Zwangsarbeit an der „Volkstumsgrenze“. Zivile ausländische Arbeitskräfte, Kriegsgefangene und „ungarische Juden“ in Südmähren. Einleitung Mitte April 1940 verfasste der ehemalige „Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ und Gauleiter von Wien, Josef Bürckel,1 ein Schreiben an Hermann Göring.2 Bürckel wandte sich darin gegen eine Anordnung des Reichsführers SS und „Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums“ Heinrich Himmler, welcher im Einvernehmen mit dem Reichsarbeitsminister die „Freihaltung volkstumspolitisch gefährdeter Bezirke von ausländischen Arbeitskräften“ erlassen hatte.3 Betroffen von Himmlers Verfügung waren unter anderem die südmährischen Kreise Neubistritz, Znaim und Nikolsburg, in welchen der Einsatz polnischer, im Falle Nikolsburgs auch die Beschäftigung slowakischer Arbeitskräfte verboten wurde. Bürckel führte dagegen vor allem ökonomische, teils aber auch soziokulturelle Argumente ins Treffen. In diesen überwiegend agrarisch geprägten Regionen sei der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte „seit jeher“ üblich, und die bäuerliche Bevölkerung sei mit dem Umgang dieser Landarbeiter und Landarbeiterinnen vertraut. Vor allem aber sei deren Einsatz vor dem Hintergrund des außerordentlichen Arbeitskräftemangels in der Landwirtschaft aus ernährungspolitischen Gründen unverzichtbar, zumal es sich um landwirtschaftliche Intensivregionen handle.4 Dieser Konflikt zwischen hochrangigen NS-Funktionären markierte präzise den Rahmen, in den der „Ausländereinsatz“ im Deutschen Reich im Allgemeinen und in Südmähren im Besonderen eingebettet war. Das Spannungsfeld von rassistischer Ideologie und ökonomischem Kalkül prägte die Politik des Ausländereinsatzes bis zum Ende des „Dritten Reiches“, und dies hatte vielfach auch Auswirkungen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen ausländischer Arbeitskräfte in unserem Untersuchungsgebiet. Die Nationalsozialisten hatten sich durch den von ihnen vorbereiteten und begonnenen Krieg in eine schwierige Situation manövriert. Vor allem seit Beginn der Phase des „Abnützungskrieges“ 1942 hatte die massive Ankurbelung der Rüstungsindustrie bei gleichzeitig immer höheren Rekrutierungsquoten für die Deutsche Wehrmacht einen Arbeitskräftebedarf geschaffen, der mit Deutschen allein nicht zu befriedigen war. Als besonders betroffen erwies sich der agrarische Sektor, denn im Zuge der Rüstungskonjunktur waren viele Landarbeiter in die Industrien der Städte abgewandert, wo u.a. höhere Löhne und bessere Sozialleistungen lockten.5 Vor die Alternative gestellt, vermehrt 1 Josef Bürckel war nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland als „Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ einer der einflussreichsten NSFunktionäre in der nunmehrigen „Ostmark“. Seine Tätigkeit als Reichskommissar war mit 31.3.1940 beendet; bis Anfang August 1940 blieb er noch Gauleiter von Wien. 2 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, „Bürckel“-Materie, 44, Schreiben Bürckels an Göring am 16.4.1940. Ich danke Dr. Ela Hornung, Dr. Sabine Schweitzer und Dr. Ernst Langthaler für die Überlassung dieses Dokuments. 3 Ebenda. 4 Ebenda. 5 Hornung Ela / Ernst Langthaler / Sabine Schweitzer, Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in Niederösterreich und im nördlichen Burgenland, Wien 2002, S. 90 f. 2 entweder deutsche Frauen oder Ausländer zur Arbeit heranzuziehen, entschied sich das Regime aus sozialpolitischen und geschlechterideologischen Gründen für den „Ausländereinsatz“.6 Gleichzeitig gab es gegen den massenhaften Einsatz ausländischer Arbeitskräfte im Reich erhebliche Bedenken; vor allem von Seiten der „Rassepolitiker“ in Heinrich Himmlers Reichssicherheitshauptamt. Man sah die „Reinheit des deutschen Blutes“ in Gefahr, befürchtete „Überfremdung“, „Vermischung“, Sabotage und Umsturz - auch und vor allem an der so genannten „Volkstumsgrenze“ in Südmähren, wo die NS-Machthaber stets auch ein misstrauisches Auge auf die tschechische Minderheit und die Grenzgänger aus dem Protektorat hatten7. Der Einsatz von Ausländern schien jedoch aus kriegswirtschaftlichen Gründen unumgänglich,8 und wie wir noch sehen werden, wurden polnische Arbeitskräfte trotz der Verfügung Himmlers auch in Südmähren beschäftigt. Vorliegende Arbeit möchte einen ersten knappen Überblick über den „Ausländereinsatz“ in den ehemaligen Kreisen Neubistritz, Znaim und Nikolsburg geben. Sie möchte einige Spezifika ausländischer Zwangsarbeit in diesem seit Jahrhunderten ethnisch durchmischten Gebiet herausarbeiten und den Blick auf das breite Spektrum der Beschäftigung von Ausländern und Ausländerinnen im NS-Staat lenken. Nach einer einleitenden Begriffsdefinition von „Zwangsarbeit“ und der Vorstellung der verschiedenen Rekrutierungsstrategien ausländischer Arbeitskräfte ist der Aufsatz entlang der drei formal-rechtlichen Statusmerkmale von ausländischen Arbeitskräften in Südmähren - zivile ausländische Arbeitskräfte, Kriegsgefangene, „ungarische Juden“ - strukturiert. Begriff Zwangsarbeit Die Arbeit orientiert sich am Zwangsarbeits-Begriff, wie ihn Mark Spoerer in Anlehnung an Ulrich Herbert definiert hat. Zwangsarbeit sei demnach charakterisiert durch drei zentrale Merkmale: durch (1) die „rechtlich institutionalisierte Unauflöslichkeit des Arbeitsverhältnisses für eine nicht absehbare Zeitdauer“, (2) die „geringen Chancen, nennenswerten Einfluss auf die Umstände des Arbeitseinsatzes zu nehmen“, was vielfach schon mit der Unkenntnis der deutschen Sprache gegeben war, und (3) die verminderten Überlebenschancen.9 Hinzuzufügen ist hier noch, dass der größte Teil der ausländischen Arbeitskräfte nicht freiwillig zur Arbeit ins Reich kam und schon allein deshalb als Zwangsarbeit leistend zu betrachten ist. Dennoch, und darauf werden wir noch zurückkommen, waren die Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen im „Deutschen Reich“ höchst unterschiedlich.10 6 Spoerer Mark, Zwangsarbeit im Dritten Reich, Verantwortung und Entschädigung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51 (2000), S. 508-527, hier S. 511. 7 So fand das „Verhalten“ dieser Bevölkerungsgruppen in den monatlichen Lageberichten der Landräte von Neubistritz, Znaim und Nikolsburg an den Reichsstatthalter in Niederdonau regelmäßig Erwähnung. Niederösterreichisches Landesarchiv (NÖLA), Der Reichsstatthalter in Niederdonau (RStH), Lageberichte 1942-1945. 8 Herbert Ulrich, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländereinsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn 1999, S. 80. 9 Spoerer Mark, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, Stuttgart u.a. 2001, S. 15 f. 10 Freund Florian / Bertrand Perz, Zwangsarbeit von zivilen AusländerInnen, Kriegsgefangenen, KZ-Häftlingen und ungarischen Juden in Österreich, in: Tálos Emmerich u.a. (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2001, S. 644-695, hier S. 646 f. 3 Ausgehend von den genannten Merkmalen unterteilt Spoerer die ausländischen Arbeitskräfte im „Dritten Reich“ in vier große Gruppen, die jedoch nicht ident sind mit den formal-rechtlichen Statusmerkmalen: erstens in die zivilen ausländischen Beschäftigten, die freiwillig ins Reich und aus ganz bestimmten Ländern kamen - darunter sind v. a. Arbeitskräfte aus den mit Deutschland verbündeten Staaten, dem neutralen Spanien, dem besetzten Dänemark und vorderhand auch aus West- und Südosteuropa zu verstehen; zweitens zwangsweise Beschäftigte mit etwas Einfluss auf ihre Existenzbedingungen und normaler bzw. nur leicht erhöhter Sterblichkeit - gemeint sind damit Zivilarbeiter und Zivilarbeiterinnen sowie Kriegsgefangene aus dem besetzten Westen und Südosten Europas; drittens zwangsweise Beschäftigte ohne nennenswerten Einfluss auf ihre Existenzbedingungen und mit deutlich überdurchschnittlicher Sterblichkeit - es handelt sich dabei um zivile Arbeitskräfte aus Polen und der Sowjetunion, polnischnichtjüdische Kriegsgefangene und „italienische Militärinternierte“; viertens zwangsweise Beschäftigte ohne jeglichen Einfluss auf ihre Existenzbedingungen und mit extrem hoher Sterblichkeit - in diese Kategorie fallen polnisch-jüdische und sowjetische Kriegsgefangene, Häftlinge von Konzentrations- und „Arbeitserziehungslagern“ sowie jüdische Arbeitskräfte.11 Durch zwangsweise Verlängerung eines ursprünglich freiwillig geschlossenen Arbeitsvertrags, Einweisung in Gefängnis, Zuchthaus, „Arbeitserziehungslager“ oder Konzentrationslager sowie freiwillige oder erzwungene Umwandlung vom Kriegsgefangenen- in den Zivilstatus konnte