und Yi = Xi /Ai der Massenanteil bzw. der Molanteil der Atomsorte i mit dem Atomgewicht Ai .
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
107
– Die Schalllaufzeit gibt an in welcher Zeit in einem Gebiet der Größe δr ein
Druckausgleich stattfindet:
τhyd =
δr
.
cs
(4.7)
• Thermonukleare Detonationen findet man in der Astrophysik nur in entarteter Materie. In diesem Fall bewirkt die Temperaturerhöhung (infolge der Kernreaktionen) keine merkliche Druckerhöhung und damit keine Ausdehnung und Kühlung der Brennregion. Stattdessen steigt die Temperatur solange an, bis die Entartung aufgehoben
wird. Dann aber ist die Energieerzeugung bereits so hoch, dass hydrodynamische
Bewegungen zu langsam sind (τT < τhyd ), um eine Explosion zu verhindern.
Ist die resultierende Stoßwelle stark genug, um weiteren Brennstoff durch Stoßkompression über seine Zündtemperatur hinaus zu erhitzen, entsteht eine Detonationswelle, die aus einem Stoß und aus einer sich unmittelbar daran anschließenden Reaktionszone besteht, wo der Brennstoff verbrennt“ (τi > τT ).
”
• Betrachtet man (in nullter Näherung) thermonukleare Brennfronten als Diskontinuitäten in einer Strömung, so lassen sich ganz analog zum rein hydrodynamischen Fall (siehe Kap. 2.5) Sprungbedingungen aus den Erhaltungssätzen für Masse, Impuls und Energie ableiten, die die hydrodynamischen Größen erfüllen müssen
(siehe z.B. Courant & Friedrichs, 1948).
– Während die Sprungbedingungen (2.53), die aus der Massen- und Impulserhaltung folgen, unverändert auch für Brennfronten gelten, lautet die Bedingung für
die Energieerhaltung
1
1
(u1 − vD )2 + E1 + p1 τ1 = (u2 − vD )2 + E2 + p2 τ2 ,
(4.8)
2
2
wobei vD die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Brennfront ist. E ≡ ε̃ + B ist
die Summe aus innerer Energie (pro Masse) und der durch die thermonuklearen
(oder chemischen) Reaktionen freigesetzten Bindungsenergie (B < 0) pro Masse.
– Analog zu Stoßwellen (siehe 2.5) definiert man eine Hugoniot–Funktion für
das verbrannte Material
p + p1
H2 (τ, p) ≡ E2 (τ, p) − E2 (τ1 , p1 ) + (τ − τ1 )
.
(4.9)
2
Damit läßt sich die verallgemeinerte Hugoniot–Gleichung (4.8 nach Elimination der Geschwindigkeiten; siehe 2.61 bzw. 2.62 für die entsprechenden hydrodynamischen Beziehungen) in der Form
H2 (τ, p) = E1 (τ1 , p1 ) − E2 (τ1 , p1 )
(4.10)
schreiben (siehe z.B. Courant & Friedrichs 1948). Man beachte, dass für exotherme Reaktionen H2 > 0 gilt und dass E1 und E2 unterschiedliche Funktionen sind.
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
108
Abbildung 4.14: Hugoniot-Kurve für Detonationen und Deflagrationen (Beachte: V ≡ τ ≡
1/ρ)
– Nehmen wir an, das spezifische Volumen τ1 und der Druck p1 des unverbrannten
Gases seien gegeben, aber nicht die Geschwindigkeit vD der Brennfront. Dann
sind Druck und spezifisches Volumen des verbrannten Gases durch die Hugoniot–
Gleichung (4.10) für alle Reaktionen, die den drei Erhaltungssätzen genügen,
verknüpft. Allerdings gibt es wegen
p2 − p1
< 0,
(4.11)
τ2 − τ1
was aus (2.59) folgt, nicht für alle Werte von p und V , die (4.10) erfüllen,
auch einen entsprechenden Reaktionsprozess, der mit den drei Erhaltungssätzen
kompatibel ist.
Die Hugoniot–Kurve, d.h. der Graph aller Punkte in der (p, τ )–Ebene, die
(4.10) und (4.11) erfüllen, ist in Abb. 4.14 dargestellt. Sie besitzt zwei getrennte Zweige, die Detonations- (p2 > p1 und V2 < V1 ) und Deflagrations–Zweig
(p2 < p1 und V2 > V1 ) heißen. Die Existenz der beiden Zweige zeigt, dass die
Erhaltungssätze mit zwei verschiedenen Arten von Prozessen verträglich sind.
– Analog zum rein hydrodynamischen Fall bestimmt der Schnittpunkt von
Rayleigh–Gerade (2.59) und Hugoniot-Kurve (4.10) den Zustand direkt hinter
der Detonation (Deflagration). Allerdings muss man dazu erst eine Detonationsbzw. Deflagrations–Geschwindigkeit vorgeben, denn anders als bei Stößen, ist
die Geschwindigkeit der Diskontinuität nicht durch die Sprungbedingungen
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
109
festgelegt. Abhängig von der Detonations- bzw. Deflagrations–Geschwindigkeit
schneidet die Rayleigh–Gerade die Hugoniot–Kurve in 0, 1 oder 2 Punkten
(Abb. 4.14).
Existiert kein Schnittpunkt, gibt es keine Detonation (Deflagration) für die
vorgebene Detonations- bzw. Deflagrations–Geschwindigkeit. Im Falle von zwei
Schnittpunkten existieren zwei Lösungen, die starken und schwachen Detonationen (Deflagrationen).
