Bionic Manufacturing

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Bio-Manufacturing
Bionic Manufacturing
Steuerung der Fabrik mit Mitteln der Natur im Zeitalter von
Industrie 4.0
Norbert Gronau, Universität Potsdam
Univ.-Prof. Dr.-Ing.
Norbert Gronau ist Inhaber
des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik und Electronic Government an der
Universität Potsdam und
Herausgeber von Industrie
Management.
Seit mehr als dreißig Jahren ist es
eine spannende Frage, inwieweit Ansätze der Organisation und Störungsbewältigung in natürlichen Systemen
auf vom Menschen geschaffene Systeme übertragen werden können. Neben Ansätzen zur Nachhaltigkeit und
Wandlungsfähigkeit sind dies insbesondere Ansätze zur Selbstorganisation, die in logistischen Zusammenhängen und auch bei der Gestaltung
von Fabrikstrukturen bereits mehrfach erprobt wurden. In diesem Beitrag werden drei Ansätze vorgestellt,
die in Anlehnung an Prozesse in
biologischen Systemen, Handlungsempfehlungen für die Organisation
von Produktionsprozessen aufzeigen
[1]. Einen neuen Impuls erhalten diese Überlegungen durch die stärkere
Fokussierung auf die Möglichkeiten,
Kontakt
Universität Potsdam
Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik
August-Bebel-Str. 89
14482 Potsdam
Tel.: +49 331 / 977-3322
E-Mail: norbert.gronau@
wi.uni-potsdam.de
URL: http://www.wi.uni-potsdam.de
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die Industrie 4.0 für die Organisation,
Steuerung und Störungsbewältigung
in der Fabrik bietet.
Um die unterschiedlichen Ansätze
zur Gestaltung von Produktionssystemen besser beschreiben und miteinander vergleichen zu können, wird
hier von einem produzierenden Unternehmen als dem Supersystem, dessen
Subsystem die eigentliche Produktion
ist, ausgegangen. Damit wird es möglich, anstatt einzelner Phänomene die
Gesamtheit mit ihren internen Relationen zu betrachten und somit ihre
Komplexität umfassen und strukturieren zu können. Schlüsse über interne
Informations- und Regelungsprozesse
des Systems können aus der Dynamikanalyse gezogen werden.
Entsprechend den Definitionen der
Systemtheorie beinhaltet das System
einzelne Elemente, die in einer Beziehung zueinander stehen und sich
entsprechend beeinflussen können [2].
Das System ist in einer Umwelt eingebettet, die entweder direkt oder
indirekt auf das System einwirkt. Die
Gesamtheit der Elemente und der Relationen ist auf ein gemeinsames Ziel
– das Systemergebnis – ausgerichtet.
In diesem Kontext kann die Fabrik also
als ein Produktionssystem, ein Subsystem des Systems produzierendes Unternehmen, betrachtet werden [3]. Die
Systemelemente sind hier Produktionsanlagen, Produktionsmaterial und die
an der Produktion beteiligten Mitarbei-
ter. Diese stehen in Relationen zueinander, die primär vom Produktionsablauf
bestimmt sind. Die hier betrachteten
Ansätze zur Definition eines Produktionskonzepts, das den sich stets wandelnden Marktanforderungen gerecht
werden soll, weisen unterschiedliche
Sichtweisen auf die Anordnung und
Beziehungen zwischen den Elementen
eines Fertigungssystems auf.
Fabrik als Produktionssystem
Die systemanalytische Betrachtungsweise der Fabrik als Produktionssystem erlaubt es, die unterschiedlichen
Produktionsplanungsansätze zu vergleichen und zu systematisieren. Das
relevante System ist hier die Produktion, also entsprechend die Fabrik als
der Ort, an dem tatsächliche Fertigung
stattfindet. Über diese Grenzen hinweg
findet ein Austausch mit der relevanten
bzw. irrelevanten Umwelt statt. Die
Relevanz wird hier als Zweckmäßigkeit
gegenüber dem Systemergebnis, also
dem Produkt, beurteilt. Informationen
und Material werden sowohl innerhalb
als auch außerhalb der Systemgrenzen ausgetauscht. Als Systemelemente
werden in einem herkömmlichen Produktionssystem die für die Produktion
notwendigen Akteure und Gerätschaften betrachtet. Dabei wird hier als ‚klassisches‘ Produktionssystem eine Fabrik
bezeichnet, die nach den Prinzipien des
„scientific managements“ strukturiert
und gesteuert wird.
Industrie Management 29 (2013) 6
N. Gronau: Bionic Manufacturing
Der systemtheoretische Ansatz impliziert die Interaktion zwischen den
Systemelementen und den Subsystemen
[4]. Hier ist das übergeordnete System
eine Fabrik und das Produkt sowohl das
Systemziel, als auch das Ergebnis der
Interaktion von Systemelementen und
Subsystemen. Die Gesamtheit ist somit
auf die Herbeiführung dieses Ergebnisses ausgerichtet. Aus dieser Betrachtung
heraus kann man nun die unterschiedlichen Ansätze der Produktionsorganisation beschreiben und bewerten.
Die hier vorgestellten Produktionskonzepte können entsprechend ihrem
Betrachtungsfokus angeordnet werden
[5]. Wird ein Schwerpunkt eines Konzepts auf bestimmte Funktionen gelegt,
die in ein Gesamtkonzept integriert werden sollen, dann werden sie als Partialmodelle bezeichnet. Beispiele dafür
sind das Total Quality Management,
Business Reengineering oder Lean Production. Werden hingegen alle Aspekte
der Gestaltung und des Betriebs eines
Produktionssystems bzw. Produktionsunternehmens betrachtet, wird vom Unternehmensmodell gesprochen [5].
