„Volkstumsgrenze“. Zivile ausländische Arbeitskräfte

Werbung
Zwangsarbeit an der „Volkstumsgrenze“. Zivile ausländische Arbeitskräfte,
Kriegsgefangene und „ungarische Juden“ in Südmähren.
Einleitung
Mitte April 1940 verfasste der ehemalige „Reichskommissar für die
Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ und Gauleiter von Wien,
Josef Bürckel,1 ein Schreiben an Hermann Göring.2 Bürckel wandte sich darin gegen
eine Anordnung des Reichsführers SS und „Reichskommissars für die Festigung
deutschen Volkstums“ Heinrich Himmler, welcher im Einvernehmen mit dem
Reichsarbeitsminister die „Freihaltung volkstumspolitisch gefährdeter Bezirke von
ausländischen Arbeitskräften“ erlassen hatte.3 Betroffen von Himmlers Verfügung
waren unter anderem die südmährischen Kreise Neubistritz, Znaim und Nikolsburg,
in welchen der Einsatz polnischer, im Falle Nikolsburgs auch die Beschäftigung
slowakischer Arbeitskräfte verboten wurde. Bürckel führte dagegen vor allem
ökonomische, teils aber auch soziokulturelle Argumente ins Treffen. In diesen
überwiegend agrarisch geprägten Regionen sei der Einsatz ausländischer
Arbeitskräfte „seit jeher“ üblich, und die bäuerliche Bevölkerung sei mit dem
Umgang dieser Landarbeiter und Landarbeiterinnen vertraut. Vor allem aber sei
deren Einsatz vor dem Hintergrund des außerordentlichen Arbeitskräftemangels in
der Landwirtschaft aus ernährungspolitischen Gründen unverzichtbar, zumal es sich
um landwirtschaftliche Intensivregionen handle.4
Dieser Konflikt zwischen hochrangigen NS-Funktionären markierte präzise
den Rahmen, in den der „Ausländereinsatz“ im Deutschen Reich im Allgemeinen
und in Südmähren im Besonderen eingebettet war. Das Spannungsfeld von
rassistischer Ideologie und ökonomischem Kalkül prägte die Politik des
Ausländereinsatzes bis zum Ende des „Dritten Reiches“, und dies hatte vielfach auch
Auswirkungen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen ausländischer Arbeitskräfte
in unserem Untersuchungsgebiet. Die Nationalsozialisten hatten sich durch den von
ihnen vorbereiteten und begonnenen Krieg in eine schwierige Situation manövriert.
Vor allem seit Beginn der Phase des „Abnützungskrieges“ 1942 hatte die massive
Ankurbelung der Rüstungsindustrie bei gleichzeitig immer höheren
Rekrutierungsquoten für die Deutsche Wehrmacht einen Arbeitskräftebedarf
geschaffen, der mit Deutschen allein nicht zu befriedigen war. Als besonders
betroffen erwies sich der agrarische Sektor, denn im Zuge der Rüstungskonjunktur
waren viele Landarbeiter in die Industrien der Städte abgewandert, wo u.a. höhere
Löhne und bessere Sozialleistungen lockten.5 Vor die Alternative gestellt, vermehrt
1
Josef Bürckel war nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland als „Reichskommissar
für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ einer der einflussreichsten NSFunktionäre in der nunmehrigen „Ostmark“. Seine Tätigkeit als Reichskommissar war mit 31.3.1940
beendet; bis Anfang August 1940 blieb er noch Gauleiter von Wien.
2
Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, „Bürckel“-Materie, 44, Schreiben Bürckels
an Göring am 16.4.1940. Ich danke Dr. Ela Hornung, Dr. Sabine Schweitzer und Dr. Ernst Langthaler
für die Überlassung dieses Dokuments.
3
Ebenda.
4
Ebenda.
5
Hornung Ela / Ernst Langthaler / Sabine Schweitzer, Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in
Niederösterreich und im nördlichen Burgenland, Wien 2002, S. 90 f.
2
entweder deutsche Frauen oder Ausländer zur Arbeit heranzuziehen, entschied sich
das Regime aus sozialpolitischen und geschlechterideologischen Gründen für den
„Ausländereinsatz“.6 Gleichzeitig gab es gegen den massenhaften Einsatz
ausländischer Arbeitskräfte im Reich erhebliche Bedenken; vor allem von Seiten der
„Rassepolitiker“ in Heinrich Himmlers Reichssicherheitshauptamt. Man sah die
„Reinheit des deutschen Blutes“ in Gefahr, befürchtete „Überfremdung“,
„Vermischung“, Sabotage und Umsturz - auch und vor allem an der so genannten
„Volkstumsgrenze“ in Südmähren, wo die NS-Machthaber stets auch ein
misstrauisches Auge auf die tschechische Minderheit und die Grenzgänger aus dem
Protektorat hatten7. Der Einsatz von Ausländern schien jedoch aus
kriegswirtschaftlichen Gründen unumgänglich,8 und wie wir noch sehen werden,
wurden polnische Arbeitskräfte trotz der Verfügung Himmlers auch in Südmähren
beschäftigt.
Vorliegende Arbeit möchte einen ersten knappen Überblick über den
„Ausländereinsatz“ in den ehemaligen Kreisen Neubistritz, Znaim und Nikolsburg
geben. Sie möchte einige Spezifika ausländischer Zwangsarbeit in diesem seit
Jahrhunderten ethnisch durchmischten Gebiet herausarbeiten und den Blick auf das
breite Spektrum der Beschäftigung von Ausländern und Ausländerinnen im NS-Staat
lenken. Nach einer einleitenden Begriffsdefinition von „Zwangsarbeit“ und der
Vorstellung der verschiedenen Rekrutierungsstrategien ausländischer Arbeitskräfte
ist der Aufsatz entlang der drei formal-rechtlichen Statusmerkmale von
ausländischen Arbeitskräften in Südmähren - zivile ausländische Arbeitskräfte,
Kriegsgefangene, „ungarische Juden“ - strukturiert.
Begriff Zwangsarbeit
Die Arbeit orientiert sich am Zwangsarbeits-Begriff, wie ihn Mark Spoerer in
Anlehnung an Ulrich Herbert definiert hat. Zwangsarbeit sei demnach charakterisiert
durch drei zentrale Merkmale: durch (1) die „rechtlich institutionalisierte
Unauflöslichkeit des Arbeitsverhältnisses für eine nicht absehbare Zeitdauer“, (2) die
„geringen Chancen, nennenswerten Einfluss auf die Umstände des Arbeitseinsatzes
zu nehmen“, was vielfach schon mit der Unkenntnis der deutschen Sprache gegeben
war, und (3) die verminderten Überlebenschancen.9 Hinzuzufügen ist hier noch, dass
der größte Teil der ausländischen Arbeitskräfte nicht freiwillig zur Arbeit ins Reich
kam und schon allein deshalb als Zwangsarbeit leistend zu betrachten ist. Dennoch,
und darauf werden wir noch zurückkommen, waren die Lebens- und
Arbeitsbedingungen dieser Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen im „Deutschen
Reich“ höchst unterschiedlich.10
6
Spoerer Mark, Zwangsarbeit im Dritten Reich, Verantwortung und Entschädigung, in:
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51 (2000), S. 508-527, hier S. 511.
7
So fand das „Verhalten“ dieser Bevölkerungsgruppen in den monatlichen Lageberichten der
Landräte von Neubistritz, Znaim und Nikolsburg an den Reichsstatthalter in Niederdonau regelmäßig
Erwähnung. Niederösterreichisches Landesarchiv (NÖLA), Der Reichsstatthalter in Niederdonau
(RStH), Lageberichte 1942-1945.
8
Herbert Ulrich, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländereinsatzes“ in der
Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn 1999, S. 80.
9
Spoerer Mark, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter,
Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, Stuttgart
u.a. 2001, S. 15 f.
10
Freund Florian / Bertrand Perz, Zwangsarbeit von zivilen AusländerInnen, Kriegsgefangenen,
KZ-Häftlingen und ungarischen Juden in Österreich, in: Tálos Emmerich u.a. (Hg.), NS-Herrschaft in
Österreich. Ein Handbuch, Wien 2001, S. 644-695, hier S. 646 f.
3
Ausgehend von den genannten Merkmalen unterteilt Spoerer die
ausländischen Arbeitskräfte im „Dritten Reich“ in vier große Gruppen, die jedoch
nicht ident sind mit den formal-rechtlichen Statusmerkmalen: erstens in die zivilen
ausländischen Beschäftigten, die freiwillig ins Reich und aus ganz bestimmten
Ländern kamen - darunter sind v. a. Arbeitskräfte aus den mit Deutschland
verbündeten Staaten, dem neutralen Spanien, dem besetzten Dänemark und
vorderhand auch aus West- und Südosteuropa zu verstehen; zweitens zwangsweise
Beschäftigte mit etwas Einfluss auf ihre Existenzbedingungen und normaler bzw. nur
leicht erhöhter Sterblichkeit - gemeint sind damit Zivilarbeiter und Zivilarbeiterinnen
sowie Kriegsgefangene aus dem besetzten Westen und Südosten Europas; drittens
zwangsweise Beschäftigte ohne nennenswerten Einfluss auf ihre
Existenzbedingungen und mit deutlich überdurchschnittlicher Sterblichkeit - es
handelt sich dabei um zivile Arbeitskräfte aus Polen und der Sowjetunion, polnischnichtjüdische Kriegsgefangene und „italienische Militärinternierte“; viertens
zwangsweise Beschäftigte ohne jeglichen Einfluss auf ihre Existenzbedingungen und
mit extrem hoher Sterblichkeit - in diese Kategorie fallen polnisch-jüdische und
sowjetische Kriegsgefangene, Häftlinge von Konzentrations- und
„Arbeitserziehungslagern“ sowie jüdische Arbeitskräfte.11
Durch zwangsweise Verlängerung eines ursprünglich freiwillig
geschlossenen Arbeitsvertrags, Einweisung in Gefängnis, Zuchthaus,
„Arbeitserziehungslager“ oder Konzentrationslager sowie freiwillige oder
erzwungene Umwandlung vom Kriegsgefangenen- in den Zivilstatus konnte ein
Wechsel zwischen den Gruppen und damit auch der Eintritt in den
Zwangsarbeitsstatus erfolgen.12
Rekrutierungsstrategien
Hinsichtlich der Strategien der Rekrutierung von ausländischen
Arbeitskräften sind im Großen und Ganzen vier Grundformen zu unterscheiden, die
in der Praxis freilich häufig in vermischter Form auftraten.13 Die reine Werbung
erfolgte v. a. während der ersten Phase des Krieges und wurde überwiegend in den
verbündeten bzw. den Vasallenstaaten des Dritten Reiches durchgeführt. Zu nennen
sind hier die Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Kroatien und – bis zu dessen
Kriegsaustritt 1943 – auch Italien. Geworben wurde zunächst auch in den besetzten
Gebieten West- und Osteuropas, doch mit geringem Erfolg. Die zweite Grundform
der Rekrutierung bestand in der Werbung mit maßgeblicher Beeinflussung der
Existenzbedingungen. Das heißt, in den besetzten Gebieten wurde auf die
einheimischen Behörden und die Bevölkerung Druck ausgeübt, indem das NSRegime z.B. Maßnahmen setzte, die erhöhte Arbeitslosenziffern zur Folge hatten.
