Crataegus laevigata – der Weißdorn. Das Rosengewächs ist auf ersten Blick unauffällig, aber seine feinen weißen Blüten und blütentragende Zweige liefern zahlreiche Wirkstoffe, die das Herz schützen und stärken. Weißdorn enthält einen hohen Anteil oligomerer Prozyanide (OPC) und viele andere sekundäre Pflanzen- und Gerbstoffe, die die Durchblutung steigern. Da sie insgesamt die kardiale Sauerstoffversorgung verbessern, empfiehlt die New York Heart Association Weißdorn offiziell für die Therapie der leichteren Formen der Herzinsuffizienz. Bei einer nachlassenden Leistungsfähigkeit des Herzens im Alter kann der Weißdorn eingesetzt werden, um einer Herzmuskelschwäche, Hypertonie, Koronarinsuffizienz und Myokardschwäche vorzubeugen. 11.1 Einführung 430 11.2 Anatomie und Physiologie 430 11.3 Leitsymptome und Differenzialdiagnose 432 11.4 Diagnoseverfahren 435 11.4.1 Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 11.4.2 Klinische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 11.4.3Elektrophysiologische ­Untersuchungen . . . . . . . 437 11.4.4Bildgebende Untersuchungs­verfahren . . . . . . . . 438 441 11.5Durchblutungsstörungen des Herzens 11.5.1 Koronare Herzkrankheit, stabile Angina pectoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 11.5.2 Akutes Koronarsyndrom, instabile Angina pectoris und Herzinfarkt . . . . . 445 11.5.3 Plötzlicher Herztod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 11.6 Herzinsuffizienz 448 11.6.1 Akute Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 11.6.2 Chronische Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 11.7 11.7.1 11.7.2 11.7.3 11.7.4 11.7.5 Herz­rhythmus­störungen 452 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 Extrasystolen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 Tachykarde Rhythmusstörungen . . . . . . . . . . . . . 453 Reizleitungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Bradykarde Rhythmusstörungen . . . . . . . . . . . . . 456 457 11.8Entzündliche Herz­­­erkrankungen 11.8.1 Myokarditis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 11.8.2 Perikarditis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 11.8.3 Endokarditis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 11.9Herzklappenfehler, Herz­fehler 460 11.9.1 Erworbene Herzklappenfehler . . . . . . . . . . . . . . . 461 11.9.2 Angeborene Herzklappen- und Herzfehler . . . . . 463 11.10 Kardiomyopathien aus: Guillou u.a., Medizin für Heilpraktiker (ISBN 9783830474289) 2012 © Karl F. Haug Verlag 464 Medizinische Fachgebiete 11 Herz aus: Guillou u.a., Medizin für Heilpraktiker (ISBN 9783830474289) 2012 © Karl F. Haug Verlag 11 Medizinische Fachgebiete 430 11.1 Herz Einführung Anatomie und Physiologie 11.2 Mit jedem Herzschlag pumpt das Herz eines Erwachsenen ein Blutvolumen von 70 Millilitern, also etwa ½ Kaffee­tasse, durch das Gefäßsystem. Das entspricht 5 Litern Blut pro Minute im Ruhezustand. Unter maximaler Belastung vervierfacht sich dieser Wert durch den Anstieg von Herzfrequenz und Schlagvolumen. Im Laufe der Zeit ergibt dies eine enorme Leistung. Schon an einem einzigen Tag pumpt das Herz 7 000—11 000 Liter durch den Körper. Auf diese Weise hat es bei einem 73-Jährigen bereits über 200 Millionen Liter Blut befördert. Medizinische Berufe Die Kardiologie ist das Teilgebiet der Inneren Medizin, bei dem die Erkrankungen des Herzens, des Herz-Kreislaufs und der herznahen Gefäße im Vordergrund stehen. Neben der medikamentösen Therapie werden Herzkatheteruntersuchungen, spezielle Ultraschalluntersuchungen von Herz und Gefäßen, EKG-Untersuchungen sowie die Implantation und Kontrolle von Herzschrittmachern durchgeführt. Über Herzkatheter nimmt der Kardiologe auch kleinere Eingriffe an Herzkranzgefäßen, Herzklappen, Herzscheidewänden, herznahen Gefäßverläufen und Erregungsleitungsbahnen vor. Die Herzchirurgie – genauer Herz-Thorax-Chirurgie – befasst sich mit allen operativen Eingriffen am Herzen und den herznahen Gefäßen. Darunter fallen Operationen an den Herzkranzgefäßen, den Herzklappen und den großen Gefäßen des Brustraums, die operative Korrektur von angeborenen und erworbenen Herzfehlern bis hin zu Herztransplantationen. Die Herz-Thorax-Chirurgie ist eine eigenständige Facharztweiterbildung. Rechtes und linkes Herz Das Herz kann man sich als Muskelballon vorstellen, der innen zu den blutgefüllten Herzhöhlen hin vom Endokard (Herzinnenhaut) ausgekleidet und nach außen vom Perikard (Herzbeutel) umgeben ist (g Abb. 11.01). Das Myokard ist der Herzmuskel. Das Herz wird durch die Herzscheidewand in eine rechte und eine linke Herzhälfte getrennt. Jede Herzhälfte besteht aus einem Atrium (Vorhof) und einem Ventrikel (Kammer). Die Vorhöfe sammeln das zum Herzen fließende Blut und leiten es in die muskelstärkeren Herzkammern, die es wieder aus dem Herzen pumpen. Rechtes und linkes Herz unterhalten 2 unterschiedliche Blutkreislaufsysteme: ••Im rechten Vorhof münden obere und untere Hohlvene (V. cava superior und inferior). Im linken Vorhof münden die 4 mit sauerstoffreichem Blut gefüllten Lungenvenen. ••Im rechten Herzen wird das aus dem Körper kommende, sauerstoffarme Blut gesammelt und in die Lunge gepumpt, in der es mit Sauerstoff angereichert wird. Diesen Vorgang bezeichnet man als kleinen Kreislauf oder Lungenkreislauf. ••Die linke Kammer pumpt das sauerstoff­reiche Blut in die Aorta (Hauptschlagader). Von dort aus versorgt es alle Köperregionen – also den Körperkreislauf (großer Kreislauf) – mit Sauer- und Nährstoffen. 