Die Finanz und Wirtschaftskrise

Werbung
DIE FINANZ- UND
WIRTSCHAFTSKRISE
Zahlungsbilanzhilfe, EU-Rettungsschirm für die
Eurozone und Finanzmarktregulierung
Impressum:
März 2012
Wirtschaftskammer Österreich
Stabsabteilung EU-Koordination
1045 Wien, Wiedner Hauptstraße 63
T: 05 90 900-4315
W: http://wko.at/eu | E: [email protected]
Für den Inhalt verantwortlich: MMag. Christian Mandl
Autoren: Dr. Ulrike Hassmann-Vorbach, LLM.Eur.
Mag. Marlene Gündler
Redaktion: EU-Öffentlichkeitsarbeit
 2012 Wirtschaftskammer Österreich
Inhalt nach bestem Gewissen aber ohne Gewähr
EU TOP THEMA
Inhalt
1. EINLEITUNG ........................................................................................................1
2. URSACHEN UND FOLGEN DER KRISE............................................................................1
2.1.
IMMOBILIEN- UND BANKENKRISE IN DEN USA ...................................................................1
2.2.
WIRTSCHAFTSKRISE ............................................................................................1
2.3.
OSTEUROPA: REZESSION UND ZAHLUNGSBILANZHILFE ..........................................................2
2.4.
STAATEN- UND SCHULDENKRISE IM EURORAUM .................................................................3
3. EU-HILFEN ..........................................................................................................3
3.1.
ERSTES GRIECHENLAND-HILFSPAKET ...........................................................................3
3.2.
TEMPORÄRER EURO-SCHUTZSCHIRM EFSM UND EFSF .........................................................4
3.3.
DAUERHAFTER EURO-SCHUTZSCHIRM (ESM) VORGEZOGEN AB MITTE 2012....................................8
4. DIE EINZELNEN LÄNDER UND IHRE KRISEN .................................................................. 10
4.1.
GRIECHENLAND .............................................................................................. 10
4.2.
IRLAND ...................................................................................................... 14
4.3.
PORTUGAL................................................................................................... 15
4.4.
ITALIEN, SPANIEN UND ZYPERN – WEITERE SORGENKINDER DER EUROZONE? .................................. 16
5. LEGISTISCHE BEGLEITMASSNAHMEN ......................................................................... 17
5.1.
WIRTSCHAFTSPOLITISCHE STEUERUNG DER EU ............................................................... 17
5.2.
DIE STRATEGIE EU-2020 UND DAS EUROPÄISCHE SEMESTER ................................................. 19
5.3.
DIE NEUEN FINANZMARKTAUFSICHTSBEHÖRDEN .............................................................. 20
5.4.
NEUE STRUKTUR FÜR DIE EURO-GRUPPE..................................................................... 22
5.5.
EUROSTAT - VERBESSERUNG DER QUALITÄT GEMELDETER DATEN .......................................... 23
5.6.
BANKENSTEUERN............................................................................................. 23
5.7.
BANKEN-/VERSICHERUNGSSTRESSTESTS...................................................................... 24
6. FRAGEN UND ANTWORTEN .................................................................................... 25
6.1.
WARUM WURDE GRIECHENLAND ÜBERHAUPT IN DIE WÄHRUNGSUNION AUFGENOMMEN? ...................... 25
6.2.
WIE WAHRSCHEINLICH IST ES, DASS GRIECHENLAND DAS GELD NICHT ZURÜCKZAHLEN KANN? ................. 25
6.3.
WARUM WIRD GRIECHENLAND NICHT IN DEN STAATSBANKROTT GESCHICKT? .................................. 25
6.4.
WARUM SOLL DER ÖSTERREICHISCHE STEUERZAHLER FÜR ANDERE EURO-LÄNDER WIE GRIECHENLAND
EINSPRINGEN? ......................................................................................................... 25
6.5.
WAS PASSIERT, WENN DER EURO AN WERT VERLIERT? ....................................................... 26
6.6.
WAS WÜRDE PASSIEREN WENN EIN LAND AUS DEM EURO-RAUM AUSTRETEN WÜRDE? WELCHE KONSEQUENZEN
HÄTTE EINE TEILUNG DES EURO-RAUMS („NORD-EURO“ – „SÜD-EURO“)? ........................................... 26
6.7.
WELCHE FOLGEN HÄTTE ES, WENN ÖSTERREICH DEN SCHILLING WIEDER EINFÜHREN WÜRDE? ................ 26
6.8.
WIE HAT ÖSTERREICH VOM EURO PROFITIERT? ............................................................... 27
6.9.
WIE WÄRE ES UNS IN DEN LETZEN JAHREN MIT DEM SCHILLING ERGANGEN? ................................... 28
6.10. WIE GEHT ES DER SCHWEIZ MIT IHREM „HARTEN“ FRANKEN?................................................. 29
6.11. IST DER AUSTRITT AUS DER EURO-ZONE ÜBERHAUPT RECHTLICH MÖGLICH? .................................. 29
6.12. WIE VIEL ZAHLT ÖSTERREICH WANN AN GRIECHENLAND? ..................................................... 30
7. ANHANG: INFORMATIONSLINKS RUND UM DIE EU UND DIE AKTUELLE WIRTSCHAFTS- UND
WÄHRUNGSSITUATION ......................................................................................... 31
EU TOP THEMA
1. EINLEITUNG
Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise, die 2007 in den USA ihren Ausgang nahm, hat auch
vor den Toren Europas nicht halt gemacht und mit voller Wucht die EU-Mitgliedstaaten erfasst. Nach
einer Talfahrt an den Börsen, Kreditverknappung und fallenden Immobilienpreisen führte die Krise
zu einem dramatischen Rückgang der Wirtschaftsleistung, zu höheren Staatsausgaben, die wiederum
zu einer hohen Verschuldung vieler EU-Mitgliedstaaten und schlussendlich 2010 zu einer
Destabilisierung des Vertrauens in einzelne Euroländer.
Ohne den schützenden Schirm der EU und insbesondere der Währungsunion wären die einzelnen
Mitgliedstaaten wohl nicht mit einem blauen Auge davongekommen. Europa erholt sich zwar
langsam von der Krise, aber die Staatsschulden sind in einzelnen EU-Staaten bedrohlich angestiegen.
Die ins Wanken geratenen Staaten zeigen ihren Willen, die teils sehr drastischen Reformen auch
tatsächlich umzusetzen; die Schulden abzubauen erweist sich aber als große Herausforderung.
Das folgende Top-Thema versucht einen Überblick über die wichtigsten Maßnahmen zur
Stabilisierung der angeschlagenen Euro-Mitgliedstaaten und der gemeinsamen Währung zu geben.
2. URSACHEN UND FOLGEN DER KRISE
2.1.
Immobilien- und Bankenkrise in den USA
Die ursprünglich vom US-Immobilienmarkt ausgehende Immobilienkrise (Subprime Krise) wurde vor
allem durch gestiegene Zinsen ausgelöst. Viele US-Hausbesitzer konnten ihre Kredite nicht mehr
bedienen und mussten verkaufen oder zwangsversteigern. Der Häusermarkt brach ein; die mit
Immobilien besicherten Kredite konnten nicht zurückbezahlt werden; die abgeleiteten
Finanzprodukte verloren an Wert. Die Finanzkrise brachte einen Vertrauensverlust in den gesamten
Finanzmarkt mit sich. Viele Banken und Fonds blieben auf ihren Produkten sitzen und mussten ihre
Wertpapiere abschreiben, da die Anleger nicht mehr investierten und auch die Banken sich
gegenseitig nicht mehr vertrauten. Aufgrund der Vertrauenskrise wurde dem Markt kein frisches
Geld mehr zugeführt. Höhepunkt war der Zusammenbruch der US-Bank Lehmann Brothers im
September 2008.
Von Amerika ausgehend gerieten weltweit zahlreiche Finanzinstitute, aber auch Staaten in
Schwierigkeiten (z.B. Island musste vom IWF vor der Staatspleite gerettet werden); einige standen
vor dem Zusammenbruch. Viele Regierungen, auch Österreich, mussten ihre nationalen Institute
stützen und Schutzschirme aufspannen. Die meisten Banken konnten schlussendlich durch
Garantiezusagen und Kapitalzuschüsse gerettet werden. Die Folge war aber, dass sich das Vertrauen
in die Finanzmärkte und den Bankensektor weiter abschwächte. Bis heute konnte man sich von der
Krise nicht vollständig erholen.
2.2.
Wirtschaftskrise
Auch die Preise auf den Rohstoff- und Energiemärkten gingen stark zurück, Banken zögerten bei der
Kreditvergabe. Gleichzeitig kam es zu einem Einbruch der Realwirtschaft. Die Finanzkrise führte
schließlich zur größten globalen Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg. Viele große Volkswirtschaften rutschten in die Rezession, Aktienmärkte brachen ein.
In Europa manifestierte sich die Krise zum einen in manchen Ländern als Immobilienkrise mit stark
sinkenden Immobilienpreisen (Großbritannien, Spanien, Portugal). Zum anderen mussten beinahe
alle europäischen Länder ihren Finanzinstituten und Versicherungen nach hohen Verlusten oder
1
EU TOP THEMA
Insolvenzgefahr unter die Arme greifen. Exportorientierte Länder wie Österreich mussten enorme
Exportrückgänge (2009 rund minus 20%!) hinnehmen. In der Industrie kam es zu Absatzeinbrüchen
von bis zu 20% im EU-Durchschnitt. Damit stieg auch die Arbeitslosigkeit in der EU 2009 auf 23 Mio.
an.
2.3.
Osteuropa: Rezession und Zahlungsbilanzhilfe
Besonders hart getroffen hat die Wirtschafts- und Finanzkrise Osteuropa. Begünstigt durch einen
umfangreichen Liberalisierungs- und Deregulierungsprozess entwickelten sich in einigen
osteuropäischen Ländern spekulative Blasen. Zusätzlich haben die hohe Abhängigkeit von
Fremdwährungskrediten (besonders im Privatsektor), der dramatische wirtschaftliche Abschwung
und der massive Rückgang an ausländischen Direktinvestitionen die Situation in Osteuropa weiter
verschärft.
Hinzu kommt, dass einige westeuropäische Banken ihr Geld aus Osteuropa abzogen. Die
osteuropäische Zahlungsbilanzkrise zwang einige Länder zur Abwertung ihrer Währungen, mit der
sich in der Folge die reale Last der Auslandsverschuldung erhöhte. Obwohl die meisten Länder nicht
Teil der Währungsunion sind, betreffen die dortigen Zahlungsbilanzschwierigkeiten auch den
Euroraum. Die geschwächten Euroaspiranten mussten daher mit Rettungsaktionen gestützt werden.
Ungarn suchte als erstes Land IWF, Weltbank und EU um Unterstützung an. Lettland und Rumänien
folgten.
Generell waren jene osteuropäischen Länder, die ihre Währung fix an den Euro gebunden haben,
stärker von der Krise betroffen. So konnten sich etwa Polen oder Tschechien mit
Währungsabwertungen zu mindestens vorübergehende Verschnaufpausen verschaffen. Polen
schaffte es durch eine starke Binnenkonjunktur selbst im Krisenjahr 2009 ein positives
Wirtschaftswachstum zu erzielen - als einziges der 27 EU-Mitgliedstaaten!
Die EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen, den angeschlagenen neuen EU-Mitgliedstaaten
Zahlungsbilanzhilfen zur Verfügung zu stellen. Im Zeitraum zwischen 2008 und 2009 wurde die
Zahlungsbilanzhilfe sogar von ursprünglich 12 Mrd. Euro zuerst auf 25 Mrd. Euro und später auf 50
Mrd. Euro vervierfacht. In Kooperation mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank
und der EU-Kommission wurden Hilfspakete für geschwächte EU-Mitgliedstaaten erarbeitet. Die
Zahlungsbilanzhilfen kommen nicht direkt aus dem EU-Budget, sondern sind Gelder, die von der EU
auf den Kapitalmärkten zu günstigen Konditionen aufgenommen und über die Europäische
Investitionsbank ausbezahlt werden. Es handelt sich dabei um Darlehen zur Finanzierung des
Zahlungsbilanzdefizites. Bezugsberechtigt sind alle zehn Nicht-Euro-Länder der EU, da diese
wesentlich stärker gegen Währungsspekulationen zu kämpfen haben.
Besonders aus österreichischer Sicht war die Zahlungsbilanzhilfe für Osteuropa von großer
Wichtigkeit. Österreichische Banken waren mit insgesamt 300 Mrd. Euro in Osteuropa engagiert.
Viele heimische Unternehmer haben in die Region investiert. Und Österreichs Außenhandel ist unter
den EU 15 am stärksten in der Region Osteuropa vertreten.
Aufgrund des hohen Kreditvolumens österreichischer Banken in Osteuropa sprach ein USNobelpreisträger im April 2009 von einem drohenden Staatsbankrott Österreichs. Der Effekt waren
stark steigende (Versicherungs-)Zinsen für österreichische Staatsanleihen. Erst durch die Ausweitung
der Zahlungsbilanzhilfe der EU sanken die Zinsen wieder auf „Normalniveau“. Die EU-Maßnahme
bzw. generell die Mitgliedschaft in der Eurozone ersparte Österreich hohe Zinsen und
Refinanzierungskosten von jährlich rund 1 Mrd. Euro! (siehe auch Punkt 6.8).
2
EU TOP THEMA
2.4.
Staaten- und Schuldenkrise im Euroraum
Nachdem die starke Verschuldung in Verbindung mit zu wenig Kapital zunächst die Banken und dann
ganze Volkswirtschaften in die Krise gebracht hat, kamen schlussendlich die Staaten selbst ins
Wanken. Einige Staaten haben jahrzehntelang über ihre Verhältnisse gelebt. Es wurde viel mehr
Geld ausgegeben als eingenommen und die Schulden stiegen somit stetig an. Im Zuge der
weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise explodierten aufgrund von Konjunktur- und
Bankenrettungspaketen, sinkenden Steuereinnahmen und steigenden Sozialausgaben die Schulden.
In einigen Ländern wurden damit die Zinslasten bedrohlich für die weiteren Wachstumsaussichten.
Durch die zusätzlichen Kosten, die die Krise verursachte, stellte sich immer mehr die Frage, ob die
Staaten ihre Schuldenlasten überhaupt schultern können. Island und die Ukraine als auch die EUMitgliedstaaten Lettland und Ungarn mussten durch bilaterale Hilfe und Kredite durch den IWF oder
durch die EU-Zahlungsbilanzhilfe aufgefangen werden.
3. EU-HILFEN
3.1.
Erstes Griechenland-Hilfspaket
Als erstes Euroland musste sich Griechenland geschlagen geben. Nachdem die Zinsen für zehnjährige
griechische Staatsanleihen im April 2010 auf über 8,5% angestiegen waren, musste die griechische
Regierung vor dem Druck der Finanzmärkte kapitulieren und um ausländische Finanzhilfe ersuchen mit dem Ziel, eine Staatsinsolvenz abzuwenden.