– Starke Detonationen (schwache Deflagrationen) propagieren mit einer
Geschwindigkeit (relativ zur Strömungsgeschwindigkeit direkt hinter der Front),
die kleiner ist als die Schallgeschwindigkeit direkt hinter der Detonation (Deflagration). Daher können Störungen, die in der Strömung hinter der Front entstehen, die subsonisch propagierende Front erreichen. Die Lösung ist daher instabil.
– Schwache Detonationen (starke Deflagrationen) propagieren supersonisch relativ zur Strömung unmittelbar hinter der Front. Starke Deflagrationen
treten in der Natur nicht auf und schwache Detonationen werden allgemein als
unphysikalisch angesehen außer unter ganz bestimmten Bedingungen (siehe z.B.
Courant & Friedrichs 1948).
– Detonationen, die in der Natur auftreten, entsprechen fast immer dem Fall,
wo Rayleigh–Gerade und Hugoniot–Kurve genau einen Schnittpunkt besitzen.
Für diese Chapman–Jouguet–Detonation bzw. Deflagration ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit gleich der Summe aus Strömungsgeschwindigkeit und
Schallgeschwindgkeit (direkt hinter der Front).
• Die bisherigen einfachen Überlegungen zur Detonationsphysik basieren auf der impliziten Annahme, dass die Reaktionsraten unendlich schnell sind, d.h. dass die Front
keine Dicke besitzt (Diskontinuität). Eine etwas genauere Beschreibung von Detonationsfronten gibt das Zeldovich-von Neumann-Doering (ZND) Modell, in dem
man annimmt, dass eine Detonation aus einem unendlich dünnen Stoß besteht, an
den sich eine Reaktionszone endlicher Dicke anschließt.
• Wir betrachten nun zwei Raumpunkte in einem Weißen Zwerg mit einem endlichen
Temperaturgradienten. Da die Brennzeitskala am Raumpunkt mit der höheren Temperatur kürzer ist, wird der Brennstoff an diesem Punkt zuerst verbrennen, d.h. das
Brennen beginnt nicht überall simultan. Die unterschiedlichen Brennzeitskalen bewirken, dass sich die Grenze zwischen verbranntem und unverbranntem Material bewegt.
Ist die entsprechende Geschwindigkeit größer als die lokale Schallgeschwindigkeit,
verläuft das Brennen an verschiedenen Raumpunkten voneinander unbeeinflusst. Die
Phasengeschwindigkeit dieses sogenannten Spontanbrennens ist durch
Dsp =
dτi
dr
−1
(4.12)
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
110
gegeben. In C-O Weißen Zwergen hängt die Phasengeschwindigkeit extrem empfindlich von der Zündtemperatur ab (Dsp ∝ T α (dT /dr)−1 mit α ≈ 21 für die
12
9
C + 12 C Rate und 0.6 <
∼ T /10 K <
∼ 1.2). Im Falle einer isothermen Temperaturverteilung wird sie unendlich groß.
Ist der anfängliche Temperaturgradient in einem Gebiet des Weißen Zwergs klein
genug, wird die Phasengeschwindigkeit supersonisch, d.h. das entsprechende Gebiet
verbrennt komplett innerhalb einer Schalllaufzeit. Eine supersonische Expansion des
verbrannten Gebiets ist die Folge. Dies kann dann möglicherweise zur Detonation
eines großen Teils des Weißen Zwergs führen.
• Deflagrationen propagieren üblicherweise mit stark subsonischen Geschwindigkeiten.
Obwohl für dünne“ Deflagration dieselben Sprungbedingungen wie für Detonationen
”
gelten, hängt die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Deflagrationen endlicher Dicke
von der Effizienz des Wärmetransports ab. Ein weiterer wichtiger Unterschied zu
Detonationen ist, dass in einer Deflagration sowohl der Druck als auch die Dichte
direkt hinter der Front geringer sind als vor der Front und dass (relativ zur Front)
die Strömungsgeschwindigkeit zunimmt.
• Die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Deflagrationen kann nur grob geschätzt
werden (siehe z.B. Landau & Lifschitz, Bd. VI). Im einfachsten Fall einer laminaren
Front, die sich durch Strahlungsdiffusion oder Wärmeleitung ausbreitet, läßt sich die
Dicke der Deflagration abschätzen, in dem man die Diffusionszeitskala τdiff gleich der
Brennzeitskala τi setzt. Damit folgt für die Dicke der Front, d.h. die Diffusionslänge
p
(4.13)
δ ∼ λ c τi ,
wobei λ die mittlere freie Weglänge der Photonen oder Elektronen ist. Für die Geschwindigkeit der Deflagration gilt dann näherungsweise
vD ∼
p
δ
∼ λ c/τi .
τi
(4.14)
Für die 12 C + 12 C Reaktion findet man vD ≈ 30 km/s für ρ = 2×109 g cm−3 . Die Ausbreitungsgeschwindigkeit läßt sich auch numerisch bestimmen: Für ρ = 2×109 g cm−3
erhält man vD ≈ 50 km/s und für ρ = 5 × 108 g cm−3 ergibt sich vD ≈ 16 km/s. Die
Dicke der Brennfront beträgt in beiden Fällen ≈ 10−3 cm.
• Turbulentes thermonukleares Brennen: (siehe z.B. Hillebrandt & Niemeyer,
Ann. Rev. Astron. Astrophys. 38 (2000), 191).
