DIE FINANZ- UND WIRTSCHAFTSKRISE Zahlungsbilanzhilfe, EU-Rettungsschirm für die Eurozone und Finanzmarktregulierung Impressum: März 2012 Wirtschaftskammer Österreich Stabsabteilung EU-Koordination 1045 Wien, Wiedner Hauptstraße 63 T: 05 90 900-4315 W: http://wko.at/eu | E: [email protected] Für den Inhalt verantwortlich: MMag. Christian Mandl Autoren: Dr. Ulrike Hassmann-Vorbach, LLM.Eur. Mag. Marlene Gündler Redaktion: EU-Öffentlichkeitsarbeit 2012 Wirtschaftskammer Österreich Inhalt nach bestem Gewissen aber ohne Gewähr EU TOP THEMA Inhalt 1. EINLEITUNG ........................................................................................................1 2. URSACHEN UND FOLGEN DER KRISE............................................................................1 2.1. IMMOBILIEN- UND BANKENKRISE IN DEN USA ...................................................................1 2.2. WIRTSCHAFTSKRISE ............................................................................................1 2.3. OSTEUROPA: REZESSION UND ZAHLUNGSBILANZHILFE ..........................................................2 2.4. STAATEN- UND SCHULDENKRISE IM EURORAUM .................................................................3 3. EU-HILFEN ..........................................................................................................3 3.1. ERSTES GRIECHENLAND-HILFSPAKET ...........................................................................3 3.2. TEMPORÄRER EURO-SCHUTZSCHIRM EFSM UND EFSF .........................................................4 3.3. DAUERHAFTER EURO-SCHUTZSCHIRM (ESM) VORGEZOGEN AB MITTE 2012....................................8 4. DIE EINZELNEN LÄNDER UND IHRE KRISEN .................................................................. 10 4.1. GRIECHENLAND .............................................................................................. 10 4.2. IRLAND ...................................................................................................... 14 4.3. PORTUGAL................................................................................................... 15 4.4. ITALIEN, SPANIEN UND ZYPERN – WEITERE SORGENKINDER DER EUROZONE? .................................. 16 5. LEGISTISCHE BEGLEITMASSNAHMEN ......................................................................... 17 5.1. WIRTSCHAFTSPOLITISCHE STEUERUNG DER EU ............................................................... 17 5.2. DIE STRATEGIE EU-2020 UND DAS EUROPÄISCHE SEMESTER ................................................. 19 5.3. DIE NEUEN FINANZMARKTAUFSICHTSBEHÖRDEN .............................................................. 20 5.4. NEUE STRUKTUR FÜR DIE EURO-GRUPPE..................................................................... 22 5.5. EUROSTAT - VERBESSERUNG DER QUALITÄT GEMELDETER DATEN .......................................... 23 5.6. BANKENSTEUERN............................................................................................. 23 5.7. BANKEN-/VERSICHERUNGSSTRESSTESTS...................................................................... 24 6. FRAGEN UND ANTWORTEN .................................................................................... 25 6.1. WARUM WURDE GRIECHENLAND ÜBERHAUPT IN DIE WÄHRUNGSUNION AUFGENOMMEN? ...................... 25 6.2. WIE WAHRSCHEINLICH IST ES, DASS GRIECHENLAND DAS GELD NICHT ZURÜCKZAHLEN KANN? ................. 25 6.3. WARUM WIRD GRIECHENLAND NICHT IN DEN STAATSBANKROTT GESCHICKT? .................................. 25 6.4. WARUM SOLL DER ÖSTERREICHISCHE STEUERZAHLER FÜR ANDERE EURO-LÄNDER WIE GRIECHENLAND EINSPRINGEN? ......................................................................................................... 25 6.5. WAS PASSIERT, WENN DER EURO AN WERT VERLIERT? ....................................................... 26 6.6. WAS WÜRDE PASSIEREN WENN EIN LAND AUS DEM EURO-RAUM AUSTRETEN WÜRDE? WELCHE KONSEQUENZEN HÄTTE EINE TEILUNG DES EURO-RAUMS („NORD-EURO“ – „SÜD-EURO“)? ........................................... 26 6.7. WELCHE FOLGEN HÄTTE ES, WENN ÖSTERREICH DEN SCHILLING WIEDER EINFÜHREN WÜRDE? ................ 26 6.8. WIE HAT ÖSTERREICH VOM EURO PROFITIERT? ............................................................... 27 6.9. WIE WÄRE ES UNS IN DEN LETZEN JAHREN MIT DEM SCHILLING ERGANGEN? ................................... 28 6.10. WIE GEHT ES DER SCHWEIZ MIT IHREM „HARTEN“ FRANKEN?................................................. 29 6.11. IST DER AUSTRITT AUS DER EURO-ZONE ÜBERHAUPT RECHTLICH MÖGLICH? .................................. 29 6.12. WIE VIEL ZAHLT ÖSTERREICH WANN AN GRIECHENLAND? ..................................................... 30 7. ANHANG: INFORMATIONSLINKS RUND UM DIE EU UND DIE AKTUELLE WIRTSCHAFTS- UND WÄHRUNGSSITUATION ......................................................................................... 31 EU TOP THEMA 1. EINLEITUNG Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise, die 2007 in den USA ihren Ausgang nahm, hat auch vor den Toren Europas nicht halt gemacht und mit voller Wucht die EU-Mitgliedstaaten erfasst. Nach einer Talfahrt an den Börsen, Kreditverknappung und fallenden Immobilienpreisen führte die Krise zu einem dramatischen Rückgang der Wirtschaftsleistung, zu höheren Staatsausgaben, die wiederum zu einer hohen Verschuldung vieler EU-Mitgliedstaaten und schlussendlich 2010 zu einer Destabilisierung des Vertrauens in einzelne Euroländer. Ohne den schützenden Schirm der EU und insbesondere der Währungsunion wären die einzelnen Mitgliedstaaten wohl nicht mit einem blauen Auge davongekommen. Europa erholt sich zwar langsam von der Krise, aber die Staatsschulden sind in einzelnen EU-Staaten bedrohlich angestiegen. Die ins Wanken geratenen Staaten zeigen ihren Willen, die teils sehr drastischen Reformen auch tatsächlich umzusetzen; die Schulden abzubauen erweist sich aber als große Herausforderung. Das folgende Top-Thema versucht einen Überblick über die wichtigsten Maßnahmen zur Stabilisierung der angeschlagenen Euro-Mitgliedstaaten und der gemeinsamen Währung zu geben. 2. URSACHEN UND FOLGEN DER KRISE 2.1. Immobilien- und Bankenkrise in den USA Die ursprünglich vom US-Immobilienmarkt ausgehende Immobilienkrise (Subprime Krise) wurde vor allem durch gestiegene Zinsen ausgelöst. Viele US-Hausbesitzer konnten ihre Kredite nicht mehr bedienen und mussten verkaufen oder zwangsversteigern. Der Häusermarkt brach ein; die mit Immobilien besicherten Kredite konnten nicht zurückbezahlt werden; die abgeleiteten Finanzprodukte verloren an Wert. Die Finanzkrise brachte einen Vertrauensverlust in den gesamten Finanzmarkt mit sich. Viele Banken und Fonds blieben auf ihren Produkten sitzen und mussten ihre Wertpapiere abschreiben, da die Anleger nicht mehr investierten und auch die Banken sich gegenseitig nicht mehr vertrauten. Aufgrund der Vertrauenskrise wurde dem Markt kein frisches Geld mehr zugeführt. Höhepunkt war der Zusammenbruch der US-Bank Lehmann Brothers im September 2008. Von Amerika ausgehend gerieten weltweit zahlreiche Finanzinstitute, aber auch Staaten in Schwierigkeiten (z.B. Island musste vom IWF vor der Staatspleite gerettet werden); einige standen vor dem Zusammenbruch. Viele Regierungen, auch Österreich, mussten ihre nationalen Institute stützen und Schutzschirme aufspannen. Die meisten Banken konnten schlussendlich durch Garantiezusagen und Kapitalzuschüsse gerettet werden. Die Folge war aber, dass sich das Vertrauen in die Finanzmärkte und den Bankensektor weiter abschwächte. Bis heute konnte man sich von der Krise nicht vollständig erholen. 2.2. Wirtschaftskrise Auch die Preise auf den Rohstoff- und Energiemärkten gingen stark zurück, Banken zögerten bei der Kreditvergabe. Gleichzeitig kam es zu einem Einbruch der Realwirtschaft. Die Finanzkrise führte schließlich zur größten globalen Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg. Viele große Volkswirtschaften rutschten in die Rezession, Aktienmärkte brachen ein. In Europa manifestierte sich die Krise zum einen in manchen Ländern als Immobilienkrise mit stark sinkenden Immobilienpreisen (Großbritannien, Spanien, Portugal). Zum anderen mussten beinahe alle europäischen Länder ihren Finanzinstituten und Versicherungen nach hohen Verlusten oder 1 EU TOP THEMA Insolvenzgefahr unter die Arme greifen. Exportorientierte Länder wie Österreich mussten enorme Exportrückgänge (2009 rund minus 20%!) hinnehmen. In der Industrie kam es zu Absatzeinbrüchen von bis zu 20% im EU-Durchschnitt. Damit stieg auch die Arbeitslosigkeit in der EU 2009 auf 23 Mio. an. 2.3. Osteuropa: Rezession und Zahlungsbilanzhilfe Besonders hart getroffen hat die Wirtschafts- und Finanzkrise Osteuropa. Begünstigt durch einen umfangreichen Liberalisierungs- und Deregulierungsprozess entwickelten sich in einigen osteuropäischen Ländern spekulative Blasen. Zusätzlich haben die hohe Abhängigkeit von Fremdwährungskrediten (besonders im Privatsektor), der dramatische wirtschaftliche Abschwung und der massive Rückgang an ausländischen Direktinvestitionen die Situation in Osteuropa weiter verschärft. Hinzu kommt, dass einige westeuropäische Banken ihr Geld aus Osteuropa abzogen. Die osteuropäische Zahlungsbilanzkrise zwang einige Länder zur Abwertung ihrer Währungen, mit der sich in der Folge die reale Last der Auslandsverschuldung erhöhte. Obwohl die meisten Länder nicht Teil der Währungsunion sind, betreffen die dortigen Zahlungsbilanzschwierigkeiten auch den Euroraum. Die geschwächten Euroaspiranten mussten daher mit Rettungsaktionen gestützt werden. Ungarn suchte als erstes Land IWF, Weltbank und EU um Unterstützung an. Lettland und Rumänien folgten. Generell waren jene osteuropäischen Länder, die ihre Währung fix an den Euro gebunden haben, stärker von der Krise betroffen. So konnten sich etwa Polen oder Tschechien mit Währungsabwertungen zu mindestens vorübergehende Verschnaufpausen verschaffen. Polen schaffte es durch eine starke Binnenkonjunktur selbst im Krisenjahr 2009 ein positives Wirtschaftswachstum zu erzielen - als einziges der 27 EU-Mitgliedstaaten! Die EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen, den angeschlagenen neuen EU-Mitgliedstaaten Zahlungsbilanzhilfen zur Verfügung zu stellen. Im Zeitraum zwischen 2008 und 2009 wurde die Zahlungsbilanzhilfe sogar von ursprünglich 12 Mrd. Euro zuerst auf 25 Mrd. Euro und später auf 50 Mrd. Euro vervierfacht. In Kooperation mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der EU-Kommission wurden Hilfspakete für geschwächte EU-Mitgliedstaaten erarbeitet. Die Zahlungsbilanzhilfen kommen nicht direkt aus dem EU-Budget, sondern sind Gelder, die von der EU auf den Kapitalmärkten zu günstigen Konditionen aufgenommen und über die Europäische Investitionsbank ausbezahlt werden. Es handelt sich dabei um Darlehen zur Finanzierung des Zahlungsbilanzdefizites. Bezugsberechtigt sind alle zehn Nicht-Euro-Länder der EU, da diese wesentlich stärker gegen Währungsspekulationen zu kämpfen haben. Besonders aus österreichischer Sicht war die Zahlungsbilanzhilfe für Osteuropa von großer Wichtigkeit. Österreichische Banken waren mit insgesamt 300 Mrd. Euro in Osteuropa engagiert. Viele heimische Unternehmer haben in die Region investiert. Und Österreichs Außenhandel ist unter den EU 15 am stärksten in der Region Osteuropa vertreten. Aufgrund des hohen Kreditvolumens österreichischer Banken in Osteuropa sprach ein USNobelpreisträger im April 2009 von einem drohenden Staatsbankrott Österreichs. Der Effekt waren stark steigende (Versicherungs-)Zinsen für österreichische Staatsanleihen. Erst durch die Ausweitung der Zahlungsbilanzhilfe der EU sanken die Zinsen wieder auf „Normalniveau“. Die EU-Maßnahme bzw. generell die Mitgliedschaft in der Eurozone ersparte Österreich hohe Zinsen und Refinanzierungskosten von jährlich rund 1 Mrd. Euro! (siehe auch Punkt 6.8). 2 EU TOP THEMA 2.4. Staaten- und Schuldenkrise im Euroraum Nachdem die starke Verschuldung in Verbindung mit zu wenig Kapital zunächst die Banken und dann ganze Volkswirtschaften in die Krise gebracht hat, kamen schlussendlich die Staaten selbst ins Wanken. Einige Staaten haben jahrzehntelang über ihre Verhältnisse gelebt. Es wurde viel mehr Geld ausgegeben als eingenommen und die Schulden stiegen somit stetig an. Im Zuge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise explodierten aufgrund von Konjunktur- und Bankenrettungspaketen, sinkenden Steuereinnahmen und steigenden Sozialausgaben die Schulden. In einigen Ländern wurden damit die Zinslasten bedrohlich für die weiteren Wachstumsaussichten. Durch die zusätzlichen Kosten, die die Krise verursachte, stellte sich immer mehr die Frage, ob die Staaten ihre Schuldenlasten überhaupt schultern können. Island und die Ukraine als auch die EUMitgliedstaaten Lettland und Ungarn mussten durch bilaterale Hilfe und Kredite durch den IWF oder durch die EU-Zahlungsbilanzhilfe aufgefangen werden. 