22 Im Körperkreislauf transportieren Arterien sauerstoffreiches („rotes“), im Lungenkreislauf sauerstoffarmes („blaues“) Blut. linke Schilddrüse Trachea V. cava superior Vagusnerv Aortenbogen Aorta linkes Herzohr Truncus pulmonalis linke Koronararterie linke Lunge linker Ventrikel Magen Diaphragma Perikard E Abb. 11.01 Das Herz wird links und rechts von den beiden Lungenflügeln, unten vom Zwerchfell und oben von großen Blutgefäßen umschlossen. [GTV Prometheus] aus: Guillou u.a., Medizin für Heilpraktiker (ISBN 9783830474289) 2012 © Karl F. Haug Verlag 11.2 Anatomie und Physiologie 431 Aorta V. cava superior Blutstrom zu den Lungen Truncus pulmonalis venöser Zustrom über die Lungenvenen Herzohr linkes Atrium Ausstrombahn rechtes Atrium linker Ventrikel Ausstrombahn Herzscheidewand (Septum) rechter Ventrikel V. cava inferior E Abb. 11.02 Die roten Pfeile auf der linken Bildseite zeigen den Körperkreislauf, die blauen Pfeile auf der rechten Bildseite den Lungenkreislauf. [GTV Prometheus] Gelegentlich wird zwischen Niederdruck- (< 30 mmHg) und Hochdrucksystem unterschieden. Zum Niederdrucksystem gehören alle Körpervenen, Pfortadersystem, rechtes Herz, Aa. pulmonales, Lungenkreislauf inklusive Vv. pulmonales und linker Vorhof. Erregungsbildung und -leitung Der Sinusknoten verantwortet durch seine rhythmischen winzigen Stromstöße die geordnete Herzaktion. Er arbeitet autonom, d. h. ohne direkte Beeinflussung durch das Nervensystem – und besteht anatomisch gesehen aus Herzmuskelund nicht aus Nervenzellgewebe. Der Sinusknoten ist damit der natürliche Schrittmacher des Herzens mit einer Frequenz von 60–80 Impulsen pro Minute, bei Kindern mehr und bei Leistungssportlern auch weniger. Bestimmt er die Herzaktion, spricht man vom Sinusrhythmus. Wenn nicht, liegt irgendeine Art von Ersatzrhythmus vor. Der Takt der Sinusknotenaktivität wird stark vom vegetativen Nervensystem beeinflusst, daher führen z. B. psychische Erregungen zu schnellerem Herzschlag. Die im Sinusknoten gebildete Erregung wird entlang von Verteilerstrecken, dem Erregungsleitungssystem aus speziellen Herzzellen, über das gesamte Herz verteilt. Zunächst werden beide Vorhöfe zur Muskelkontraktion angeregt. Sodann passiert die Erregungswelle den Atrioventrikular-Knoten (AV-Knoten), der am Übergang vom Vorhof zur Kammer liegt. Hier erfolgt eine kurze zeitliche Verzögerung des Impulses, um den Vorhöfen Zeit zur Kontraktion und Kammerfüllung zu geben. An den AV-Knoten schließt sich das His-Bündel an, und schließlich teilt sich das Erregungsleitungssystem in 2 als Tawara-Schenkel bezeichnete Faserstränge, deren kleinste Fasern (Purkinje-Fasern) in die Muskulatur der Herzkammern ziehen. 22 Fällt der Sinusknoten als Impulsgeber aus, übernimmt zunächst der AV-Knoten als Back-up-System den Herzimpuls. Fällt auch dieser aus, können alle nachgeordneten Strukturen des Erregungsleitungssystems den Herzimpuls generieren. Der betroffene Patient merkt davon oft nur den deutlich verlangsamten Herzschlag, oft < 40 Schläge pro Minute. Herzaktion Voraussetzung für die Herzaktion sind die Herzklappen, die als Ventile gewährleisten, dass das Blut in die richtige Richtung fließt. Die Herzklappen sind Ausstülpungen der Herzinnenhaut. Im rechten Herzen sind dies die Trikuspidalklappe zwischen Vorhof und Kammer sowie die Pulmonalklappe V. cava superior Sinusknoten rechtes Atrium Vorhofseptum Lungenvenen Atrioventrikularknoten His-Bündel rechter TawaraSchenkel V. cava inferior PurkinjeFasern linker TawaraSchenkel Kammerseptum E Abb. 11.03 Das Erregungsleitungssystem des Herzens besteht aus dem Sinus- und AV-Knoten sowie den His-Bündeln, TawaraSchenkeln und Purkinjefasern. [GTV] aus: Guillou u.a., Medizin für Heilpraktiker (ISBN 9783830474289) 2012 © Karl F. Haug Verlag Medizinische Fachgebiete arterieller Strom in den Körperkreislauf 11 Medizinische Fachgebiete 432 Herz zwischen Kammer und Lungenschlagader. Links trennt die Mitralklappe (Bikuspidalklappe) Vorhof und Kammer, während die Aortenklappe den Blutfluss aus der Hauptschlagader zurück in die Herzkammer verhindert. Der Herzschlag ist die vom Reizbildungs- und Reizleitungssystem des Herzmuskels autonome, also ohne Mitwirkung des Gehirns generierte Aktion der Herzmuskulatur, die einen ständigen Wechsel von Kontraktion (Zusammenziehen) und Erschlaffen des Herzens gewährleistet. Blut wird so in der Systole ungefähr 1-mal pro Sekunde aus dem Herzen in die angrenzenden großen Gefäße gepumpt.­Genauer gesagt, kontrahieren während der Systole rechte und linke Herzkammer, während Aorten- und Pulmonalklappe geöffnet und gleichzeitig Mitral- und Trikuspidalklappe geschlossen sind. Im Anschluss daran füllen sich in der Diastole die entleerten, erschlafften Herzkammern wieder neu mit Blut. Dabei schlagen die beiden Vorhöfe gegensinnig zu den beiden Herzkammern: Während der Kammerkontraktion strömt Blut in die leeren Vorhöfe. Erschlaffen die entleerten Herzkammern in der Diastole, kontrahieren die Vorhöfe und geben ihr Blut in die Kammern ab. Während der Systole füllen sich dann die Vorhöfe über den bei der Kammerkontraktion entstehenden Unterdruck wieder mit Blut. Direkt nach einer Herzaktion ist der Herzmuskel kurzfristig nicht erregbar. In dieser Zeitspanne von 0,3 Sekunden, die Refraktärzeit genannt wird, ist der Muskel vor einer weiteren Kontraktion geschützt, sodass sich das Herz erneut mit Blut füllen kann. Durchblutung des Herzens Der Herzmuskel ist auch selbst auf eine zuverlässige Blutund Sauerstoffversorgung angewiesen. Diese Aufgaben übernehmen die Herzkranzgefäße (Koronargefäße), die direkt im Anschluss an die Aortenklappe als rechte und linke Herzkranzarterie (Koronararterie) aus der Hauptschlagader abgehen und sich anschließend vielfach über den gesamten Herzmuskel verzweigen. Eine große Herzvene, der Koronarsinus, sammelt das Blut der Herzkranzarterien und leitet es in den rechten Vorhof zurück. Während der