Sobald man sich aber arbeitslos meldete, lief man Gefahr, dienstverpflichtet und zum
Arbeitseinsatz nach Deutschland geschickt zu werden. Druck ausgeübt wurde auch
durch die Kürzung oder Vorenthaltung von Lebensmittelmarken oder
Sozialleistungen. Von „Freiwilligkeit“ bei der Meldung zum „Arbeitseinsatz“ kann
unter diesen Umständen wohl kaum noch gesprochen werden. Die Konskription von
Arbeitskräften durch die einheimische Verwaltung bildete die dritte Grundform. In
besetzten Gebieten wurde lokalen Verwaltungen die Stellung bestimmter
Kontingente von Arbeitskräften vorgeschrieben. Das konnte bedeuten, dass entweder
11
Ebenda, S. 16 f.
Ebenda, S. 18.
13
Zum folgenden vgl. Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, S. 37-39.
12
4
bestimmte Geburtsjahrgänge zum Arbeitseinsatz rekrutiert wurden oder die
arbeitsfähige Bevölkerung bestimmter Regionen dienstverpflichtet wurde. Die vierte
Grundform war schließlich die Deportation mittels offener Gewaltanwendung. In
Polen und der Sowjetunion erfolgten fast von Beginn an gewaltsame Deportationen.
Im Extremfall waren das regelrechte Razzien. Dabei wurden etwa Fußballstadions,
Lokale, Kinos, Kirchen, Stadtteile oder Dörfer umstellt, die arbeitsfähige
Bevölkerung herausgefiltert und zum „Arbeitseinsatz“ ins Reich verschickt.14
Zur Größenordnung des „Ausländereinsatzes“ in Südmähren
Statistisches Material zum Arbeitseinsatz in unserem Untersuchungsgebiet
existiert nur für die Kreise Znaim und Nikolsburg. Diese beiden Bezirke bildeten den
Arbeitsamtsbezirk Znaim, für den hinsichtlich der zivilen in- und ausländischen
Beschäftigten und der Kriegsgefangenen recht detaillierte Zahlen zur Verfügung
stehen.15 Was die zahlenmäßig kleinste Gruppe der ungarischen Juden und Jüdinnen
betrifft, liegen bislang nur sehr lückenhafte quantitative Angaben vor.
Zivile in- und ausländische Arbeitskräfte und Kriegsgefangene in Niederdonau und
im Arbeitsamtsbezirk Znaim 1941-1944
Niederdonau
Inländische Arbeitskräfte
Zivile ausländische
Arbeitskräfte
Kriegsgefangene
Gesamt
Aug.41
344.561
79,0%
54.521
12,5%
37.099
8,5%
436.181
100,0%
Aug.42
323.096
70,9%
90.303
19,8%
42.418
9,3%
455.817
100,0%
Aug.43
343.179
66,0%
136.101
26,2%
41.033
7,9%
520.313
100,0%
Mai.44
335.249
63,6%
144.223
27,4%
47.578
9,0%
527.050
100,0%
Aug.41
26.445
77,2%
6.463
18,9%
1.365
4,0%
34.273
100,0%
Aug.42
25.035
67,4%
10.536
28,4%
1.578
4,2%
37.149
100,0%
Aug.43
28.977
67,2%
12.818
29,7%
1.354
3,1%
43.149
100,0%
Mai.44
27.913
64,8%
13.553
31,5%
1.594
3,7%
43.060
100,0%
Znaim
Quelle: Der Arbeitseinsatz im Gau Niederdonau. Statistisches Mitteilungsblatt des Gauarbeitsamts
Niederdonau (20.5.1944), S. 4.
Vergleichen wir die jeweiligen Anteile von zivilen in- und ausländischen
Arbeitskräften und Kriegsgefangenen in Südmähren mit jenen im gesamten
Reichsgau, so springt v.a. der deutlich geringere Anteil der Kriegsgefangenen im
Arbeitsamtsbezirk Znaim ins Auge. Diese niedrige Quote wurde in Südmähren durch
den relativ höheren Anteil an zivilen ausländischen Arbeitskräften wettgemacht,
denn die Anteile der inländischen Arbeitskräfte waren zwischen 1941 und 1944 in
Niederdonau und Südmähren ungefähr gleich hoch. Wir können dies als ersten
Hinweis auf sicherheitspolitische Motive der Arbeitseinsatzlenkung im
„volkstumspolitisch gefährdeten“ Norden des Gaues Niederdonau betrachten.
Insgesamt arbeiteten im Mai 1944 mehr als 13.500 zivile ausländische Arbeitskräfte
und fast 1.600 Kriegsgefangene im Arbeitsamtsbezirk Znaim. Das heißt, auch wenn
wir die ungarischen Juden und Jüdinnen nicht berücksichtigen, kam im Schnitt auf
etwa zwei inländische eine ausländische Arbeitskraft.
14
15
Ebenda, S. 39.
Der Kreis Neubistritz zählte zum Arbeitsamtsbezirk Gmünd.
5
Zivile ausländische Arbeitskräfte
Die formal-rechtliche Kategorie der zivilen ausländischen Arbeitskräfte
umfasste sehr unterschiedliche Gruppen von Beschäftigten. Unter dieser
Bezeichnung wurden überwiegend zwangsweise, teils aber auch freiwillig
beschäftigte ausländische Arbeitskräfte subsumiert.
Zivile ausländische Arbeitskräfte im Arbeitsamtsbezirk Znaim sowie Frauenquoten in
Znaim und Niederdonau (ND) 1941-1944
9.000
50%
8.335
8.094
45%
40%
7.000
6.280
6.160
6.000
35%
5.525
5.128
5.034
5.000
5.218
4.376
4.000
3.000
30%
25%
3.792
3.674
3.529
20%
2.904
Frauenquoten
Anzahl Männer und Frauen
8.000
15%
2.312
2.000
10%
1.000
5%
-
0%
Sep.41
Jän.42
Männer
Aug.42
Frauen
Dez.42
Jun.43
Frauenquote Znaim
Feb.44
Mai.44
Frauenquote ND
Quelle: Der Arbeitseinsatz im Landesarbeitsamtsbezirk Wien-Niederdonau. Hrsg. vom
Landesarbeitsamt Wien-Niederdonau (20.10.1941), S. 9; ders. (20.2.1942), S. 7; ders. (20.12.1942), S.
8 f.; ders. (20.1.1943), S. 10; ders. (20.7.1943), S. 2; Der Arbeitseinsatz im Gau Niederdonau.
Statistisches Mitteilungsblatt des Gauarbeitsamts Niederdonau (20.2.1944), S. 2; ders. (20.5.1944), S.
2.
Insgesamt ist für den Arbeitsamtsbezirk Znaim festzuhalten, dass – abgesehen
von den saisonalen Schwankungen - die Anzahl der zivilen ausländischen
Arbeitskräfte zwischen 1941 und 1944 fast ständig zunimmt. Der geradezu
sprunghafte Anstieg zwischen Jänner und August 1942 war auf das Eintreffen der so
genannten „Ostarbeiter“ seit dem Frühjahr 1942 zurückzuführen16, von denen der
allergrößte Teil in die Land- und Forstwirtschaft vermittelt wurde.17 Die Rückgänge
in den Wintermonaten 1941/42 und 1942/43 waren einesteils wohl auf tschechische
und slowakische landwirtschaftliche Wanderarbeiter und –arbeiterinnen
16
Die Bezeichnung „Ostarbeiter“ umfasste in ethnischer Hinsicht v.a. Ukrainer, Russen und
Weißrussen sowie andere Bevölkerungsgruppen der ehemaligen Sowjetunion mit Ausnahme der
Polen, Letten und Esten. Vgl. Freund Florian / Bertrand Perz, Die Zahlenentwicklung der
ausländischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich
1939-1945, Wien 2000, S. 13.
17
Der Arbeitseinsatz im Landesarbeitsamtsbezirk Wien-Niederdonau (20.10.1942), S. 15.
6
zurückzuführen, die ihren Dienst erst wieder im Frühjahr antraten, andernteils auf
vorübergehende überregionale Umsetzungen in die Industrie18.
Besonders augenfällig ist jedoch die durchgehend höhere Frauenquote in
Südmähren im Vergleich zum übrigen Niederdonau (ND). Bewegte sich der Anteil
der Frauen unter den zivilen ausländischen Arbeitskräften im Arbeitsamtsbezirk
Znaim zwischen 39 % und 47 %, so machte die Frauenquote im Durchschnitt von
Niederdonau lediglich 26 % bis 34 % aus. Wir können dahinter sicherheitspolitische
und rassistische, aber auch wirtschaftsstrukturell und geschlechterideologisch
bedingte Ursachen für diese Diskrepanz vermuten. An der „Volkstumsgrenze“ im
Norden wurden demnach statt (männlichen) Kriegsgefangenen v.a. zivile
ausländische Frauen beschäftigt, wodurch den NS-Machthabern die „Reinheit der
deutschen Frau“ bzw. der deutschen „Rasse“ und die sicherheitspolizeiliche Lage
besser gesichert schien. Gleichzeitig aber wurden von den NS-Behörden
ausländische Frauen generell häufiger in die Landwirtschaft als in die Industrie
vermittelt, da man Frauen, vor allem jene der „Ostvölker“, für die Verrichtung
landwirtschaftlicher Arbeiten als besonders geeignet hielt.19 Für den agrarisch
geprägten Arbeitsamtsbezirk Znaim war ein höherer Frauenanteil auch deshalb
durchaus zu erwarten20.
