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Bankhistorisches Archiv
Banking and Finance in Historical Perspective
Band 35 • Heft 2 • 2009
© Franz Steiner Verlag, Stuttgart
Hartmut Kiehling
Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation –
Die Kreditschöpfung und ihre Determinanten 1914 bis 1923
ABSTRACT: Reichsbank’s Monetary Policy during High and Hyperinflation – Credit Expansion and its
Factors 1914–1923
The main purpose of this contribution is to explore money supply and other reasons for credit expansion during high and hyperinflation in Germany, and to compare it as accurately as possible with
actual lending. Volume and time to maturity are particularly important factors behind credit expansion. These factors have been explored before to a very different degree. Foreign deposits have been
examined previously extensively in relation to those of other depositors such as enterprises, private and
public households. Further potential factors behind credit supply – such as money rates and monetary
growth – have not, however, been explored until now. This is especially true for token money and near
money during the last stages of German hyperinflation. Time series of money rates published to date
are hampered by statistical breaks or flat markets. These subject areas will be covered in this paper.
Considerable redeployment of credit extension took place from 1914–1923 between commercial banks
and other financial intermediaries such as exchanges or mortgage banks. This has been explored before,
but it is quantified in detail for the first time in this paper. Liquidity of the banking system and that of
the overall economy is another important factor behind credit expansion. Such factors changed greatly
during the period under examination. Changes are represented in this paper month by month.
This detailed investigation has several goals: first, a better classification of periods both of money
supply respectively credit lending and of general economic development. This is especially important
during the sudden crises of spring 1920, autumn 1921 and during the second half of 1922. The liquidity
of banks and the overall economy has not been explored sufficiently to date. Second, this paper aims
to answer two questions in this regard: to which extent did the Reich’s subsidies during “Ruhrkampf”
feed German money markets, and how much token money and near money was circulating at that time?
Lastly, this paper examines whether Reichsbank’s policy was really as accommodating as many authors
suppose it to have been, or whether its policy followed certain rules.
Seit seiner Novellierung 1939 fasst das Gesetz über das Kreditwesen (kurz: Kreditwesengesetz – KWG) Banken und Sparkassen unter dem Begriff „Kreditinstitute“ zusammen.
In diesem offensichtlich wohlweislich gewählten Begriff manifestiert sich die besondere
Bedeutung der Kreditvergabe als eine der wesentlichen Kernfunktionen des Bankengeschäfts.1 Das Kreditgeschäft bindet – mehr noch als das Einlagen-, Zahlungsverkehrs- und
Wertpapiergeschäft – in besonderem Maße Betriebsmittel, andererseits trägt es in aller
Regel aber auch wesentlich zum Unternehmenserfolg bei. Eine Grundvoraussetzung für
das Kreditgeschäft der Banken ist die Verfügbarkeit ausreichender liquider Mittel. Mit
anderen Worten: Die Banken sind Händler von Liquidität unterschiedlicher Fristigkeit.
In vorliegender Untersuchung sollen das Geldangebot sowie die übrigen Faktoren
der Kreditschöpfung während der großen deutschen Inflation von 1914/18 bis 1923 be1
Abweichend vom KWG werden die Begriffe „Banken“ und „Kreditinstitute“ im Folgenden synonym
verwandt.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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stimmt und der tatsächlichen Kreditgewährung gegenübergestellt werden. Zu den übrigen
Faktoren der Kreditschöpfung zählen die Entwicklung der Einlagen, ihre Volumina und
Fristigkeit. In diesem Zusammenhang interessieren vor allem das Verhalten der großen Einlegergruppen des Auslandes sowie der inländischen öffentlichen Haushalte, Unternehmen
und Privaten. Dabei stehen die Privateinlagen im Mittelpunkt, die üblicherweise wegen
ihres Volumens und ihrer Stetigkeit von besonderer Bedeutung für die Kreditgewährung
sind. Während die Zu- und Abflüsse von Auslandsgeldern in der Forschung bereits intensiv untersucht wurden, sind dagegen andere mögliche Faktoren des Kreditangebots in
der deutschen Inflation, wie die Entwicklung der Geldmenge und der Geldmarktzinsen,
bislang kaum erforscht. Das gilt vor allem für die Not- und Quasigeldvolumina, denen
1923 eine hohe Bedeutung zukam. Die bereits veröffentlichten Zeitreihen zu den Geldmarktsätzen haben gravierende Schwächen, da sie Brüche aufweisen und ihnen zeitweise
kaum Umsätze zugrunde lagen. In der Zeit zwischen 1914 und 1923 kam es zu erheblichen
Umschichtungen zwischen der Kreditgewährung der Banken und derjenigen der übrigen
Finanzintermediäre (insbesondere der Hypothekenbanken und der organisierten Kapitalmärkte). Diese Entwicklungen wurden zwar in der Literatur gelegentlich angesprochen,
bisher jedoch weder quantifiziert noch zeitlich genau eingegrenzt.
Die Liquiditätsausstattung der Banken wie auch der Volkswirtschaft im Allgemeinen
wies im Laufe des Untersuchungszeitraums außerordentliche Schwankungen auf, die im
Folgenden Monat für Monat nachvollzogen werden sollen. Das galt vor allem für die
krisenhaften Zuspitzungen der Liquiditätssituation bis zum Frühjahr 1920, im Herbst
1921 sowie im zweiten Halbjahr 1922. Von besonderem Interesse ist jedoch die Liquiditätssituation im Jahr 1923, die – bislang noch unzureichend erforscht – folgende Fragen
aufwirft: Inwieweit flossen die Unterstützungsgelder des Reiches für das Ruhrgebiet auf
den deutschen Geldmarkt zurück und in welchem Umfang waren im Zeitablauf Notund Quasigeldbestände im Umlauf? In diesem Zusammenhang soll der Versuch einer
Neubewertung der Reichsbankpolitik unternommen werden, deren vermeintlich passiv
akkommodierende Vorgehensweise in der Literatur bisher nahezu einheitlich auf Kritik
gestoßen ist.
Während die organisatorische Vorbereitung und Durchführung der Währungsstabilisierung durch die Einführung der Rentenmark weitgehend unberücksichtigt bleiben soll, hat
die folgende Untersuchung dennoch eine primär wirtschaftshistorische Zielsetzung – etwa
im Gegensatz zu den vorwiegend volkswirtschaftlichen Arbeiten mehrerer angelsächsischer Autoren, die Hyperinflationen der Vergangenheit als Gelegenheit begriffen, die
Gesetzmäßigkeiten der Geldnachfrage und des Geldangebots unter extremen Umständen
näher zu untersuchen. Zugleich möchte die vorliegende Arbeit einen ergänzenden Beitrag
leisten zu den volkswirtschaftlichen Studien der letzten Jahrzehnte, die sich primär mit
dem Geldangebot in der Hyperinflation befassten, und insbesondere im dritten Kapitel
über das Geld- und Kreditangebot der Banken unter dem Aspekt der volkswirtschaftlichen
Theorie Eingang in die Untersuchung einfließen.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
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I. Das Datenmaterial
Viele der in dieser Untersuchung herangezogenen Daten liegen lediglich mit Stand zum
Jahresultimo vor. Darüber hinaus wird soweit wie möglich auf monatliche Werte zurückgegriffen, da nur so die Mikrostruktur der Marktbewegungen erfasst werden kann,
die es erlaubt, den zeitlichen Ablauf in der hektischen Inflationszeit zu erfassen und
Zusammenhänge besser zu rekonstruieren. Allerdings unterliegen diese Monatswerte oft
großen Verzerrungen. Soweit es sinnvoll und möglich ist, werden diese jedoch benannt
und quantifiziert.
Flussgrößen und Bestände sind im Folgenden ausschließlich in Goldmark (GM) wiedergegeben, um die realen Verhältnisse abzubilden. Als besonderes Problem jeglicher
wertbeständiger Rechnung erweist sich jedoch die Berücksichtigung der zurückgestauten
Inflation der Kriegsjahre. Alternativ wäre es möglich, an die Entwicklung eines nominalen
Geldmengenaggregates anzuknüpfen. Dabei käme insbesondere die Geldbasis infrage,
die zwar in monatlichen Daten vorliegt, jedoch um die Veränderung eines Einkommensaggregats der Volkswirtschaft zu korrigieren wäre. Da für den Untersuchungszeitraum
jedoch eine solche Größe nicht zur Verfügung steht, müssten die jährlichen Werte der
Industrieproduktion herangezogen und interpoliert werden. Eine solche Inflationsbereinigung der Nominalwerte über die Geldmenge bereitet im Untersuchungszeitraum jedoch
besondere Schwierigkeiten. Dazu zählen insbesondere die Quantifizierung und zeitliche
Einordnung der Versorgung der während des Krieges besetzten Gebiete mit deutscher
Währung2 sowie des Währungsrückflusses und der Bargeldhortung. Es bleibt daher notgedrungen bei der Inflationsbereinigung über die Goldmark.
Unter „Goldmark“ verstand man in der Kriegs- und Nachkriegszeit die Mark vor 1914
bzw. deren Äquivalent.3 Zur Umrechnung – damals „Reduzierung“ genannt – verwandte
man entweder die offizielle Parität von 4,198 Mark/US-Dollar oder den Großhandelsindex (Basis meist 1913 = 100). Im Folgenden wurde durchgängig die Umrechnung der
Markbeträge über den Dollar gewählt, da sich die Banken im Laufe der Inflationszeit
2
3
Zu den wenigen Studien, die hierzu vorliegen, zählt Reinhold Zilch, Okkupation und Währung im
Ersten Weltkrieg. Die deutsche Besatzungspolitik in Belgien und Russisch-Polen 1914–1918. Goldbach
1994. Die Reichsbank schätzte die Ende 1916 in fremden Gebieten umlaufende Notenmenge auf zwei
Milliarden M, die belgische Regierung den Umlauf in ihrem Land nach Kriegsende auf sieben bis acht
Milliarden M. Vgl. Franz Eulenburg, Inflation. Zur Theorie der Kriegswirtschaft, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 45 (1919), S. 493 f. Bei diesen Zahlen ist allerdings der Notenschmuggel
nach Belgien zu berücksichtigen, wo deutsche Zahlungsmittel nach den Waffenstillstandsbedingungen
zu pari einzulösen waren. Vgl. Hermann Bente, Die deutsche Währungspolitik von 1914–1924, in:
Weltwirtschaftliches Archiv 23 (1926), S. 143*; Die Bank 16 (1923), S. 145*, 160*.
Streng genommen war die Mark seit 1910 „Papiermark“. Zum 1. Januar 1910 trat die Novelle zum
Bankgesetz vom 1. Juni 1909 in Kraft, nach der neben den Reichsgoldmünzen auch die Reichsbanknoten zu gesetzlichen Zahlungsmitteln wurden. Dies hatte zunächst jedoch kaum praktische
Bedeutung, da die Reichsbanknoten bereits zuvor allgemein akzeptiert worden waren und bis zum
Juli 1914 jederzeit in Gold eingelöst werden konnten. Vgl. Knut Borchardt, Währung und Wirtschaft,
in: Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876–1975. Frankfurt am
Main 1976, S. 3–55, hier S. 50 f. Im Lichte der späteren Entwicklung betrachteten die Zeitgenossen
die Banknovelle von 1909 jedoch als den ersten Schritt auf dem Weg zur Zerrüttung der deutschen
Währung.
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zunehmend auf das Ausland hin orientierten.4 Diese (auch damals übliche) Umrechnung
hat jedoch einige Nachteile. So liefen der Binnen- und der Außenwert der Mark in der
Zeit von 1919 bis Mitte 1923 deutlich auseinander,5 sodass diese Umrechnungsmethode
aus binnenwirtschaftlicher Sicht zu einer deutlichen Unterzeichnung der Bankenliquidität
führt. Die Änderungen der Kurse auf den Devisenmärkten waren zudem volatiler als die
der inländischen Preise. Dies führte zusätzlich zu einer Überzeichnung der kurzfristigen
Schwankungen der Bankenliquidität. In der letzten Phase der Hyperinflation kam hinzu,
dass die Berliner Devisenkurse seit der Jahresmitte 1923 keine reinen Marktkurse waren,
da die Kursfeststellung über die Reichsbank erfolgte,6 die gegen Ende der Hyperinflation
die einzige Anbieterin von Goldmark war, jedoch während des gesamten Untersuchungszeitraums die Devisennachfrage nicht annähernd erfüllen konnte.7 Andererseits wurden
die außerhalb des deutschen Devisengebietes (wie bis Mitte 1923 in Berlin) exzessiven
Dollarkursschwankungen durch die offizielle Kursfeststellung deutlich geglättet und die
Marktkurse schwenkten schließlich seit Anfang Dezember 1923 auf die administrierten
Kurse ein. Es scheint daher gerechtfertigt, in der vorliegenden Arbeit durchgängig die
offiziellen Berliner Kurse zu verwenden. Die Nachteile einer Umrechnung über den Dollarkurs kann man vermeiden, wenn es gelingt, „dimensionslose“ Kennzahlen zu errechnen,
also etwa „Reichsbankeinlagen zu Abrechnungsvolumina“ oder die „Liquiditätsquote
der Banken“. Dies ist jedoch nicht in jedem Fall möglich.
Des Weiteren wird im Folgenden auf aggregierte Bankbilanzen zurückgegriffen, die für
den größten Teil des Untersuchungszeitraums für die Berliner Großbanken, die Provinzund Hypothekenbanken sowie die Deutsche Girozentrale – Deutsche Kommunalbank
– (DGZ) und die Preußische Zentralgenossenschaftskasse8 vorliegen. Darüber hinaus
sind Einlagen- (und Kredit-)volumina von Sparkassen und gewerblichen Kreditgenossenschaften bekannt,9 deren Berechnungsweise und die damit verbundene Problematik
im Folgenden kurz erläutert werden sollen. Zum einen war den Banken kein bestimmtes
Bilanzierungsschema und damit auch kein Zuordnungsschema für einzelne Vermögensgegenstände vorgeschrieben.10 Eine Ausnahme waren seit 1912 die Aktienkreditbanken,11
4 In diesem Zusammenhang sei auf die bereits früh einsetzende Kapitalflucht ebenso verwiesen wie
auf die Abwicklung des sich bereits 1920 erholenden Außenhandels, die Anlage der 1919 bis 1921
spekulativ in Deutschland angelegten Auslandsgelder, die daraus folgende Internationalisierung des
Wertpapier- und Konsortialgeschäfts (Pakethandel, Auslandsemissionen, Wertpapierkundengeschäft
etc.) sowie die gegen Ende der Inflationszeit mehr und mehr erfolgte Anlage der liquiden Mittel der
Banken in Devisen, Sorten und wertbeständigen Zahlungsmitteln.
5 Wirtschaft und Statistik 1 (1921), S. 192 f., 284 ff.; 2 (1922), S. 234 ff., 341–344; 3 (1923), S. 28 f.
6 Notverordnung vom 22. Juni 1923, in: Reichsgesetzblatt (RGBl.) 1923/I, S. 401. Vgl. zu den abweichenden Kursen der Kölner und Amsterdamer Börsen Rüdiger Dornbusch, Lessons from the German
Inflation Experience of the 1920s, in: ders. (Ed.), Macroeconomics and Finance. Essays in Honor of
Franco Modigliani. Cambridge, Mass. 1987, S. 355 ff.
7 Karl Elster, Von der Mark zur Reichsmark. Die Geschichte der deutschen Währung in den Jahren
1914 bis 1924. Jena 1928, S. 212.
8 Spitzeninstitute des Sparkassen- und des Genossenschaftssektors.
9 Deutsche Bundesbank, Deutsches Geld- und Bankwesen in Zahlen 1876–1975. Frankfurt am Main
1976, S. 53–122.
10 Ebd., S. 55.
11 In der Bilanzstatistik waren die so genannten „Aktien-Kreditbanken“ die gängige Bezeichnung für
die Berliner Großbanken und die Provinzbanken.
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die nach einer Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 30. Juli 191112 für ihre Zweimonatsbilanzen ein einheitliches Formblatt benutzen mussten.13 Damit waren im Großen und
Ganzen auch die Inhalte der einzelnen Positionen festgelegt.14 Nach diesem Gliederungsschema richteten sich die Banken mit einigen Ausnahmen (so zum Beispiel die Berliner
Handels-Gesellschaft) auch bei der Erstellung ihrer Jahresbilanzen. Zum anderen unterlagen die Bilanzdaten verschiedenen Bewertungsmaßnahmen, die mehr oder weniger große
Abweichungen von den aktuellen Marktwerten bewirkten. So stellten die veröffentlichten
Bilanzen in der Inflationszeit eine Mischung aus Papier- und Goldmarkbeträgen dar.15
Insbesondere bei Substanzwerten (Immobilien, Beteiligungen, Aktien etc.) führte das
Anschaffungskostenprinzip zu ausgeprägten Unterbewertungen. Allein die Bankgebäude
der Berliner Großbanken hatten nach Berechnungen Alfred Lansburghs Ende 1923 einen
Marktwert von mindestens 300 Mio. GM. In den Mark-Schlussbilanzen summierten sie
sich jedoch lediglich auf umgerechnet 1.464 GM.16
Mit fortschreitender Geldentwertung brachen zudem einige Banken die herkömmlichen
Bilanzierungsgrundsätze, um einer rechnerischen Überschuldung zuvorzukommen.17
Vermutlich bezog sich die volumenmäßig wichtigste Abweichung zwischen Bilanzansätzen und Marktwerten dennoch auf die Substanzwerte. Von diesen interessieren im
Zusammenhang der Fragestellung vorliegender Studie lediglich die Sorten, deren Unterbewertung zumindest Ende 1922 zu einem zu geringen Ausweis der Barreserven führte,
während andere Bilanzpositionen (wie eigene Wertpapiere, Konsortial- und dauernde
Beteiligungen) angesichts eines immer schnelleren Umschlages nur relativ geringen
Bewertungsspielräumen (dies galt sowohl für die Kreditoren als auch für die Debitoren)
unterlagen und kaum von Interesse sind. Zudem gibt es zu den Bilanzdaten in einigen
Fällen keine Alternative. Über diese hinaus wurden soweit wie möglich Zeitreihen zu
Rate gezogen, die nicht oder nicht wesentlich durch Bewertungsmaßnahmen verzerrt
12 Deutscher Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischer Staats-Anzeiger 183/1911.
13 Seit 1910 waren Zweimonatsbilanzen im Falle einer Börsenzulassung verpflichtend. Vgl. Luise
Schaeffer, Die Zweimonatsbilanzen der Großbanken, in: Zeitschrift für handelswissenschaftliche
Forschung 13 (1919), S. 102–123.