In einer thermonuklearen Supernovaexplosion ist das Brennen wegen der starken
Temperaturabhängigkeit der 12 C + 12 C Rate auf eine mikroskopisch dünne Schicht
beschränkt, die sich entweder in Form einer konduktiven, subsonischen Deflagration
(Flamme) oder einer stoßgetriebenen, supersonischen Detonation ausbreitet (siehe
oben).
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
111
Beide Moden sind, wie eine lineare Stabilitätsanalyse zeigt, hydrodynamisch instabil.
Im nichtlinearen Bereich werden die Flammen entweder durch Ausbildung zellularer
Strukturen stabilisiert, oder sie werden turbulent. In beiden Fällen erhöht sich die
Brennrate (d.h. der Verbrauch an Brennstoff) infolge einer Vergrößerung der Fläche
der Brennfront.
In Simulationen thermonuklearer Supernovaexplosionen lassen sich weder Flamme
noch Detonation auflösen, da sich die kleinste (Frontdicke) und die größte (Radius
des Weißen Zwergs) relevante Längenskala um etwa einen Faktor 1010 unterscheiden.
Daher sind Modelle zur ihrer Beschreibung erforderlich.
– Mikroskopisch gesehen breitet sich das Brennen (im Falle einer Deflagration)
in Form einer Flamme aus, die verbogen und gestreckt durch die Turbulenz mit
der laminaren Diffusionsgeschwindigkeit (4.14) in Richtung der lokalen Flammennormalen propagiert.
– Die makroskopische Strömung, die wegen ihrer extrem geringen Viskosität
(Re 1) stark turbulent ist, wechselwirkt mit der Flamme auf allen Skalen bis
hinunter zur Kolmogorov–Skala, 1 wo Reibungseffekte wichtig werden.
– Die turbulente Energiekaskade wird durch Rayleigh–Taylor Instabilitäten
(infolge des Auftriebs heißer Asche“) und durch Kelvin–Helmholtz Instabi”
litäten (infolge von Scherströmungen) gespeist.
– Das Brennen ist daher über das ganze turbulente Gebiet verteilt ( flame brush“).
”
Die relevante minimale Längenskala lgibs heißt Gibson–Skala. Sie ist durch den
von der Turbulenz bedingten kleinsten Krümmungsradius der Flamme gegeben.
–
flamelet“–Regime: Gilt δ lgibs sind kleine Segmente der Flamme von der
”
großskaligen Turbulenz unbeeinflußt und verhalten sich wie ungestörte laminare
Flammen (Abb. 4.15).
–
distributed“–Regime: Gilt δ lgibs wird die Ausbreitung der Front durch
”
die Geschwindigkeit der turbulente Elemete bestimmt, d.h. die effektive Ausbreitungsgeschwindigkeit des Brennes ist unabhängig von der laminaren Brenngeschwindigkeit (Abb. 4.16).
• In den zentralen Bereichen eines explodierenden Weißen Zwergs (d.h. bei hohen Dichten) findet das thermonukleare Brennen im flamelet“–Regime statt (Abb. 4.17 und
”
4.18).
Mit zunehmendem Radius, d.h. mit abnehmender Dichte wird die durch den Weißen
Zwerg propagierende Flamme dicker und langsamer, sodass die Turbulenz die Flam1
Das berühmteste Skalierungsgesetz der Turbulenztheorie ist das Kolmogorov’sche Gesetz über die
Geschwindigkeitsfluktuationen einer turbulenten Kaskade. Demnach skaliert im Falle von isotroper, stationärer Turbulenz die mittlere Geschwindigkeit v eines Turbulenzelements der linearen Dimension l gemäß
v ∝ l1/3 (A.N. Kolmogorov, 1941 Dokl. Akad. Nauk. SSSR, 30, 299).
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
112
Abbildung 4.15: Thermonukleare Verbrennung im flamelet“–Regime. Die dünne gelbe
”
Linie markiert die verwinkelte und unzusammenhängende laminare Flamme, die Brennstoff
(rot) und Asche (blau) trennt. Die kleinsten Turbulenzelemente sind größer als die Dicke
der Flamme, sodass die Verbrennung in einem ausgedehnten Bereich hinter der Flamme
stattfindet.
Abbildung 4.16: Thermonukleare Verbrennung im distributed“–Regime. Die kleinsten
”
Turbulenzelemente sind kleiner als die Dicke der Flamme, sodass die Turbulenzelemente in die Flamme (gelb, grün und hellblau) eindringen, die nicht mehr wohl definiert ist.
Die Verbrennung findet innerhalb der Turbulenzelemente statt und turbulenter Energietransport ist effektiver als der durch Wärmeleitung oder Strahlungsdiffusion.
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
113
menstruktur zu beeinflussen beginnt und das thermonukleare Brennen schließlich im
distributed“–Regime stattfindet.
”
• Die Modellierung dieses Brennregimes einer thermonuklearen Supernova ist bisher
noch nicht gelungen, da in diesem Fall weder das Kernbrennen noch das turbulente
Mischen durch einfache Rezepte beschreibbar ist.
