Schwangerschaft einer Typ 1

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Schwangerschaft einer Typ 1Diabetikerin
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung durch Hr. Dr. Teupe und dem INSULINER-Verlag
(INSULINER Nr. 88 Bl. 64 ff).
Da dieses Thema auch Gegenstand der Schulungen in Althausen ist, habe ich den Bericht in
diese Reihe übernommen.
Es ist noch nicht so lange her, da hat man Diabetikerinnen vom Kinderkriegen abgeraten.
Heute stimmt es auch für sie: eine gewünschte Schwangerschaft kann für die werdenden
Eltern eine schöne Zeit sein!
Selbst anfängliche Übelkeit mit Erbrechen, später dann der drückende Bauch, die teigigen
Unterschenkel, der schmerzende Rücken, Abneigung oder Vorlieben für bestimmte Gerüche
oder Nahrungsmittel können dieser eigentlichen Freude nicht allzu viel anhaben. In der
Familie wird über Hausgeburt, Anwesenheit des Vaters bei der Geburt, Rooming-in und über
das Stillen gesprochen, über Schwangerschaftsgymnastik, Frühgeburt, Wickelmethode,
Kinderzimmer. Vorbei die Diskussion, ob man denn in dieser Zeit überhaupt ein Kind in die
Welt setzen könne. Die werdende Mutter entwickelt einen bisher nicht gekannten
Nestbauinstinkt: Es soll alles gut für die Ankunft des Babys vorbereitet sein. Die Schwangere
sucht häufiger ihren Frauen- oder Hausarzt auf; gibt es einen Immunschutz gegen Röteln? Sie
hat ihren Koffer für die Klinik gepackt, ernährt sich besonders gesundheitsbewußt, stellt
vielleicht sogar das Zigarettenrauchen ein und verzichtet auch ganz bewusst auf ein Glas
Wein. Am Ende der Schwangerschaft warten alle gespannt auf die ersten Wehen. Keine Angst
vor den Geburtsschmerzen, endlich ist es soweit!
Eine bewegte Zeit, eine schöne Zeit. Trotz einiger Ängste überwiegt bei den meisten Paaren
die gute Hoffnung auf ein gesundes Kind. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum dies bei
Diabetikerinnen wesentlich anders sein soll. Wir kennen aber auch viele Diabetikerinnen, die
während der gesamten Schwangerschaft von einem Schrecken in den anderen gejagt wurden,
weil zu viele Unerfahrene mit überzogenen Angstphantasien diese eigentlich schönste Zeit
mit überzogener Diagnostik und Therapie (overkill diagnostic and therapy) in eine
intensivmedizinische Quälerei verwandelt haben. In den letzten Jahren werden so strenge
Therapieempfehlungen ausgesprochen bzw. geschrieben, dass Schwangere sie trotz größter
Mühe nicht mehr erreichen können. Da drohen angeblich bei Blutzuckerwerten von z.T. unter
100 mg% schon fatale Folgen (Makrosomie = überschweres Kind, Totgeburt).
Meist verraten sich solche Skripte dadurch, dass sie das Thema, wie man das erreichen soll,
übergehen oder so unkonkrete oder falsche Therapieempfehlungen aussprechen, dass jeder
Fachmann erkennt, dass diese nicht funktionieren. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass der BZverlauf von Typ 1-Diabetikerinnen prinzipiell labiler ist als vom überwiegenden Anteil der
Schwangeren, die einen meist vorübergehenden Gestationsdiabetes entwickeln (Typ 2Diabetes, MODY-Diabetes). Beim Typ 1-Diabetes kann man Blutzuckerspitzen häufig kurz
halten, beim Gestationsdiabetes sind sie meist träger. Auch sind diese vorgegebenen
Therapieempfehlungen eher Durchschnittswerte und meinen keine kurzen BZ-Spitzen. Diese
Überzeichnungen und Unkonkretheit verstärken aber die Ängste einer schwangeren Typ 1Diabetikerin gewaltig.