9.000
90%
8.000
80%
7.000
70%
6.000
60%
5.000
50%
4.000
40%
3.000
30%
2.000
20%
1.000
10%
-
0%
Sep.41
Jän.42
Männer
Aug.42
Frauen
Dez.42
Jun.43
Agrarquote Männer
Feb.44
Agrarquoten
Anzahl Männer und Frauen
Zivile ausländische Männer und Frauen im Arbeitsamtsbezirk Znaim sowie
Agrarquoten 1941-1944
Mai.44
Agrarquote Frauen
Quelle: Der Arbeitseinsatz im Landesarbeitsamtsbezirk Wien-Niederdonau. Hrsg. vom
Landesarbeitsamt Wien-Niederdonau (20.10.1941), S. 9; ders. (20.2.1942), S. 7; ders. (20.12.1942), S.
18
NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10/1942, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an RStH
am 10.12.1942; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an RStH am
11.1.1943.
19
Hornung / Langthaler / Schweitzer, Zwangsarbeit, 2002, S. 107 f.
20
Laut Volkszählung vom 17.5.1939 waren in den Kreisen Znaim und Nikolsburg 48,5 % bzw.
49,5 % der Wohnbevölkerung in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt. Der Durchschnitt für
Niederdonau betrug 41,9 %. Vgl. Statistische Übersichten für den Reichsgau Niederdonau.
Zusammengestellt vom Statistischen Amt für die Reichsgaue der Ostmark. Wien 1941, S. 6 f.
7
8 f.; ders. (20.1.1943), S. 10; ders. (20.7.1943), S. 2; Der Arbeitseinsatz im Gau Niederdonau.
Statistisches Mitteilungsblatt des Gauarbeitsamts Niederdonau (20.2.1944), S. 2; ders. (20.5.1944), S.
2.
Der überwiegend landwirtschaftlichen Struktur des Arbeitsamtsbezirks
entsprechend, wurden zwischen 58 % und 73 % der ausländischen Arbeitskräfte der
Land- und Forstwirtschaft zugewiesen.21 Frauen wiesen dabei einen fast
durchgehend höheren Zuweisungsgrad auf als Männer. Die Bedingungsfaktoren
dafür sind hier in den eben genannten geschlechterideologischen und rassistischen
Motiven zu suchen. Gemäß einer langen und einflussreichen konservativen
Denktradition galten Frauen auch den Nationalsozialisten für landwirtschaftliche
Tätigkeiten geeigneter; ihnen wurde ein höherer Grad an „Naturhaftigkeit“
zugeschrieben als Männern, die grundsätzlich häufiger in der Industrie eingesetzt
wurden22. Die rassistische Komponente der Zuweisungspraxis von zivilen
ausländischen Arbeitskräften hing mit der spezifischen Beschaffenheit der
südmährischen Landwirtschaft zusammen. Aufgrund der überwiegend
kleinbetrieblichen Struktur der Agrarwirtschaft in Südmähren standen die
ausländische Arbeitskräfte vornehmlich im Einzeleinsatz und waren zumeist auch
beim jeweiligen Bauern23, bei der jeweiligen Bäuerin untergebracht. Ständige
Kontakte mit den deutschen Betriebsleitern und –leiterinnen, mit deren
Familienangehörigen und allfälligen deutschen Knechten und Mägden waren die
Folge. Auch um die daraus resultierenden vermeintlichen „rassenpolitischen
Gefahren“ zu minimieren, setzten die NS-Machthaber in diesem Wirtschaftsbereich
auf den verstärkten Einsatz ausländischer Frauen.
Signifikant waren zudem die saisonalen Schwankungen der Anzahl der
ausländischen land- und forstwirtschaftlichen Arbeitskräfte. Um eine größtmögliche
Ausbeutung ihrer Arbeitskraft zu gewährleisten und um die Reproduktionskosten der
bäuerlichen Dienstgeber gering zu halten, wurden sie jeden Winter zu Arbeiten in der
Rüstungsindustrie abgezogen, um dann zu Frühlingsbeginn wieder der Feldarbeit
zugewiesen zu werden.24 Die seit Sommer 1942 stärkeren Schwankungen der
Agrarquoten der Frauen zwischen Winter und Sommer zeigen, dass diese in höherem
Ausmaß als Verschubmasse benützt wurden als Männer.25
21
Eigene Berechnungen nach: Der Arbeitseinsatz im Landesarbeitsamtsbezirk WienNiederdonau. Hrsg. vom Landesarbeitsamt Wien-Niederdonau (20.10.1941), S. 9; ders. (20.2.1942),
S. 7; ders. (20.12.1942), S. 8 f.; ders. (20.1.1943), S. 10; ders. (20.7.1943), S. 2; Der Arbeitseinsatz im
Gau Niederdonau. Statistisches Mitteilungsblatt des Gauarbeitsamts Niederdonau (20.2.1944), S. 2;
ders. (20.5.1944), S. 2.
22
Diese geschlechterspezifische Zuweisungspraxis betonen auch Hornung / Langthaler /
Schweitzer, Zwangsarbeit, 2002, S. 104, 107 f.
23
Laut Betriebszählung vom 17.5.1939 betrugen die zahlenmäßigen Anteile der Betriebe bis
unter 5 ha Gesamtfläche im Kreis Znaim 70,3 % und im Kreis Nikolsburg 76,8 %. Der Durchschnitt
im Reichsgau Niederdonau belief sich auf 56 %. Siehe dazu: Die land- und forstwirtschaftlichen
Betriebe im Reichsgau Niederdonau nach den Ergebnissen der im Deutschen Reich am 17. Mai 1939
durchgeführten landwirtschaftlichen Betriebszählung. Hrsg. vom Statistischen Amt für die Reichsgaue
der Ostmark. Wien 1941, S. 12, 14.
24
NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10/1942, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an RStH
am 10.12.1942; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an RStH am
11.1.1943; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH am
7.12.1943.
25
Dieser Befund gilt grundsätzlich auch für ganz Niederdonau. Vgl. dazu Hornung / Langthaler /
Schweitzer, Zwangsarbeit, 2002, S. 109.
8
Prozentuelle Anteile ziviler ausländischer Arbeitskräfte nach Herkunftsländern im
Arbeitsamtsbezirk Znaim und Niederdonau im Juli 1942
40%
35%
30%
25%
20%
15%
10%
5%
0%
"Ostarbeiter"
GG
Slowakei
Znaim
Protektorat
Frankreich
Sonstige
Niederdonau
Quelle: Errechnet aus: Der Arbeitseinsatz im Landesarbeitsamtsbezirk Wien-Niederdonau
(20.8.1942), S. 8 f.
Nach Herkunftsländern dominierten im Arbeitsamtsbezirk Znaim während
der gesamten zweiten Kriegshälfte Tschechen und Tschechinnen aus dem
angrenzenden Protektorat. Zwischen 1942 und 1944 nahm deren Anteil sogar bis auf
47 % aller zivilen ausländischen Arbeitskräfte im Bezirk zu. Der zweitgrößte Anteil
entfiel auf Polinnen und Polen aus dem so genannten Generalgouvernement (GG).
Weder 1942 und schon gar nicht 1944 wich die Quote der Polen in
Arbeitsamtsbezirk Znaim von jener im Gau signifikant ab. Dies zeigt, dass zumindest
an der nördlichen „Volkstumsgrenze“ von Niederdonau rigide „rassenpolitische“
Grundsätze zugunsten einer von wirtschaftlichen Notwendigkeiten geprägten Politik
zurücktreten mussten.
Prozentuelle Anteile ziviler ausländischer Arbeitskräfte nach Herkunftsländern im
Arbeitsamtsbezirk Znaim und in Niederdonau im Juni 1944
9
50%
45%
40%
35%
30%
25%
20%
15%
10%
5%
0%
"Ostarbeiter"
GG
Slowakei
Znaim
Protektorat
Frankreich
Sonstige
Niederdonau
Quelle: Errechnet aus: Der Arbeitseinsatz im Gau Niederdonau (20.7.1944), S. 3.
Der Vergleich zur Situation im gesamten Reichsgau Niederdonau macht eine
weitere Facette der spezifischen Zuweisungspraxis der NS-Behörden in Südmähren
deutlich. War der Zuwachs an zwangsweise Beschäftigten im Gau v.a. auf die
vermehrte Rekrutierung von „Ostarbeitern“ und „Ostarbeiterinnen“ zurückzuführen,
so wurden in Südmähren bis 1944 mehr und mehr Protektoratsangehörige
dienstverpflichtet26. Beide Gruppen waren den NS-Machthabern in Südmähren
höchst verdächtig. Die „Protektoratsangehörigen“, vor allem deshalb, weil sie
ständig in Verdacht standen, mit der ansässigen tschechischen Minderheit bzw. vor
allem mit slawischen Zwangsarbeitern „volks- und staatsfeindlich“ zu konspirieren,27
und die „Ostarbeiter“ aus „rassischen“, politischen und sicherheitspolizeilichen
Gründen. Vor die Wahl gestellt, welche der beiden inkriminierten Gruppen den
kriegsbedingt steigenden Arbeitskräftebedarf in Südmähren befriedigen sollte,
entschieden sich die Machthaber für die Tschechen als das „kleinere Übel“. Die
räumliche Nähe des Protektorats könnte den Ausschlag für diese Entscheidung
gegeben haben.
Im Übrigen fällt auf, dass in Südmähren die Vielfalt der eingesetzten
Nationalitäten geringer war als im übrigen Gaugebiet. Außer Tschechen,
„Ostarbeitern“, Polen und dem immer mehr abnehmenden Anteil der Slowaken
wurden nach Südmähren kaum Angehörige anderer Nationalitäten zugewiesen. Die
Kategorie „Sonstige“ blieb während der gesamten zweiten Kriegshälfte im
26
Zur Dienstverpflichtung von Tschechen und Tschechinnen allgemein siehe Jelínek Tomáš,
Zwangsarbeit im Nationalsozialismus, in: „Nepřichází-li práce k Tobě… / „Kommt die Arbeit nicht zu
Dir…“ Různe podoby nucené práce ve studiích a dokumentech / Verschiedene Formen der
Zwangsarbeit in Studien und Dokumenten. Kolektiv pracovníků kanceláře pro oběti nacismu /
Autorenkollektiv des Büros für Opfer des Nationalsozialismus, Praha 2003, S. 142-162, hier S. 152.
