Stellungnahme zu diffamierenden Presseberichten Hiermit möchte ich die Möglichkeit nutzen um mich selbst in die, in bestimmte Kreisen kontrovers geführte, Diskussion über meine Person, meine politischen Meinungen, pädagogischen Methoden und künstlerische Arbeit, zu äußern. Ich arbeite seit 2003 in Berlin-Moabit, wobei sich die Projekte und Kontexte in denen ich tätig war stetig weiter entwickelt haben: von Streetwork, über politische und kulturelle Bildungsarbeit bis hin zur künstlerischen Leitung des jungen Kunstfestivals FESTIWALLA, des kürzlich in Berlin-Moabit eröffneten Theater X, gemeinsam mit Cigir Özyurt, und des KulTür auf! Bündnisses aus Kultureinrichtungen und Trägern der Jugend- und Kulturarbeit. Zudem bin ich Mitbegründer und Mitglied im künstlerischen Kollektiv des Club Al-Hakawati. Heute entwickle ich, als Teil unterschiedlicher theaterpädagogischer Kollektive, im Rahmen des JTB und Club Al-Hakawati, neue dramaturgische und ästhetische Ansätze, die post-koloniale, queere, feministische, antirassistischen und anti diskriminierende Diskurse mit einem künstlerischen Remix von Underground-Street-Jugend- und 'Hoch'-Kultur zusammen bringen. Viele der Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit denen ich arbeiten darf haben eine muslimisch geprägte Herkunft, einige gehören zur palästinensischen oder zur arabischen Community. Ich habe mich deshalb in meiner Arbeit immer beschäftigt und beschäftigen müssen mit den zunehmenden Spannungen und Spaltungen in der Gesellschaft nach dem 11. September 2001 und insbesonderes während Zeiten der Zuspitzungen des israelisch-palästinensischen Konfliktes. Ich habe versucht Projekte zu initiieren die diese Konflikte im deutschen Kontext angehen und bearbeiten – insbesondere mit Blick auf die historische Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen des deutschen Faschismus, den immer noch bestehenden Antisemitismus und den neu entstehenden antimuslimischen Rassismus. Einige der frühen Ergebnisse waren das Theaterstück 'Intifada im Klassenzimmer?!', das für das Theatertreffen der Jugend nominiert wurde, die filmische Dokumentation 'Twenty One Moabit', die den Goldenen Alex gewann und die Ausstellung 'Bilderwelten, Weltbilder', die in Berliner Rathäusern gezeigt wurde. Es gab für diese Arbeit viel Lob und immer wieder auch Kritik und wir nahmen Teil an mehrere geschlossenen und öffentlichen Diskussionen und Gesprächen. Das Ergebnis dieser Diskussionen war die zunehmende Anerkennung unserer Ansätze als innovative Formen für die Beschäftigung mit der deutschen Geschichte in der Einwanderungsgesellschaft und für die Inklusion von Diskursen unter marginalisierten Teilen der Gesellschaft.1 Ermutigt durch die Erfolge unserer Arbeit, entwickelte ich im Nachfolgeprojekt diesen Ansatz weiter. Wir beschäftigten uns mit dem Leben von Hedy Epstein, deren Eltern in Auschwitz umgebracht würden und der Arbeit des Freedom Theaters des jüdisch-palästinensischen Schauspielers und Theatermachers Juliano Mer-Khamis. Die Begegnungen mit diesen 'Grenzgänger*innen' fanden im Stück zusammen mit der Geschichte eines suizidgefährdeten moabiter Jugendlichen migrantischer Herkunft. Das Theater Stück 'Der Sprung' ging auf Deutschland Tournee und wurde auch für das Theatertreffen der Jugend nominiert. Unsere Arbeit brachte uns u.a. in Kontakt mit dem Anne Frank Zentrum, dem Jüdischen Museum, der Gedenkstätte KZ Sachsenhausen, der Şehitlik-Moschee am Columbiadamm, dem Weltkongress der