Schmerzengeld und Lebenserwartung beschäftigen den OGH

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Schmerzengeld und Lebenserwartung beschäftigen den OGH
4.7.2016 – Bei A. lag ein akutes Koronarsyndrom vor, das im
Spital nicht erkannt wurde. Die Folge: Herzinfarkt und
irreversible Schädigung des Herzens. Er leidet bei körperlicher
Beanspruchung täglich an Schmerzen mit Atemnot und
Beklemmungsgefühlen. Auch psychisch ist er erheblich belastet.
Seine (statistische) Lebenserwartung ist erheblich reduziert. A.
wollte vom Spitalserhalter 200.000 Euro Schmerzengeld statt nur
50.000 Euro. Der OGH hielt 90.000 Euro für angemessen: Auch
die psychische Beeinträchtigung des A., die aus seinem Wissen
um seine verkürzte (statistische) Lebenserwartung resultiere, sei
zu berücksichtigen. Auch wenn in relativ jungem Alter seine
Leistungsfähigkeit deutlich verringert sei und er täglich
Schmerzen habe, sei ihm doch ein aktives und selbstbestimmtes
Leben in Familie und Beruf möglich. Personen aber, die
Schmerzengeld ungefähr in der von ihm geforderten Höhe
erhalten hätten, hätten schwerste Behinderungen erlitten.
Der Oberste Gerichtshof (OGH) beschäftigte sich mit einem Fall, in
dem es um eine Fehlbehandlung, das Wissen um eine deutlich
verkürzte (statistische) Lebenserwartung und die Höhe des
Schmerzengeldes für den Betroffenen ging.
Der Sachverhalt laut OGH: A. wurde wegen intensiver Schmerzen der
linken Schulter im Krankenhaus behandelt. Die erstellte Diagnose
(atraumatische Schulterschmerzen) war fehlerhaft. Es lag ein akutes
Koronarsyndrom vor, das drei Tage später zu einem Herzinfarkt und
zu einer irreversiblen Schädigung seines Herzens führte.
Bei nach den Regeln der ärztlichen Kunst indizierten weiteren
abklärenden Untersuchungen wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit das
Koronarsyndrom erkannt und damit eine Therapie zur
Wiederherstellung der Durchblutung des Herzmuskels eingeleitet
worden.
Dadurch hätte jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit der
nachfolgende Herzinfarkt vermieden werden können.
Statistische Lebenserwartung erheblich reduziert
A. leide als Folge dieser Fehlbehandlung bei körperlicher
Beanspruchung täglich an mittelstarken und leichten Schmerzen mit
Atemnot und Beklemmungsgefühlen, so der OGH. Die körperliche
und psychische Leistungsfähigkeit sei erheblich eingeschränkt und
gegenüber einer gesunden Person um mindestens 50 Prozent
reduziert.
Mit den Schmerzen gehe auch eine erhebliche psychische Belastung
einher. Die weitere Prognose sei ungünstig. Die
Herzrhythmusstörungen würden häufiger auftreten und schließlich
chronisch werden. Die statistische Lebenserwartung sei erheblich
reduziert.
Die weitere Entwicklung seines Gesundheitszustands lässt sich laut
OGH nicht mit Sicherheit vorhersagen. Bei A. sei die
Grunderkrankung bisher nicht fortgeschritten und ein künftiges
Fortschreiten mit einem neuerlichen Herzinfarkt eher
unwahrscheinlich. Er übe seinen Beruf nach wie vor aus.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte die Grunderkrankung bei einer
rechtzeitigen Behandlung lediglich eine minimale und klinisch nicht
bedeutsame Schädigung des Herzmuskels verursacht, so der OGH.
A. will mehr Schmerzengeld
50.000 Euro Schmerzengeld habe der Spitalserhalter bezahlt, A.
verlangte laut OGH aber insgesamt 200.000 Euro. Begründung: Er
leide an psychischen Beeinträchtigungen im Sinne einer
Anpassungsstörung sowie an Angst und depressiven Reaktionen.
Er sehe sich in relativ jungen Jahren einem massiven
gesundheitlichen Dauerschaden, einer 50-prozentigen Minderung der
Leistungsfähigkeit sowie einer stetigen Zunahme der bereits
bestehenden Schmerzbelastung und einer hochgradig
eingeschränkten Lebenserwartung gegenüber.
Der Spitalserhalter brachte laut OGH vor, dass eine
Globalbemessung des Schmerzengelds noch gar nicht möglich sei,
da die voraussichtlichen Schmerzen auf Lebensdauer nicht
einschätzbar seien.
Nach dem psychiatrischen Gutachten sei A. als psychisch gesund
anzusehen. Hätte er sich in eine Psychotherapie begeben, hätte er
keine psychischen Schmerzen. Das geltend gemachte
Schmerzengeld sei überhöht.
Fall ging zum OGH
Der Fall ging zum OGH, dieser hielt zunächst fest: Das
Schmerzengeld sei unter Berücksichtigung aller Umstände des
Einzelfalls für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet
habe und voraussichtlich noch zu erdulden haben werde,
grundsätzlich global festzusetzen.