27
Vgl. dazu exemplarisch: NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des
Landrates des Kreises Znaim an RStH am 9.2.1944; ebenda, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des
Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH am 7.3.1944.
10
Verhältnis zum Reichsgau weit unterdurchschnittlich. Auch das fast vollständige
Fehlen der relativ besser gestellten zivilen „Westarbeiter“ ist im Arbeitsamtsbezirk
Znaim signifikant. Neben den zahlenmäßig dominierenden Tschechen und
Tschechinnen aus dem angrenzenden Protektorat wurden der „Volkstumsgrenze“ im
Norden also nahezu ausschließlich Angehörige jener Nationen zugewiesen, die den
strengsten Verhaltensmaßregeln unterworfen waren und die geringste
Bewegungsfreiheit vorfanden. Dass die leichtere Kontrollierbarkeit von
Zwangsarbeitern dieser Nationalitäten ein wesentlicher Bedingungsfaktor für die
Einsatzlenkung in Südmähren gewesen sein dürfte, legte auch die Notiz eines
Vertreters des Auswärtigen Amtes anlässlich einer Besprechung des so genannten
„Ausländer-Arbeitskreises beim RSHA [Reichssicherheitshauptamt]“ Ende 1941
nahe: „Es ist einleuchtend, dass die Behandlung der Polen, Tschechen und Russen
den innerdeutschen Stellen bedeutend weniger Schwierigkeiten bereitet als die
Behandlung von Ausländern der verbündeten und befreundeter Nationen.“28
Für eine genaue Analyse der Einsatzlenkung der ausländischen Arbeitskräfte
nach Wirtschaftsabteilung und Nationalität fehlen uns auf Ebene der
Arbeitsamtsbezirke konkrete Zahlen. Prinzipiell können wir aber davon ausgehen,
dass wie im gesamten Gaugebiet auch in Südmähren Polinnen und Polen sowie
Slowakinnen und Slowaken v.a. in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt
wurden,29 und das gleiche gilt zumindest für 1942 auch für die „Ostarbeiter“ und
„Ostarbeiterinnen“.30 Im Vergleich zur Situation im Gau insgesamt dürfte der Anteil
der „Protektoratsangehörigen“ im agrarischen Bereich in Südmähren jedenfalls
überdurchschnittlich gewesen sein. Ebenso wie im industriellen Sektor in
Niederdonau insgesamt ist auch für jenen im Arbeitsamtsbezirk Znaim von einem
relativ hohen tschechischen Anteil auszugehen.
Zusammenfassend können für die Arbeitskräftepolitik in Südmähren folgende
Thesen formuliert werden: Die Zuweisungspraxis, soweit sie hier auf der dünnen
Basis v.a. von Zahlenmaterial fassbar wurde, wies wie im Reich insgesamt das
Doppelgesicht von rassistisch-ideologischen und ökonomisch-pragmatischen
Komponenten auf. So fand das „rassenpolitisch“ und sicherheitspolizeilich
begründete erhöhte Sicherheitsbedürfnis der Nationalsozialisten im Gebiet der
sensiblen „Volkstumsgrenze“ seinen sinnfälligen Ausdruck in einer nach
Rechtsstatus, Geschlechtern und Nationalitäten geordneten Arbeitskräftepolitik.
Gleichzeitig sind aber auch wirtschaftliche Motive für die Erklärung der
Arbeitskräftepolitik heranzuziehen. Bedingt durch die primär agrarischkleinbetrieblich geprägte Struktur der südmährischen Wirtschaft stieg die
Wahrscheinlichkeit für den Einsatz ziviler ausländischer Frauen und polnischer
Arbeitskräfte gegenüber „Westarbeitern“, weil erstere generell vor allem der
Landwirtschaft und letztere auch im übrigen Reichsgau weit überwiegend in der
Rüstungsindustrie eingesetzt wurden.31
Lebenschancen ziviler ausländischer Arbeitskräfte
28
Institut für Zeitgeschichte München, Nürnberger Dokumentenserien, NG 3347; zitiert nach
Herbert, Fremdarbeiter, 1999, S. 179, Anmerkung 125; vgl. auch Jelínek, Zwangsarbeit, in:
„Nepřichází-li práce k Tobě…“, 2003, S. 142-162, hier S. 156.
29
Hornung / Langthaler / Schweitzer, Zwangsarbeit, 2002, S. 105 f.
30
Der Arbeitseinsatz im Landesarbeitsamtsbezirk Wien-Niederdonau (20.10.1942), S. 15.
31
Stefan Eminger, Zwangsarbeit in Niederdonau. Zivile ausländische Arbeitskräfte,
Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und „ungarische Juden“, in: Studien und Forschungen aus dem
Niederösterreichischen Institut für Landeskunde (erscheint voraussichtlich noch 2004).
11
„In letzter Zeit wurden im Kreis Znaim 31 Einbrüche in Weinkellern und
Vorratslagern verübt, bei denen größere Mengen Wein, Fleisch, Fett und sonstige
Lebensmittel entwendet wurden. Als Täter konnte nun eine Ostarbeiterbande aus
Schattau, Kreis Znaim, ermittelt werden, der bisher zahlreiche bandenmäßig
durchgeführte Einbrüche nachgewiesen wurden.“32 Dieser kurze Eintrag von Anfang
März 1944 fand sich im Tagesrapport der Staatspolizeiaußenstelle Znaim. Bis 6.
März 1944 wurden dann insgesamt zwölf „Ostarbeiter“ festgenommen; sie waren
allesamt in der Tonwarenfabrik „Rauh“ in Schattau beschäftigt gewesen. Die Männer
stammten überwiegend aus der Ukraine und waren alle noch recht jung. Der Jüngste
zählte erst 18 Jahre, der Älteste 28. Ihre Beute waren Lebensmittel.33 Wenige
Wochen später nahm die Stapoaußenststelle Znaim in Urbau zwei ausländische
Landarbeiter fest. Sie waren nachts in ein „Spinnstoffsammellager“ eingedrungen
und hatten Kleidungsstücke, Lappen und Fetzen entwendet. Den beiden Männern,
ein Ukrainer (25 Jahre) und ein Pole (23 Jahre), drohte nach Angaben der
Staatspolizei deshalb die Todesstrafe.34
Diese aus einer Fülle von Straftaten ausländischer Arbeitskräfte
herausgegriffenen Fälle können als beispielhaft gelten und legen eine Spur zur
Erforschung der Lebensverhältnisse von Zwangsarbeitern in Südmähren. So ist
einmal mehr auf die grundsätzliche Unterschiedlichkeit der Lebens- und
Arbeitsbedingungen ziviler ausländischer Arbeitskräfte hinzuweisen. Diese
Verhältnisse waren abhängig von Nationalität, Wirtschaftsbranche, Region,
Geschlecht, Alter und Zeitpunkt des Arbeitseinsatzes. Ganz wesentlich beeinflusst
waren die jeweiligen Handlungsspielräume der Ausländer im Dritten Reich aber von
der rassistischen Hierarchisierung der ausländischen Beschäftigten durch die
Nationalsozialisten. Diese Werteskala knüpfte zum einen an verbreitete
Vorurteilsstrukturen wie Antisemitismus und Antislawismus an, zum anderen
spiegelte sie politische Rücksichten auf Angehörige verbündeter Staaten.
Grundsätzlich waren unter den zivilen ausländischen Arbeitskräften
Angehörige von mit Deutschland verbündeten Staaten sowie „Westarbeiter“ aus
Frankreich, Holland, Belgien besser gestellt als Tschechen, und diese wiederum
fanden im Allgemeinen relativ günstigere Rahmenbedingungen vor als Polen und
„Ostarbeiter“.35 Vor allem gegen den Einsatz letzterer Gruppen standen erhebliche
„volkstumspolitische“ Bedenken in der NS-Führung, denen mit der Erlassung eines
diskriminierenden Sonderrechts für diese Arbeitskräfte begegnet wurde. Kern dieses
Sonderrechts waren die so genannten „Polen“- und „Ostarbeitererlässe“.36 Verfügt
im Frühjahr 1940 für die polnischen Arbeitskräfte und etwa zwei Jahre später für die
„Ostarbeiter“, legten diese Erlässe u. a. die strenge Trennung zwischen diesen
„Fremdvölkischen“ und Deutschen fest. Sie schränkten die Mobilität dieser
Ausländergruppen massiv ein, benachteiligten sie bei der Entlohnung und
unterwarfen sie den strengsten Strafen.
32
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), Tagesrapporte der Gestapo,
Tb. Nr. 1 vom 1.-3.3.1944, S. 2-3.
33
DÖW, Tagesrapporte der Gestapo, Tb. Nr. 1 vom 1.-3.3.1944, S. 2-3, sowie Tb. Nr. 2 vom 3.6.3.1944, S. 2.
34
DÖW, Tagesrapporte der Gestapo, Tb. Nr. 3 vom 16.-22.6.1944, S. 10.
35
Spoerer, Zwangsarbeit im Dritten Reich, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51
(2000), S. 508-527, hier S. 516 ff.; Jelínek, Zwangsarbeit, in: „Nepřichází-li práce k Tobě…“, 2003,
S. 142-162, hier S. 158.
36
Detailliert zu diesen Erlässen vgl. Herbert, Fremdarbeiter, S. 85-95, 178-182.
12
Die feinsäuberliche Trennung von Deutschen einerseits und Polen und
„Ostarbeitern“ andererseits war ein Hauptanliegen der Nationalsozialisten in Bezug
auf den ausländischen Arbeitseinsatz. Deshalb unterlagen diese beiden
Ausländergruppen ebenso wie als „Juden“ geltende Menschen einem
Kennzeichnungszwang. Polen und Polinnen hatten ein großes „P“, „Ostarbeiter“ und
„Ostarbeiterinnen“ die Aufschrift „OST“ ständig und gut sichtbar auf ihrer
Oberbekleidung zu tragen.
Derart stigmatisiert, hatten sich vor allem diese Ausländergruppen auch vom
„kulturellen Leben“ und den „Vergnügungsstätten“ der Deutschen fern zu halten;
intime Kontakte zur einheimischen Bevölkerung waren streng verboten.