Die Finanzminister der Eurozone erklärten sich zu Finanzhilfen für das hoch verschuldete
Griechenland bereit und einigten sich schließlich am 2. Mai 2010 auf ein 110 Mrd. Euro schweres
erstes Hilfspaket. Von dem Darlehensrahmen, der dem Land für die folgenden drei Jahre gewährt
wurde bzw. wird, entfallen 80 Mrd. Euro auf bilaterale Kredite der Euro-Staaten und 30 Mrd. Euro
auf den IWF. (Wegen Nichtbeteiligung der Slowakei und späterem Wegfall von Zahlungen der unter
den Euro-Rettungsschirm geschlüpften Länder Irland und Portugal hat sich das Hilfspaket um 2,7
Mrd. auf 107,3 Mrd. Euro nachträglich verringert.)
3
EU TOP THEMA
4
Die Lastenteilung unter den Euro-Partnern erfolgt gemäß dem Kapitalschlüssel der Europäischen
Zentralbank. Die Beiträge sind kein Geschenk an die Republik Griechenland, sondern (Not-) Kredite,
die bei einer Laufzeit von bis zu fünf Jahren mit etwa 4,5% variabel verzinst wurden. (Im Rahmen
des zweiten Rettungspakets wurde die Verzinsung für bereits gewährte Hilfskredite jedoch auf 1,5
Prozentpunkte oberhalb des Euribor gesenkt.) Das Darlehen wurde und wird - je nach Fortschritt der
Umsetzung der Sparmaßnahmen und Reformen in Griechenland – in Tranchen ausbezahlt. Bis Anfang
2012 wurden in sechs Tranchen 73 Mrd. Euro an Athen aus diesem Paket ausbezahlt (52,9 Mrd. von
Eurozone und 20,1 Mrd. vom IWF). Damit würden noch 34,4 Mrd. Euro übrigbleiben (24,4 Mrd.
Eurozone und knapp 10,0 Mrd. vom IWF).
Die Bereitstellung der Kredithilfen ist an strikte Bedingungen geknüpft, Rückzahlung und Verzinsung
müssen unter Einhaltung harter Auflagen gewährleistet werden. Nur bei Erfüllung sämtlicher
Auflagen werden die zugesagten Mittel auch tatsächlich ausbezahlt. Die Umsetzung des griechischen
Sparprogramms wird von der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und
dem IWF (sog. „Troika“) überprüft.
Der österreichische Beitrag beträgt 2,29 Mrd. Euro. Gesetzliche Grundlage für die Auszahlung des
Geldes in Österreich ist das Zahlungsbilanzstabilisierungsgesetz, dem der Nationalrat am 20. Mai
2010 zustimmte. Die Höhe der Kredite, die Österreich anderen Staaten maximal gewähren darf,
wurde damit von 2 auf 2,3 Mrd. Euro aufgestockt.
Weil aber diese Hilfsgelder für Griechenland nicht die erwünschte Beruhigung an den Finanzmärkten
herbeiführten und noch andere Staaten des Euroraumes von ihren wirtschaftlichen Kennzahlen her
im Verdacht standen, bald Finanzhilfe in Anspruch nehmen zu müssen, wurde nach einer
weitergehenden Lösung für den gesamten Euroraum gesucht.
3.2.
Temporärer Euro-Schutzschirm EFSM und EFSF
Der Kurs der europäischen Gemeinschaftswährung und die Börsen in Europa gerieten im Zuge der
griechischen Schuldenkrise zunehmend unter Druck. Nach einem Kursverfall des Euro gegenüber
dem Dollar im Frühjahr 2010 um 20% wurde die Stabilisierung des Euro zum vordringlichen Anliegen.
Der Euro erreichte zeitweise ein Tief von 1,19 US-Dollar, was allerdings immer noch in der Mitte des
Rekordtiefs von 0,89 und dem Rekordhoch von rund 1,60 im Jahr 2008 liegt.
Die große Herausforderung war es daher, das Vertrauen in Europa und den europäischen
Finanzmarkt wieder zu stärken. Bei einem Krisengipfel der EU-Finanzminister gemeinsam mit EUKommission und Vertretern der EZB am 9. Mai 2010 konnte eine Einigung auf ein insgesamt 750 Mrd.
Euro umfassendes Rettungspaket für den Euroraum erzielt werden. Der Großteil des Geldes wird in
Form von Garantien zur Verfügung gestellt. Das Rettungspaket dient vor allem dazu, die Märkte zu
beruhigen und Spekulationen auf den Staatsbankrott von EU-Mitgliedsländern entgegenzusteuern.
Der IWF stellt 250 Mrd. Euro und die EU 500 Mrd. Euro für den Notfalltopf zur Verfügung. Konkret
kommen 60 Mrd. Euro, die sofort verfügbar sind, aus dem EU-Gemeinschaftsbudget und werden von
der EU-Kommission verwaltet (EFSM, „European Financial Stabilisation Mechanism“). Hier
beteiligen sich alle 27 EU-Mitgliedstaaten. Zur Mittelbeschaffung begibt die EU-Kommission
Anleihen, die mit dem EU-Haushalt besichert sind.
EU-Stabilitätsmechanismus EFSM (aus dem EU-Budget)
EU-Stabilitätsfazilität EFSF (bilaterale Garantien)
IWF-Programme
Temporärer EU/IWF-Rettungsschirm GESAMT
60 Mrd. €
440 Mrd. €
250 Mrd. €
750 Mrd. €
EU TOP THEMA
Bis Anfang 2012 hat der EFSM 15,6 Mrd. Euro an Portugal und 15,4 Mrd. Euro an Irland ausbezahlt,
insgesamt 31 Mrd. Euro. Die gesamten Verpflichtungen belaufen sich auf 26 Mrd. für Portugal und
22,5 Mrd. für Irland - gesamt 48,5 Mrd. Euro. Ausgehend von den Verpflichtungen verbleiben im
EFSM damit 11,5 Mrd. Euro. Grundsätzlich ist der EFSM - er gilt nicht nur für die 17 Euro-Länder,
sondern kann allen EU-Staaten in Schwierigkeiten helfen - befristet, doch wurde noch nicht
entschieden, ob und wann er ausläuft.
Die „European Financial Stability Facility, EFSF“ ist eine nach Luxemburger Recht gegründete
Zweckgesellschaft - mit den 17 Eurostaaten als Gesellschaftern -, die bis zu 440 Mrd. Euro
bereitstellen kann. Die EFSF ist bewusst keine EU-Institution, da es der Art. 125 AEU-Vertrag
verbietet, dass ein EU-Land für die Verbindlichkeiten eines anderen einsteht (no-bail-out-clause).
Bei Bedarf, d.h. sollte sich ein Euroland in einer finanziellen Notlage befinden, vergibt die EFSF
Anleihen, die von den Mitgliedern der Eurozone besichert sind. Die Haftungen kommen natürlich nur
im Falle einer drohenden Staatsinsolvenz zum Tragen. Die Mitglieder der Eurozone beteiligen sich
nach dem Kapitalzeichnungsschlüssel der EZB an diesem System. Nach diesem Schlüssel müsste
Österreich maximal 12,5 Mrd. Euro garantieren.
Sollten andere Euroländer ihren Verpflichtungen nicht nachkommen können, so könnte sich die
österreichische Haftung im schlimmsten Fall auf rund 15 Mrd. Euro erhöhen. Hintergrund ist, dass
jeder Gesellschafter der European Financial Stability Facility sich verpflichtet, seine Haftung um bis
zu 20% zu erhöhen, sollten andere EFSF Gesellschafter ausfallen. Diese Klausel soll der EFSF ein
erstklassiges Ranking und günstige Finanzierungskonditionen sichern.
Der Euro-Schutzschirm EFSF wurde geschaffen für den Fall, dass weitere Mitglieder der Eurozone
vergleichbare Hilfspakete wie Griechenland beantragen müssen. Als erstes Euroland beantragte
Irland und dann später Portugal unter diesem Regime Finanzhilfe (Auch das 2. GriechenlandRettungspaket über 130 Mrd. Euro, das im März beschlossen wurde, wird über die EFSF laufen).
Das Paket zur Stabilisierung der Gemeinschaftswährung zeigte in den ersten Tagen seines Bestehens
erste Wirkungen: Finanzmärkte und Euro-Kurs reagierten sofort positiv auf den Schutzschirm für
überschuldete Euro-Länder. Am 7. Juni 2010 segneten die Euro- Finanzminister bei ihrem Treffen in
Luxemburg den 750 Mrd. Euro schweren temporären EU-/IWF-Rettungsschirm endgültig ab.
Der österreichische Nationalrat verabschiedete am 19. Mai 2010 die notwendigen Gesetzesänderungen. Im Parlament wurde ein zusätzlicher Haftungsrahmen von 15 Mrd. Euro für den EUInterventions-fonds geschaffen. Für den österreichischen Anteil am Euro-Stabilisierungs-Paket
musste aber kein zusätzliches Geld in die Hand genommen werden, weil die Haftungen aus dem
seinerzeitigen österreichischen Bankenpaket nicht ausgeschöpft wurden. Der Haftungsrahmen für
österreichische Banken („Interbankmarktstabilisierungsgesetz“) wird von 65 auf 50 Mrd. Euro sinken.
Parallel zu den Maßnahmen des Europäischen Rates begann auch das Euro-System, also die EZB,
Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Staaten (GR, IRL, P) auf dem Sekundärmarkt zu kaufen. Sie
tat dies, um die Staatsanleihenmärkte dieser Länder wieder zum Funktionieren zu bringen. Art. 123
AEU-Vertrag verbietet nur den unmittelbaren Erwerb von mitgliedsstaatlichen Schuldtiteln durch die
Zentralbanken, nicht jedoch den Erwerb von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt, wie er im
Rahmen dieses Ankaufsprogramms durchgeführt wurde.
Nachdem jedoch die Kreditwürdigkeit nur bei einem Teil der garantiegebenden Mitgliedstaaten mit
einem AAA bewertet war, musste die EFSF im Zuge ihrer Errichtung mit zusätzlichen Sicherheiten
ausgestattet werden, damit sie ihrerseits ein AAA erhielt. Gleichzeitig hatte sich dadurch allerdings
(beim gegebenen Haftungsvolumen von 440 Mrd. Euro) die Kreditvergabekapazität der EFSF auf rund
220-250 Mrd. Euro verringert. Darunter hat allerdings wiederum die Glaubwürdigkeit des
Instruments gelitten, und die Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes haben sich
5
EU TOP THEMA
6
daher bei ihrem Treffen am 11. März 2011 verpflichtet, dass die ursprünglich geplante effektive
Kreditvergabekapazität von 440 Mrd. Euro jedenfalls hergestellt werden müsse.
Beim Treffen der Euro-Gruppe am 20. Juni 2011 wurde nun der
Haftungsrahmen der EFSF auf knapp 780 Mrd. Euro erhöht, um so
die effektive Vergabekapazität von 440 Mrd. Euro zu erreichen.
Die entsprechenden Anpassungen wurden dem Europäischen Rat
am 24. Juni 2011 zur Kenntnis gebracht.
Österreich hat Ende September 2011 der Erweiterung im
Nationalrat zugestimmt. Damit wurde die Haftungsverpflichtung
Österreichs von 12,2 auf 21,6 Mrd. Euro angehoben. Dazu kommen
noch Kosten und Zinsen, die sich nach aktueller Schätzung auf bis
zu 7,1 Mrd. Euro belaufen könnten, in Summe also 28,7 Mrd. Euro,
für die Österreich gerade steht. Zum Vergleich: Deutschland
haftet für einen Anteil von 211 Mrd. Euro.
Die erweiterte EFSF musste, um ihre neuen Instrumente
einsetzen zu können, in allen 17 Euro-Ländern von den nationalen
Parlamenten gebilligt werden. Alle Euro-Staaten haben die
Erhöhung des Rettungsschirms ratifiziert – auch die Slowakei am
13.10. 2011 als letztes Euro-Land. Vor allem aus innenpolitischen
Gründen war dort die Zustimmung am seidenen Faden gehangen und erst im zweiten Anlauf
zustande gekommen, nachdem die Regierungschefin Neuwahlen versprochen hatte.
Bei ihrem Gipfel am 21. Juli 2011 haben die Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder
beschlossen, dass die EFSF unter strikten Bedingungen Staatsanleihen am Kapitalmarkt aufkaufen
kann und Ländern vor Ausbruch einer schlimmen Schuldenkrise mit Krediten unter die Arme greifen
kann.
Anders als bisher darf die EFSF künftig auch Kredite am Primärmarkt, also direkt von Staaten kaufen
- genauso wie der ab Mitte 2012 geplante permanente Rettungsschirm ESM. Mit diesem neuen
Instrument können die Rettungsschirme eine Art Starthilfe leisten, wenn sie sich an einer neuen
Anleihe-Ausgabe eines Landes beteiligen, das an die Kapitalmärkte zurückkehrt.
Nachdem auch immer wieder von einer Ausweitung der Schuldenkrise auf Länder wie Italien und
Spanien die Rede ist und deren Rettung mit dem derzeitigen Haftungsrahmen der EFSF nicht möglich
wäre, wurde von vielen Seiten eine weitere Erhöhung des Rettungsschirms gefordert. Außerdem
wurde immer klarer, dass die Situation in Griechenland ohne Schuldenschnitt nicht bewältigt
werden kann. Deshalb wurde in vielen Krisentreffen der Euro-Finanzminister und schließlich beim
EU-Gipfeltreffen und Gipfel der Eurozone am 26.10.2011 folgende Maßnahmen beschlossen:
 Der Schutzschirm EFSF soll mit einem „Hebel“ ausgestattet werden, um seine Schlagkraft zu
stärken, ohne dass die Haftungssumme weiter erhöht werden wird. Im Gespräch ist eine
Kombination aus einer Teilabsicherung von Staatsanleihen durch die EFSF und Kreditlinien des
IWF. Zudem arbeiten die Euro-Länder an einem zweiten Modell in Form von Sondertöpfen
(Special Purpose Vehicles) zum Aufkauf von Staatsanleihen. In der Folge spielte der Hebel
allerdings keine weitere Rolle.
 Die EFSF wird in Zukunft eine Rolle bei der Rekapitalisierung der Banken spielen; sie soll
Staaten in bestimmten Fällen Geld für die Unterstützung von Banken leihen. Systemrelevante
Banken müssen bis 30. Juni 2012 eine deutlich höhere Kern-Eigenkapitalquote als bisher
aufweisen, Zielwert ist 9% (Kerneigenkapital im Sinne von Basel III + Staatshilfen). Die
EU TOP THEMA
österreichische Finanzmarkaufsicht verschärfte die Erfordernisse für die in Osteuropa tätigen
Banken auf 10% und beschränkte die Kreditvergabe auf 110% der Einlagen. Ziel ist die
Absicherung gegen die Folgen eines Schuldenschnitts bei Griechenland und möglicher weiterer
Turbulenzen auf den Finanzmärkten. Dafür brauchen die Banken nach ersten Angaben der
Europäischen Bankenaufsicht (EBA) rund 106 Mrd. Euro. Auf österreichische Institute entfallen
2,9 Mrd. € Kapitalbedarf.