Systole kommt die Durchblutung im Herzmuskel praktisch zum Erliegen, der Herzmuskel wird also v. a. während der Diastole durchblutet und versorgt. Daher E Tab. 11.01 Leitsymptome bei Herzerkrankungen Leitsymptome bei Herzerkrankungen Brustschmerzen, nicht atemabhängig g unten akute Dyspnoe (Atemnot) und Kurzatmigkeit, Apnoe (Atemstillstand) g S. 433, g S. 527 chronische Dyspnoe und Kurzatmigkeit g S. 529 Ödeme g S. 434 Palpitation (Herzklopfen, Herzstolpern, Herzrasen) g unten Synkope („Ohnmacht“) g S. 433 Zyanose (Blaufärbung der Haut und Schleimhäute) g S. 533 kommt es bei Tachykardien (hoher Herzschlagfrequenz) schnell zum Sauerstoffmangel. Herzschlagvolumen Das physiologische Schlagvolumen beträgt in Ruhe 70–80 ml, bei Spitzensportlern bis 200 ml und bei Kindern entsprechende weniger. Multipliziert man das Schlagvolumen mit der Schlagfrequenz, so erhält man das Herzminutenvolumen (Herzzeitvolumen) von rund 5 Litern pro Minute beim gesunden Erwachsenen. Bei maximaler Belastung kann es bis zum Vierfachen ansteigen, wobei zu dieser Steigerung hauptsächlich eine stark erhöhte Herzfrequenz beiträgt. Leitsymptome und Differenzialdiagnose 11.3 Übersicht Akute Herzerkrankungen erzeugen häufig unmittelbar bedrohliche Beschwerden wie extreme Atemnot und Vernichtungsschmerz in der Brustkorbregion. Andererseits schreitet die häufigste aller Herzerkrankungen, die koronare Herzkrankheit, jahrelang still und völlig symptomlos voran, um sich im ungünstigsten Fall dann ohne Vorwarnung mit einem tödlichen Herzinfarkt zu manifestieren. Die Tabelle zeigt die wichtigsten Leitbeschwerden, bei denen an Herzerkrankungen als Ursache zu denken sind. Palpitationen aa Palpitationen (Herzklopfen, Herzstolpern, Herzrasen): unangenehmes Bewusstwerden des eigenen Herzschlags. Sowohl ein zu langsamer als ein normal schneller, aber unregelmäßiger (arrhythmischer) als auch ein zu schneller Herzschlag machen die Herzaktion bewußt. Der Patient unterscheidet Herzklopfen als übermäßig stark empfundene Herzschläge, Herzrasen als hochfrequenten Herzschlag (Tachykardie) und Herzstolpern im Sinne einer arrhythmischen Herzaktion. )) Patientenbeschreibungen von Herzrhythmusstörungen darf man nie für bare Münze nehmen, denn in der weiteren Diagnostik ergeben sich oft andere oder weitergehende Befunde. Für den Laien ist es außerdem schwierig, harmlose von sehr ernst zu nehmenden Palpitationen zu unterscheiden. Der subjektive Leidensdruck korreliert oft nur schlecht mit der tatsächlichen Bedrohlichkeit einer Palpitation. Nicht atemabhängiger Brustschmerz aa Nicht atemabhängiger Brustschmerz: vom Betroffenen als retrosternaler, d. h. hinter dem Brustbein lokalisierter Brust- oder Herzschmerz erlebter Dauerschmerz. Abzugrenzen ist der atemabhängige Brustschmerz (g S. 529), aus: Guillou u.a., Medizin für Heilpraktiker (ISBN 9783830474289) 2012 © Karl F. Haug Verlag 11.3 Leitsymptome und Differenzialdiagnose Bei Herzerkrankungen ist der Schmerz typischerweise re­trosternal oder in der linken Thoraxhälfte lokalisiert, mit Ausstrahlung z. B. in die linke Schulter. Weitere Ursachen nicht atemabhängiger Brustschmerzen sind Erkrankungen von: ••Wirbelsäule ••Lunge, z. B. Lungenembolie ••Magen, z. B. überblähter Magen ••Pankreas, z. B. Pankreatitis ••Speiseröhre, z. B. Refluxösophagitis ••hypertone Krise ••Herpes zoster. !! Treten Brustschmerzen zum 1. Mal oder ungewohnt heftig auf, handelt es sich häufig um eine akute Herzerkrankung. Weitere Warnzeichen sind Todesangst, Luftnot, blaue Lippen, Übelkeit und Kaltschweißigkeit. E Tab. 11.02 Differenzialdiagnose von Palpitation Beschwerde Ursache rasch einsetzende Palpitationen mit Atemnot, Brustschmerz, Angst •• Angina pectoris, Herzinfarkt anfallsartige Palpitationen •• paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie (g S. 453) (g S. 454) •• absolute Arythmie •• Aufregung, Übermüdung, Schmerzen, Angst •• orthostatische Dysregulation. Kann bis zum Kreislaufzusammenbruch gehen •• Nebenwirkung von Bluthochdruckmedikamenten, Asthmamedikamenten, Psychopharmaka wiederkehrende Palpitationen bei zuvor problemlosen körperlichen Anstrengungen •• Anämie (g S. 509) •• wiederkehrende •• Blutdruckentgleisung, Palpitationen mit evtl. Kurzatmigkeit •• Kopfschmerzen, evtl. Schwindel hypertone Krise (g S. 476) •• unzureichend behandelte Hypertonie (g S. 475) •• Palpitationen •• unregelmäßiger oder •• beginnende Menopause anfallsartige Palpitationen nach reichlichen Mahlzeiten •• Ösophagusspasmus plötzliche Palpitationen mit Brustschmerzen, Atemnot und Husten •• Lungenembolie (g S. 564) •• Pneumothorax (g S. 561) •• Lungenödem (g S. 563) wiederkehrende Palpitationen •• Hyperthyreose (g S. 698) •• andere Hormonstörung •• Präexizitationssyndrom ausbleibender Eisprung Beschwerde Ursache akute, drückende Schmerzen hinter dem Brustbein, oft mit Ausstrahlung in den linken Arm. Zusätzlich Angst, kalter Schweiß und Atemnot •• stabile Angina pectoris Brustschmerzen, Wundgefühl hinter dem Brustbein •• Perikarditis (Herzbeutelent- (g S. 441) (instabile Angina pectoris, Herz­infarkt,g S. 445) •• Panikattacke (g S. 1 188) zündung, g S. 458) •• Myokarditis (Herzmuskelentzündung, g S. 457) wechselnd starke Brustschmerzen, meist bewegungsabhängig. Oft in den Rücken ausstrahlend plötzlich einsetzende, einseitige Brustschmerzen und zunehmende Atemnot plötzliche, reißende Schmerzen hinter dem Brustbein und zwischen den Schulterblättern (Wechseljahre, g S. 818) (g S. 587) •• Hiatushernie (g S. 589) 433 •• akutes Koronarsyndrom •• akute Bronchitis (g S. 541) •• Blockierung von Brustwirbelkörpern •• Osteoporose (g S. 874) •• Wirbelbruch •• Pneumothorax (g S. 561) •• Aortendissektion (g S. 486) (g S. 441,g S. 445) •• ventrikuläre Tachykardie plötzliche Palpitationen mit Schwindel, Schweißausbruch und Benommenheit E Tab. 11.03 Differenzialdiagnose von nicht atemabhängigen Brustschmerzen Dyspnoe aa Dyspnoe (Atemnot, g S. 527): subjektiv erschwerte Ein- und Ausatmung. Die Ursache ist entweder eine organische Störung von Herz oder Lunge oder eine psychisch bedingte Dyspnoe. 