Geschlechtlicher Verkehr mit deutschen Frauen galt als Kapitalverbrechen, das mit
der Todesstrafe für den Polen oder „Ostarbeiter“ und mindestens einem Jahr
Konzentrationslager für die deutsche Frau geahndet wurde.37
In der Alltagspraxis waren Kontakte zwischen Deutschen und „Fremden“
jedoch unvermeidlich. Insbesondere im Bereich der Land- und Forstwirtschaft beim
Einzeleinsatz von Ausländern und Ausländerinnen überschritten sie häufig das
vorgeschriebene Maß. Der „von oben“ oktroyierte Ausschluss aus der
„Volksgemeinschaft“ konfligierte mit dem „von unten“ aus lebensweltlichen
Gründen vielfach üblichen Einschluss in die Betriebe und häufig auch in die
Haushalte.38 Dieser Widerspruch war systemimmanent, und auch intime
Beziehungen zwischen Deutschen und ausländischen Arbeitskräften kamen trotz
strenger Strafen immer wieder vor. So wurden im Jänner 1941 innerhalb von zwei
Tagen gleich sieben junge Polinnen von der Stapoaußenstelle Znaim ins dortige
Landgerichtsgefängnis wegen Geschlechtsverkehrs mit Deutschen eingeliefert.39 Die
Frauen waren allesamt bei verschiedenen Bauern im Kreis Znaim beschäftigt
gewesen.40 Im Unterschied zu Fällen von Intimkontakten zwischen deutschen Frauen
und polnischen Männern drohten diesen Landarbeiterinnen und den deutschen
Männern allerdings weniger harte Strafen. Hintergrund für diese
geschlechtsspezifisch unterschiedliche Bestrafungspraxis war die
nationalsozialistische Geschlechterideologie, wonach den deutschen Frauen die
„Reinhaltung der deutschen Rasse“ als eine ihrer vornehmsten Aufgaben zugewiesen
wurde.
Um – so die offizielle Begründung - möglichst friktionsfreie Arbeitsabläufe
zu garantieren, waren auch intime Beziehungen zwischen Tschechen und
ausländischen Zwangsarbeitern inkriminiert41. So war etwa dem Landrat von
Neubistritz ein Liebesverhältnis zwischen einem ortsansässigen Tschechen und einer
Polin gemeldet worden, das auch zur Geburt eines Kindes geführt hatte. Der Landrat
37
Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, S. 201. Diese regelrechten Hinrichtungen
waren anfangs öffentlich und hatten zur Abschreckung vor den Augen der in der Umgebung
eingesetzten Landsleute des Opfers statt zu finden. Exemplarisch dazu vgl. auch NÖLA, Außendepot
Bad Pirawarth, Kreisgericht St. Pölten, Zl. 5 Vr 1336/1961, J. R., sowie auch Edl Richard (Hg.),
Altlichtenwarth. Pfarr- und Alltagsgeschichte, Altlichtenwarth 1994, S. 189.
38
Auf den ambivalenten Charakter und die Grenzen dieses Einschlusses, die sich zumeist in der
behördlich verbotenen Tischgemeinschaft von deutschen Bauern und „fremdvölkischen“
Arbeitskräften manifestierte, verweisen nachdrücklich Hornung / Langthaler / Schweitzer,
Zwangsarbeit, 2002, S. 209-215.
39
DÖW, Tagesrapporte der Gestapo, Tb. Nr. 9 vom 22.-23.1.1941, S. 7-8.
40
Ebenda.
41
Die Begründung bezog sich auf das Verbot sexueller Beziehungen zwischen Deutschen und
Tschechen. Vgl. dazu Jelínek, Zwangsarbeit, in: „Nepřichází-li práce k Tobě…“, 2003, S. 142-162,
hier S. 154.
13
schaltete daraufhin die Gestapo ein, die den Mann in Haft nahm.42 Über sein weiteres
Schicksal sowie über das der Mutter und des Kindes ist nichts bekannt.
Durch die genannten Erlässe waren Polinnen und Polen sowie
„Ostarbeiterinnen“ und „Ostarbeiter“ in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt.
Sie durften ihren Einsatzort nicht eigenmächtig verlassen, keine öffentlichen
Verkehrsmittel benützen, ja nominell war ihnen sogar das Fahrradfahren verboten.43
Hinsichtlich der Entlohnung zählten sie gleichfalls zu den am meisten
diskriminierten Gruppen im Deutschen Reich. Das Lohnniveau von „Ostarbeitern“
bzw. „Ostarbeiterinnen“ lag auf durchschnittlich 40 % des Verdienstes von
deutschen Arbeitern,44 jenes von Polinnen und Polen zwischen 50 und 85 %.45
Zwar unterlagen sowohl „West“- wie auch „Ostarbeiter“ dem
Disziplinierungs- und Bestrafungsapparat von Justiz, Polizei und Gestapo, nicht
zuletzt im Falle des überaus weit interpretierbaren „Arbeitsvertragsbruchs“ drohten
Polen und „Ostarbeitern“ aber die härtesten Strafen.46 Die Prügelstrafe war bei
männlichen „Ostarbeitern“ und Polen dezidiert erlaubt,47 und Angehörige dieser
Gruppe von Ausländern wurden sehr rasch auch in die berüchtigten so genannten
„Arbeitserziehungslager“ eingewiesen.48 Ebenso waren Überstellungen in
Konzentrationslager und der Vollzug der „Sonderbehandlung“ – also Tötung - bei
Polen und „Ostarbeitern“ überdurchschnittlich häufig.49
Was die Grundlagen der physischen Existenz der ausländischen Arbeitskräfte
betrifft, so ist festzuhalten, dass die Verteilung sämtlicher Ressourcen im
nationalsozialistischen Deutschland einem zentralen Grundsatz gehorchte: Zuerst
kam die Versorgung der Deutschen; den „Fremdvölkischen“ im Reich und in den
42
NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises
Neubistritz an RStH am 8.2.1943.
43
Freund Florian, „Ihr zahlreiches Auftreten erregt bei der Bevölkerung oft Ärgernis.“ Zivile
Ausländer und Ausländerinnen in Wiener Neustadt 1938-1945. In: Hahn Sylvia u.a. (Hg.), „Die
Wienerische Neustadt“. Handwerk, Handel und Militär in der Steinfeldstadt, Wien u.a. 1994, S. 91126, hier S. 100.
44
Herbert Ulrich, Zwangsarbeiter im „Dritten Reich“ – ein Überblick, in: Barwig Klaus u.a.
(Hg.), Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, historische und politische Aspekte, BadenBaden 1998, S. 17-32, hier S. 23.
45
Danker Uwe / Robert Bohn, Fazit und Ergebnisse aus geschichtswissenschaftlicher Sicht, in:
Danker u.a. (Hg.), „Ausländereinsatz in der Nordmark“. Zwangsarbeitende in Schleswig-Holstein
1939-1945, Bielefeld 2001, (= IZRG-Schriftenreihe; Bd. 5), S. 572-587, hier S. 576.
46
Heusler Andreas, Prävention durch Terror. Die Gestapo und die Kontrolle der ausländischen
Zwangsarbeiter am Beispiel Münchens, in: Paul Gerhard / Klaus-Michael Mallmann (Hg.), Die
Gestapo im Zweiten Weltkrieg. „Heimatfront“ und besetztes Europa, Darmstadt 2000, S. 222-236,
hier S. 224, 228.
47
Heusler, Prävention durch Terror, S. 230.
48
Umfassend zum System der „Arbeitserziehungslager“ in NS-Deutschland vgl. Lotfi Gabriele,
KZ der Gestapo. Arbeitserziehungslager im Dritten Reich, Stuttgart u.a. 2000; zum für Niederdonau
bedeutendsten „Arbeitserziehungslager“ in Oberlanzendorf (heute Maria Lanzendorf) bei Schwechat
vgl. Heinz Arnberger: Das Arbeitserziehungslager Oberlanzendorf, in: Widerstand und Verfolgung in
Niederösterreich 1934-1945. Eine Dokumentation. Hg. vom Dokumentationsarchiv des
österreichischen Widerstandes, Bd. 2, Wien 1987, S. 573-586, bzw. sei auch verwiesen auf die
umfassende, 2004 in der Reihe Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für
Landeskunde erscheinen sollende Studie von Josef Prinz, „Asozialenpolitik“ und Arbeitszwang in der
NS-Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte des Arbeitserziehungslagers Oberlanzendorf bei Wien.
49
Heusler, Prävention durch Terror, S. 232; Paul Gerhard / Alexander Primavesi, Die
Verfolgung der „Fremdvölkischen“. Das Beispiel der Staatspolizeistelle Dortmund, in: Paul Gerhard /
Klaus-Michael Mallmann (Hg.), Die Gestapo. Mythos und Realität, Darmstadt 1996, S. 388-401, hier
S. 394.
14
besetzten Gebieten stand nur das zu, was noch übrig war. Die in Deutschland und
Österreich mitunter noch nach dem Krieg gepriesene Aufrechterhaltung der
Versorgung der „einheimischen“ Bevölkerung bis Kriegsende gründete sich nicht
zuletzt auf Hunger und Not der „Fremdvölkischen“.
Insbesondere Polen und „Ostarbeiter“ waren vielfach von Hunger und
Krankheit bedroht und litten sehr häufig Mangel an Kleidung und Schuhwerk. So
meldete im Dezember 1942 etwa der Landrat von Znaim, dass hinsichtlich der
Bekleidungssituation der „Ostarbeiter“ noch immer keine merkbare Besserung
eingetreten sei.50 Die dafür vorgesehenen Kleidungsstücke aus der Kleidersammlung
entsprächen zum Großteil nicht, und vom Landeswirtschaftsamt seien gleichfalls nur
überwiegend zerrissene, verschmutzte und unbrauchbare Kleidungsstücke geliefert
worden. Diese würden nun den Betrieben und den „Ostarbeitern“ zu überhöhten
Preisen zum Kauf angeboten.51 Der Mangel an Kleidung und Schuhwerk für
„Ostarbeiter“ und Polen konnte in den südmährischen Kreisen bis Kriegsende nicht
behoben werden.52 Die Folgen waren Arbeitsausfälle durch Krankheit und
Fluchten,53 und wie wir anhand des obigen Beispiels von Urbau gesehen haben, kam
es auch immer wieder zu Einbrüchen und Diebstählen.54 All dies konterkarierte die
Ziele der NS-Machthaber, und v.a. deshalb blieb die Bekleidungsfrage der
ausländischen Zwangsarbeiter ein Thema in den Berichten der Landräte.