14 P. Barret Whale, Joint Stock Banking in Germany. A Study of German Credit Banks before and after
the War. London 1930, S. 143–156; Wilhelm Kalveram, Bankbilanzen, Leipzig 1922, S. 35–110; Walter
Hook, Die wirtschaftliche Entwicklung der ehemaligen Deutschen Bank im Spiegel ihrer Bilanzen.
Heidelberg 21956, S. 26–77.
15 Alfred Lansburgh, Die Berliner Großbanken im Jahre 1921, in: Die Bank 15 (1922), S. 548; ders.,
Bankenwende, in: Die Bank 17 (1924), S. 361–376, hier S. 361 f.
16 Ebd., S. 363, 368. Das Beispiel aus dem Jahr 1923 ist symptomatisch für die gesamte Inflationszeit.
Es fiel jedoch aufgrund der Hyperinflation besonders extrem aus. Als Bilanzzahlen für das Jahr 1923
wurden daher im Folgenden die Werte der Goldmark-Eröffnungsbilanz per 1. Januar 1924 gewählt,
die größtenteils auf Neubewertungen zurückgingen. Vgl. Eugen Schmalenbach, Die Goldmarkbilanz,
in: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung 18 (1924), S. 1–20.
17 Vgl. zu derartigen Bilanzierungspraktiken Richard Buxbaum, Abschreibung, Erneuerung und Geldwert, in: Die Bank 13 (1920), S. 686–696; Alfred Lansburgh, Goldmark-Schulden, in: Die Bank 15
(1922), S. 853–858; Walter Mahlberg, Weltteuerung und Bilanzbewertung, in: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung 18 (1924), S. 556–573; Eugen Schmalenbach, Geldwertausgleich
in der bilanzmäßigen Erfolgsrechnung, in: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung 15
(1921), S. 401–417; Ernst Walb, Tageswert und Anschaffungswert in der Bilanz, in: Zeitschrift für
handelswissenschaftliche Forschung 18 (1924), S. 228–240.
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sind. Es sind dies insbesondere die Zahlen der Reichsbank sowie einige Finanzstatistiken
(Zinssätze, Platzierungs- und Zahlungsverkehrsvolumina etc.).
Die vorliegenden Bilanzstatistiken – vor allem der Jahre 1921 und 1922 – weisen in
der Regel Lücken auf. Dennoch liegen für einzelne Institute durchgehende Datenreihen
vor, so zum Beispiel für die Berliner Großbanken, die DGZ, die Bayerische Hypotheken- und Wechsel-Bank sowie für die Sparkassen von Berlin und München. Anhand
dieser Daten können die Bilanzpositionen auch für die übrigen Banken(-gruppen) mit
hinreichender Sicherheit extrapoliert werden. Zudem sind für die Jahre 1913, 1924 und
1925 – mit Ausnahme der Privatbankiers – die Daten sämtlicher Banken bekannt. Anhand
dieser Zahlen wird deutlich, dass diejenigen Bankengruppen, deren Werte auch für die
Jahre von 1914 bis 1923 vorliegen, jeweils einen hohen Prozentsatz der entsprechenden
Bilanzposition auf sich vereinigten. 1913 sind dies 79,1 Prozent der Einlagen. Dieser
Prozentsatz ging bis 1924/25 bei allen untersuchten Positionen deutlich zurück – bei
den Einlagen auf 65,2 bzw. 62,0 Prozent. Dies ist offenkundig auf eine Bankengruppe
zurückzuführen: Die Spezial- und Hausbanken,18 die in der fraglichen Zeit als einzige
nicht erfasste größere Bankengruppe einen spürbaren Bedeutungszuwachs erfahren haben.
Ausweislich der Gründungszahlen19 vollzog sich diese Entwicklung in erster Linie in den
Jahren 1920/21 bis 1923, sodass hinsichtlich der Hochrechnung der Daten der erfassten
Banken bis 1919 zunächst ein gleichbleibender und danach einen kontinuierlich steigender
Marktanteil dieser Institute angenommen werden kann. Dieses Verfahren ist naturgemäß
mit einigen Unsicherheiten behaftet, denn gerade in den Jahren 1921 bis 1923 belaufen
sich die maximalen Fehler bei der Ermittlung der Einlagen der Nichtbanken wegen des
Geldwertschwunds auf wenige zehn Millionen GM und lassen sich daher recht gut an den
bekannten Zahlen der Reichsbank (Wechselankauf, Einlagen der Privaten etc.) messen.
Durch Plausibilitätskontrollen und den Abgleich mit Bilanzbesprechungen sowie Marktkommentaren lässt sich zusätzliche Sicherheit gewinnen. Diese Berechnungsweise wird
im Folgenden für sämtliche der untersuchten Bilanzpositionen angewandt.20
18 Die so genannten „Spezial- und Hausbanken“ waren eine Bankengruppe der offiziellen Bankenstatistik. Die „Hausbanken“ umfassten, im Gegensatz zur heutigen Terminologie, konzerneigene Institute
von Industrie- und Handelsunternehmen.
19 Von den 221 neuen Aktienbanken der Jahre 1921–23 gehörten insgesamt 61 dieser Gruppe an. Vgl. Karl
Erich Born, Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zum Ende der Weimarer Republik (1914–1933),
in: Deutsche Bankengeschichte. Hrsg. im Auftrag des Instituts für bankhistorische Forschung e. V.
von seinem wissenschaftlichen Beirat, Bd. 3: Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Frankfurt am
Main 1983, S. 15–146, hier S. 56.
20 Die Berechnung ist damit etwas differenzierter als die Cagans, der lediglich die (nahezu) vollständigen Werte der „commercial banks“ Ende 1913 und 1923 berücksichtigt, diese für die Jahre 1920
und 1921 linear interpoliert und anhand der Daten der Berliner Großbanken adjustiert. Die Werte der
öffentlich-rechtlichen, der genossenschaftlichen und der Realkreditinstitute hat Cagan aufgrund ihrer
niedrigen relativen Positionen Ende 1913 und vor allem 1924 vernachlässigt. Vgl. Phillip Cagan, The
Monetary Dynamics of Hyperinflation, in: Milton Friedman (Ed.), Studies in the Quantity Theory of
Money. Chicago, Il. 1956, S. 104 ff.
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II. Die Geldnachfrage
Je nach Definition werden zur Geldmenge unterschiedliche Aggregate gezählt, die jedoch in jedem Fall das Bargeld und die Sichteinlagen der Nichtbanken umfassen. Die
Geldmenge in dieser Abgrenzung bezeichnet man als M1. M2 umfasst darüber hinaus die
Termineinlagen, M3 ferner die Spareinlagen. Bei allen genannten Abgrenzungen werden
die Einlagen der Nichtbanken beim gesamten Bankensystem, also einschließlich der
Notenbanken erfasst.21
Das Geldangebot der Banken hängt maßgeblich von der Struktur und vom Umfang
der Bankenliquidität und diese wiederum vom Verhalten der Notenbank und den Portfolioentscheidungen der Nichtbanken ab. Da das Geldangebot der Banken somit in starkem
Maße von der Geldnachfrage der Nichtbanken bestimmt wird, ist es sinnvoll, auch auf
die Geldnachfrage und deren Determinanten einzugehen. Nach Milton Friedman ist die
Geldnachfrage preisbereinigt durch folgende Funktion bestimmt:
(
)
Y ⎞
M
⎛
= f ⎜ rb ,rc ,P*; w; ; u ⎟ .
⎝
P ⎠
P
Die Nachfrage nach Realkasse richtet sich also nach:22
rb =
rc =
P* =
w =
Y
=
P
u =
Zins am Rentenmarkt,
Dividendenrendite,
erwartete Preisänderungsrate,
Verhältnis zwischen nicht-menschlichem und menschlichem Vermögen,
Realeinkommen,
alle Variablen, die zu Präferenzänderungen der Geldnachfrager führen.
Dabei hat Friedman unterstellt, dass die Verzinsung der Einlagen vernachlässigbar ist
– dies ist im Folgenden ebenfalls zu prüfen. Hinsichtlich des von Friedman gewählten
Ansatzes muss ferner berücksichtigt werden:23
■
■
Während der deutschen Inflation gewann die Realverzinsung als Grenzertragsrate der
Ersparnis besondere Bedeutung, da diese wegen der unreagibelen Nominalzinsen bei
steigenden Inflationsraten sehr bald negativ wurde.
Die laufende Verzinsung am Renten- und Aktienmarkt bildete nur einen geringen Teil
der dort erzielbaren Erträge ab, sodass die Gesamtperformance auf diesen Märkten
berücksichtigt werden muss.
21 Mit dem Geldangebot der Notenbank beschäftigt sich schwerpunktmäßig Kapitel XI.
22 Otmar Issing, Einführung in die Geldtheorie. München 142006, S. 38.
23 Eine Reihe von Ansätzen wurde speziell auf die Verhältnisse von galoppierenden und Hyperinflationen abgestimmt. Sie bringen über die sehr allgemeine Formulierung Friedmans hinaus lediglich
Präzisierungen, die jedoch an dieser Stelle nicht notwendig erscheinen. Vgl. die Zusammenstellung
der betreffenden Arbeiten in Steven B. Webb, Money Demand and Expectations in the German Hyperinflation. A Survey of the Models, in: Nathan Schmuckler/Edward Marcus (Eds.), Inflation through
the Ages. New York 1983, S. 435–449, hier S. 436–440.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Als Alternativanlagen kommen neben Investments am Aktien- und Rentenmarkt auch
solche in Sachaktiva sowie Sorten und Devisen harter Währung in Frage. Sie werden
daher in die Betrachtung einbezogen.
Des Weiteren bewegte sich während der Inflationszeit nach dem Ersten Weltkrieg ein
großer Teil der Bevölkerung am Rande des Existenzminimums,24 sodass die Einkommenskomponente in obiger Gleichung sinnvollerweise besser durch einen Vergleich
der Nominaleinkommen mit den Existenzminima als durch die Realeinkommensentwicklung erfolgt.25
Die im Allgemeinen als vergleichsweise stabil angesehene Umlaufgeschwindigkeit des
Geldes variierte in Zeiten der galoppierenden und der Hyperinflation oft beträchtlich.26
Sie ist daher in die Betrachtung einzubeziehen.
Die Realverzinsung hemmte das Kontensparen während des gesamten Beobachtungszeitraums. Zwar gab es bis zum Jahr 1918 sowie in der Zeit zwischen April 1920 und Mai
1921 immer wieder Monate, in der die reale Verzinsung der Bankkonten positiv ausfiel,
per saldo war diese jedoch – mit Ausnahme von 1916 – in jedem Jahr des Betrachtungszeitraums negativ.27 1919, zu Jahresbeginn 1920 und seit Mitte 1921 galt dies in einem
Maße, das jegliches Kontensparen sinnlos machte. Dabei wurde jeweils in der zweiten
Hälfte der Jahre 1921, 1922 und 1923 eine neue Dimension negativer Realverzinsung
erreicht (siehe Abbildung 1). Diese Entwicklung dürfte der wichtigste Grund dafür gewesen sein, dass die Einzahlungsüberschüsse (inklusive der Zinsgutschriften) in den Jahren
1919, 1920 und 1923 jeweils deutlich zurückfielen (siehe Abbildung 3).
Im Gegensatz zur Realverzinsung sprach ein Renditevergleich mit alternativen Anlagen
auf den ersten Blick für das Kontensparen. Die laufende Verzinsung sowohl der Giro- als
auch der Sparkonten bei Banken und Sparkassen konnte sich während der Kriegs- und
Inflationszeit durchaus mit der der wichtigsten Anlagealternativen auf dem Kapitalmarkt
messen. Allerdings machte die laufende Nominalverzinsung auf den Kapitalmärkten der
Inflationszeit über weite Perioden hinweg nur einen geringen Teil der Ertragsmöglichkeiten
aus. Der Aktienmarkt ließ sich im Laufe der Inflationszeit immer weniger von dem traditionellen Bewertungskriterium der Dividendenrendite beeinflussen. An ihre Stelle traten vor
allem Substanzüberlegungen, die die Kurse während des größten Teils des Krieges sowie
während der Stabilisierungsphase 1920/21 und der Hyperinflation in Anlehnung an die
24
Hartmut Kiehling, Die Bevölkerung in der Hyperinflation 1922/23, in: Scripta Mercaturae 32 (1999),
S. 1–60.
25 Für den Untersuchungszeitraum liegen keine Daten über die gesamtwirtschaftlichen Einkommensaggregate vor. Vgl. beispielsweise Walther G. Hoffmann, Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit
der Mitte des 19. Jahrhunderts. Berlin et al. 1965, S. 505–510.
26 Vgl. dazu den Ansatz Barros, der diesen Zusammenhang unter anderem für Deutschland in der Zeit
vom Januar 1921 bis zum August 1923 auch empirisch nachweisen konnte. Vgl. Robert J. Barro,
Inflation, The Payments Period, and the Demand for Money, in: Journal of Political Economy 78
(1970), S. 1228–1263.
27 Zur Berechnung des Realzinses wurde aufgrund der längeren Zeitreihe der Großhandelspreisindex
herangezogen. Betrachtet man stattdessen den Lebenshaltungskostenindex, so sind die Fluktuationen
etwas geringer. An der Gültigkeit der Aussage ändert sich im Grundsatz jedoch nichts. Der Lebenshaltungskostenindex liegt erst für die Zeit ab Februar 1920 vor.
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Abbildung 1: Realverzinsung von Spareinlagen 1918–22 (p. a. in Prozent)
15
10
5
0
-5
-10
-15
-20
-25
-30
-35
1922
1921
1920
1919
1918
-40
Quelle: Sparkasse der Stadt Berlin, Jahresberichte 1918–1923, passim; Statistisches Reichsamt, Zahlen
(wie Anm. 42), S. 16 f.
Inflationsraten steigen ließen.28 Eine vergleichbare Entwicklung vollzogen die Renten ab
Mitte 1922, sodass die Gesamtperformance vor allem der Aktien per saldo deutlich über die
des Kontensparens hinausging. Dies galt insbesondere für die Jahre 1915 bis 1917 sowie
seit 1919. Im Vergleich mit der vierprozentigen Reichsanleihe schnitt ein Sparkonto etwas
besser ab, da seine Performance in den Jahren 1915, 1918 und 1919 über der der Anleihe
lag, aber seit 1920 weit hinter diese zurückfiel (siehe Abbildung 2).
Ein Performancevergleich kann die Nettobewegung der Einlagen nur für das Jahr 1918
erklären. Ein Vergleich der Bewegung der betreffenden Absatzvolumina ergibt, das die
Einlagen den Renten nur in den Jahren 1914, 1918 und 1919 Marktanteile abgenommen
hätten, darüber hinaus hatten die Einlagen gegenüber den Rentenwerten aber auch 1916,
1917, 1920 und 1921 zugelegt. Nach einem Performancevergleich hätten die Einlagen
1917 und ab 1921 gegenüber Festverzinslichen sogar zurückgehen müssen. Tatsächlich
war dies jedoch nur 1915 der Fall, obwohl die Kursverluste am Rentenmarkt auch nicht
durch die bessere Effektivverzinsung der Kriegsanleihen29 ausgeglichen werden konn-
28
Wolfgang Mattersdorf, Die Preisbildung am Aktienmarkt der Berliner Börse während der Inflation.
Rostock 1925, S. 79 ff. Grundsätzlich wären bei dieser Rechnung auch die Werte der Dividenden
sowie der Bezugsrechte zu berücksichtigen. Letztere waren in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg
oft erheblich. Performanceindices stehen jedoch für den Untersuchungszeitraum nicht zur Verfügung.
Das Statistische Reichsamt hat erst ab Oktober 1921 Kursindices veröffentlicht, die zumindest um
Bezugsrechte bereinigt waren.
29 Bei der ersten Kriegsanleihe, die vom 9. September 1914 an gezeichnet werden konnte, belief sich
diese unter Berücksichtigung des Ausgabedisagios auf 5,38 Prozent, bei den gleichzeitig emittierten
Schatzanweisungen sogar auf 5,63 Prozent. Vgl. Elster, Mark (wie Anm. 7), S. 87 f.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Hartmut Kiehling
ten. Gegenüber dem Nettoabsatz der Aktien hätten die Einlagevolumina 1918 zulegen
müssen. Tatsächlich kam es dazu jedoch 1914 und 1919, relativ auch von 1916 bis 1918
und 1922. Nach dem Performancevergleich hätten die Einlagen von 1915 bis 1917 und
ab 1919 sogar verlieren müssen. Tatsächlich verzeichneten sie jedoch nur 1921 relative
Marktanteilsverluste.
Ab 1923 sind die vorliegenden Zahlen der Börseneinführungen von Rentenwerten
nicht mehr repräsentativ. Bei den fast ausschließlich emittierten Festwertanleihen wurden zwar 2,15 Mrd. GM abgesetzt, jedoch nur 442,9 Mio. GM an einer deutschen Börse
in den Handel eingeführt. Berücksichtigt man dies, so kam es 1920 und 1923 jeweils
zu dramatischen Umschwüngen an den Anlagemärkten. Die wesentlichen Volumina an
Neuanlagen, die von 1914 bis 1919 in öffentliche (Papiermark-) Anleihen und von 1920
bis 1922 in Bankeinlagen flossen, konzentrierten sich 1923 auf (wiederum öffentliche)
Festwertanleihen.