Die Banken sollen das erforderliche Kapital zunächst selbst bzw. mit privaten Mitteln (z.B. über
Kapitalmarkt) aufstellen, und erst in zweiter Linie durch Staatshilfen. Bis zur Erreichung des
Ziels unterliegen die Banken Ausschüttungsbeschränkungen bei Dividenden und Bonuszahlungen.
Die Wirkungen auf die „Realwirtschaft“ bei dem Kapitalaufbau werden mit dem Ziel der
Verhinderung einer Kreditklemme beobachtet.
Die EFSF mit einer Gesamthöhe von 440 Mrd. Euro hat bis Anfang 2012 9,6 Mrd. an Portugal und 10,6
Mrd. an Irland vergeben - in Summe wurden damit 20,2 Mrd. ausbezahlt. Die Verpflichtungen für
Irland liegen bei 17,7 Mrd. und für Portugal bei 26 Mrd. - miteinander 43,7 Mrd. Euro. Da das zweite
Griechenland-Rettungspaket über den EFSF laufen soll, würde dies die Ausleihsumme dieses
Hilfsinstruments auf 231,9 Mrd. Euro schmälern (440 Mrd. minus 164,4 Mrd. aus dem zweiten
Griechenland-Paket minus 43,7 Mrd. eingegangener EFSF-Zahlungsverpflichtungen an Portugal und
Irland).
Nachdem Anfang 2012 neben Österreich und Frankreich mehrere Euro-Länder herabgestuft wurden,
hat auch die EFSF das AAA-Rating verloren und wurde mit AA+ bewertet.
7
EU TOP THEMA
3.3.
8
Dauerhafter Euro-Schutzschirm (ESM) vorgezogen ab Mitte 2012
In den Monaten nach dem ersten Griechenland-Hilfspaket setzte sich allerdings die Krise im EuroRaum fort; weitere Staaten wie Irland und in der Folge Portugal waren betroffen. Daher vermehrten
sich die Forderungen, nach dem Auslaufen des provisorischen Rettungsschirms EFSF einen generellen
Mechanismus für Krisenfälle zu etablieren.
Ursprünglich ab 1. Juli 2013, jetzt jedoch schon ab 1.7.2012 soll der Euro-Schutzschirm European
Stability Mechanism (ESM) eine permanente Einrichtung (ein internationales Finanzierungsinstitut
– IFI) werden und die Aufgabe der EFSF und des EFSM übernehmen. Bereits für EFSF ausgestellte
Garantien werden aller Voraussicht nach weiterhin von der EFSF abgewickelt. Der ESM soll
voraussichtlich ein Jahr parallel mit der EFSF laufen.
Zudem – und dabei handelt es sich um eine grundlegende Reform der Währungsunion – sollen
private Gläubiger (Investoren, Banken) von Fall zu Fall an den Kosten von Rettungspaketen beteiligt
werden. Damit werden künftig nicht nur Staaten und die Steuerzahler zur Kasse gebeten, wenn ein
Staat in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Es soll aber keinen Automatismus bei der Beteiligung
Privater geben. Die Fall-zu-Fall-Beurteilung ermöglicht, die jeweilige Situation der Länder zu
berücksichtigen, da jede finanzielle Krise unterschiedlich gelagert ist. Zwei Szenarien sind
vorgesehen: Bei einem Zahlungsengpass werden die Banken dazu aufgefordert, ihre Anleihen am
betreffenden Staat zu halten. Droht allerdings eine Insolvenz, werden die privaten Gläubiger am
Umschuldungsverfahren beteiligt. Durch diese Beteiligung will man Spekulationen künftig in Grenzen
halten.
Nachdem verschiedene Vorschläge wie die Einführung gemeinsamer Staatsanleihen der EU-Staaten,
sogenannter Eurobonds, oder die Einrichtung einer Staateninsolvenzordnung von verschiedenen
Mitgliedstaaten abgelehnt worden waren, wurde auf dem Gipfel des Europäischen Rates am 16./17.
Dezember 2010 beschlossen, Art. 136 AEU-Vertrag um einen Absatz zu erweitern, der die
dauerhafte Einrichtung eines Stabilisierungsmechanismus ermöglicht. Diese Vertragsänderung muss
nun von den EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden.
Die Ausgestaltung des European Stability Mechanism ESM wurde am 21. März 2011 von den
Finanzministern der Euro-Gruppe beschlossen und am 24. März 2011 von den Staats- und
Regierungschefs beim Europäischen Rat bestätigt. Der entsprechende völkerrechtliche ESM-Vertrag
wurde am 11. Juli 2011 von den Euro-Ländern unterzeichnet.
Dabei wird ein neuer dauerhafter EU-Rettungsfonds
eingerichtet, in den die Euro-Mitgliedstaaten (anders als in
die EFSF) 80 Mrd. Euro als Grundkapital einzahlen. Die
Einzahlung soll über einen Zeitraum von fünf Jahren
erfolgen, wobei im Raum steht, dass im Jahr 2012 bereits
eine Einzahlung der ersten 2 Tranchen erfolgen soll.
Außerdem kann der Fonds eigene Anleihen bis zur Höhe
von 620 Mrd. Euro ausgeben, für die Euro-Länder bürgen.
Davon übernimmt Deutschland den Löwenanteil der
Garantien von 168,3 Mrd. Euro, Österreich zahlt direkt 2,2
Mrd. ein und übernimmt Garantien von 17,3 Mrd. Euro.
Der ESM kann Kredite in einer Gesamthöhe von 500 Mrd.
Euro vergeben. Ob diese Summe ausreichend ist, soll Ende
März 2012 überprüft werden. Die "kumulierte Kapazität"
(also die 500 Mrd. ESM plus nach bisheriger Rechnung
EU TOP THEMA
übriggebliebene Gelder aus dem EFSF in Höhe von 239,1 Mrd.) würde insgesamt 731,9 Mrd.
betragen.
Um die Schlagkraft des ESM zu erhöhen, wurde der ursprüngliche ESM-Vertrag geändert und sein
Inkrafttreten auf Juli 2012 vorgezogen und am 2. Feb. 2012 von den Euro-Ländern erneut
unterzeichnet.
Die Kredite des ESM sollen Euro-Mitgliedstaaten in Notsituationen zur Verfügung gestellt werden,
sofern die Finanzminister der Euro-Gruppe das einstimmig beschließen und es für das Land keine
andere Möglichkeit zur Refinanzierung gibt. Neuerdings kann in Fällen, in denen eine dringende
Entscheidung notwendig ist, Beschlüsse mit einer qualifizierten Mehrheit von 85% der Stimmen
angenommen werden. Darüber hinaus wird ab März 2013 die Vergabe von Finanzhilfen aus dem ESM
von der Ratifizierung des neuen Fiskalpaktes (siehe S 19) und Umsetzung der darin festgelegten
Schuldenbremse abhängig gemacht.
Entsprechend dem Modell des IWF soll der Zinssatz jeweils um einen Prozentpunkt, ab dem dritten
Jahr um zwei Prozentpunkte über den Refinanzierungskosten des ESM liegen. Der ESM soll dabei
gegenüber anderen Gläubigern einen Vorzugsstatus erhalten, der lediglich dem IWF untergeordnet
ist.
Der ESM wird über mehrere Finanzhilfeinstrumente verfügen: neben Krediten an seine Mitglieder,
kann der ESM vorsorglichen finanziellen Beistand gewähren, Anleihen von seinen Mitgliedern direkt
oder indirekt (über Sekundärmarkt) ankaufen und Darlehen für die Rekapitalisierung von Banken zur
Verfügung stellen.
Da der ESM als internationale Finanzinstitution gegründet wird, sollen die Zahlungen der Staaten
nicht die Defizit- und Schuldenstatistik erhöhen, die für die Haushaltskontrolle des Stabilitäts- und
Wachstumspakts maßgeblich ist.
Eine weitere Neuerung ist, dass Staatsanleihen der Mitgliedstaaten ab Juli 2012 grundsätzlich eine
Regelung beinhalten sollen, durch die in Notsituationen unter bestimmten Bedingungen auch
private Gläubiger an Verlusten beteiligt werden können.
Dafür findet eine Schuldentragfähigkeitsanalyse von Europäischer Kommission und IWF statt.
Sofern diese zu dem Ergebnis kommt, dass die Schuldenlast des Landes nicht dauerhaft tragfähig ist,
kommt es zu einem Restrukturierungsplan, bei dem ein Teil der Schulden nicht zurückgezahlt wird.
Entsprechende Regelungen sollen in allen Staatsanleihen europäischer Staaten aufgenommen
werden. Dies entspricht faktisch der zunächst von Deutschland geforderten Staatsinsolvenzordnung.
Beim Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone am 21.Juli 2011 wurde eine
Kompetenzerweiterung von EFSF und ESM beschlossen, um in Zukunft schneller auf
Ansteckungsgefahren in der Euro-Zone reagieren zu können. Diese sollen schon auf Verdacht aktiv
werden und auch an Länder Kredite vergeben, für die kein Rettungsprogramm existiert, sowie in
den Sekundärmarkt für Anleihen eingreifen. Dieser EU-Sondergipfel kann daher als Startschuss für
einen EU-Währungsfonds (EWF) gesehen werden.
Neu ist ferner, dass der Europäische Rechnungshof (ERH) maßgebliche Prüfkompetenzen beim ESM
erhält. Das „Board of auditors“ wird sich aus zwei privaten Wirtschaftsprüfern, zwei Personen von
Rechnungshöfen aus den 17 Euroländern und einem Mitglied des ERH mit umfassender
Prüfkompetenz zusammensetzen. Sie sollen darüber wachen, wie Steuergeld verwendet wird. Bei
den derzeitigen Finanzhilfen für Griechenland hat der ERH noch keine Prüfkompetenz, da es sich um
bilaterale Kredite der Euroländer und des IWF handelt.
9
EU TOP THEMA
10
4. DIE EINZELNEN LÄNDER UND IHRE KRISEN
4.1.
Griechenland
Mit dem Eintritt in die Eurozone sanken die Zinsen für griechische Staatsanleihen auf „DeutschlandNiveau“. Die Folge war, dass Kredite billig wurden und sehr viel Geld in Konsum floss, dass die
Investition in Zukunftsprojekte vernachlässigt wurde, bis die Schulden zu sehr anstiegen und die
Wirtschaftskrise hereinbrach.
Griechenland hat das wahre Ausmaß seines Haushaltsdefizits jahrelang verschleiert. Das griechische
Budgetdefizit betrug 2009 15,4%, der Schuldenstand 127% des BIP. Beide Werte liegen weit über den
im Euro-Stabilitätspakt festgeschriebenen Konvergenz-Kriterien (d.h. Staatsverschuldung unter 60%
des BIP, Budgetdefizit weniger als 3% des BIP). Anfang 2012 lag der Schuldenstand Griechenlands bei
sogar fast 170% des BIP.
Von der Regierung Griechenlands wurden zur Refinanzierung der Staatsschulden Staatsobligationen
ausgegeben, wofür Zinsen bezahlt werden müssen. Aufgrund des hohen Haushalsdefizits und der
steigenden Neuverschuldung stuften die internationalen Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit des
Landes kontinuierlich herab; griechische Staatsanleihen wurden teurer. Mit den höheren Zinsen
stieg auch die Staatsverschuldung Griechenlands weiter an.
Für Griechenland kommt erschwerend hinzu, dass die Wirtschaft besonders im Ausland hoch
verschuldet ist. Österreichische Banken hatten Ende 2010 in Griechenland noch Außenstände von 4
Mrd. Euro zu verzeichnen, deutsche Banken rund 34 Mrd. US-Dollar, Frankreichs Banken sogar 53
Mrd. US-Dollar. Diese Beträge haben sich zuletzt zwar erheblich verkleinert; ein Staatsbankrott
Griechenlands hätte aber trotzdem nicht nur Auswirkungen auf heimische und ausländische Banken,
sondern auf die gesamten Volkswirtschaften.
Nachdem die griechische Regierung am 23. April 2010 vor dem Druck der Finanzmärkte kapituliert
und um ausländische Finanzhilfe ersucht hatte, beschlossen die Finanzminister der Eurozone im Mai
2010 ein erstes 110 Mrd. Euro schweres Hilfspaket für die folgenden drei Jahre. (davon entfallen
80 Mrd. Euro auf bilaterale Kredite der Euro-Staaten und 30 Mrd. Euro auf den IWF; siehe auch
Punkt 3.1.). Wegen Nichtbeteiligung der Slowakei und späterem Wegfall von Zahlungen der unter
den Euro-Rettungsschirm geschlüpften Länder Portugal und Irland hat sich das Hilfspaket um 2,7
Mrd. auf 107,3 Mrd. verringert.
Bis Anfang 2012 wurden in sechs Tranchen 73 Mrd. Euro an Athen aus diesem Paket ausbezahlt (52,9
Mrd. von Eurozone und 20,1 Mrd. vom IWF). Damit würden noch 34,4 Mrd. Euro übrigbleiben (24,4
Mrd. Eurozone und knapp 10,0 Mrd. vom IWF).
Als Auflage für das 110 Mrd. Euro Hilfspaket (davon Ö: 2,3 Mrd. Euro) müssen sich die Griechen
einem drastischen Sparprogramm unterziehen. Die griechische Neuverschuldung – im Jahr 2010
10,5% des BIP – sollte bis 2014 unter die 3-Prozent-Grenze gedrückt werden. Gleichzeitig wurde
erwartet, dass mit dem Sparprogramm und der internationalen Hilfe die griechischen Schulden ab
2014 zu fallen beginnen, bis dahin könnten sie sich aber noch weit erhöhen.
Das größte Problem Griechenlands war und ist die enorme Staatsverschuldung. Die
Staatsbankrotts ist nicht gebannt. Griechenland steckt in einer tiefen Rezession, die
wirtschaftliche Erholung sind gering. Hauptgrund: Die Bruttowertschöpfung der
Wirtschaft speist sich zu 70% aus der Binnennachfrage. Das Sparprogramm aber würgt
Konsum ab. Und obendrein schnellen die Preise in die Höhe.