In Sachen Ernährung waren Arbeitskräfte in der Landwirtschaft gegenüber
jenen in der Industrie relativ begünstigt.55 Es ist daher kein Zufall, dass die
Mitglieder der oben erwähnten „Ostarbeiterbande“ in Schattau als Fabriksarbeiter
beschäftigt waren. Im gesamten Deutschen Reich galten für die in der Industrie
arbeitenden „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“ zunächst derart niedrige
Nahrungsrationen, dass deren Arbeitsleistung und –motivation nur weit
unterdurchschnittlich sein konnte. Viele Arbeitgeber drängten deshalb auf eine
Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung dieser Arbeitskräfte,56 mitunter
50
NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10/1942, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an RStH
am 10.12.1942.
51
Ebenda
52
NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10/1942, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an
RStH am 4.12.1942; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an RStH
am 11.1.1943; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH
am 6.1.1943; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH
am 10.2.1943; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an RStH
am 4.9.1943; ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH
am 7.12.1943; ebenda, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH
am 10.2.1944; ebenda, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an RStH
am 7.2.1944; ebenda, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an RStH am
10.6.1944; ebenda, Ia-10/1945, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an RStH am
10.2.1945.
53
Ebenda, Ia-10/1942, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an RStH am 10.12.1942;
ebenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH am 6.1.1943;
ebnenda, Ia-10, Zl. 14/1943, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an RStH am 6.7.1943;
ebenda, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an RStH am 12.7.1944.
54
Ebenda, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an RStH am
4.7.1944; ebenda, Ia-10/1945, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an RStH am
10.2.1945.
55
Herbert, Zwangsarbeiter im „Dritten Reich“, S. 22; Danker / Bohn, Fazit und Ergebnisse, S.
578.
56
Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, S. 124, 127.
15
erhöhten sie die Rationen eigenmächtig.57 Eine relative Verbesserung der Situation
erfolgte allerdings erst nach der Niederlage von Stalingrad Anfang 1943. Das neue
Verpflegungssystem war aber kaum weniger grausam. Indem die so genannte
„Leistungsernährung“ eingeführt wurde, war mehr Verpflegung an höhere
Arbeitsleistung gebunden.58 Für viele „Ostarbeiterinnen“ und „Ostarbeiter“ im
städtischen Bereich blieb auch im Südmähren der NS-Zeit der Hunger ihr ständiger
Begleiter.
Kriegsgefangene
Mit erheblichem Abstand zu den zivilen Arbeitskräften waren
Kriegsgefangene die zweitgrößte Gruppe ausländischer Zwangsarbeiter; sowohl in
Niederdonau als auch im südmährischen Arbeitsamtsbezirk Znaim. Sie bildeten
einen Sonderfall unter den Zwangsarbeitern, denn laut Genfer Konvention von 1929
war der Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen unter bestimmten Umständen erlaubt.
Allerdings waren beim Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen ganz bestimmte Regeln
einzuhalten. So war auf die körperliche Eignung der Kriegsgefangenen für die
zugeteilten Arbeiten Rücksicht zu nehmen, es waren bestimmte Arbeits- und
Ruhezeiten einzuhalten, es durften keine Arbeiten vergeben werden, die „in
unmittelbarer Beziehung zu Kriegshandlungen“ standen bzw. „unzuträglich oder
gefährlich“ waren.59 Diese völkerrechtlichen Normen wurden von der Deutschen
Wehrmacht im Allgemeinen nur gegenüber US-amerikanischen und britischen
Kriegsgefangenen eingehalten.60 Kriegsgefangene anderer Nationen genossen den
Schutz der Konvention lediglich in eingeschränkter Weise; sowjetischen und
italienischen Kriegsgefangenen wurde er überhaupt vorenthalten.61
Prozentueller Anteil von Kriegsgefangenen nach Nationalitäten im Arbeitsamtsbezirk
Znaim und im Reichsgau Niederdonau Mai 1944
57
Vgl. dazu allgemeine Herbert Ulrich, Der „Ausländereinsatz“. Fremdarbeiter und
Kriegsgefangene in Deutschland 1939-1945 – ein Überblick, in: Herrenmensch und Arbeitsvölker.
Ausländische Arbeiter und Deutsche 1939-1945. 2. Aufl., Berlin 1989, (= Beiträge zur
nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik; Bd. 3), S. 13-54, hier S. 32.
58
Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, S. 127; Herbert, Zwangsarbeiter im „Dritten
Reich“, S. 23.
59
Speckner Hubert, In der Gewalt des Feindes. Kriegsgefangenenlager in der „Ostmark“ 1939
bis 1945, Wien u.a. 2003 (= Kriegsfolgen-Forschung; Bd. 3), S. 177.
60
Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, S. 99.
61
Speckner, In der Gewalt des Feindes, S. 177.
16
40%
35%
30%
25%
20%
15%
10%
5%
0%
Franzosen
Sowjets
Jugoslawen
Znaim
Belgier
Sonstige
Niederdonau
Quelle: Errechnet aus: Der Arbeitseinsatz im Gau Niederdonau (20.5.1944), S. 3.
Neben der oben schon erwähnten auffallend geringen Anzahl wich die
Einsatzlenkung der Kriegsgefangenen in Südmähren auch hinsichtlich der
herkunftsmäßigen Zusammensetzung von derjenigen in Niederdonau signifikant ab.
Im Mai 1944 stammte mehr als ein Drittel der Kriegsgefangenen im
Arbeitsamtsbezirk Znaim aus Jugoslawien (36 %); ethnisch handelte es sich
überwiegend um Serben. Gefangene Franzosen stellten mit 31 % die zweitgrößte
Gruppe, dicht gefolgt von der großen Gruppe der „Sonstigen“ mit 27 %. Die
sowjetischen und belgischen Kriegsgefangenen waren mit lediglich 5 bzw. 1 % in
Südmähren nur marginal vertreten. Der Anteil der „Jugoslawen“ war im
Arbeitsamtsbezirk Znaim mehr als doppelt so hoch wie jener in Niederdonau, und
auch die Quote der „Sonstigen“ war in Südmähren höher. Dagegen betrug der Anteil
der sowjetischen Kriegsgefangenen in Südmähren weniger als ein Drittel von jener
im gesamten Reichsgau.
Diese Arbeitseinsatzlenkung in Südmähren war unseres Erachtens wie schon
im Falle der zivilen ausländischen Arbeitskräfte Ergebnis einer Mischung aus
rassistischen und sicherheitspolizeilichen Vorstellungen einerseits und
ökonomischen Motiven andererseits. Wie ein Vergleich mit der Zuweisungspraxis in
Niederdonau zeigt, wurden „Jugoslawen“ weit überwiegend der Landwirtschaft
zugeteilt.62 Der stark agrarisch geprägte Charakter Südmährens lässt die
zahlenmäßige Dominanz der „jugoslawischen“ Kriegsgefangenen in diesem Gebiet
daher plausibel erscheinen. Was die Kategorie der „sonstigen“ Kriegsgefangenen
betrifft, so kann nach Betrand Perz und Florian Freund davon ausgegangen werden,
dass sich hinter dieser Bezeichnung zur Gänze italienische Kriegsgefangene, so
genannte „italienische Militärinternierte“ verbergen.63 Dass deren
überdurchschnittlich hohe Quote in Südmähren mit sicherheitspolizeilichen Aspekten
62
63
Hornung / Langthaler / Schweitzer, Zwangsarbeit, 2002, S. 100 f.
Freund / Perz, Zahlenentwicklung, 2000, S. 126 f.
17
zusammenhing, zeigte u.a. eine Äußerung des Landrates von Znaim. Dieser hielt
nämlich die weitere Förderung des Einsatzes von „italienischen Militärinternierten“
für „wünschenswert, und zwar nicht nur, weil sich die Italiener gut bewähren,
sondern auch v.a., weil sie keinerlei Kontakt mit der tschechischen Bevölkerung und
den tschechischen Arbeitskräften finden und daher die Nachteile, wie sie vielfach bei
der Zusammenarbeit der Tschechen mit Ostarbeitern, Polen oder Serben auftreten,
von vornherein ausgeschaltet erscheinen.“64 Sicherheitspolitische Bedenken dürften
auch für die auffallend niedrige Zuteilungsquote von sowjetischen Kriegsgefangenen
nach Südmähren zumindest mitverantwortlich sein. Denn in den Augen der
Nationalsozialisten zählten die Sowjets nicht nur zu den „rassisch“ minderwertigsten
Völkerschaften, sondern als vermeintliche Kommunisten galten sie auch ideologischpolitisch als besonders gefährlich. Hatte sich die NS-Führung erst angesichts des
immer drückender werdenden Arbeitskräftemangels für den Arbeitseinsatz
sowjetischer Kriegsgefangener im Reich entschieden,65 so sollte deren Beschäftigung
an der „Volkstumsgrenze“ offenbar in sehr engen Grenzen gehalten werden. Beim
Arbeitseinsatz hatten die sowjetischen Kriegsgefangenen dann regelmäßig die
schwersten und gefährlichsten Arbeiten auszuführen – ähnlich wie die italienischen
Kriegsgefangenen, die nach dem Kriegsaustritt Italiens im Herbst 1943 den
inferioren Status mit den Sowjets teilten.66
Analog zu den zivilen ausländischen Arbeitskräften unterlagen auch die
Kriegsgefangenen einer rassistisch motivierten Hierarchisierung, die deren
Lebensbedingungen maßgeblich beeinflusste. Ganz oben befanden sich im
Allgemeinen Franzosen und Belgier. Deutlich darunter rangierten die
Kriegsgefangenen aus Südost-Europa, und am unteren Ende dieser Werteskala
fristeten zunächst die polnischen, dann die sowjetischen und italienischen
Kriegsgefangenen ihr häufig sehr trauriges Dasein.67
Der Kontakt zwischen Kriegsgefangenen und Zivilbevölkerung war im Zuge
des Arbeitseinsatzes unvermeidlich, sollte nach Ansicht der NS-Behörden aber auf
das Allernötigste beschränkt bleiben. Von den Arbeitsämtern erhielten die
Dienstgeber Merkblätter mit Richtlinien über das Verhalten gegenüber
Kriegsgefangenen im Arbeitseinsatz,68 und mit der „Verordnung zum Schutz der
Wehrkraft des deutschen Volkes“ wurde die gesetzliche Grundlage zur Bestrafung
von solchen Fällen „verbotenen Umgangs“ geschaffen.69 Die Palette der begangenen
64
NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim
an RStH am 9.2.1944.