So bleiben Mutter und Kind gesund
Ärztliche Bemühungen bewegen sich im Spannungsfeld zweier Pole: Eine Schwangerschaft
ist auch bei Diabetikerinnen keine Krankheit, aber bei ihnen muss der BZ bestmöglich
eingestellt werden, damit Mutter und Kind gesund bleiben. So kann sowohl das Zuviel an
Information, Diagnostik und Therapie zumindest belästigend, gelegentlich auch schädlich
sein. Insbesondere sollte verhindert werden, dass zu viele Ärzte ohne gegenseitige
Abstimmung die Schwangere betreuen. Andererseits kann die ungenügende Diagnostik und
Überwachung für Mutter und Kind schicksalsschwere Folgen haben.
Bestand der Diabetes schon vor der Schwangerschaft, dann handelt es sich meistens um einen
Insulinmangel-Diabetes (Typ 1-Diabetes), seltener um eine Frühform des Insulin-ResistenzDiabetes (Typ 2-Diabetes, MODY-Diabetes). In der zweiten Schwangerschaftshälfte kann
aber auch ein durch die Schwangerschaft vorverlegter Typ 2-Diabetes auftreten
(Gestationsdiabetes).Seltener entwickelt sich rein zufällig auch ein Typ 1-Diabetes während
einer Schwangerschaft. Dies geschieht eher in der zweiten Hälfte, während der der
Insulinbedarf aller Schwangeren ansteigt (Insulinresistenz).
Oft bewegt die Schwangere auch, wie es mit dem Vererbungsrisiko des Diabetes aussieht. Hat
nur sie Typ 1-Diabetes liegt dieses unter 2% auf Lebenszeit. Gibt es jedoch noch Geschwister,
Vater, andere Verwandte mit Typ 1-Diabetes, wächst dies deutlich an. Heutzutage ist man in
der Lage, diese Risiken bald nach der Geburt des Kindes noch genauer vorauszusagen. Doch
was schlussfolgert daraus? Ist ein Mensch auf die Welt gekommen und entwickelt
irgendwann später einen Typ 1 Diabetes, dann hätte es genau dieses Individuum kein zweites
Mal ohne Diabetes je gegeben.
Leider wird mit diesen Ängsten auch ein fragwürdiges Geschäft gemacht: für ca. 2000 Euro
kann man das Nabelblut des Neugeborenen über sehr viele Jahre einfrieren lassen, mit der
vagen Hoffnung, beim späteren Auftreten von Erkrankungen diese wieder auftauen zu
können, um mit den darin vielleicht enthaltenen Stammzellen eventuell eine Therapie
herstellen zu können.
"Zuckertabletten" dürfen bei schwangeren Diabetikerinnen nicht verwendet werden. Wenn
eine Diätbehandlung alleine nicht ausreicht, wird Insulin erforderlich. Bei jedem Medikament
muss man gesundheitliche Rücksicht auf das Kind nehmen. Es gibt Listen, welche
Medikamente in der Schwangerschaft und in der Stillzeit vermieden werden sollen. Die
möglichst frühzeitige Einnahme von Folsäure ist auch für die Diabetikerin sinnvoll. In der
Schwangerschaft sind allfällige virale Infektionen nicht gefährlich.
Am besten, man optimiert die Diabetes-Therapie schon vor der Empfängnis. Dies kann samt
Schulung auch ambulant erfolgen. Meistens kommen die Diabetikerinnen aber erst nach der
siebten Schwangerschaftswoche zur Neueinstellung. Gelegentlich wird die Schwangerschaft
erst nach einer oder mehreren Hypoglykämie(n) mit Bewusstseinsverlust bemerkt (höhere
Insulinempfindlichkeit im ersten Schwangerschaftsdrittel). Wenn dann trotz guter Mitarbeit
der Diabetikerin die Blutzucker-Zielwerte (50-) 60 bis 140 (-160) mg% häufiger und
anhaltend verfehlt werden, muss die Therapie schnellstmöglich in einem Zentrum korrigiert
werden. Niedrig-normale Blutzuckerwerte wirken sich für Kind und Mutter günstig auf
Mißbildungsrisiko, Kindsreife, Geburtsgewicht, kindlichen Blutzucker nach der Geburt und
auf Schwangerschaftsverlauf, -komplikationen und Diabetes-Folgekrankheiten aus. Das
Risiko schwerer Mißbildungen (z.B. Herzfehler, unvollständiger Verschluss von Teilen des
Nervensystems u.a.) beträgt für gesunde Schwangere ca. 1 bis 2%. Bei schlechter BZEinstellung im ersten Schwangerschaftsdrittel vergrößert sich das Risiko auf maximal 10%.