ein Wechsel zwischen den Gruppen und damit auch der Eintritt in den Zwangsarbeitsstatus erfolgen.12 Rekrutierungsstrategien Hinsichtlich der Strategien der Rekrutierung von ausländischen Arbeitskräften sind im Großen und Ganzen vier Grundformen zu unterscheiden, die in der Praxis freilich häufig in vermischter Form auftraten.13 Die reine Werbung erfolgte v. a. während der ersten Phase des Krieges und wurde überwiegend in den verbündeten bzw. den Vasallenstaaten des Dritten Reiches durchgeführt. Zu nennen sind hier die Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Kroatien und – bis zu dessen Kriegsaustritt 1943 – auch Italien. Geworben wurde zunächst auch in den besetzten Gebieten West- und Osteuropas, doch mit geringem Erfolg. Die zweite Grundform der Rekrutierung bestand in der Werbung mit maßgeblicher Beeinflussung der Existenzbedingungen. Das heißt, in den besetzten Gebieten wurde auf die einheimischen Behörden und die Bevölkerung Druck ausgeübt, indem das NSRegime z.B. Maßnahmen setzte, die erhöhte Arbeitslosenziffern zur Folge hatten. Sobald man sich aber arbeitslos meldete, lief man Gefahr, dienstverpflichtet und zum Arbeitseinsatz nach Deutschland geschickt zu werden. Druck ausgeübt wurde auch durch die Kürzung oder Vorenthaltung von Lebensmittelmarken oder Sozialleistungen. Von „Freiwilligkeit“ bei der Meldung zum „Arbeitseinsatz“ kann unter diesen Umständen wohl kaum noch gesprochen werden. Die Konskription von Arbeitskräften durch die einheimische Verwaltung bildete die dritte Grundform. In besetzten Gebieten wurde lokalen Verwaltungen die Stellung bestimmter Kontingente von Arbeitskräften vorgeschrieben. Das konnte bedeuten, dass entweder 11 Ebenda, S. 16 f. Ebenda, S. 18. 13 Zum folgenden vgl. Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, S. 37-39. 12 4 bestimmte Geburtsjahrgänge zum Arbeitseinsatz rekrutiert wurden oder die arbeitsfähige Bevölkerung bestimmter Regionen dienstverpflichtet wurde. Die vierte Grundform war schließlich die Deportation mittels offener Gewaltanwendung. In Polen und der Sowjetunion erfolgten fast von Beginn an gewaltsame Deportationen. Im Extremfall waren das regelrechte Razzien. Dabei wurden etwa Fußballstadions, Lokale, Kinos, Kirchen, Stadtteile oder Dörfer umstellt, die arbeitsfähige Bevölkerung herausgefiltert und zum „Arbeitseinsatz“ ins Reich verschickt.14 Zur Größenordnung des „Ausländereinsatzes“ in Südmähren Statistisches Material zum Arbeitseinsatz in unserem Untersuchungsgebiet existiert nur für die Kreise Znaim und Nikolsburg. Diese beiden Bezirke bildeten den Arbeitsamtsbezirk Znaim, für den hinsichtlich der zivilen in- und ausländischen Beschäftigten und der Kriegsgefangenen recht detaillierte Zahlen zur Verfügung stehen.15 Was die zahlenmäßig kleinste Gruppe der ungarischen Juden und Jüdinnen betrifft, liegen bislang nur sehr lückenhafte quantitative Angaben vor. Zivile in- und ausländische Arbeitskräfte und Kriegsgefangene in Niederdonau und im Arbeitsamtsbezirk Znaim 1941-1944 Niederdonau Inländische Arbeitskräfte Zivile ausländische Arbeitskräfte Kriegsgefangene Gesamt Aug.41 344.561 79,0% 54.521 12,5% 37.099 8,5% 436.181 100,0% Aug.42 323.096 70,9% 90.303 19,8% 42.418 9,3% 455.817 100,0% Aug.43 343.179 66,0% 136.101 26,2% 41.033 7,9% 520.313 100,0% Mai.44 335.249 63,6% 144.223 27,4% 47.578 9,0% 527.050 100,0% Aug.41 26.445 77,2% 6.463 18,9% 1.365 4,0% 34.273 100,0% Aug.42 25.035 67,4% 10.536 28,4% 1.578 4,2% 37.149 100,0% Aug.43 28.977 67,2% 12.818 29,7% 1.354 3,1% 43.149 100,0% Mai.44 27.913 64,8% 13.553 31,5% 1.594 3,7% 43.060 100,0% Znaim Quelle: Der Arbeitseinsatz im Gau Niederdonau. Statistisches Mitteilungsblatt des Gauarbeitsamts Niederdonau (20.5.1944), S. 4. Vergleichen wir die jeweiligen Anteile von zivilen in- und ausländischen Arbeitskräften und Kriegsgefangenen in Südmähren mit jenen im gesamten Reichsgau, so springt v.a. der deutlich geringere Anteil der Kriegsgefangenen im Arbeitsamtsbezirk Znaim ins Auge. Diese niedrige Quote wurde in Südmähren durch den relativ höheren Anteil an zivilen ausländischen Arbeitskräften wettgemacht, denn die Anteile der inländischen Arbeitskräfte waren zwischen 1941 und 1944 in Niederdonau und Südmähren ungefähr gleich hoch. Wir können dies als ersten Hinweis auf sicherheitspolitische Motive der Arbeitseinsatzlenkung im „volkstumspolitisch gefährdeten“ Norden des Gaues Niederdonau betrachten. Insgesamt arbeiteten im Mai 1944 mehr als 13.500 zivile ausländische Arbeitskräfte und fast 1.600 Kriegsgefangene im Arbeitsamtsbezirk Znaim. Das heißt, auch wenn wir die ungarischen Juden und Jüdinnen nicht berücksichtigen, kam im Schnitt auf etwa zwei inländische eine ausländische Arbeitskraft. 14 15 Ebenda, S. 39. Der Kreis Neubistritz zählte zum Arbeitsamtsbezirk Gmünd. 5 Zivile ausländische Arbeitskräfte Die formal-rechtliche Kategorie der zivilen ausländischen Arbeitskräfte umfasste sehr unterschiedliche Gruppen von Beschäftigten. Unter dieser Bezeichnung wurden überwiegend zwangsweise, teils aber auch freiwillig beschäftigte ausländische Arbeitskräfte subsumiert. Zivile ausländische Arbeitskräfte im Arbeitsamtsbezirk Znaim sowie Frauenquoten in Znaim und Niederdonau (ND) 1941-1944 9.000 50% 8.335 8.094 45% 40% 7.000 6.280 6.160 6.000 35% 5.525 5.128 5.034 5.000 5.218 4.376 4.000 3.000 30% 25% 3.792 3.674 3.529 20% 2.904 Frauenquoten Anzahl Männer und Frauen 8.000 15% 2.312 2.000 10% 1.000 5% - 0% Sep.41 Jän.42 Männer Aug.42 Frauen Dez.42 Jun.43 Frauenquote Znaim Feb.44 Mai.44 Frauenquote ND Quelle: Der Arbeitseinsatz im Landesarbeitsamtsbezirk Wien-Niederdonau. Hrsg. vom Landesarbeitsamt Wien-Niederdonau (20.10.1941), S. 9; ders. (20.2.1942), S. 7; ders. (20.12.1942), S. 8 f.; ders. (20.1.1943), S. 10; ders. (20.7.1943), S. 2; Der Arbeitseinsatz im Gau Niederdonau. Statistisches Mitteilungsblatt des Gauarbeitsamts Niederdonau (20.2.1944), S. 2; ders. (20.5.1944), S. 2. Insgesamt ist für den Arbeitsamtsbezirk Znaim festzuhalten, dass – abgesehen von den saisonalen Schwankungen - die Anzahl der zivilen ausländischen Arbeitskräfte zwischen 1941 und 1944 fast ständig zunimmt. Der geradezu sprunghafte Anstieg zwischen Jänner und August 1942 war auf das Eintreffen der so genannten „Ostarbeiter“ seit dem Frühjahr 1942 zurückzuführen16, von denen der allergrößte Teil in die Land- und Forstwirtschaft vermittelt wurde.17 Die Rückgänge in den Wintermonaten 1941/42 und 1942/43 waren einesteils wohl auf tschechische und slowakische landwirtschaftliche Wanderarbeiter und –arbeiterinnen 16 Die Bezeichnung „Ostarbeiter“ umfasste in ethnischer Hinsicht v.a. Ukrainer, Russen und Weißrussen sowie andere Bevölkerungsgruppen der ehemaligen Sowjetunion mit Ausnahme der Polen, Letten und Esten. Vgl. Freund Florian / Bertrand Perz, Die Zahlenentwicklung der ausländischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939-1945, Wien 2000, S. 13. 17 Der Arbeitseinsatz im Landesarbeitsamtsbezirk Wien-Niederdonau (20.10.1942), S. 15. 6 zurückzuführen, die ihren Dienst erst wieder im Frühjahr antraten, andernteils auf vorübergehende überregionale Umsetzungen in die Industrie18. Besonders augenfällig ist jedoch die durchgehend höhere Frauenquote in Südmähren im Vergleich zum übrigen Niederdonau (ND). Bewegte sich der Anteil der Frauen unter den zivilen ausländischen Arbeitskräften im Arbeitsamtsbezirk Znaim zwischen 39 % und 47 %, so machte die Frauenquote im Durchschnitt von Niederdonau lediglich 26 % bis 34 % aus. Wir können dahinter sicherheitspolitische und rassistische, aber auch wirtschaftsstrukturell und geschlechterideologisch bedingte Ursachen für diese Diskrepanz vermuten. An der „Volkstumsgrenze“ im Norden wurden demnach statt (männlichen) Kriegsgefangenen v.a. zivile ausländische Frauen beschäftigt, wodurch den NS-Machthabern die „Reinheit der deutschen Frau“ bzw. der deutschen „Rasse“ und die sicherheitspolizeiliche Lage besser gesichert schien. Gleichzeitig aber wurden von den NS-Behörden ausländische Frauen generell häufiger in die Landwirtschaft als in die Industrie vermittelt, da man Frauen, vor allem jene der „Ostvölker“, für die Verrichtung landwirtschaftlicher Arbeiten als besonders geeignet hielt.19 Für den agrarisch geprägten Arbeitsamtsbezirk Znaim war ein höherer Frauenanteil auch deshalb durchaus zu erwarten20. 