Hier werden zunächst drei aktuelle
Konzepte zur Organisation eines produzierenden Unternehmens betrachtet:
Holonic Manufacturing, Fraktale Fabrik
und Bionic Manufacturing. Diese drei
nehmen eine besondere Stellung unter
den Konzepten ein, weil sie Produktionssysteme aus drei unterschiedlichen
Blickwinkeln betrachten, um ein in ihrer Organisation und Struktur flexibles
System zu gestalten. Dadurch soll eine
schnelle und unmittelbare Reaktion auf
Kundenwünsche und Umweltveränderungen ermöglicht werden. Holonic Manufacturing betrachtet die Fertigungssysteme und ihre Organisation aus der
Sicht der Soziologie; bei dem Konzept
der Fraktalen Fabrik handelt es sich um
einen mathematischen Ansatz und Bionic Manufacturing wendet Erkenntnisse
aus der Biologie auf die Produktionssysteme an.
Holonic Manufacturing
Das Holonic Manufacturing System
(HMS) wurde in den 1960er Jahren von
© GITO Verlag
Aufbau eines cyber-physischen Systems
Cyber-Physisches System
Prozessor
Sensor(en)
Kommunikator
det eine stärkere Verbindung der überAktor(en)
wird
erfasst
durch
wirken
auf
Umwelt
hierfür bisher keine einheitliche Defini-
Maschine
Ladungsträger
Werkstück
Bild 1: Bausteine von Cyberphysical Systems.
• mittels Sensoren
unmittelbar aus
phyKoestler [6] eingeführt
und besteht
den so genannten „Holons“, den autonomen und kooperativen
Systemele• Daten auswerten und speichern somenten, die innerhalb einer Hierarchie
nach Funktionen und Aufgaben anmittels
digitalerkann
Netze untereinangeordnet sind. •Ein
Holon
sowohl
eine logische als auch eine physische
Einheit darstellen
[6]. verfügbare
Holons Daten
sind und
in
• weltweit
einer Holarchie, einem System von Ho• über eine Reihe multimodaler
lons, die zusammenarbeiten können,
verfügen, also für Kommunikation
um ein gemeinsames
Ziel zu erreichen,
organisiert und können sich zu einem
Netzwerk zusammenschließen [7]. In
der Produktion ist ein Holon ein Bestandteil des Produktionssystems, das
physische Objekte und Informationsobjekte transportiert, umwandelt und
lagert oder auswertet. Ein Holon kann
in einem anderen enthalten sein und
verfügt über einen Teil, in dem die Informationsverarbeitung stattfindet [8].
Ein holonisches Produktionssystem ist
also eine Holarchie, die den gesamten
Aufgabenbereich eines Produktionssystems umfasst, um eine agile, flexible
Produktion zu ermöglichen.
Fraktale Fabrik
Der Ansatz, der der Fraktalen Fabrik
zugrunde liegt, ist das völlige Gegenteil
der deterministischen Organisation, wie
sie für die automatisierte Massenfertigung kennzeichnend war. Hier wird das
Produktionssystem als ein vitaler Organismus betrachtet, der eine eigenständige Fähigkeit zum Wandel besitzt. Das
• Ansammlung von LogistikelemenFördermittel
ten (CP-Werkstückträgern, CP-Föri.A.a. Veigt 2013, S. 16
Cyber-Physischer Systeme erfüllen,
• miteinander, mit Produktionsele-
Unternehmen soll sich auf die Umwelt
• und unter Berücksichtigung der
und die Veränderungen dieser Umwelt
anpassen können, aber auch schnell
autonomen Objekten, die über ein
gemeinsames
Netzwerkproaktiv
Organisati- agieren können
und flexibel
onsaufgaben selbst übernehmen und
[9]. Wird das Unternehmen als ein
dynamisches, offenes und organisches
System betrachtet, dann kann der Begriff von Warnecke [10] entsprechend
eingeführt werden: das Fraktale Unternehmen
ist demnach
sorgen
für die optimierte
Herstellung ein offenes System,
das
aus
selbstständig
agierenden
änderten Rahmenbedingungen autoes erforderlich,
neue Konzepte für die
und in ihrer Zielausrichtung
selbstähnliProduktionssystem kann darüber hi- unternehmensinterne und -übergreifenchen Einheiten, den Fraktalen, besteht.
müssen die aus der IKT-Branche stamDabei ist die Selbstähnlichkeit
bezüglich des Ziels des Fraktals gemeint.
Der innere Aufbau eines Fraktals kann
u. a. Anforderungen wie Robustheit
variieren, sofern die Zielesindsowie
die Eingangs- und Ausgangsgrößen identisch
bleiben. Warnecke skizzierte in Anlehnung an die natürlichen Systeme und
Formen den Aufbau einer dynamischen
Organisation [10]. Ursprünglich entstand die Idee des Fraktals aus der Bestrebung, die natürlichen gebrochenen
Formen, wie sie in der Natur bei der
Form der Wolken oder Berge vorkommen, zu beschreiben. Dafür wurde von
Mandelbrot [11] die fraktale Geometrie eingeführt. Fraktale verfügen über
die Eigenschaften der Selbststeuerung,
Selbstorganisation und Selbstoptimierung und agieren entsprechend zum
großen Teil eigenständig. Ähnlich den
biologischen Zellen wirken sie auch an
der eigenen Entstehung und Veränderung mit, richten ihre Ziele an den
Unternehmenszielen aus.
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