Man verwendet stattdessen phänomenologische Modelle, die beim Erreichen
des distributed“–Regimes aufgrund von Laborexperimenten und von theoretischen
”
Überlegungen einen Übergang von einer Deflagration zu einer Detonation postulieren. Diese sogenannten delayed detonation“–Modelle ermöglichen die Nukleosyn”
7
3
these mittelschwerer Elemente (Si, S, Ca) in den äußeren Schichten (ρ <
∼ 10 g/cm )
des explodierenden Weißen Zwergs, da sich der Weiße Zwerg wegen der subsonisch
propagierenden Deflagration bereits ausdehnen konnte, bevor seine Außenschichten
detonieren (eine thermonukleare Detonation bei höheren Dichten produziert nur Elemente der Eisengruppe, d.h. Fe, Co und Ni). Die resultierenden Expansionsgeschwindigkeiten der mittelschweren Elemente stimmen gut mit Beobachtungsdaten überein.
z [cm]
z [cm]
2.0•107
1.5•107
1.0•107
5.0•106
0
1.4•108
1.2•108
1.0•108
8.0•107
6.0•107
4.0•107
2.0•107
0
1.0•107
r [cm]
1.5•107
2.0•107
Model c3_2d_256, t=0.00s, ρc= 2.90e+09g/cm3
5.0•106
Model c3_2d_256, t=0.70s, ρc= 3.34e+08g/cm3
0
0
2.0•107 4.0•107 6.0•107 8.0•107 1.0•108 1.2•108 1.4•108
r [cm]
4.96e+08cm/s
z [cm]
z [cm]
114
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
4.0•107
3.0•107
2.0•107
1.0•107
2.0•107
r [cm]
3.0•107
4.0•107
Model c3_2d_256, t=0.30s, ρc= 1.75e+09g/cm3
1.0•107
1.0•108
1.5•108
r [cm]
2.0•108
2.5•108
3.0•108
Model c3_2d_256, t=1.00s, ρc= 6.77e+07g/cm3
0
0
2.29e+08cm/s
3.0•108
2.5•108
2.0•108
1.5•108
1.0•108
5.0•107
0
0
5.0•107
6.42e+08cm/s
Abbildung 4.17: 2D Simulation der zeitlichen Entwicklung der Geometrie einer thermonuklearen Brennfront in einem Weißen Zwerg (Reinecke etal. 2002, Astron. Astrophys. 386,
936).
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
t=0.0s
t=0.3s
t=0.6s
115
t=0.15s
t=0.45s
t=0.79s
Abbildung 4.18: 3D Simulation der zeitlichen Entwicklung der Geometrie einer thermonuklearen Brennfront in einem Weißen Zwerg (Reinecke etal. 2002, Astron. Astrophys. 386,
936).
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
4.3
4.3.1
116
Relativistische Jets und Gammablitze
Beobachtungen
Im Jahre 1918 photographierte H.D. Curtis die elliptische Riesengalaxie M87. Dabei fiel
ihm ein merkwürdiger gerader Strahl“ auf, der “scheinbar mit dem Zentralgebiet der
”
Galaxie durch eine schmale Materiebrücke verbunden war“. Dies war die Entdeckung der
sogenannten extragalaktischen Jets.
Heutzutage kennt man mehrere hundert solcher extragalaktischen Jets. Die meisten dieser Jets sind durch Radiobeobachtungen entdeckt worden, da sie anscheinend gigantische
Energiemengen aus den Zentren von Radiogalaxien und Quasaren bis zu 106 Lichtjahre
weit in den intergalaktischen Raum transportieren und dort sehr ausgedehnte Raumgebiete, die sogenannten radio lobes“, mit Energie versorgen, die als nicht-thermische
”
Radiostrahlung (Synchrotronstrahlung) zu uns auf die Erde gelangt (Abb. 4.19).
Die pro Sekunde im Radiobereich abgestrahlte Energie, die von den Jets zu den radio
”
lobes“ transportiert werden muss, ist enorm (Leuchtkraft der Sonne: 4 1033 erg/s):
Lradio = 1044 erg/s . . . 1047 erg/s
Die Maschine“, die diese gigantischen Energiemengen erzeugt, ist ein Schwarzes Loch
”
im Zentrum der Galaxie (Masse der Sonne: 2 1033 g):
Mbh = 106 M . . . 109 M
Dieses Schwarze Loch verschlingt wie ein riesiger Staubsauger interstellares Gas und Sterne,
die durch Gezeitenkräfte zerrissen werden, wenn sie in den Bann seiner Gravitationskraft
geraten. Da die in das Schwarze Loch stürzende Materie im allgemeinen einen Drehimpuls
besitzt, kann sie nicht radial ins Schwarze Loch fallen, sondern sammelt sich zunächst in
einer das Schwarz Loch umkreisenden Akkretionsscheibe an. Durch Reibung verliert die
in der Scheibe vorhandene Materie langsam ihren Drehimpuls und kann dadurch weiter
nach innen rutschen“. In der Scheibe findet also ein ständiger Materiestrom Richtung
”
Schwarzes Loch statt, wobei im Falle eines stationären Gleichgewichts die am inneren
Rand der Scheibe im Schwarzen Loch verschwindende Materie am äußeren Rand durch
neu akkretiertes Gas ersetzt wird. Die Scheibe hat eine Ausdehnung vergleichbar mit der
unseres Sonnensystems.