Eine Globalbemessung sei lediglich dann nicht vorzunehmen, wenn
noch gar kein Dauer-(End-)zustand vorliege, weshalb die Folgen
noch nicht oder noch nicht im vollen Umfang und mit hinreichender
Sicherheit überblickt werden könnten.
Oder wenn Schmerzen in ihren Auswirkungen zum Zeitpunkt des
Schlusses der Verhandlung erster Instanz noch gar nicht oder nicht
endgültig überschaubar erscheinen würden.
Oder wenn der Betroffene nachweise, dass ihm gegenüber dem
Vorprozess und der dort vorgenommenen Globalbemessung weitere,
aus der damaligen Sicht nicht abschätzbare
Schmerzbeeinträchtigungen entstanden seien.
Globalbemessung
Nach den Feststellungen sei der Gesundheitszustand des A. derzeit
stabil und könne voraussichtlich für einen längeren Zeitraum stabil
gehalten werden. Die derzeitigen und als bleibend anzusehenden
Beeinträchtigungen stünden fest.
Diese Umstände erlauben laut OGH daher auch eine
Globalbemessung ausgehend von dem jetzt vorliegenden
Dauerzustand.
Allein der Umstand, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer
weiteren Verschlechterung kommen werde – wobei offen sei,
welchen Verlauf die weitere gesundheitliche Entwicklung in welchem
zeitlichen Rahmen nehmen werde, führe nicht dazu, dass eine
zeitliche Begrenzung des Schmerzengeldes vorzunehmen sei.
Psychische Beeinträchtigungen
Der Oberste Gerichtshof habe in mehreren Entscheidungen die
Zuerkennung einer Entschädigung für den verfrühten Tod abgelehnt.
In diesen Fällen hätten die Angehörigen von Unfallopfern
Schmerzengeldansprüche auf den erlittenen Tod oder die Verkürzung
der Lebenserwartung des Opfers gestützt.
Sie wollten also im Wesentlichen Ersatz für eine Zeit nach dem Tod
des Opfers, so der OGH. Eine solche Entschädigung sei mit der
Zweckbestimmung des Schmerzengeldes im österreichischen Recht
nicht zu vereinbaren.
Daraus ist jedoch für den Spitalserhalter nichts zu gewinnen: Im
vorliegenden Fall sei die Verringerung der Lebenserwartung von den
Vorinstanzen nicht als Grundlage dafür herangezogen, bei der
Globalbemessung des Schmerzengeldes für den Kläger Zeiten nach
dem voraussichtlichen Tod des Klägers einzubeziehen.
Berücksichtigt wurden vielmehr die Leidenszustände, die aus dem
Wissen um die verringerte Lebenserwartung resultieren, so der OGH.
Es widerspreche nicht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung,
derartige psychische Beeinträchtigungen bei der Bemessung zu
berücksichtigen.
Aktive Lebensgestaltung möglich
Die Vorinstanzen hielten laut OGH ein Schmerzengeld in Höhe von
insgesamt 150.000 Euro für angemessen. Das Berufungsgericht
habe eine Reihe von Entscheidungen zitiert, in denen ähnlich hohe
Schmerzengeldbeträge zugesprochen worden seien.
Von diesen Fällen unterscheide sich der Fall des A. darin, dass ihm
trotz der aus der Fehlbehandlung resultierenden massiven
Beeinträchtigungen noch die Teilnahme am familiären und
beruflichen Leben möglich sei.
Insoweit sei der gegenständliche Fall mit den geschilderten Fällen
schwerster Behinderung, die zu einem Teil zur völligen Abhängigkeit
von anderen Menschen beziehungsweise dem Vorliegen
schwerwiegender Bewusstseinsstörungen führten, nicht vergleichbar.
Auch wenn A. in relativ jungem Alter mit einer 50-prozentigen
Verringerung der Leistungsfähigkeit, den täglichen Schmerzen sowie
dem Wissen um eine deutlich verkürzte Lebenserwartung konfrontiert
sei, sei ihm noch eine aktive und selbstbestimmte Lebensgestaltung
möglich.
90.000 Euro angemessen
Berücksichtige man diese trotz der schwerwiegenden physischen und
psychischen Folgen der Fehlbehandlung verbleibenden
Möglichkeiten zur Lebensgestaltung in Relation zu anderen Fällen,
würde ein ähnlich hoher Zuspruch außerhalb des allgemein
gezogenen Rahmens für die Bemessung im Einzelfall liegen.
In Anbetracht der Gesamtsituation des A. erscheine ein
Schmerzengeld von 90.000 Euro als angemessen. Abzüglich der
bereits geleisteten Zahlung von 50.000 Euro seien ihm daher aus
diesem Titel weitere 40.000 Euro zuzusprechen, so der OGH in
seinem Erkenntnis 10Ob89/15h vom 7. Juni 2016.
Quelle: Versicherungsjournal
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