Bei vorzeitiger Blutzucker-Normalisierung gleicht es sich an das der Gesunden an.
Unterzuckerungen mit Hilflosigkeit, Bewusstlosigkeit und Krampfanfällen erhöhen dieses
Risiko anscheinend nicht. Auch gehen davon keine größeren Risiken für eine Frühgeburt aus.
Von unseren über 400 betreuten Schwangerschaften gab es vier schwere Missbildungen, eine
davon ein genetisches Syndrom. Da präkonzeptionell nicht alle unserer Diabetikerinnen
optimal eingestellt waren, kann man daraus schlussfolgern, dass gering erhöhte HbA1c-Werte
bei unserem Kollektiv zu keinem höheren Missbildungsrisiko geführt haben.
Abgesehen hiervon steigt das Risiko für schwere Unterzuckerungen nicht in jedem Fall und
auch nicht zwangsläufig mit der BZ-Normalisierung. Gerade die ein Viertel bis ein halbes
Jahr vorab mit einer Mehrfach-Spritzentherapie oder mit der lnsulinpumpe stabilisierte BZStoffwechsellage bietet eine erhöhte Sicherheit vor diesen unerwünschten Zwischenfällen.
Anhaltend schlechte BZ-Werte in der zweiten Schwangerschaftshälfte führen zu "big babies"
(hohe Geburtsgewichte), die wegen Unreife nachgeburtlich Probleme entwickeln können.
Dabei muss man sich jedoch vor zwei Fehldeutungen schützen:
1. Die sonografische Gewichtsbestimmung der Feten weist nach unserer praktischen
Erfahrung mit sehr vielen verschiedenen Gynäkologen in mehr als dreiviertel der Fälle
erhebliche Mängel auf. Meistens kommen die Babys mit mehreren Hundert Gramm
leichter auf die Welt, als nach Sonografie vorher eingeschätzt wurde. Vermutlich hat
dies damit zu tun, dass in die Gewichtsformeln drei Querschnittsflächen (Kopf, Brust,
Bauch) eingehen, die je nach Neigungswinkel beim Sonografieren wohl nur
ausnahmsweise die richtigen und eher bei leichter Neigung zwangsläufig zu groß sind.
2. Seit mehr als zehn Jahren beobachten wir, dass immer mehr "längere" Babys auf die
Welt kommen -und die müssen dann auch schwerer sein. Wenn ein Baby 57 cm groß
ist und "normale" 3000g wiegt, dann ist es eher ein mangelernährtes Kind, als wenn es
4100 g wiegt - es ist im letzteren Fall kein unreifes Kind. Unabhängig hiervon kann
bei diesen Kindern die Geburt schwieriger sein.
Während der Schwangerschaft verändert sich zu typischen Zeiten die Insulinempfindlichkeit
und damit der Insulinbedarf. Kennt man diese Entwicklung nicht, wird man zu den
Umschlagszeiten von Unter- bzw. Überzuckerungen überrascht:
1.
Unterzuckerungen zwischen der 5. und 12. Schwangerschaftswoche
2.
Zunehmende Überzuckerungstendenz ab der 20., spätestens 27. SSW
3.
Unterzuckerungen frühestens ab der 35. SSW, spätestens unmittelbar nach der Geburt
4.