3. EU-HILFEN 3.1. Erstes Griechenland-Hilfspaket Als erstes Euroland musste sich Griechenland geschlagen geben. Nachdem die Zinsen für zehnjährige griechische Staatsanleihen im April 2010 auf über 8,5% angestiegen waren, musste die griechische Regierung vor dem Druck der Finanzmärkte kapitulieren und um ausländische Finanzhilfe ersuchen mit dem Ziel, eine Staatsinsolvenz abzuwenden. Die Finanzminister der Eurozone erklärten sich zu Finanzhilfen für das hoch verschuldete Griechenland bereit und einigten sich schließlich am 2. Mai 2010 auf ein 110 Mrd. Euro schweres erstes Hilfspaket. Von dem Darlehensrahmen, der dem Land für die folgenden drei Jahre gewährt wurde bzw. wird, entfallen 80 Mrd. Euro auf bilaterale Kredite der Euro-Staaten und 30 Mrd. Euro auf den IWF. (Wegen Nichtbeteiligung der Slowakei und späterem Wegfall von Zahlungen der unter den Euro-Rettungsschirm geschlüpften Länder Irland und Portugal hat sich das Hilfspaket um 2,7 Mrd. auf 107,3 Mrd. Euro nachträglich verringert.) 3 EU TOP THEMA 4 Die Lastenteilung unter den Euro-Partnern erfolgt gemäß dem Kapitalschlüssel der Europäischen Zentralbank. Die Beiträge sind kein Geschenk an die Republik Griechenland, sondern (Not-) Kredite, die bei einer Laufzeit von bis zu fünf Jahren mit etwa 4,5% variabel verzinst wurden. (Im Rahmen des zweiten Rettungspakets wurde die Verzinsung für bereits gewährte Hilfskredite jedoch auf 1,5 Prozentpunkte oberhalb des Euribor gesenkt.) Das Darlehen wurde und wird - je nach Fortschritt der Umsetzung der Sparmaßnahmen und Reformen in Griechenland – in Tranchen ausbezahlt. Bis Anfang 2012 wurden in sechs Tranchen 73 Mrd. Euro an Athen aus diesem Paket ausbezahlt (52,9 Mrd. von Eurozone und 20,1 Mrd. vom IWF). Damit würden noch 34,4 Mrd. Euro übrigbleiben (24,4 Mrd. Eurozone und knapp 10,0 Mrd. vom IWF). Die Bereitstellung der Kredithilfen ist an strikte Bedingungen geknüpft, Rückzahlung und Verzinsung müssen unter Einhaltung harter Auflagen gewährleistet werden. Nur bei Erfüllung sämtlicher Auflagen werden die zugesagten Mittel auch tatsächlich ausbezahlt. Die Umsetzung des griechischen Sparprogramms wird von der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem IWF (sog. „Troika“) überprüft. Der österreichische Beitrag beträgt 2,29 Mrd. Euro. Gesetzliche Grundlage für die Auszahlung des Geldes in Österreich ist das Zahlungsbilanzstabilisierungsgesetz, dem der Nationalrat am 20. Mai 2010 zustimmte. Die Höhe der Kredite, die Österreich anderen Staaten maximal gewähren darf, wurde damit von 2 auf 2,3 Mrd. Euro aufgestockt. Weil aber diese Hilfsgelder für Griechenland nicht die erwünschte Beruhigung an den Finanzmärkten herbeiführten und noch andere Staaten des Euroraumes von ihren wirtschaftlichen Kennzahlen her im Verdacht standen, bald Finanzhilfe in Anspruch nehmen zu müssen, wurde nach einer weitergehenden Lösung für den gesamten Euroraum gesucht. 3.2. Temporärer Euro-Schutzschirm EFSM und EFSF Der Kurs der europäischen Gemeinschaftswährung und die Börsen in Europa gerieten im Zuge der griechischen Schuldenkrise zunehmend unter Druck. Nach einem Kursverfall des Euro gegenüber dem Dollar im Frühjahr 2010 um 20% wurde die Stabilisierung des Euro zum vordringlichen Anliegen. Der Euro erreichte zeitweise ein Tief von 1,19 US-Dollar, was allerdings immer noch in der Mitte des Rekordtiefs von 0,89 und dem Rekordhoch von rund 1,60 im Jahr 2008 liegt. Die große Herausforderung war es daher, das Vertrauen in Europa und den europäischen Finanzmarkt wieder zu stärken. Bei einem Krisengipfel der EU-Finanzminister gemeinsam mit EUKommission und Vertretern der EZB am 9. Mai 2010 konnte eine Einigung auf ein insgesamt 750 Mrd. Euro umfassendes Rettungspaket für den Euroraum erzielt werden. Der Großteil des Geldes wird in Form von Garantien zur Verfügung gestellt. Das Rettungspaket dient vor allem dazu, die Märkte zu beruhigen und Spekulationen auf den Staatsbankrott von EU-Mitgliedsländern entgegenzusteuern. Der IWF stellt 250 Mrd. Euro und die EU 500 Mrd. Euro für den Notfalltopf zur Verfügung. Konkret kommen 60 Mrd. Euro, die sofort verfügbar sind, aus dem EU-Gemeinschaftsbudget und werden von der EU-Kommission verwaltet (EFSM, „European Financial Stabilisation Mechanism“). Hier beteiligen sich alle 27 EU-Mitgliedstaaten. Zur Mittelbeschaffung begibt die EU-Kommission Anleihen, die mit dem EU-Haushalt besichert sind. EU-Stabilitätsmechanismus EFSM (aus dem EU-Budget) EU-Stabilitätsfazilität EFSF (bilaterale Garantien) IWF-Programme Temporärer EU/IWF-Rettungsschirm GESAMT 60 Mrd. € 440 Mrd. € 250 Mrd. € 750 Mrd. € EU TOP THEMA Bis Anfang 2012 hat der EFSM 15,6 Mrd. Euro an Portugal und 15,4 Mrd. Euro an Irland ausbezahlt, insgesamt 31 Mrd. Euro. Die gesamten Verpflichtungen belaufen sich auf 26 Mrd. für Portugal und 22,5 Mrd. für Irland - gesamt 48,5 Mrd. Euro. Ausgehend von den Verpflichtungen verbleiben im EFSM damit 11,5 Mrd. Euro. Grundsätzlich ist der EFSM - er gilt nicht nur für die 17 Euro-Länder, sondern kann allen EU-Staaten in Schwierigkeiten helfen - befristet, doch wurde noch nicht entschieden, ob und wann er ausläuft. Die „European Financial Stability Facility, EFSF“ ist eine nach Luxemburger Recht gegründete Zweckgesellschaft - mit den 17 Eurostaaten als Gesellschaftern -, die bis zu 440 Mrd. Euro bereitstellen kann. Die EFSF ist bewusst keine EU-Institution, da es der Art. 125 AEU-Vertrag verbietet, dass ein EU-Land für die Verbindlichkeiten eines anderen einsteht (no-bail-out-clause). Bei Bedarf, d.h. sollte sich ein Euroland in einer finanziellen Notlage befinden, vergibt die EFSF Anleihen, die von den Mitgliedern der Eurozone besichert sind. Die Haftungen kommen natürlich nur im Falle einer drohenden Staatsinsolvenz zum Tragen. Die Mitglieder der Eurozone beteiligen sich nach dem Kapitalzeichnungsschlüssel der EZB an diesem System. Nach diesem Schlüssel müsste Österreich maximal 12,5 Mrd. Euro garantieren. Sollten andere Euroländer ihren Verpflichtungen nicht nachkommen können, so könnte sich die österreichische Haftung im schlimmsten Fall auf rund 15 Mrd. Euro erhöhen. Hintergrund ist, dass jeder Gesellschafter der European Financial Stability Facility sich verpflichtet, seine Haftung um bis zu 20% zu erhöhen, sollten andere EFSF Gesellschafter ausfallen. Diese Klausel soll der EFSF ein erstklassiges Ranking und günstige Finanzierungskonditionen sichern. Der Euro-Schutzschirm EFSF wurde geschaffen für den Fall, dass weitere Mitglieder der Eurozone vergleichbare Hilfspakete wie Griechenland beantragen müssen. Als erstes Euroland beantragte Irland und dann später Portugal unter diesem Regime Finanzhilfe (Auch das 2. GriechenlandRettungspaket über 130 Mrd. Euro, das im März beschlossen wurde, wird über die EFSF laufen). Das Paket zur Stabilisierung der Gemeinschaftswährung zeigte in den ersten Tagen seines Bestehens erste Wirkungen: Finanzmärkte und Euro-Kurs reagierten sofort positiv auf den Schutzschirm für überschuldete Euro-Länder. Am 7. Juni 2010 segneten die Euro- Finanzminister bei ihrem Treffen in Luxemburg den 750 Mrd. Euro schweren temporären EU-/IWF-Rettungsschirm endgültig ab. Der österreichische Nationalrat verabschiedete am 19. Mai 2010 die notwendigen Gesetzesänderungen. Im Parlament wurde ein zusätzlicher Haftungsrahmen von 15 Mrd. Euro für den EUInterventions-fonds geschaffen. Für den österreichischen Anteil am Euro-Stabilisierungs-Paket musste aber kein zusätzliches Geld in die Hand genommen werden, weil die Haftungen aus dem seinerzeitigen österreichischen Bankenpaket nicht ausgeschöpft wurden. Der Haftungsrahmen für österreichische Banken („Interbankmarktstabilisierungsgesetz“) wird von 65 auf 50 Mrd. Euro sinken. Parallel zu den Maßnahmen des Europäischen Rates begann auch das Euro-System, also die EZB, Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Staaten (GR, IRL, P) auf dem Sekundärmarkt zu kaufen. Sie tat dies, um die Staatsanleihenmärkte dieser Länder wieder zum Funktionieren zu bringen. Art. 123 AEU-Vertrag verbietet nur den unmittelbaren Erwerb von mitgliedsstaatlichen Schuldtiteln durch die Zentralbanken, nicht jedoch den Erwerb von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt, wie er im Rahmen dieses Ankaufsprogramms durchgeführt wurde. Nachdem jedoch die Kreditwürdigkeit nur bei einem Teil der garantiegebenden Mitgliedstaaten mit einem AAA bewertet war, musste die EFSF im Zuge ihrer Errichtung mit zusätzlichen Sicherheiten ausgestattet werden, damit sie ihrerseits ein AAA erhielt. Gleichzeitig hatte sich dadurch allerdings (beim gegebenen Haftungsvolumen von 440 Mrd. Euro) die Kreditvergabekapazität der EFSF auf rund 220-250 Mrd. Euro verringert. Darunter hat allerdings wiederum die Glaubwürdigkeit des Instruments gelitten, und die Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes haben sich 5 EU TOP THEMA 6 daher bei ihrem Treffen am 11. März 2011 verpflichtet, dass die ursprünglich geplante effektive Kreditvergabekapazität von 440 Mrd. Euro jedenfalls hergestellt werden müsse. Beim Treffen der Euro-Gruppe am 20. Juni 2011 wurde nun der Haftungsrahmen der EFSF auf knapp 780 Mrd. Euro erhöht, um so die effektive Vergabekapazität von 440 Mrd. Euro zu erreichen. Die entsprechenden Anpassungen wurden dem Europäischen Rat am 24. Juni 2011 zur Kenntnis gebracht. Österreich hat Ende September 2011 der Erweiterung im Nationalrat zugestimmt. Damit wurde die Haftungsverpflichtung Österreichs von 12,2 auf 21,6 Mrd. Euro angehoben. Dazu kommen noch Kosten und Zinsen, die sich nach aktueller Schätzung auf bis zu 7,1 Mrd. Euro belaufen könnten, in Summe also 28,7 Mrd. Euro, für die Österreich gerade steht. Zum Vergleich: Deutschland haftet für einen Anteil von 211 Mrd. Euro. Die erweiterte EFSF musste, um ihre neuen Instrumente einsetzen zu können, in allen 17 Euro-Ländern von den nationalen Parlamenten gebilligt werden. Alle Euro-Staaten haben die Erhöhung des Rettungsschirms ratifiziert – auch die Slowakei am 13.10. 2011 als letztes Euro-Land. Vor allem aus innenpolitischen Gründen war dort die Zustimmung am seidenen Faden gehangen und erst im zweiten Anlauf zustande gekommen, nachdem die Regierungschefin Neuwahlen versprochen hatte. Bei ihrem Gipfel am 21. Juli 2011 haben die Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder beschlossen, dass die EFSF unter strikten Bedingungen Staatsanleihen am Kapitalmarkt aufkaufen kann und Ländern vor Ausbruch einer schlimmen Schuldenkrise mit Krediten unter die Arme greifen kann. Anders als bisher darf die EFSF künftig auch Kredite am Primärmarkt, also direkt von Staaten kaufen - genauso wie der ab Mitte 2012 geplante permanente Rettungsschirm ESM. Mit diesem neuen Instrument können die Rettungsschirme eine Art Starthilfe leisten, wenn sie sich an einer neuen Anleihe-Ausgabe eines Landes beteiligen, das an die Kapitalmärkte zurückkehrt. Nachdem auch immer wieder von einer Ausweitung der Schuldenkrise auf Länder wie Italien und Spanien die Rede ist und deren Rettung mit dem derzeitigen Haftungsrahmen der EFSF nicht möglich wäre, wurde von vielen Seiten eine weitere Erhöhung des Rettungsschirms gefordert. Außerdem wurde immer klarer, dass die Situation in Griechenland ohne Schuldenschnitt nicht bewältigt werden kann. Deshalb wurde in vielen Krisentreffen der Euro-Finanzminister und schließlich beim EU-Gipfeltreffen und Gipfel der Eurozone am 26.10.2011 folgende Maßnahmen beschlossen: Der Schutzschirm EFSF soll mit einem „Hebel“ ausgestattet werden, um seine Schlagkraft zu stärken, ohne dass die Haftungssumme weiter erhöht werden wird. Im Gespräch ist eine Kombination aus einer Teilabsicherung von Staatsanleihen durch die EFSF und Kreditlinien des IWF. Zudem arbeiten die Euro-Länder an einem zweiten Modell in Form von Sondertöpfen (Special Purpose Vehicles) zum Aufkauf von Staatsanleihen. In der Folge spielte der Hebel allerdings keine weitere Rolle. Die EFSF wird in Zukunft eine Rolle bei der Rekapitalisierung der Banken spielen; sie soll Staaten in bestimmten Fällen Geld für die Unterstützung von Banken leihen. Systemrelevante Banken müssen bis 30. Juni 2012 eine deutlich höhere Kern-Eigenkapitalquote als bisher aufweisen, Zielwert ist 9% (Kerneigenkapital im Sinne von Basel III + Staatshilfen). Die EU TOP THEMA österreichische Finanzmarkaufsicht verschärfte die Erfordernisse für die in Osteuropa tätigen Banken auf 10% und beschränkte die Kreditvergabe auf 110% der Einlagen. Ziel ist die Absicherung gegen die Folgen eines Schuldenschnitts bei Griechenland und möglicher weiterer Turbulenzen auf den Finanzmärkten. Dafür brauchen die Banken nach ersten Angaben der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) rund 106 Mrd. Euro. Auf österreichische Institute entfallen 2,9 Mrd. € Kapitalbedarf. Die Banken sollen das erforderliche Kapital zunächst selbst bzw. mit privaten Mitteln (z.B. über Kapitalmarkt) aufstellen, und erst in zweiter Linie durch Staatshilfen. Bis zur Erreichung des Ziels unterliegen die Banken Ausschüttungsbeschränkungen bei Dividenden und Bonuszahlungen. Die Wirkungen auf die „Realwirtschaft“ bei dem Kapitalaufbau werden mit dem Ziel der Verhinderung einer Kreditklemme beobachtet. Die EFSF mit einer Gesamthöhe von 440 Mrd. Euro hat bis Anfang 2012 9,6 Mrd. an Portugal und 10,6 Mrd. an Irland vergeben - in Summe wurden damit 20,2 Mrd. ausbezahlt. Die Verpflichtungen für Irland liegen bei 17,7 Mrd. und für Portugal bei 26 Mrd. - miteinander 43,7 Mrd. Euro. Da das zweite Griechenland-Rettungspaket über den EFSF laufen soll, würde dies die Ausleihsumme dieses Hilfsinstruments auf 231,9 Mrd. Euro schmälern (440 Mrd. minus 164,4 Mrd. aus dem zweiten Griechenland-Paket minus 43,7 Mrd. eingegangener EFSF-Zahlungsverpflichtungen an Portugal und Irland). Nachdem Anfang 2012 neben Österreich und Frankreich mehrere Euro-Länder herabgestuft wurden, hat auch die EFSF das AAA-Rating verloren und wurde mit AA+ bewertet. 