russisch-sprachigen Juden, dem Arbeitskreis Nahost, der TU-Berlin, Persönlichkeiten der türkischen Gemeinde und den Streetwork-Organisationen Gangway und Outreach. Wir nahmen teil an Kundgebungen zum 9. November, sprachen mit Zeitzeug*innen des Holocaust und Überlebenden der Nakba, trafen Lehreinnen aus Bethlehem und traten auf im Rahmen von 'Jugendforum denk! mal' im Berliner Abgeordnetenhaus. Die während dieser Zeit gelungene Multiperspektivität ermöglichte eine Bricolage, einen Austausch und Remix von Erfahrungen die unsere Produktion 1 Zwei der damals entstandenen Gutachten zu meiner und unserer Arbeit sind angehängt. prägte und Inspiration für die zukünftige Arbeit war. Wir haben die Erinnerung an den ungehemmten Antisemitismus und Rassenwahn, der zur, in der Geschichte der Menschheit einmaligen, industriellen Vernichtung von 6 Millionen europäischen Jüd*innen im Holocaust führte, zugänglich gemacht für diejenigen, bei denen der Frontalunterricht in der Schule zum gleichen Thema scheiterte. Darüber hinaus haben wir festgestellt wie viel wir als Minderheit lernen können von den Erfahrungen der jüdische Minderheit in Deutschland vor dem Holocaust – die Erfahrungen von Flucht und Migration, das Leben als Marginalisierte in der Diaspora, als Opfer von Othering und rassistischen, nationalistischen Denkstrukturen. Und wir haben gemerkt, wie wichtig für uns und die Jugendlichen die Begegnung mit Menschen wie Hedy Epstein war und wie empowernd ihre Kraft und ihre Strategien persönlichen und politischen Überlebens und Widerstands. Das ist auch einen Grund warum meine Arbeit geprägt ist vom Werk Bertolt Brechts, Walter Benjamins, Viktor Klemperers, Hannah Arendts, Anne Franks, Judith Butlers und vieler anderer. Inspiriert vom Titel der Autobiografie Hedy Epsteins 'Erinnern ist nicht Genug', und ihrem langjährigen Engagement für Frieden und Gerechtigkeit im Nahen Osten, haben wir uns auch mit der Lage der Palästinenser*innen auseinandergesetzt. In dieser Zeit arbeitete ich mehrmals mit dem Institut für Schulbuchforschung in Braunschweig und führte eine Reihe von Multiplikator*innenWorkshops mit Lehrer*innen in Bethlehem unter dem Titel 'Diversity in Adversity' durch, die sich mit dem Bildungssystem und den Überlebens- und Widerstandsstrategien der palästinensischen Lehrer*innen und Schüler*innen beschäftigten. Diese Tätigkeiten bereicherten meine Arbeit in Moabit. Ein zweiwöchiger Workshop in der Theaterschule des Freedom Theaters in Jenin brachte mich in Kontakt mit Juliano Mer-Khamis' Konzept der 'kulturellen Intifada'. Mit diesem Konzept setze er sich für eine Abwendung von militärischen und eine Hinwendung zu kulturellen Mitteln in der Auseinandersetzung um die Zukunft der Region ein. Im angesprochenen Beitrag im Deutschlandfunk werde ich für die Verwendung des Ausdrucks „kulturelle Intifada“ kritisiert – offenbar ohne dessen Ursprung oder Bedeutung zu kennen. Es ist schade, dass von Seiten des Deutschlandfunks nie versucht wurde mich zu kontaktieren damit auch meine und die Perspektive unserer Einrichtung Raum in der Debatte bekäme. Der dort von mir zitierte Beitrag war ein Grußwort an die Teilnehmer*innen einer Demonstration zum Jahrestag von Al Nakba, die 2015 während des Höhepunktes des Krieges im Gazastreifen stattfand. Einige der Jugendlichen aus unserem Theater hatten zuvor an friedlichen und kreativen Protesten teilgenommen. Mein Grußwort sollte ausdrücken, dass unsere emanzipatorischen Positionen folgerichtig