9.000 90% 8.000 80% 7.000 70% 6.000 60% 5.000 50% 4.000 40% 3.000 30% 2.000 20% 1.000 10% - 0% Sep.41 Jän.42 Männer Aug.42 Frauen Dez.42 Jun.43 Agrarquote Männer Feb.44 Agrarquoten Anzahl Männer und Frauen Zivile ausländische Männer und Frauen im Arbeitsamtsbezirk Znaim sowie Agrarquoten 1941-1944 Mai.44 Agrarquote Frauen Quelle: Der Arbeitseinsatz im Landesarbeitsamtsbezirk Wien-Niederdonau. Hrsg. vom Landesarbeitsamt Wien-Niederdonau (20.10.1941), S. 9; ders. (20.2.1942), S. 7; ders. (20.12.1942), S. 18 NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10/1942, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an RStH am 10.12.1942; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an RStH am 11.1.1943. 19 Hornung / Langthaler / Schweitzer, Zwangsarbeit, 2002, S. 107 f. 20 Laut Volkszählung vom 17.5.1939 waren in den Kreisen Znaim und Nikolsburg 48,5 % bzw. 49,5 % der Wohnbevölkerung in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt. Der Durchschnitt für Niederdonau betrug 41,9 %. Vgl. Statistische Übersichten für den Reichsgau Niederdonau. Zusammengestellt vom Statistischen Amt für die Reichsgaue der Ostmark. Wien 1941, S. 6 f. 7 8 f.; ders. (20.1.1943), S. 10; ders. (20.7.1943), S. 2; Der Arbeitseinsatz im Gau Niederdonau. Statistisches Mitteilungsblatt des Gauarbeitsamts Niederdonau (20.2.1944), S. 2; ders. (20.5.1944), S. 2. Der überwiegend landwirtschaftlichen Struktur des Arbeitsamtsbezirks entsprechend, wurden zwischen 58 % und 73 % der ausländischen Arbeitskräfte der Land- und Forstwirtschaft zugewiesen.21 Frauen wiesen dabei einen fast durchgehend höheren Zuweisungsgrad auf als Männer. Die Bedingungsfaktoren dafür sind hier in den eben genannten geschlechterideologischen und rassistischen Motiven zu suchen. Gemäß einer langen und einflussreichen konservativen Denktradition galten Frauen auch den Nationalsozialisten für landwirtschaftliche Tätigkeiten geeigneter; ihnen wurde ein höherer Grad an „Naturhaftigkeit“ zugeschrieben als Männern, die grundsätzlich häufiger in der Industrie eingesetzt wurden22. Die rassistische Komponente der Zuweisungspraxis von zivilen ausländischen Arbeitskräften hing mit der spezifischen Beschaffenheit der südmährischen Landwirtschaft zusammen. Aufgrund der überwiegend kleinbetrieblichen Struktur der Agrarwirtschaft in Südmähren standen die ausländische Arbeitskräfte vornehmlich im Einzeleinsatz und waren zumeist auch beim jeweiligen Bauern23, bei der jeweiligen Bäuerin untergebracht. Ständige Kontakte mit den deutschen Betriebsleitern und –leiterinnen, mit deren Familienangehörigen und allfälligen deutschen Knechten und Mägden waren die Folge. Auch um die daraus resultierenden vermeintlichen „rassenpolitischen Gefahren“ zu minimieren, setzten die NS-Machthaber in diesem Wirtschaftsbereich auf den verstärkten Einsatz ausländischer Frauen. Signifikant waren zudem die saisonalen Schwankungen der Anzahl der ausländischen land- und forstwirtschaftlichen Arbeitskräfte. Um eine größtmögliche Ausbeutung ihrer Arbeitskraft zu gewährleisten und um die Reproduktionskosten der bäuerlichen Dienstgeber gering zu halten, wurden sie jeden Winter zu Arbeiten in der Rüstungsindustrie abgezogen, um dann zu Frühlingsbeginn wieder der Feldarbeit zugewiesen zu werden.24 Die seit Sommer 1942 stärkeren Schwankungen der Agrarquoten der Frauen zwischen Winter und Sommer zeigen, dass diese in höherem Ausmaß als Verschubmasse benützt wurden als Männer.25 21 Eigene Berechnungen nach: Der Arbeitseinsatz im Landesarbeitsamtsbezirk WienNiederdonau. Hrsg. vom Landesarbeitsamt Wien-Niederdonau (20.10.1941), S. 9; ders. (20.2.1942), S. 7; ders. (20.12.1942), S. 8 f.; ders. (20.1.1943), S. 10; ders. (20.7.1943), S. 2; Der Arbeitseinsatz im Gau Niederdonau. Statistisches Mitteilungsblatt des Gauarbeitsamts Niederdonau (20.2.1944), S. 2; ders. (20.5.1944), S. 2. 22 Diese geschlechterspezifische Zuweisungspraxis betonen auch Hornung / Langthaler / Schweitzer, Zwangsarbeit, 2002, S. 104, 107 f. 23 Laut Betriebszählung vom 17.5.1939 betrugen die zahlenmäßigen Anteile der Betriebe bis unter 5 ha Gesamtfläche im Kreis Znaim 70,3 % und im Kreis Nikolsburg 76,8 %. Der Durchschnitt im Reichsgau Niederdonau belief sich auf 56 %. Siehe dazu: Die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe im Reichsgau Niederdonau nach den Ergebnissen der im Deutschen Reich am 17. Mai 1939 durchgeführten landwirtschaftlichen Betriebszählung. Hrsg. vom Statistischen Amt für die Reichsgaue der Ostmark. Wien 1941, S. 12, 14. 24 NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10/1942, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an RStH am 10.12.1942; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an RStH am 11.1.1943; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH am 7.12.1943. 25 Dieser Befund gilt grundsätzlich auch für ganz Niederdonau. Vgl. dazu Hornung / Langthaler / Schweitzer, Zwangsarbeit, 2002, S. 109. 8 Prozentuelle Anteile ziviler ausländischer Arbeitskräfte nach Herkunftsländern im Arbeitsamtsbezirk Znaim und Niederdonau im Juli 1942 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% "Ostarbeiter" GG Slowakei Znaim Protektorat Frankreich Sonstige Niederdonau Quelle: Errechnet aus: Der Arbeitseinsatz im Landesarbeitsamtsbezirk Wien-Niederdonau (20.8.1942), S. 8 f. Nach Herkunftsländern dominierten im Arbeitsamtsbezirk Znaim während der gesamten zweiten Kriegshälfte Tschechen und Tschechinnen aus dem angrenzenden Protektorat. Zwischen 1942 und 1944 nahm deren Anteil sogar bis auf 47 % aller zivilen ausländischen Arbeitskräfte im Bezirk zu. Der zweitgrößte Anteil entfiel auf Polinnen und Polen aus dem so genannten Generalgouvernement (GG). Weder 1942 und schon gar nicht 1944 wich die Quote der Polen in Arbeitsamtsbezirk Znaim von jener im Gau signifikant ab. Dies zeigt, dass zumindest an der nördlichen „Volkstumsgrenze“ von Niederdonau rigide „rassenpolitische“ Grundsätze zugunsten einer von wirtschaftlichen Notwendigkeiten geprägten Politik zurücktreten mussten. Prozentuelle Anteile ziviler ausländischer Arbeitskräfte nach Herkunftsländern im Arbeitsamtsbezirk Znaim und in Niederdonau im Juni 1944 9 50% 45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% "Ostarbeiter" GG Slowakei Znaim Protektorat Frankreich Sonstige Niederdonau Quelle: Errechnet aus: Der Arbeitseinsatz im Gau Niederdonau (20.7.1944), S. 3. Der Vergleich zur Situation im gesamten Reichsgau Niederdonau macht eine weitere Facette der spezifischen Zuweisungspraxis der NS-Behörden in Südmähren deutlich. War der Zuwachs an zwangsweise Beschäftigten im Gau v.a. auf die vermehrte Rekrutierung von „Ostarbeitern“ und „Ostarbeiterinnen“ zurückzuführen, so wurden in Südmähren bis 1944 mehr und mehr Protektoratsangehörige dienstverpflichtet26. Beide Gruppen waren den NS-Machthabern in Südmähren höchst verdächtig. Die „Protektoratsangehörigen“, vor allem deshalb, weil sie ständig in Verdacht standen, mit der ansässigen tschechischen Minderheit bzw. vor allem mit slawischen Zwangsarbeitern „volks- und staatsfeindlich“ zu konspirieren,27 und die „Ostarbeiter“ aus „rassischen“, politischen und sicherheitspolizeilichen Gründen. Vor die Wahl gestellt, welche der beiden inkriminierten Gruppen den kriegsbedingt steigenden Arbeitskräftebedarf in Südmähren befriedigen sollte, entschieden sich die Machthaber für die Tschechen als das „kleinere Übel“. Die räumliche Nähe des Protektorats könnte den Ausschlag für diese Entscheidung gegeben haben. Im Übrigen fällt auf, dass in Südmähren die Vielfalt der eingesetzten Nationalitäten geringer war als im übrigen Gaugebiet. Außer Tschechen, „Ostarbeitern“, Polen und dem immer mehr abnehmenden Anteil der Slowaken wurden nach Südmähren kaum Angehörige anderer Nationalitäten zugewiesen. Die Kategorie „Sonstige“ blieb während der gesamten zweiten Kriegshälfte im 26 Zur Dienstverpflichtung von Tschechen und Tschechinnen allgemein siehe Jelínek Tomáš, Zwangsarbeit im Nationalsozialismus, in: „Nepřichází-li práce k Tobě… / „Kommt die Arbeit nicht zu Dir…“ Různe podoby nucené práce ve studiích a dokumentech / Verschiedene Formen der Zwangsarbeit in Studien und Dokumenten. Kolektiv pracovníků kanceláře pro oběti nacismu / Autorenkollektiv des Büros für Opfer des Nationalsozialismus, Praha 2003, S. 142-162, hier S. 152. 27 Vgl. dazu exemplarisch: NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an RStH am 9.2.1944; ebenda, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH am 7.3.1944. 