Unterzuckerungen in der Stillzeit
Den größten Teil des Insulinmehrbedarfs der zweiten Hälfte der Schwangerschaft braucht
man für die Frühstücksinsulinierung, für das Aufstehphänomen und die frühmorgendliche
Basalrate. Ein üblicher Frühstücksbolus in den letzten Wochen der Schwangerschaft beträgt
zwischen 7 -12 Einheiten pro BE, dies kann im Einzelfall aber auch nur 3 oder 20 Einheiten
heißen. Das Aufstehphänomen braucht ähnlich viel Insulin.
Welche Kontrollen sind sinnvoll?
Die Nierenschwelle kann zum Schwangerschaftsende auf bis zu 100mg% absinken, weshalb
Urinzuckerkontrollen sinnlos sind! Mit drei bis sieben BZ-Werten täglich kann man seine
Diabetestherapie gut steuern und benötigt auch keine Fructosamin-Werte, achtwöchentliche
Glyko-Hb-Werte genügen. Da in der 2. Schwangerschaftshälfte einige Schwangere einen
besonderen roten Blutfarbstoff bilden (HbF, dem Hämoglobin des Embryos entsprechend)
und dieser nicht von allen HbA1c-Methoden sicher und vollständig vom HbA1c-Wert
abgegrenzt wird, kommen immer wieder falsch hoch gemessene HbA1c-Werte von bis zu 5
Absolut-% vor, sodass man bei unplausiblen HbA1c-Werten entweder den HbF-Gehalt im
Blut bestimmen lässt oder HbA1c-Methoden verwendet, die diesen Fehler nicht machen
(Affinitätschromatografie).
Bei diabetischem Nierenleiden besteht ein deutlich erhöhtes EPH-Gestose-Risiko
(zunehmende Eiweißausscheidung, massive Wassereinlagerung, Bluthochdruckentwicklung)
für die zweite Schwangerschaftshälfte. Deshalb misst man Mikro-/ Makroalbumine im Urin
zu Schwangerschaftsbeginn. Bei Mikroalbuminausscheidung empfehlen wir
Blutdruckselbstmessungen. Relativ oft musste eine EPH-Gestose bei bestehenden
Nierenveränderungen behandelt und einige Kinder deshalb vorzeitig entbunden werden -ohne
dass es bei den Müttern oder den Kindern zu bleibenden Schäden gekommen wäre.
Die EPH-Gestose ist ein Notfall für Mutter und Kind und muss ab einem bestimmten
Schweregrad stationär behandelt werden.
Trotz einer insgesamt positiven Bilanz bedaure ich einige Fehlentwicklungen. Aufgrund der
Unerfahrenheit vieler Ärzte wurden nicht selten unrealistische Therapieanforderungen an
diese Risiko-Schwangeren gestellt: Alle BZ-Werte müssten ständig unter 120mg% liegen,
sonst sei Schlimmstes für das Kind zu befürchten. Umgekehrt seien Blutzuckerwerte unter
60mg% für das Gehirn des Embryos/Fetus schädlich. Neuerdings wird behauptet, dass
HbA1c-Werte unter 5,7% das Risiko des Kindes für dessen spätere Typ 1-DiabetesEntwicklung erhöhen würde - z.T. sich also widersprechende Therapieanforderungen, die so
nicht verwirklichbar sind.
Ich musste so manche stark verängstigte Diabetikerin dann wieder beruhigen: Die von mir
betreuten Schwangeren lagen gelegentlich auch einmal (weit) darüber, mit passenden BZKorrekturregeln jedoch nur für kurze Zeit.
Damit Mutter und Kind gesund
bleiben, muss der Blutzucker
bestmöglich eingestellt werden.
Die Glykol-Hb-Werte unserer Schwangeren lagen fast immer unter 7,5%, meist zwischen 5,3
- 6,3% (normal < 6,3%). Im Idealfall sollte ein erfahrener Diabetologe mit einem ebenfalls
mit Diabetikerinnen vertrauten Gynäkologen zusammenarbeiten, der später auch entbindet.