7 EU TOP THEMA 3.3. 8 Dauerhafter Euro-Schutzschirm (ESM) vorgezogen ab Mitte 2012 In den Monaten nach dem ersten Griechenland-Hilfspaket setzte sich allerdings die Krise im EuroRaum fort; weitere Staaten wie Irland und in der Folge Portugal waren betroffen. Daher vermehrten sich die Forderungen, nach dem Auslaufen des provisorischen Rettungsschirms EFSF einen generellen Mechanismus für Krisenfälle zu etablieren. Ursprünglich ab 1. Juli 2013, jetzt jedoch schon ab 1.7.2012 soll der Euro-Schutzschirm European Stability Mechanism (ESM) eine permanente Einrichtung (ein internationales Finanzierungsinstitut – IFI) werden und die Aufgabe der EFSF und des EFSM übernehmen. Bereits für EFSF ausgestellte Garantien werden aller Voraussicht nach weiterhin von der EFSF abgewickelt. Der ESM soll voraussichtlich ein Jahr parallel mit der EFSF laufen. Zudem – und dabei handelt es sich um eine grundlegende Reform der Währungsunion – sollen private Gläubiger (Investoren, Banken) von Fall zu Fall an den Kosten von Rettungspaketen beteiligt werden. Damit werden künftig nicht nur Staaten und die Steuerzahler zur Kasse gebeten, wenn ein Staat in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Es soll aber keinen Automatismus bei der Beteiligung Privater geben. Die Fall-zu-Fall-Beurteilung ermöglicht, die jeweilige Situation der Länder zu berücksichtigen, da jede finanzielle Krise unterschiedlich gelagert ist. Zwei Szenarien sind vorgesehen: Bei einem Zahlungsengpass werden die Banken dazu aufgefordert, ihre Anleihen am betreffenden Staat zu halten. Droht allerdings eine Insolvenz, werden die privaten Gläubiger am Umschuldungsverfahren beteiligt. Durch diese Beteiligung will man Spekulationen künftig in Grenzen halten. Nachdem verschiedene Vorschläge wie die Einführung gemeinsamer Staatsanleihen der EU-Staaten, sogenannter Eurobonds, oder die Einrichtung einer Staateninsolvenzordnung von verschiedenen Mitgliedstaaten abgelehnt worden waren, wurde auf dem Gipfel des Europäischen Rates am 16./17. Dezember 2010 beschlossen, Art. 136 AEU-Vertrag um einen Absatz zu erweitern, der die dauerhafte Einrichtung eines Stabilisierungsmechanismus ermöglicht. Diese Vertragsänderung muss nun von den EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Die Ausgestaltung des European Stability Mechanism ESM wurde am 21. März 2011 von den Finanzministern der Euro-Gruppe beschlossen und am 24. März 2011 von den Staats- und Regierungschefs beim Europäischen Rat bestätigt. Der entsprechende völkerrechtliche ESM-Vertrag wurde am 11. Juli 2011 von den Euro-Ländern unterzeichnet. Dabei wird ein neuer dauerhafter EU-Rettungsfonds eingerichtet, in den die Euro-Mitgliedstaaten (anders als in die EFSF) 80 Mrd. Euro als Grundkapital einzahlen. Die Einzahlung soll über einen Zeitraum von fünf Jahren erfolgen, wobei im Raum steht, dass im Jahr 2012 bereits eine Einzahlung der ersten 2 Tranchen erfolgen soll. Außerdem kann der Fonds eigene Anleihen bis zur Höhe von 620 Mrd. Euro ausgeben, für die Euro-Länder bürgen. Davon übernimmt Deutschland den Löwenanteil der Garantien von 168,3 Mrd. Euro, Österreich zahlt direkt 2,2 Mrd. ein und übernimmt Garantien von 17,3 Mrd. Euro. Der ESM kann Kredite in einer Gesamthöhe von 500 Mrd. Euro vergeben. Ob diese Summe ausreichend ist, soll Ende März 2012 überprüft werden. Die "kumulierte Kapazität" (also die 500 Mrd. ESM plus nach bisheriger Rechnung EU TOP THEMA übriggebliebene Gelder aus dem EFSF in Höhe von 239,1 Mrd.) würde insgesamt 731,9 Mrd. betragen. Um die Schlagkraft des ESM zu erhöhen, wurde der ursprüngliche ESM-Vertrag geändert und sein Inkrafttreten auf Juli 2012 vorgezogen und am 2. Feb. 2012 von den Euro-Ländern erneut unterzeichnet. Die Kredite des ESM sollen Euro-Mitgliedstaaten in Notsituationen zur Verfügung gestellt werden, sofern die Finanzminister der Euro-Gruppe das einstimmig beschließen und es für das Land keine andere Möglichkeit zur Refinanzierung gibt. Neuerdings kann in Fällen, in denen eine dringende Entscheidung notwendig ist, Beschlüsse mit einer qualifizierten Mehrheit von 85% der Stimmen angenommen werden. Darüber hinaus wird ab März 2013 die Vergabe von Finanzhilfen aus dem ESM von der Ratifizierung des neuen Fiskalpaktes (siehe S 19) und Umsetzung der darin festgelegten Schuldenbremse abhängig gemacht. Entsprechend dem Modell des IWF soll der Zinssatz jeweils um einen Prozentpunkt, ab dem dritten Jahr um zwei Prozentpunkte über den Refinanzierungskosten des ESM liegen. Der ESM soll dabei gegenüber anderen Gläubigern einen Vorzugsstatus erhalten, der lediglich dem IWF untergeordnet ist. Der ESM wird über mehrere Finanzhilfeinstrumente verfügen: neben Krediten an seine Mitglieder, kann der ESM vorsorglichen finanziellen Beistand gewähren, Anleihen von seinen Mitgliedern direkt oder indirekt (über Sekundärmarkt) ankaufen und Darlehen für die Rekapitalisierung von Banken zur Verfügung stellen. Da der ESM als internationale Finanzinstitution gegründet wird, sollen die Zahlungen der Staaten nicht die Defizit- und Schuldenstatistik erhöhen, die für die Haushaltskontrolle des Stabilitäts- und Wachstumspakts maßgeblich ist. Eine weitere Neuerung ist, dass Staatsanleihen der Mitgliedstaaten ab Juli 2012 grundsätzlich eine Regelung beinhalten sollen, durch die in Notsituationen unter bestimmten Bedingungen auch private Gläubiger an Verlusten beteiligt werden können. Dafür findet eine Schuldentragfähigkeitsanalyse von Europäischer Kommission und IWF statt. Sofern diese zu dem Ergebnis kommt, dass die Schuldenlast des Landes nicht dauerhaft tragfähig ist, kommt es zu einem Restrukturierungsplan, bei dem ein Teil der Schulden nicht zurückgezahlt wird. Entsprechende Regelungen sollen in allen Staatsanleihen europäischer Staaten aufgenommen werden. Dies entspricht faktisch der zunächst von Deutschland geforderten Staatsinsolvenzordnung. Beim Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone am 21.Juli 2011 wurde eine Kompetenzerweiterung von EFSF und ESM beschlossen, um in Zukunft schneller auf Ansteckungsgefahren in der Euro-Zone reagieren zu können. Diese sollen schon auf Verdacht aktiv werden und auch an Länder Kredite vergeben, für die kein Rettungsprogramm existiert, sowie in den Sekundärmarkt für Anleihen eingreifen. Dieser EU-Sondergipfel kann daher als Startschuss für einen EU-Währungsfonds (EWF) gesehen werden. Neu ist ferner, dass der Europäische Rechnungshof (ERH) maßgebliche Prüfkompetenzen beim ESM erhält. Das „Board of auditors“ wird sich aus zwei privaten Wirtschaftsprüfern, zwei Personen von Rechnungshöfen aus den 17 Euroländern und einem Mitglied des ERH mit umfassender Prüfkompetenz zusammensetzen. Sie sollen darüber wachen, wie Steuergeld verwendet wird. Bei den derzeitigen Finanzhilfen für Griechenland hat der ERH noch keine Prüfkompetenz, da es sich um bilaterale Kredite der Euroländer und des IWF handelt. 9 EU TOP THEMA 10 4. DIE EINZELNEN LÄNDER UND IHRE KRISEN 4.1. Griechenland Mit dem Eintritt in die Eurozone sanken die Zinsen für griechische Staatsanleihen auf „DeutschlandNiveau“. Die Folge war, dass Kredite billig wurden und sehr viel Geld in Konsum floss, dass die Investition in Zukunftsprojekte vernachlässigt wurde, bis die Schulden zu sehr anstiegen und die Wirtschaftskrise hereinbrach. Griechenland hat das wahre Ausmaß seines Haushaltsdefizits jahrelang verschleiert. Das griechische Budgetdefizit betrug 2009 15,4%, der Schuldenstand 127% des BIP. Beide Werte liegen weit über den im Euro-Stabilitätspakt festgeschriebenen Konvergenz-Kriterien (d.h. Staatsverschuldung unter 60% des BIP, Budgetdefizit weniger als 3% des BIP). Anfang 2012 lag der Schuldenstand Griechenlands bei sogar fast 170% des BIP. Von der Regierung Griechenlands wurden zur Refinanzierung der Staatsschulden Staatsobligationen ausgegeben, wofür Zinsen bezahlt werden müssen. Aufgrund des hohen Haushalsdefizits und der steigenden Neuverschuldung stuften die internationalen Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit des Landes kontinuierlich herab; griechische Staatsanleihen wurden teurer. Mit den höheren Zinsen stieg auch die Staatsverschuldung Griechenlands weiter an. Für Griechenland kommt erschwerend hinzu, dass die Wirtschaft besonders im Ausland hoch verschuldet ist. Österreichische Banken hatten Ende 2010 in Griechenland noch Außenstände von 4 Mrd. Euro zu verzeichnen, deutsche Banken rund 34 Mrd. US-Dollar, Frankreichs Banken sogar 53 Mrd. US-Dollar. Diese Beträge haben sich zuletzt zwar erheblich verkleinert; ein Staatsbankrott Griechenlands hätte aber trotzdem nicht nur Auswirkungen auf heimische und ausländische Banken, sondern auf die gesamten Volkswirtschaften. Nachdem die griechische Regierung am 23. April 2010 vor dem Druck der Finanzmärkte kapituliert und um ausländische Finanzhilfe ersucht hatte, beschlossen die Finanzminister der Eurozone im Mai 2010 ein erstes 110 Mrd. Euro schweres Hilfspaket für die folgenden drei Jahre. (davon entfallen 80 Mrd. Euro auf bilaterale Kredite der Euro-Staaten und 30 Mrd. Euro auf den IWF; siehe auch Punkt 3.1.). Wegen Nichtbeteiligung der Slowakei und späterem Wegfall von Zahlungen der unter den Euro-Rettungsschirm geschlüpften Länder Portugal und Irland hat sich das Hilfspaket um 2,7 Mrd. auf 107,3 Mrd. verringert. Bis Anfang 2012 wurden in sechs Tranchen 73 Mrd. Euro an Athen aus diesem Paket ausbezahlt (52,9 Mrd. von Eurozone und 20,1 Mrd. vom IWF). Damit würden noch 34,4 Mrd. Euro übrigbleiben (24,4 Mrd. Eurozone und knapp 10,0 Mrd. vom IWF). Als Auflage für das 110 Mrd. Euro Hilfspaket (davon Ö: 2,3 Mrd. Euro) müssen sich die Griechen einem drastischen Sparprogramm unterziehen. Die griechische Neuverschuldung – im Jahr 2010 10,5% des BIP – sollte bis 2014 unter die 3-Prozent-Grenze gedrückt werden. Gleichzeitig wurde erwartet, dass mit dem Sparprogramm und der internationalen Hilfe die griechischen Schulden ab 2014 zu fallen beginnen, bis dahin könnten sie sich aber noch weit erhöhen. Das größte Problem Griechenlands war und ist die enorme Staatsverschuldung. Die Staatsbankrotts ist nicht gebannt. Griechenland steckt in einer tiefen Rezession, die wirtschaftliche Erholung sind gering. Hauptgrund: Die Bruttowertschöpfung der Wirtschaft speist sich zu 70% aus der Binnennachfrage. Das Sparprogramm aber würgt Konsum ab. Und obendrein schnellen die Preise in die Höhe. Gefahr eines Chancen auf griechischen den privaten EU TOP THEMA Einsparungs- und Finanzierungsmöglichkeiten gibt es viele: Griechenlands Rüstungsausgaben sind wegen der Spannungen mit der Türkei sehr hoch; aufgrund der Finanzkrise musste das Land hohe finanzielle Aufwendungen für den Finanzsektor erbringen; zu viele Staatsbedienstete erhalten zu viele Bonus-Zahlungen; Steuersenkungen führten zu niedrigeren Staatseinnahmen. Auch die Schattenwirtschaft spielt im Land eine große Rolle. Steuerhinterziehungen sind sowohl bei Firmen als