Gefahr eines
Chancen auf
griechischen
den privaten
EU TOP THEMA
Einsparungs- und Finanzierungsmöglichkeiten gibt es viele: Griechenlands Rüstungsausgaben sind
wegen der Spannungen mit der Türkei sehr hoch; aufgrund der Finanzkrise musste das Land hohe
finanzielle Aufwendungen für den Finanzsektor erbringen; zu viele Staatsbedienstete erhalten zu
viele Bonus-Zahlungen; Steuersenkungen führten zu niedrigeren Staatseinnahmen. Auch die
Schattenwirtschaft spielt im Land eine große Rolle. Steuerhinterziehungen sind sowohl bei Firmen
als auch im privaten Bereich verbreitet und es gibt nur wenige Kontrollen. All das musste sich und
muss sich in Zukunft ändern.
Am 2. Mai 2010 beschloss die griechische Regierung ein mit IWF und EU ausgehandeltes
Maßnahmenpaket, womit bis zum Jahr 2013 insgesamt 30 Mrd. Euro eingespart werden sollen. Mit
diesem strikten Sparmaßnahmenpaket konnte gleichzeitig der Weg für das erste internationale
Hilfspaket freigemacht werden. Finanzexperten der Europäischen Kommission, der EZB und des IWF
(sog. Troika) überwachen die Einhaltung der griechischen Budgetsanierung. Während dieser drei
Jahre finden die Kontrollen vierteljährlich statt.
Im April 2011 wurde bekannt, dass die finanzielle Lage von Griechenland noch ernster ist als zuvor
angenommen. Die Europäische Statistikbehörde Eurostat revidierte das Haushaltsdefizit weiter
nach oben, und zwar für 2010 auf 10,5%. Das griechische Finanzministerium führte das höhere
Staatsdefizit vor allem auf den Einbruch der griechischen Wirtschaft zurück, der sich auch 2011und
2012 fortsetzt. Die Wirtschaftsleistung des hochverschuldeten Landes ist 2011 um 6,7% gesunken.
Da sich die griechische Wirtschaft schlechter als vorhergesagt entwickelte, wurden neue Hilfen
notwendig. Als Voraussetzung dafür musste das griechische Parlament den strengen Auflagen von EU
und IWF zustimmen und ein weiteres Sparpaket auf den Weg bringen. Dieses Sparprogramm war
auch Bedingung für die Freigabe der fünften Kredittranche in Höhe von zwölf Mrd. Euro aus der
ersten Rettungshilfe durch die Euro-Finanzminister Anfang Juli 2011.
Nach der Ausweitung der Schuldenkrise auf Italien im Sommer 2011 hat sich gezeigt, dass das
Hinausschieben einer echten Lösung durch immer neue Hilfspakete zu massiven Spekulationen gegen
bisher noch nicht betroffene hoch verschuldete Euroländer einlädt. Daher wurde ernsthaft über
einen „Haircut“, also eine teilweise Streichung der griechischen Staatsschulden diskutiert. Dies
bedeutet, dass der EU-Rettungsschirm, die sogenannte Europäische Finanzstabilitätsfazilität EFSF,
den privaten Gläubigern Griechenlands anbietet, ihre griechischen Bonds zum aktuellen, stark
gesunkenen Marktpreis abzukaufen, eventuell mit einem leichten Aufschlag. Der Rettungsschirm
würde die griechischen Anleihen mit seinen eigenen, sicheren Anleihen bezahlen. Sobald die EFSF
die Athener Ramschanleihen auf dem Markt erworben hat, könnte sie mit Athen eine Tilgung eines
Teils der Staatsschuld von derzeit fast 170% der Wirtschaftsleistung verhandeln.
Beim Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone am 21.Juli 2011 wurde ein
zweites Rettungspaket für Griechenland beschlossen. Die Details dieses Beschlusses (Verlängerung
der Laufzeit künftiger EFSF Kredite, Aufruf zu einer umfassenden Wachstumsstrategie –
Marshallplan - für Griechenland, Beteiligung des Privatsektors, Schuldenrückkaufprogramm etc. )
mussten aber in den darauffolgenden Monaten weiteren Anpassungen unterworfen werden, denn die
Wirtschaftslage in Griechenland entwickelte sich schlechter als angenommen.
Die griechische Regierung musste den Sparkurs im Herbst 2011 erneut verstärken, um die nächste
sechste Tranche in Höhe von 8 Mrd. Euro aus dem ersten Hilfspaket (eigentlich schon für
September 2011 geplant) zu erhalten. Als erste Notmaßnahme hatte das Kabinett in Athen eine
neue Immobiliensteuer beschlossen. Das griechische Finanzministerium kündigte zum ersten Mal in
der jüngeren Geschichte des Landes Entlassungen in Staatsunternehmen ab. 30.000
Staatsbedienstete sollen zunächst in eine so genannte Arbeitsreserve geschickt werden. (60% ihres
Einkommens für maximal ein Jahr, danach entscheidet eine unabhängige Behörde über ihre
Zukunft). Außerdem wird es nun Kürzungen geben bei Renten von mehr als 1.200 Euro im Monat
11
EU TOP THEMA
sowie bei Rentenempfängern, die jünger als 55 Jahre sind. Der jährliche Steuerfreibetrag soll von
momentan 8.000 Euro auf 5.000 Euro sinken. Die Steuer solle auf zwei Jahre befristet sein.
Die Auszahlung der sechsten Tranche des Hilfspakets an Griechenland verzögerte sich um viele
Wochen, weil sich bei Kontrollen der Troika vor Ort Diskrepanzen hinsichtlich der tatsächlichen und
zugesagten Einsparungen ergaben.
Auf dem Europäischen Rat vom 23.10. bzw. dem EU-Gipfeltreffen und Gipfel der Eurozone vom
26.10.2011 stellten die Staats- und Regierungschefs ein Gesamtpaket vor, das eine Rettung
Griechenlands (auf Basis eines partiellen Schuldenschnitts) ebenso umfasst wie die Stabilisierung der
Banken im Rahmen der EFSF.
Zentrales Ziel ist die Reduktion der griechischen Staatsschulden von derzeit über 160% auf 120% des
BIP per 2020. Dies sollte durch eine freiwillige Beteiligung der privaten Investoren mit dem Ziel
eines 50% Schuldenschnitts erreicht werden (durch Anleihetausch). Das gesamte zweite
Griechenland-Rettungspaket soll 130 Mrd. Euro umfassen.
Im Laufe der folgenden Monate wurde von Seiten der EU (insbesondere Deutschland) signalisiert,
dass Griechenland nicht um jeden Preis im Euro-Raum gehalten werde. Vor allem das überraschend
angekündigte und dann wieder abgesagte Referendum über das am EU-Gipfel beschlossene
Sparprogramm hatte die Partner in der EU erzürnt. Alle griechischen Entscheidungsträger müssen
der EU die Einhaltung der geforderten Sparmaßnahmen zusichern, erst dann geben die Euro-Länder
die Auszahlung der nächsten Kredittranche frei. Der seit November 2011 im Amt befindliche neue
griechische Ministerpräsident Lukas Papademos soll dies sicherstellen.
Zweites Rettungspaket inkl. Schuldenschnitt
Die Euro-Staaten haben sich am 21.Februar 2012 nach langen Verhandlungen auf ein zweites
Rettungspaket für Griechenland geeinigt. Seit Monaten wurde über den Umfang und die nötigen
Reformen verhandelt. Nachfolgend eine Zusammenstellung der wichtigsten Punkte der Einigung:
Das Volumen des Rettungspakets liegt wie im Oktober 2011 vereinbart bei 130 Mrd. Euro. Der
Internationale Währungsfonds (IWF) wird sich mit 28 Mrd. Euro beteiligen. Voraussetzung für
diesen "bedeutsamen" Beitrag des IWF ist neben den Reformen in Griechenland und dem teilweisen
Schuldenschnitt auch die Entscheidung über eine Erhöhung der Krisenfonds EFSF und seinem
Nachfolger ESM durch die EU.
Griechenland hatte zuvor wesentliche Bedingungen der Euro-Länder erfüllt. Dazu gehörten die
Zustimmung des Parlaments und der Chefs der großen Parteien zu den Sparzielen sowie zusätzliche
Sparmaßnahmen von 325 Mio. Euro. Die Athener Regierung verabschiedete zuletzt eine Reihe von
Gesetzesentwürfen zur Anwendung des von der EU verlangten Sparkurses. So werden z.B. höhere
Pensionen gekürzt und die Mindestlöhne gesenkt.
Die Freigabe des Hilfspakets war Voraussetzung für die Einleitung des Schuldenschnitts mit privaten
Gläubigern wie Banken und Versicherungen. Damit der Schuldenstand Griechenlands bis 2020 auf die
nun angestrebten 120,5% des BIP sinkt, müssen die privaten Gläubiger nominal auf 53,5%
(ursprünglich 50%) der Forderungen verzichten – de facto auf über 70% durch niedrigere Zinsen.
Vorgesehen sind ein Anleihetausch sowie eine gestaffelte verringerte Verzinsung für diese neuen
Anleihen (zwischen 4,5 und 2%). Damit sollen Athens Schulden um 107 Mrd. Euro sinken.
Die EZB wird bei der Rettung Griechenlands stärker mit eingebunden. Sie soll Zinserträge aus
griechischen Staatsanleihen (rund 18 Mrd. Euro) an die Nationalbanken der Staaten auszahlen, die
das Geld – via nationale Regierung – an Griechenland weitergeben können, um die
Gesamtverschuldung Griechenlands zu senken (um 1,8% des BIP).
12
EU TOP THEMA
Darüber hinaus wird die Verzinsung für die Hilfskredite der Mitgliedstaaten an Griechenland aus
dem ersten Rettungspaket gesenkt. Dadurch liegt die Beteiligung des öffentlichen Sektors an der
Verringerung der griechischen Schuldenlast bei 4,6% des BIP.
Auch das zunächst von Griechenland strikt abgelehnte Sperrkonto (Sonderkonto) für einen Teil der
griechischen Staatseinnahmen wurde nun fixiert. Damit wird Griechenland – wie von Deutschland
gefordert – einen Teil seiner Budgetsouveränität abgeben. Mit dem Sperrkonto, das von der EU
überwacht wird, soll sichergestellt werden, dass das Land seinen Schuldendienst erfüllt und
Einnahmen nicht für andere Dinge ausgibt.
Das zweite Rettungspaket für Athen ist deshalb wichtig, da Griechenland am 20. März 2012 seine
nächsten Verbindlichkeiten von 14,5 Mrd. Euro begleichen muss. Ohne Hilfe wäre das südliche
Euro-Land pleite gewesen.
Von den griechischen Staatsschulden in Höhe von mehr als 350 Mrd. Euro sind 206 Mrd. in der Hand
privater Gläubiger. Bis 9. März 2012 konnten Privatgläubiger alte Anleihen gegen neue tauschen.
Davon sind 172 Mrd. Euro betroffen; was einer Beteiligung von insgesamt 83,5% entspricht. Bei den
nach griechischem Recht aufgenommenen Schulden wurde sogar eine Beteiligungsquote von 85,8%
erreicht. Erklärtes Ziel der Regierung in Athen ist ein Wert über 90%, der notfalls per
Zwangsumschuldung erreicht werden soll. Dazu erließ die griechische Regierung vorsorglich schon
im Februar gesetzlich Umschuldungsklauseln (Collective Action Clauses, CAC), die auch auf alte
Anleihen rückwirkend angewendet werden können. Durch diese teilweise Zwangsumschuldung würde
die Teilnahme an dem Anleihetausch damit laut Athen auf 95,7% steigen.
Ausgestanden ist die Krise damit aber noch nicht. Am 9.3.2011 beurteilte der Internationale
Derivateverband (ISDA) diese teilweise Zwangsumschuldung als „Kreditereignis“ fest. Das bedeutet,
dass die ISDA den Schuldenschnitt als einen Zahlungsausfall bewertet, der die schwer
berechenbaren Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps, CDS) auslöst, mit denen sich
einige Inhaber von griechischen Staatsanleihen abgesichert haben. Welche Folgen die ISDAEntscheidung nun tatsächlich hat, ist unklar. Niemand kann derzeit abschätzen, welcher Investor
Kreditausfall-versicherungen besitzt und welche weiteren Effekte eintreten können. Laut einer
Statistik eines darauf spezialisierten US-Clearinghauses geht es dabei um ein Volumen von maximal
rund 3,2 Mrd. US-Dollar.
13
EU TOP THEMA
4.2.
Irland
Irlands Staatsverschuldung ist seit dem Jahr 2007 kontinuierlich gestiegen - von 25% des BIP (2007)
bis 108,1% des BIP (2011), lag zuletzt also weit über den Konvergenz-Kriterien von 60% des BIP als
Obergrenze.
Während es 2007 kein Haushaltsdefizit gab (+0,1 des BIP), ist dieses seither kontinuierlich gestiegen
auf -32,4% des BIP 2010, weil die irische Regierung den durch die Finanzkrise angeschlagenen
Banken des Landes mit Milliardenhilfen zur Seite gesprungen ist. Bis 2013 soll das Haushaltsdefizit
auf 3% (Maastrichtkriterium) gesenkt werden.
Vor allem aufgrund der irischen Finanz- und Bankenkrise hat Irland am 21.11.2010 die EU und den
IWF um Hilfe gebeten. Auf einem Sondertreffen der EU-Finanzminister am 27./28. November 2010
in Brüssel wurde beschlossen, Irland Kredithilfen in Höhe von insgesamt 85 Mrd. Euro über einen
Zeitraum von 3 Jahren zu gewähren. Für Irland wurde erstmals der Euro-Rettungsschirm EFSF in
Anspruch genommen. 22,5 Mrd. kamen vom IWF, 22,5 Mrd. steuerte das Gemeinschaftsinstrument
EFSM (European Financial Stability Mechanism) bei, 17,7 Mrd. kamen ergänzend vom EFSF (European
Financial Stability Fund, Euro-Staaten). Hinzu traten bilaterale Kredite von Großbritannien,
Schweden und Dänemark. Diese gehören zwar nicht der Euro-Zone an, sie beteiligten sich aber an
der Hilfe, weil ihre Banken stark in Irland engagiert waren: Großbritannien gewährte 3,8 Mrd.,
Schweden 0,6 Mrd. und Dänemark 0,4 Mrd. Euro.
Österreich beteiligt sich mit 600 - 800 Mio. Euro in Form von Garantien über die EFSF. Das heißt,
dass aus dem österreichischen Budget unmittelbar kein Geld an den irischen Staat fließt. Die 85
Mrd. Euro aus dem Hilfspaket teilen sich wie folgt auf: 50 Mrd. fließen ins irische Staatsbudget, das
dringend eine finanzielle Spritze benötigt. Die weiteren 35 Mrd. will Irland nützen, um Kapital in die
irischen Banken zu pumpen.
Bei den Verhandlungen konnte sich die irische Regierung in einem Punkt durchsetzen: Die
umstrittene, in Irland bei vergleichsweise niedrigen 12,5% liegende Körperschaftssteuer, die bisher
das irische Wirtschaftswunder mit ermöglicht hat, wird nicht erhöht. Mit dem niedrigen Steuersatz
wurden zahlreiche Unternehmen ins Land gelockt – ein Wettbewerbsvorteil, der vielen in der EU
schon längst ein Dorn im Auge ist.