22 Eine Dyspnoe ist immer erklärungsbedürftig, aber kein sicherer Hinweis darauf, dass die Sauerstoffversorgung gestört ist. Ausführliche Differenzialdiagnose g S. 527. Häufigste kardiologische Ursache von Atemnot ist die Angina pectoris (g S. 441): Sie verursacht typischerweise eine Atemnot im Sinne eines „Nicht-Durchatmenkönnens“. Eine weitere Ursache ist eine zu geringe Pumpleistung der linken Herzkammer: Pumpt der linke Ventrikel – z. B. bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz oder einem akuten Herzinfarkt – nicht mehr ausreichend Blut in den Körperkreislauf, staut sich Blut bis in die Lungen zurück und tritt als Wasser in die Alveolen aus. Dieser Zustand wird als Rückwärtsversagen bezeichnet und führt zum Lungenödem (g S. 563). Neben tatsächlichen organischen Störungen tritt Luftnot bei Erkrankungen des Herzens auch subjektiv auf. Synkope aa Synkope („Ohnmacht“): kurze Bewusstseinsstörung, der meist ein vorübergehender Sauerstoffmangel des Gehirns infolge einer Minderdurchblutung zu Grunde liegt. Dauert die Ohnmacht länger als eine Minute, handelt es sich um eine Bewusstlosigkeit. Synkopen sind am häufigsten Folge einer schweren Herzrhythmusstörung, einer verminderten Auswurfleistung der aus: Guillou u.a., Medizin für Heilpraktiker (ISBN 9783830474289) 2012 © Karl F. Haug Verlag Medizinische Fachgebiete der in der Regel von Störungen der Atemwege oder der Lunge ausgeht. 11 Medizinische Fachgebiete 434 Herz E Tab. 11.04 Differenzialdiagnose von Synkope Beschwerde Ursache plötzliche, kurze Benommenheit, typischerweise mit langsamen Zusammensacken und Hinstürzen bei Lagewechsel vom Liegen zum Sitzen vasovagale Synkope bei orthostatischer Dysregulation (g S. 478) plötzliche, kurze Benommenheit, typischerweise mit langsamen Zusammensacken und Hinstürzen Kreislaufkollaps (g S. 218) bei Karotissinus-Syndrom (g S. 457), psychischem Ausnahmezustand plötzliche, kurz andauernde Ohnmacht mit blitzartigem Hinstürzen Adams-Stokes-Anfall (g S. 448) Herzrhythmus­störungen (g S. 452) wiederkehrende Ohnmachtsanfälle Aortenklappenstenose (g S. 462) rasch zunehmende Bewusstseinseintrübung mit voran­ gehendem Engegefühl oder heftigem Schmerz in der Brust meist Folge eines kardiogenen Schocks (g S. 221) z. B. bei Herzinfarkt (g S. 445), Aortendissektion (g S. 486) Benommenheit oder Bewusstlosigkeit und neurologische Ausfallerscheinungen transistorische ischämische Attacke (TIA g S. 1 119), Schlaganfall (g S. 1 117) •• plötzliche Bewusstlosigkeit Grand-Mal-Epilepsie (g S. 1 135) •• Synkope mit Armschmerzen Subclavian-Steal-Syndrom (Vertebralisanzapfsyndrom): Stenose der A. subclavia vor Abgang der A. vertrebralis. Bei Arm­ arbeit wird Blut für den Arm aus der A. vertebralis abgezapft. mit Muskelkrämpfen und -zuckungen •• Urinabgang, Zungenbiss bei Arbeit mit dem Arm •• oft Schwindel, Ataxien (Gangunsicherheit), Sehstörungen •• Blutdruckdifferenz an den Armen •• Stenosegeräusch über der A. subclavia linken Herzkammer oder einer akuten Fehlsteuerung des Gefäßsystems, bei dem die notwendige reflektorische Engstellung der Arterien beim Lagewechsel vom Liegen zum Stehen unterbleibt. Von diesen vasovagalen Synkopen sind v. a. Patienten mit orthostatischer Dysregulation betroffen (g S. 478). Meist äußern Synkopen sich durch Benommenheit, kaltschweißige Haut, Blutdruckabfall und verlangsamte Herzfrequenz bei regelmäßiger Herzaktion. Aber auch eine starke Tachykardie führt durch die Ineffizienz der Herzschläge zum Blutdruckabfall. Eine klassische Ursache ist das Karotissinus-Syndrom. Hier weiten sich reflexartig durch Druck auf eine der beiden Halsschlagadern alle Arterien, wodurch der Blutdruck schlagartig absackt. Der Auslöser kann sehr geringfügig sein, z. B. eine Kopfdrehung bei eng anliegendem Hemdkragen. Dabei stürzt der Betroffene aus heiterem Himmel zu Boden. Solche Synkopen sind – abgesehen von den Sturzfolgen – harmlos, weil selbstlimitierend. Selten ist die Ursache ein Subclavian-Steal-Syndrom oder knöcherne Veränderungen wie eine Halsrippe, die gehirnversorgende Arterien bei bestimmten Bewegungen abklemmen. Da ein Arzt oder der Heilpraktiker ohne weitere Diagnostik nicht erkennen kann, ob eine Synkope harmlos oder aber Folge einer schweren und bisher unerkannten Herzrhythmusstörung ist, sollte grundsätzlich bei bewusstlosen Patienten der Notarzt gerufen werden. Außerdem sind Synkopen unbekannter Ursache immer fachärztlich abzuklären, am besten im Krankenhaus, da die oft dahinterstehende Herz- oder Gefäßerkrankung behandelt werden muss. Ödeme aa Ödeme (Wassereinlagerungen): schmerzlose Schwellung des Gewebes durch vermehrten Wasseraustritt aus dem kapillären Gefäßsystem oder verminderte Wasseraufnahme in das venöse und Lymphgefäßsystem. Ödeme entstehen durch verschiedenste Störungen. Am häufigsten sind sie Folge: ••einer lokalen oder regionalen Abflussstörung, z. B. durch Einengung oder Thrombose einer großen Vene. Betrifft dies die Kopf- und Halsregion, spricht man von oberer Einflussstauung. Sie ist durch stark hervortretende Halsvenen (Jugularvenenstauung) zu erkennen. ••einer Schwäche des rechten Herzmuskels. Hier sind v. a. abends stark geschwollene Beine und nächtlicher Harndrang (Nykturie) typisch. ••eines verminderten Eiweißgehalts im Blut, wodurch dessen Wasserbindungskapazität (osmotische Kapazität) sinkt. Dies steht bei Leberzirrhose, Eiweißmangel