auch im privaten Bereich verbreitet und es gibt nur wenige Kontrollen. All das musste sich und muss sich in Zukunft ändern. Am 2. Mai 2010 beschloss die griechische Regierung ein mit IWF und EU ausgehandeltes Maßnahmenpaket, womit bis zum Jahr 2013 insgesamt 30 Mrd. Euro eingespart werden sollen. Mit diesem strikten Sparmaßnahmenpaket konnte gleichzeitig der Weg für das erste internationale Hilfspaket freigemacht werden. Finanzexperten der Europäischen Kommission, der EZB und des IWF (sog. Troika) überwachen die Einhaltung der griechischen Budgetsanierung. Während dieser drei Jahre finden die Kontrollen vierteljährlich statt. Im April 2011 wurde bekannt, dass die finanzielle Lage von Griechenland noch ernster ist als zuvor angenommen. Die Europäische Statistikbehörde Eurostat revidierte das Haushaltsdefizit weiter nach oben, und zwar für 2010 auf 10,5%. Das griechische Finanzministerium führte das höhere Staatsdefizit vor allem auf den Einbruch der griechischen Wirtschaft zurück, der sich auch 2011und 2012 fortsetzt. Die Wirtschaftsleistung des hochverschuldeten Landes ist 2011 um 6,7% gesunken. Da sich die griechische Wirtschaft schlechter als vorhergesagt entwickelte, wurden neue Hilfen notwendig. Als Voraussetzung dafür musste das griechische Parlament den strengen Auflagen von EU und IWF zustimmen und ein weiteres Sparpaket auf den Weg bringen. Dieses Sparprogramm war auch Bedingung für die Freigabe der fünften Kredittranche in Höhe von zwölf Mrd. Euro aus der ersten Rettungshilfe durch die Euro-Finanzminister Anfang Juli 2011. Nach der Ausweitung der Schuldenkrise auf Italien im Sommer 2011 hat sich gezeigt, dass das Hinausschieben einer echten Lösung durch immer neue Hilfspakete zu massiven Spekulationen gegen bisher noch nicht betroffene hoch verschuldete Euroländer einlädt. Daher wurde ernsthaft über einen „Haircut“, also eine teilweise Streichung der griechischen Staatsschulden diskutiert. Dies bedeutet, dass der EU-Rettungsschirm, die sogenannte Europäische Finanzstabilitätsfazilität EFSF, den privaten Gläubigern Griechenlands anbietet, ihre griechischen Bonds zum aktuellen, stark gesunkenen Marktpreis abzukaufen, eventuell mit einem leichten Aufschlag. Der Rettungsschirm würde die griechischen Anleihen mit seinen eigenen, sicheren Anleihen bezahlen. Sobald die EFSF die Athener Ramschanleihen auf dem Markt erworben hat, könnte sie mit Athen eine Tilgung eines Teils der Staatsschuld von derzeit fast 170% der Wirtschaftsleistung verhandeln. Beim Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone am 21.Juli 2011 wurde ein zweites Rettungspaket für Griechenland beschlossen. Die Details dieses Beschlusses (Verlängerung der Laufzeit künftiger EFSF Kredite, Aufruf zu einer umfassenden Wachstumsstrategie – Marshallplan - für Griechenland, Beteiligung des Privatsektors, Schuldenrückkaufprogramm etc. ) mussten aber in den darauffolgenden Monaten weiteren Anpassungen unterworfen werden, denn die Wirtschaftslage in Griechenland entwickelte sich schlechter als angenommen. Die griechische Regierung musste den Sparkurs im Herbst 2011 erneut verstärken, um die nächste sechste Tranche in Höhe von 8 Mrd. Euro aus dem ersten Hilfspaket (eigentlich schon für September 2011 geplant) zu erhalten. Als erste Notmaßnahme hatte das Kabinett in Athen eine neue Immobiliensteuer beschlossen. Das griechische Finanzministerium kündigte zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte des Landes Entlassungen in Staatsunternehmen ab. 30.000 Staatsbedienstete sollen zunächst in eine so genannte Arbeitsreserve geschickt werden. (60% ihres Einkommens für maximal ein Jahr, danach entscheidet eine unabhängige Behörde über ihre Zukunft). Außerdem wird es nun Kürzungen geben bei Renten von mehr als 1.200 Euro im Monat 11 EU TOP THEMA sowie bei Rentenempfängern, die jünger als 55 Jahre sind. Der jährliche Steuerfreibetrag soll von momentan 8.000 Euro auf 5.000 Euro sinken. Die Steuer solle auf zwei Jahre befristet sein. Die Auszahlung der sechsten Tranche des Hilfspakets an Griechenland verzögerte sich um viele Wochen, weil sich bei Kontrollen der Troika vor Ort Diskrepanzen hinsichtlich der tatsächlichen und zugesagten Einsparungen ergaben. Auf dem Europäischen Rat vom 23.10. bzw. dem EU-Gipfeltreffen und Gipfel der Eurozone vom 26.10.2011 stellten die Staats- und Regierungschefs ein Gesamtpaket vor, das eine Rettung Griechenlands (auf Basis eines partiellen Schuldenschnitts) ebenso umfasst wie die Stabilisierung der Banken im Rahmen der EFSF. Zentrales Ziel ist die Reduktion der griechischen Staatsschulden von derzeit über 160% auf 120% des BIP per 2020. Dies sollte durch eine freiwillige Beteiligung der privaten Investoren mit dem Ziel eines 50% Schuldenschnitts erreicht werden (durch Anleihetausch). Das gesamte zweite Griechenland-Rettungspaket soll 130 Mrd. Euro umfassen. Im Laufe der folgenden Monate wurde von Seiten der EU (insbesondere Deutschland) signalisiert, dass Griechenland nicht um jeden Preis im Euro-Raum gehalten werde. Vor allem das überraschend angekündigte und dann wieder abgesagte Referendum über das am EU-Gipfel beschlossene Sparprogramm hatte die Partner in der EU erzürnt. Alle griechischen Entscheidungsträger müssen der EU die Einhaltung der geforderten Sparmaßnahmen zusichern, erst dann geben die Euro-Länder die Auszahlung der nächsten Kredittranche frei. Der seit November 2011 im Amt befindliche neue griechische Ministerpräsident Lukas Papademos soll dies sicherstellen. Zweites Rettungspaket inkl. Schuldenschnitt Die Euro-Staaten haben sich am 21.Februar 2012 nach langen Verhandlungen auf ein zweites Rettungspaket für Griechenland geeinigt. Seit Monaten wurde über den Umfang und die nötigen Reformen verhandelt. Nachfolgend eine Zusammenstellung der wichtigsten Punkte der Einigung: Das Volumen des Rettungspakets liegt wie im Oktober 2011 vereinbart bei 130 Mrd. Euro. Der Internationale Währungsfonds (IWF) wird sich mit 28 Mrd. Euro beteiligen. Voraussetzung für diesen "bedeutsamen" Beitrag des IWF ist neben den Reformen in Griechenland und dem teilweisen Schuldenschnitt auch die Entscheidung über eine Erhöhung der Krisenfonds EFSF und seinem Nachfolger ESM durch die EU. Griechenland hatte zuvor wesentliche Bedingungen der Euro-Länder erfüllt. Dazu gehörten die Zustimmung des Parlaments und der Chefs der großen Parteien zu den Sparzielen sowie zusätzliche Sparmaßnahmen von 325 Mio. Euro. Die Athener Regierung verabschiedete zuletzt eine Reihe von Gesetzesentwürfen zur Anwendung des von der EU verlangten Sparkurses. So werden z.B. höhere Pensionen gekürzt und die Mindestlöhne gesenkt. Die Freigabe des Hilfspakets war Voraussetzung für die Einleitung des Schuldenschnitts mit privaten Gläubigern wie Banken und Versicherungen. Damit der Schuldenstand Griechenlands bis 2020 auf die nun angestrebten 120,5% des BIP sinkt, müssen die privaten Gläubiger nominal auf 53,5% (ursprünglich 50%) der Forderungen verzichten – de facto auf über 70% durch niedrigere Zinsen. Vorgesehen sind ein Anleihetausch sowie eine gestaffelte verringerte Verzinsung für diese neuen Anleihen (zwischen 4,5 und 2%). Damit sollen Athens Schulden um 107 Mrd. Euro sinken. Die EZB wird bei der Rettung Griechenlands stärker mit eingebunden. Sie soll Zinserträge aus griechischen Staatsanleihen (rund 18 Mrd. Euro) an die Nationalbanken der Staaten auszahlen, die das Geld – via nationale Regierung – an Griechenland weitergeben können, um die Gesamtverschuldung Griechenlands zu senken (um 1,8% des BIP). 12 EU TOP THEMA Darüber hinaus wird die Verzinsung für die Hilfskredite der Mitgliedstaaten an Griechenland aus dem ersten Rettungspaket gesenkt. Dadurch liegt die Beteiligung des öffentlichen Sektors an der Verringerung der griechischen Schuldenlast bei 4,6% des BIP. Auch das zunächst von Griechenland strikt abgelehnte Sperrkonto (Sonderkonto) für einen Teil der griechischen Staatseinnahmen wurde nun fixiert. Damit wird Griechenland – wie von Deutschland gefordert – einen Teil seiner Budgetsouveränität abgeben. Mit dem Sperrkonto, das von der EU überwacht wird, soll sichergestellt werden, dass das Land seinen Schuldendienst erfüllt und Einnahmen nicht für andere Dinge ausgibt. Das zweite Rettungspaket für Athen ist deshalb wichtig, da Griechenland am 20. März 2012 seine nächsten Verbindlichkeiten von 14,5 Mrd. Euro begleichen muss. Ohne Hilfe wäre das südliche Euro-Land pleite gewesen. Von den griechischen Staatsschulden in Höhe von mehr als 350 Mrd. Euro sind 206 Mrd. in der Hand privater Gläubiger. Bis 9. März 2012 konnten Privatgläubiger alte Anleihen gegen neue tauschen. Davon sind 172 Mrd. Euro betroffen; was einer Beteiligung von insgesamt 83,5% entspricht. Bei den nach griechischem Recht aufgenommenen Schulden wurde sogar eine Beteiligungsquote von 85,8% erreicht. Erklärtes Ziel der Regierung in Athen ist ein Wert über 90%, der notfalls per Zwangsumschuldung erreicht werden soll. Dazu erließ die griechische Regierung vorsorglich schon im Februar gesetzlich Umschuldungsklauseln (Collective Action Clauses, CAC), die auch auf alte Anleihen rückwirkend angewendet werden können. Durch diese teilweise Zwangsumschuldung würde die Teilnahme an dem Anleihetausch damit laut Athen auf 95,7% steigen. Ausgestanden ist die Krise damit aber noch nicht. Am 9.3.2011 beurteilte der Internationale Derivateverband (ISDA) diese teilweise Zwangsumschuldung als „Kreditereignis“ fest. Das bedeutet, dass die ISDA den Schuldenschnitt als einen Zahlungsausfall bewertet, der die schwer berechenbaren Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps, CDS) auslöst, mit denen sich einige Inhaber von griechischen Staatsanleihen abgesichert haben. Welche Folgen die ISDAEntscheidung nun tatsächlich hat, ist unklar. Niemand kann derzeit abschätzen, welcher Investor Kreditausfall-versicherungen besitzt und welche weiteren Effekte eintreten können. Laut einer Statistik eines darauf spezialisierten US-Clearinghauses geht es dabei um ein Volumen von maximal rund 3,2 Mrd. US-Dollar. 13 EU TOP THEMA 4.2. Irland Irlands Staatsverschuldung ist seit dem Jahr 2007 kontinuierlich gestiegen - von 25% des BIP (2007) bis 108,1% des BIP (2011), lag zuletzt also weit über den Konvergenz-Kriterien von 60% des BIP als Obergrenze. Während es 2007 kein Haushaltsdefizit gab (+0,1 des BIP), ist dieses seither kontinuierlich gestiegen auf -32,4% des BIP 2010, weil die irische Regierung den durch die Finanzkrise angeschlagenen Banken des Landes mit Milliardenhilfen zur Seite gesprungen ist. Bis 2013 soll das Haushaltsdefizit auf 3% (Maastrichtkriterium) gesenkt werden. Vor allem aufgrund der irischen Finanz- und Bankenkrise hat Irland am 21.11.2010 die EU und den IWF um Hilfe gebeten. Auf einem Sondertreffen der EU-Finanzminister am 27./28. November 2010 in Brüssel wurde beschlossen, Irland Kredithilfen in Höhe von insgesamt 85 Mrd. Euro über einen Zeitraum von 3 Jahren zu gewähren. Für Irland wurde erstmals der Euro-Rettungsschirm EFSF in Anspruch genommen. 22,5 Mrd. kamen vom IWF, 22,5 Mrd. steuerte das Gemeinschaftsinstrument EFSM (European Financial Stability Mechanism) bei, 17,7 Mrd. kamen ergänzend vom EFSF (European Financial Stability Fund, Euro-Staaten). Hinzu traten bilaterale Kredite von Großbritannien, Schweden und Dänemark. Diese gehören zwar nicht der Euro-Zone an, sie beteiligten sich aber an der Hilfe, weil ihre Banken stark in Irland engagiert waren: Großbritannien gewährte 3,8 Mrd., Schweden 0,6 Mrd. und Dänemark 0,4 Mrd. Euro. Österreich beteiligt sich mit 600 - 800 Mio. Euro in Form von Garantien über die EFSF. Das heißt, dass aus dem österreichischen Budget unmittelbar kein Geld an den irischen Staat fließt. Die 85 Mrd. Euro aus dem Hilfspaket teilen sich wie folgt auf: 50 Mrd. fließen ins irische Staatsbudget, das dringend eine finanzielle Spritze benötigt. Die weiteren 35 Mrd. will Irland nützen, um Kapital in die irischen Banken zu pumpen. Bei den Verhandlungen konnte sich die irische Regierung in einem Punkt durchsetzen: Die umstrittene, in Irland bei vergleichsweise niedrigen 12,5% liegende Körperschaftssteuer, die bisher das irische Wirtschaftswunder mit ermöglicht hat, wird nicht erhöht. Mit dem niedrigen Steuersatz wurden zahlreiche Unternehmen ins Land gelockt – ein Wettbewerbsvorteil, der vielen in der EU schon längst ein Dorn im Auge ist. Darüber hinaus wurde Irland ein zusätzliches Jahr zugestanden, um sein Budgetdefizit wieder unter die in den Euro-Stabilitätspakt festgeschriebene Grenze von 3% des BIP zurückzufahren. Im Gegenzug für die gewährten Hilfen hatte Irland sich zu einem strikten Sparkurs verpflichtet, um auf diese Weise seine Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen. Innerhalb von vier Jahren sollen Konsolidierungsmaßnahmen im Umfang von insgesamt 15 Mrd. Euro realisiert werden (10 Mrd. Euro Ausgabenkürzungen, 5 Mrd. Euro Einnahmen-/Steuererhöhungen), 40% davon bereits im Jahr 2011. Im Verlauf der Schuldenkrise wurde der von Irland für die EU-Hilfen zu zahlende Zinssatz von anfangs 5,83% pro Jahr auf etwa 3,5% gesenkt und die Laufzeit der Anleihen auf 15 Jahre verlängert. Das Krisenland Irland ist jetzt wieder auf Wachstumskurs. Im Oktober 2011 kündigte die irische Regierung an, im Jahr 2012 den Europäischen Stabilisierungsmechanismus verlassen und wieder auf den freien Kapitalmarkt zurückkehren zu wollen. Premierminister Enda Kenny sprach die Erwartung aus, dass Irland aufgrund seiner erfolgreichen Konsolidierungsbemühungen in nächster Zeit wieder von den Ratingagenturen hochgestuft werde. 