Darüber hinaus wurde Irland ein zusätzliches Jahr zugestanden, um sein Budgetdefizit wieder unter
die in den Euro-Stabilitätspakt festgeschriebene Grenze von 3% des BIP zurückzufahren. Im
Gegenzug für die gewährten Hilfen hatte Irland sich zu einem strikten Sparkurs verpflichtet, um auf
diese Weise seine Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen. Innerhalb von vier Jahren sollen
Konsolidierungsmaßnahmen im Umfang von insgesamt 15 Mrd. Euro realisiert werden (10 Mrd. Euro
Ausgabenkürzungen, 5 Mrd. Euro Einnahmen-/Steuererhöhungen), 40% davon bereits im Jahr 2011.
Im Verlauf der Schuldenkrise wurde der von Irland für die EU-Hilfen zu zahlende Zinssatz von
anfangs 5,83% pro Jahr auf etwa 3,5% gesenkt und die Laufzeit der Anleihen auf 15 Jahre
verlängert. Das Krisenland Irland ist jetzt wieder auf Wachstumskurs. Im Oktober 2011 kündigte die
irische Regierung an, im Jahr 2012 den Europäischen Stabilisierungsmechanismus verlassen und
wieder auf den freien Kapitalmarkt zurückkehren zu wollen. Premierminister Enda Kenny sprach die
Erwartung aus, dass Irland aufgrund seiner erfolgreichen Konsolidierungsbemühungen in nächster
Zeit wieder von den Ratingagenturen hochgestuft werde.
14
EU TOP THEMA
4.3.
Portugal
Portugals Staatsverschuldung lag im Jahre 2007 bei 68,3% des BIP, 2011 betrug der Schuldenstand
Portugals bereits 101,6% des BIP. (Maastrichtkriterium: Obergrenze von 60% des BIP). Während es im
Jahre 2007 ein Haushaltsdefizit von -3,1% des BIP gab, stieg dieses im Jahre 2010 auf 9,1% des BIP
an. Für das Jahr 2011 hat sich Portugal zu einer Senkung des Defizits auf 5,9, für 2012 auf 4,5%
verpflichtet.
Warum war Portugal in die Krise geschlittert?
Strukturkrise: Portugal hat ein Jahrzehnt mit niedrigen Wachstumsraten hinter sich. Die
Wirtschaftsleistung stieg lediglich um durchschnittlich 0,7% pro Jahr. Ein Grund für die anhaltende
Schwäche ist die veraltete Struktur der portugiesischen Wirtschaft.
Die industrielle Basis des Landes gilt als dünn. Großer Hoffnungsträger ist der Dienstleistungssektor,
der im Jahr 2009 gut 75% zum Bruttoinlandsprodukt beisteuerte. Vor allem der Tourismus spielt eine
wichtige Rolle für das Land. Anschluss an den Lebensstandard des europäischen Durchschnitts haben
die zehn Millionen Portugiesen nicht gefunden.
Das relative Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 76% des EU-Mittelwerts. Es hat sich in den vergangenen
zehn Jahren kaum verändert. Trotzdem leistete sich das Land soziale Wohltaten, die auf Pump
finanziert wurden.
Soziale Krise: Zur Sanierung der Staatsfinanzen hat die Regierung im vergangenen Jahr ein
Stabilitäts- und Wachstumsprogramm aufgelegt, das mehrmals aktualisiert wurde.
Es sieht Einschnitte bei den Gehältern der Staatsbediensteten und die Streichung von sozialen
Leistungen vor. Außerdem fror die Regierung die Pensionen ein und erhöhte die Mehrwertsteuer von
21 auf 23%.
Zur wirtschaftlichen kam auch eine politische Krise. Bis zu ihrem Rücktritt wurde das Land von
einer sozialistischen Minderheitsregierung unter Ministerpräsident José Sócrates geführt. Lange Zeit
ging das gut, weil die sozialdemokratische Opposition die Sparpläne der Regierung nicht
torpedierte. Doch zuletzt lehnte die liberal-konservative Sozialdemokratische Partei das letzte
Krisenpaket der Regierung ab, und die Regierung zerbrach Ende März 2011. Sócrates war seitdem
nur geschäftsführend im Amt. Am 5. Juni 2011 wurde ein neues Parlament gewählt.
Die Regierungskrise verschärfte die Probleme des Landes. Eine weitere Herabstufung durch die
Ratingagenturen Anfang April 2011 hat die Staatsverschuldung Portugals aufgrund der daraus
resultierenden Verteuerung der Kreditzinsen erhöht. Nach langer Gegenwehr und vielen Dementis
hat die portugiesische Regierung ihre Niederlage im Kampf gegen die Schuldenkrise eingestanden.
Am 7. April 2011 wurde die EU um Finanzhilfe ersucht. Portugal war nach Griechenland und Irland
das dritte Euro-Land, das internationale Finanzhilfe beantragte. Lange hat sich die Regierung gegen
den Schritt gewehrt. Doch bei der Vielzahl der Probleme blieb zuletzt kein anderer Ausweg.
Mit Vertretern der EU und des Internationalen Währungsfonds wurde ein Hilfspaket über 78 Mrd.
Euro ausverhandelt. Vertreter der EU sind davon überzeugt, dass das Programm die Grundlagen für
eine Stärkung der portugiesischen Wirtschaft legen werde. Von den 78 Mrd. entfallen 52 Mrd. Euro
auf die EU und 26 Mrd. Euro auf den IWF. Das Hilfspaket wurde am 16. Mai 2011 endgültig von den
EU-Finanzministern geschnürt.
Der Schlüssel für eine Sanierung der portugiesischen Wirtschaft ist eine striktere Kontrolle der
öffentlichen Unternehmen und der sogenannten Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP). Das
15
EU TOP THEMA
Privatisierungsprogramm muss beschleunigt, die Wettbewerbsfähigkeit des ärmsten Landes
Westeuropas verbessert werden. Es wurde ausdrücklich die starke Unterstützung des
Wirtschaftssanierungsprogramms Portugals durch die Regierung und die größten politischen Parteien
des Landes hervorgehoben. Eine weitere Herabstufung der Bonität Portugals um ganze vier Stufen
durch die Ratingagentur Moody’s Anfang Juli erhöhte massiv die Kritik Portugals und der EU an den
drei in den USA ansässigen Agenturen Moody’s, Standard & Poor's sowie Fitch. Es gibt Überlegungen,
die Macht dieser amerikanischen Ratingagenturen zu zerschlagen bzw. als Gegengewicht eine
europäische Ratingagentur zu gründen. Oder aber könnten Bonitätsbewertungen für hoch
verschuldete EU-Staaten ausgesetzt werden.
Die Wirtschaftsleistung des Euro-Krisenstaates Portugal ist 2011 wie erwartet geschrumpft. Das BIP
sank 2011 um 1,6% gegenüber dem Vorjahr. Begründet wird der Einbruch der portugiesischen
Wirtschaftskraft vor allem mit einem Rückgang der Inlandsnachfrage um 5,7%. Portugals Wirtschaft
war 2010 noch um 1,4% gewachsen. Für 2012 erwartet die Regierung einen Einbruch von 3,3%.
Immer wieder ist auch von weiterer Finanzhilfe für Portugal die Rede, obwohl die Regierung dies in
Abrede stellt.
4.4.
Italien, Spanien und Zypern – weitere Sorgenkinder der Eurozone?
Neben dem hochverschuldeten Griechenland bereiten auch noch weitere Euro-Länder den Experten
Kopfzerbrechen: Italien und Spanien müssen in den nächsten Jahren einen riesigen Schuldenberg
refinanzieren.
Italien weist 2010 mit 119% gemessen am BIP einen fast doppelt so hohen Schuldenstand auf als
nach den Maastrichtkriterien erlaubt. Das Land musste bis Jahresende 2010 mehr Anleihen bedienen
als Griechenland, Spanien, Irland und Portugal zusammen. Allerdings liegt die italienische
Neuverschuldung mit 4,6% deutlich tiefer als jene Griechenlands. Zuletzt war auch Italien Objekt
von Finanzspekulationen geworden. Da Italien die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone ist,
würden die derzeitigen Rettungsschirme dafür nicht ausreichen. Deshalb wurde beim Gipfel der
Eurozone am 26.10.2011 eine Ausdehnung der Feuerkraft des Rettungsschirms EFSF mittels
sogenannter „Hebelung“ auf eine Billion Euro vereinbart, wobei die Details noch ausverhandelt
werden müssen.
Nach dem Abgang Berlusconis müssen die nun politisch Verantwortlichen sofort mit der Sanierung
der Staatsfinanzen beginnen und umfassende Reformen einleiten. Zusätzlich wird sich Italien einem
strikten Monitoring seiner Staatsfinanzen durch den IWF und die EU-Kommission unterziehen. Der
neue italienische Ministerpräsident Mario Monti will mit einem Spar- und Reformpaket sein Land aus
der Schuldenkrise bringen. Dabei geht es nicht zuletzt darum, Italiens Glaubwürdigkeit
wiederherzustellen. Vorgesehen sind in dem Sparpaket unter anderem eine einschneidende
Rentenreform,
eine
Streichung
von
Steuererleichterungen
sowie
eine
mögliche
Mehrwertsteuererhöhung um zwei Prozentpunkte. Das Rentenalter soll angehoben werden, am
Inflationsausgleich soll gespart werden. Im öffentlichen Dienst soll zudem personell gekürzt und
organisatorisch gestrafft werden. Auch eine Immobiliensteuer gehört zu den für Millionen Italiener
schmerzhaften Maßnahmen.
Spanien hat neben der Schuldenkrise und der Wirtschaftskrise besonders mit dem Zusammenbruch
des Immobilienmarktes zu kämpfen. Ein Problem ist auch die hohe Arbeitslosigkeit in Spanien. Die
Arbeitslosenquote hat bereits ein Rekordhoch von 22,9% und ist die höchste in der Europäischen
Union. Insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit ist ein großes Problem. Die Aussichten für die
viertgrößte Wirtschaft in der Euro-Zone verdüstern sich. Nach Angaben der spanischen Notenbank
wird die Konjunktur des Landes 2012 um 1,5% schrumpfen. Erst 2013 könnte es wieder leicht
aufwärts gehen. Spanien hat sich gegenüber der EU-Kommission verpflichtet, sein Haushaltsdefizit
im Jahr 2012 auf 5,3% der Wirtschaftsleistung zu senken. Dazu müssen insgesamt 35 Mrd. Euro
16
EU TOP THEMA
17
eingespart werden. Im Januar 2012 hatte die neue Regierung schon ein erstes Sparpaket
verabschiedet, Volumen: 15 Mrd. Euro. Der öffentliche Sektor soll umstrukturiert und zahlreiche
Staatsunternehmen geschlossen werden.
Im Kampf gegen das wachsende Misstrauen auf den Finanzmärkten setzte die EZB ihr
Anleihekaufprogramm fort und kaufte nach längerer Pause ab 8. August 2011 italienische und
spanische Anleihen, was zu einer Beruhigung der Märkte führte. Italien und Spanien mussten
zuletzt hohe Zinsen für ihre Refinanzierung anbieten. Die EZB ermahnte die dritt- und viertgrößte
Volkswirtschaft der Währungsgemeinschaft aber, die angekündigte Verschärfung ihrer Sparpakete
entschlossen und zügig umzusetzen. Das sei eine grundlegende Voraussetzung für eine bessere
Wettbewerbsfähigkeit und einen schnellen Schuldenabbau. Die EZB sucht jedoch mittelfristig einen
Ausstieg aus ihrem - auch umstrittenen - milliardenschweren Kaufprogramm für Staatsanleihen der
Eurokrisenländer.
Die 5er Gruppe Portugal, Italien, Irland Griechenland und Spanien – auch unter dem wenig
schmeichelhaften Akronym PIIGS bekannt – gelten auch als Sorgenkinder der österreichischen
Banken. Gemäß den Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich haben österreichische
Bankinstitute 37,5 Mrd. Euro in Anleihen und Krediten der Problemstaaten gesteckt. Allein in Italien
sind österreichische Banken mit 16,5 Mrd. Euro engagiert.
Ein verheerendes Explosionsunglück am 11.7.2011 auf einem Marinestützpunkt in Zypern droht den
Inselstaat als viertes Euro-Land in eine Schuldenkrise zu stürzen. Aufgrund des Unglücks trat auch
die gesamte Regierung zurück. Die Ratingagentur Moody's und später auch S&P stuften die
Kreditwürdigkeit des Landes herunter. Die Agentur begründete dies mit der Energienot, die nach
der Explosion der Wirtschaft des Landes schadet, und mit der engen Verflechtung der zypriotischen
Finanzbranche mit dem angeschlagenen griechischen Bankensektor.
5. LEGISTISCHE BEGLEITMASSNAHMEN
5.1.
Wirtschaftspolitische Steuerung der EU
Die Verstärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung, eine effektivere Steuerung der nationalen
Fiskalpolitiken und insbesondere auch eine Reform des Stabilitätspaktes wird derzeit unter dem
englischen Begriff „economic governance“ diskutiert, der irreführender Weise im Deutschen nicht
nur mit „wirtschaftspolitischer Steuerung“, sondern verkürzt auch mit dem Schlagwort „EUWirtschaftsregierung“ übersetzt wird.
„Six Pack“: Makroökonomische
Wachstumspakt
Ungleichgewichte
und
verstärkter
Stabilitäts-
und
Das Europäische Parlament stimmte am 28.9.11 dem sogenannten „Six Pack“ zu, einem Paket von
insgesamt sechs Vorschlägen zur Verstärkung der wirtschaftspolitischen Steuerung in der EU.
Dabei geht es um die haushaltspolitische Überwachung und die Anforderungen an die
haushaltspolitischen Rahmen der EU-Mitgliedstaaten, die Koordinierung der Wirtschaftspolitiken auf
europäischer Ebene, die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte in der EU
sowie das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit. Neben der Rechtsgrundlage für das
"Europäische Semester" (jährliche Abschätzung der nationalen Haushalte für die Koordination der
Wirtschaftspolitik) beschlossen die Abgeordneten auch die Etablierung eines Rechtsrahmens für die
Kontrolle der nationalen Reformprogramme durch die EU-Kommission. Der Kommission werden
überdies mehr Informations- und Kontrollrechte in den EU-Mitgliedstaaten zugestanden, um dem
Verfahren mehr Gewicht und Biss zu verleihen.
EU TOP THEMA
Zur Stärkung und Verschärfung der Sanktionen wurden eine neue Geldstrafe (bis 0,2% des BIP) für
verfälschte Statistiken in Bezug auf Daten über Defizite und Schulden sowie eine Strafe in Form
einer verzinslichen Einlage (0,1% des BIP) für Mitglieder der Eurozone beschlossen, die es nicht
schaffen, den Empfehlungen zur Behebung von makroökonomischen Ungleichgewichten
nachzukommen. Den nationalen Statistikämtern wird größere Unabhängigkeit gewährt und
gemeinsame Standards für die Aufstellung von Statistiken wurden festgelegt. Auch die Einbindung
der Sozialpartner in der EU sowie der existierenden Systeme für die Lohnbildung ist Teil der
Beschlüsse.