Abbildung 2: Performancevergleich alternativer Investments 1913–21 (p. a. in Prozent)
200
150
4%ige Reichsanleihe
laufende Verzinsung und
Kursentwicklung, Vergleich
der Jahresendstände,
Nominalwerte
Aktienindex
100
Spareinlagen ohne vereinbarte
Kündigungsfrist
50
0
-50
1913
1914
1915
1916
1917
1918
1919
1920
1921
Quelle: Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9), S. 287–296.
Angesichts der hohen Inflationsraten rückten weitere Anlagealternativen in den Vordergrund. Es waren dies zum einen Investments in Substanzwerte außerhalb der organisierten
Kapitalmärkte. So konstatierte Lansburgh bereits für das Jahr 1921 einen realen Rückgang
der inländischen Einlagen bei den Berliner Großbanken und führte dies darauf zurück,
dass die Unternehmen angesichts der niedrigen Bankzinsen lieber die guten „Verdienstmöglichkeiten in jeder Art von Produktion und Vertrieb“ nutzten.30 Diese Entwicklung
beschleunigte sich nach allem, was wir wissen, in den Folgejahren noch und absorbierte
30
Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 15), S. 545; Wirtschaft und Statistik 2 (1922), S. 59.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
Abbildung 3: Portfolioinvestitionen 1913–24 (Jahressummen in Mio. GM)
30.000
Aktien u. Rentenwerte: deutsche u. ausländische Papiere; Nennwert, ab 1921 Kurswert.
Aktien: 1915–1918 Veränderung des Nominalkapitals der deutschen Aktiengesellschaften.
Rentenwerte: Zulassung an deutschen Börsen, 1915–1916 Kriegsanleihen, 1924 Ausgabe.
25.000
20.000
Bankkonten (Nettoeinzahlungen)
Aktien (Neuemissionen)
Rentenwerte (Börsenzulassungen)
15.000
10.000
5.000
0
-5.000
1913
1914
1915
1916
1917
1918
1919
1920
1921
1922
1923
1924
Quelle: Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9), S. 287–296; Kiehling, Börse (wie
Anm. 62), S. 67–106.
einen Großteil der zur mittel- und langfristigen Anlage bestimmten Einkommens- und
Vermögensbestandteile. Ab Ende 1922 standen den Investoren auch vereinzelte Möglichkeiten zur Mark-unabhängigen, „wertbeständigen“ Portfolioinvestition zur Verfügung:
Den Festwertanleihen folgten seit August 1923 Goldkonten bei Kreditinstituten und seit
Oktober 1923 offizielles wertbeständiges Notgeld. Diese wertbeständigen Anlageformen
gewannen ab Juni 1923 zunehmend an Bedeutung.31
Als weitere Anlagealternative waren Devisen und Sorten aus so genannten „Hartwährungsländern“ wichtig. Ihre Kurse hingen wesentlich von den Erwartungen im In- und
Ausland hinsichtlich ihrer zukünftigen Entwicklung ab.32 Andrew Abel et al. argumentieren sogar, dass die Geldnachfrage insgesamt während der deutschen Hyperinflation – die
sie allerdings sehr weit fassen (Januar 1921 bis August 1923) – ausreichend durch die
Erwartungen der Wirtschaftssubjekte hinsichtlich der weiteren Wechselkursentwicklung
beschrieben werden kann. Diese wiederum sehen sie – und einige andere Autoren33 – in
den Unterschieden zwischen den betreffenden Termin- und Kassakursen abgebildet. Die
Nachfrage nach Sachwerten vernachlässigen sie dagegen aufgrund der weniger guten
31 Für die meisten dieser Entwicklungen liegen keine exakten Zahlen vor. In Kapitel VII wird der Versuch
unternommen, die (offiziellen und nicht offiziellen) wertbeständigen (und Papiermark-) Notgeldvolumina zu bestimmen.
32 Zu den tatsächlichen Bewegungen der Einlagen durch Ausländer bei deutschen Banken s. Kapitel V.
33 Jacob A. Frenkel, The Forward Exchange Rate, Expectations and the Demand for Money: The German
Hyperinflation, in: The American Economic Review 67 (1977), S. 653–670; ders., Further Evidence on
Expectations and the Demand for Money during the German Hyperinflation, in: Journal of Monetary
Economics 5 (1979), S. 81–96; Webb, Money (wie Anm. 23), S. 441 f.
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106
Hartmut Kiehling
Substitutionsbeziehungen zum inländischen Geld.34 Carl-Ludwig Holtfrerich hat zudem
richtig erkannt, dass der Ansatz die Berücksichtigung der Zinsdifferenz erfordert und
aufgrund der eingeschränkten Inländerkompatibilität lediglich auf die Auslandsnachfrage
nach deutschem Geld anzuwenden ist.35
Trotz dieser Modifikation haften diesem Ansatz Probleme an, da die Ermittlung einer
ausreichend langen Zeitreihe für einen geeigneten Zins auf dem deutschen Geldmarkt
auf große Schwierigkeiten stößt. Zum einen weisen sämtliche Zeitreihen für kurzfristige
Zinsen Brüche auf.36 Zum anderen differenzierte der Markt seine Konditionen gerade in
der Hyperinflation je nach Marktteilnehmern aus und das für Ausländer repräsentative
Marktsegment wechselte mehrmals.37 Der Markt für Privatdiskonten stand ausländischen
Investoren nicht offen.38 Er lag zudem zwischen August 1916 und Dezember 1918 vollständig brach und bildete danach eine lange Zeit keine einheitlichen Sätze aus. Dies galt
für die Monate Januar 1919 bis Mai 1920, November 1921 sowie für die Zeit ab September 1922. Ab Januar 1923 wurden an der Berliner Börse überhaupt keine Privatdiskonten
mehr gehandelt.39 Im Gegensatz zum Privatdiskontenmarkt waren auf dem Geldmarkt
der Börse auch ausländische Banken aktiv. Bereits der Tagesgeldsatz lag durchschnittlich
um 40 bis 50 Basispunkte höher als der Privatdiskontsatz. Er wurde jedoch seit Anfang
1922 durch zusätzliche Provisionssätze effektiv nochmals deutlich erhöht, ohne dass das
genaue Ausmaß Monat für Monat bekannt wäre. Die Sätze unterschieden sich zudem ab
Mitte 1922 je nach Sicherheit immer mehr.40 Zum gleichen Zeitpunkt verbreitete sich
das so genannte „Devisenleihgeschäft“, das in der Form des börsenmäßigen Reportge34
35
36
37
38
39
40
Andrew Abel/Rüdiger Dornbusch/John Huizinga/Alan Marcus, Money Demand during Hyperinflation, in: Journal of Monetary Economics 5 (1979), S. 97–104.
Carl-Ludwig Holtfrerich, Erwartungen des In- und Auslands und die Geldnachfrage während der Inflation in Deutschland 1914–1923, in: Bankhistorisches Archiv 6 (1980), S. 9–13. Den eingeschränkten
deutschen Zugang zu den Devisenmärkten betont in diesem Zusammenhang auch Steven B Webb,
Fiscal News and Inflationary Expectation in Germany, in: Journal of Economic History 46 (1986),
S. 769–794, hier S. 777. Vgl. ferner zu den wechselnden Beschränkungen Bente, Währungspolitik
(wie Anm. 2), S. 124*–129*, 136*–145*.
Zur Zinsentwicklung im Detail s. Kapitel IV.
So berichtete die Zeitschrift Die Bank über die Ereignisse im September 1922: „Am Berliner Geldmarkt
ist irgend ein normaler Zinssatz nicht mehr zu konstatieren. Die Zinsbedingungen wechseln je nach
der Person des Darlehnsnehmers, der Qualität der Unterlage, der Rediskontierbarkeit der letzteren,
und des Verwendungszweckes. Im Dezember zahlte man für tägliches Geld mit Schatzwechseldeckung
6 bis 7 %, mit anderer Deckung 8 bis 10 %, für Effekten-Termingeld 9 bis 10 %, für Devisentermingeld
20 bis 30 % und mehr, und das Ausland zahlte für Markvorschüsse gegen Dollar-Unterlage bis zu 5 %
im Monat = 60 % im Jahr.“ Vgl. Die Bank 15 (1922), S. 808. – Zum Vergleich: Der von Holtfrerich
herangezogene Privatdiskontsatz hatte im Monatsdurchschnitt 7,32 Prozent betragen.
Privatdiskonten waren normierte Wechsel, die auf erstklassige deutsche oder ausländische Importeure
gezogen und von bedeutenden inländischen Banken akzeptiert wurden. Die Privatdiskontsätze galten
im Handel zwischen diesen Banken.
Vgl. dazu die Marktkommentare zum Berliner Geldmarkt in der Zeitschrift Die Bank 12–16 (1919–23),
passim. Die Privatdiskontsätze sind jedoch ohnehin nicht geeignet, die Verzinsung abzubilden, die
ausländische Banken erhielten, wenn sie in Mark kauften und in Berlin anlegten.
Einen hinsichtlich der Laufzeit korrespondierenden Dreimonatszinssatz gab es nicht – dieser hätte
nochmals etwas höher liegen müssen –, es wurden lediglich Tages- und Ultimogelder gehandelt. Vgl.
Willi Prion, Deutsche Kreditpolitik 1919–1922, in: Schmollers Jahrbuch 42 (1924), S. 163–205, hier
S. 184–187.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
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schäftes besonders populär wurde. Dabei verliehen Besitzer von Devisen – Importeure,
Banken oder Ausländer – diese auf Zeit, um mit den Papiermarkerlösen erneut Devisen
per Kasse oder Termin zu kaufen. Der so genannte „Report“ als Verzinsung des Reportgeschäfts richtete sich ab August 1922 nach dem „Geldentwertungskoeffizienten“, der
auf den Gewinn abstellte, der mit dem zu erwerbenden Sachwert zu erzielen war. Im Fall
von Devisenleihgeschäften war dies die erwartete durchschnittliche Veränderungsrate so
genannter „Edelvaluta“, mindestens jedoch der Geldmarktzins. Devisenleihgeschäfte
in der Form des börsenmäßigen Reportgeschäftes hatten gegenüber Devisentermingeschäften mehrere Vorteile: Erstens war die Verzinsung sehr lukrativ. Zweitens wurde das
(Basis-) Engagement in Mark am Ende der Laufzeit automatisch rückgängig gemacht.
Ein Verkauf von Mark (wie beim Kassakauf) oder eines Marktkontraktes (wie beim Terminkauf) entfiel. Damit bestand auch das Risiko nicht mehr, dass der betreffende Markt
zum geplanten Verkaufszeitpunkt nicht breit genug war. Die Mark war nicht länger „Mausefallenwährung“. Drittens hatten Devisenleihgeschäfte theoretisch einen unendlichen
Hebel, während der Hebel der Devisentermingeschäfte gleichzeitig wohl zurückging, da
der Einschuss sehr wahrscheinlich deutlich erhöht wurde. Alle drei Faktoren führten aller
Wahrscheinlichkeit nach dazu, dass sich die Umsätze auf den Devisenkassamärkten gegen
Mark relativ zu denen auf den entsprechenden Terminmärkten erhöhten. Die Verhältnisse
änderten sich erst Mitte 1923, als der Berliner Devisenmarkt nach der Notverordnung
vom 22. Juni 192341 mehr und mehr austrocknete, da ausländische Zahlungsmittel nur
noch zum amtlichen Berliner Kurs ge- oder verkauft werden durften, der täglich unter
Mitwirkung der Reichsbank festgesetzt wurde.42
Des Weiteren muss gegen die Ermittlung von (Kurs- oder Inflations-) Erwartungen
aus den Unterschieden zwischen Future- und Kassakursen der Einwand erhoben werden,
dass eine solche Argumentation vom allgemein anerkannten Fair-Value-Konzept abweicht,
nach dem sich die Basis eines Futures (Termin- minus Kassakurs) im Wesentlichen aus
den Cost-of-carry ableitet, also den Kostenunterschieden zwischen einem Engagement
auf dem Termin- und dem Kassamarkt. Diese bestehen aus der Differenz zwischen den
Finanzierungskosten und -erträgen. Sie sind also im Wesentlichen durch die Zinsdifferenz
zwischen den betreffenden Ländern determiniert.43 Danach bestimmt sich der Fair Value
eines Futures nach der Formel:
⎛ 1 + rL
FFW = S ⋅ ⎜
⎝ 1 + rM
⎞
⎟⎠ , mit:
F = aktueller Futurepreis, FFW = Fair Value des Futures, S = aktueller Kassapreis und
rL, rM = Zinssätze in England und Deutschland.
41 RGBl. 1923/I, S. 401.
42 Statistisches Reichsamt, Zahlen zur Geldentwertung in Deutschland 1914 bis 1923 (Wirtschaft und
Statistik, Sonderheft 1). Berlin 1925, S. 10.
43 Neben dieser Carry-Basis existiert zwar noch eine Value-Basis, die markttechnische Faktoren – wie
die Liquiditätsverhältnisse der Marktteilnehmer und zufällige Faktoren („Noise“) – widerspiegelt, für
die Untersuchung jedoch von untergeordneter Bedeutung ist.
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Hartmut Kiehling
Die Formel ist jedoch ungenau. Beim Erwerb eines Futures wurde ja nicht der gesamte
Kontraktwert fällig, sondern nur ein bestimmter Einschuss. Lediglich auf diese Margin
kann sich also die Zinsdifferenz zwischen den beiden Währungen beziehen. Zudem ist
zu berücksichtigen, dass die Laufzeit eines Futures kein ganzes Jahr betrug und zwischen
den angelsächsischen und kontinentaleuropäischen Plätzen unterschiedliche Zinsberechnungsmethoden üblich waren. Somit gilt für den Fall, dass die Margin auf Basis des
Spotpreises berechnet wurde, folgende Formel:44
t
t
⋅ c ⋅ S − iM ⋅
⋅S
365
360
⎛ i ⋅ t ⋅ c iM ⋅ t ⎞
−
= ⎜ 1+ L
⎟ ⋅ S, mit :
⎝
365
360 ⎠
FFW = S + iL ⋅
t = (Rest-) Laufzeit des Futures (in Tagen), c = Margin-Satz.
Von der differierenden Zinsberechnungsmethode abgesehen, sinkt der Fair Value des
Futures also dann unter den Kassakurs des Underlying, wenn iM > iL · c gilt.
Hinter dem Fair-Value-Konzept steht die Annahme, dass die Erwartungen auf dem
Kassa- und dem Terminmarkt nicht (nachhaltig) voneinander abweichen können. Dies
ist entweder dann gegeben, wenn man (annähernd) effiziente Märkte unterstellt. Verbliebene kleinere Abweichungen des Futurepreises von seinem Fair Value (eine so genannte
„Value-Basis“) weisen dann auf die Existenz von Marktineffizienzen („Basisrisiko“)
hin, die Arbitragemöglichkeiten eröffnen.45 Für die Gültigkeit des Fair-Value-Konzepts
genügt es jedoch, wenn die auf den Spot- und Futuremärkten tätigen Personen weitgehend
identisch sind oder sich zumindest eng beeinflussen.46 Dies ist schon deshalb anzunehmen,
da außer den Cost-of-carry zwischen Engagements auf den Spot- und Futuremärkten
keinerlei wirtschaftliche Unterschiede bestehen, weil Futures während ihrer Laufzeit
jederzeit verkauft und an deren Ende auch verlängert werden können.47
Damit kann aus der „gedeckten Zinsarbitrage“ nicht mehr auf die Erwartungen der
Marktteilnehmer geschlossen werden, wie dies Holtfrerich vorgeschlagen hat, da diese
vielmehr auch auf eine Veränderung des Margin-Satzes zurückgehen könnten. Die gedeckte Zinsarbitrage A stellt die Summe aus dem Swapsatz und der Differenz der Zinssätze
für die dem betrachteten Future entsprechende Laufzeit dar:
A=
F−S
⋅100 + rM − rL .
S
44 Da je nach Kursentwicklung Nachschüsse auf die Margin fällig werden, kann sich der Fair Value
jederzeit ändern.
45 Udo Hielscher, Investmentanalyse. München 31999, S. 258 f.
46 Es ist also nicht erforderlich, von der Gültigkeit der Theorie rationaler Erwartungen auszugehen. Vgl.
Otmar Issing, Einführung in die Geldpolitik. München 61996, S. 127 f.
47 Vgl. zu diesen Überlegungen insgesamt Richard A. Brealey/Steward C. Myers, Principles of Corporate
Finance. New York et al. 92008, S. 637–640; Manfred Steiner/Christoph Bruns, Wertpapiermanagement. Stuttgart 92007, S. 350–357; Otto Loistl, Computergestütztes Wertpapiermanagement. München
51996, S. 460–464, 502–508.
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Allerdings wäre dafür eine Verringerung der Margin notwendig gewesen. Aufgrund
der nach der Jahresmitte 1922 nochmals erhöhten Volatilität der Devisenkurse und der
damit verbundenen Gefahr eines plötzlichen hohen Nachschussbedarfs ist es jedoch sehr
wahrscheinlich, dass die zuständigen Börsenaufsichtsstellen die erforderliche Margin im
Juli 1922 (und eventuell später nochmals) deutlich heraufgesetzt haben. Dennoch bedarf
der Ansatz der Korrektur. Für Vergleichsrechnungen muss der höchste realistischerweise
zu erzielende Zins zugrunde gelegt werden. Dies war für ausländische Anleger in Mark
der Zins des Devisenleihgeschäfts. Der Zinsunterschied zwischen Berlin und London,
New York, Amsterdam, Zürich oder Stockholm war also seit Mitte 1922 deutlich höher als
angenommen. Verwendet man statt des von Holtfrerich verwandten Privatdiskontsatzes
den Report für Devisenleihgeschäfte, so weist die gedeckte Zinsarbitrage lediglich im
September 1922 ein negatives Vorzeichen auf.48 Geht man von der weiter oben entwickelten Formel für den Fair Value eines Devisenfutures aus und nimmt vor der Jahresmitte
1922 eine Margin von zehn Prozent des Preises des Underlying, danach eine solche von
20 Prozent an, so beträgt die mit dem Fair-Value-Konzept nicht rechenbare Value-Basis
bis einschließlich Juli 1922 fast durchweg weniger als ein Prozent des Fair Value. Nach
der Jahresmitte fluktuierten die Werte stark. Dies lag entweder an einer erhöhten Volatilität des zugrunde liegenden Kassakurses auch während des Handelstages oder aber an
den Unzulänglichkeiten des Datenmaterials. Immerhin ist auffällig, dass die positiven
Abweichungen vom Fair Value in aller Regel weit stärker ausfallen als die negativen.