10 Verhältnis zum Reichsgau weit unterdurchschnittlich. Auch das fast vollständige Fehlen der relativ besser gestellten zivilen „Westarbeiter“ ist im Arbeitsamtsbezirk Znaim signifikant. Neben den zahlenmäßig dominierenden Tschechen und Tschechinnen aus dem angrenzenden Protektorat wurden der „Volkstumsgrenze“ im Norden also nahezu ausschließlich Angehörige jener Nationen zugewiesen, die den strengsten Verhaltensmaßregeln unterworfen waren und die geringste Bewegungsfreiheit vorfanden. Dass die leichtere Kontrollierbarkeit von Zwangsarbeitern dieser Nationalitäten ein wesentlicher Bedingungsfaktor für die Einsatzlenkung in Südmähren gewesen sein dürfte, legte auch die Notiz eines Vertreters des Auswärtigen Amtes anlässlich einer Besprechung des so genannten „Ausländer-Arbeitskreises beim RSHA [Reichssicherheitshauptamt]“ Ende 1941 nahe: „Es ist einleuchtend, dass die Behandlung der Polen, Tschechen und Russen den innerdeutschen Stellen bedeutend weniger Schwierigkeiten bereitet als die Behandlung von Ausländern der verbündeten und befreundeter Nationen.“28 Für eine genaue Analyse der Einsatzlenkung der ausländischen Arbeitskräfte nach Wirtschaftsabteilung und Nationalität fehlen uns auf Ebene der Arbeitsamtsbezirke konkrete Zahlen. Prinzipiell können wir aber davon ausgehen, dass wie im gesamten Gaugebiet auch in Südmähren Polinnen und Polen sowie Slowakinnen und Slowaken v.a. in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt wurden,29 und das gleiche gilt zumindest für 1942 auch für die „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“.30 Im Vergleich zur Situation im Gau insgesamt dürfte der Anteil der „Protektoratsangehörigen“ im agrarischen Bereich in Südmähren jedenfalls überdurchschnittlich gewesen sein. Ebenso wie im industriellen Sektor in Niederdonau insgesamt ist auch für jenen im Arbeitsamtsbezirk Znaim von einem relativ hohen tschechischen Anteil auszugehen. Zusammenfassend können für die Arbeitskräftepolitik in Südmähren folgende Thesen formuliert werden: Die Zuweisungspraxis, soweit sie hier auf der dünnen Basis v.a. von Zahlenmaterial fassbar wurde, wies wie im Reich insgesamt das Doppelgesicht von rassistisch-ideologischen und ökonomisch-pragmatischen Komponenten auf. So fand das „rassenpolitisch“ und sicherheitspolizeilich begründete erhöhte Sicherheitsbedürfnis der Nationalsozialisten im Gebiet der sensiblen „Volkstumsgrenze“ seinen sinnfälligen Ausdruck in einer nach Rechtsstatus, Geschlechtern und Nationalitäten geordneten Arbeitskräftepolitik. Gleichzeitig sind aber auch wirtschaftliche Motive für die Erklärung der Arbeitskräftepolitik heranzuziehen. Bedingt durch die primär agrarischkleinbetrieblich geprägte Struktur der südmährischen Wirtschaft stieg die Wahrscheinlichkeit für den Einsatz ziviler ausländischer Frauen und polnischer Arbeitskräfte gegenüber „Westarbeitern“, weil erstere generell vor allem der Landwirtschaft und letztere auch im übrigen Reichsgau weit überwiegend in der Rüstungsindustrie eingesetzt wurden.31 Lebenschancen ziviler ausländischer Arbeitskräfte 28 Institut für Zeitgeschichte München, Nürnberger Dokumentenserien, NG 3347; zitiert nach Herbert, Fremdarbeiter, 1999, S. 179, Anmerkung 125; vgl. auch Jelínek, Zwangsarbeit, in: „Nepřichází-li práce k Tobě…“, 2003, S. 142-162, hier S. 156. 29 Hornung / Langthaler / Schweitzer, Zwangsarbeit, 2002, S. 105 f. 30 Der Arbeitseinsatz im Landesarbeitsamtsbezirk Wien-Niederdonau (20.10.1942), S. 15. 31 Stefan Eminger, Zwangsarbeit in Niederdonau. Zivile ausländische Arbeitskräfte, Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und „ungarische Juden“, in: Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde (erscheint voraussichtlich noch 2004). 11 „In letzter Zeit wurden im Kreis Znaim 31 Einbrüche in Weinkellern und Vorratslagern verübt, bei denen größere Mengen Wein, Fleisch, Fett und sonstige Lebensmittel entwendet wurden. Als Täter konnte nun eine Ostarbeiterbande aus Schattau, Kreis Znaim, ermittelt werden, der bisher zahlreiche bandenmäßig durchgeführte Einbrüche nachgewiesen wurden.“32 Dieser kurze Eintrag von Anfang März 1944 fand sich im Tagesrapport der Staatspolizeiaußenstelle Znaim. Bis 6. März 1944 wurden dann insgesamt zwölf „Ostarbeiter“ festgenommen; sie waren allesamt in der Tonwarenfabrik „Rauh“ in Schattau beschäftigt gewesen. Die Männer stammten überwiegend aus der Ukraine und waren alle noch recht jung. Der Jüngste zählte erst 18 Jahre, der Älteste 28. Ihre Beute waren Lebensmittel.33 Wenige Wochen später nahm die Stapoaußenststelle Znaim in Urbau zwei ausländische Landarbeiter fest. Sie waren nachts in ein „Spinnstoffsammellager“ eingedrungen und hatten Kleidungsstücke, Lappen und Fetzen entwendet. Den beiden Männern, ein Ukrainer (25 Jahre) und ein Pole (23 Jahre), drohte nach Angaben der Staatspolizei deshalb die Todesstrafe.34 Diese aus einer Fülle von Straftaten ausländischer Arbeitskräfte herausgegriffenen Fälle können als beispielhaft gelten und legen eine Spur zur Erforschung der Lebensverhältnisse von Zwangsarbeitern in Südmähren. So ist einmal mehr auf die grundsätzliche Unterschiedlichkeit der Lebens- und Arbeitsbedingungen ziviler ausländischer Arbeitskräfte hinzuweisen. Diese Verhältnisse waren abhängig von Nationalität, Wirtschaftsbranche, Region, Geschlecht, Alter und Zeitpunkt des Arbeitseinsatzes. Ganz wesentlich beeinflusst waren die jeweiligen Handlungsspielräume der Ausländer im Dritten Reich aber von der rassistischen Hierarchisierung der ausländischen Beschäftigten durch die Nationalsozialisten. Diese Werteskala knüpfte zum einen an verbreitete Vorurteilsstrukturen wie Antisemitismus und Antislawismus an, zum anderen spiegelte sie politische Rücksichten auf Angehörige verbündeter Staaten. Grundsätzlich waren unter den zivilen ausländischen Arbeitskräften Angehörige von mit Deutschland verbündeten Staaten sowie „Westarbeiter“ aus Frankreich, Holland, Belgien besser gestellt als Tschechen, und diese wiederum fanden im Allgemeinen relativ günstigere Rahmenbedingungen vor als Polen und „Ostarbeiter“.35 Vor allem gegen den Einsatz letzterer Gruppen standen erhebliche „volkstumspolitische“ Bedenken in der NS-Führung, denen mit der Erlassung eines diskriminierenden Sonderrechts für diese Arbeitskräfte begegnet wurde. Kern dieses Sonderrechts waren die so genannten „Polen“- und „Ostarbeitererlässe“.36 Verfügt im Frühjahr 1940 für die polnischen Arbeitskräfte und etwa zwei Jahre später für die „Ostarbeiter“, legten diese Erlässe u. a. die strenge Trennung zwischen diesen „Fremdvölkischen“ und Deutschen fest. Sie schränkten die Mobilität dieser Ausländergruppen massiv ein, benachteiligten sie bei der Entlohnung und unterwarfen sie den strengsten Strafen. 32 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), Tagesrapporte der Gestapo, Tb. Nr. 1 vom 1.-3.3.1944, S. 2-3. 33 DÖW, Tagesrapporte der Gestapo, Tb. Nr. 1 vom 1.-3.3.1944, S. 2-3, sowie Tb. Nr. 2 vom 3.6.3.1944, S. 2. 34 DÖW, Tagesrapporte der Gestapo, Tb. Nr. 3 vom 16.-22.6.1944, S. 10. 35 Spoerer, Zwangsarbeit im Dritten Reich, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51 (2000), S. 508-527, hier S. 516 ff.; Jelínek, Zwangsarbeit, in: „Nepřichází-li práce k Tobě…“, 2003, S. 142-162, hier S. 158. 36 Detailliert zu diesen Erlässen vgl. Herbert, Fremdarbeiter, S. 85-95, 178-182. 12 Die feinsäuberliche Trennung von Deutschen einerseits und Polen und „Ostarbeitern“ andererseits war ein Hauptanliegen der Nationalsozialisten in Bezug auf den ausländischen Arbeitseinsatz. Deshalb unterlagen diese beiden Ausländergruppen ebenso wie als „Juden“ geltende Menschen einem Kennzeichnungszwang. Polen und Polinnen hatten ein großes „P“, „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“ die Aufschrift „OST“ ständig und gut sichtbar auf ihrer Oberbekleidung zu tragen. Derart stigmatisiert, hatten sich vor allem diese Ausländergruppen auch vom „kulturellen Leben“ und den „Vergnügungsstätten“ der Deutschen fern zu halten; intime Kontakte zur einheimischen Bevölkerung waren streng verboten. Geschlechtlicher Verkehr mit deutschen Frauen galt als Kapitalverbrechen, das mit der Todesstrafe für den Polen oder „Ostarbeiter“ und mindestens einem Jahr Konzentrationslager für die deutsche Frau geahndet wurde.37 In der Alltagspraxis waren Kontakte zwischen Deutschen und „Fremden“ jedoch unvermeidlich. Insbesondere im Bereich der Land- und Forstwirtschaft beim Einzeleinsatz von Ausländern und Ausländerinnen überschritten sie häufig das vorgeschriebene Maß. Der „von oben“ oktroyierte Ausschluss aus der „Volksgemeinschaft“ konfligierte mit dem „von unten“ aus lebensweltlichen Gründen vielfach üblichen Einschluss in die Betriebe und häufig auch in die Haushalte.38 Dieser Widerspruch war systemimmanent, und auch intime Beziehungen zwischen Deutschen und ausländischen Arbeitskräften kamen trotz strenger Strafen immer wieder vor. So wurden im Jänner 