Die Verabschiedung des Six-Pack ist zu begrüßen, weil dadurch die Haushaltsdisziplin erhöht wird.
Es werden sowohl die Rolle der Kommission als Wirtschaftsregierung als auch die Rolle des
Europäischen Parlaments (Einführung eines wirtschaftspolitischen Dialogs) gestärkt.
Die neuen „Six Pack“-Regelungen sind Mitte Dezember 2011 in Kraft getreten.
„Two Pack“: Neue Vorschläge für verstärkte Haushaltsüberwachung der Euro-Länder
Am 23. November 2011 hat die EU-Kommission zwei weitere Verordnungsvorschläge für eine
verstärkte Haushaltsüberwachung vorgelegt, die derzeit auf EU-Ebene diskutiert werden:
 Der Verordnungsvorschlag zur verstärkten Überwachung der Haushaltspolitik der Euro-Länder
würde diese verpflichten, ihre Budgetentwürfe alljährlich zum gleichen Zeitpunkt vorzulegen,
und die Kommission berechtigen, die nationalen Budgetpläne im Entwurfsstadium einzusehen
und gegebenenfalls zu ihnen Stellung zu nehmen.
 Der Verordnungsvorschlag zur verstärkten Überwachung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik
von Euro-Ländern, die unter schwerer finanzieller Instabilität leiden oder von ihr bedroht sind,
soll gewährleisten, dass die Länder, die ein Finanzhilfeprogramm durchlaufen oder ernsthaft von
finanzieller Instabilität bedroht sind, nach robusten, klaren und im EU-Recht verankerten
Verfahren überwacht werden.
Der Euro Plus Pakt
Da bereits bestehende Instrumentarien nicht oder nicht gut genug genutzt wurden (Stabilitäts- und
Wachstumspakt) und die Umsetzung der Kommissions-Vorschläge zu Economic Governance („Six
Pack“ noch in zu weiter Ferne erschienen, haben die Staats- und Regierungschefs im März 2011 den
Euro-Plus-Pakt verabschiedet, dem zusätzlich zu den Euro-Staaten auch Bulgarien, Dänemark,
Lettland, Litauen, Polen und Rumänien beigetreten sind. Da sich auch diese Nicht-Euro-Staaten
bereit erklärten, die in dem Pakt vorgesehenen Reformen durchzuführen, erhielt er schließlich die
Bezeichnung „Euro-Plus-Pakt“. Der Euro-Plus-Pakt (auch Pakt für Wettbewerbsfähigkeit oder Pakt
für den Euro) soll eine stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik im Hinblick auf die
Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz bringen.
Die teilnehmenden Mitgliedstaaten verpflichten sich, alle Maßnahmen zu ergreifen, die für die
Verwirklichung der nachstehenden Ziele erforderlich sind:




Förderung der Wettbewerbsfähigkeit
Förderung der Beschäftigung
Weiterer Beitrag zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen
Stärkung der Finanzstabilität
18
EU TOP THEMA
19
Der Fiskalpakt
Die meisten Mitgliedstaaten der Eurozone wiesen in den vergangenen Jahren, auch aufgrund der
Finanzkrise, hohe Defizite und einen insgesamt zu hohen Schuldenstand auf. Dies belastet die
Zukunft dieser Staaten und der Euro-Zone insgesamt und steht auch im Widerspruch zu den in den
EU-Verträgen enthaltenen Verpflichtungen (ausgeglichene Haushalte und Höchstgrenzen von 3% des
BIP für das jährliche Defizit sowie 60% für den Gesamtschuldenstand).
Zur Vertiefung der Wirtschaftsunion und
weiteren Stärkung der Haushaltsdisziplin wurde
beim Europäischen Rat am 9. Dezember 2011
der Abschluss eines Fiskalpakts, der eine
verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitik
vorsieht, in Aussicht gestellt. Da Großbritannien
keiner EU-Vertragsänderung zustimmen wollte,
wurde ein zwischenstaatlicher Vertrag –
parallel zum EU-Vertrag – angestrebt. 25 EUMitgliedstaaten (alle außer Großbritannien und
der Tschechischen Republik) haben sich beim
EU-Gipfel am 30. Jänner 2012 auf den
Fiskalpakt geeinigt und am 2. März 2012
unterzeichnet.
Dieser Fiskalpakt umfasst die Verpflichtung zu
ausgeglichenen
oder
Überschuss
aufweisenden staatlichen Haushalten (d.h. das
jährliche strukturelle Defizit dürfe 0,5% des
nominellen BIP nicht übersteigen). Diese Regel
(Schuldenbremse) soll in den betreffenden
Mitgliedstaaten
vorzugsweise
auf
Verfassungsebene verankert werden und soll
auch
einen
automatischen
Korrekturmechanismus enthalten.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) kann zur Überprüfung, ob die Staaten die Schuldenbremse in
nationales Recht umgesetzt haben, von den Vertragsländern angerufen werden. Als Sanktion bei
Nichtumsetzung kann der EuGH Geldstrafen verhängen. Die Strafe soll nicht höher als 0,1% des BIP
sein und an den künftigen Rettungsschirm ESM gezahlt werden.
Weiters sollen künftig nur jene Euro-Länder Finanzhilfen aus dem permanenten Euro-Rettungsschirm
ESM erhalten, die auch den Fiskalpakt unterzeichnet und umgesetzt haben.
5.2.
Die Strategie EU-2020 und das Europäische Semester
Der Europäische Rat hat am 17. Juni 2010 die neue EU-Wachstumsstrategie „Europa 2020“
angenommen. Bei vielen der in dieser Strategie angesprochenen zentralen Zukunftsbereiche liegt
die Kompetenz nach wie vor bei den EU-Mitgliedstaaten (Beschäftigungspolitik, Bildungspolitik,
Sozialpolitik). In diesem Rahmen haben sich die Mitgliedstaaten zu einer stärkeren Koordinierung
der Wirtschaftspolitik mit folgenden Überwachungsmechanismen verpflichtet:
EU TOP THEMA
Jänner bis Juni („Europäisches Semester“):
 Jänner: Die EU-Kommission präsentiert ihren Jahreswachstumsbericht. Dieser bildet die
Diskussionsgrundlage für den Frühjahrsgipfel des Europäischen Rates. Er analysiert die
makroökonomischen und fiskalischen Entwicklungen in der EU und der Eurozone und die
erzielten Fortschritte bei der Zielerreichung sowie die künftigen Herausforderungen und den
Handlungsbedarf.
 Februar/März: Frühjahresgipfel des Europäischen Rates: Beschluss von Leitlinien für die
Mitgliedstaaten und die EU.
 Bis Mitte April: Mitgliedstaaten übermitteln ihre Nationalen Reformprogramme und Stabilitätsund Konvergenzprogramme an die Europäische Kommission.
 Juni: Die EU-Kommission legt ihre länderspezifische Empfehlungen und Stellungnahmen zu den
Länderberichten sowie einen allgemeinen Bericht für die Eurozone vor. Sie wird für jede
Empfehlungen eine angemessene Frist (z.B. zwei Jahre) für die Umsetzung festlegen, in der der
Mitgliedstaat die nötigen Reformen vornehmen muss. Sollte den Empfehlungen im vorgegebenen
Zeitraum nicht entsprechend nachgekommen werden, will die Kommission politische
Verwarnungen aussprechen und mittels Anreizen und Sanktionen eine effektive Vollstreckung
sicherstellen.
 Juni: ECOFIN und/oder der ECOFIN der Eurozone nehmen die Empfehlungen der Kommission zu
den fiskal- und makroökonomischen Politiken der Mitgliedstaaten an.
Zweite Jahreshälfte („Nationales Semester“):
 Die Mitgliedstaaten schließen ihre Budgets unter Berücksichtigung der länderspezifischen
Empfehlungen ab.
 Im Rahmen des Jahreswachstumsberichtes des Folgejahres analysiert die EU-Kommission, wie
die Mitgliedstaaten die Leitlinien berücksichtigt haben.
5.3.
Die neuen Finanzmarktaufsichtsbehörden
Der neue europäische Finanzaufsichtsrahmen besteht aus einem Europäischen Ausschuss für
Systemrisiken (ESRB, European Systemic Risk Board) bei der EZB und den drei neuen Europäischen
Finanzaufsichtsbehörden:
20
EU TOP THEMA
 Europäische Bankaufsichtsbehörde (EBA, European Banking Authority) in London
 Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche
Altersversorgung (EIOPA, European Insurance and Occupational Pensions Authority) in Frankfurt
 Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA, European Securities and Markets Authority)
in Paris.
Die neuen Behörden werden sich aus Vertretern der 27 nationalen Aufsichtsbehörden
zusammensetzen. Mit diesem neuen Rahmen erhält Europa die weitgehenden Befugnisse, die es zur
Aufdeckung eventuell im Finanzsystem auflaufender Risiken benötigt, so wie sie im Vorfeld der
Finanzkrise und auf ihrem Höhepunkt beobachtet wurden.
Arbeitsweise: Der neu eingerichtete Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) wird
mögliche Bedrohungen für die Finanzstabilität, die sich aus makroökonomischen Entwicklungen und
Entwicklungen im Finanzsystem insgesamt ergeben, überwachen und bewerten ("Aufsicht auf
Makroebene"). Zu diesem Zweck wird der ESRB einen Frühwarnmechanismus für im gesamten
Finanzsystem auflaufende Risiken aufbauen und gegebenenfalls Empfehlungen für Maßnahmen zur
Handhabung dieser Risiken herausgeben. Damit wird die Anfälligkeit des Finanzsystems in Bezug auf
miteinander verbundene, komplexe Sektor-spezifische und Sektor-übergreifende Systemrisiken
verbessert.
Die drei neuen Europäischen Finanzaufsichtsbehörden (EBA, EIOPA, ESMA) werden in einem Netz und
im Einvernehmen mit den bestehenden nationalen Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten, um die
finanzielle Solidität auf Ebene der einzelnen Finanzinstitute und den Schutz der Nutzer von
Finanzdienstleistungen sicher zu stellen ("Aufsicht auf Mikroebene"). Das neue europäische Netzwerk
wird die Beaufsichtigung von Finanzinstituten auf einzelstaatlicher Ebene mit einer starken
Koordinierung auf europäischer Ebene verknüpfen, so dass harmonisierte Vorschriften und eine
kohärente Aufsichtspraxis sowie Rechtsanwendung vorangetrieben werden.
Schließlich wird die ESMA mit unmittelbaren Aufsichtsbefugnissen für in der EU registrierte
Ratingagenturen ausgestattet sein und kann Informationen anfordern sowie Nachforschungen und
Prüfungen vor Ort durchführen. Künftig können den neuen Europäischen Finanzaufsichtsbehörden
weitere Befugnisse, wie z. B. im Bereich der Marktinfrastrukturen, übertragen werden. Allerdings
müssen die Mitgliedstaaten und das EU-Parlement zustimmen.
Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden – direkte Entscheidungen möglich:
Die Europäischen Finanzaufsichtsbehörden können den nationalen Behörden in drei Bereichen
direkte Entscheidungen übermitteln:
 in Fällen, in denen sie zwischen nationalen Behörden schlichten, die an der Beaufsichtigung
grenzübergreifend tätiger Gruppen beteiligt sind und die sich auf gemeinsame Positionen
einigen oder sie koordinieren müssen;
 in Fällen, in denen eine nationale Behörde EU-Recht, insbesondere Verordnungen nicht
ordnungsgemäß anwendet (EU-Verordnungen sind direkt anwendbar und nicht in nationales
Recht umzusetzen) und
 in vom Rat erklärten Notfällen.
21
EU TOP THEMA
5.4.
22
Neue Struktur für die Euro-Gruppe
als Ergebnis des EU-Gipfeltreffens und des Gipfels der Eurozone vom 26.10.2011
Ziele:
 Koordinierung und Überwachung der Wirtschaftpolitik im Euroraum vertiefen
 die Entscheidungsfindung effizienter gestalten und
 für eine kohärentere Kommunikation sorgen.
Zur Erreichung dieser Ziele wurden folgende Maßnahmen zur Verbesserung
wirtschaftspolitischen Steuerung (Governance) im Euro-Währungsgebiet beschlossen:
der
 Stärkere Aufsicht: Es werden regelmäßige (mindestens 2x/Jahr) Tagungen des Euro-Gipfels
abgehalten, auf denen die Staats- und-Regierungschefs der Euro-Mitgliedstaaten und der
Präsident der Kommission zusammenkommen. Sie dienen dazu, strategische Orientierungen für
die Steuerung der Wirtschaftspolitik und für mehr Wettbewerbsfähigkeit und größere
Konvergenz im Euroraum festzulegen.
 Auf Dauer werden der Euro-Gipfel (Staats- und Regierungschefs der Eurozone) einen eigenen
Chef bekommen. Zunächst nimmt der ständige EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy das Amt
wahr. Der Präsident des Euro-Gipfels wird von den Staats- und Regierungschefs der EuroMitgliedstaaten zum gleichen Zeitpunkt benannt werden, zu dem der Europäische Rat seinen
Präsidenten wählt; die Amtszeit entspricht der des Präsidenten des Europäischen Rates (also 2,5
Jahre). Die 1. Amtszeit von Van Rompuy begann am 1. Dezember 2009 und endet zum 31. Mai
2012. Beim Europäischen Rat vom 1./2. März wurde er für 2,5 Jahre wiedergewählt und auch
zum Präsidenten des Euro-Gipfels auf Ebene der Staats- und Regierungschefs ernannt.
 Der Präsident des Euro-Gipfels wird die Nicht–Euro-Mitgliedstaaten über die Vorbereitungen
und die Ergebnisse der Tagungen des Euro-Gipfels auf dem Laufenden halten; ebenso wird er
auch das Europäische Parlament informieren.
 Die Euro-Gruppe (Finanzminister der Eurozone) wird auch weiterhin für eine immer engere
Koordinierung der Wirtschaftspolitiken und für eine größere Stabilität des Finanzsystems sorgen.
Sie setzt sich für eine strengere Überwachung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik der
Mitgliedstaaten ein.
 Nach Ablauf der Amtszeit des derzeitigen Präsidenten der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker,
im Juni 2012 wird ein neuer Präsident entweder aus dem Kreis der Mitglieder der Euro-Gruppe
oder ein Vollzeit-Präsident mit Sitz in Brüssel gewählt.