Das Fair-Value-Konzept wird damit eher bestätigt als verworfen. Aufgrund dieser Überlegungen erscheint es sinnvoll, eine Änderung der Erwartungen der Marktteilnehmer
hinsichtlich der weiteren Entwicklung des (inneren und äußeren) Wertes der Mark mit
anderen Mitteln nachzuweisen – etwa direkt anhand der Reports im Devisenleihgeschäft
oder einer Wandlung der Zahlungsgewohnheiten.49
Neben der Verzinsung der Einlagen im Verhältnis zu der ihrer Alternativanlagen zählt
Friedman auch die allgemeine Einkommenssituation zu den Determinanten der Geldnachfrage. David A. Peel et al. haben die Geldnachfragefunktion Phillip Cagans um einen
Ausdruck für die Reallöhne erweitert:
mt – pt = d – a · Dpt, mit:
mt = Geldmenge, pt = Preisniveau, d = const., a = Halbelastizität der realen Kassenhaltung im Hinblick auf die erwartete Inflationsrate, pt = erwartete Inflationsrate (Werte
jeweils logarithmiert).
Die Autoren konnten für die Anfangsphase der deutschen Hyperinflation einen Regimewechsel konstatieren und die Geldnachfrage für den Zeitraum vom Juli 1922 bis
zum August 1923 mit Werten von d = 5,17 (Standardabweichung 0,06) und a = 0,62
48 Prion, Kreditpolitik (wie Anm. 40), S. 189; Die Bank 15–16 (1922–23), passim. Nach der damals
üblichen Zinsberechnungsmethode ergibt sich zwar auch für Februar 1923 ein negativer Satz. Das
Vorzeichen kehrt sich jedoch um, wenn man effektive Jahreszinssätze zugrunde legt. Für die Monate
März bis Juni 1923 liegen keine Reports mehr vor. Negative Sätze für die gedeckte Zinsarbitrage
würden jedoch so niedrige Reports erfordern, dass diese mit den Marktkommentaren kaum noch in
Einklang stehen würden.
49 Ein solcher Versuch soll in Kapitel VIII unternommen werden.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
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(0,04) bemerkenswert stabil nachbilden.50 Vom historischen Standpunkt befriedigt die
Abhängigkeit der Geldnachfrage von den Realeinkommen in Zeiten großer Not jedoch
nicht vollständig. Denn nicht ein Realeinkommensverlust stellt in solchen Zeiten den
begrenzenden Faktor dar, sondern die buchstäbliche Unmöglichkeit, Geld für Transaktionen oder Ersparnisse nachzufragen.51
Friedman unterstellt an sich eine Konstanz der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes.
Dies ist jedoch unter den Verhältnissen einer Hyperinflation wenig realistisch. Die Umlaufgeschwindigkeit errechnet sich aus der Fisher’schen Verkehrsgleichung:
Yt ⋅ P
, mit :
M
V = Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, Yt = reales Bruttosozialprodukt,
P = Preisindex des Bruttosozialprodukts, M = Geldmenge.
V=
Für die Kriegs- und Inflationszeit fehlen jedoch Sozialproduktszahlen weitgehend,52
P
genügen muss. Dieser wies während
sodass an dieser Stelle der verkürzte Term V ≈
M
der Jahre 1914 bis 1918 zunächst eine stetige Verminderung und bis 1923 zwei nachhaltige Aufwärtsbewegungen auf – von Februar 1919 bis Februar 1920 sowie von März 1921
bis Januar 1923, während die Zeiträume von März bis Juni 1920 sowie von Februar bis
April und von August bis Dezember 1923 jeweils durch scharfe Rückgänge gekennzeichnet waren.53
Bei der Verwendung dieser Zahlen muss man sich jedoch bewusst sein, dass das Sozialprodukt vermutlich gerade während der Hyperinflation starken Schwankungen ausgesetzt
war. Darauf deuten die Werte der Industrieproduktion hin, die 1923 einen Einbruch von
gut einem Drittel erfuhren. Zu berücksichtigen wäre auch der stetige Rückgang der Industrieproduktion von 1914 bis 1919 um durchschnittlich 13 Prozent p. a.54 Dennoch sind die
50 P. Michael/A. Robert Nobay/David A. Peel, The German Hyperinflation and the Demand for Money
Revisited, in: International Economic Review 35 (1994), S. 1–22.
51 In Kapitel VI dieser Arbeit wird daher näher ausgeführt, inwiefern das Ein- und Auszahlungsverhaltens
auf Sparkonten nahelegt, dass in der Nachkriegsinflation die Deckung des Lebensunterhalts beim
Sparverhalten (bzw. dem Entsparen) eine wichtige Rolle spielte: Gerade in den Monaten mit einem
Überschuss der Auszahlungsposten erfuhren Löhne und Gehälter gegenüber den Lebenshaltungskosten
einen Einbruch. Sowohl bei den Existenzminima als auch bei Nettolöhnen und -gehältern liegen für den
größten Teil der Nachkriegsinflation Monatswerte vor, sodass diese Werte direkt mit den monatlichen
Ein- und Auszahlungen verglichen werden können, die für einzelne Institute überliefert sind. Vgl.
Carl-Ludwig Holtfrerich, Die deutsche Inflation 1914–1923. Ursachen und Folgen in internationaler
Perspektive. Berlin/New York 1980, S. 39 f.; Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 40–43;
Sparkasse der Stadt Berlin, Jahresberichte 1918–24, passim.
52 Lediglich Laursen und Pedersen haben Schätzungen für einen Index des realen Volkseinkommens
vorgelegt, die jedoch verschiedentlich auf Annahmen beruhen. Vgl. Karsten Laursen/Jørgen Pedersen, The German Inflation 1918–1923. Amsterdam 1964, S. 75–88. Hoffmann und Müller verzichten
dagegen unter Hinweis auf die verzerrende Wirkung der Inflation ausdrücklich auf eine Berechnung.
Vgl. Walther G. Hoffmann/Josef Heinz Müller, Das deutsche Volkseinkommen 1851–1957 (Schriften
zur angewandten Wirtschaftsforschung 1). Tübingen 1959.
53 S. Abbildung 4.
54 Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 179–182.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
Abbildung 4: Indikator für die Geldumlaufgeschwindigkeit 1914–23 (Großhandelspreisindex/Geldbasis, Januar 1914 = 100)
10.000
1.000
100
10
1923
1922
1921
1920
1919
1918
1917
1916
1915
1914
1
Quelle: Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), passim.
erwähnten Einbrüche deutlich genug, sodass der Zeitreihe wohl eine gewisse Relevanz
nicht abzusprechen ist.55 Erstellt man aus den vorhandenen Jahresdurchschnittswerten zur
Geldbasis sowie zur Produktions- und Preisentwicklung der Industrie einen Index der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes im Untersuchungszeitraum, so ergeben sich ganz ähnliche
Ergebnisse.56 Wiederum fällt der deutliche Anstieg des Indikators in den Jahren 1920 und
1922 auf sowie sein Rückgang in der Stabilisierungsphase (1921) und im letzten Jahr der
Hyperinflation (1923). Die diesen Bewegungen zugrunde liegenden Veränderungen der
Zahlungsgewohnheiten sind zum Teil bekannt oder liegen auf der Hand. Die starke Geldmengenausweitung des Jahres 191957 traf offensichtlich noch weitgehend auf illusorische
Erwartungen. Die Wirtschaftssubjekte änderten jedenfalls ihre Zahlungsgewohnheiten nicht
und die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes ging zurück. Eine ähnliche Bewegung des Jahres
1921 war dagegen wohl auf die Stabilisierung von Währung und Preisen zurückzuführen.
Demgegenüber erhöhte sich 1920 und vor allem 1922 die Umlaufgeschwindigkeit mit der
Inflationsrate. Die Entwicklung im Jahr 1923 bleibt dagegen erklärungsbedürftig.
Ein in den Grundzügen ähnliches Bild zeichnet die durchschnittliche Verweildauer der
Einnahmen auf Reichsbankgirokonten. Da es sich jedoch um Notenbankkonten handelt
und die Bargeldkomponente fehlt, ergeben sich in einzelnen Jahren auch Abweichungen.
So sank die Verweildauer 1915 – vermutlich aufgrund der lebhaften Inanspruchnahme der
55
56
57
Ebd., S. 183–187.
S. Abbildung 5.
Da für die Berechnung des Index Jahresdurchschnittswerte verwandt wurden, kann die Veränderung
eines Jahreswertes gegenüber dem Vorjahr auch auf eine Bewegung gegen Ende dieses Vorjahres
zurückgehen.
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Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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112
Hartmut Kiehling
Reichsbank im Zusammenhang mit der Zeichnung von Kriegsanleihen – vorübergehend
ab. Der oben erwähnte Rückgang der Umlaufgeschwindigkeit im Jahr 1921 spiegelte
sich auf den Girokonten der Reichsbank ebenfalls nicht wider. Dies liefert einen Hinweis
darauf, dass dieser Rückgang ausschließlich auf Veränderungen im Barzahlungsverhalten
zurückzuführen war.58
Mit diesen Feststellungen zur Umlaufgeschwindigkeit ist allerdings in den meisten
Fällen noch keine Aussage über die konkrete Änderung der Zahlungsgewohnheiten
getroffen. So kritisiert Steven B. Webb zu Recht, dass Robert J. Barro die von ihm in
diesem Zusammenhang unterstellte Verkürzung der Zahlungsperioden und Zunahme
von Geldsubstituten nicht nachgewiesen hat.59 Dagegen hat Webb den beschleunigten
Bargeldumlauf in der Hyperinflation anhand der Verkürzung der Auszahlungsintervalle
der Löhne und Gehälter detailliert beschrieben. Danach wurden diese Fristen Mitte 1922
sowie kontinuierlich ab Mitte 1923 reduziert. Bemerkenswert ist jedoch auch, wie schnell
Branchen wie die Berliner Elektro- und Maschinenbauindustrie während der Stabilisierung
im März und April 1923 die betreffenden Intervalle wieder verlängerten.60
Abbildung 5: Indikatoren der Geldumlaufgeschwindigkeit 1913–23 (Jahresdurchschnitte)
5.000
2
4.500
1,8
4.000
1,6
3.500
1,4
3.000
1,2
2.500
1
2.000
0,8
1.500
0,6
1.000
0,4
500
0,2
0
1913
1914
1915
1916
1917
1918
1919
1920
1921
1922
Index der Umlaufgeschwindigkeit der
Geldbasis (auf Grundlage der
Industrieproduktion, 1914 = 100, li. Skala)
(auf Grundlage des Volkseinkommens,
1913 = 100, li. Skala)
Verweildauer der Einnahmen auf
Reichsbankgirokonto (in Tagen, Kehrwert,
re. Skala)
0
1923
Quelle: Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42) S. 24, 45–53; Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51),
S. 179; Reichsbank, Verwaltungsberichte 1913–1923, passim.
Die erwartete Preissteigerungsrate ist in den letzten 40 Jahren immer wieder Gegenstand
einer intensiven Diskussion – insbesondere unter monetaristisch ausgerichteten Ökonomen
– gewesen. Cagan hat sie in seiner grundlegenden Arbeit über „The Monetary Dynamics
58 Reichsbank, Verwaltungsberichte 1913–1923, passim.
59 Webb, Money (wie Anm. 23), S. 447.
60 Steven B.Webb, Hyperinflation and Stabilization in Weimar Germany. New York/Oxford 1989, S. 80 f.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
113
of Hyperinflations“ mit der aktuellen Preisänderungsrate gleichgesetzt.61 Dies ist aus
mehreren Gründen gerechtfertigt. Zum einen kann gezeigt werden, dass die Geldillusion
in verschiedenen Wirtschaftssektoren erst seit dem Herbst 1921 stufenweise schwand
und ab Mitte 1923 vollständig verloren ging.62 Zum anderen beinhalteten die aktuellen
Preissteigerungsraten wegen des time lags zwischen Erhebung und Veröffentlichung selbst
bereits ein Moment der Erwartung. Dies galt für den gesamten Untersuchungszeitraum
trotz des vom Statistischen Reichsamt während der galoppierenden Inflation eingeführten
14-tägigen Eildienstes, der den time lag meist auf fünf Wochen verkürzte.63
Die Abbildung der erwarteten durch die aktuelle Preissteigerungsrate mag realistisch sein,
wenn keine zusätzlichen Informationen eine Richtungsänderung erwarten lassen. Unter der
Voraussetzung, dass das Geldangebot im Wesentlichen durch das staatliche Budgetdefizit
bestimmt wird, kommt Webb zu der Aussage, dass es insbesondere bedeutende fiskalische
Neuigkeiten64 waren, die die Inflationserwartungen der Wirtschaftssubjekte in Deutschland
von Januar 1919 bis Oktober 1923 bestimmten.65 Dabei ergab sich ein komplizierter Rückkopplungsprozess zwischen Inflation und Budgetdefiziten. Einerseits senkte die Inflation die
Belastungen der öffentlichen Haushalte aus der Verschuldung und machte die Besteuerung
von Scheingewinnen möglich. Andererseits gingen die realen Steuereinnahmen in dem Maße
zurück, wie die Wirtschaftssubjekte die Inflation zu ihren Gunsten ausnutzen konnten – etwa
durch verspätete Zahlung oder in Papiermark denominierte Verbrauchsteuern und Gebühren.66 Webb stellt mehrere Phasen heraus: Bis Anfang 1921 sorgten Weltkriegsniederlage,
Revolution, Reparationsforderungen und Gebietsverluste durch den Versailler Frieden
sowie das Tauziehen um die Erzberger’sche Finanzreform für hohe Inflationserwartungen
und -raten. Ab März 1920 schlugen beide mit dem Scheitern des Kapp-Putsches und der
Verabschiedung der Finanzreform um. Nunmehr erwartete das Publikum, dass sich das
61 Cagan, Dynamics (wie Anm. 20), S. 35 ff. Christiano hat dazu mit Hilfe ökonometrischer Tests festgestellt, dass die so gemessenen Erwartungen im Deutschland der Monate November 1920 bis Juli 1923
nicht durch einen zufälligen Term verfälscht waren. Vgl. Lawrence J. Christiano, Cagan’s Model of
Hyperinflation under Rational Expectations, in: International Economic Review 28 (1987), S. 33–49.
62 Vgl. hierzu einige Veröffentlichungen des Verf.: Hartmut Kiehling, Der Funktionsverlust der deutschen
Finanzmärkte in Weltkrieg und Inflation 1914–1923, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1998/1,
S. 11–58; ders., Die wirtschaftliche Situation des deutschen Einzelhandels in den Jahren 1920 bis
1923, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 41 (1996), S. 1–27; ders., Einzelhandel und Konsum
in Zeiten der Inflation 1920–23, in: Rolf Walter (Hrsg.), Geschichte des Konsums. Erträge der 20.
Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 23.–26. April 2003 in Greifswald
(Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 175). Stuttgart 2004, S. 275–312;
ders., Bevölkerung (wie Anm. 24); ders., Banking in der Inflation 1918 bis 23, in: Scripta Mercaturae
29 (1996), S. 14–64; ders., Die deutsche Börse in den Jahren 1920 bis 1923, in: Bankhistorisches
Archiv 21 (1995), S. 67–106.
63 Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 27; Der Pfälzische Einzelhandel vom 25.7.1923, S. 261.
64 So zum Beispiel die Reparationsforderungen, die Besetzung des Ruhrgebiets, innere Unruhen, aber
auch Steuerreformen.
65 Eine ähnliche Aussage trifft auch Thomas J. Sargent, Rational Expectations and Inflation. New York
1986, S. 7–10, 79–94. Sargent fügt in einer anderen Arbeit hinzu, dass es vor allem die ungeklärten
Reparationsverpflichtungen waren, die „einen langen Schatten auf seine Chancen zu einer stabilen
Währung warf[en].“ Vgl. ders., The Ends of Four Big Inflations, in: Robert E. Hall (Ed.), Inflation:
Causes and Effects. Chicago, Il./London 1982, S. 75.
66 Ebd., S. 82.
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114
Hartmut Kiehling
Reich konsolidieren und seine finanziellen Verpflichtungen erfüllen könne. Die Diskussion über Höhe und Zahlungstermin der deutschen Reparationen ab Anfang 1921 und das
Londoner Ultimatum am 21. Mai des Jahres waren die Voraussetzung für die Wende, die
im Juni mit dem Scheitern der Steuerreformpläne des Kabinetts Wirth vollzogen wurde.
Die Entscheidung der Alliierten, das industriereiche Oberschlesien Polen zuzusprechen,
bewirkte ab Oktober 1921 erneut steigende Defizit- und Inflationserwartungen. Eine weitere Verschärfung führten ab Juni 1922 die Verweigerung einer internationalen Anleihe auf
der Pariser Schuldenkonferenz und der Mord an Außenminister Walther Rathenau herbei.
Das Gleiche galt seit dem Scheitern der Devisenmarktinterventionen der Reichsbank im
April 1923 und dem Explodieren der Kosten für den Ruhrkampf nach der Verschärfung
der französischen Sanktionen und der Ablehnung des Vergleichsvorschlags Reichskanzlers
Wilhelm Cunos im August 1923.67
Als dritte Methode wurde die direkte Messung der Inflationserwartungen über die Kurse
auf den Devisenterminmärkten vorgeschlagen, auf die bereits zuvor im Zusammenhang
mit den Alternativinvestments Devisen und Sorten eingegangen wurde.