14 EU TOP THEMA 4.3. Portugal Portugals Staatsverschuldung lag im Jahre 2007 bei 68,3% des BIP, 2011 betrug der Schuldenstand Portugals bereits 101,6% des BIP. (Maastrichtkriterium: Obergrenze von 60% des BIP). Während es im Jahre 2007 ein Haushaltsdefizit von -3,1% des BIP gab, stieg dieses im Jahre 2010 auf 9,1% des BIP an. Für das Jahr 2011 hat sich Portugal zu einer Senkung des Defizits auf 5,9, für 2012 auf 4,5% verpflichtet. Warum war Portugal in die Krise geschlittert? Strukturkrise: Portugal hat ein Jahrzehnt mit niedrigen Wachstumsraten hinter sich. Die Wirtschaftsleistung stieg lediglich um durchschnittlich 0,7% pro Jahr. Ein Grund für die anhaltende Schwäche ist die veraltete Struktur der portugiesischen Wirtschaft. Die industrielle Basis des Landes gilt als dünn. Großer Hoffnungsträger ist der Dienstleistungssektor, der im Jahr 2009 gut 75% zum Bruttoinlandsprodukt beisteuerte. Vor allem der Tourismus spielt eine wichtige Rolle für das Land. Anschluss an den Lebensstandard des europäischen Durchschnitts haben die zehn Millionen Portugiesen nicht gefunden. Das relative Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 76% des EU-Mittelwerts. Es hat sich in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert. Trotzdem leistete sich das Land soziale Wohltaten, die auf Pump finanziert wurden. Soziale Krise: Zur Sanierung der Staatsfinanzen hat die Regierung im vergangenen Jahr ein Stabilitäts- und Wachstumsprogramm aufgelegt, das mehrmals aktualisiert wurde. Es sieht Einschnitte bei den Gehältern der Staatsbediensteten und die Streichung von sozialen Leistungen vor. Außerdem fror die Regierung die Pensionen ein und erhöhte die Mehrwertsteuer von 21 auf 23%. Zur wirtschaftlichen kam auch eine politische Krise. Bis zu ihrem Rücktritt wurde das Land von einer sozialistischen Minderheitsregierung unter Ministerpräsident José Sócrates geführt. Lange Zeit ging das gut, weil die sozialdemokratische Opposition die Sparpläne der Regierung nicht torpedierte. Doch zuletzt lehnte die liberal-konservative Sozialdemokratische Partei das letzte Krisenpaket der Regierung ab, und die Regierung zerbrach Ende März 2011. Sócrates war seitdem nur geschäftsführend im Amt. Am 5. Juni 2011 wurde ein neues Parlament gewählt. Die Regierungskrise verschärfte die Probleme des Landes. Eine weitere Herabstufung durch die Ratingagenturen Anfang April 2011 hat die Staatsverschuldung Portugals aufgrund der daraus resultierenden Verteuerung der Kreditzinsen erhöht. Nach langer Gegenwehr und vielen Dementis hat die portugiesische Regierung ihre Niederlage im Kampf gegen die Schuldenkrise eingestanden. Am 7. April 2011 wurde die EU um Finanzhilfe ersucht. Portugal war nach Griechenland und Irland das dritte Euro-Land, das internationale Finanzhilfe beantragte. Lange hat sich die Regierung gegen den Schritt gewehrt. Doch bei der Vielzahl der Probleme blieb zuletzt kein anderer Ausweg. Mit Vertretern der EU und des Internationalen Währungsfonds wurde ein Hilfspaket über 78 Mrd. Euro ausverhandelt. Vertreter der EU sind davon überzeugt, dass das Programm die Grundlagen für eine Stärkung der portugiesischen Wirtschaft legen werde. Von den 78 Mrd. entfallen 52 Mrd. Euro auf die EU und 26 Mrd. Euro auf den IWF. Das Hilfspaket wurde am 16. Mai 2011 endgültig von den EU-Finanzministern geschnürt. Der Schlüssel für eine Sanierung der portugiesischen Wirtschaft ist eine striktere Kontrolle der öffentlichen Unternehmen und der sogenannten Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP). Das 15 EU TOP THEMA Privatisierungsprogramm muss beschleunigt, die Wettbewerbsfähigkeit des ärmsten Landes Westeuropas verbessert werden. Es wurde ausdrücklich die starke Unterstützung des Wirtschaftssanierungsprogramms Portugals durch die Regierung und die größten politischen Parteien des Landes hervorgehoben. Eine weitere Herabstufung der Bonität Portugals um ganze vier Stufen durch die Ratingagentur Moody’s Anfang Juli erhöhte massiv die Kritik Portugals und der EU an den drei in den USA ansässigen Agenturen Moody’s, Standard & Poor's sowie Fitch. Es gibt Überlegungen, die Macht dieser amerikanischen Ratingagenturen zu zerschlagen bzw. als Gegengewicht eine europäische Ratingagentur zu gründen. Oder aber könnten Bonitätsbewertungen für hoch verschuldete EU-Staaten ausgesetzt werden. Die Wirtschaftsleistung des Euro-Krisenstaates Portugal ist 2011 wie erwartet geschrumpft. Das BIP sank 2011 um 1,6% gegenüber dem Vorjahr. Begründet wird der Einbruch der portugiesischen Wirtschaftskraft vor allem mit einem Rückgang der Inlandsnachfrage um 5,7%. Portugals Wirtschaft war 2010 noch um 1,4% gewachsen. Für 2012 erwartet die Regierung einen Einbruch von 3,3%. Immer wieder ist auch von weiterer Finanzhilfe für Portugal die Rede, obwohl die Regierung dies in Abrede stellt. 4.4. Italien, Spanien und Zypern – weitere Sorgenkinder der Eurozone? Neben dem hochverschuldeten Griechenland bereiten auch noch weitere Euro-Länder den Experten Kopfzerbrechen: Italien und Spanien müssen in den nächsten Jahren einen riesigen Schuldenberg refinanzieren. Italien weist 2010 mit 119% gemessen am BIP einen fast doppelt so hohen Schuldenstand auf als nach den Maastrichtkriterien erlaubt. Das Land musste bis Jahresende 2010 mehr Anleihen bedienen als Griechenland, Spanien, Irland und Portugal zusammen. Allerdings liegt die italienische Neuverschuldung mit 4,6% deutlich tiefer als jene Griechenlands. Zuletzt war auch Italien Objekt von Finanzspekulationen geworden. Da Italien die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone ist, würden die derzeitigen Rettungsschirme dafür nicht ausreichen. Deshalb wurde beim Gipfel der Eurozone am 26.10.2011 eine Ausdehnung der Feuerkraft des Rettungsschirms EFSF mittels sogenannter „Hebelung“ auf eine Billion Euro vereinbart, wobei die Details noch ausverhandelt werden müssen. Nach dem Abgang Berlusconis müssen die nun politisch Verantwortlichen sofort mit der Sanierung der Staatsfinanzen beginnen und umfassende Reformen einleiten. Zusätzlich wird sich Italien einem strikten Monitoring seiner Staatsfinanzen durch den IWF und die EU-Kommission unterziehen. Der neue italienische Ministerpräsident Mario Monti will mit einem Spar- und Reformpaket sein Land aus der Schuldenkrise bringen. Dabei geht es nicht zuletzt darum, Italiens Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Vorgesehen sind in dem Sparpaket unter anderem eine einschneidende Rentenreform, eine Streichung von Steuererleichterungen sowie eine mögliche Mehrwertsteuererhöhung um zwei Prozentpunkte. Das Rentenalter soll angehoben werden, am Inflationsausgleich soll gespart werden. Im öffentlichen Dienst soll zudem personell gekürzt und organisatorisch gestrafft werden. Auch eine Immobiliensteuer gehört zu den für Millionen Italiener schmerzhaften Maßnahmen. Spanien hat neben der Schuldenkrise und der Wirtschaftskrise besonders mit dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes zu kämpfen. Ein Problem ist auch die hohe Arbeitslosigkeit in Spanien. Die Arbeitslosenquote hat bereits ein Rekordhoch von 22,9% und ist die höchste in der Europäischen Union. Insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit ist ein großes Problem. Die Aussichten für die viertgrößte Wirtschaft in der Euro-Zone verdüstern sich. Nach Angaben der spanischen Notenbank wird die Konjunktur des Landes 2012 um 1,5% schrumpfen. Erst 2013 könnte es wieder leicht aufwärts gehen. Spanien hat sich gegenüber der EU-Kommission verpflichtet, sein Haushaltsdefizit im Jahr 2012 auf 5,3% der Wirtschaftsleistung zu senken. Dazu müssen insgesamt 35 Mrd. Euro 16 EU TOP THEMA 17 eingespart werden. Im Januar 2012 hatte die neue Regierung schon ein erstes Sparpaket verabschiedet, Volumen: 15 Mrd. Euro. Der öffentliche Sektor soll umstrukturiert und zahlreiche Staatsunternehmen geschlossen werden. Im Kampf gegen das wachsende Misstrauen auf den Finanzmärkten setzte die EZB ihr Anleihekaufprogramm fort und kaufte nach längerer Pause ab 8. August 2011 italienische und spanische Anleihen, was zu einer Beruhigung der Märkte führte. Italien und Spanien mussten zuletzt hohe Zinsen für ihre Refinanzierung anbieten. Die EZB ermahnte die dritt- und viertgrößte Volkswirtschaft der Währungsgemeinschaft aber, die angekündigte Verschärfung ihrer Sparpakete entschlossen und zügig umzusetzen. Das sei eine grundlegende Voraussetzung für eine bessere Wettbewerbsfähigkeit und einen schnellen Schuldenabbau. Die EZB sucht jedoch mittelfristig einen Ausstieg aus ihrem - auch umstrittenen - milliardenschweren Kaufprogramm für Staatsanleihen der Eurokrisenländer. Die 5er Gruppe Portugal, Italien, Irland Griechenland und Spanien – auch unter dem wenig schmeichelhaften Akronym PIIGS bekannt – gelten auch als Sorgenkinder der österreichischen Banken. Gemäß den Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich haben österreichische Bankinstitute 37,5 Mrd. Euro in Anleihen und Krediten der Problemstaaten gesteckt. Allein in Italien sind österreichische Banken mit 16,5 Mrd. Euro engagiert. Ein verheerendes Explosionsunglück am 11.7.2011 auf einem Marinestützpunkt in Zypern droht den Inselstaat als viertes Euro-Land in eine Schuldenkrise zu stürzen. Aufgrund des Unglücks trat auch die gesamte Regierung zurück. Die Ratingagentur Moody's und später auch S&P stuften die Kreditwürdigkeit des Landes herunter. Die Agentur begründete dies mit der Energienot, die nach der Explosion der Wirtschaft des Landes schadet, und mit der engen Verflechtung der zypriotischen Finanzbranche mit dem angeschlagenen griechischen Bankensektor. 5. LEGISTISCHE BEGLEITMASSNAHMEN 5.1. Wirtschaftspolitische Steuerung der EU Die Verstärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung, eine effektivere Steuerung der nationalen Fiskalpolitiken und insbesondere auch eine Reform des Stabilitätspaktes wird derzeit unter dem englischen Begriff „economic governance“ diskutiert, der irreführender Weise im Deutschen nicht nur mit „wirtschaftspolitischer Steuerung“, sondern verkürzt auch mit dem Schlagwort „EUWirtschaftsregierung“ übersetzt wird. „Six Pack“: Makroökonomische Wachstumspakt Ungleichgewichte und verstärkter Stabilitäts- und Das Europäische Parlament stimmte am 28.9.11 dem sogenannten „Six Pack“ zu, einem Paket von insgesamt sechs Vorschlägen zur Verstärkung der wirtschaftspolitischen Steuerung in der EU. Dabei geht es um die haushaltspolitische Überwachung und die Anforderungen an die haushaltspolitischen Rahmen der EU-Mitgliedstaaten, die Koordinierung der Wirtschaftspolitiken auf europäischer Ebene, die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte in der EU sowie das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit. Neben der Rechtsgrundlage für das "Europäische Semester" (jährliche Abschätzung der nationalen Haushalte für die Koordination der Wirtschaftspolitik) beschlossen die Abgeordneten auch die Etablierung eines Rechtsrahmens für die Kontrolle der nationalen Reformprogramme durch die EU-Kommission. Der Kommission werden überdies mehr Informations- und Kontrollrechte in den EU-Mitgliedstaaten zugestanden, um dem Verfahren mehr Gewicht und Biss zu verleihen. EU TOP THEMA Zur Stärkung und Verschärfung der Sanktionen wurden eine neue Geldstrafe (bis 0,2% des BIP) für verfälschte Statistiken in Bezug auf Daten über Defizite und Schulden sowie eine Strafe in Form einer verzinslichen Einlage (0,1% des BIP) für Mitglieder der Eurozone beschlossen, die es nicht schaffen, den Empfehlungen zur Behebung von makroökonomischen Ungleichgewichten nachzukommen. Den nationalen Statistikämtern wird größere Unabhängigkeit