1941 innerhalb von zwei Tagen gleich sieben junge Polinnen von der Stapoaußenstelle Znaim ins dortige Landgerichtsgefängnis wegen Geschlechtsverkehrs mit Deutschen eingeliefert.39 Die Frauen waren allesamt bei verschiedenen Bauern im Kreis Znaim beschäftigt gewesen.40 Im Unterschied zu Fällen von Intimkontakten zwischen deutschen Frauen und polnischen Männern drohten diesen Landarbeiterinnen und den deutschen Männern allerdings weniger harte Strafen. Hintergrund für diese geschlechtsspezifisch unterschiedliche Bestrafungspraxis war die nationalsozialistische Geschlechterideologie, wonach den deutschen Frauen die „Reinhaltung der deutschen Rasse“ als eine ihrer vornehmsten Aufgaben zugewiesen wurde. Um – so die offizielle Begründung - möglichst friktionsfreie Arbeitsabläufe zu garantieren, waren auch intime Beziehungen zwischen Tschechen und ausländischen Zwangsarbeitern inkriminiert41. So war etwa dem Landrat von Neubistritz ein Liebesverhältnis zwischen einem ortsansässigen Tschechen und einer Polin gemeldet worden, das auch zur Geburt eines Kindes geführt hatte. Der Landrat 37 Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, S. 201. Diese regelrechten Hinrichtungen waren anfangs öffentlich und hatten zur Abschreckung vor den Augen der in der Umgebung eingesetzten Landsleute des Opfers statt zu finden. Exemplarisch dazu vgl. auch NÖLA, Außendepot Bad Pirawarth, Kreisgericht St. Pölten, Zl. 5 Vr 1336/1961, J. R., sowie auch Edl Richard (Hg.), Altlichtenwarth. Pfarr- und Alltagsgeschichte, Altlichtenwarth 1994, S. 189. 38 Auf den ambivalenten Charakter und die Grenzen dieses Einschlusses, die sich zumeist in der behördlich verbotenen Tischgemeinschaft von deutschen Bauern und „fremdvölkischen“ Arbeitskräften manifestierte, verweisen nachdrücklich Hornung / Langthaler / Schweitzer, Zwangsarbeit, 2002, S. 209-215. 39 DÖW, Tagesrapporte der Gestapo, Tb. Nr. 9 vom 22.-23.1.1941, S. 7-8. 40 Ebenda. 41 Die Begründung bezog sich auf das Verbot sexueller Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen. Vgl. dazu Jelínek, Zwangsarbeit, in: „Nepřichází-li práce k Tobě…“, 2003, S. 142-162, hier S. 154. 13 schaltete daraufhin die Gestapo ein, die den Mann in Haft nahm.42 Über sein weiteres Schicksal sowie über das der Mutter und des Kindes ist nichts bekannt. Durch die genannten Erlässe waren Polinnen und Polen sowie „Ostarbeiterinnen“ und „Ostarbeiter“ in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Sie durften ihren Einsatzort nicht eigenmächtig verlassen, keine öffentlichen Verkehrsmittel benützen, ja nominell war ihnen sogar das Fahrradfahren verboten.43 Hinsichtlich der Entlohnung zählten sie gleichfalls zu den am meisten diskriminierten Gruppen im Deutschen Reich. Das Lohnniveau von „Ostarbeitern“ bzw. „Ostarbeiterinnen“ lag auf durchschnittlich 40 % des Verdienstes von deutschen Arbeitern,44 jenes von Polinnen und Polen zwischen 50 und 85 %.45 Zwar unterlagen sowohl „West“- wie auch „Ostarbeiter“ dem Disziplinierungs- und Bestrafungsapparat von Justiz, Polizei und Gestapo, nicht zuletzt im Falle des überaus weit interpretierbaren „Arbeitsvertragsbruchs“ drohten Polen und „Ostarbeitern“ aber die härtesten Strafen.46 Die Prügelstrafe war bei männlichen „Ostarbeitern“ und Polen dezidiert erlaubt,47 und Angehörige dieser Gruppe von Ausländern wurden sehr rasch auch in die berüchtigten so genannten „Arbeitserziehungslager“ eingewiesen.48 Ebenso waren Überstellungen in Konzentrationslager und der Vollzug der „Sonderbehandlung“ – also Tötung - bei Polen und „Ostarbeitern“ überdurchschnittlich häufig.49 Was die Grundlagen der physischen Existenz der ausländischen Arbeitskräfte betrifft, so ist festzuhalten, dass die Verteilung sämtlicher Ressourcen im nationalsozialistischen Deutschland einem zentralen Grundsatz gehorchte: Zuerst kam die Versorgung der Deutschen; den „Fremdvölkischen“ im Reich und in den 42 NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an RStH am 8.2.1943. 43 Freund Florian, „Ihr zahlreiches Auftreten erregt bei der Bevölkerung oft Ärgernis.“ Zivile Ausländer und Ausländerinnen in Wiener Neustadt 1938-1945. In: Hahn Sylvia u.a. (Hg.), „Die Wienerische Neustadt“. Handwerk, Handel und Militär in der Steinfeldstadt, Wien u.a. 1994, S. 91126, hier S. 100. 44 Herbert Ulrich, Zwangsarbeiter im „Dritten Reich“ – ein Überblick, in: Barwig Klaus u.a. (Hg.), Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, historische und politische Aspekte, BadenBaden 1998, S. 17-32, hier S. 23. 45 Danker Uwe / Robert Bohn, Fazit und Ergebnisse aus geschichtswissenschaftlicher Sicht, in: Danker u.a. (Hg.), „Ausländereinsatz in der Nordmark“. Zwangsarbeitende in Schleswig-Holstein 1939-1945, Bielefeld 2001, (= IZRG-Schriftenreihe; Bd. 5), S. 572-587, hier S. 576. 46 Heusler Andreas, Prävention durch Terror. Die Gestapo und die Kontrolle der ausländischen Zwangsarbeiter am Beispiel Münchens, in: Paul Gerhard / Klaus-Michael Mallmann (Hg.), Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. „Heimatfront“ und besetztes Europa, Darmstadt 2000, S. 222-236, hier S. 224, 228. 47 Heusler, Prävention durch Terror, S. 230. 48 Umfassend zum System der „Arbeitserziehungslager“ in NS-Deutschland vgl. Lotfi Gabriele, KZ der Gestapo. Arbeitserziehungslager im Dritten Reich, Stuttgart u.a. 2000; zum für Niederdonau bedeutendsten „Arbeitserziehungslager“ in Oberlanzendorf (heute Maria Lanzendorf) bei Schwechat vgl. Heinz Arnberger: Das Arbeitserziehungslager Oberlanzendorf, in: Widerstand und Verfolgung in Niederösterreich 1934-1945. Eine Dokumentation. Hg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Bd. 2, Wien 1987, S. 573-586, bzw. sei auch verwiesen auf die umfassende, 2004 in der Reihe Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde erscheinen sollende Studie von Josef Prinz, „Asozialenpolitik“ und Arbeitszwang in der NS-Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte des Arbeitserziehungslagers Oberlanzendorf bei Wien. 49 Heusler, Prävention durch Terror, S. 232; Paul Gerhard / Alexander Primavesi, Die Verfolgung der „Fremdvölkischen“. Das Beispiel der Staatspolizeistelle Dortmund, in: Paul Gerhard / Klaus-Michael Mallmann (Hg.), Die Gestapo. Mythos und Realität, Darmstadt 1996, S. 388-401, hier S. 394. 14 besetzten Gebieten stand nur das zu, was noch übrig war. Die in Deutschland und Österreich mitunter noch nach dem Krieg gepriesene Aufrechterhaltung der Versorgung der „einheimischen“ Bevölkerung bis Kriegsende gründete sich nicht zuletzt auf Hunger und Not der „Fremdvölkischen“. Insbesondere Polen und „Ostarbeiter“ waren vielfach von Hunger und Krankheit bedroht und litten sehr häufig Mangel an Kleidung und Schuhwerk. So meldete im Dezember 1942 etwa der Landrat von Znaim, dass hinsichtlich der Bekleidungssituation der „Ostarbeiter“ noch immer keine merkbare Besserung eingetreten sei.50 Die dafür vorgesehenen Kleidungsstücke aus der Kleidersammlung entsprächen zum Großteil nicht, und vom Landeswirtschaftsamt seien gleichfalls nur überwiegend zerrissene, verschmutzte und unbrauchbare Kleidungsstücke geliefert worden. Diese würden nun den Betrieben und den „Ostarbeitern“ zu überhöhten Preisen zum Kauf angeboten.51 Der Mangel an Kleidung und Schuhwerk für „Ostarbeiter“ und Polen konnte in den südmährischen Kreisen bis Kriegsende nicht behoben werden.52 Die Folgen waren Arbeitsausfälle durch Krankheit und Fluchten,53 und wie wir anhand des obigen Beispiels von Urbau gesehen haben, kam es auch immer wieder zu Einbrüchen und Diebstählen.54 All dies konterkarierte die Ziele der NS-Machthaber, und v.a. deshalb blieb die Bekleidungsfrage der ausländischen Zwangsarbeiter ein Thema in den Berichten der Landräte. In Sachen Ernährung waren Arbeitskräfte in der Landwirtschaft gegenüber jenen in der Industrie relativ begünstigt.55 Es ist daher kein Zufall, dass die Mitglieder der oben erwähnten „Ostarbeiterbande“ in Schattau als Fabriksarbeiter beschäftigt waren. Im gesamten Deutschen Reich galten für die in der Industrie arbeitenden „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“ zunächst derart niedrige Nahrungsrationen, dass deren Arbeitsleistung und –motivation nur weit unterdurchschnittlich sein konnte. Viele Arbeitgeber drängten deshalb auf eine Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung dieser Arbeitskräfte,56 mitunter 50 NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10/1942, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an RStH am 10.12.1942. 