III. Das Geld- und Kreditangebot in der volkswirtschaftlichen Theorie
Die Einlagen der Privaten bei den Banken nehmen eine zentrale Funktion in deren Kreditschöpfung ein. Da die dahinterstehenden theoretischen Zusammenhänge auch unter
Wirtschaftshistorikern nicht durchweg vorausgesetzt werden können, seien daher zunächst
einige Multiplikatoren der Geldschöpfung und die korrespondierenden Ansätze zur Kreditschöpfung erwähnt. Im nächsten Schritt folgt eine Ergänzung um weitere Determinanten.
Die nachfolgende Argumentation wird zwar im Wesentlichen auf volkswirtschaftliche
Theorien zum Giralgeld- bzw. Kreditangebot zurückgreifen, aber keinem der Ansätze
formal, geschweige denn mathematisch-exakt folgen. Dies hat mehrere Gründe:
■
Die einzelnen Theorien sind für „normale“, oftmals auch jüngere Zeiträume aufgestellt
worden. Die betreffenden Multiplikatoren stellen jeweils einzelne Determinanten in
den Vordergrund und unterstellen hinsichtlich anderer Größen (mehr oder weniger)
konstante Zusammenhänge. In der Situation der Zeit während des Ersten Weltkriegs
und unmittelbar danach waren diese Zusammenhänge jedoch oftmals gestört, sodass
größere Fluktuationen der explizit berücksichtigten Determinanten zu Verzerrungen
führen müssen. Dies gilt insbesondere für die Zeit ab Mitte 1922.68
67
Steven B. Webb, The Supply of Money and Reichsbank Financing of Government and Corporate
Dept in Germany, in: Journal of Economic History 44 (1984), S. 499–507; ders.: News (wie Anm. 35),
S. 769–794.
68 Es gibt Hinweise, dass Finanzmärkte gegen Ende der Inflationszeit in ein qualitativ anderes Stadium
eingetreten sind. So wiesen die Zeitreihen für den Londoner Wechselkurs zwischen britischem Pfund
Sterling und Mark vom März 1922 bis Januar 1923 sowie ab Mai 1923 besonders hohe Fluktuationen auf. In den betreffenden Zeitreihen wurden nichtlineare Prozesse nachgewiesen, die durchaus
chaotisch sein konnten. Solche an sich deterministischen Prozesse können mathematisch nicht mehr
von stochastischen unterschieden werden. Vgl. David A. Peel/Pradeep K. Yadav, The Time Series
Behaviour of Spot Exchange Rates in the German Hyper-Inflation Period. Was the Process Chaotic?,
in: Empirical Economics 20 (1995), S. 455–471.
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■
■
■
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Darüber hinaus weist das Datenmaterial für den gesamten Untersuchungszeitraum Brüche auf und erschwert so die Vergleichbarkeit der Daten. In der Hyperinflation nehmen
diese Probleme noch zu. Zum einen bildeten Monatsendstände oder -durchschnitte die
oft extremen Schwankungen innerhalb eines Monats nicht ab. Zum anderen wurden
bestimmte Daten nicht erhoben oder waren wegen der Ausdünnung der Umsätze nicht
repräsentativ. Die mit den einzelnen Multiplikatoren errechneten Kreditvolumina wichen gegen Ende der Inflationszeit aus diesen und den eingangs genannten Gründen
stark voneinander ab.
Die traditionellen Multiplikatoransätze betrachten die Geldmenge als exogene Größe,
die über einen weitgehend starren Multiplikator rein rechnerisch mit einem bestimmten
Volumen an „Basisgeld“ fest verknüpft ist. Die neuere Geldangebotstheorie stellt demgegenüber fest, dass sich das Geldangebot in einem interdependenten Prozess verschiedener
beteiligter Gruppen bildet.69 Dennoch sind einige der genannten Multiplikatoransätze für
die Zwecke der Untersuchung durchaus brauchbar, wenn man sich auf die enthaltenen
funktionalen Zusammenhänge konzentriert und die Änderungen der Verhaltensparameter
der beteiligten Gruppen („Quoten“ und „Koeffizienten“) in die Untersuchung einbezieht.
Die exakte Quantifizierung der Kreditschöpfungsmöglichkeiten der Banken anhand
der in der Literatur angebotenen Multiplikatorformeln würde die Entscheidung für
eine volkswirtschaftliche Lehrmeinung (oder gar deren Weiterentwicklung) erfordern.
Es ist jedoch hier nicht der Platz, in eine ökonomische Diskussion einzugreifen, die
heute ohnehin an Aktualität eingebüßt hat.
Die klassische Darstellung der multiplen Giralgeldschöpfung (traditionelle Geldschöpfungstheorie) geht auf Chester A. Phillips zurück und wurde von John Maynard Keynes
übernommen.70 In der heute üblichen Schreibweise ist das maximal mögliche Angebot
des Bankensystems an Giralgeld durch den „starren Geldschöpfungsmultiplikator“
1
a
nach der Formel M max
= m ⋅ Z a bestimmt, mit:
m=
c * +r ⋅ (1 − c*)
m = starrer Geldschöpfungsmultiplikator, c* = Barabzugsquote = Satz, zu dem die
Nichtbanken die Ihnen eingeräumten Kredite in bar halten, r = Mindestreservesatz,
a
= maximales Geldangebot des Bankensystems, Za = Geldbasis = (Bargeld +
M max
Notenbankguthaben) der Banken und Nichtbanken, nicht jedoch des Staates.
Eng verwandt mit der Geldangebotsfunktion des Bankensystems ist dessen Kreditangebotsfunktion. Das maximale Kreditschöpfungspotenzial der Banken wird nach dem
1
klassischen Ansatz durch den starren Kreditschöpfungsmultiplikator k =
r + c * ⋅(1 − r)
und die Überschussreserven der Banken bestimmt:
a
Bmax
= k ⋅Ü , wobei:
a
= maximales Kreditangebot der Banken,
k = starrer Kreditschöpfungsmultiplikator, Bmax
Ü = Überschußreserven = Barreserve – Mindestreserven,
69
70
Issing, Einführung (wie Anm. 22), S. 59–77.
Chester A. Phillips, Bank Credit. A Study of the Principles and Factors Underlying Advances made by
Banks to Borrowers. New York 1921; John M. Keynes, A Tract on Monetary Reform. London 1923;
ders., A Treatease on Money. London 1930.
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Die Barabzugsquote c* ist auf gesamtwirtschaftlicher Ebene schwierig zu ermitteln. Stattdessen kann man jedoch den Bargeldabflusskoeffizienten c verwenden. Gravierender sind die
Einschränkungen, die aus den gemachten Annahmen resultieren. Es sind dies unter anderem:
(1.) Die Banken vergeben soviel Kredit wie möglich. Sie verhalten sich also als „Kreditmaximierer“, nicht jedoch als Gewinn- oder Sicherheitsmaximierer.
(2.) Die angebotene Menge an Kredit wird auch nachgefragt.
(3.) Die Banken halten daher im Gleichgewichtszustand weder Überschussreserven noch
Bargeldbestände.
(4.) Die Kreditinstitute können sich bei Bedarf kein weiteres Zentralbankgeld beschaffen.
(5.) Dem Geschäftsbanksektor geht durch Verfügungen über ihre Depositen kein Bargeld
verloren.71
Die Annahmen (1.) und (2.) sind generell wenig realistisch. Sie galten auch im Untersuchungszeitraum allenfalls zeitweise. So ist die Annahme (1.) für die schrittweise zunehmenden Inflationsraten der Jahre 1921 bis 1923 vermutlich nicht erfüllt, die Annahme (2.)
ist für die Jahre der Liquiditätsschwemme von 1916 bis 1919 unrealistisch. Ferner stieg
– wie im Folgenden noch gezeigt wird – die Barreserve des Bankensystems gegen Ende
der Inflation zu deutlich an, sodass auch Annahme (3.) nicht zutrifft.72 Der Grund dafür lag
vermutlich unter anderem darin, dass die Einleger massiv in bar abdisponierten (Annahme
(5.)).73 Annahme (4.) ist für den gesamten Untersuchungszeitraum nicht erfüllt.74 Trotz all
dieser Einschränkungen zeigt die klassische Darstellung der multiplen Giralgeldschöpfung
einen für die weitere Argumentation wichtigen Zusammenhang auf: Der Kreditschöpfungsspielraum der Banken ist erschöpft, wenn die Überschussreserven Ü gleich Null sind.
Spätere Geldtheoretiker haben an diesem Konzept mehrere Änderungen vorgenommen.
Sie stellten zum einen auf das tatsächliche Kreditangebot der Banken bzw. die de facto
angebotene Menge an Zentralbankgeld ab. Zum anderen bezogen sie das Verhalten der
Einleger und der Banken in ihre Überlegungen ein und untersuchten dessen Einfluss auf
die Geldbasis. Mit Hilfe des so determinierten „flexiblen Geldschöpfungsmultiplikators“
1
m=
lässt sich das Geldangebot der Notenbank nach der Formel
1
+ (1 − c) ⋅ ü ⋅ ( i − u )
m
Ma = m · Za bestimmen. Den starren Kreditschöpfungsmultiplikator kann man also auch
als Spezialfall des flexiblen interpretieren. Zwischen dem Kreditangebot der Banken an
die Nichtbanken und dem Volumen der Zentralbankgeldmenge, das die Notenbank anbietet, gibt es einen engen Zusammenhang, der sich unter anderem in einer Funktion
zwischen den entsprechenden Multiplikatoren ausdrückt: Å = m – 1 > 0.75 Demnach
1
lautet der flexible Kreditschöpfungsmultiplikator Å =
− 1 und das
1
+ (1 − c) ⋅ ü ⋅ ( i − u )
m
71
72
73
74
75
Issing, Einführung (wie Anm. 22), S. 51 f.
S. Kapitel VII.
S. Kapitel XII.
S. Kapitel VIII.
Rudolf Richter/Ulrich Schlieper/Willy Friedmann, Makroökonomik. Berlin et al. 41981, S. 382.
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Kreditangebot der Banken bestimmt sich nach der Gleichung Ba = ÅZa ,76 wobei:
Barreserve
der Banken,
ü = Überschussreservesatz = r* -r, r* = Reservesatz =
Einlagevolumen
u = erwartete Zinsänderungsrate, Å = flexibler Kreditschöpfungsmultiplikator,
Zentralbankgeld
c = Bargeldabflusskoeffizient =
der Nicht-Banken,
Zentralbankgeld + Sichteinlagen
i = Geldmarktzins, Ba = tatsächliches Kreditangebot der Banken.
Auch das flexible Geld- bzw. Kreditmultiplikatorkonzept weist jedoch für den Untersuchungszeitraum offenkundige Mängel auf. An den Formeln beider Multiplikatoren sind
daher einige Modifikationen sinnvoll oder gar notwendig:
■
Die erwartete Zinsänderungsrate u kann heute nicht mehr ermittelt werden. Es ist
jedoch plausibel anzunehmen, dass sich die aktuellen Zinsen während des Untersuchungszeitraums im Allgemeinen nicht signifikant von den erwarteten unterschieden
haben. In den äußerst volatilen Zeiten der Hyperinflation hätte jede Abweichung für
die Marktteilnehmer unverhältnismäßig große Risiken mit sich gebracht. Anbieter
und Nachfrager am Geldmarkt taten daher gut daran, ihre Erwartungen vollständig
in die aktuellen Dispositionen einfließen zu lassen. Vor Ausbruch der Hyperinflation
waren die Geldmarktzinsen mit Ausnahme der relativ kurzen Periode von Januar bis
November 1918 sehr konstant, sodass in der betreffenden Zeit auch keine namhaften
Bewegungen der Zinserwartungen wahrscheinlich sind. Damit ist es vertretbar, in der
Formel für den flexiblen Kreditschöpfungsmultiplikator den Ausdruck i–u durch den
Geldmarktzins i zu ersetzen.77
■
Die Reichsbank hat im Untersuchungszeitraum keine Mindestreserve erhoben. Die Banken konnten ihre Bestände an Zentralbankgeld dennoch nicht auf Null reduzieren. Zum
einen hatten sie mit Abdispositionen der Einlagen in bar zu rechnen. Zum anderen mussten sie auf ihren Reichsbankkonten mindestens die für die Abwicklung des Zahlungsverkehrs notwendigen Working Balances halten, da diese Konten ausschließlich auf Guthabenbasis geführt wurden und eine automatische Inanspruchnahme des Notenbankkredits
nicht möglich war.78 Ü und r müssen daher entsprechend uminterpretiert werden als Ü =
Barreserve der Banken minus Working Balances der Banken bei der Reichsbank79 bzw.
Bargelderfordernis + Working Balances der Banken auf ihren Reichsbankkonten
r=
.
Einlagen bei den Banken
76 Karl Brunner/Allan H. Meltzer, Some Further Investigations of Demand and Supply Functions for
Money, in: Journal of Finance 19 (1964), S. 240–283, hier S. 248 ff.; Richter/Schlieper/Friedmann,
Makroökonomik (wie Anm. 75), S. 379 f.
77 S. Kapitel X.
78 S. Kapitel IX.
79 Aus Gründen der besseren Erfassbarkeit auf gesamtwirtschaftlicher Ebene kann ü auch als
Barreserve
interpretiert werden. Der flexible Kreditschöpfungsmultiplikar* = Reservesatz =
Einlagevolumen
1
tor schreibt sich in diesem Fall m
μ=
− 1. Im folgenden wird jedoch auf diese
c + (1 − c ) ⋅ ( r + r * ⋅i )
Modifikation verzichtet, da die Überschussreserven in der angepassten Interpretation genügend operationabel sind.
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Berücksichtigt man diese Änderungen, so folgt der flexible Geldschöpfungsmultipli1
, der flexible Kreditschöpfungsmultiplikator lässt
kator der Formel m =
1
+ (1 − c) ⋅ ü ⋅ i
m
1
− 1 .80
sich schreiben m =
1
+ (1 − c) ⋅ ü ⋅ i
m
Trotz der genannten Einschränkungen bilden das starre wie das flexible Geld- bzw.
Kreditmultiplikatorkonzept wichtige Determinanten des Kreditangebots ab. Danach ist
der Kreditschöpfungsspielraum der Banken von der Liquiditätspräferenz des Publikums
und den Überschussreserven der Banken abhängig. Deren Höhe bestimmt sich nach dem
Zahlungsverkehrserfordernis der Banken – in bar und auf Reichsbankkonto. Für das
tatsächliche Kreditangebot spielt zudem die Liquiditätshaltung der Banken selbst, der
aktuelle Zins sowie die Geldbasis eine Rolle, also die Menge an Zentralbankgeld, das die
Notenbank an Banken und Nichtbanken, nicht jedoch dem Staat bereitstellt.
Die vorgestellten Formen des flexiblen Geld- bzw. Kreditschöpfungsmultiplikators
berücksichtigen die Liquiditätshaltung der Banken lediglich durch deren Überschussreserven. Bezieht man die potenzielle Bankenliquidität81 mit ein und modelliert das Verhalten der Nichtbanken durch die Fristigkeitsstruktur ihrer Einlagen, so nimmt der
1
.
Geldschöpfungsmultiplikator folgende Gestalt an: m' =
1 − c Das Geldanc + (r + l) ⋅
1− t
gebot der Zentralbank ergibt sich aus der Formel M a = m'⋅ (Z a + L*B ), wobei:
freie Liquiditätsreserven der Banken
l = Liquiditätsquote =
,
Einlagevolumen der Nichtbanken
Termin - und Spareinlagen der Nichtbanken
t = Zeitdepositenquotient =
,
Einlagevolumen der Nichtbanken
LB = freie Liquiditätsreserven der Banken = Überschussreserven + potenzielle Bankenliquidität. Das Aggregat Za + Lp nennt man ergänzte monetäre Basis.
1
− 1)
Dementsprechend lautet der Kreditschöpfungsmultiplikator Å ' = (
1− c
c + (r + λ) ⋅
1− τ
und das Kreditangebot der Banken errechnet sich aus der Gleichung B a = Å '⋅ (Z a + L*B ) .82
Ein alternativer Ansatz verwendet den Reservesatz als Maß für die Liquiditätshaltung
der Banken sowie den Bargeldhaltungskoeffizienten als Maß für die des Publikums.
Berechnet man die Geldschöpfung zudem auf der Grundlage der Geldbasis, so lautet der
c'+ 1
. Mit seiner Hilfe lässt sich das Geldangebot
Geldschöpfungsmultiplikator m* =
r * +c'
80
81
82
Brunner/Meltzer, Investigations (wie Anm. 76), S. 248 ff.; Richter/Schlieper/Friedmann, Makroökonomik (wie Anm. 75), S. 379 f.
S. zur Abgrenzung Kapitel VIII.
Richter/Schlieper/Friedmann, Makroökonomik (wie Anm. 75), S. 431 f.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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119
des Bankensystems bestimmen als Ma = m* · Za 83 für c' = Bargeldhaltungskoeffizient =
Bargeld
der Nichtbanken.84
Einlagenvolumen
Analog gelten für den Kreditschöpfungsmultiplikator bzw. das Kreditangebot der
c'+ 1
− 1 bzw. Ba = Å* · Za.85 Diesen (wie jeden anderen)
Banken die Formeln Å* =
r * +c'
Ansatz kann man insofern modifizieren, als man den betreffenden Multiplikator nicht
auf die freien Liquiditätsreserven der Banken oder die (ergänzte) monetäre Basis, sondern
ein erweitertes Geldmengenkonzept abstellt. Der zuletzt genannte Kreditschöpfungsmulc'+ 1
tiplikator würde beispielsweise im Falle von M1 die Form Å * * =
annehr * ⋅(1 + t ) + c'
a
a
men. Das Kreditangebot der Banken berechnet sich dann aus M = Å* · Z .