gewährt und gemeinsame Standards für die Aufstellung von Statistiken wurden festgelegt. Auch die Einbindung der Sozialpartner in der EU sowie der existierenden Systeme für die Lohnbildung ist Teil der Beschlüsse. Die Verabschiedung des Six-Pack ist zu begrüßen, weil dadurch die Haushaltsdisziplin erhöht wird. Es werden sowohl die Rolle der Kommission als Wirtschaftsregierung als auch die Rolle des Europäischen Parlaments (Einführung eines wirtschaftspolitischen Dialogs) gestärkt. Die neuen „Six Pack“-Regelungen sind Mitte Dezember 2011 in Kraft getreten. „Two Pack“: Neue Vorschläge für verstärkte Haushaltsüberwachung der Euro-Länder Am 23. November 2011 hat die EU-Kommission zwei weitere Verordnungsvorschläge für eine verstärkte Haushaltsüberwachung vorgelegt, die derzeit auf EU-Ebene diskutiert werden: Der Verordnungsvorschlag zur verstärkten Überwachung der Haushaltspolitik der Euro-Länder würde diese verpflichten, ihre Budgetentwürfe alljährlich zum gleichen Zeitpunkt vorzulegen, und die Kommission berechtigen, die nationalen Budgetpläne im Entwurfsstadium einzusehen und gegebenenfalls zu ihnen Stellung zu nehmen. Der Verordnungsvorschlag zur verstärkten Überwachung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik von Euro-Ländern, die unter schwerer finanzieller Instabilität leiden oder von ihr bedroht sind, soll gewährleisten, dass die Länder, die ein Finanzhilfeprogramm durchlaufen oder ernsthaft von finanzieller Instabilität bedroht sind, nach robusten, klaren und im EU-Recht verankerten Verfahren überwacht werden. Der Euro Plus Pakt Da bereits bestehende Instrumentarien nicht oder nicht gut genug genutzt wurden (Stabilitäts- und Wachstumspakt) und die Umsetzung der Kommissions-Vorschläge zu Economic Governance („Six Pack“ noch in zu weiter Ferne erschienen, haben die Staats- und Regierungschefs im März 2011 den Euro-Plus-Pakt verabschiedet, dem zusätzlich zu den Euro-Staaten auch Bulgarien, Dänemark, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien beigetreten sind. Da sich auch diese Nicht-Euro-Staaten bereit erklärten, die in dem Pakt vorgesehenen Reformen durchzuführen, erhielt er schließlich die Bezeichnung „Euro-Plus-Pakt“. Der Euro-Plus-Pakt (auch Pakt für Wettbewerbsfähigkeit oder Pakt für den Euro) soll eine stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz bringen. Die teilnehmenden Mitgliedstaaten verpflichten sich, alle Maßnahmen zu ergreifen, die für die Verwirklichung der nachstehenden Ziele erforderlich sind: Förderung der Wettbewerbsfähigkeit Förderung der Beschäftigung Weiterer Beitrag zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Stärkung der Finanzstabilität 18 EU TOP THEMA 19 Der Fiskalpakt Die meisten Mitgliedstaaten der Eurozone wiesen in den vergangenen Jahren, auch aufgrund der Finanzkrise, hohe Defizite und einen insgesamt zu hohen Schuldenstand auf. Dies belastet die Zukunft dieser Staaten und der Euro-Zone insgesamt und steht auch im Widerspruch zu den in den EU-Verträgen enthaltenen Verpflichtungen (ausgeglichene Haushalte und Höchstgrenzen von 3% des BIP für das jährliche Defizit sowie 60% für den Gesamtschuldenstand). Zur Vertiefung der Wirtschaftsunion und weiteren Stärkung der Haushaltsdisziplin wurde beim Europäischen Rat am 9. Dezember 2011 der Abschluss eines Fiskalpakts, der eine verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitik vorsieht, in Aussicht gestellt. Da Großbritannien keiner EU-Vertragsänderung zustimmen wollte, wurde ein zwischenstaatlicher Vertrag – parallel zum EU-Vertrag – angestrebt. 25 EUMitgliedstaaten (alle außer Großbritannien und der Tschechischen Republik) haben sich beim EU-Gipfel am 30. Jänner 2012 auf den Fiskalpakt geeinigt und am 2. März 2012 unterzeichnet. Dieser Fiskalpakt umfasst die Verpflichtung zu ausgeglichenen oder Überschuss aufweisenden staatlichen Haushalten (d.h. das jährliche strukturelle Defizit dürfe 0,5% des nominellen BIP nicht übersteigen). Diese Regel (Schuldenbremse) soll in den betreffenden Mitgliedstaaten vorzugsweise auf Verfassungsebene verankert werden und soll auch einen automatischen Korrekturmechanismus enthalten. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) kann zur Überprüfung, ob die Staaten die Schuldenbremse in nationales Recht umgesetzt haben, von den Vertragsländern angerufen werden. Als Sanktion bei Nichtumsetzung kann der EuGH Geldstrafen verhängen. Die Strafe soll nicht höher als 0,1% des BIP sein und an den künftigen Rettungsschirm ESM gezahlt werden. Weiters sollen künftig nur jene Euro-Länder Finanzhilfen aus dem permanenten Euro-Rettungsschirm ESM erhalten, die auch den Fiskalpakt unterzeichnet und umgesetzt haben. 5.2. Die Strategie EU-2020 und das Europäische Semester Der Europäische Rat hat am 17. Juni 2010 die neue EU-Wachstumsstrategie „Europa 2020“ angenommen. Bei vielen der in dieser Strategie angesprochenen zentralen Zukunftsbereiche liegt die Kompetenz nach wie vor bei den EU-Mitgliedstaaten (Beschäftigungspolitik, Bildungspolitik, Sozialpolitik). In diesem Rahmen haben sich die Mitgliedstaaten zu einer stärkeren Koordinierung der Wirtschaftspolitik mit folgenden Überwachungsmechanismen verpflichtet: EU TOP THEMA Jänner bis Juni („Europäisches Semester“): Jänner: Die EU-Kommission präsentiert ihren Jahreswachstumsbericht. Dieser bildet die Diskussionsgrundlage für den Frühjahrsgipfel des Europäischen Rates. Er analysiert die makroökonomischen und fiskalischen Entwicklungen in der EU und der Eurozone und die erzielten Fortschritte bei der Zielerreichung sowie die künftigen Herausforderungen und den Handlungsbedarf. Februar/März: Frühjahresgipfel des Europäischen Rates: Beschluss von Leitlinien für die Mitgliedstaaten und die EU. Bis Mitte April: Mitgliedstaaten übermitteln ihre Nationalen Reformprogramme und Stabilitätsund Konvergenzprogramme an die Europäische Kommission. Juni: Die EU-Kommission legt ihre länderspezifische Empfehlungen und Stellungnahmen zu den Länderberichten sowie einen allgemeinen Bericht für die Eurozone vor. Sie wird für jede Empfehlungen eine angemessene Frist (z.B. zwei Jahre) für die Umsetzung festlegen, in der der Mitgliedstaat die nötigen Reformen vornehmen muss. Sollte den Empfehlungen im vorgegebenen Zeitraum nicht entsprechend nachgekommen werden, will die Kommission politische Verwarnungen aussprechen und mittels Anreizen und Sanktionen eine effektive Vollstreckung sicherstellen. Juni: ECOFIN und/oder der ECOFIN der Eurozone nehmen die Empfehlungen der Kommission zu den fiskal- und makroökonomischen Politiken der Mitgliedstaaten an. Zweite Jahreshälfte („Nationales Semester“): Die Mitgliedstaaten schließen ihre Budgets unter Berücksichtigung der länderspezifischen Empfehlungen ab. Im Rahmen des Jahreswachstumsberichtes des Folgejahres analysiert die EU-Kommission, wie die Mitgliedstaaten die Leitlinien berücksichtigt haben. 5.3. Die neuen Finanzmarktaufsichtsbehörden Der neue europäische Finanzaufsichtsrahmen besteht aus einem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB, European Systemic Risk Board) bei der EZB und den drei neuen Europäischen Finanzaufsichtsbehörden: 20 EU TOP THEMA Europäische Bankaufsichtsbehörde (EBA, European Banking Authority) in London Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA, European Insurance and Occupational Pensions Authority) in Frankfurt Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA, European Securities and Markets Authority) in Paris. Die neuen Behörden werden sich aus Vertretern der 27 nationalen Aufsichtsbehörden zusammensetzen. Mit diesem neuen Rahmen erhält Europa die weitgehenden Befugnisse, die es zur Aufdeckung eventuell im Finanzsystem auflaufender Risiken benötigt, so wie sie im Vorfeld der Finanzkrise und auf ihrem Höhepunkt beobachtet wurden. Arbeitsweise: Der neu eingerichtete Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) wird mögliche Bedrohungen für die Finanzstabilität, die sich aus makroökonomischen Entwicklungen und Entwicklungen im Finanzsystem insgesamt ergeben, überwachen und bewerten ("Aufsicht auf Makroebene"). Zu diesem Zweck wird der ESRB einen Frühwarnmechanismus für im gesamten Finanzsystem auflaufende Risiken aufbauen und gegebenenfalls Empfehlungen für Maßnahmen zur Handhabung dieser Risiken herausgeben. Damit wird die Anfälligkeit des Finanzsystems in Bezug auf miteinander verbundene, komplexe Sektor-spezifische und Sektor-übergreifende Systemrisiken verbessert. Die drei neuen Europäischen Finanzaufsichtsbehörden (EBA, EIOPA, ESMA) werden in einem Netz und im Einvernehmen mit den bestehenden nationalen Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten, um die finanzielle Solidität auf Ebene der einzelnen Finanzinstitute und den Schutz der Nutzer von Finanzdienstleistungen sicher zu stellen ("Aufsicht auf Mikroebene"). Das neue europäische Netzwerk wird die Beaufsichtigung von Finanzinstituten auf einzelstaatlicher Ebene mit einer starken Koordinierung auf europäischer Ebene verknüpfen, so dass harmonisierte Vorschriften und eine kohärente Aufsichtspraxis sowie Rechtsanwendung vorangetrieben werden. Schließlich wird die ESMA mit unmittelbaren Aufsichtsbefugnissen für in der EU registrierte Ratingagenturen ausgestattet sein und kann Informationen anfordern sowie Nachforschungen und Prüfungen vor Ort durchführen. Künftig können den neuen Europäischen Finanzaufsichtsbehörden weitere Befugnisse, wie z. B. im Bereich der Marktinfrastrukturen, übertragen werden. Allerdings müssen die Mitgliedstaaten und das EU-Parlement zustimmen. Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden – direkte Entscheidungen möglich: Die Europäischen Finanzaufsichtsbehörden können den nationalen Behörden in drei Bereichen direkte Entscheidungen übermitteln: in Fällen, in denen sie zwischen nationalen Behörden schlichten, die an der Beaufsichtigung grenzübergreifend tätiger Gruppen beteiligt sind und die sich auf gemeinsame Positionen einigen oder sie koordinieren müssen; in Fällen, in denen eine nationale Behörde EU-Recht, insbesondere Verordnungen nicht ordnungsgemäß anwendet (EU-Verordnungen sind direkt anwendbar und nicht in nationales Recht umzusetzen) und in vom Rat erklärten Notfällen. 21 EU TOP THEMA 5.4. 22 Neue Struktur für die Euro-Gruppe als Ergebnis des EU-Gipfeltreffens und des Gipfels der Eurozone vom 26.10.2011 Ziele: Koordinierung und Überwachung der Wirtschaftpolitik im Euroraum vertiefen die Entscheidungsfindung effizienter gestalten und für eine kohärentere Kommunikation sorgen. Zur Erreichung dieser Ziele wurden folgende Maßnahmen zur Verbesserung wirtschaftspolitischen Steuerung (Governance) im Euro-Währungsgebiet beschlossen: der Stärkere Aufsicht: Es werden regelmäßige (mindestens 2x/Jahr) Tagungen des Euro-Gipfels abgehalten, auf denen die Staats- und-Regierungschefs der Euro-Mitgliedstaaten und der Präsident der Kommission zusammenkommen. Sie dienen dazu, strategische Orientierungen für die Steuerung der Wirtschaftspolitik und für mehr Wettbewerbsfähigkeit und größere Konvergenz im Euroraum festzulegen. Auf Dauer werden der Euro-Gipfel (Staats- und Regierungschefs der Eurozone) einen eigenen Chef bekommen. Zunächst nimmt der ständige EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy das Amt wahr. Der Präsident des Euro-Gipfels wird von den Staats- und Regierungschefs der EuroMitgliedstaaten zum gleichen Zeitpunkt benannt werden, zu dem der Europäische Rat seinen Präsidenten wählt; die Amtszeit entspricht der des Präsidenten des Europäischen Rates (also 2,5 Jahre). Die 1. Amtszeit von Van Rompuy begann am 1. Dezember 2009 und endet zum 31. Mai 2012. Beim Europäischen Rat vom 1./2. März wurde er für 2,5 Jahre wiedergewählt und auch zum Präsidenten des Euro-Gipfels auf Ebene der Staats- und Regierungschefs ernannt. Der Präsident des Euro-Gipfels wird die Nicht–Euro-Mitgliedstaaten über die Vorbereitungen und die Ergebnisse der Tagungen des Euro-Gipfels auf dem Laufenden halten; ebenso wird er auch das Europäische Parlament informieren. Die Euro-Gruppe (Finanzminister der Eurozone) wird auch weiterhin für eine immer engere Koordinierung der Wirtschaftspolitiken und für eine größere Stabilität des Finanzsystems sorgen. Sie setzt sich für eine strengere Überwachung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten ein. Nach Ablauf der Amtszeit des derzeitigen Präsidenten der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, im Juni 2012 wird ein neuer Präsident entweder aus dem Kreis der Mitglieder der Euro-Gruppe oder ein Vollzeit-Präsident mit Sitz in Brüssel gewählt. Der Präsident des Euro-Gipfels wird zum