Beide bestimmen, ob und wann andere Ärzte hinzugezogen werden. Hierzu gehört sicherlich
mindestens eine Augenarztuntersuchung, gleich am Anfang und zu Beginn der zweiten
Schwangerschaftshälfte.
Ich traf eher auf Überdiagnostik und -therapie als auf das Gegenteil. Das Ausmaß der
ärztlichen Kontrollen und Untersuchungen richtet sich nach dem Gesundheitszustand der
Diabetikerin, ihrem Alter, ihrer Fähigkeit, den Blutzucker selbständig zu normalisieren.
Schematisierungen passen für den Einzelfall ja doch nicht und einige dieser Kontrollpläne
sichern eher den behandelnden Arzt juristisch ab, als dass sie die diabetische Schwangere
wirkungsvoller schützen.
Am meisten habe ich mich über unsinnige Kaiserschnittentbindungen geärgert. So wurde ca.
ein Drittel der Kinder per Kaiserschnitt entbunden; in der Mehrzahl, wie ich meine, ohne
zwingenden Grund. In Gesprächen mit Schwangeren und entbindenden Frauenärzten setze ich
mich dafür ein, die Zahl der Kaiserschnitte auf das Maß des gynäkologisch Notwendigen zu
vermindern. Schließlich handelt es sich ja um eine Operation. Auch die Tage danach sind
meist beschwerlicher und behindern die Mutter-Kind-Beziehung. Unabhängig ist es für mich
aber auch richtig, dass die werdende Mutter darüber autonom entscheiden darf, ob sie eine
Kaiserschnittentbindung auch ohne medizinisch wichtigen Grund wünscht. Auch spreche ich
mich gegen vorzeitige Geburtseinleitungen aus, die in der Mehrzahl der Fälle nicht zur Geburt
sondern wegen ungenügender Wehentätigkeit zur Kaiserschnittentbindung werden.
Offensichtlich machen Gynäkologen noch zu viele schlechte Erfahrungen mit big Babys mit
schlecht eingestelltem Blutzucker!
Wir empfehlen wegen der erhöhten Geburtsrisiken für Mutter und Kind eine stationäre
Entbindung in einer Klinik, die sowohl eine Intensivstation für Frühgeborene, als auch eine
innere Intensivstation vorhalten. Wenn auch die meisten außerstationären Entbindungen gut
verlaufen sind, gab es sehr problematische Verläufe, auch mit fatalen Folgen. Wir meinen,
dass man in einer Klinik entbinden und - falls von der Mutter so gewünscht -tagsdrauf nach
Hause gehen sollte. So mancher Mutter tut aber die Erholung im Krankenhaus besser, als der
Stress zuhause.
Um allen Missliebigkeiten aus dem Wege zu gehen, sollten gut geschulte Typ 1Diabetikerinnen alles für eine funktionierende Insulintherapie erforderliche Material in die
Entbindungsklinik mitnehmen. Ich habe oft Anrufe von diabetischen Wöchnerinnen erhalten,
weil sie ihren Diabetes auf den Entbindungsstationen nicht richtig behandeln konnten und
sich entmündigt fühlten. Wie oft musste ich mir anhören, dass mit Diabetesfragen wenig
erfahrene Ärzte und Schwestern sinnvolle Therapieentscheidungen von Wöchnerinnen
verhinderten. In diesen Konflikten ist es hilfreich, wenn der Lebenspartner einspringt.
Wenn schwangere Typ-1-Diabetikerinnen Fehler machten, dann unterschätzten sie die stetig
wachsende Insulinresistenz der zweiten Schwangerschaftshälfte, die nicht vor der 20.,
meist erst nach der 23. bis 25. Woche beginnt, und dann aber manchmal mehrmals
wöchentlich Insulindosissteigerungen erforderlich machen.