Aus der Liquiditätstheorie stammt ein weiterer Ansatz, der den Kreditbestand aus
einem Kreditschöpfungsmultiplikator und den freien Liquiditätsreserven der Geschäftsbanken ableitet. Dabei ist der Kreditschöpfungsmultiplikator durch den durchschnittlichen
Mindestreservesatz und die freie Liquiditätsquote bestimmt. Die obere Grenze der Kreditschöpfung ist dann erreicht, wenn die potenzielle Bankenliquidität vollständig in aktuelle Bankenliquidität umgewandelt worden ist. Bekannt geworden ist das Konzept
Anfang der 1970er-Jahre, als es der Sachverständigenrat anwandte. Nach seiner Lesart
des Konzepts ist das theoretische Kreditmaximum bestimmt durch die Formel
1− r + f
B max =
⋅ LS , wobei:
r
Rediskontkontingente
f =
,
Einlagen der Nichtbanken bei den Banken
LS = Liquiditätssaldo der Banken = Working Balances der Banken bei der Zentralbank
+ freie Liquiditätsreserven der Banken.
Der Ansatz der Liquiditätstheorie hat allerdings einen gravierenden Nachteil. Er ist rein
saldenmechanisch aus der konsolidierten Bilanz des Bankensystems abgeleitet, enthält
keine Hypothesen über das Verhalten der Wirtschaftssubjekte und kann daher die tatsächlichen Veränderungen des Geldangebots nicht erklären. Dies wird besonders deutlich beim
Kassenhaltungskoeffizienten, bei dem implizit ein Wert von c = 0 unterstellt wird. Das
Publikum verfügt also über neu eingeräumte Kredite nur in bar. Der Sachverständigenrat
hielt ein solches Vorgehen dennoch für vertretbar, da er die Konstanz des Koeffizienten
annahm.86 Dies ist jedoch hinsichtlich hier betrachteten Jahre unrealistisch. Wegen der
genannten Schwächen des Konzepts wird der Ansatz der Liquiditätstheorie im Folgenden
nicht weiter verfolgt.
83 Wim Kösters, Geldtheorie, in: Werner Glastetter/Eduard Mändle/Udo Müller/Rolf Rettig (Hrsg.),
Handwörterbuch der Volkswirtschaft. Wiesbaden 21980, Sp. 383–400, hier Sp. 388.
84 Vgl. zu diesem Kapitel auch Issing, Einführung (wie Anm. 22) S. 42–80.
85 Kösters, Geldtheorie (wie Anm. 83), Sp. 388.
86 Jürgen Siebke/Manfred Willms, Theorie der Geldpolitik (Heidelberger Taschenbücher 157). Berlin
et al. 1974, S. 177–187.
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Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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120
Hartmut Kiehling
Die vorgestellten Theorien zum Geldangebot beanspruchen allgemeine Gültigkeit.
Berechnet man mit ihrer Hilfe jedoch das theoretisch mögliche Kreditangebot der Banken
während des Untersuchungszeitraums, so ergeben sich insbesondere für die Jahre der
Hyperinflation gravierende Abweichungen vom tatsächlich erzielten Kreditvolumen.87
In einem zweiten Schritt erfolgen daher noch speziell auf die Hyperinflation abgestellte
geldangebotstheoretische Überlegungen. Eine grundlegende Arbeit hierzu legte Cagan
bereits 1956 vor, in der er ein Modell entwickelte, das das Geldmengenwachstum in
Abhängigkeit von den Inflationserwartungen des Publikums sah. Cagan nahm an, dass
diese Erwartungen durch die aktuellen Preissteigerungsraten bestimmt waren:
⎛ Md ⎞
88
log ⎜
⎟ = −a ⋅ E − g, mit:
⎝ P ⎠
Md = (nominale) Geldnachfrage, P = Preisniveau, a, g = const,
E = erwartete Inflationsrate ≈ Δ P.
Allerdings argumentierte Cagan noch von der Geldnachfrage her und nahm an, dass diese
dem Geldangebot stets entspräche.89
Thomas J. Sargent und Neil Wallace modifizierten den von Cagan gewählten Ansatz,
indem sie das Geldangebot selbst in Abhängigkeit von vorangegangenen Preissteigerungsraten betrachteten und eine Kausalität zwischen
⎛ Mt ⎞
⎛ P ⎞
mt = mt + st = log ⎜
+ st und X = log ⎜ t ⎟ , mit:
⎝ M t +1 ⎟⎠
⎝ Pt −1 ⎠
⎛ Mt ⎞
,
Pt = (Rohstoff-) Preisniveau zum Zeitpunkt t, mt = log ⎜
⎝ M t −1 ⎟⎠
Mt = Geldnachfrage zum Zeitpunkt t, st = (serial unkorrelierter) Zufallsterm,
konstatierten. Diese Modifikation hatte zur Folge, dass das Modell allgemein konsistent
mit der Theorie rationaler Erwartungen wurde. Die Gültigkeit beider Modelle haben ihre
Autoren anhand von Korrelationsrechnungen mit Daten aus fünf historischen Hyperinflationen nachzuweisen gesucht.
Ebenfalls vom Ansatz Cagans ging Steven M. Goldman aus. Er berücksichtigte zudem
sowohl die Flucht in die Sachwerte als auch den Grad an Geldillusion, wobei erstere
naturgemäß inflationsfördernd, letztere inflationshemmend wirkte.90 Eine interessante Erweiterung nahm auch Rodney L. Jacobs vor, indem er das Geldangebot vom Finanzbedarf
87
88
Zur Schätzungsproblematik des tatsächlich erzielten Kreditvolumens s. Kapitel XII.
Die logarithmische Form des Cagan’schen Ansatzes ist verschiedentlich kritisiert worden, da sie das
Problem serialer Korrelation aufwirft. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass auch eine Umwandlung
der Funktion in lineare Form im Fall der deutschen Hyperinflation nicht zu signifikant besseren Ergebnissen führt. Vgl. Joseph Bisignano, Cagan’s Real Money Demand Model with Alternative Error
Structures. Bayesian Analyses for Four Countries, in: International Economic Review 16 (1975),
S. 487–502.
89 Cagan, Dynamics (wie Anm. 20), S. 35 ff.
90 Steven M. Goldman, Hyperinflation and the Rate of Growth in the Money Supply, in: Journal of
Economic Theory 5 (1972), S. 250–257.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
121
des Staates abhängig machte. Danach wird das Geldangebot davon bestimmt, inwieweit
die angestrebte die realisierte Inflationssteuer übertrifft. Das so ermittelte Geldangebot
hat Jacobs mit der Geldnachfrage zu einem Gleichungssystem verbunden:
∂Vt
1 dP ⎞
dq
⎛
=
− q ⋅ ⎜q − ⋅
⎟,
⎝
P dt ⎠
dt ( M P )
dE b ⋅ E ⋅ ( q − E )
=
,
1 − (b ⋅ a) 2
dt
d ln ( M )
= q,
dt
dV
= R * −R,
dt
mit:
q = „Inflationssteuerrate“, Vt = R* – R = Defizit zwischen der angestrebten und der
realisierten Inflationssteuer, M = Geldmenge, P = Preisniveau, a, b, d = Strukturparameter, E = erwartete Inflationsrate.
Wenn die angestrebte Inflationssteuer die maximal erzielbare übersteigt, wird der Prozess instabil; die Notenemission explodiert. Jacobs konnte auf diese Weise die Entwicklung
der (Papiermark-) Geldmenge während der zweiten Hälfte des Ruhrkampfes erklären – ein
ungelöstes Problem der zuvor aus dem Ansatz Cagans entwickelten Modelle.91 Allerdings
berücksichtigt sein Modell nicht, dass die deutsche Regierung – deutlich erkennbar – keine
bewusste Politik der Ausnutzung der Inflationssteuer betrieben hatte. Sie hätte ansonsten
die wichtigsten Steuern auf eine wertbeständige Basis stellen und die Zahlungsfristen für
Steuerschulden stark verkürzen müssen.92 Es ist jedoch gar nicht notwendig, das (immer
schwierig schätzbare) Moment der Erwartung der Staatsverschuldung zu berücksichtigen.
Webb hat stattdessen folgende Funktion unterstellt:
log Za = a + b · Dbt +g · Et + c · Rt + et, mit:
Za = angebotene Geldbasis, a, b, g, c = const., Dbt = Volumen der Staatsverschuldung,
Et = erwartete Inflationsrate (gemessen über den M/$-Report am Devisenterminmarkt),
Rt = Diskontsatz der Reichsbank
Gerade hinsichtlich des Verschuldungskoeffizienten ist Webbs Modell für den Zeitraum
von April 1920 bis August 1923 hochkonsistent (b = 0,90, Konfidenzniveau: 0,99, Standardabweichung: 0,04). In Bezug auf den Koeffizienten zu den Inflationserwartungen ist
es dagegen lediglich auf einem Konfidenzniveau von fünf Prozent signifikant (g = 0,48,
P = 0,95, s = 0,20).93 Dies ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass außenwirtschaftliche
Einflüsse, wie sie im Swapsatz zum Ausdruck kommen, von 1920 bis 1923 keinen durchgängigen Einfluss auf das Geldangebot hatten.
91 Rodney L. Jacobs, Hyperinflation and the Supply of Money, in: Journal of Money, Credit and Banking
9 (1977), S. 287–303.
92 Vgl. zum Verhalten der Reichsregierung Webb, Hyperinflation (wie Anm. 60), S. 31–43.
93 Ebd., S. 30.
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Die relativ komplizierten Formeln der zuletzt genannten Ansätze hat Marvin S. Goodfriend bewusst reduziert. Er geht davon aus, dass das Geldangebot einer Periode real im
Wesentlichen von den Preiserwartungen bestimmt ist:94
(
)
ln M t − ln Pt = l + a ⋅ Δ ln Pte+1 + vt , mit:
Mt = Geldangebot in Periode t,
Pt = Preisniveau in Periode t,
Δ ln Pte+1 = Preiserwartung in Periode t hinsichtlich Periode t +1,
nt= unvorhergesehene externe Schocks externes Rauschen,
a = Steigung des (natürlichen) Logarithmus der Geldnachfrage in Bezug auf die erwartete Preissteigerungsrate,
l = const.
Unter der Voraussetzung, dass die Wirtschaftssubjekte in kürzester Zeit über genaue
Informationen zu Preisniveauänderungen und zur Geldmenge verfügen und externes
Rauschen zu vernachlässigen ist, hat dieser Ansatz die Vorteile, dass das Geldangebot
keinen einschränkenden Bedingungen unterliegt, die Verfahrensweise einfach ist und leicht
überprüft werden kann. Goodfriend zog in seiner Untersuchung die Daten Cargans heran
und fand seine Hypothese bestätigt.95 Andere Autoren haben in jüngerer Zeit ebenfalls
anhand empirischer Daten für die deutsche Hyperinflation einen Kausalzusammenhang
zwischen den Inflationserwartungen und dem Geldangebot bestätigt gefunden.96
Trotz aller Bemühungen – die deutsche Inflation von 1914/19 bis 1923 wurde bereits
als das am besten untersuchte ökonomische Phänomen bezeichnet – dauert die Diskussion
über die Bestimmungsgründe des Geldangebots (und der Geldnachfrage) an. Rüdiger
Dornbusch hat bereits vor einiger Zeit die immer noch unerfüllte Vorgabe gemacht, zu
diesem Zweck ein integriertes Modell zu entwickeln, das neben den bislang diskutierten
Determinanten auch die realen Wechselkurse, das Portfolio-Gleichgewicht sowie das
Vertrauen und die Kreditwürdigkeit in Währung und Regierung berücksichtigt.97
Während die zuvor genannten Ansätze zur Erklärung des Geldangebots die (mehr oder
weniger autonomen) Handlungen der Geschäftsbanken und ihrer Einleger, vor allem aber
der Notenbank heranziehen, betonen zumindest die neueren, speziell auf die Hyperinflation zugeschnittenen Ansätze die endogene Art der Wirkungszusammenhänge. Damit
ist das Geldangebot eng mit der Geldnachfrage verzahnt und es wird für die quantitativ
vorgehende moderne Volkswirtschaftslehre äußerst schwierig, die Abhängigkeiten und
Kausalitäten im Einzelnen zu isolieren. Die Diskussion ist daher vermutlich bei Weitem
noch nicht abgeschlossen. Dem Wirtschaftshistoriker bleibt deshalb nur, die diskutierten
Wirkungszusammenhänge aufzugreifen und in einen größeren Zusammenhang zu stellen.
Die hier behandelten, von verschiedenen Autoren postulierten Zusammenhänge zwischen dem Kreditvolumen und seinen Determinanten sollen daher im Folgenden für den
94 Goodfriend benutzt sie allerdings als Ausgangspunkt für eine Untersuchung zur Geldnachfrage.
95 Marvin S. Goodfriend, An Alternative Method of Estimating the Cagan Money Demand Function in
Hyperinflation under Rational Expectations, in: Journal of Monetary Economics 9 (1982), S. 43–57.
96 Edwin Burmeister/Kent D. Wall, Unobserved Rational Expectations and the German Hyperinflation
with Endogenous Money Supply, in: International Economic Review 28 (1987), S. 15–32.
97 Dornbusch, Lessons (wie Anm. 6), S. 363.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
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Untersuchungszeitraum nicht in streng wissenschaftlichem Sinne falsifiziert werden. Zu
diesem Zweck wäre es zunächst notwendig, tiefer als beabsichtigt in eine durchaus nicht
abgeschlossene wissenschaftliche Diskussion einzutreten – ganz abgesehen davon, dass
das vorhandene Datenmaterial oft nicht vorliegt oder verlässlich genug ist. Vielmehr werden die hier aufgezeigten Thesen anhand des historischen Datenmaterials untersucht, ohne
der Gültigkeit der exakten funktionalen Beziehungen nachzuspüren.98 Die vorliegende
Untersuchung geht also grundsätzlich von einzelnen volkswirtschaftlichen Theorien der
Kreditschöpfung aus, wie sie hier benannt und kurz beschrieben wurden. Sie verwendet
die Theorien jedoch im Allgemeinen nur zur Benennung der einzelnen Einflussfaktoren
und möglicher funktionaler Beziehungen.
IV. Die Zinsentwicklung
Zinssätze unterschiedlicher Marktsegmente spielen in einigen Ansätzen sowohl zur
Geldnachfrage als auch zum Geldangebot eine wichtige Rolle – allerdings in der Form
der nicht direkt messbaren Zinserwartungen. Trotz dieser Einschränkung ist es an dieser
Stelle aus folgenden Gründen sinnvoll, auf die Struktur und Entwicklung der Zinsen im
Untersuchungszeitraum einzugehen:
■
■
■
■
Die Zinssätze liefern Hinweise auf die Knappheitsverhältnisse auf den Märkten.
Über längere Zeit völlig konstante Sätze deuten auf Manipulationen oder Umsatzlosigkeit hin.
In Zinsen und Renditen zeigen sich Interdependenzen zwischen den einzelnen Teilmärkten.
Eine solche Analyse mag zur Erklärung beitragen, weshalb die Zinssätze, gemessen an
der Geldentwertung, bis in die Hyperinflation hinein viel zu niedrig waren und damit
ihrer volkswirtschaftlichen Lenkungsfunktion nicht nachkamen.
Die Reichsbank und die Darlehenskassen erhöhten ihre Zinsen nicht. Solange sie unbeschränkt Kredit gewährten, war damit eine Obergrenze für die Zinsen kurzfristiger
Kredite unter Banken sowie für solche Kredite an Nichtbanken markiert, die auf der
Diskontierung oder Lombardierung von reichsbankfähigen Papieren beruhten (Diskont
von Reichsschatzanweisungen und Handelswechseln einschließlich Privatdiskonten,
Lombard von staatlichen Schuldverschreibungen). Die Reichsbank war der Meinung,
dass Zinserhöhungen in einem inflationären Umfeld ihre Steuerungsfunktion weitgehend
verloren hatten und die Inflation nur noch anheizen würden; dies gelte insbesondere
über die Verteuerung des Schuldendienstes für die Staatsverschuldung. Auch der Staat
griff über seine Emissionskontrolle, später die Genehmigungspflicht privater Schuldverschreibungen gemäß § 795 BGB regulativ ein, da er keine höheren Emissionsrenditen
als die „marktüblichen“ genehmigte. Die Überlegungen waren die gleichen wie die der
Reichsbank.
98 Bei umfangreichen Proberechnungen hat sich allerdings bestätigt, dass die überwiegend zur Verfügung
stehenden Bilanzdaten mit zu großen Ungenauigkeiten behaftet sind, als dass sie noch zu verlässlichen
Ergebnissen führen würden, zumal sie in den kritischen Jahren 1921 bis 1923 großenteils auf den
genanntem Hochrechnungen beruhen.
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Besonders restriktiv wurden Zinserhöhungen im Hypothekenbankgeschäft gehandhabt.
Hier war sogar die Zinsmarge vorgeschrieben. Sie deckte seit 1921 immer weniger den
Verwaltungsaufwand der Institute, sodass diese bereits im Herbst 1922 wertbeständige
Pfandbriefe und Kommunalobligationen ausgaben. Die Banken hatten keine Veranlassung, ihre Einlagenzinsen deutlich zu erhöhen und wirkten in diese Richtung unter
anderem durch das Konditionenkartell der Berliner Großbanken. Während des ersten
Inflationsschubs und in den Monaten danach waren sie nicht notwendig, da ohnedies
hohe Volumina an Auslandsgeldern zuflossen. Danach war ein deutlich geringeres Kreditgeschäft zu finanzieren. Dafür war nun das Wertpapierkunden- und -emissionsgeschäft
einschließlich des Pakethandels umso lukrativer. Durch die starren Nominalzinsen verlagerten sich die Anlagen des Publikums in starkem Maße auf solche Finanzmärkte, die
deutliche Kursgewinne versprachen (Devisenmärkte, seit 1920 Aktienmarkt, seit Herbst
1922 Rentenmarkt), wenn sie nicht ohnehin Sachinvestitionen vorzogen.
Mit den starken Fluktuationen an den Finanzmärkten wurden diese für die Marktteilnehmer unübersichtlicher und unsicherer. In dieselbe Richtung wirkte auch eine unübersichtliche Wertpapierabwicklung. Resultate waren eine Verkürzung der Laufzeiten,
die starke Betonung der Sicherheiten und regelmäßige Änderung der Marktsegmente.