 Der Präsident des Euro-Gipfels wird zum Arbeitsplan der Euro-Gruppe gehört werden; er kann
den Präsidenten der Euro-Gruppe ersuchen, insbesondere zur Vorbereitung einer Tagung des
Euro-Gipfels oder zur Umsetzung der vom Euro-Gipfel vereinbarten Orientierungen eine Sitzung
der Euro-Gruppe einzuberufen.
 regelmäßige Treffen: der Präsident des Euro-Gipfels, der Präsident der Kommission und der
Präsident der Euro-Gruppe werden regelmäßig – mindestens einmal im Monat –
zusammenkommen. Der Präsident der EZB (seit 1.11.2011 Mario Draghi) kann – neben anderen
Fachleuten - zur Teilnahme eingeladen werden.
EU TOP THEMA
5.5.
EUROSTAT - Verbesserung der Qualität gemeldeter Daten
Aufgrund der griechischen Schuldenkrise wurde 2010 die jahrelange Forderung nach mehr
Transparenz und Kontrolle bei relevanten Wirtschafts- und Budgetdaten von EU-Staaten erfüllt. Das
europäische Statistikamt Eurostat hat angesichts der Wirtschaftskrise mehr Kompetenzen zur
Kontrolle der nationalen Haushaltsstatistiken erhalten. Die Finanzminister ziehen damit die
Konsequenzen aus den wiederholten griechischen Falschmeldungen zum Haushaltsdefizit. Eurostat
erhält damit Zugriff auf die Daten aller staatlichen Stellen, von Bundes- bis Gemeindeebene. Die
Staaten müssen dem Statistikamt genaue Angaben über die zugrunde liegende Rechnungslegung
oder genutzte Fragebogen bereitstellen. Stellt Eurostat bei der Bewertung schwerwiegende Risiken
fest, kann das Amt Inspektionen im Land vornehmen. Bereits 2004 schlug die EU-Kommission eine
Stärkung der Kontrollrechte von Eurostat vor, scheiterte damals aber noch am massiven Widerstand
zahlreicher EU-Mitgliedstaaten.
Der IWF überprüft gemeinsam mit Vertretern von EU und EZB regelmäßig die griechischen
Reformbemühungen. Dies ist Teil des mit EU und IWF vereinbarten Reformprogramms. Die 2011
veröffentlichten Quartalszahlen sind laut der griechischen Statistikbehörde Elstat bereits mit
verbesserten Methoden erhoben worden. Dass immer noch Zahlen zum griechischen Haushalt
korrigiert würden, läge auch an der Umstellung auf diese neuen Standards. Allerdings weist Elstat
von sich aus auf die vorerst noch begrenzte Zuverlässigkeit der neuen Berechnungen hin. Nutzer der
Daten "sollten weiterhin vorsichtig mit diesen Ergebnissen umgehen, bis längere Zeitreihen erstellt
wurden". Dass die Zahlen - so wie früher - auf politischen Druck manipuliert werden, scheint
inzwischen aber unwahrscheinlich. Schon im vergangenen Jahr hat Griechenland die neue
Statistikbehörde gegründet, die im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin nur noch vom Parlament
kontrolliert werden soll.
Die aus Gründen der Schuldenwahrheit von Eurostat verlangte Umbuchung von ausgelagerten
Staatsschulden in das Budget bescherte auch Österreich für 2010 das höchste Defizit seit 15 Jahren.
Konkret stieg das Defizit um einen Prozentpunkt auf 4,6% des BIPs, und zwar wegen einer teilweisen
Einrechnung der Schulden der ÖBB und weiterer öffentlicher Unternehmen bei Bund und Ländern.
5.6.
Bankensteuern
Derzeit werden auf EU-Ebene Maßnahmen für eine effizientere Kontrolle des europäischen
Bankensektors erarbeitet. Mit den geplanten Maßnahmen sollte sich auch das Risiko verringern, dass
die öffentliche Hand in Zukunft Aktionen zur Rettung gescheiterter Banken unternehmen muss.
23
EU TOP THEMA
Bei ihrem Treffen am 17. Juni 2010 beschlossen die EU-Staats- und Regierungschefs, dass
Bankinstitute in Zukunft eine Abgabe leisten müssen. Finanzinstitute gelten als eine der
Hauptverursacher der Finanzkrise und sollen mit der Abgabe die von ihnen verursachten Kosten
selbst tragen. Zu ihrer Stützung und Rettung wurden weltweit mehr als 1200 Mrd. Euro an Geld und
Garantien zur Verfügung gestellt. Nun wollen die EU 27 ein System von Abgaben und Steuern für
Finanzinstitute einführen und damit für eine gerechte Lastenverteilung sorgen. Die EU-Chefs haben
sich beim G-20 Gipfel Ende Juni 2010 auch für eine weltweite Bankenabgabe eingesetzt, sind dabei
aber auf teilweisen Widerstand gestoßen. Nachdem Kanada, die USA und einige Schwellenländer die
Bankenabgabe vehement ablehnen, diskutiert die EU derzeit die Bankenabgabe im Alleingang
einzuführen. Lediglich Tschechien hat sich vorbehalten, nicht mitzumachen. Fast alle EUMitgliedstaaten werden die potenziellen Erlöse einer Bankenabgabe zumindest kurzfristig in die
Budgetplanung integrieren, um so die angespannten Haushalte zu entlasten – so auch Österreich. Die
Ausnahme ist Deutschland, wo das Geld in einen Bankenkrisenfonds fließen soll.
Die österreichische Regierung hat eine 500 Mio. Euro schwere Bankenabgabe beschlossen.
Grundsätzlich soll die Steuer an der Bilanzsumme der Banken anknüpfen, allerdings sollen
bestimmte Bestandteile unbesteuert bleiben (etwa Spareinlagen und Eigenkapital). Außerdem ist
die Höhe der Steuer nach Größe der jeweiligen Bank gestaffelt. Bringen sollte die Abgabe ab 2011
500 Mio. Euro jährlich.
Im Rahmen des Sparpaketes 2012 wurde die Bankensteuer um 25% wegen der Rettung der
Volksbanken AG erhöht Alle Banken müssen bis 2017 eine höhere Bankensteuer zahlen: Statt 500
Mio. sind es 625 Mio. im Jahr. Das sind zusätzlich 750 Mio. Euro über sechs Jahre.
5.7.
Banken-/Versicherungsstresstests
Die Stresstests zeigen auf, wie Banken bzw. Versicherungen mit absoluten Worst-Case-Szenarien
umgehen.
Ziel des EU-weiten Bankenstresstests, der 2011 zum dritten Mal durchgeführt wird, ist die
Einschätzung der Resistenz der einzelnen Institute und des gesamten Bankensektors gegenüber
negativen makroökonomischen Entwicklungen in den Jahren 2011 und 2012. Als mögliche Auslöser
dafür werden insbesondere eine verschärfte Staatsschuldenkrise in der EU, ein negativer
Nachfrageschock ausgehend von den USA sowie eine Abwertung des US-Dollars angenommen. Im
Stresstest soll untersucht werden, wie sich daraus resultierende Veränderungen des
Wirtschaftswachstums, der Arbeitslosigkeit und der Immobilienpreise auf die einzelnen Positionen
im Bank- und Handelsbuch der teilnehmenden Banken auswirken. Der Fokus liegt dabei insbesondere
auf Kredit- und Marktrisiken; es werden jedoch auch operationelle Risiken berücksichtigt.
Europaweit werden 91 Banken, die 65% des EU-Bankensektors abdecken, unter die Lupe genommen.
Aus Österreich wurden die Raiffeisen Bank International, die Erste Group sowie die Österreichische
Volksbank AG ausgewählt. Die Maßnahme dient vor allem dazu, das Vertrauen in den Bankensektor
wieder herzustellen. Die Ergebnisse des Stresstests wurden am 15. Juli 2011 veröffentlicht; in
Österreich hat lediglich die Volksbanken AG den strengen Kriterien nicht entsprochen.
Heuer wurde erstmals auch ein freiwilliger Stresstest für Versicherungsunternehmen durchgeführt.
Gemessen am Marktanteil haben sich ca. 60% der Versicherungen in der EU, der Schweiz, Norwegen,
Island und Liechtenstein beteiligt. Die Ergebnisse geben größtenteils Entwarnung; jede zehnte
Versicherung bekäme allerdings ernsthafte Probleme mit den künftigen Kapitalvorschriften.
24
EU TOP THEMA
25
6. FRAGEN UND ANTWORTEN
6.1.
Warum wurde
aufgenommen?
Griechenland
überhaupt
in
die
Währungsunion
Die Entscheidung zur Aufnahme Griechenlands wurde auf Grundlage der im Jahr 2000 vorliegenden
Zahlen gefällt. Zwar lag auch schon damals das griechische Haushaltsdefizit oberhalb der
Stabilitätsmarke von 3% der Wirtschaftsleistung, jedoch gingen die EU-Staaten aufgrund der
gemeldeten günstigen griechischen Wachstumszahlen von durchschnittlich 3 bis 4% pro Jahr von
einem vollständigen und schnellen Abbau des übermäßigen Defizits aus. Es hat sich aber leider
herausgestellt, dass Prognosen und die kurzfristige Erfüllung der Konvergenzkriterien nicht
ausreichend sind. Vielmehr müssen die Kriterien langfristig erfüllt und deren Einhaltung genau
überprüft werden.
6.2.
Wie wahrscheinlich ist es, dass Griechenland das Geld nicht zurückzahlen
kann?
Die griechischen Sparpakete enthalten drastische Maßnahmen, mit denen eine nachhaltige
haushaltspolitische Konsolidierung erreicht werden muss. Wichtig ist, dass die beschlossenen
Reformen in Griechenland tatsächlich und schnell umgesetzt werden, um das Vertrauen der Märkte
wiederherzustellen. Dies würde zu dem dringend notwendigen Aufschwung führen, den
Griechenland braucht, um seine Kredite auch bedienen zu können. Allerdings gestaltet sich die
Umsetzung der harten Reformprogramme schwieriger als angenommen, da es viele strukturelle
Probleme gibt. Der im Rahmen des 2. Hilfspakets erfolgte teilweise Schuldenschnitt bedeutet
tatsächlich einen enormen Schuldenerlass für Griechenland und erleichtert damit die Rückkehr zu
einem überschaubaren Defizit auch durch die damit geringer werdenden Zinszahlungen.
6.3.
Warum wird Griechenland nicht in den Staatsbankrott geschickt?
Ein Bankrott Griechenlands oder eines anderen Mitgliedes der Währungsunion würde zu hohen
Verlusten österreichischer und anderer europäischer Banken und Versicherungen führen. Eine
weitere Banken- und Finanzkrise würde folgen und die nachfolgenden Kosten könnten
schwerwiegende Auswirkungen haben. Nicht nur Österreich, sondern der gesamte EuroWährungsraum käme durch einen griechischen Staatsbankrott massiv unter Druck. Schon
geschwächte Staaten kämen noch mehr in die Bredouille und ein Dominoeffekt könnte die Folge
sein.
Ungeachtet der tatsächlichen Notwendigkeit der Darlehen an Griechenland, Irland und Portugal sind
die Hilfspakete auch ein klares Zeichen für Solidarität innerhalb der Europäischen Union. Die
Mitgliedstaaten können sich aufeinander verlassen und es wird kein Staat im Stich gelassen.
6.4.
Warum soll der österreichische Steuerzahler für andere Euro-Länder wie
Griechenland einspringen?
Sollte Griechenland seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können, müssten alle
Banken, Versicherer und Finanzdienstleister die im Vermögen befindlichen griechischen
Staatsanleihen komplett abschreiben, wodurch sie in Probleme kommen könnten. Österreichische
Finanzdienstleister sind zwar nicht in großem Umfang betroffen, aber es könnten Institute anderer
europäischer Länder betroffen werden, an denen wiederum heimische Unternehmen beteiligt sind
bzw. Aktien, Anleihen im Portfolio halten.
EU TOP THEMA
6.5.
Was passiert, wenn der Euro an Wert verliert?
Von wegen „schwacher Euro“: Der Euro startete bei seiner Einführung mit 1,18, fiel dann auf unter
0,89 US-Dollar; heute (Stand März 2012) liegt er bei 1,31 US-Dollar. Der im Vergleich zum Dollar
starke Euro hat auch Nachteile, v.a. für die Exportwirtschaft. Mit dem gesunkenen Wechselkurs wird
der US-amerikanische Markt auch für die heimische Exportwirtschaft wieder interessanter. Der
österreichische Export ist ein wesentlicher Konjunkturmotor und kann somit einen wertvollen
Beitrag zur Ankurbelung der heimischen Wirtschaft leisten. Ein Gleichgewichtswechselkurs nach
Kaufkraftparitäten (Euro zum Dollar) würde je nach Berechnungsmethode zwischen 1,10 und 1,30
liegen.
6.6.
Was würde passieren wenn ein Land aus dem Euro-Raum austreten
würde? Welche Konsequenzen hätte eine Teilung des Euro-Raums („NordEuro“ – „Süd-Euro“)?
Die Teilung in einen starken „Nord-Euro“ und einen schwachen „Süd-Euro“ wäre gleichbedeutend
mit einer Rückkehr zu einer Drittwährung. Die Konsequenzen wären für alle Beteiligten schlecht,
aber insbesondere für jene Länder dramatisch, die aus dem derzeitigen Euro-Raum ausscheiden
würden.
Der starke „Nord-Euro“ müsste aufwerten, die Teilnehmer würden an Wettbewerbsfähigkeit
gegenüber den ausgetretenen Ländern verlieren (die exportierten Produkte werden „teurer“, das
Urlaubsland Österreich wird teurer) und Österreich erleidet damit Exporteinbrüche zu diesen
Ländern. Die österreichische Industrie bleibt auf den Waren sitzen, die Arbeitslosigkeit steigt –
derzeit werden durch die Exporte in unserem Land rund 550.000 Jobs gesichert.
Die verschuldeten Süd-Euro-Länder würden zwar kurzfristig durch die Abwertung an
Wettbewerbsfähigkeit gewinnen (Exporte steigen, das Land wird für Touristen billiger), die Importe
würden sich aber im gleichen Ausmaß verteuern;
Weitere Konsequenzen für den austretenden Staat:
 die in (Hartwährungs-)Euro eingegangenen Schulden müssten zurückgezahlt werden (was viel
teurer wird) oder der Staat müsste umschulden (zumindest teilweise)
 dies könnte zu Banken“pleiten“ in manchen EU-Staaten führen (die Staatsanleihen im Portfolio
haben)
 es könnte zu einem Ansturm auf alle Banken (auch in anderen Ländern) kommen
 hohe Inflation (importiert und hausgemacht),
 durch den kleineren Währungsraum und durch die schlechtere Bonität müssten für
Staatsanleihen höhere Zinsen gezahlt werden im Vergleich zu den Mitgliedern des „Nord“-EuroRaums
 die Zinsen (für Investitionen und Konsum) würden in diesem Land steigen und die Wirtschaft
stagnieren oder in eine Rezession abgleiten
 Exporteure (und Reisende) müssten wieder für den Umtausch von Fremdwährung
Gebühren/Spesen zahlen oder sich gegen Währungsrisiko absichern
6.7.