65
Der Arbeitseinsatz sowjetischer Kriegsgefangener im Reich war zunächst gar nicht geplant
gewesen. Für diese Gefangenen war schlicht und einfach die Vernichtung vorgesehen. Allein im
Winter 1941/42 waren zwei Millionen sowjetischer Kriegsgefangener durch Hunger, Krankheit und
Kälte in den Frontstammlagern dem Tod preisgegeben worden; während des gesamten Zweiten
Weltkriegs verstarben fast 58 % der sowjetischen Kriegsgefangenen. Erst seit Anfang 1942 begann
man allmählich, sie am Leben zu erhalten. Vgl. dazu Streit Christian, Keine Kameraden. Die
Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945, Stuttgart 1978, S. 128-187; Speckner
Hubert, Kriegsgefangenenlager in der „Ostmark“ 1939-1945. Zur Geschichte der
Mannschaftsstammlager und Offizierslager in den Wehrkreisen XVII und XVIII, Wien phil. Diss.
1999, S. 269 f.
66
So die allgemeine Einschätzung durch Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, S. 104.
67
Speckner, Kriegsgefangenenlager in der „Ostmark“ 1939-1945, S. 240 f.
68
Der Inhalt dieses Merkblatts ist abgedruckt in: NÖLA, Außendepot Bad Pirawarth, BH Krems,
Gr. XI/153-172, Zl. 295/1941, Schreiben der NSDAP Kreisleitung Krems, Organisationsamt, an alle
Ortsgruppenleiter vom 10.12.1942.
69
Reichsgesetzblatt I (1939) 2319; ergänzend Reichsgesetzblatt I (1940) 769.
18
Strafhandlungen reichte von der Überlassung einer Zigarette oder eines Butterbrotes
über die Weiterleitung von Briefen bis hin zu geschlechtlichen Beziehungen.70 Von
empfindlicher Strafe bedroht waren in solchen Fällen allerdings beide Seiten, und zur
Vertuschung intimer Kontakte waren die Betroffenen mitunter bereit, sehr weit zu
gehen. So erstattete etwa der Landrat von Nikolsburg im April 1944 Anzeige gegen
zwei Bäuerinnen, die mit Kriegsgefangenen geschlechtlich verkehrt und ihre
„Leibesfrucht“ dann abgetrieben hätten. Erschwerend ins Gewicht fiel hier noch,
dass die Ehemänner der beiden Frauen zur Wehrmacht eingerückt waren.71
Generalisierend lässt sich für das Verhältnis zwischen Kriegsgefangenen und
Zivilbevölkerung fest halten, dass die rassistische Hierarchisierung der NS-Ideologie
mit den Vorurteilsstrukturen der Bevölkerung häufig übereinstimmte72.
„Ungarische Juden“
Schon kurz vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Ungarn im März
1944 hatte Adolf Eichmann seine engsten Mitarbeiter nach Mauthausen berufen, um
mit ihnen die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Ungarn zu planen.73 Der
weiter dramatisch angestiegene Arbeitskräftebedarf im Reich gebot jedoch die
Nutzbarmachung sämtlicher verfügbarer Kräfte, sodass sich die NS-Spitze zu einem
in gewisser Weise paradoxen Schritt durchrang: Man holte aus wirtschaftlichen
Gründen Angehörige jener stigmatisierten Bevölkerungsgruppe ins Land, die zu
vertreiben man sich seit Jahren intensiv bemüht hatte. Der Einsatz „ungarischer
Juden“ im Reich musste daher von Hitler persönlich genehmigt werden.74
Ende Juni 1944 waren etwa 15.000 „ungarische Juden“ nach Strasshof im
niederösterreichischen Bezirk Gänserndorf gebracht worden.75 Sie bildeten den
Gegenstand schwieriger Verhandlungen zwischen SS-Kreisen um Adolf Eichmann
und ungarischen Zionisten um Dr. Rezsö Kasztner. Letztere versuchten Juden und
Jüdinnen aus Ungarn zu retten, indem sie der SS einen Handel „Blut gegen Ware“
anboten.76 Eichmann gedachte diese Menschen als Faustpfand zu benützen und wies
sie dem „Arbeitseinsatz“ in Wien und Niederdonau zu. 8.700 bis 8.800 Personen
wurden dann in zumeist kleineren Gruppen auf mindestens 170 Orte in Niederdonau
verteilt.77 In den Kreisen Neubstritz, Znaim und Nikolsburg sind bislang 23
70
Die ganze Bandbreite dieser „Delikte“ findet sich in den Beständen der Kreisgerichte St.
Pölten, Krems, Korneuburg und Wiener Neustadt in NÖLA, Außendepot Bad Pirawarth, sowie im
Bestand „Sondergericht“ des Wiener Stadt- und Landesarchivs.
71
NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises
Nikolsburg an RStH am 18.4.1944.
72
So der allgemeine Befund von Herbert, Fremdarbeiter, S. 142.
73
Lappin Eleonore, Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in Wien 1944/45, in: Keil Martha /
Klaus Lohrmann (Hg.), Studien zur Geschichte der Juden in Österreich, Wien u.a. 1994, (= Handbuch
zur Geschichte der Juden in Österreich; Reihe B, Bd. 2), S. 140-167, hier S. 141.
74
Herbert Ulrich, Arbeit und Vernichtung. Ökonomisches Interesse und Primat der
„Weltanschauung“ im Nationalsozialismus, in: Ders. (Hg.), Europa und der „Reichseinsatz“.
Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938-1945, Essen
1991, S. 384-426, hier S. 413.
75
Szita Szabolcs, Verschleppt, verhungert, vernichtet. Die Deportation von ungarischen Juden
auf das Gebiet des annektierten Österreich 1944-1945. Wien 1999, S. 49 f.
76
Ebenda, S. 32; das Zitat findet sich in Broser Vera, Der Weg ungarischer Juden nach
Niederösterreich 1944 bis 1945. Das Lager Felixdorf. Mit einem Beitrag von Monika Plainer, Wien
1990, S. 24.
77
Szita, Verschleppt, 1999, S. 148-169. Hier finden sich auch eine Auflistung dieser Ortschaften
und – soweit bekannt – der Dienstgeber, der Art der zu verrichtenden Tätigkeit sowie der Errichtung
und Auflösung der Lager.
19
Ortschaften bekannt, in denen „ungarische Juden“ aus dem Durchgangslager
Strasshof Zwangsarbeit leisten mussten.78 Familien blieben häufig zusammen, auch
Alte und nicht Arbeitsfähige wurden im Allgemeinen nicht selektiert.79
Die „ungarischen Juden“ galten dezidiert als Häftlinge der Gestapo. Es wurde
ihnen ein Sonderstatus zugewiesen, der sie zu einer der am meisten diskriminierten
Gruppen im „Dritten Reich“ machte. Einzeleinsatz kam für sie nicht in Frage, sie
mussten immer in Kolonne arbeiten.80 Untergebracht in kleinen improvisierten
Lagern in der Nähe ihrer Arbeitsplätze,81 arbeiteten sie in Südmähren beim Gleisbau,
in Gutsbetrieben, in der Forstwirtschaft, in Steinbrüchen, in Zement-, Tonwaren-,
Konserven- und Zuckerfabriken, bei Flussregulierungen, in Ziegeleien, beim
Straßenbau.82 Eine große Gruppe von insgesamt 180 Personen leistete etwa in
Joslowitz auf einem gräflichen Landgut Zwangsarbeit,83 und auch beim Forstamt
Neubistritz standen mehr als 100 ungarisch-jüdische Frauen und Männer im
Einsatz.84
Für die Errichtung und Sicherung der „Judenlager“ waren die jeweiligen
„Arbeitgeber“ verantwortlich. In einem „Merkblatt für Betriebsführer“ hieß es, dass
die Unterkünfte nach Art der Kriegsgefangenen-Quartiere gesichert sein sollten;
Stacheldrahtumzäunung sei nicht erforderlich.85 Vielfach gab es Lager, die nicht
bewacht waren.86
Organisatorisch waren die „Judenlager“ zwar der SS unterstellt, für die
Aufrechterhaltung der den Insassen aufoktroyierten Ordnung hatten aber sogenannte
„Judenpolizisten“ zu sorgen. Diese kurz „Jupos“ genannten Ordnungskräfte waren de
facto Geiseln der SS und hafteten mit ihrem Leben für die Einhaltung der
Lagerregeln.87 Sie waren u.a. dafür verantwortlich, dass die Lagerinsassen nicht mit
der einheimischen Bevölkerung in Kontakt traten und außerhalb der Arbeitszeit das
Lager nicht verließen. Sie hatten u.a. die Kolonne der Arbeitsfähigen zur und von der
Arbeit zu führen und dafür zu sorgen, dass alle Insassen den „Judenstern“ trugen.88
Trotz des drückenden Arbeitskräftemangels in ihren Kreisen überwogen bei
den Landräten in Südmähren aber die Bedenken gegen den Arbeitseinsatz der
„ungarischen Juden“. Sie beklagten den hohen Anteil an arbeitsunfähigen Alten und
Kindern,89 und der Landrat von Znaim kritisierte die seiner Ansicht nach
78
Ebenda.
Szita, Verschleppt, S. 129.
80
Richtlinien über die Behandlung ungarischer Juden vom 9.8.1944, in: Eichbauer Werner, Die
„Judenlager“ von Wiener Neustadt, Felixdorf und Lichtenwörth, Neulengbach unveröffentlichte
Forschungsarbeit am Institut für Zeitgeschichte der Univ. Wien 1987, Anhang 4.
81
Szita Szabolcs, Ungarische Zwangsarbeiter in Niederösterreich (Niederdonau) 1944/45, in:
Unsere Heimat 63 (1992) 31-50, hier S. 36.
82
Szita, Verschleppt, S. 150-169.
83
Ebenda, S. 157.
84
Ebenda, S. 160.
85
Richtlinien über die Behandlung ungarischer Juden vom 9.8.1944, in: Eichbauer,
„Judenlager“, 1987, Anhang 4.
86
Szita, Verschleppt, S. 130.
87
Lappin, Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in Wien, in: Keil / Lohrmann (Hrsg.), Studien,
1994, S. 140-167, hier S. 153.
88
Richtlinien über die Behandlung ungarischer Juden vom 9.8.1944, in: Eichbauer,
„Judenlager“, 1987, Anhang 4.