zu einer Kritik an rassistischen Strukturen in den besetzten Gebieten führen müssten und dass junge und marginalisierten People of Colour, die versuchen diese Kritik zu formulieren, nicht pauschal als Antisemit*innen aus der öffentlichen Diskussion ausgeschlossen werden dürften. Das Thema wurde nicht von mir gesetzt sondern wegen des Krieges in Gaza bereits in den unterschiedlichen Communities breit diskutiert. Diese Diskussionen konnte und wollte ich nicht ignorieren. Gerade wenn Kritik verdrängt oder vorschnell stigmatisiert und als illegitim abgetan wird, finden diskriminierende Ideen, vereinfachende Erklärungsmuster und ihre Botschafter Gehör. Deswegen mische ich mich an den Orten ein, wo Diskussionen stattfinden und deshalb hielt ich das Grußwort. Alles andere führt gerade zu den sogenannten 'Parallelgesellschaften' die wir nicht haben wollen. Ich habe mit meiner Rede keineswegs 'die Abschaffung des Staates Israel' gefordert wie Benjamin Steinitz es auslegt. Das ist alleine seine eigene Formulierung. Mit meiner Rede schloss ich mich der Kritik des jüdischen US-Amerikaners und ehemaligen UN-Sonderberichterstatters für die besetzten Palästinensergebiete, Richard Falk und dem südafrikanischen Juristen und ehemaligen Sonderberichterstatter der UN Menschenrechtskommission und des UN-Menschenrechtsrates, Christopher John Robert Dugard, an. Der erste warf der israelischen Politik "ethnischen Säuberung" und Züge der „Apartheid“ vor und der zweite bewertete 2007 das israelische Vorgehen im Gazastreifen und Westjordanland als „ähnlich der Apartheid“. Darauf habe ich mich mit den Worten 'Apartheidsstaat in Israel' bezogen. Meine Gedanken über einen wirklich dauerhaften Frieden habe ich schon an anderer Stelle öffentlich erläutert: Einige von uns, und manche wegen ihrer Biografien, haben eine Kritik an der israelischen Politik. Als Kollektive sind wir uns in einem Einig: wir lehnen jegliche antisemitische Kritik an Israel ab. Ich selber setze meine Hoffnung, wie die renommierten und an deutschen Universitäten viel gelesenen Intellektuellen Judith Butler und Edward Said, in einen gemeinsamen Staat wo alle Israelis und Palästinenser auf Augenhöhe miteinander leben können, wo sie aus ihren jeweiligen Geschichten lernen können, statt sich zu bekriegen, und wo kein Blut mehr fließt.2 Meine Arbeit ist politisch weil sie grundlegende Widersprüche in unserem gesellschaftlichen Leben aufzudecken sucht. Sie ist parteilich weil sie sich positioniert gegen diskriminierende Strukturen und Mechanismen. Sie ist aber nicht parteipolitisch, genauso wenig, wie die Kontexte meiner Arbeit und die Einrichtungen und Gruppen in denen ich künstlerisch und pädagogisch tätig bin: Wir sind eine vielsprachige, vielstimmige, Sammlung unterschiedlicher Herkünfte, Geschlechter und Biografien die gemäß dem Grundsatz arbeitet: Niemand gibt uns eine Stimme, wir nehmen sie uns. Deswegen schockiert es mich und viele der Kolleg_innen und Jugendlichen mit denen ich arbeite, dass unsere anti-diskriminierende, menschenrechtlich bewegte und demokratische Arbeit und das künstlerische Gesamtwerk unserer Einrichtung an sich in ihrer Integrität in Frage gestellt werden. Wir sind deshalb für jede Möglichkeit dankbar, dieses verzerrte Bild unserer Arbeit richtig zu stellen. Entsprechend freue ich mich auf ein gemeinsames Gespräch. Mit freundlichen Grüßen, Ahmed Shah Berlin, 02.11.2016 2 Statement im Rahmen einer Pressekonferenz im Ballhaus Naunynstrasse im April 2016