und Nierenerkrankungen im Vordergrund. )) Ob eine Schwellung ein Ödem ist oder nicht doch eine lokale Entzündung, lässt sich leicht überprüfen: Mit dem Daumen einer Hand über dem Unterschenkelknochen für wenige Sekunden die Haut eindrücken. Beim Ödem bleibt beim Loslassen eine gut sicht- und tastbare Delle zurück. E Tab. 11.05 Differenzialdiagnose von Ödemen Beschwerde Ursache •• beidseitige schmerzlose •• chronische Rechtsherzin- Ödeme von Fuß und Unterschenkel •• symmetrisch ausgeprägt und über Wochen zunehmend suffizienz (g S. 449) •• Lebererkrankungen wie Leberzirrhose (g S. 647) •• nephrotisches Syndrom (g S. 728) •• chronisches Nierenversagen (g S. 729) •• einseitiges Fuß-, Unter- schenkel- oder Beinödem oder eine Seite stärker betroffen als die andere •• schmerzhafte Bewegungseinschränkung •• tiefe (Bein-)Venenthrombose (g S. 490) •• postthrombotisches Syndrom (g S. 493) •• Lymphabflussstörung (g S. 497) aus: Guillou u.a., Medizin für Heilpraktiker (ISBN 9783830474289) 2012 © Karl F. Haug Verlag E Abb. 11.04 Ödeme, v. a. an den Unterschenkeln und Füßen, sind häufig Zeichen einer Herzinsuffizienz. Eine eingedrückte Stelle, wie der Daumenabdruck auf dem Fuß, bleibt eine Zeit lang sichtbar und geht nur langsam zurück. [GTV ] Diagnoseverfahren sem Fall zeigt sich die Pulsation im Bereich des distalen Sternums (Brustbein). ••Ein infolge Herzhypertrophie wandverdickter Herzabschnitt, z. B. bei Pulmonalstenose, Fallot-Tetralogie, Septumdefekt, kann die vordere Brustkorbwand vorwölben („Herzbuckel“). Palpation des Thorax Herz-Palpation. Bei der Tastuntersuchung von Herz und Gefäßen ertastet der Untersucher die stoßenden Beweg­ 11.4 Diagnoseverfahren 11.4.1 Anamnese Die Anamnese bildet den Beginn der Diagnostik unklarer Herzbeschwerden. Gerade bei Herzerkrankungen beginnen Leit­beschwerden, z. B. Dyspnoe oder Ödeme, so allmählich, dass sie den Betroffenen gar nicht wirklich auffallen. Es lohnt sich deshalb zu fragen nach: ••Gewichtszunahme oder Beinödemen als Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz ••Nykturie (nächtliches Wasserlassen) auch ohne erhöhte abendliche Trinkmenge, was ebenfalls auf eine Rechtsherzinsuffi­zienz deutet ••Atemnot bei Belastung (1. Auftreten ist oft beim Treppensteigen über 2 Etagen oder mehr) sowie besserer Schlaf bei erhöhtem Oberkörper, was auf Linksherzinsuffizienz deutet. 11.4.2 Klinische Untersuchung Allgemeine körperliche Untersuchung Neben den Ödemzeichen v. a. in den Beinen achtet der Untersucher auch auf Vergrößerungen von Leber und Brustkorb sowie Krankheitszeichen bei Untersuchung von Lunge und Gefäßen. Sodann folgt die Untersuchung der Herzen: Inspektion des Thorax Auch wenn viele herzkranke Patienten einen unauffälligen Brustkorb haben, gibt es manchmal doch charakteristische Zeichen bei der Inspektion des Thorax: ••Bei der Linksherzhypertrophie zeigt sich die Vergrößerung des linken Herzens eventuell durch einen hebenden Herzspitzenstoß. ••Weitere sogenannte pulssynchrone Thoraxbewegungen oder Pulsationen treten auf bei einem Aneurysma der herznahen Aortenabschnitte sowie bei extremer Volumen- oder Druckbelastung des rechten Herzens. In die- ungen des pulsierenden Herzmuskels am linken Brustkorb und die fortgeleiteten Blutdruckwellen in den Arterien. Die Qualität des Herzstoßes und des Pulses – kräftig, schwach oder wechselnd, regelmäßig oder unregelmäßig – sowie die Pulsfrequenz geben Hinweise auf die Herzfunktion und auf die Beschaffenheit der Gefäße. Besonders beim vergrößerten und insuffizienten Herzen gelingt es leicht, die stoßenden Bewegungen des pulsierenden Herzmuskels zu ertasten, zumindest bei normalgewichtigen Männern, bei Übergewichtigen sowie bei Frauen mit großen Brüsten ist es schwierig, wobei eine Hilfe sein kann, die Patientin zu bitten, die Brust nach oben zu schieben und dort zu halten. Zur Durchführung der Herzpalpation muss der Patient liegen und entspannt sein. Beim Herzgesunden findet sich der Herzspitzenstoß etwas medial von der Brustwarze in Höhe des 5. Interkostalraums (5. ICR, 5. Rippenzwischenraum). Dazu denkt man sich von der Mitte des linken Schlüsselbeins eine Linie senkrecht Richtung Nabel (Medioklavikularlinie) und zählt von der ersten tastbaren Rippe unter dem Schlüsselbein (= 2. ICR) 3 Rippenzwischenräume nach unten (g Abb. S. 436). Liegt der Herzspitzenstoß weiter seitlich (lateral) oder ist er über eine Breite von mehr als 2–3 cm zu spüren, deutet das auf ein krankhaft vergrößertes Herz. In der Spätschwangerschaft oder beim Zwerchfellhochstand ist der Herzspitzenstoß dagegen nach oben verschoben. Perkussion des Herzens Die Lage und Größe des Herzens kann mit der Herzperkussion weiter eingegrenzt werden, zumindest bei normalgewichtigen Patienten ohne größere Thoraxveränderungen. Bei Frauen mit großen Brüsten, in der Spätschwangerschaft sowie bei Patienten mit Lungenemphysem, Aszites, Pneumothorax oder Pleuraerguss lässt sich kaum ein brauchbares Ergebnis erhalten. In der Praxis ist der Aussagewert dieser Untersuchung deshalb begrenzt. Auskultation des Herzens Jeder Herzzyklus, bei dem Blut aus dem Herzen gepumpt wird, erzeugt 2 hörbare Töne, den 1. und 2. Herzton. Diese lassen sich mit dem Stethoskop leicht differenzieren: ••Der 1. Herzton (1. HT) entsteht durch das ruckartige Zusammenziehen des Kammermyokards in der Systole, was das Blut in den Herzkammern in Schwingung versetzt. Mit diesem Anspannungston, wie der 1. Herzton auch heißt, beginnt die Austreibungsphase oder Systole. aus: Guillou u.a., Medizin für Heilpraktiker (ISBN 9783830474289) 2012 © Karl F. Haug Verlag 435 Medizinische Fachgebiete 11.4 11 Herz 436 Herzdämpfung I Medizinische Fachgebiete Herzspitzenstoß II Lungenschall III IV V