Betrachtet man die Monatsdurchschnitte, so ist dieses Bild etwas zu modifizieren. Der
Privatdiskontsatz an der Berliner Börse lag von August 1916 bis Dezember 1918 konstant bei 4,63 Prozent. Es handelte sich also nicht um marktmäßig entstandene, sondern
um Tax- oder administrierte Sätze, auf die wenig gehandelt wurde. Diese Sätze waren
zu Beginn des Jahres 1916 wohl noch realistisch, denn sie schlossen ohne Sprung an die
vorherigen Marktsätze an. Im Gegensatz dazu kam es vom Dezember 1918 zum Januar
1919 zu einem Fall um 1,43 Prozentpunkte. Die 4,63 Prozent der Monate zuvor bildeten
damit kaum die „Liquiditätsschwemme“ der Wirtschaft ab,99 wie sie sich etwa in den
Beständen an Schatzanweisungen außerhalb der Reichsbank und den privaten Guthaben
bei der Reichsbank widerspiegelten und wie sie auch in der Literatur belegt sind.100
Während der Durchschnittssatz für Privatdiskonten von 1919 bis 1921 durchweg um
mehr als ein Prozent unter dem Reichsbankdiskont lag, schrumpfte dieser Zinsunterschied
bis zum August 1922 vollständig zusammen und wurde im Oktober sogar negativ. Anhand dieses rückläufigen Zinsunterschieds ließ sich die schrittweise Verschärfung der
Liquiditätssituation der Wirtschaft in Ansätzen bereits im Oktober, deutlich jedoch seit
Dezember 1921 ablesen. In den Monaten August und September 1922 lag der Privatdiskontsatz nur noch einen Basispunkt unter dem Reichsbankdiskont und stieg im Oktober
sogar darüber hinaus. In den letzten Monaten des Jahres lagen die vom Statistischen
Reichsamt erhobenen Privatdiskontsätze wieder unter denen des Reichsbankdiskonts.101
Die Sätze für Privatdiskonten wurden seit September 1922 immer stärker nach Bonität
differenziert. Sie sind deshalb mit Vorsicht zu interpretieren. Gegen Jahresende dünnten
auch die Umsätze stark aus. Für 1923 gibt es noch nicht einmal Taxsätze.102
99 Ähnliche Vorbehalte gibt es für die Zahlen der Zeit danach nicht.
100 Bente, Währungspolitik (wie Anm. 2), S. 124*.
101 Reichsbank, Die Reichsbank 1901–1925. Berlin 1925, S. 91; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche
Reich 43 (1923), S. 269.
102 Die Bank 15 (1922), S. 808 f.; 16 (1923), S. 33, 101 f.
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Abbildung 6: Geldmarktzinsen 1916–23 (Monatsdurchschnitte in Prozent p. a.)
30
25
20
15
10
5
Reichsbankdiskont
Reichsbanklombard
Privatdiskont
1923
1922
1921
1920
1919
1918
1917
1916
0
Tagesgeld
Quelle: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 43 (1923), S. 269; Reichsbank, Reichsbank (wie
Anm. 101), S. 91.
Abbildung 7: Geldmarktzinsen 1922/23 (Monatsdurchschnitte in Prozent p. a.)
10.000
1.000
Reichsbankdiskont
Reichsbanklombard
Privatdiskont
Tagesgeld
100
10
1923
1922
1
Quelle: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 43 (1923), S. 269; Reichsbank, Reichsbank (wie
Anm. 101), S. 91.
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Abbildung 8: Tagesgeldsätze 1921–23 (Monatsdurchschnitte in Prozent p. a.)
100
Tagesgeldsatz, Durchschnitt
gegen Schatzwechselunterlage
gegen gute Aktienunterlage
gegen sonstige Aktienunterlage
10
1923
1922
1921
1
Abbildung 9: Tagesgeldsätze 1923 (Monatsdurchschnitte in Prozent p. a.)
10.000
Tagesgeldsatz, Durchschnitt
gegen Schatzwechselunterlage
gegen gute Aktienunterlage
gegen sonstige Aktienunterlage
1.000
100
10
1
Jan
Feb
März
April
Mai
Juni
Juli
Aug
Sep
Okt
Nov
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Dez
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
Abbildung 10: Differenz der Effektivverzinsung vierprozentiger Rentenwerte 1919–23
(in Prozent p. a.)
3
2
1
Bayer. Staatsanleihe ./. Reichsanleihe
0
Bayer. Staatsanl. ./. Pfandbriefe d. HypoBank
-1
-2
1923
1922
1921
1920
1919
-3
Abbildung 11: Zinsspread bei Tagesgeld je nach Sicherheit (Differenz zum Durchschnitt
in Prozent)
1922
1923
600
500
400
Schatzwechsel
gute Aktien
sonstige Aktien
300
200
100
0
-100
-200
Jan
Feb März April Mai Juni Juli Aug Sep Okt Nov Dez Jan
Feb März April Mai Juni Juli Aug Sep Okt Nov Dez
Quelle: Die Bank 13–16 (1920–23), passim.
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Aus der Literatur ist bekannt, dass sich die Diskontsätze der Banken für das Publikum
bereits im Frühjahr 1923 erheblich über denen der Reichsbank bewegten. So verlangten
die großen Banken im Februar 1923 einen Diskont zwischen 30 und 50 Prozent,103 die
Reichsbank jedoch einen Diskont von zwölf Prozent p. a. Die Frankfurter Bankiervereinigung setzte im Dezember 1923 für nicht wertbeständige (Diskont-) Kredite an erste
Adressen täglich 1,5 bis drei Prozent an, für andere mindestens 2,5 bis 3,5 Prozent. Da
die Zinsen 1923 täglich einschließlich Zinseszins berechnet wurden,104 entsprachen diese
Sätze konformen Jahreszinssätzen zwischen 228 und 284.000 Prozent.105 Der Diskontsatz der Reichsbank für nicht wertbeständige Kredite betrug gleichzeitig 90 Prozent p. a.,
sodass die Banken mit Sicherheit in erheblichem Maße eigenes Wechselmaterial rediskontiert haben.106 In den späten und zögerlichen Zinserhöhungen kam die Überzeugung
der Reichsbank zum Ausdruck, die Einreichungsvolumina an Reichsschatzanweisungen
seien in keiner Weise zinsreagibel. Andererseits wollte die Notenbank die Zinslast des
Reiches, die dieses aus dem ordentlichen Haushalt bestreiten musste, möglichst niedrig
halten. Und schließlich befürchtete die Bank lange Zeit, dass mit einem Anstieg ihrer
Leitzinsen die Kurse der Reichs- und Kriegsanleihen unter Druck geraten könnten.107
Erst Mitte Juli 1922 entfiel dieses Motiv mit den starken Kurssteigerungen einiger häufig
gehandelter Reichsanleihen,108 die sich bis zur Stabilisierung fortsetzten.
Im Jahr 1923 trat der Geldhandel unter Banken an die Stelle des Privatdiskontmarktes. Er war im Gegensatz zu den deutschen Verhältnissen bis 1993 pfandmäßig mit verschiedenen Wertpapieren unterlegt und entsprechend im Zins differenziert. Die Banken
verwandten erstklassige Wechsel 1923 entweder als ein solches Pfand oder reichten diese
bei der Reichsbank zum Rediskont ein. Zur Unterlegung am Geldmarkt kamen grundsätzlich Dollar-109 und Reichsschatzanweisungen sowie Industriepapiere – unterschieden
in „gute“ und „schlechte“ Aktien – in Frage.110 Die üblicherweise gehandelten Fristen
waren Tages- und Monatsgeld,111 eventuell auch Ultimogeld. Die Sätze für Tagesgeld
lagen 1923 bereits im ersten Halbjahr nahezu kontinuierlich über den Diskont- und
Lombardsätzen der Reichsbank und stiegen ab Juli weit darüber hinaus. In der ersten
Jahreshälfte unternahm die Reichsbank wiederholt Versuche, ihren hohen Wechselankauf
einzuschränken. Ein erster Versuch überschnitt sich zunächst mit den Liquiditätsproblemen des beginnenden Ruhrkampfes, sodass die Geldmarktsätze im Februar 1923 sofort
stark anstiegen. Zwei Monate relativer Entspannung am Geldmarkt folgten, bevor die
103 Gerald D. Feldman, The Great Disorder. Politics, Economics and Society in the German Inflation,
1914–1924. New York/Oxford 1993, S. 218.
104 Bernhard Mahrholz, Der deutsche Geldmarkt während der Stabilisierungsperiode, in: Die Bank 17
(1924), S. 710 f.
105 Lutz Kruschwitz, Finanzmathematik. München 42006, S. 33.
106 Diese Entwicklung bahnte sich bereits im zweiten Halbjahr 1922 an. Vgl. Franz Steffan, Bayerische
Vereinsbank 1869–1969. Würzburg 1969, S. 209.
107 Otto Pfleiderer, Die Reichsbank in der Zeit der großen Inflation, die Stabilisierung der Mark und die
Aufwertung von Kapitalforderungen, in: Deutsche Bundesbank, Währung (wie Anm. 3), S. 157–201,
hier S. 166 f.
108 Die Bank 15 (1922), S. 673.
109 Ab August 1923. Vgl. Die Bank 1923, S. 609.
110 In der Reihenfolge ihrer Bonitätseinschätzung.
111 In den Marktkommentaren ab September 1923 nicht mehr erwähnt. Vgl. Die Bank 16 (1923), S. 672 f.
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Reichsbank ihren Wechselankauf ab Mai real wieder zurückführte und die Geldmarktsätze
den Diskont erneut überschritten.112
Im Gegensatz zur Realverzinsung sprach ein Renditevergleich mit alternativen Anlagen
auf den ersten Blick für das Kontensparen. Die laufende Verzinsung sowohl der Giro- als
auch der Sparkonten bei Banken und Sparkassen konnte sich während der Kriegs- und
Inflationszeit durchaus mit der der wichtigsten Anlagealternativen auf dem Kapitalmarkt
messen. Dabei spielte es keine Rolle, ob die betreffenden Konten Privatleuten oder
Unternehmen zustanden.113 Im Vergleich mit der Entwicklung der Dividendenrendite
bestätigt sich die Gültigkeit dieser Aussage zumindest für den größten Teil der Kriegsund Nachkriegszeit. Lediglich 1918/19 führte ein Kurssturz am deutschen Aktienmarkt
dazu, dass die laufende effektive Verzinsung von Dividendenwerten wesentlich über die
der Bankkonten hinausging. Danach sank die Dividendenrendite deutlich ab und lag seit
1921 sogar unter dem Sparzins. Eine ähnliche, wenn auch etwas stetigere Entwicklung
nahm der Effektivzins am Rentenmarkt. Nachdem dieser 1918, vor allem aber 1919/20
die Debetzinsen der Banken deutlich übertroffen hatte, verkehrte sich diese Situation in
der Hyperinflation in ihr Gegenteil.114
Abbildung 12: Einlagen- und Rentenzins 1918–23 (in Prozent p. a.)
14
12
10
8
6
4
2
Girozins Städt. Spk. München, nominal
Sparzins Spk. Berlin, effektiv
1923
1922
1921
1920
1919
1918
0
Zins 4%ige Reichsanleihe, effektiv
Quelle: Städtische Spar- und Girokasse München, Geschäftsbericht 1921–28, S. 15, 19; Sparkasse der
Stadt Berlin, Jahresberichte 1918–23, passim; Die Bank 13–16 (1920–23), passim.
112 Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 70.
113 Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 15), S. 545; Die Bank 15 (1922), S. 684.
114 Wirtschaft und Statistik 1 (1921), S. 596; Fritz Kronenberger, Die Preisbewegung der Effekten in
Deutschland während des Krieges (Betriebs- und Finanzwirtschaftliche Forschungen 2). Berlin 1920;
Willi Heizmann, Geldentwertung und Aktienkurse, in: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung 18 (1924), S. 360 f.
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Allerdings machte die laufende Nominalverzinsung auf den Kapitalmärkten der Inflationszeit über weite Perioden hinweg nur einen geringen Teil der Ertragsmöglichkeiten
aus. Der Aktienmarkt ließ sich im Laufe der Inflationszeit immer weniger von dem
traditionellen Bewertungskriterium der Dividendenrendite beeinflussen. Es waren vor
allem Substanzüberlegungen, die die Kurse während des größten Teils des Krieges sowie
während der Stabilisierungsphase 1920/21 und der Hyperinflation in Anlehnung an die
Inflationsraten steigen ließen.115 Eine vergleichbare Entwicklung nahmen die Renten ab
Mitte 1922, sodass die Gesamtperformance vor allem der Aktien per saldo deutlich über
die des Kontensparens hinausging. Dies galt insbesondere für die Jahre 1915 bis 1917
sowie seit 1919. Im Vergleich mit der vierprozentigen Reichsanleihe schnitt ein Sparkonto
etwas besser ab. Seine Performance lag in den Jahren 1915, 1918 und 1919 über der der
Anleihe, fiel aber seit 1920 weit hinter diese zurück.
Ein Performancevergleich kann im Beobachtungszeitraum die Nettobewegung der Einlagen nur für das Jahr 1918 erklären. Danach hätten die Einlagen den Renten 1914, 1918
und 1919 Marktanteile abnehmen müssen, tatsächlich legten die Einlagen gegenüber den
Rentenwerten auch 1916, 1917, 1920 und 1921 zu. Nach einem Performancevergleich hätten
die Einlagen 1917 und ab 1921 gegenüber Festverzinslichen sogar verlieren müssen. Dies
war jedoch nur 1915 der Fall, obwohl Kursverluste am Rentenmarkt auch nicht durch die
bessere Effektivverzinsung der Kriegsanleihen116 ausgeglichen werden konnten. Gegenüber
dem Nettoabsatz der Aktien hätten die Einlagevolumina 1918 zulegen müssen. Tatsächlich
kam es dazu jedoch 1914 und 1919, relativ auch in den Jahren 1916 bis 1918 und 1922.
Nach dem Performancevergleich hätten die Einlagen von 1915 bis 1917 und ab 1919 sogar
verlieren müssen, sie verzeichneten jedoch nur 1921 relative Marktanteilsverluste. 1923 sind
die verwendeten Zahlen der Börseneinführungen von Rentenwerten nicht mehr repräsentativ. Bei den fast ausschließlich emittierten Festwertanleihen wurden zwar 2,15 Mrd. GM
abgesetzt, jedoch nur 442,9 Mio. GM an einer deutschen Börse in den Handel eingeführt.
Berücksichtigt man dies, so kam es 1920 und 1923 jeweils zu dramatischen Umschwüngen
an den Anlagemärkten. Die wesentlichen Volumina an Neuanlagen, die von 1914 bis 1919
in öffentliche (Papiermark-) Anleihen und von 1920 bis 1922 in Bankeinlagen flossen,
konzentrierten sich 1923 auf (wiederum öffentliche) Festwertanleihen.
Mit der Inflationswelle im Spätsommer und Herbst 1921 begann der Kampf der Banken
gegen die erzwungene Kreditgewährung durch unautorisierte Kontoüberziehungen: „Die
Banken haben die Zusammenhänge […] zu spät erkannt und damit auf ihre und ihrer Aktionäre Kosten skrupellosen Elementen zur Bildung von Sachvermögen verholfen.“117 In
der akuten Liquiditätskrise im Sommer 1922 wies die Zentrale der Deutschen Bank ihre
Filialleiter mit Rundschreiben vom 23. August an, „in der Regel keine Kontokorrentkredite
115 Mattersdorf, Preisbildung (wie Anm. 28), S. 79 ff. Grundsätzlich wäre bei dieser Rechnung auch der
Wert der Dividenden sowie der Bezugsrechte zu berücksichtigen. Letztere waren in der Zeit nach dem
Ersten Weltkrieg oft erheblich. Performanceindices stehen jedoch für den Untersuchungszeitraum
nicht zur Verfügung. Das Statistische Reichsamt hat erst ab Oktober 1921 Kursindices veröffentlicht,
die wenigstens um Bezugsrechte bereinigt waren.
116 Bei der ersten Kriegsanleihe, die vom 9. September 1914 an gezeichnet werden konnte, belief sich
diese unter Berücksichtigung des Ausgabedisagios auf 5,38 Prozent, bei den gleichzeitig emittierten
Schatzanweisungen sogar auf 5,63 Prozent. Vgl. Elster, Mark (wie Anm. 7), S. 87 f.
117 Steffan, Vereinsbank (wie Anm. 106), S. 209.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
131
über den 30. November hinaus zu gewähren.“118 In der Hyperinflation verhielten sich die
deutschen Banken schon allein aus Liquiditätsgründen bei der Vergabe von Krediten und
dem Eingehen neuer Beteiligungen äußerst restriktiv. Ein extremes Beispiel lieferte die
Deutsche Bank, als sie im August 1922 sogar die Beteiligung mit 50 Mio. M an einem
Konsortium ablehnte, das zusammen mit den Kölner Bankhäusern A. Levy und Sal. Oppenheim sowie den Konzernen Aciéries Réunies de Burbach-Eich-Dudelange (ARBED) aus
Luxemburg und de Wendel aus Frankreich das traditionsreiche Kölner Bankhaus Leopold
Seligmann übernehmen sollte.119 Während des Frühjahrs 1922 gab die Deutsche Bank
ihren Filialen immer wieder Anweisung, regelmäßig zu überprüfen, „dass Kredite nur für
notwendige Vorhaben verwendet würden, kurze Laufzeit aufwiesen und genügend Gewinn
brächten, um weiterhin gewährt zu werden.“120 Die Banken konnten sich den Wünschen
ihrer Kunden jedoch nicht vollständig entziehen. Das galt auch für die Angestelltenkredite,
die seit Anfang 1923 zunehmend zur Aktienspekulation missbraucht wurden:121 „90 von
100 aller Bankforderungen waren Überziehungen und Vorschüsse ohne Deckung.“122
Die Kreditzinsen blieben deutlich hinter den steigenden Inflationsraten zurück. So
verlangten die Hausbanken der Daimler-Motoren-Gesellschaft zu Beginn der Kreditkrise
Anfang Juli 1922 für ungedeckte Kredite zehn Prozent p. a.123 Sie waren somit einerseits
kaum geeignet, die starke Nachfrage nach Papiermarkkrediten zu steuern. Andererseits
konnten sie auch nicht annähernd die emporschnellenden Personalkosten decken. Erst im
Herbst 1923 holten die Kreditzinsen auf. Für rückwirkende Tilgungen berechneten die
Berliner Großbanken Anfang September 1923 zwei Prozent pro Tag plus Provisionen.