Arbeitsplan der Euro-Gruppe gehört werden; er kann den Präsidenten der Euro-Gruppe ersuchen, insbesondere zur Vorbereitung einer Tagung des Euro-Gipfels oder zur Umsetzung der vom Euro-Gipfel vereinbarten Orientierungen eine Sitzung der Euro-Gruppe einzuberufen. regelmäßige Treffen: der Präsident des Euro-Gipfels, der Präsident der Kommission und der Präsident der Euro-Gruppe werden regelmäßig – mindestens einmal im Monat – zusammenkommen. Der Präsident der EZB (seit 1.11.2011 Mario Draghi) kann – neben anderen Fachleuten - zur Teilnahme eingeladen werden. EU TOP THEMA 5.5. EUROSTAT - Verbesserung der Qualität gemeldeter Daten Aufgrund der griechischen Schuldenkrise wurde 2010 die jahrelange Forderung nach mehr Transparenz und Kontrolle bei relevanten Wirtschafts- und Budgetdaten von EU-Staaten erfüllt. Das europäische Statistikamt Eurostat hat angesichts der Wirtschaftskrise mehr Kompetenzen zur Kontrolle der nationalen Haushaltsstatistiken erhalten. Die Finanzminister ziehen damit die Konsequenzen aus den wiederholten griechischen Falschmeldungen zum Haushaltsdefizit. Eurostat erhält damit Zugriff auf die Daten aller staatlichen Stellen, von Bundes- bis Gemeindeebene. Die Staaten müssen dem Statistikamt genaue Angaben über die zugrunde liegende Rechnungslegung oder genutzte Fragebogen bereitstellen. Stellt Eurostat bei der Bewertung schwerwiegende Risiken fest, kann das Amt Inspektionen im Land vornehmen. Bereits 2004 schlug die EU-Kommission eine Stärkung der Kontrollrechte von Eurostat vor, scheiterte damals aber noch am massiven Widerstand zahlreicher EU-Mitgliedstaaten. Der IWF überprüft gemeinsam mit Vertretern von EU und EZB regelmäßig die griechischen Reformbemühungen. Dies ist Teil des mit EU und IWF vereinbarten Reformprogramms. Die 2011 veröffentlichten Quartalszahlen sind laut der griechischen Statistikbehörde Elstat bereits mit verbesserten Methoden erhoben worden. Dass immer noch Zahlen zum griechischen Haushalt korrigiert würden, läge auch an der Umstellung auf diese neuen Standards. Allerdings weist Elstat von sich aus auf die vorerst noch begrenzte Zuverlässigkeit der neuen Berechnungen hin. Nutzer der Daten "sollten weiterhin vorsichtig mit diesen Ergebnissen umgehen, bis längere Zeitreihen erstellt wurden". Dass die Zahlen - so wie früher - auf politischen Druck manipuliert werden, scheint inzwischen aber unwahrscheinlich. Schon im vergangenen Jahr hat Griechenland die neue Statistikbehörde gegründet, die im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin nur noch vom Parlament kontrolliert werden soll. Die aus Gründen der Schuldenwahrheit von Eurostat verlangte Umbuchung von ausgelagerten Staatsschulden in das Budget bescherte auch Österreich für 2010 das höchste Defizit seit 15 Jahren. Konkret stieg das Defizit um einen Prozentpunkt auf 4,6% des BIPs, und zwar wegen einer teilweisen Einrechnung der Schulden der ÖBB und weiterer öffentlicher Unternehmen bei Bund und Ländern. 5.6. Bankensteuern Derzeit werden auf EU-Ebene Maßnahmen für eine effizientere Kontrolle des europäischen Bankensektors erarbeitet. Mit den geplanten Maßnahmen sollte sich auch das Risiko verringern, dass die öffentliche Hand in Zukunft Aktionen zur Rettung gescheiterter Banken unternehmen muss. 23 EU TOP THEMA Bei ihrem Treffen am 17. Juni 2010 beschlossen die EU-Staats- und Regierungschefs, dass Bankinstitute in Zukunft eine Abgabe leisten müssen. Finanzinstitute gelten als eine der Hauptverursacher der Finanzkrise und sollen mit der Abgabe die von ihnen verursachten Kosten selbst tragen. Zu ihrer Stützung und Rettung wurden weltweit mehr als 1200 Mrd. Euro an Geld und Garantien zur Verfügung gestellt. Nun wollen die EU 27 ein System von Abgaben und Steuern für Finanzinstitute einführen und damit für eine gerechte Lastenverteilung sorgen. Die EU-Chefs haben sich beim G-20 Gipfel Ende Juni 2010 auch für eine weltweite Bankenabgabe eingesetzt, sind dabei aber auf teilweisen Widerstand gestoßen. Nachdem Kanada, die USA und einige Schwellenländer die Bankenabgabe vehement ablehnen, diskutiert die EU derzeit die Bankenabgabe im Alleingang einzuführen. Lediglich Tschechien hat sich vorbehalten, nicht mitzumachen. Fast alle EUMitgliedstaaten werden die potenziellen Erlöse einer Bankenabgabe zumindest kurzfristig in die Budgetplanung integrieren, um so die angespannten Haushalte zu entlasten – so auch Österreich. Die Ausnahme ist Deutschland, wo das Geld in einen Bankenkrisenfonds fließen soll. Die österreichische Regierung hat eine 500 Mio. Euro schwere Bankenabgabe beschlossen. Grundsätzlich soll die Steuer an der Bilanzsumme der Banken anknüpfen, allerdings sollen bestimmte Bestandteile unbesteuert bleiben (etwa Spareinlagen und Eigenkapital). Außerdem ist die Höhe der Steuer nach Größe der jeweiligen Bank gestaffelt. Bringen sollte die Abgabe ab 2011 500 Mio. Euro jährlich. Im Rahmen des Sparpaketes 2012 wurde die Bankensteuer um 25% wegen der Rettung der Volksbanken AG erhöht Alle Banken müssen bis 2017 eine höhere Bankensteuer zahlen: Statt 500 Mio. sind es 625 Mio. im Jahr. Das sind zusätzlich 750 Mio. Euro über sechs Jahre. 5.7. Banken-/Versicherungsstresstests Die Stresstests zeigen auf, wie Banken bzw. Versicherungen mit absoluten Worst-Case-Szenarien umgehen. Ziel des EU-weiten Bankenstresstests, der 2011 zum dritten Mal durchgeführt wird, ist die Einschätzung der Resistenz der einzelnen Institute und des gesamten Bankensektors gegenüber negativen makroökonomischen Entwicklungen in den Jahren 2011 und 2012. Als mögliche Auslöser dafür werden insbesondere eine verschärfte Staatsschuldenkrise in der EU, ein negativer Nachfrageschock ausgehend von den USA sowie eine Abwertung des US-Dollars angenommen. Im Stresstest soll untersucht werden, wie sich daraus resultierende Veränderungen des Wirtschaftswachstums, der Arbeitslosigkeit und der Immobilienpreise auf die einzelnen Positionen im Bank- und Handelsbuch der teilnehmenden Banken auswirken. Der Fokus liegt dabei insbesondere auf Kredit- und Marktrisiken; es werden jedoch auch operationelle Risiken berücksichtigt. Europaweit werden 91 Banken, die 65% des EU-Bankensektors abdecken, unter die Lupe genommen. Aus Österreich wurden die Raiffeisen Bank International, die Erste Group sowie die Österreichische Volksbank AG ausgewählt. Die Maßnahme dient vor allem dazu, das Vertrauen in den Bankensektor wieder herzustellen. Die Ergebnisse des Stresstests wurden am 15. Juli 2011 veröffentlicht; in Österreich hat lediglich die Volksbanken AG den strengen Kriterien nicht entsprochen. Heuer wurde erstmals auch ein freiwilliger Stresstest für Versicherungsunternehmen durchgeführt. Gemessen am Marktanteil haben sich ca. 60% der Versicherungen in der EU, der Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein beteiligt. Die Ergebnisse geben größtenteils Entwarnung; jede zehnte Versicherung bekäme allerdings ernsthafte Probleme mit den künftigen Kapitalvorschriften. 24 EU TOP THEMA 25 6. FRAGEN UND ANTWORTEN 6.1. Warum wurde aufgenommen? Griechenland überhaupt in die Währungsunion Die Entscheidung zur Aufnahme Griechenlands wurde auf Grundlage der im Jahr 2000 vorliegenden Zahlen gefällt. Zwar lag auch schon damals das griechische Haushaltsdefizit oberhalb der Stabilitätsmarke von 3% der Wirtschaftsleistung, jedoch gingen die EU-Staaten aufgrund der gemeldeten günstigen griechischen Wachstumszahlen von durchschnittlich 3 bis 4% pro Jahr von einem vollständigen und schnellen Abbau des übermäßigen Defizits aus. Es hat sich aber leider herausgestellt, dass Prognosen und die kurzfristige Erfüllung der Konvergenzkriterien nicht ausreichend sind. Vielmehr müssen die Kriterien langfristig erfüllt und deren Einhaltung genau überprüft werden. 6.2. Wie wahrscheinlich ist es, dass Griechenland das Geld nicht zurückzahlen kann? Die griechischen Sparpakete enthalten drastische Maßnahmen, mit denen eine nachhaltige haushaltspolitische Konsolidierung erreicht werden muss. Wichtig ist, dass die beschlossenen Reformen in Griechenland tatsächlich und schnell umgesetzt werden, um das Vertrauen der Märkte wiederherzustellen. Dies würde zu dem dringend notwendigen Aufschwung führen, den Griechenland braucht, um seine Kredite auch bedienen zu können. Allerdings gestaltet sich die Umsetzung der harten Reformprogramme schwieriger als angenommen, da es viele strukturelle Probleme gibt. Der im Rahmen des 2. Hilfspakets erfolgte teilweise Schuldenschnitt bedeutet tatsächlich einen enormen Schuldenerlass für Griechenland und erleichtert damit die Rückkehr zu einem überschaubaren Defizit auch durch die damit geringer werdenden Zinszahlungen. 6.3. Warum wird Griechenland nicht in den Staatsbankrott geschickt? Ein Bankrott Griechenlands oder eines anderen Mitgliedes der Währungsunion würde zu hohen Verlusten österreichischer und anderer europäischer Banken und Versicherungen führen. Eine weitere Banken- und Finanzkrise würde folgen und die nachfolgenden Kosten könnten schwerwiegende Auswirkungen haben. Nicht nur Österreich, sondern der gesamte EuroWährungsraum käme durch einen griechischen Staatsbankrott massiv unter Druck. Schon geschwächte Staaten kämen noch mehr in die Bredouille und ein Dominoeffekt könnte die Folge sein. Ungeachtet der tatsächlichen Notwendigkeit der Darlehen an Griechenland, Irland und Portugal sind die Hilfspakete auch ein klares Zeichen für Solidarität innerhalb der Europäischen Union. Die Mitgliedstaaten können sich aufeinander verlassen und es wird kein Staat im Stich gelassen. 6.4. Warum soll der österreichische Steuerzahler für andere Euro-Länder wie Griechenland einspringen? Sollte Griechenland seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können, müssten alle Banken, Versicherer und Finanzdienstleister die im Vermögen befindlichen griechischen Staatsanleihen komplett abschreiben, wodurch sie in Probleme kommen könnten. Österreichische Finanzdienstleister sind zwar nicht in großem Umfang betroffen, aber es könnten Institute anderer europäischer Länder betroffen werden, an denen wiederum heimische Unternehmen beteiligt sind bzw. Aktien, Anleihen im Portfolio halten. EU TOP THEMA 6.5. Was passiert, wenn der Euro an Wert verliert? Von wegen „schwacher Euro“: Der Euro startete bei seiner Einführung mit 1,18, fiel dann auf unter 0,89 US-Dollar; heute (Stand März 2012) liegt er bei 1,31 US-Dollar. Der im Vergleich zum Dollar starke Euro hat auch Nachteile, v.a. für die Exportwirtschaft. Mit dem gesunkenen Wechselkurs wird der US-amerikanische Markt auch für die heimische Exportwirtschaft wieder interessanter. Der österreichische Export ist ein wesentlicher Konjunkturmotor und kann somit einen wertvollen Beitrag zur Ankurbelung der heimischen Wirtschaft leisten. Ein Gleichgewichtswechselkurs nach Kaufkraftparitäten (Euro zum Dollar) würde je nach Berechnungsmethode zwischen 1,10 und 1,30 liegen. 