Leberdämpfung Tympanie 1 2 3 4 Für die Palpation und Perkussion wichtige Orientierungslinien: 1 = Mittellinie 4 = vordere Axillarlinie 2 = Sternallinie I–V = Interkostalräume (ICR) 3 = Medioklavikularlinie (MCL) Vorgehensweise: • Den Herzspitzenstoß tasten Sie in der Medioklavikularlinie, etwa im 5. ICR. • Lässt sich der Herzspitzenstoß im Liegen nicht tasten, ändern Sie die Position, z. B. Linksseitenlage oder sitzend nach vorn geneigt. E Abb. 11.05 Links sind die Zonen mit unterschiedlicher Schallqualität und Dämpfung, der absoluten (rot) und relativen Dämpfung (orange), sowie die Lage des Herzspitzenstoßes eingezeichnet. Rechts wird gezeigt, wie der Herzspitzenstoß, normalerweise im 5. ICR links, palpiert wird. [GTV ] ••Er ist fast immer lauter als der nachfolgende 2. Herzton (2. HT), der durch das Zuschlagen von Aorten- und Pulmonalklappe am Ende der Systole zustande kommt. Zwischen diesen 2 Herztönen hört der Untersucher bei der Auskultation normalerweise keine Geräusche oder Töne. Bei Kindern und Jugendlichen ist ferner ein 3. und 4. Herzton physiologisch. Tritt ein 3. Herzton bei Erwachsenen auf, kann dies auf eine Mitralinsuffizienz, Herzinsuffizienz oder auch einen Herzinfarkt hinweisen. Der 4. Herzton entspricht der Vorhofkontraktion (Vorhofton) und ist beim Erwachsenen nur bei Hypertonie oder Aortenstenose hörbar. Herzgeräusche. Neben Herztönen präsentieren viele Patienten auch noch Herzgeräusche. Man unterscheidet: ••das Systolikum (systolische Herzgeräusch) zwischen 1. und 2. Herzton. Es tritt auf bei Insuffizienz von Mitral- oder Trikuspidalklappe oder Stenose von Aorten- oder Pulmonalklappen, ferner auch bei Ventrikelseptumdefekten. ••das Diastolikum (diastolische Herzgeräusch) in der Periode zwischen 2. und 1. Herzton der nachfolgenden Herzaktion. Es weist auf eine Stenose von Mitral- oder Trikuspidalklappe oder Insuffizienz von Aorten- oder Pulmonalklappe hin. Systolikum und Diastolikum sind organische Herzgeräusche, d. h. ihnen liegt eine tatsächliche Pathologie im Herzorgan zugrunde. Nicht krankhaft sind dagegen funktionelle Geräusche, die insbesondere durch ein relativ hohes Schlagvolumen entstehen. Sie können im Selbstversuch nach 20 Liegestützen leicht provoziert werden, aber auch bei hohem Fieber, in der Spätschwangerschaft oder bei Anämie. Bei Jugendlichen und sehr mageren Patienten sind manchmal akzidentelle Geräusche zu hören. Sie entstehen nur in der Systole, sind nur kurz hörbar, werden nicht fortgeleitet und werden oft beim Aufsitzen des Patienten leichter oder verschwinden. Nach ihrer Lautstärke werden die Herzgeräusche von ⅙ (sehr leise, nur in einer Atempause hörbar) bis ⁶⁄₆ (bereits ohne Stethoskop hörbares, so genanntes Distanzgeräusch) eingeteilt. Die Lautstärke des Geräusches korreliert aber nur bedingt mit der Schwere der Herzerkrankung. So ist beispielsweise das Strömungsgeräusch bei starker Einengung der Karotiden leiser zu hören als bei mittelgradiger Einengung. Auskultationspunkte. Meistens sind die Herztöne und auch Herzgeräusche über den folgenden Auskultationspunkten (g Abb. 11.06) am besten zu hören: ••Erb-Punkt: Dieser „Übersichtspunkt“ erlaubt eine brauchbare Auskultation aller Herztöne. Der Erb-Punkt liegt dicht neben dem Brustbein (parasternal) am 3. ICR. Besonders deutlich lassen sich hier Geräusche bei der Mitral­stenose und bei der Aortenklappeninsuffizienz hören. ••Mitralklappenpunkt: Dieser Punkt entspricht dem Herzspitzenstoß, also im 5. ICR in der Medioklavikularlinie. Hier lassen sich Geräusche der Mitralklappe besonders gut hören. ••Trikuspidalklappenpunkt: Am rechten Sternumrand im 4. ICR lassen sich Geräusche der Trikuspidalklappe am besten erkennen. ••Aortenklappenpunkt: Ebenfalls am rechten Sternumrand, aber oben im 2. ICR lassen sich Geräusche der Aortenklappe beobachten, die zudem oft in die Halsschlagadern fortgeleitet werden. ••Pulmonalklappenpunkt: Auf gleicher Höhe, also im 2. ICR am linken Rand des Brustbeins lassen sich Geräusche der Pulmonalklappe erkennen. aus: Guillou u.a., Medizin für Heilpraktiker (ISBN 9783830474289) 2012 © Karl F. Haug Verlag )) Die Auskultationspunkte lassen sich leichter merken, wenn man sich die Richtung der Blutströme vor Augen hält: Die Geräusche, die an den Klappen entstehen, werden vom Blutstrom quasi in Richtung der jeweiligen Punkte fortgeleitet. Daher hört man z. B. Aortenstenose sehr gut am Aortenklappenpunkt, eine Aorteninsuffizienz, bei der das Blut zurückfließt, auch gut Richtung Mitralklappenpunkt oder Erb-Punkt. Befundung bei kardialen Erkrankungen. Bei Herzfehlern tritt eine dauerhaft fixierte Spaltung des 2. Herztons auf. Sind die AV-Klappen verkalkt oder verengt, gibt es diastolische Klappenöffnungstöne. Manchmal ist auch ein frühsystolischer Zusatzton (ejection click) bei krankhaft veränderter Aorten- oder Pulmonalklappe hörbar. )) Tipps für das Erlernen der Auskultation. Die Herzauskultation ist die wertvollste Untersuchung bei Verdacht auf Herzerkrankungen. Sie erfordert aber Übung, die sich v. a. bei jüngeren und nicht übergewichtigen Patienten gewinnen lässt. Auch die Selbstuntersuchung und gegenseitige Untersuchung im Freundeskreis ist sinnvoll, um sich in die Herztöne „einzuhören“. Nahezu unmöglich ist es, brauchbare Erkenntnisse zu bekommen, wenn im Untersuchungsraum Lärmquellen stören oder der Patient röchelt oder andere Atemnebengeräusche präsentiert. Um 1. und 2. Herzton zu unterscheiden, ist es wichtig, sich klar zu machen, dass der zeitliche Abstand zwischen 1. und 2. Herzton viel kürzer ist als der Abstand zwischen 2. und 1. Herzton, entsprechend der kürzeren Dauer der Systole im Vergleich zur Diastole. Auch ist der 2. Herzton leicht als gespalten zu erkennen, wobei die physiologische Spaltung nur bei tiefer Einatmung und beim nicht übergewichtigen Patienten gut hörbar ist. Eine fixierte (immer hörbare) Spaltung ist pathologisch und tritt z. B. bei Mitralinsuffizienz, Links-Rechts-Shunt, Aortenklappenstenose sowie Links- und Rechtsschenkelblock auf. Aortenklappe Diagnoseverfahren Pulsmessung und -beurteilung Bei Herzrhythmusstörungen (g S. 452) sind die Abstände zwischen den Herzaktionen und damit der Puls unregelmäßig. Auch ist das Herz nicht bei jeder Aktion ausreichend mit Blut gefüllt, wodurch sich einzelne Pulswellen nur noch sehr schwach oder gar nicht mehr tasten lassen. Die Differenz zwischen tastbarer Pulsfrequenz und abgehörter Herzfrequenz wird Pulsdefizit genannt. 