In dieser Zeit funktioniert folgende Regel relativ gut:
Wenn man in die Phase der zunehmenden Insulinresistenz gekommen ist, sollte man bei
jedem Nüchtern wert über 120mg% die Basalrate je Stunde erhöhen (0,05 - 0,1 IE/ h)
und bei jedem pp-Wert über 140mg% die zuständigen Insulinmengen um jeweils 0,5 bis
2 Einheit (je nach Insulinempfindlichkeit).
Man kann dann nicht in größere Insulin-Defizite rutschen. Andererseits ist man in dieser
Phase meist derartig resistent, dass eine voreilige Insulin-Höherdosierung nicht zu schweren
Unterzuckerungen führt. Die geringsten Insulindosisvermehrungen betrugen faktisch ca. 15%,
die größten ca. 300% der Ausgangsdosis.
Übrigens kommt es bei einigermaßen regelgerechtem Insulinaufbau während der
Schwangerschaft bei männlichen Feten zu einer Insulindosissteigerung von ca. 50%, bei
weiblichen Feten von ca. 100%, sodass man als erfahrener Diabetologie in der 27.
Schwangerschaftswoche auch ohne Sonografie oder Gendiagnostik das Geschlecht des
Kindes voraussagen kann.
Einmal von ca. 400 Fällen beobachteten wir bei schon relativ niedrigem Insulinbedarf
dagegen eine ständige Insulinmengenkürzung mit vielen schweren Unterzuckerungen auf ca.
die Hälfte, die sich nach erfolgreicher Schwangerschaft wieder ausglich - ohne dass dahinter
eine (hormonelle) Erkrankung gefunden werden konnte. Von einer Patientin weiß ich, dass sie
eine ähnliche paradoxe Insulinentwicklung mitmachte, sich während der Schwangerschaft
aber eine Hirnanhangsunterfunktion entwickelte. Während mir relativ viele schwere
Unterzuckerungen aus den ersten Schwangerschaftswochen berichtet wurden, kann ich mich
an keinen derartigen Fall im letzten Schwangerschaftsdrittel (bis auf den o.g. Fall) erinnern.
Viele Diabetikerinnen hatten in der Schwangerschaft trotz ständig steigender Insulinmengen
ihre stabilste BZ-Einstellung, wahrscheinlich wegen hoher Motivation und zunehmender
Resistenz.
Andererseits unterschätzten einige die Geschwindigkeit, mit der sich unmittelbar nach der
Nachgeburt wieder die wesentlich höhere, vorherige Insulinempfindlichkeit einstellte.
Insbesondere diejenigen, die am Ende der Schwangerschaft erheblich mehr Insulin brauchten
als zu Beginn, neigten nach der Geburt zur schrittweisen Zurücknahme dieses Mehrbedarfs und waren dann am zweiten oder dritten Tag nach der Geburt bewusstlos. Gelegentlich
bildete sich die Insulinresistenz auch schon teilweise oder ganz vor der Geburt zurück:
In jedem Fall gilt, dass die nächste Insulindosis unmittelbar nach der Nachgeburt wieder nach
dem alten Therapiekonzept gegeben werden muss. Das Hormon mit dem das Kind gewachsen
ist (HCS = human chorion somatotropin) wurde in der Placenta hergestellt und hatte die
Mutter insulinresistent gemacht. Mit der Nachgeburt dieses Mutterkuchens ist die
Hormonquelle verschwunden und die Mutter wird um diesen Betrag insulinempfindlicher.
Unter den größeren Insulinmengen ist sie allerdings noch stark Insulinrezeptordownregularisiert. Das insulinempfindlichkeitssteigernde Hormon Prolaktin, das schon Monate
zuvor die Milchdrüsen zur Milchproduktion vorbereitet hat, wiegt die Resistenz der downRegulation in etwa auf, so dass unmittelbar nach der Geburt etwa so viel Insulin zur Therapie
nötig ist, wie vor der Schwangerschaft gebraucht wurde. Falls der Blutzucker zu dieser Zeit
noch nicht gut eingestellt war, wählen wir die Insulinverhältnisse der 16. - 22. SSW.
Es ist besonders einfach, wenn man die im Gebrauch befindliche Insulinampulle in seine
Zweitpumpe mit alter Basalrate umsteckt, bzw. die gespeicherte, ursprüngliche Baslarate
wieder aktiviert
Mit dem Einschießen der Milch in die Brüste und besonders beim Stillen geht dieser
Insulinbedarf noch weiter zurück.