Welche Folgen hätte es, wenn Österreich den Schilling wieder einführen
würde?
 Kosten: direkte Kosten: da die alten Schilling-Noten und –Münzen von der Nationalbank
vernichtet wurden, müssten neue hergestellt werden. Die Druckplatten gibt es zwar noch,
könnten aber aus Sicherheitsgründen nicht verwendet werden. Die OeNB bereitet sich schon auf
26
EU TOP THEMA




die nächste Serie der neuen, sicheren Euro-Banknoten vor. Umstellungskosten für Banken und
Unternehmen rund 3 Mrd. €. (Die Umstellung von Schilling auf Euro kostete die österreichische
Volkswirtschaft 2002 rund 1,5 Mrd. Euro und benötigte mehrere Jahre Vorbereitung).
Die OeNB müsste spekulative Angriffe durch teure Schilling-Ankäufe an den Finanzmärkten
abwehren.
Eine Bindung an wichtige Währungen wäre heute viel schwieriger, da die gehandelten Volumina
ungleich größer sind und die Märkte nervöser. Dies betrifft schon jetzt jene Länder, die ihre
Währungen seit einiger Zeit an den Euro koppeln.
Allenfalls steigende Preise durch schwankende Wechselkurse für Importprodukte (Lebensmittel,
Benzin etc.)
Eine erwartete (BA-Chefökonom Bruckbauer) Senkung der Wirtschaftsleistung bei einem
österreichischen Alleingang um 5% (rund 15 Mrd. Euro) würde rund 80.000 Arbeitsplätze kosten.
Das Problem würde noch durch den Wegfall des großen Euro-Binnenmarktes verschärft werden.
Die Investitionen von Konzernen aus dem Euro-Raum in Österreich wären ebenso rückläufig.
6.8.
Wie hat Österreich vom Euro profitiert?
Kein Land hat durch die Euro-Einführung seinen Wohlstand so stark gesteigert wie Österreich,
zeigen die Unternehmensberater McKinsey in einer im Jänner 2012 veröffentlichten Studie. Fast 8%
des BIP sind ihr zu verdanken. Der Grund für den Spitzenplatz: Wie der große Nachbar kann auch
Österreich die Vorteile eines großen Währungsraums voll nutzen, weil es seine
Wettbewerbsfähigkeit gesteigert hat. Zusätzlich profitiert es stärker vom intensivierten Austausch
mit Staaten in Osteuropa, die schon in der Eurozone sind oder sich ihr annähern.
Der Euro wird immer wieder gerne als "Teuro" verteufelt. Fakt ist jedoch: Die Inflation war vor
Einführung des Euro im Durchschnitt höher als heute. Zudem hat sich der Euro gerade in der
derzeitigen Wirtschaftskrise als Stabilitätsanker erwiesen. Und das ist nicht sein einziger Vorteil.
Kein Geldumtausch - keine Kursschwankungen
Zu den offensichtlichen Vorteilen zählt der Wegfall des Geldumtauschs. Das Risiko von
Kursschwankungen gehört damit ebenfalls der Vergangenheit an. Im gesamten Euroraum wurde das
27
EU TOP THEMA
Zahlen und Reisen dadurch vereinfacht. Dies gilt ebenso für die massiven Kostensenkungen im
europäischen bargeldlosen Zahlungsverkehr.
Die einheitliche Währung erlaubt eine einfache Vergleichbarkeit von Preisen im gesamten Euroraum.
Diese Preistransparenz steigert den innereuropäischen Handel und führt zu mehr Wettbewerb.
Schon vor Einführung des Euro wurden durch den freien Kapitalverkehr etwa die Kosten für Darlehen
gesenkt. Auch gibt es für Verbraucher viel mehr Anlagemöglichkeiten, die in der gesamten EU
genutzt werden können.
Vorteile für Unternehmen
Besonders für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ergeben sich durch den Wegfall von
Transaktionskosten wirtschaftliche Vorteile. Der Ankauf von Fremdwährungen oder eine teure
Absicherung gegen Kursschwankungen ist zum Beispiel nicht mehr erforderlich.
Eine Absicherung, wie sie heute im Handel mit dem Dollar-Raum noch üblich ist, verursacht gerade
für KMU erhebliche Zusatzkosten. Diese fallen innerhalb der EU nicht mehr an. So können
Unternehmen die Vorteile des europäischen Binnenmarktes zur Gänze ausschöpfen. Der daraus
resultierende europaweite Wettbewerb kommt allen EU-Bürgern zugute.
Stabilität in der Krise
Neben den unmittelbaren Vorteilen sorgt das Eurosystem für finanzielle Stabilität. Innerhalb von
zehn Jahren hat der Euro sein Gewicht in der Welt behauptet und ist nach dem US-Dollar die
zweitwichtigste Währung der Weltwirtschaft.
Besonders in der aktuellen Finanzmarktkrise hat der Euro seine Bewährungsprobe bestanden. Seine
Stärke sorgt für eine Stabilität der Währung, die es bei 17 verschiedenen Währungen mit ihrer
Spekulationsanfälligkeit nie gegeben hätte. Gerade kleine Länder wie Österreich wären stärker
währungspolitischen Spekulationen ausgesetzt als große.
6.9.
Wie wäre es uns in den letzen Jahren mit dem Schilling ergangen?
Anfang 2009 warnten Ratingagenturen davor, dass sich die Finanzkrise in Osteuropa auf Banken im
Westen auswirken könnte, die dort aktiv sind. Dies hätte in besonderem Ausmaß Österreich
betroffen. Aufgrund des intensiven Engagements österreichischer Banken in den mittel- und
osteuropäischen Ländern wurde die Bonität Österreichs angezweifelt. So stieg der Zins auf
österreichische Staatsanleihen 2009 um 95 Basispunkte im Vergleich zum Durchschnitt der
vergangenen Jahrzehnte. Statt 25 Basispunkten Aufschlag auf die am besten bewerteten deutschen
Staatsanleihen betrug dieser Aufschlag nun 120 Punkte. Österreichische Staatsanleihen zählten
somit, gemessen am Zinssatz, der das von Anlegern eingeschätzte Ausfallsrisiko widerspiegelt, zu
den am schlechtesten bewerteten in Westeuropa, gleichauf mit Spanien und Italien, jedoch deutlich
hinter Island und Irland.
Internationale Ratingagenturen überlegten sogar eine Abwertung der Bonitätseinstufung von TripleA hinunter, was die Zinsen für österreichische Staatsanleihen weiter erhöht hätte. Moody’s wies
„warnend“ darauf hin, dass sich die „Finanzkrise in Osteuropa“ negativ auf „Banken im Westen“
auswirken könnte. Fitch erklärte, dass es die „Verflechtung Österreichs mit Osteuropa mit
Besorgnis“ sehe. Die befürchtete Abwertung blieb vorläufig jedoch aus. Schließlich bestätigte
damals Standard & Poor's das Triple-A und kommentierte dies damit, dass davon ausgegangen
werde, dass Österreich die derzeitigen Schwierigkeiten werde bewältigen können.
28
EU TOP THEMA
29
Im April 2009 prophezeite der USStarökonom und Nobelpreisträger Paul
Greece
400
Portugal
Krugman aufgrund des Ostengagements
Ireland
350
Österreich – neben Irland und Island –
Spain
300
als vom Staatsbankrott bedroht, eine
Italy
Austria
250
Einschätzung, die von österreichischen
Belgium
200
Regierungsver-tretern
vehement
France
150
abgelehnt
und
in
Bezug
zu
100
Börsensentiment
und
Spekulation
50
gesehen
wurde.
Im
Mai
2009
0
entschuldigte
sich
der
IWF
seitens
juil-08
oct-08
janv-09
avr-09
juil-09
oct-09
janv-10
seines damaligen Chefs Dominique
Source: Bloomberg
Strauss-Kahn formell bei Österreich für einen „menschlichen, aber unakzeptablen Rechenfehler“,
den der IWF in der Einschätzung des Ostmarktes gemacht hatte und der diese ganze Affäre
verschlimmerte.
5Y CDSS
450
Als Maßnahme gegen die Wirtschaftskrise in den osteuropäischen Staaten verdoppelte die EU die
Zahlungsbilanzhilfe auf 50 Mrd. Euro, was den Finanzmärkten die Besorgnis nahm und die Aufschläge
wieder auf Normalniveau sinken ließ. Die Zinsdifferenz hätte laut Schätzung der OeNB in den Jahren
2009 und 2010 jeweils rund 1 Milliarde Euro zusätzlicher Zinskosten verursacht (siehe auch Punkt
2.3). Hätte Österreich zu dieser Zeit nicht den Euro, sondern den Schilling als Währung gehabt,
wäre dieser massiv unter Druck gekommen. Als Mitglied des Euroraumes wurden diese
Währungsturbulenzen nicht schlagend.
6.10. Wie geht es der Schweiz mit ihrem „harten“ Franken?
Die Schweizer Notenbank musste während der Krise gegen eine zu starke Aufwertung des Schweizer
Franken intervenieren, um eine Deflation zu verhindern, was ihr auch gelang. Allerdings war der
Preis sehr hoch: Die Verluste der Schweizer Notenbank aus diesen Interventionen betrug im Jahre
2010 26,4 Mrd. Schweizer Franken (ca. 20 Mrd. Euro!). Nicht zuletzt aufgrund des enormen
Aufwertungsdrucks verlor die Schweizer Wirtschaft zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit.
Weil der Schweizer Franken gegenüber dem Euro zuletzt immer stärker geworden war, versuchte
die Schweizer Nationalbank mit Zinssenkungen und massiven Liquiditätsspritzen, den Franken zu
schwächen. Dadurch entstand 2010 und bis Mitte 2011 ein Verlust von 35 Mrd. CHF. Zwar konnten
die Währungshüter die Aufwertung etwas bremsen, für einen nachhaltigen Ausbruch aus dem
Aufwärtstrend reichte es jedoch nicht. Am 6. September 2011 zog die Schweizer Nationalbank daher
quasi die Notbremse. Sie legte einen Euro-Mindestkurs von 1,20 Schweizer Franken fest
Mit der Festlegung eines fixen Wechselkurses zum Euro hat sie die eigene Währungssouveränität
aufgegeben. Es gibt Schweizer Unternehmen (vor allem im grenznahen Raum), die ihren
Mitarbeitern sogar die Löhne in (weniger harten) Euro auszahlen.
6.11. Ist der Austritt aus der Euro-Zone überhaupt rechtlich möglich?
Ein freiwilliger Ausstieg ist laut Europarechtsexperten nur bei einem gleichzeitigen Austritt aus der
EU (möglich mit anschließendem Wiedereintritt in die EU) durchführbar. Gegen den Willen eines
Staates kann kein Ausschluss erfolgen, da wichtige Entscheidungen Einstimmigkeit erfordern.
EU TOP THEMA
6.12. Wie viel zahlt Österreich wann an Griechenland?
Griechenland wurde innerhalb des ersten Rettungspaketes ein Darlehensrahmen von 110 Mrd. Euro
(80 Mrd. Euro durch bilaterale Kredite der Euro-Staaten; 30 Mrd. Euro durch den IWF) für drei Jahre
gewährt (bis 2013).
Österreichs Beitrag dafür beträgt bis zu 2,3 Mrd. Euro und ist nicht "geschenkt", sondern ein Kredit,
der bei einer Laufzeit von drei Jahren mit ursprünglich 4,5% verzinst ist. Gesetzliche Grundlage für
die Auszahlung des Geldes durch Österreich ist das Zahlungsbilanzstabilisierungsgesetz; die
Zustimmung des Nationalrates erfolgte am 20. Mai 2010.
Das Darlehen wird - je nach Fortschritt der Umsetzung der Sparmaßnahmen und Reformen in
Griechenland - in Tranchen über die laufenden drei Jahre ausbezahlt. Die Bereitstellung der
Kredithilfen ist an strikte Bedingungen geknüpft, Rückzahlung und Verzinsung müssen unter
Einhaltung harter Auflagen gewährleistet werden. Die Umsetzung des griechischen Sparprogramms
wird vierteljährlich von EU und IWF überprüft.
Das bisher an Griechenland überwiesene Geld ist durch den im März 2012 durchgeführten
Schuldenschnitt von über 53,5% nicht zur Hälfte verloren, da dieser Schuldnachlass eine Beteiligung
des Privatsektors von rund 107 Mrd. Euro ist.
Der österreichische Staat verliert vorerst keinen einzigen Euro, im Gegenteil, Griechenland zahlt die
vereinbarten Zinsen. 1,56 Mrd. Euro sind bis Anfang März 2012 von Österreich als Darlehen nach
Griechenland geflossen, dafür wurden von Griechenland 62,6 Mio. Euro Zinsen an Österreich
gezahlt. Als Beitrag des öffentlichen Sektors zum neuen Griechenland-Rettungspaket wird der
Zinssatz reduziert, den Griechenland für die Rückzahlung der Gelder des ersten Hilfspakets zu
zahlen hat. Er liegt nun über 1,5% über dem Interbankenmarkt-Zinssatz. Laut Finanzministerium
wird Österreich dadurch künftig um rund 1,5 Mio. Euro weniger Zinsen von Griechenland erhalten als
bisher geplant. Diese Mindereinnahmen würden aber über eine Verrechnung im
Zentralbankensystem ausgeglichen.
30
EU TOP THEMA
7. ANHANG: INFORMATIONSLINKS RUND UM DIE EU UND DIE AKTUELLE
WIRTSCHAFTS- UND WÄHRUNGSSITUATION
 Bundesministerium für Finanzen
http://www.bmf.gv.at
 Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend
http://www.bmwfj.gv.at
 Centre for European Policy Studies
http://www.ceps.eu
 Europäische Bankenaufsicht:
http://www.c-ebs.org
 Europäische Kommission - EU-Strategie zur Bewältigung der Wirtschafts- und
Finanzkrise http://ec.europa.eu/economy_finance/focuson/crisis
 Europäische Kommission – Frühjahrsprognose 2011-12
http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/11/565&format=HTM
L&aged=0&language=DE&guiLanguage=en
 Europäische Kommission – Wiederbelebung der europäischen Wirtschaft
http://ec.europa.eu/financial-crisis/index_de.htm
 Europäische Zentralbank
http://www.ecb.int/ecb/html/index.de.html
 European Economic Advisory Group
www.cesifo-group.de/eeag
 European Union Information - EurActiv Network
http://www.euractiv.com/de
 Eurostat
http://www.epp.eurostat.ec.europa.eu/
 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik
http://cms.euro-info.net/
 Österreichische Nationalbank
http://www.oenb.at/
 Stabsabteilung EU-Koordination der Wirtschaftskammer Österreich
http://wko.at/eu
31
Herunterladen