11.4.3Elektrophysiologische ­Untersuchungen Ruhe-EKG. Bei der Herzaktion fließen winzige elektrische Ströme in den Herzmuskelzellen. Die Summe der elektrischen Ströme aller Herzmuskelzellen wird im Elektrokardiogramm (EKG) aufgezeichnet. Das typische EKG ist das RuheEKG im Liegen. In den Aufzeichnungen dieser elektrischen Herzstromkurven spiegeln sich viele Funktionsstörungen der Herzmuskelzellen wider. Sehr viele Herzerkrankungen fallen im EKG auf, so Störungen des Herzrhythmus, der Arbeitsbelastung einzelner Herzkammern sowie Durchblutungsstörungen der Herzmuskulatur bis hin zum Herzinfarkt. Um die verschiedenen Regionen des Herzens voneinander abzugrenzen, zeichnen die EKG-Elektroden, die an den Extremitäten und auf der Brust angebracht werden, 12 verschiedene Herzstromkurven auf. Die Wellen und Zacken einer Herzstromkurve wurden willkürlich mit den Großbuchstaben P bis T bezeichnet. Dabei repräsentiert die P-Welle die Erregung der Herzvorhöfe und die Abschnitte Q–T die der beiden Herzkammern. Bei Durchblutungsstörungen der Herzmuskulatur ändert sich v. a. der Streckenverlauf zwischen S-Zacke und T-Welle. Belastungs-EKG. Verengungen der Herzkranzgefäße führen über lange Zeit noch nicht zu Funktionsstörungen der Herzmuskulatur, weil andere Herzkranzgefäße die Blutversor- Pulmonalklappe Erb-Punkt Trikuspidalklappe Mitralklappe E Abb. 11.06 Herzauskultation mit dem Stethoskop: Beim gesunden Erwachsenen sind zwei Herztöne normal (links). Zusätzliche Herzgeräusche können ein Zeichen für eine Erkrankung des Herzens sein. A. besten sind die Herzgeräusche und -töne an fünf Auskultationspunkten zu hören (rechts). [SKO] aus: Guillou u.a., Medizin für Heilpraktiker (ISBN 9783830474289) 2012 © Karl F. Haug Verlag 437 Medizinische Fachgebiete 11.4 11 Herz 438 falsch positiven Belastungs-EKG häufiger betroffen als Männer. Vorübergehende, hormonbedingte Verkrampfungen der Herzkranzgefäße (Koronarspasmen) könnten hierfür verantwortlich sein. Medizinische Fachgebiete Langzeit-EKG. Beim Langzeit-EKG wird über 24 Stunden ununterbrochen ein EKG aufgezeichnet, um Herzrhythmusstörungen zu erfassen und die beurteilen zu können, die nur zeitweise auftreten. Dazu werden am Brustkorb Klebeelektroden angebracht und mit einem kleinen Aufnahmegerät ähnlich einem Walkman verbunden, das mit einem Gurt am Körper befestigt ist. Während der EKG-Aufzeichnung protokolliert der Patient alle Aktivitäten, Medikamenteneinnahmen und Beschwerden wie Schwindel oder Herzklopfen. Bei der Auswertung der EKG-Kurven werden seine Protokoll­ angaben einbezogen. E Abb. 11.07 Bezeichnung der einzelnen Zacken, Wellen und Strecken in einem EKG. [GTV] gung mit übernehmen oder die Durchblutung in Ruhe noch ausreicht. Wenn aber unter Belastung der Sauerstoffbedarf steigt, kann der verringerte Blutfluss nicht mehr kompensiert werden. In besonders belasteten Arealen des Herzens entsteht ein Sauerstoffmangel, der typische EKG-Veränderungen auslöst. Diese zeigt sehr häufig das Belastungs-EKG (Ergometrie). Auf einem Fahrrad (Ergometer) sitzend tritt der Patient bei angelegten EKG-Elektroden gegen einen steigenden Widerstand in die Pedale. In regelmäßigen Abständen wird ein EKG geschrieben sowie Blutdruck und Puls kontrolliert. Die Belastung steigert sich so lange, bis die Ausbelastungsfrequenz erreicht ist, EKG-Veränderungen oder Beschwerden auftreten. Ist diese Ausbelastungsfrequenz erreicht, zeigt ein Belastungs-EKG gefährliche Herzkranzgefäßverengungen in bis zu 80 % der Fälle. Ein krankhafter Belastungs-EKG-Befund beweist aber noch nichts, denn manchmal lässt sich die zu vermutende Herzkranzgefäßverengung in weiterführenden Untersuchungen nicht bestätigen. Frauen sind von diesem Ereignisrekorder. Eine Sonderform des Langzeit-EKGs ist ein Ereignisrekorder (Event Recorder). Hier startet der Untersuchte selbst die EKG-Aufzeichnung per Tastendruck, und zwar immer dann, wenn er Beschwerden spürt. Elektrophysiologische Untersuchung (EPU). Die EPU misst die EKG-Kurven über Elektrodenkatheter direkt im Herzen. Die Katheter werden über Venen in die rechten Herzhöhlen geschoben und dort platziert. Bestimmte Formen von Herzrhythmusstörungen und auch die Gefahr eines lebensbedrohlichen Kammerflimmerns sind nur so genau abzugrenzen und mittels Ablation behandelbar. 