51 Ebenda 52 NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10/1942, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH am 4.12.1942; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an RStH am 11.1.1943; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH am 6.1.1943; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH am 10.2.1943; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an RStH am 4.9.1943; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH am 7.12.1943; ebenda, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH am 10.2.1944; ebenda, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an RStH am 7.2.1944; ebenda, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an RStH am 10.6.1944; ebenda, Ia-10/1945, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an RStH am 10.2.1945. 53 Ebenda, Ia-10/1942, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an RStH am 10.12.1942; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH am 6.1.1943; ebnenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an RStH am 6.7.1943; ebenda, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH am 12.7.1944. 54 Ebenda, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an RStH am 4.7.1944; ebenda, Ia-10/1945, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an RStH am 10.2.1945. 55 Herbert, Zwangsarbeiter im „Dritten Reich“, S. 22; Danker / Bohn, Fazit und Ergebnisse, S. 578. 56 Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, S. 124, 127. 15 erhöhten sie die Rationen eigenmächtig.57 Eine relative Verbesserung der Situation erfolgte allerdings erst nach der Niederlage von Stalingrad Anfang 1943. Das neue Verpflegungssystem war aber kaum weniger grausam. Indem die so genannte „Leistungsernährung“ eingeführt wurde, war mehr Verpflegung an höhere Arbeitsleistung gebunden.58 Für viele „Ostarbeiterinnen“ und „Ostarbeiter“ im städtischen Bereich blieb auch im Südmähren der NS-Zeit der Hunger ihr ständiger Begleiter. Kriegsgefangene Mit erheblichem Abstand zu den zivilen Arbeitskräften waren Kriegsgefangene die zweitgrößte Gruppe ausländischer Zwangsarbeiter; sowohl in Niederdonau als auch im südmährischen Arbeitsamtsbezirk Znaim. Sie bildeten einen Sonderfall unter den Zwangsarbeitern, denn laut Genfer Konvention von 1929 war der Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen unter bestimmten Umständen erlaubt. Allerdings waren beim Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen ganz bestimmte Regeln einzuhalten. So war auf die körperliche Eignung der Kriegsgefangenen für die zugeteilten Arbeiten Rücksicht zu nehmen, es waren bestimmte Arbeits- und Ruhezeiten einzuhalten, es durften keine Arbeiten vergeben werden, die „in unmittelbarer Beziehung zu Kriegshandlungen“ standen bzw. „unzuträglich oder gefährlich“ waren.59 Diese völkerrechtlichen Normen wurden von der Deutschen Wehrmacht im Allgemeinen nur gegenüber US-amerikanischen und britischen Kriegsgefangenen eingehalten.60 Kriegsgefangene anderer Nationen genossen den Schutz der Konvention lediglich in eingeschränkter Weise; sowjetischen und italienischen Kriegsgefangenen wurde er überhaupt vorenthalten.61 Prozentueller Anteil von Kriegsgefangenen nach Nationalitäten im Arbeitsamtsbezirk Znaim und im Reichsgau Niederdonau Mai 1944 57 Vgl. dazu allgemeine Herbert Ulrich, Der „Ausländereinsatz“. Fremdarbeiter und Kriegsgefangene in Deutschland 1939-1945 – ein Überblick, in: Herrenmensch und Arbeitsvölker. Ausländische Arbeiter und Deutsche 1939-1945. 2. Aufl., Berlin 1989, (= Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik; Bd. 3), S. 13-54, hier S. 32. 58 Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, S. 127; Herbert, Zwangsarbeiter im „Dritten Reich“, S. 23. 59 Speckner Hubert, In der Gewalt des Feindes. Kriegsgefangenenlager in der „Ostmark“ 1939 bis 1945, Wien u.a. 2003 (= Kriegsfolgen-Forschung; Bd. 3), S. 177. 60 Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, S. 99. 61 Speckner, In der Gewalt des Feindes, S. 177. 16 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% Franzosen Sowjets Jugoslawen Znaim Belgier Sonstige Niederdonau Quelle: Errechnet aus: Der Arbeitseinsatz im Gau Niederdonau (20.5.1944), S. 3. Neben der oben schon erwähnten auffallend geringen Anzahl wich die Einsatzlenkung der Kriegsgefangenen in Südmähren auch hinsichtlich der herkunftsmäßigen Zusammensetzung von derjenigen in Niederdonau signifikant ab. Im Mai 1944 stammte mehr als ein Drittel der Kriegsgefangenen im Arbeitsamtsbezirk Znaim aus Jugoslawien (36 %); ethnisch handelte es sich überwiegend um Serben. Gefangene Franzosen stellten mit 31 % die zweitgrößte Gruppe, dicht gefolgt von der großen Gruppe der „Sonstigen“ mit 27 %. Die sowjetischen und belgischen Kriegsgefangenen waren mit lediglich 5 bzw. 1 % in Südmähren nur marginal vertreten. Der Anteil der „Jugoslawen“ war im Arbeitsamtsbezirk Znaim mehr als doppelt so hoch wie jener in Niederdonau, und auch die Quote der „Sonstigen“ war in Südmähren höher. Dagegen betrug der Anteil der sowjetischen Kriegsgefangenen in Südmähren weniger als ein Drittel von jener im gesamten Reichsgau. Diese Arbeitseinsatzlenkung in Südmähren war unseres Erachtens wie schon im Falle der zivilen ausländischen Arbeitskräfte Ergebnis einer Mischung aus rassistischen und sicherheitspolizeilichen Vorstellungen einerseits und ökonomischen Motiven andererseits. Wie ein Vergleich mit der Zuweisungspraxis in Niederdonau zeigt, wurden „Jugoslawen“ weit überwiegend der Landwirtschaft zugeteilt.62 Der stark agrarisch geprägte Charakter Südmährens lässt die zahlenmäßige Dominanz der „jugoslawischen“ Kriegsgefangenen in diesem Gebiet daher plausibel erscheinen. Was die Kategorie der „sonstigen“ Kriegsgefangenen betrifft, so kann nach Betrand Perz und Florian Freund davon ausgegangen werden, dass sich hinter dieser Bezeichnung zur Gänze italienische Kriegsgefangene, so genannte „italienische Militärinternierte“ verbergen.63 Dass deren überdurchschnittlich hohe Quote in Südmähren mit sicherheitspolizeilichen Aspekten 62 63 Hornung / Langthaler / Schweitzer, Zwangsarbeit, 2002, S. 100 f. Freund / Perz, Zahlenentwicklung, 2000, S. 126 f. 17 zusammenhing, zeigte u.a. eine Äußerung des Landrates von Znaim. Dieser hielt nämlich die weitere Förderung des Einsatzes von „italienischen Militärinternierten“ für „wünschenswert, und zwar nicht nur, weil sich die Italiener gut bewähren, sondern auch v.a., weil sie keinerlei Kontakt mit der tschechischen Bevölkerung und den tschechischen Arbeitskräften finden und daher die Nachteile, wie sie vielfach bei der Zusammenarbeit der Tschechen mit Ostarbeitern, Polen oder Serben auftreten, von vornherein ausgeschaltet erscheinen.“64 Sicherheitspolitische Bedenken dürften auch für die auffallend niedrige Zuteilungsquote von sowjetischen Kriegsgefangenen nach Südmähren zumindest mitverantwortlich sein. Denn in den Augen der Nationalsozialisten zählten die Sowjets nicht nur zu den „rassisch“ minderwertigsten Völkerschaften, sondern als vermeintliche Kommunisten galten sie auch ideologischpolitisch als besonders gefährlich. Hatte sich die NS-Führung erst angesichts des immer drückender werdenden Arbeitskräftemangels für den Arbeitseinsatz sowjetischer Kriegsgefangener im Reich entschieden,65 so sollte deren Beschäftigung an der „Volkstumsgrenze“ offenbar in sehr engen Grenzen gehalten werden. Beim Arbeitseinsatz hatten die sowjetischen Kriegsgefangenen dann regelmäßig die schwersten und gefährlichsten Arbeiten auszuführen – ähnlich wie die italienischen Kriegsgefangenen, die nach dem Kriegsaustritt Italiens im Herbst 1943 den inferioren Status mit den Sowjets teilten.66 Analog zu den zivilen ausländischen Arbeitskräften unterlagen auch die Kriegsgefangenen einer rassistisch motivierten Hierarchisierung, die deren Lebensbedingungen maßgeblich beeinflusste. Ganz oben befanden sich im Allgemeinen Franzosen und Belgier. Deutlich darunter rangierten die Kriegsgefangenen aus Südost-Europa, und am unteren Ende dieser Werteskala fristeten zunächst die polnischen, dann die sowjetischen und italienischen Kriegsgefangenen ihr häufig sehr trauriges Dasein.67 Der Kontakt zwischen Kriegsgefangenen und Zivilbevölkerung war im Zuge des Arbeitseinsatzes unvermeidlich, sollte nach Ansicht der NS-Behörden aber auf das Allernötigste beschränkt bleiben. Von den Arbeitsämtern erhielten die Dienstgeber Merkblätter mit Richtlinien über das Verhalten gegenüber Kriegsgefangenen im Arbeitseinsatz,68 und mit der „Verordnung zum Schutz der Wehrkraft des deutschen Volkes“ wurde die gesetzliche Grundlage zur Bestrafung von solchen Fällen „verbotenen Umgangs“ geschaffen.69 Die Palette der begangenen 64 NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an RStH am 9.2.1944. 