Die bei der Akkretion freiwerdende Energie wird in einem bisher noch nicht im einzelnen
verstandenen Prozess, der sehr wahrscheinlich Magnetfelder involviert, dazu verwendet,
einen sehr kleinen Teil der akkretierten Materie in Form zweier kollimierter Materiestrahlen
senkrecht zur Akkretionscheibenebene, d.h. in Richtung der Rotationsachse des Schwarzen
Lochs auszuschleudern. Dieses Doppelauspuff–Modell wurde 1974 von Blandford & Rees
vorgeschlagen (Mon. Not. Roy. Astron. Soc., 169, 395-415). Zur Deckung des beobachteten
Energiebedarfs der Radioquellen muss das Schwarze Loch bis zu einige Sonnenmassen
Materie pro Jahr akkretieren:
dM
≈ 0.01M /Jahr . . . 10M /Jahr .
dt acc
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
117
Abbildung 4.19: Die Radioemission (farbcodiert) in der Umgebung der Radiogalaxie 3C219
zeigt zwei ausgedehnte Emissionsgebiete, die sich fast 106 Lichtjahre weit in den intergalaktischen Raum erstrecken. Man vermutet, dass die abgestrahlte Energie in der zentralen
Galaxie (blauer Punkt in der Ausschnittsvergrößerung) produziert wird und von dort durch
die beiden Jets (schmale orangefarbene Strukturen) zu den Emissionsgebieten transportiert
wird. (Very Large Array, VLA, des National Radio Astronomy Observatory, NRAO, in Socorro, New Mexico (http://www.cv.nrao.edu/~abridle/images.html).
Beobachtet man extragalaktische Jets mit Hilfe interferometrischer Methoden, die eine
sehr genaue Winkelauflösung der Radioquellen ermöglichen, so zeigt es sich, dass die Jets
bis zu einem Abstand von wenigen Lichtjahren an das Zentrum der Radiogalaxien heranreichen, was sich zwanglos mit dem obigen Modell der Jeterzeugung vereinbaren läßt.
Die Beobachtungen zeigen weiterhin, dass extragalaktische Jets sehr gut kollimiert sind.
Die Öffnungswinkel betragen nur wenige Grad, d.h. die Jets verbreitern sich kaum, obwohl sie sich vom Zentrum einer Galaxie über mehrere hunderttausend Lichtjahre in den
intergalaktischen Raum hinaus erstrecken können (Abb. 4.19).
Bis zu Abständen von einigen 102 Lichtjahren vom Zentrum hat man eine Materiebewegung in extragalaktischen Jets direkt nachweisen können. Außer der anfangs erwähnten
Radiogalaxie M87 gibt es jedoch keine andere Radioquelle, wo man einen direkten Beweis
für eine Strömung bei Abständen größer als einige tausend Lichtjahre gefunden hat. Dennoch geht man allgemein davon aus, dass die beobachtete Kontinuität der extragalaktischen
Jets von kleinen (wenige Lichtjahre) zu großen Skalen (hunderttausende von Lichtjahren),
einen kollimierten, kontinuierlichen Strom von Materie erfordert.
Jets hat man auch in der Umgebung junger Sterne (proto–stellare Jets) und in galaktischen Röntgen–Doppelsternsystemen beobachtet, in denen einer der beiden Sterne ein
Neutronenstern oder ein stellares Schwarzes Loch ist (stellare Jets). Das bekannteste galaktische Binärsystem mit Jets trägt den Namen SS433 (Abb. 4.20). Es wurde gegen Ende
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
118
Abbildung 4.20: Röntgen–Doppelsternsystem SS433
der siebziger Jahre entdeckt und besitzt zwei stellare Jets, die sich in entgegengesetzter
Richtung mit 0.26c ausbreiten. Noch wesentlich relativistischere Ausbreitungsgeschwindigkeiten hat man in zwei vor wenigen Jahren entdeckten galaktischen Röntgenquellen
gefunden, die sehr wahrscheinlich Doppelsternsysteme sind, die ein Schwarzes Loch enthalten. In beiden Quellen ist die gemessene scheinbare Ausbreitungsgeschwindigkeit der
Jets größer als die Lichtgeschwindigkeit! Dieses Phänomen, das man allgemein als superluminale Ausbreitung bezeichnet, wird auch in vielen extragalaktischen Jets in nicht allzu
großen Abständen (d < 103 Lj) von der zentralen Quelle beobachtet und steht keineswegs
im Widerspruch zur Einsteinschen Relativitätstheorie, die die Ausbreitungsgeschwindigkeit
von Licht im Vakuum als die maximale Geschwindigkeit postuliert.
Superluminale Bewegung läßt sich nämlich ohne exotische Physik“ erklären. Betrach”
ten wir dazu eine Strahlungsquelle, die sich mit fast Lichtgeschwindigkeit nahezu entlang
der Sichtlinie Beobachter-Quelle auf den Beobachter zu bewegt. Der zeitliche Abstand von
Ereignissen in der Quelle (z.B. die in extragalaktischen Quellen beobachtete Emission von
radio blobs“) erscheint einem entfernten Beobachter verkürzt, falls die Bewegung fast ge”
nau in seine Richtung erfolgt, da die Quelle hinter ihrer eigenen Strahlung herjagt“. Ein
”
verkürztes Zeitintervall entspricht aber einer scheinbar größeren Geschwindigkeit. Daher
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
119
Source
Θ
v = β.c
vT
Observer
Abbildung 4.21:
kann die auf die Himmelskugel projizierte Geschwindigkeitskomponente (nur diese können
wir als Ausbreitung beobachten) die Lichtgeschwindigkeit scheinbar übersteigen. Für die
erwähnten radio blobs“ hat man scheinbare Geschwindigkeiten bis zu 10c gemessen.