Dieser Rückgang verstärkt sich in den ersten Tagen und Wochen, so dass am Ende bis zu 25%
weniger Insulin gebraucht wird. Jeder Stillakt braucht insbesondere in den ersten Wochen
einen zusätzlichen Schutz von ein bis zwei schnellen BE (Fanta, Malzbier, Traubensaft,
Traubenzucker). Schwere Unterzuckerungen mit Hilf- und Bewusstlosigkeit und
Krampfanfällen können sich sehr schnell entwickeln, so dass die Mutter noch vor dem Stillen
erst einmal sich selbst (und damit auch das Kind) schützen muss. Es gab einige Geschichten,
bei denen die stillende Mutter bewusstlos neben ihrem Baby auf dem Boden liegend gefunden
wurde.
Geburt
Keine der ca. 400 von mir betreuten schwangeren Diabetikerinnen erlitt unter der
körperlichen Anstrengung der Geburt eine Unterzuckerung, eher stieg der Blutzucker etwas
an. Deshalb sollte die Insulintherapie während der Wehen und der Geburt unverändert
weiterlaufen. Wichtig für den nachfolgenden BZverlauf ist die abrupte Verbesserung der
Insulinempfindlichkeit sofort nach der (Nach-)Geburt.
Nicht nur aus dieser Sicht bedaure ich die viel zu häufig durchgeführte
Kaiserschnittentbindung, deren Überzahl diabetologisch nicht zu rechtfertigen ist. Das
Geburtsgewicht ist allerdings bei schlechter Diabetesführung insbesondere ab der 20.
Schwangerschaftswoche in aller Regel erheblich höher und damit eine Geburtserschwernis.
Die damit verbundene "Unreife" stellt nach der Geburt eine Gefährdung für den Säugling dar.
Die meisten unserer Babys wogen zwischen 3 und 3,5 kg. Mehrmals gab es Zwillinge, zwei
Diabetikerinnen trugen unter Pumpentherapie drei Kinder aus.
Auch unter Presswehen gab es keine Augenblutungen, obwohl einige Diabetikerinnen
diabetische Augenhintergrundsveränderungen aufwiesen. Pressen erhöht den venösen Druck,
der üblicherweise ca. 1mmHg beträgt, während die Blutungen aus den Kapillaren kommen,
die unter dem Systemdruck des Blutdruckes (im Idealfall 120/80 mmHg) liegen. Nach
Auskunft eines Spezialisten ist die Komplikation auch nicht als Negativ-Erfahrung in der
Medizin bekannt.
War die Blutzuckerstoffwechsellage ohne wesentliche Folgekrankheiten während der
gesamten Schwangerschaft fast immer normal, bestehen dieselben Chancen auf ein gesundes,
normalgewichtiges Kind bei natürlicher Geburt wie bei gesunden Gleichaltrigen.
Die meisten Mütter schickten mir ein Foto von dem schönsten aller Kinder (was natürlich
nicht stimmt, weil meine Kinder die schönsten waren). Auch wenn ich dabei natürlich kein
Mutterglück empfinde, freue ich mich jedes Mal ein bisschen mit. Ist es mir im Einzelfall
gelungen, dass erst gar keine unsinnigen Ängste aufkamen, die Mutter erst mit den ersten
Wehen in die Klinik fuhr und auf natürliche Art ihr Kind gebar und dieses dann auch stillte,
war ich sogar etwas stolz auf mich!
Danach höre ich oft lange Zeit nichts mehr: Familienchaos... führen zur Monate bis
jahrelangen Vernachlässigung des eigenen Diabetes. Eine Mutter sollte daher schon während
der Schwangerschaft darauf vorbereitet werden, dass sie auch nach der Geburt ihre
Blutzuckertherapie weiter konsequent betreibt!
Dr. med Bernhard Teupe
Diabetesdorf Althausen
Im Brunnental 10-18
97980 Bad Mergentheim
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