65 Der Arbeitseinsatz sowjetischer Kriegsgefangener im Reich war zunächst gar nicht geplant gewesen. Für diese Gefangenen war schlicht und einfach die Vernichtung vorgesehen. Allein im Winter 1941/42 waren zwei Millionen sowjetischer Kriegsgefangener durch Hunger, Krankheit und Kälte in den Frontstammlagern dem Tod preisgegeben worden; während des gesamten Zweiten Weltkriegs verstarben fast 58 % der sowjetischen Kriegsgefangenen. Erst seit Anfang 1942 begann man allmählich, sie am Leben zu erhalten. Vgl. dazu Streit Christian, Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945, Stuttgart 1978, S. 128-187; Speckner Hubert, Kriegsgefangenenlager in der „Ostmark“ 1939-1945. Zur Geschichte der Mannschaftsstammlager und Offizierslager in den Wehrkreisen XVII und XVIII, Wien phil. Diss. 1999, S. 269 f. 66 So die allgemeine Einschätzung durch Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, S. 104. 67 Speckner, Kriegsgefangenenlager in der „Ostmark“ 1939-1945, S. 240 f. 68 Der Inhalt dieses Merkblatts ist abgedruckt in: NÖLA, Außendepot Bad Pirawarth, BH Krems, Gr. XI/153-172, Zl. 295/1941, Schreiben der NSDAP Kreisleitung Krems, Organisationsamt, an alle Ortsgruppenleiter vom 10.12.1942. 69 Reichsgesetzblatt I (1939) 2319; ergänzend Reichsgesetzblatt I (1940) 769. 18 Strafhandlungen reichte von der Überlassung einer Zigarette oder eines Butterbrotes über die Weiterleitung von Briefen bis hin zu geschlechtlichen Beziehungen.70 Von empfindlicher Strafe bedroht waren in solchen Fällen allerdings beide Seiten, und zur Vertuschung intimer Kontakte waren die Betroffenen mitunter bereit, sehr weit zu gehen. So erstattete etwa der Landrat von Nikolsburg im April 1944 Anzeige gegen zwei Bäuerinnen, die mit Kriegsgefangenen geschlechtlich verkehrt und ihre „Leibesfrucht“ dann abgetrieben hätten. Erschwerend ins Gewicht fiel hier noch, dass die Ehemänner der beiden Frauen zur Wehrmacht eingerückt waren.71 Generalisierend lässt sich für das Verhältnis zwischen Kriegsgefangenen und Zivilbevölkerung fest halten, dass die rassistische Hierarchisierung der NS-Ideologie mit den Vorurteilsstrukturen der Bevölkerung häufig übereinstimmte72. „Ungarische Juden“ Schon kurz vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Ungarn im März 1944 hatte Adolf Eichmann seine engsten Mitarbeiter nach Mauthausen berufen, um mit ihnen die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Ungarn zu planen.73 Der weiter dramatisch angestiegene Arbeitskräftebedarf im Reich gebot jedoch die Nutzbarmachung sämtlicher verfügbarer Kräfte, sodass sich die NS-Spitze zu einem in gewisser Weise paradoxen Schritt durchrang: Man holte aus wirtschaftlichen Gründen Angehörige jener stigmatisierten Bevölkerungsgruppe ins Land, die zu vertreiben man sich seit Jahren intensiv bemüht hatte. Der Einsatz „ungarischer Juden“ im Reich musste daher von Hitler persönlich genehmigt werden.74 Ende Juni 1944 waren etwa 15.000 „ungarische Juden“ nach Strasshof im niederösterreichischen Bezirk Gänserndorf gebracht worden.75 Sie bildeten den Gegenstand schwieriger Verhandlungen zwischen SS-Kreisen um Adolf Eichmann und ungarischen Zionisten um Dr. Rezsö Kasztner. Letztere versuchten Juden und Jüdinnen aus Ungarn zu retten, indem sie der SS einen Handel „Blut gegen Ware“ anboten.76 Eichmann gedachte diese Menschen als Faustpfand zu benützen und wies sie dem „Arbeitseinsatz“ in Wien und Niederdonau zu. 8.700 bis 8.800 Personen wurden dann in zumeist kleineren Gruppen auf mindestens 170 Orte in Niederdonau verteilt.77 In den Kreisen Neubstritz, Znaim und Nikolsburg sind bislang 23 70 Die ganze Bandbreite dieser „Delikte“ findet sich in den Beständen der Kreisgerichte St. Pölten, Krems, Korneuburg und Wiener Neustadt in NÖLA, Außendepot Bad Pirawarth, sowie im Bestand „Sondergericht“ des Wiener Stadt- und Landesarchivs. 71 NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH am 18.4.1944. 72 So der allgemeine Befund von Herbert, Fremdarbeiter, S. 142. 73 Lappin Eleonore, Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in Wien 1944/45, in: Keil Martha / Klaus Lohrmann (Hg.), Studien zur Geschichte der Juden in Österreich, Wien u.a. 1994, (= Handbuch zur Geschichte der Juden in Österreich; Reihe B, Bd. 2), S. 140-167, hier S. 141. 74 Herbert Ulrich, Arbeit und Vernichtung. Ökonomisches Interesse und Primat der „Weltanschauung“ im Nationalsozialismus, in: Ders. (Hg.), Europa und der „Reichseinsatz“. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938-1945, Essen 1991, S. 384-426, hier S. 413. 75 Szita Szabolcs, Verschleppt, verhungert, vernichtet. Die Deportation von ungarischen Juden auf das Gebiet des annektierten Österreich 1944-1945. Wien 1999, S. 49 f. 76 Ebenda, S. 32; das Zitat findet sich in Broser Vera, Der Weg ungarischer Juden nach Niederösterreich 1944 bis 1945. Das Lager Felixdorf. Mit einem Beitrag von Monika Plainer, Wien 1990, S. 24. 77 Szita, Verschleppt, 1999, S. 148-169. Hier finden sich auch eine Auflistung dieser Ortschaften und – soweit bekannt – der Dienstgeber, der Art der zu verrichtenden Tätigkeit sowie der Errichtung und Auflösung der Lager. 19 Ortschaften bekannt, in denen „ungarische Juden“ aus dem Durchgangslager Strasshof Zwangsarbeit leisten mussten.78 Familien blieben häufig zusammen, auch Alte und nicht Arbeitsfähige wurden im Allgemeinen nicht selektiert.79 Die „ungarischen Juden“ galten dezidiert als Häftlinge der Gestapo. Es wurde ihnen ein Sonderstatus zugewiesen, der sie zu einer der am meisten diskriminierten Gruppen im „Dritten Reich“ machte. Einzeleinsatz kam für sie nicht in Frage, sie mussten immer in Kolonne arbeiten.80 Untergebracht in kleinen improvisierten Lagern in der Nähe ihrer Arbeitsplätze,81 arbeiteten sie in Südmähren beim Gleisbau, in Gutsbetrieben, in der Forstwirtschaft, in Steinbrüchen, in Zement-, Tonwaren-, Konserven- und Zuckerfabriken, bei Flussregulierungen, in Ziegeleien, beim Straßenbau.82 Eine große Gruppe von insgesamt 180 Personen leistete etwa in Joslowitz auf einem gräflichen Landgut Zwangsarbeit,83 und auch beim Forstamt Neubistritz standen mehr als 100 ungarisch-jüdische Frauen und Männer im Einsatz.84 Für die Errichtung und Sicherung der „Judenlager“ waren die jeweiligen „Arbeitgeber“ verantwortlich. In einem „Merkblatt für Betriebsführer“ hieß es, dass die Unterkünfte nach Art der Kriegsgefangenen-Quartiere gesichert sein sollten; Stacheldrahtumzäunung sei nicht erforderlich.85 Vielfach gab es Lager, die nicht bewacht waren.86 Organisatorisch waren die „Judenlager“ zwar der SS unterstellt, für die Aufrechterhaltung der den Insassen aufoktroyierten Ordnung hatten aber sogenannte „Judenpolizisten“ zu sorgen. Diese kurz „Jupos“ genannten Ordnungskräfte waren de facto Geiseln der SS und hafteten mit ihrem Leben für die Einhaltung der Lagerregeln.87 Sie waren u.a. dafür verantwortlich, dass die Lagerinsassen nicht mit der einheimischen Bevölkerung in Kontakt traten und außerhalb der Arbeitszeit das Lager nicht verließen. Sie hatten u.a. die Kolonne der Arbeitsfähigen zur und von der Arbeit zu führen und dafür zu sorgen, dass alle Insassen den „Judenstern“ trugen.88 Trotz des drückenden Arbeitskräftemangels in ihren Kreisen überwogen bei den Landräten in Südmähren aber die Bedenken gegen den Arbeitseinsatz der „ungarischen Juden“. Sie beklagten den hohen Anteil an arbeitsunfähigen Alten und Kindern,89 und der Landrat von Znaim kritisierte die seiner Ansicht nach 78 Ebenda. Szita, Verschleppt, S. 129. 80 Richtlinien über die Behandlung ungarischer Juden vom 9.8.1944, in: Eichbauer Werner, Die „Judenlager“ von Wiener Neustadt, Felixdorf und Lichtenwörth, Neulengbach unveröffentlichte Forschungsarbeit am Institut für Zeitgeschichte der Univ. Wien 1987, Anhang 4. 81 Szita Szabolcs, Ungarische Zwangsarbeiter in Niederösterreich (Niederdonau) 1944/45, in: Unsere Heimat 63 (1992) 31-50, hier S. 36. 82 Szita, Verschleppt, S. 150-169. 83 Ebenda, S. 157. 84 Ebenda, S. 160. 85 Richtlinien über die Behandlung ungarischer Juden vom 9.8.1944, in: Eichbauer, „Judenlager“, 1987, Anhang 4. 86 Szita, Verschleppt, S. 130. 87 Lappin, Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in Wien, in: Keil / Lohrmann (Hrsg.), Studien, 1994, S. 140-167, hier S. 153. 88 Richtlinien über die Behandlung ungarischer Juden vom 9.8.1944, in: Eichbauer, „Judenlager“, 1987, Anhang 4. 