”
• Für eine Quelle, die sich mit der Geschwindigkeit v = βc unter einem Winkel Θ (relativ zur Sichtlinie) auf einen Beobachter zubewegt (Abb. 4.21), misst der Beobachter
eine transversale Geschwindigkeit
βobs ≡
β sin Θ
vobs
=
.
c
1 − β cos Θ
(4.15)
Dies folgt aus der Lorentztransformation der Geschwindigkeit. Die beobachtete transversale Geschwindigkeit
ist maximal, wenn cos Θ = β und beträgt βobs,max = W β,
p
2
wobei W = 1/ 1 − β der Lorentzfaktor ist. Aus (4.15) folgt:
βobs,max > 1
falls
1
β>√
2
Neueste Messungen zeigen weiterhin, dass in einigen Quellen die Ausbreitungsgeschwindigkeit extragalaktischer relativistischer Jets mit der Entfernung vom Zentrum signifikant
abnimmt. Diese Abbremsung anfänglich stark relativistischer Jets läßt eine zunehmende
Anzahl von Astrophysikern vermuten, dass alle extragalaktischen Jets, zumindest in der
Nähe der Quelle, relativistische Ausbreitungsgeschwindigkeiten besitzen.
4.3.2
Simulationen
Zum Verständnis der Morphologie von Jets betrachten wir zunächst ein eindimensionales Jet–Analogon, genauer gesagt ein Stoßrohr mit folgenden Anfangsbedingungen
(Abb. 4.22):
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
120
t=0
v
ρ
p
x
decelerated,
compressed beam
material






beam
gas
t>0
shocked
ambient medium



v
unperturbed
ambient
medium



(at rest)
ρ
p
x
reflected shock
contact
discontinuity
Abbildung 4.22:
shock (bow shock)
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
121
Ungestörtes äußeres Medium
Trennfläche
Jet/Umgebungsmaterie
Stoßgeheiztes Gas
Rückfluß
Kontaktunstetigkeit
Strahl
Heißer Fleck
Innere Stöße
Turbulenz
Wirbel
Mach-Scheibe
Bugstoßwelle
Abbildung 4.23: Morphologie eines Überschalljets
pL
ρL
uL
=
=
=
1.0 pR
0.1 ρR
40.8 uR
=
=
=
1.0
1.0
0
Das weniger dichte Gas im linken Zustand bewegt sich mit Überschallgeschwindigkeit
nach rechts, während das dichtere Gas im rechten Zustand ruht. Dies entspricht genau
der Situation auf der Symmetrieachse eines leichten druck–angepassten Jets, der in ein
ruhendes dichteres Umgebungsmedium hineinpropagiert.
Der Anfangszustand zerfällt in 3 Wellen (Abb. 4.22): Einen Stoß und eine Kontaktunstetigkeit, die sich beide nach rechts bewegen, sowie in einen reflektierten Stoß, der
relativ zur Kontaktunstetigkeit nach links (aber insgesamt nach rechts) propagiert. Das
Umgebungsgas wird beim Durchgang durch den vorderen Stoß komprimiert, geheizt und
auf eine endliche Geschwindigkeit beschleunigt. Das Gas des linken Anfangszustands wird
beim Durchgang durch den reflektierten Stoß auf die Geschwindigkeit des stoßgeheizten
Umgebungsgases abgebremst und so komprimiert, dass sein Druck den des stoßgeheizten
Umgebungsgases erreicht. Die Kontaktunstetigkeit trennt das sehr dichte stoßkomprimierte
Umgebungsgas von dem abgebremsten, weniger dichten Gas des linken Anfangszustands.
Die eben beschriebenen Strömungsmerkmale des eindimensionalen Jet–Analogons findet man in mehrdimensionalen, axialsymmetrischen Jets in der Nähe der Jetachse wieder. Hydrodynamische Simulationen zeigen, dass solche mehrdimensionalen (axialsymmetrische) supersonische Jets folgende morphologischen Merkmale aufweisen (Abb. 4.23 und
4.24).
• Sie besitzen einen supersonischen Strahl mit nahezu konstantem Durchmesser, der
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
122
Abbildung 4.24: Hauptmerkmale eines simulierten überschalljets
sich periodisch geringfügig ausdehnt und zusammenzieht. Diese Oszillationen verursachen eine Reihe von schrägen Stoßwellen innerhalb des Strahls, die die Strömung
kollimieren (Abb. 4.25).
Die Überschallströmung im Strahl endet am Kopf des Jets in einer Stoßkonfiguration,
die man Machscheibe nennt. Sie verursacht eine abrupte und starke Abbremsung
des Gases im Strahl auf Unterschallgeschwindigkeit. Die Bewegungsenergie des Gases
wird dabei in Wärme umgewandelt, was einen heißen Fleck“ am Kopf des Jets
”
verursacht. Außerdem bewirkt die Dissipation der Bewegungsenergie eine Erhöhung
des Drucks im abgebremsten Gas des Strahls.
• Das erhitzte Gas dehnt sich senkrecht zur Ausbreitungsrichtung des Jets aus und
strömt anschließend am Rande des Strahls zurück. Dieser Gasrückfluß erzeugt einen
turbulenten Kokon, der den Strahl umschließt.
• Wie ein mit Überschallgeschwindigkeit fliegendes Flugzeug, verursacht auch der überschallschnelle Strahl einen Überschallknall, die sogenannte Bugstoßwelle, in der das
Umgebungsmedium komprimiert und erhitzt wird. Zwischen der Bugstoßwelle und
dem Kokon gibt es schließlich noch eine Grenzfläche, die hydrodynamisch instabil ist
und die das stoßgeheizte Umgebungsgas vom dem Gas des Jets trennt.