11.4.4Bildgebende Untersuchungs­ verfahren Echokardiografie Die Echokardiografie (Herz­echo, Herzultraschall) ist die Ultraschalluntersuchung des Herzens. Sie macht Herzmuskel, Herzhöhlen, Herzklappen und Herzbeutel, die Pumpbewegungen der Herzkammern und die Blutströmungsrichtung E Abb. 11.08 Das Ruhe-EKG zeichnet in der Regel 12 verschiedene Herzstromkurven auf. Bei der Platzierung der EKG-Elektroden unterscheidet man die 6 Brustwandableitungen (V1-V6 abgekürzt, Bilder links) von den 3 Extremitätenableitungen (Bilder rechts). [GRA, Foto: ISP zilli] aus: Guillou u.a., Medizin für Heilpraktiker (ISBN 9783830474289) 2012 © Karl F. Haug Verlag E Tab. 11.06 Belastungsstufen beim EKG mit korrespondierenden alltäglichen Anstrengungen Belastungsstufe korrespondierende Anstrengung im Alltag 25 Watt auf der Ebene Spazierengehen 50 Watt rasches Gehen oder langsames Treppen­ steigen 75 Watt schnelles Treppensteigen 100 Watt schnelles Laufen, zwei Stufen auf einmal beim Treppensteigen 150 Watt kontinuierliches steiles Bergwandern, Gelände­lauf 200 Watt Endspurt eines Laufs innerhalb der Herzhöhlen sichtbar und gehört zu den wichtigsten Untersuchungsmethoden am Herzen. Sie gibt wertvolle diagnostische Hinweise zu fast allen Herzkrankheiten und ist schnell und unkompliziert durchführbar. Die Untersuchung findet im Liegen statt. Mit der Ultraschallsonde wird die mit Kontaktgel bestrichene linke Brustkorbhälfte über dem Herzen abgefahren. Die Methode­ wird daher auch trans­thorakale Echokardiografie (TTE) genannt, weil der Ultraschall von außen durch den Brustkorb auf das Herz trifft. Eine Beurteilung der Herzkranzgefäße ist damit allerdings nicht möglich. Diese können aber mit einer Stressechokardiografie (Belastungsechokardiografie) sichtbar gemacht werden. Noch bevor der belastungsbedingte Sauerstoffmangel der Herzmuskulatur zu sichtbaren EKG-Veränderungen führt, treten bereits geringe Bewegungsstörungen der betroffenen Herzmuskel­wandabschnitte auf. Diese stellt die Stressechokardiografie dar. Die Belastung wird bei der Stressechokardio­grafie entweder mit dem Fahrradergometer oder, wenn der Patient liegen soll, durch eine MedikamentenInfusion (pharmakologische Belastung) erhöht. Eine weitere Form der Echokardiografie ist die trans­ ösophageale Echokardiografie (TEE). Hierbei wird eine Ultraschallsonde in den Ösophagus eingeführt, mit der das Herz vom Ösophagus aus untersucht wird. Herzvorhöfe, ‑klappen und ‑scheidewände, aber auch die Aorta werden so perfekt dargestellt, sodass sich z. B. Defekte in der Vorhofscheidewand oder eine entzündete Herzklappe besser beurteilen lassen. Einige Herzareale, z. B. die Herzohren (Aussackungen des Herzvorhofs) sind sogar nur mit dieser Untersuchung einsehbar. Diese Untersuchung ist z. B. bei Vorhofflimmern (g S. 454) wichtig, weil sich gerade in den Herzohren Blutgerinnsel bilden, die aus dem Herzen ausgeschwemmt werden und zu einer Embolie und nachfolgend zu einem Schlaganfall führen können. Röntgenthorax Ein Röntgenthorax gehört zur Standarddia­g nostik bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Mit dem Röntgenthorax (g Abb. S. 440) ist eine Aussage zu Herzgröße und -form, zum Kaliber der Lungengefäße und der Aorta, zu Gefäßverkalkungen sowie zum Flüssigkeitsgehalt der Lunge und damit indirekt auch zur Herzfunktion möglich. Diagnoseverfahren Herzkatheter Bei vielen Herzerkrankungen ist die Herzkatheteruntersuchung sehr aussagekräftig. Dabei sondiert der Untersucher das rechte oder das linke Herz mit einem millimeterdünnen biegsamen Kunststoffschlauch (Herzkatheter). Über diesen spritzt er Kontrastmittel und misst den Blutdruck sowie den Sauerstoffgehalt in den einzelnen Herzkammern. Mit einer kleinen Biopsiezange entnimmt er bei Bedarf Herzmuskelgewebe (Herzmuskelbiopsie), um es z. B. auf Entzündungszeichen zu untersuchen. Bei der Rechtsherzkatheterisierung (Einschwemmkatheter-Untersuchung) wird der Katheter in die Lungenarterien vorgeschoben. An seiner Spitze befindet sich ein aufblasbarer Ballon, der vom venösen, also Richtung Herz fließenden Blutstrom mitgeschwemmt wird und so das Vorschieben des Katheters erleichtert. Bei der Rechtsherzkatheterisierung stehen Druckmessungen und die Bestimmung des Sauerstoffgehalts in den rechten Herzhöhlen und in den Lungengefäßen im Vordergrund. Eine Rechtsherzkatheterisierung ist heute selten, weil viele Ergebnisse bereits durch eine Echokardiografie erhältlich sind. Die Linksherzkatheterisierung ist dagegen zusammen mit der meist gleichzeitig durchgeführten Koronarangiografie eine immer häufiger durchgeführte Standarduntersuchung. Um einen Katheter ins linke Herz vorschieben zu können, muss eine Arterie der Leiste oder des Ellbogens punktiert werden. In den linken Herzhöhlen und in der Hauptschlagader bestimmt der Kardiologe zunächst die Pumpfunktion des Herzens und beobachtet die Herzklappenfunktion am Röntgenschirm. Anschließend sondiert er die nach der Aortenklappe aus der Aorta abgehende rechte und linke Herzkranzarterie und füllt sie mit Kontrastmittel. Diese Koronarangiografie stellt das weitverzweigte Herzkranzgefäßsystem mit allen Engstellen und Verschlüssen dar. Wenn sich ein Herzkranzgefäß stark verengt oder verschlossen zeigt (g Abb. S. 440), kann es im gleichen Untersuchungsgang mit einer Gefäßstütze (Stent) gedehnt und durchgängig gemacht werden. CT, Kernspin, Szintigrafie Kardio-CT. Das Kardio-CT (Mehrzeilen-CT, Multislice-CT, MSCT) zeigt das Herz in Aktion. Technisch gesehen ist es ein CT mit sehr vielen, qualitativ hochwertigen Aufnahmen, die innerhalb kürzester Zeit angefertigt werden. Mit dem Kardio-CT prüft der Kardiologe, ob und wo Herzkranzgefäße verkalkt sind und eine koronare Herzkrankheit vorliegt. Nach venöser Kontrastmittelgabe sieht der Kardiologe die Herzkranzarterien und ihre Engstellen, ohne die Umstände und Risiken einer Koronar­angiografie (g oben) in Kauf zu nehmen. Auch die Durchgängigkeit von Bypass-Gefäßen lässt sich in der Regel beurteilen. Nachteilig ist, dass das Ausmaß einer Gefäßengstelle nicht sicher bestimmt werden kann, wenn die Herzkranzgefäße stark verkalkt sind oder eine Gefäßstütze (Stent) eingebracht wurde. Das Kardio-CT wird daher v. a. zur Ausschlussdiagnostik eingesetzt, wenn eine koronare Herzkrankheit eher unwahrscheinlich ist. aus: Guillou u.a., Medizin für Heilpraktiker (ISBN 9783830474289) 2012 © Karl F. Haug Verlag 439 Medizinische Fachgebiete 11.4