89 NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH am 14.8.1944; NÖLA, RStH, Ia-1, Zl. 240/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an den RStH am 9.9.1944; ebenda, Ia-1, Zl. 240/1944, Schreiben des Landrates 79 20 unzulängliche Arbeitsleistung der Übrigen. Diese seien körperliche Arbeit nicht gewohnt, denn es handle sich durchwegs um „Händler-Gewerbetreibende, Lehrer, Ärzte usw.“.90 Der Landrat von Nikolsburg wiederum verwies darauf, dass sich der Einsatz der Juden „stimmungsmäßig und in politischer Hinsicht recht nachteilig auswirkt. Die alten gebrechlichen Juden oder Jüdinnen lösen falsche Barmherzigkeit bei der Bevölkerung aus und insbesondere sind es die Tschechen, die Verbindung zu den Juden anknüpfen und diese falsche Barmherzigkeit weitestgehend propagieren.“91 Gerade aus letzteren Gründen hätte der Landrat am liebsten die Entfernung der Juden aus seinem Kreis gesehen, doch erforderte die bevorstehende Rübenernte deren Einsatz.92 Auch der Leiter des Forstamtes Neubistritz beklagte die geringe körperliche Eignung der ihm zugewiesenen 126 „ungarischen Juden“ und ersuchte, diese noch vor Einbruch des Winters wieder abzuziehen und ihm andere Arbeitskräfte zuzuweisen.93 Im Herbst 1944 war für Teile der in der Landwirtschaft tätigen ungarischen Häftlinge der „Arbeitseinsatz“ zu Ende, und die Insassen mehrerer Lager wurden ins KZ Bergen-Belsen deportiert.94 Gegen Kriegsende wurden weitere Gruppen ungarischer Juden und Jüdinnen nach Theresienstadt verbracht, wieder andere erlebten ihre Befreiung noch in den Arbeitslagern.95 Zusammenfassung Bei der Interpretation der „Arbeitseinsatzpolitik“ in den Kreisen Neubistritz, Znaim und Nikolsburg sind vor allem zwei grundlegende Komponenten in Betracht zu ziehen: die agrarisch-kleinbetriebliche Wirtschaftsstruktur Südmährens und das erhöhte Sicherheitsbedürfnis der Nationalsozialisten in dieser „volkstumspolitisch gefährdeten“ Region. Der Widerstreit zwischen rassistischer Ideologie und ökonomischer Notwendigkeit als das wesentliche Charakteristikum der NSArbeitskräftepolitik prägte hier den „Ausländereinsatz“ in besonderer Weise, erforderte hier teilweise andere Antworten als im übrigen Gaugebiet von Niederdonau. Die rigiden „rassenpolitischen“ Grundsätze, die zu Kriegsbeginn von Himmler in dessen Eigenschaft als „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ für die „Volkstumsgrenze“ formuliert worden waren, konnten aus kriegswirtschaftlichen Gründen jedenfalls nicht vollständig umgesetzt werden. Nach formal-rechtlichen Kriterien lassen sich in Südmähren drei Gruppen von zwangsweise Beschäftigen unterscheiden: zivile ausländische Arbeitskräfte, Kriegsgefangene und „ungarische Juden“, wobei letztere erst gegen Kriegsende nach Südmähren deportiert wurden. In einer auf Basis des zur Verfügung stehenden Materials nicht näher zu gewichtenden Mischung aus „rassenpolitisch“des Kreises Nikolsburg an den RStH am 30.8.1944; ebenda, Ia-1, Zl. 240/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an den RStH am 24.8.1944. 90 NÖLA, RStH, Ia-1, Zl. 240/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an den RStH am 24.8.1944. 91 Ebenda, Ia-1, Zl. 240/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an den RStH am 30.8.1944. 92 Ebenda. 93 NÖLA, RStH, Ia-1, Zl. 240/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an den RStH am 9.9.1944. 94 Szita, Ungarische Zwangsarbeiter, in: Unsere Heimat 63 (1992), S. 31-50, hier S. 42. 95 Lappin Eleonore, Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in Österreich 1944/45, in: Keil Martha / Eleonore Lappin (Hrsg.), Studien zur Geschichte der Juden in Österreich, Bodenheim 1997 (= Handbuch zur Geschichte der Juden in Österreich; Reihe B, Bd. 3), S. 141-168, hier S. 146. 21 sicherheitspolizeilichen und wirtschaftsstrukturell bedingten Gründen wurden an der nördlichen „Volkstumsgrenze“ von Niederdonau überdurchschnittlich viele ausländische Frauen und signifikant wenige Kriegsgefangene beschäftigt. Auch die Vielfalt der eingesetzten Nationalitäten war unterdurchschnittlich. Diese Zuweisungspraxis sollte die „Reinhaltung der deutschen Frau bzw. Rasse“ ebenso gewährleisten helfen wie die Hintanhaltung politischer und jeglicher anderer Form von Kriminalität; sie ergab sich aber auch aus der agrarisch-kleinbetrieblichen Wirtschaftsstruktur v.a. in den Kreisen Znaim und Nikolsburg. Unter den zivilen ausländischen Arbeitskräften stellten Tschechen und Tschechinnen aus dem benachbarten Protektorat den Hauptanteil, gefolgt von Polinnen und Polen sowie von „Ostarbeiterinnen“ und „Ostarbeitern“. Der Wirtschaftsstruktur Südmährens entsprechend, waren die meisten Zwangsarbeiter in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt, und gerade im Agrarbereich war der Überhang von Frauen besonders ausgeprägt. Dies hatte freilich auch geschlechterideologische Hintergründe, denn Frauen galten den NS-Behörden generell als für landwirtschaftliche Tätigkeiten besonders geeignet. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der zivilen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen erwiesen sich als höchst unterschiedlich. Sie waren maßgeblich bestimmt von der rassistischen Hierarchisierung durch die NS-Ideologie. „Westarbeiter“ fanden günstigere Rahmenbedingungen vor als etwa Tschechen oder Serben. Am untersten Ende der NS-Werteskala befanden sich polnische und sowjetische Arbeitskräfte. Gegen sie wurden besonders diskriminierende Bestimmungen erlassen, und diese Gruppen von Ausländern fanden im Allgemeinen auch die schlechtesten Lebenschancen vor. So waren Polen und „Ostarbeiter“ während ihres gesamten Zwangsarbeitseinsatzes in Südmähren unzureichend mit Bekleidung und Schuhwerk ausgestattet, und die v.a. in den Städten mangelhafte Versorgung der „Ostarbeiter“ mit Nahrungsmitteln ließ die Überlebenskriminalität ansteigen. Die von den Nationalsozialisten angestrebte feinsäuberliche Trennung zwischen Deutschen, „Fremdvölkischen“ und Tschechen war insbesondere im landwirtschaftlichen Alltag kaum durchsetzbar. Tradierten bäuerlichen Denkmustern folgend, zog der Einschluss in die Betriebe vielfach auch jenen in die Haushalte nach sich und machte so die Knüpfung vielfältiger Beziehungen zwischen „Einheimischen“ und „Fremden“ möglich. Dennoch sollte dieses partielle Abweichen der deutschen Zivilbevölkerung von der nationalsozialistischen Norm nicht als Widerstand in einem umfassenden Sinn interpretiert werden. Denn an der grundsätzlichen Übereinstimmung mit zentralen Elementen nationalsozialistischer Ideologie und Politik änderten diese punktuellen Divergenzen wenig. Die Kriegsgefangenen stellten auch in Südmähren die zweitgrößte Gruppe an ausländischen Beschäftigten. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der ausländischen Arbeitskräfte war hier aber weit unterdurchschnittlich. Nach ihrer Herkunft dominierten im Arbeitsamtsbezirk Znaim die Serben, gefolgt von Franzosen. Nach dem Kriegsaustritt Italiens im September 1943 wurden auch zahlreiche italienische Kriegsgefangene als so genannte „Militärinternierte“ zum „Arbeitseinsatz“ nach Südmähren gebracht. Sie stellten dann sogar die drittgrößte Gruppe und waren bei den NS-Machthabern u.a. wegen ihrer Verständigungsprobleme mit den anderen „Fremdvölkischen“ und dem daraus resultierenden geringeren Sicherheitsrisiko besonders beliebt. Ebenso wie im Falle der zivilen ausländischen Arbeitskräfte kam es aber auch zwischen Kriegsgefangenen und Deutschen immer wieder zu Überschreitungen der vom Regime vorgeschriebenen Distanz. 22 Gegen Kriegsende war der Arbeitskräftebedarf der deutschen Wirtschaft derart angewachsen, dass nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Ungarn auch „ungarische Juden“ ins Reich geholt wurden. Eine Gruppe von ihnen wurde zunächst nach Strasshof im Osten von Niederdonau deportiert und von dort auf mindestens 170 Ortschaften in alle Teile des Gaus aufgeteilt. Diese Menschen dienten der SS als Faustpfand bei Verhandlungen mit zionistischen Kreisen und den Alliierten. Bislang sind in Südmähren 23 Einsatzorte „ungarischer Juden“ bekannt. Über ihr quantitatives Ausmaß sind derzeit noch keine gesicherten Aussagen möglich. Sie arbeiteten in verschiedenen Bereichen der Industrie und in der Landund Forstwirtschaft. Als Häftlinge der Gestapo zählten sie zu den am meisten diskriminierten Bevölkerungsgruppen und durften daher auch in der Landwirtschaft nur in Kolonne eingesetzt werden. Ende 1944 wurde ein Teil von ihnen ins KZ Bergen-Belsen verbracht, ein weiterer später nach Theresienstadt deportiert. [Dr. Stefan Eminger, wissenschaftlicher Mitarbeiter des NÖ Instituts für Landeskunde und des NÖ Landesarchivs]