Die dynamischen Eigenschaften, sowie einige morphologische Eigenschaften, insbesondere die Dicke des Kokons, Newtonscher, druck-angepasster Jets (Druck im Jet gleich
dem Druck des Umgebungsgases) hängen von nur zwei Parametern ab,
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
123
vni
vnf
vi
vt
vf
incident shock
reflected shock
stream line
reflecting boundary
centered
rarefaction
incident
shock
reflected
shock
stream line
plane rarefaction
reflecting boundary
Abbildung 4.25:
• der Machzahl des Jets (Verhältnis von Strahlgeschwindigkeit zur Schallgeschwindigkeit im Jet) und
• dem Verhältnis der Gasdichte im Strahl zu der Dichte in der Umgebung, in die der
Jet hineinpropagiert.
Zur vollständigen Charakterisierung relativistischer Jets ist darüberhinaus noch ein weiterer Parameter erforderlich.
• Im Falle eines homogenen Umgebungsmediums und bei gegebener Zustandsgleichung
ist das eindimensionale Jet–Anfangswertproblem, und damit die Strömung, durch 6
Größen (ρb , vb , pb ; ρm , vm , pm ), sowie durch die Wahl einer Längen- oder Zeit–Skala,
bzw. durch die Wahl des Bezugssystems definiert.
In der Astrophysik ist es üblich die hydrodynamischen Gleichungen
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
Newtonsch
relativistisch
∂ρ
∂t
∂D
∂t
+
∂Dv
∂x
∂S
∂t
+
∂Sv
∂x
∂T
∂t
+
∂(S−Dv)
∂x
+
∂ρv
∂x
=0
∂ρv
∂t
+
∂ρvv
∂x
∂E
∂t
+
∂[(E+p)v]
∂x
+
∂p
∂x
=0
=0
D ≡ ρW
=0
+
∂p
∂x
124
= 0 S ≡ ρh/c2 W 2 v
=0
T ≡ ρhW 2 − p − Dc2
in dimensionsloser Form zu lösen, d.h. die 3 Erhaltungsgleichungen für Masse, Impuls und Energie werden so skaliert, dass sie nur dimensionslose Größen enthalten
(Norman et al. Astron. & Astrophys., 1982, 113, 285) .
Als Einheiten für Länge, Geschwindigkeit und Dichte wählt man im Newtonschen
den Jet(strahl)radius Rb , die Schallgeschwindigkeit cm und die Dichte ρm des Umgebungsmediumes. Damit ist die Einheit für die Zeit durch Rb /cm und für den Druck
bzw. für die Energiedichte durch ρm c2m gegeben.
Länge
Geschwindigkeit
Dichte
Zeit
Druck
Energie
Newtonsch
x = ξRb
v = ucm
ρ = σρm
t = τ Rb /cm
p = πρm c2m
E = ρm c2m
relativistisch
x = ξRb
v = uc (!)
ρ = σρm
t = τ Rb /c
p = πρm c2
E = ρm c2
Nach Festlegung des Bezugsystems, in dem man z.B. das Umgebungsmedium als
ruhend annimmt (vm = 0), ist die Strömung durch 3 dimensionslose Parameter
vollständig bestimmt, nämlich durch das
– Dichteverhältnis
ρb
η≡
,
ρm
– das Druckverhältnis
pb
K≡
,
pm
– und durch die Strahlgeschwindigkeit vb bzw. die Machzahl des Jets
r
vb
η vb
M ab ≡
=
,
cb
K cm
(4.16)
(4.17)
(4.18)
wobei cb die Schallgeschwindigkeit des Strahlgases ist. Man beachte, dass die Machzahl als dritter Parameter verwendet wird, da vm = 0 gewählt wurde.
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
125
• Parameteranzahl für relativistische Jets:
Im relativistischen Fall existiert eine maximale Geschwindigkeit, nämlich die Vakuumlichtgeschwindigkeit c. Daher lassen sich relativistische Strömungen nicht mehr
separat im Raum und in der Zeit skalieren, denn beide Skalen sind durch die endliche Lichtgeschwindigkeit miteinander verknüpft. Daher ist neben η, K und Mb ein
weiterer Parameter erforderlich, um eine relativistische Strömung vollständig zu charakterisieren.
Dies kommt daher, dass Jets in zweifacher Hinsicht relativistisch sein können, nämlich
dadurch, dass ihre gerichtete Bewegungsenergie (kinetische Energie; W 1) oder
ihre ungeordnete Bewegungsenergie (Wärmenergie; h 1) groß ist im Vergleich
zur Ruhe–Energie des Gases im Jet. Ist das letztere der Fall, so bezeichnet man
sie als heiße“ relativistische Jets, und sonst als kalte“ oder stark supersonische
”
”
relativistische Jets.
Im allgemeinen verwendet man die Strahlgeschwindigkeit vb als zusätzlichen vierten
Jetparameter.
Mittels einer einfachen analytischen Abschätzung kann man eine obere Grenze für die
Ausbreitungsgeschwindigkeit Newtonscher Jets erhalten. Dazu nimmt man an, dass
sich der Jet ballistisch ausbreitet, d.h. seine Geschwindigkeit durch die Impulserhaltung
zwischen Jetmaterie und aufgesammelter Umgebungsmaterie bestimmt ist. In dieser ballistischen Näherung hängt die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Jets nur vom Dichteverhältnis ab:
•
Leichte“ Jets, bei denen die Dichte des Gases im Strahl viel geringer als die des
”
Umgebungsmediums ist, propagieren sehr ineffizient, d.h. ihre Ausbreitungsgeschwindigkeit beträgt nur einen Bruchteil der Gasgeschwindigkeit im Strahl.
•
Schwere“ Jets, die wesentlich dichter sind als das Umgebungsmaterial, propagieren
”
dagegen in der ballistischen Näherung mit einer Geschwindigkeit vergleichbar der
Gasgeschwindigkeit im Strahl.