6.6. Was würde passieren wenn ein Land aus dem Euro-Raum austreten würde? Welche Konsequenzen hätte eine Teilung des Euro-Raums („NordEuro“ – „Süd-Euro“)? Die Teilung in einen starken „Nord-Euro“ und einen schwachen „Süd-Euro“ wäre gleichbedeutend mit einer Rückkehr zu einer Drittwährung. Die Konsequenzen wären für alle Beteiligten schlecht, aber insbesondere für jene Länder dramatisch, die aus dem derzeitigen Euro-Raum ausscheiden würden. Der starke „Nord-Euro“ müsste aufwerten, die Teilnehmer würden an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den ausgetretenen Ländern verlieren (die exportierten Produkte werden „teurer“, das Urlaubsland Österreich wird teurer) und Österreich erleidet damit Exporteinbrüche zu diesen Ländern. Die österreichische Industrie bleibt auf den Waren sitzen, die Arbeitslosigkeit steigt – derzeit werden durch die Exporte in unserem Land rund 550.000 Jobs gesichert. Die verschuldeten Süd-Euro-Länder würden zwar kurzfristig durch die Abwertung an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen (Exporte steigen, das Land wird für Touristen billiger), die Importe würden sich aber im gleichen Ausmaß verteuern; Weitere Konsequenzen für den austretenden Staat: die in (Hartwährungs-)Euro eingegangenen Schulden müssten zurückgezahlt werden (was viel teurer wird) oder der Staat müsste umschulden (zumindest teilweise) dies könnte zu Banken“pleiten“ in manchen EU-Staaten führen (die Staatsanleihen im Portfolio haben) es könnte zu einem Ansturm auf alle Banken (auch in anderen Ländern) kommen hohe Inflation (importiert und hausgemacht), durch den kleineren Währungsraum und durch die schlechtere Bonität müssten für Staatsanleihen höhere Zinsen gezahlt werden im Vergleich zu den Mitgliedern des „Nord“-EuroRaums die Zinsen (für Investitionen und Konsum) würden in diesem Land steigen und die Wirtschaft stagnieren oder in eine Rezession abgleiten Exporteure (und Reisende) müssten wieder für den Umtausch von Fremdwährung Gebühren/Spesen zahlen oder sich gegen Währungsrisiko absichern 6.7. Welche Folgen hätte es, wenn Österreich den Schilling wieder einführen würde? Kosten: direkte Kosten: da die alten Schilling-Noten und –Münzen von der Nationalbank vernichtet wurden, müssten neue hergestellt werden. Die Druckplatten gibt es zwar noch, könnten aber aus Sicherheitsgründen nicht verwendet werden. Die OeNB bereitet sich schon auf 26 EU TOP THEMA die nächste Serie der neuen, sicheren Euro-Banknoten vor. Umstellungskosten für Banken und Unternehmen rund 3 Mrd. €. (Die Umstellung von Schilling auf Euro kostete die österreichische Volkswirtschaft 2002 rund 1,5 Mrd. Euro und benötigte mehrere Jahre Vorbereitung). Die OeNB müsste spekulative Angriffe durch teure Schilling-Ankäufe an den Finanzmärkten abwehren. Eine Bindung an wichtige Währungen wäre heute viel schwieriger, da die gehandelten Volumina ungleich größer sind und die Märkte nervöser. Dies betrifft schon jetzt jene Länder, die ihre Währungen seit einiger Zeit an den Euro koppeln. Allenfalls steigende Preise durch schwankende Wechselkurse für Importprodukte (Lebensmittel, Benzin etc.) Eine erwartete (BA-Chefökonom Bruckbauer) Senkung der Wirtschaftsleistung bei einem österreichischen Alleingang um 5% (rund 15 Mrd. Euro) würde rund 80.000 Arbeitsplätze kosten. Das Problem würde noch durch den Wegfall des großen Euro-Binnenmarktes verschärft werden. Die Investitionen von Konzernen aus dem Euro-Raum in Österreich wären ebenso rückläufig. 6.8. Wie hat Österreich vom Euro profitiert? Kein Land hat durch die Euro-Einführung seinen Wohlstand so stark gesteigert wie Österreich, zeigen die Unternehmensberater McKinsey in einer im Jänner 2012 veröffentlichten Studie. Fast 8% des BIP sind ihr zu verdanken. Der Grund für den Spitzenplatz: Wie der große Nachbar kann auch Österreich die Vorteile eines großen Währungsraums voll nutzen, weil es seine Wettbewerbsfähigkeit gesteigert hat. Zusätzlich profitiert es stärker vom intensivierten Austausch mit Staaten in Osteuropa, die schon in der Eurozone sind oder sich ihr annähern. Der Euro wird immer wieder gerne als "Teuro" verteufelt. Fakt ist jedoch: Die Inflation war vor Einführung des Euro im Durchschnitt höher als heute. Zudem hat sich der Euro gerade in der derzeitigen Wirtschaftskrise als Stabilitätsanker erwiesen. Und das ist nicht sein einziger Vorteil. Kein Geldumtausch - keine Kursschwankungen Zu den offensichtlichen Vorteilen zählt der Wegfall des Geldumtauschs. Das Risiko von Kursschwankungen gehört damit ebenfalls der Vergangenheit an. Im gesamten Euroraum wurde das 27 EU TOP THEMA Zahlen und Reisen dadurch vereinfacht. Dies gilt ebenso für die massiven Kostensenkungen im europäischen bargeldlosen Zahlungsverkehr. Die einheitliche Währung erlaubt eine einfache Vergleichbarkeit von Preisen im gesamten Euroraum. Diese Preistransparenz steigert den innereuropäischen Handel und führt zu mehr Wettbewerb. Schon vor Einführung des Euro wurden durch den freien Kapitalverkehr etwa die Kosten für Darlehen gesenkt. Auch gibt es für Verbraucher viel mehr Anlagemöglichkeiten, die in der gesamten EU genutzt werden können. Vorteile für Unternehmen Besonders für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ergeben sich durch den Wegfall von Transaktionskosten wirtschaftliche Vorteile. Der Ankauf von Fremdwährungen oder eine teure Absicherung gegen Kursschwankungen ist zum Beispiel nicht mehr erforderlich. Eine Absicherung, wie sie heute im Handel mit dem Dollar-Raum noch üblich ist, verursacht gerade für KMU erhebliche Zusatzkosten. Diese fallen innerhalb der EU nicht mehr an. So können Unternehmen die Vorteile des europäischen Binnenmarktes zur Gänze ausschöpfen. Der daraus resultierende europaweite Wettbewerb kommt allen EU-Bürgern zugute. Stabilität in der Krise Neben den unmittelbaren Vorteilen sorgt das Eurosystem für finanzielle Stabilität. Innerhalb von zehn Jahren hat der Euro sein Gewicht in der Welt behauptet und ist nach dem US-Dollar die zweitwichtigste Währung der Weltwirtschaft. Besonders in der aktuellen Finanzmarktkrise hat der Euro seine Bewährungsprobe bestanden. Seine Stärke sorgt für eine Stabilität der Währung, die es bei 17 verschiedenen Währungen mit ihrer Spekulationsanfälligkeit nie gegeben hätte. Gerade kleine Länder wie Österreich wären stärker währungspolitischen Spekulationen ausgesetzt als große. 6.9. Wie wäre es uns in den letzen Jahren mit dem Schilling ergangen? Anfang 2009 warnten Ratingagenturen davor, dass sich die Finanzkrise in Osteuropa auf Banken im Westen auswirken könnte, die dort aktiv sind. Dies hätte in besonderem Ausmaß Österreich betroffen. Aufgrund des intensiven Engagements österreichischer Banken in den mittel- und osteuropäischen Ländern wurde die Bonität Österreichs angezweifelt. So stieg der Zins auf österreichische Staatsanleihen 2009 um 95 Basispunkte im Vergleich zum Durchschnitt der vergangenen Jahrzehnte. Statt 25 Basispunkten Aufschlag auf die am besten bewerteten deutschen Staatsanleihen betrug dieser Aufschlag nun 120 Punkte. Österreichische Staatsanleihen zählten somit, gemessen am Zinssatz, der das von Anlegern eingeschätzte Ausfallsrisiko widerspiegelt, zu den am schlechtesten bewerteten in Westeuropa, gleichauf mit Spanien und Italien, jedoch deutlich hinter Island und Irland. Internationale Ratingagenturen überlegten sogar eine Abwertung der Bonitätseinstufung von TripleA hinunter, was die Zinsen für österreichische Staatsanleihen weiter erhöht hätte. Moody’s wies „warnend“ darauf hin, dass sich die „Finanzkrise in Osteuropa“ negativ auf „Banken im Westen“ auswirken könnte. Fitch erklärte, dass es die „Verflechtung Österreichs mit Osteuropa mit Besorgnis“ sehe. Die befürchtete Abwertung blieb vorläufig jedoch aus. Schließlich bestätigte damals Standard & Poor's das Triple-A und kommentierte dies damit, dass davon ausgegangen werde, dass Österreich die derzeitigen Schwierigkeiten werde bewältigen können. 28 EU TOP THEMA 29 Im April 2009 prophezeite der USStarökonom und Nobelpreisträger Paul Greece 400 Portugal Krugman aufgrund des Ostengagements Ireland 350 Österreich – neben Irland und Island – Spain 300 als vom Staatsbankrott bedroht, eine Italy Austria 250 Einschätzung, die von österreichischen Belgium 200 Regierungsver-tretern vehement France 150 abgelehnt und in Bezug zu 100 Börsensentiment und Spekulation 50 gesehen wurde. Im Mai 2009 0 entschuldigte sich der IWF seitens juil-08 oct-08 janv-09 avr-09 juil-09 oct-09 janv-10 seines damaligen Chefs Dominique Source: Bloomberg Strauss-Kahn formell bei Österreich für einen „menschlichen, aber unakzeptablen Rechenfehler“, den der IWF in der Einschätzung des Ostmarktes gemacht hatte und der diese ganze Affäre verschlimmerte. 5Y CDSS 450 Als Maßnahme gegen die Wirtschaftskrise in den osteuropäischen Staaten verdoppelte die EU die Zahlungsbilanzhilfe auf 50 Mrd. Euro, was den Finanzmärkten die Besorgnis nahm und die Aufschläge wieder auf Normalniveau sinken ließ. Die Zinsdifferenz hätte laut Schätzung der OeNB in den Jahren 2009 und 2010 jeweils rund 1 Milliarde Euro zusätzlicher Zinskosten verursacht (siehe auch Punkt 2.3). Hätte Österreich zu dieser Zeit nicht den Euro, sondern den Schilling als Währung gehabt, wäre dieser massiv unter Druck gekommen. Als Mitglied des Euroraumes wurden diese Währungsturbulenzen nicht schlagend. 6.10. Wie geht es der Schweiz mit ihrem „harten“ Franken? Die Schweizer Notenbank musste während der Krise gegen eine zu starke Aufwertung des Schweizer Franken intervenieren, um eine Deflation zu verhindern, was ihr auch gelang. Allerdings war der Preis sehr hoch: Die Verluste der Schweizer Notenbank aus diesen Interventionen betrug im Jahre 2010 26,4 Mrd. Schweizer Franken (ca. 20 Mrd. Euro!). Nicht zuletzt aufgrund des enormen Aufwertungsdrucks verlor die Schweizer Wirtschaft zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit. Weil der Schweizer Franken gegenüber dem Euro zuletzt immer stärker geworden war, versuchte die Schweizer Nationalbank mit Zinssenkungen und massiven Liquiditätsspritzen, den Franken zu schwächen. Dadurch entstand 2010 und bis Mitte 2011 ein Verlust von 35 Mrd. CHF. Zwar konnten die Währungshüter die Aufwertung etwas bremsen, für einen nachhaltigen Ausbruch aus dem Aufwärtstrend reichte es jedoch nicht. Am 6. September 2011 zog die Schweizer Nationalbank daher quasi die Notbremse. Sie legte einen Euro-Mindestkurs von 1,20 Schweizer Franken fest Mit der Festlegung eines fixen Wechselkurses zum Euro hat sie die eigene Währungssouveränität aufgegeben. Es gibt Schweizer Unternehmen (vor allem im grenznahen Raum), die ihren Mitarbeitern sogar die Löhne in (weniger harten) Euro auszahlen. 6.11. Ist der Austritt aus der Euro-Zone überhaupt rechtlich möglich? Ein freiwilliger Ausstieg ist laut Europarechtsexperten nur bei einem gleichzeitigen Austritt aus der EU (möglich mit anschließendem Wiedereintritt in die EU) durchführbar. Gegen den Willen eines Staates kann kein Ausschluss erfolgen, da wichtige Entscheidungen Einstimmigkeit erfordern. EU TOP THEMA 6.12. Wie viel zahlt Österreich wann an Griechenland? Griechenland wurde innerhalb des ersten Rettungspaketes ein Darlehensrahmen von 110 Mrd. Euro (80 Mrd. Euro durch bilaterale Kredite der Euro-Staaten; 30 Mrd. Euro durch den IWF) für drei Jahre gewährt (bis 2013). Österreichs Beitrag dafür beträgt bis zu 2,3 Mrd. Euro und ist nicht "geschenkt", sondern ein Kredit, der bei einer Laufzeit von drei Jahren mit ursprünglich 4,5% verzinst ist. Gesetzliche Grundlage für die Auszahlung des Geldes durch Österreich ist das Zahlungsbilanzstabilisierungsgesetz; die Zustimmung des Nationalrates erfolgte am 20. Mai 2010. Das Darlehen wird - je nach Fortschritt der Umsetzung der Sparmaßnahmen und Reformen in Griechenland - in Tranchen über die laufenden drei Jahre ausbezahlt. Die Bereitstellung der Kredithilfen ist an strikte Bedingungen geknüpft, Rückzahlung und Verzinsung müssen unter Einhaltung harter Auflagen gewährleistet werden. Die Umsetzung des griechischen Sparprogramms wird vierteljährlich von EU und IWF überprüft. Das bisher an Griechenland überwiesene Geld ist durch den im März 2012 durchgeführten Schuldenschnitt von über 53,5% nicht zur Hälfte verloren, da dieser Schuldnachlass eine Beteiligung des Privatsektors von rund 107 Mrd. Euro ist. Der österreichische Staat verliert vorerst keinen einzigen Euro, im Gegenteil, Griechenland zahlt die vereinbarten Zinsen. 1,56 Mrd. Euro sind bis Anfang März 2012 von Österreich als Darlehen nach Griechenland geflossen, dafür wurden von Griechenland 62,6 Mio. Euro Zinsen an Österreich gezahlt. Als Beitrag des öffentlichen Sektors zum neuen Griechenland-Rettungspaket wird der Zinssatz reduziert, den Griechenland für die Rückzahlung der Gelder des ersten Hilfspakets zu zahlen hat. Er liegt nun über 1,5% über dem Interbankenmarkt-Zinssatz. Laut Finanzministerium wird Österreich dadurch künftig um rund 1,5 Mio. Euro weniger Zinsen von Griechenland erhalten als bisher geplant. Diese Mindereinnahmen würden aber über eine Verrechnung im Zentralbankensystem ausgeglichen. 30 EU TOP THEMA 7. ANHANG: INFORMATIONSLINKS RUND UM DIE EU UND DIE AKTUELLE WIRTSCHAFTS- UND WÄHRUNGSSITUATION Bundesministerium für Finanzen http://www.bmf.gv.at Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend http://www.bmwfj.gv.at Centre for European Policy Studies http://www.ceps.eu Europäische Bankenaufsicht: http://www.c-ebs.org Europäische Kommission - EU-Strategie zur Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise http://ec.europa.eu/economy_finance/focuson/crisis Europäische Kommission – Frühjahrsprognose 2011-12 http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/11/565&format=HTM L&aged=0&language=DE&guiLanguage=en Europäische Kommission – Wiederbelebung der europäischen Wirtschaft http://ec.europa.eu/financial-crisis/index_de.htm Europäische Zentralbank http://www.ecb.int/ecb/html/index.de.html European Economic Advisory Group www.cesifo-group.de/eeag European Union Information - EurActiv Network http://www.euractiv.com/de Eurostat http://www.epp.eurostat.ec.europa.eu/ Österreichische Gesellschaft für Europapolitik http://cms.euro-info.net/ Österreichische Nationalbank http://www.oenb.at/ Stabsabteilung EU-Koordination der Wirtschaftskammer Österreich http://wko.at/eu 31