89
NÖLA, RStH, Lageberichte, Ia-10, Zl. 23/1944, Schreiben des Landrates des Kreises
Nikolsburg an RStH am 14.8.1944; NÖLA, RStH, Ia-1, Zl. 240/1944, Schreiben des Landrates des
Kreises Neubistritz an den RStH am 9.9.1944; ebenda, Ia-1, Zl. 240/1944, Schreiben des Landrates
79
20
unzulängliche Arbeitsleistung der Übrigen. Diese seien körperliche Arbeit nicht
gewohnt, denn es handle sich durchwegs um „Händler-Gewerbetreibende, Lehrer,
Ärzte usw.“.90 Der Landrat von Nikolsburg wiederum verwies darauf, dass sich der
Einsatz der Juden „stimmungsmäßig und in politischer Hinsicht recht nachteilig
auswirkt. Die alten gebrechlichen Juden oder Jüdinnen lösen falsche Barmherzigkeit
bei der Bevölkerung aus und insbesondere sind es die Tschechen, die Verbindung zu
den Juden anknüpfen und diese falsche Barmherzigkeit weitestgehend
propagieren.“91 Gerade aus letzteren Gründen hätte der Landrat am liebsten die
Entfernung der Juden aus seinem Kreis gesehen, doch erforderte die bevorstehende
Rübenernte deren Einsatz.92 Auch der Leiter des Forstamtes Neubistritz beklagte die
geringe körperliche Eignung der ihm zugewiesenen 126 „ungarischen Juden“ und
ersuchte, diese noch vor Einbruch des Winters wieder abzuziehen und ihm andere
Arbeitskräfte zuzuweisen.93
Im Herbst 1944 war für Teile der in der Landwirtschaft tätigen ungarischen
Häftlinge der „Arbeitseinsatz“ zu Ende, und die Insassen mehrerer Lager wurden ins
KZ Bergen-Belsen deportiert.94 Gegen Kriegsende wurden weitere Gruppen
ungarischer Juden und Jüdinnen nach Theresienstadt verbracht, wieder andere
erlebten ihre Befreiung noch in den Arbeitslagern.95
Zusammenfassung
Bei der Interpretation der „Arbeitseinsatzpolitik“ in den Kreisen Neubistritz,
Znaim und Nikolsburg sind vor allem zwei grundlegende Komponenten in Betracht
zu ziehen: die agrarisch-kleinbetriebliche Wirtschaftsstruktur Südmährens und das
erhöhte Sicherheitsbedürfnis der Nationalsozialisten in dieser „volkstumspolitisch
gefährdeten“ Region. Der Widerstreit zwischen rassistischer Ideologie und
ökonomischer Notwendigkeit als das wesentliche Charakteristikum der NSArbeitskräftepolitik prägte hier den „Ausländereinsatz“ in besonderer Weise,
erforderte hier teilweise andere Antworten als im übrigen Gaugebiet von
Niederdonau. Die rigiden „rassenpolitischen“ Grundsätze, die zu Kriegsbeginn von
Himmler in dessen Eigenschaft als „Reichskommissar für die Festigung deutschen
Volkstums“ für die „Volkstumsgrenze“ formuliert worden waren, konnten aus
kriegswirtschaftlichen Gründen jedenfalls nicht vollständig umgesetzt werden.
Nach formal-rechtlichen Kriterien lassen sich in Südmähren drei Gruppen
von zwangsweise Beschäftigen unterscheiden: zivile ausländische Arbeitskräfte,
Kriegsgefangene und „ungarische Juden“, wobei letztere erst gegen Kriegsende nach
Südmähren deportiert wurden. In einer auf Basis des zur Verfügung stehenden
Materials nicht näher zu gewichtenden Mischung aus „rassenpolitisch“des Kreises Nikolsburg an den RStH am 30.8.1944; ebenda, Ia-1, Zl. 240/1944, Schreiben des
Landrates des Kreises Znaim an den RStH am 24.8.1944.
90
NÖLA, RStH, Ia-1, Zl. 240/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Znaim an den RStH
am 24.8.1944.
91
Ebenda, Ia-1, Zl. 240/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Nikolsburg an den RStH am
30.8.1944.
92
Ebenda.
93
NÖLA, RStH, Ia-1, Zl. 240/1944, Schreiben des Landrates des Kreises Neubistritz an den
RStH am 9.9.1944.
94
Szita, Ungarische Zwangsarbeiter, in: Unsere Heimat 63 (1992), S. 31-50, hier S. 42.
95
Lappin Eleonore, Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in Österreich 1944/45, in: Keil Martha /
Eleonore Lappin (Hrsg.), Studien zur Geschichte der Juden in Österreich, Bodenheim 1997 (=
Handbuch zur Geschichte der Juden in Österreich; Reihe B, Bd. 3), S. 141-168, hier S. 146.
21
sicherheitspolizeilichen und wirtschaftsstrukturell bedingten Gründen wurden an der
nördlichen „Volkstumsgrenze“ von Niederdonau überdurchschnittlich viele
ausländische Frauen und signifikant wenige Kriegsgefangene beschäftigt. Auch die
Vielfalt der eingesetzten Nationalitäten war unterdurchschnittlich. Diese
Zuweisungspraxis sollte die „Reinhaltung der deutschen Frau bzw. Rasse“ ebenso
gewährleisten helfen wie die Hintanhaltung politischer und jeglicher anderer Form
von Kriminalität; sie ergab sich aber auch aus der agrarisch-kleinbetrieblichen
Wirtschaftsstruktur v.a. in den Kreisen Znaim und Nikolsburg.
Unter den zivilen ausländischen Arbeitskräften stellten Tschechen und
Tschechinnen aus dem benachbarten Protektorat den Hauptanteil, gefolgt von
Polinnen und Polen sowie von „Ostarbeiterinnen“ und „Ostarbeitern“. Der
Wirtschaftsstruktur Südmährens entsprechend, waren die meisten Zwangsarbeiter in
der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt, und gerade im Agrarbereich war der
Überhang von Frauen besonders ausgeprägt. Dies hatte freilich auch
geschlechterideologische Hintergründe, denn Frauen galten den NS-Behörden
generell als für landwirtschaftliche Tätigkeiten besonders geeignet.
Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der zivilen Zwangsarbeiter und
Zwangsarbeiterinnen erwiesen sich als höchst unterschiedlich. Sie waren maßgeblich
bestimmt von der rassistischen Hierarchisierung durch die NS-Ideologie.
„Westarbeiter“ fanden günstigere Rahmenbedingungen vor als etwa Tschechen oder
Serben. Am untersten Ende der NS-Werteskala befanden sich polnische und
sowjetische Arbeitskräfte. Gegen sie wurden besonders diskriminierende
Bestimmungen erlassen, und diese Gruppen von Ausländern fanden im Allgemeinen
auch die schlechtesten Lebenschancen vor. So waren Polen und „Ostarbeiter“
während ihres gesamten Zwangsarbeitseinsatzes in Südmähren unzureichend mit
Bekleidung und Schuhwerk ausgestattet, und die v.a. in den Städten mangelhafte
Versorgung der „Ostarbeiter“ mit Nahrungsmitteln ließ die Überlebenskriminalität
ansteigen. Die von den Nationalsozialisten angestrebte feinsäuberliche Trennung
zwischen Deutschen, „Fremdvölkischen“ und Tschechen war insbesondere im
landwirtschaftlichen Alltag kaum durchsetzbar. Tradierten bäuerlichen Denkmustern
folgend, zog der Einschluss in die Betriebe vielfach auch jenen in die Haushalte nach
sich und machte so die Knüpfung vielfältiger Beziehungen zwischen
„Einheimischen“ und „Fremden“ möglich. Dennoch sollte dieses partielle
Abweichen der deutschen Zivilbevölkerung von der nationalsozialistischen Norm
nicht als Widerstand in einem umfassenden Sinn interpretiert werden. Denn an der
grundsätzlichen Übereinstimmung mit zentralen Elementen nationalsozialistischer
Ideologie und Politik änderten diese punktuellen Divergenzen wenig.
Die Kriegsgefangenen stellten auch in Südmähren die zweitgrößte Gruppe an
ausländischen Beschäftigten. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der ausländischen
Arbeitskräfte war hier aber weit unterdurchschnittlich. Nach ihrer Herkunft
dominierten im Arbeitsamtsbezirk Znaim die Serben, gefolgt von Franzosen. Nach
dem Kriegsaustritt Italiens im September 1943 wurden auch zahlreiche italienische
Kriegsgefangene als so genannte „Militärinternierte“ zum „Arbeitseinsatz“ nach
Südmähren gebracht. Sie stellten dann sogar die drittgrößte Gruppe und waren bei
den NS-Machthabern u.a. wegen ihrer Verständigungsprobleme mit den anderen
„Fremdvölkischen“ und dem daraus resultierenden geringeren Sicherheitsrisiko
besonders beliebt. Ebenso wie im Falle der zivilen ausländischen Arbeitskräfte kam
es aber auch zwischen Kriegsgefangenen und Deutschen immer wieder zu
Überschreitungen der vom Regime vorgeschriebenen Distanz.
22
Gegen Kriegsende war der Arbeitskräftebedarf der deutschen Wirtschaft
derart angewachsen, dass nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Ungarn
auch „ungarische Juden“ ins Reich geholt wurden. Eine Gruppe von ihnen wurde
zunächst nach Strasshof im Osten von Niederdonau deportiert und von dort auf
mindestens 170 Ortschaften in alle Teile des Gaus aufgeteilt. Diese Menschen
dienten der SS als Faustpfand bei Verhandlungen mit zionistischen Kreisen und den
Alliierten. Bislang sind in Südmähren 23 Einsatzorte „ungarischer Juden“ bekannt.
Über ihr quantitatives Ausmaß sind derzeit noch keine gesicherten Aussagen
möglich. Sie arbeiteten in verschiedenen Bereichen der Industrie und in der Landund Forstwirtschaft. Als Häftlinge der Gestapo zählten sie zu den am meisten
diskriminierten Bevölkerungsgruppen und durften daher auch in der Landwirtschaft
nur in Kolonne eingesetzt werden. Ende 1944 wurde ein Teil von ihnen ins KZ
Bergen-Belsen verbracht, ein weiterer später nach Theresienstadt deportiert.
[Dr. Stefan Eminger, wissenschaftlicher Mitarbeiter des NÖ Instituts für
Landeskunde und des NÖ Landesarchivs]
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