Hydrodynamische Simulationen bestätigen, dass dichte Newtonsche Jets am effizientesten propagieren, wobei allerdings die Effizienz maximal 80% des ballistisch abgeschätzen
Wertes beträgt. Leichte“ Jets mit kleiner Machzahl sind wesentlich ineffizienter und er”
reichen in den Simulationen nur etwa 40% des ballistischen Schätzwertes.
Für relativistische Jets kann man ebenfalls einen ballistischen Schätzwert analytisch
ableiten. Dabei muss man berücksichtigen, dass die Wucht mit der sich der Jet in das
Umgebungsmaterial hineinbohrt, nicht nur durch die relativistische Gasgeschwindigkeit im
Strahl, sondern auch durch seine eventuell vorhandene relativistische thermische Energie
(Wärme) bestimmt wird. Beide Effekte erhöhen die Trägheit und damit die Wucht des Jets.
Folglich liegt der relativistische Schätzwert immer über dem entsprechenden Newtonschen
Wert. Während nur schwere“ Newtonsche Jets sich nahezu ballistisch ausbreiten, findet
”
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
126
man im relativistischen Fall hohe Ausbreitungseffizienzen sowohl für Jets mit ultrarelativistischen Gasgeschwindigkeiten im Strahl als auch für extrem heiße“ Jets.
”
Zur Ableitung des ballistischen Schätzwerts wählt man ein Bezugssystem (’), in dem
die Arbeitsfläche des Jets (die Machscheibe) ruht. Dann folgt aus der Impulserhaltung
0
ρb vb‘2 = ρm vm2
Wechselt man nun in das Bezugssystem des ruhenden äußeren Mediums (vm = 0), relativ
zu dem sich die Arbeitsfläche des Jets mit der Geschwindigkeit Vj bewegt, so gilt
vb0 = vb − Vj
und
0
vm
= vm − Vj .
Daraus folgt dann
ρb (vb − Vj )2 = ρm Vj2
und damit der gesuchte Schätzwert
√
Vj =
η
√ Vb .
1+ η
(4.19)
Der ballistische Schätzwert für die Ausbreitungsgeschwindigkeit eines relativistischen Jets
√
Vj =
η∗
√ Vb
1 + η∗
(4.20)
hat die gleiche Form wie für Newtonsche Jets, wenn man den Dichteparameter η durch den
entsprechenden relativistischen Parameter
η∗ = η
hb
W2
hm b
(4.21)
ersetzt, der aus η durch Multiplikation mit zwei relativistischen Faktoren, einem thermodynamischen und einem kinematischen Faktor, hervorgeht. Diese Faktoren machen relativistische Jets “schwerer” als ihr Newtonsche Gegenstücke.
Wie im Newtonschen Fall hängt die Dicke des Kokons relativistischer Jets von der
Machzahl des Strahls ab.
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
127
Abbildung 4.26: Morphologie eines heißen“ relativistischen Jets, der einen strukturlosen,
”
nahezu nackten“ Strahl besitzt. Das obere Bild zeigt die Ruhemassendichte und das untere
”
Bild den Druck (beide in logarithmischer Skala). Die Maximalwerte sind weiß codiert und
zunehmend kleinere Werte sind in grün, hellblau, dunkelblau, rot und schwarz gehalten.
Abbildung 4.27: Wie Abb. 4.26, jedoch für einen stark supersonischen relativistischen Jets,
der einen ausgeprägten, turbulenten Kokon besitzt.
KAPITEL 4. ANWENDUNGEN AUS DER ASTROPHYSIK
128
• Relativistische Jets, in denen die Machzahl im Strahl klein ist (d.h. heiße“ Jets, da
”
die Machzahl mit zunehmender Schallgeschwindigkeit, bzw. Druck, bzw. Wärmeenergie abnimmt), sind durch einen nahezu strukturlosen Strahl gekennzeichnet, der von
einem dünnen Kokon umgeben ist. Sie weisen auch nur einen sehr geringen oder auch
gar keinen Rückfluss auf. Die Strukturlosigkeit des Strahls erklärt sich aus der Tatsache, dass der Strahl heißer“ Jets im Druckgleichgewicht mit seinem Kokon ist. Ein
”
typischer heißer“ Jet ist in Abb. 4.26 dargestellt. Der gezeigte Jet hat eine (Strahl-)
”
Machzahl von 1.72 und eine Strahlgeschwindigekit von 99% der Lichtgeschwindigkeit.
Die Dichte des Gases im Jet beträgt 1% der Dichte des Umgebungsmediums. Die Simulation ergibt eine Ausbreitungsgeschwindigkeit von 86% der Lichtgeschwindigkeit.
• Relativistische Jets mit einer großen (Strahl-) Machzahl, also stark supersonische
Jets, besitzen einen stärkeren Rückfluss und einen ausgeprägteren, turbulenten Kokon. Ihr Strahl ist durch eine komplexe Struktur aus Stoßwellen gekennzeichnet, die
von dem großen Druckunterschied zwischen Strahl und Kokon, sowie von Störungen
des Strahls durch Wirbel im Kokon verursacht wird. Ein typischer supersonischer relativistischer Jet ist in Abb. 4.27 gezeigt. Strahlgeschwindigkeit und Dichteverhältnis
des Jets sind identisch mit denen des vorher diskutierten heißen“ Jets, aber seine
”
(Strahl-) Machzahl ist 6 und die Ausbreitungsgeschwindigkeit beträgt nur 37% der
Lichtgeschwindigkeit.
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