Dieselben Institute erhöhten am 27. November 1923 mit Wirkung zum 21. ihre Zinsen
für Papiermarkkredite von sechs auf zehn Prozent pro Tag. Im Herbst 1923 verlangten die
Banken für Papiermarkkredite bis zu 35 Prozent täglich.124 Auch diese starken Zinssteigerungen hatten in dieser letzten Phase vor der Stabilisierung nur einen geringen Effekt:
„Allmählich hatte jedermann herausgefunden, dass Papiergeld Ausleihen das Schlechteste, Vorschüsse Nehmen und damit Gold oder Sachwerte Erwerben auch bei höchsten
Zinssätzen das beste Geschäft war; deshalb blieben alle Zinserhöhungen wirkungslos.“125
Auch nach der Währungsstabilisierung verharrten die Zinssätze zunächst bei sechs bis
zehn, für Wertpapierkredite sogar bei 25 bis 30 Prozent pro Tag. Sie näherten sich erst
ein Jahr später einem normalen Niveau.126
Das Hypothekarkreditgeschäft hatte in der Inflationszeit unter besonderen Problemen
zu leiden. Zum einen ging die Nachfrage zweier traditioneller Hauptkundengruppen
nach langfristigem Kredit von Anfang an zurück: Die Landwirtschaft nahm im Zuge der
118
119
120
121
122
123
124
125
Feldman, Disorder (wie Anm. 103), S. 216.
Ebd., S. 215.
Ebd., S. 215 f.
Steffan, Vereinsbank (wie Anm. 106), S. 212 f.
Ebd., S. 200.
Max Kruk/Gerold Lingnau, 100 Jahre Daimler-Benz. Das Unternehmen. Mainz 1986, S. 103.
Steffan, Vereinsbank (wie Anm. 106), S. 190.
Franz Steffan, Die Bayerische Staatsbank 1780–1955. Geschichte und Geschäfte einer öffentlichen
Bank. Zur 175. Wiederkehr des Gründungsjahres. Augsburg 1955, S. 200.
126 Wilhelm Schmidt, 100 Jahre Carl Schmidt Bankgeschäft 1828–1928. Hof 1928, S. 59; Feldman,
Disorder (wie Anm. 103), S. 220.
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132
Hartmut Kiehling
allgemeinen Versorgungsprobleme mehr Mittel ein als sie benötigte und der Wohnungsbau litt unter den immer mehr zurückbleibenden Mieten. Zudem kam es in der zweiten
Hälfte des Jahres 1919 und während der Hyperinflation zu mehreren Wellen vorzeitiger
Kündigungen von Hypothekendarlehen mit entwertetem Geld. Die etwas bessere Entwicklung der Abschlüsse im Kommunalkreditgeschäft kompensierte diese Verluste keinesfalls. Das Volumen der Ausleihungen der Hypothekenbanken stieg daher nominal von
1919 bis 1923 nur wenig.127 Die seit dem Spätsommer 1923 und nach der Stabilisierung
ausgereichten wertbeständigen Kredite – etwa gegen Hinterlegung von Devisen, DollarSchatzanweisungen oder Waren – hatten einen relativ geringen Umfang. So beliefen sich
die langfristigen Ausleihungen der Hypothekenbanken und gemischten Hypothekenbanken nach ihren Goldmark-Eröffnungsbilanzen auf lediglich 138 Mio. GM.128 Umgekehrt
war auch der Absatz von Pfandbriefen und Kommunalobligationen während nahezu der
gesamten Inflationszeit schwierig, da die Emissionsrenditen bis zur Hyperinflation bei
vier Prozent verharrten. Der Absatz von Hypothekendarlehen und Schuldverschreibungen
sank daher immer mehr und stockte Mitte 1922 vollständig.
Tabelle 1: Umlauf an Schuldverschreibungen der privaten Hypothekenbanken zum Jahresultimo 1913–24 (in Mio. GM/RM)
1913
1914
1915
1916
1917
1918
1919
1920
1921
1922
1923
1924
Pfandbriefe
2.369,7
2.397,7
2.390,4
2.384,5
2.332,2
2.340,3
2.324,2
729,6
473,4
29,8
73,2 *
291,1
Kommunalobligationen
87,8
93,9
95,1
98,2
92,9
101,1
119,1
44,5
32,0
9,4
k. A.
67 **
Insgesamt
2.457,5
2.491,6
2.485,5
2.482,8
2.425,1
2.441,4
2.443,3
774,1
505,4
39,2
k. A.
k. A.
* Werte der GM-Eröffnungsbilanz; ** Kommunalobligationen aller Banken.
Quelle: Achterberg, Hypothekenbank (wie Anm. 127), S. 235; Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie
Anm. 42), S. 291.
127 Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9), S. 60 f.; Erich Achterberg, Hundert Jahre
Deutsche Hypothekenbank. Von Wesen und Werden privater Hypothekenbanken in Deutschland.
Bremen 1962, S. 235.
128 Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen, S. 86 f. Diese gesamte Summe war mit einiger Sicherheit
in Form wertbeständiger Darlehen gegeben worden. Der Umlauf an Pfandbriefen und Kommunalobligationen hatte Ende 1922 15,5 Mrd. M betragen, die ein Jahr später noch gut 15 GM wert waren.
Vgl. Achterberg, Hypothekenbank (wie Anm. 127), S. 235. Mittel- und langfristige Papiermarkkredite
wurden 1923 praktisch nicht mehr abgeschlossen. Vgl. Steffan, Vereinsbank (wie Anm. 106), S. 216.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
133
Der Übergang zu einer Denominierung in Goldmark oder Devisen widersprach dem
Hypothekenbankgesetz. Einzelne Institute gingen aus diesem Grunde seit Dezember
1922 zu einer Basierung in einer bestimmten Menge Roggen über, die als Reallast auf
dem betreffenden Grundstück eingetragen wurde. Das Gesetz über wertbeständige Hypotheken vom 23. Juni 1923 schuf zwar eine allgemeine Regelung zur Denominierung
in Feingold, Roggen oder Weizen. Ende 1923 waren jedoch lediglich wertbeständige
Pfandbriefe der privaten Hypothekenbanken für 73,2 Mio. GM in Umlauf.129 Besondere Probleme machten die Verwaltungskosten. Bereits 1919 reichten die Zinserträge
und die Provisionen nicht mehr aus, die ständig steigenden Personalkosten zu decken.
Rationalisierungsbemühungen wie die Reduzierung des Personals oder die Kündigung
kleinerer Anleihestücke führten nicht zum beabsichtigten Erfolg. Andererseits war den
Hypothekenbanken eine Zinsspanne vorgeschrieben, die von Aufsichtsbehörden bis zum
Ende der Inflation lediglich auf 4,5 Prozentpunkte erhöht wurde. Es wäre deshalb seit
1922 wirtschaftlich am sinnvollsten gewesen, das Hypothekenbankgeschäft vollständig
einzustellen. Stattdessen wurden die Nebengeschäfte ausgeweitet und (legal oder illegal)
Wertpapiergeschäfte getätigt.130
V. Die Einlagen der Nichtbanken
Für den weiteren Argumentationsgang bedarf die Entwicklung der Einlagen bei den Banken einer genaueren Untersuchung. Dabei soll die Veränderung der Einlagenvolumina zum
einen zeitlich möglichst genau dargestellt werden. Neben diesen quantitativen sind auch die
qualitativen Aspekte der Geldnachfrage wichtig für die Kreditschöpfungsmöglichkeiten
der Banken und damit für deren Geldangebot. Dies gilt insbesondere für die Fristigkeit
der Einlagen, die Volatilität des Ein- und Auszahlungsverhaltens und die Bedeutung von
Valutaeinlagen sowie einzelner Einlegergruppen.
Zwischen 1913 und 1915 gingen die Einlagen von 32,6 Mrd. GM auf gut 28 Mrd.
GM zurück. 1917 erreichten sie mit etwas mehr als 37 Mrd. GM ihren höchsten Stand,
bevor sie bis 1923 auf knapp 400 Mio. GM sanken. Die stärksten Einbrüche waren dabei
in den Jahren 1919 und 1922 zu verzeichnen (um minus 77 bzw. minus 83 Prozent). Am
Jahresultimo 1923 lagen die Einlagen real nur noch bei einem Prozent des zehn Jahre
zuvor erreichten Standes.
Zeitlich genauer, nämlich im zwei- bzw. dreimonatigen Turnus, lässt sich die Entwicklung bestimmter Einlagen bei Aktienkreditbanken und Sparkassen nachvollziehen.131 Darüber hinaus stehen bis Ende 1922 die Monatswerte der Postscheckguthaben
zur Verfügung.132 Danach begann die extreme (nominale) Steigerung von Einlagen der
Nichtbanken in Goldmark erst ab September (Postscheckguthaben) bzw. Dezember 1917
(Einlagen bei Sparkassen und Aktienkreditbanken). Sie fiel zusammen mit einer Phase
129
130
131
132
Achterberg, Hypothekenbank (wie Anm. 127), S. 235.
Steffan, Vereinsbank (wie Anm. 106), S. 218.
Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 50 ff.
Postscheckguthaben werden zwar nicht bei Kreditinstituten im engeren Sinne gehalten, es ist jedoch
davon auszugehen, dass sie die Entwicklung von Kontokorrentguthaben des breiten Publikums recht
zuverlässig abbilden.
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134
Hartmut Kiehling
Gewerbliche
Kreditgenossenschaften
Preußische Zentralgenossenschaftskasse
Summe der
erfassten Banken
Anteil der erfassten
Banken (in Prozent)
Alle Banken
282
369
368
345
366
517
511
115
115
93
22
52
147
250
DGZ – Deutsche
Kommunalbank –
2.293
2.138
2.026
1.835
2.074
2.907
2.632
631
529
353
72
30
595
823
Sparkassen
2.156
2.254
2.241
2.485
3.117
5.607
4.383
1.476
1.566
1.165
269
147
2.974
4.196
Hypothekenbanken
Provinzbanken
1912
1913
1914
1915
1916
1917
1918
1919
1920
1921
1922
1923
1924
1925
Berliner Großbanken
Tabelle 2: Einlagen bei deutschen Kreditinstituten 1912–25 (in Mio. GM/RM)
–
–
–
–
–
–
164
69
57
40
8
9
144
219
1.198
1.224
1.142
1.072
1.149
1.522
1.392
289
274
123
10
1
266
479
90
93
104
56
69
71
68
20
24
11
1
2
110
110
24.699
25.767
25.048
22.363
22.534
29.441
25.310
5.919
5.112
2.924
475
251
5.475
8.581
79
79,13
79
79
79
79
79
79
76,2
73,4
70,6
67,8
65,23
61,96
31.265
32.564
31.700
28.300
28.500
37.300
32.000
7.500
6.700
4.000
670
370
8.393
13.850
18.680
19.689
19.167
16.570
15.760
18.817
16.159
3.320
2.546
1.139
93
10
1.239
2.504
Geschätzte Werte sind kursiv gesetzt.
Quelle: Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9), S. 56–61, 65, 74 f., 78–81, 84–87,
94 f., 106 f.; Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 15, 138, 192, 199, 211), passim; eigene Berechnungen.
stagnierender oder gar sinkender Dollarkurse. Die absolute Spitze wurde bereits im April/
Mai 1918 erreicht. Diese Spitze markierte im Einklang mit steigenden Dollarkursen bereits
wieder einen steilen Abstieg, dessen Tiefpunkt im Februar 1920 erreicht wurde. Dies ist
insbesondere vor dem Hintergrund bemerkenswert, dass die Reichsregierung in derselben
Zeit umfangreiche Entschädigungssummen für die Enteignung deutscher Unternehmen
in den abgetretenen Gebieten zahlte und aus dem Verkauf ausländischer Wertpapiere
ebenfalls erhebliche Beträge zuflossen. Die Eigentümer haben diese Gelder jedoch auf
dem Aktienmarkt investiert.133 Die Enttäuschung der in- und ausländischen Anleger über
die wirtschaftliche und politische Entwicklung Deutschlands kurz nach Ende des Krieges, wie sie sich in der Dollarkursentwicklung sowie der Liquiditätssituation der Banken
133 Prion, Kreditpolitik (wie Anm. 40), S. 175 f.
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135
Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
niederschlug, hatte Anfang 1920 ein vorläufiges Ende. Nach den Streiks und Unruhen
des Januar markierte spätestens das Scheitern des Kapp-Putsches am 17. März 1920 die
Wende. Der Devisenkurs der Mark gegenüber dem Dollar verbesserte sich von über 100
auf 37 Mitte Juni. Für den weiteren Verlauf der Entwicklung sind gerade die Angaben
für Sparkassen und Aktienkreditbanken zu lückenhaft, als dass aus dem Datenmaterial
noch kürzerfristige Bewegungen ersichtlich wären.
Die Einlagen der Sparkassen, der Aktienkreditbanken und auf Postscheckkonten
wiesen insgesamt – auf unterschiedlichen Niveaus – auffallende Übereinstimmungen
auf. Das galt bis Anfang 1920 insbesondere für die Einlagen der Aktienkreditbanken
und für Postscheckguthaben. Danach stiegen die Postscheckguthaben im Gegensatz zu
den Einlagen bei Aktienkreditbanken und Sparkassen zunächst wieder deutlich an. Dies
erklärt sich jedoch zum Teil aus der gleichzeitigen Zunahme der Postscheckumsätze,
entwickelten sich beide Zeitreihen doch bis Mitte 1921 weitgehend synchron.134 Ab diesem Zeitpunkt folgte aber auch hier ein starker, bis November 1921 ununterbrochener
Rückgang. Gleichzeitig trat die deutsche Inflation in eine neue Phase ein. Dabei gab die
Ermordung Rathenaus am 24. Juni 1922 ein weiteres Signal zur Flucht aus der Mark.135
Bereits innerhalb der nächsten drei Wochen verlor diese gegenüber dem Dollar die Hälfte
ihres Wertes. Die Postscheckguthaben gingen real bis zum Jahresende, nach einer kurzen
Zwischenerholung bis Mai 1922 weiter zurück.
Abbildung 13: Einlagen 1913–22 (Monatsendstände in Mio. GM)
800
25.000
Einlagen bei Sparkassen
(linke Skala)
700
Postscheckguthaben
(rechte Skala)
20.000
600
500
15.000
Einlagen bei Aktien-Kreditbanken
(linke Skala)
400
10.000
300
200
5.000
100
0
1922
1921
1920
1919
1918
1917
1916
1915
1914
1913
0
Quelle: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 44 (1924/25), S. 314; Holtfrerich, Inflation (wie
Anm. 51), S. 50 ff.
134 Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 44 (1924/25), S. 314.
135 Prion, Kreditpolitik (wie Anm. 40), S. 187.
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136
Hartmut Kiehling
Setzt man Postscheckguthaben und -umsätze zueinander ins Verhältnis, so erhält man von
1913 bis 1922 Monat für Monat einen plausiblen und von Dollarkursschwankungen unabhängigen Indikator für die Liquiditätshaltung des Publikums.136 Danach war das Publikum
während des Ersten Weltkrieges etwas liquider als zuvor (Postscheckguthaben 6,9 nach
6,0 Prozent der Postscheckumsätze). Zwischen Dezember 1918 und Juni 1919 erreichte
der Indikator jedoch Werte von durchschnittlich 10,2 Prozent. Danach begann der Liquiditätshochstand der Postscheckkunden also deutlich später als dies die realen Volumina
der Einlagen angedeutet haben. Der Tiefpunkt Anfang 1920 wurde jedoch fast gleichzeitig
erreicht.137 Bis zum März dieses Jahres sank der Indikator wieder auf das vorherige Niveau
(7,2 Prozent), stabilisierte sich in den darauf folgenden zwölf Monaten bei 8,3 Prozent und
sank danach stetig ab, unterbrochen nur durch kurze Gegenbewegungen in den Monaten
Januar, Februar und April 1922. Im zweiten Halbjahr 1922 wurde mit durchschnittlich
5,7 Prozent ein Tiefpunkt erreicht, wobei der absolut niedrigste Stand im September lag.
Abbildung 14: Verhältnis zwischen Postscheckguthaben und -umsätzen 1913–1922
12
Guthaben in % der Umsätze
10
8
6
4
2
1922
1921
1920
1919
1918
1917
1916
1915
1914
1913
0
Quelle: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 44 (1924/25), S. 314.
Die Zusammensetzung der Einlagen änderte sich im Laufe der Inflationsjahre deutlich.
Das galt zum einen nach Ende des Ersten Weltkrieges hinsichtlich der Zusammensetzung
136 In der fraglichen Zeit gab es im Postscheckverkehr nur wenige, nicht allzu gravierende Konditionsänderungen. So wurden mit dem Postscheckgesetz vom 26. März 1914 Gebühren für Auszahlungen,
Zahlungsanweisungen und im Verkehr mit der Reichsbank-Abrechnung in Höhe von 0,1 Promille
des Umsatzes eingeführt. Ab dem 1. April 1918 schaffte man jegliche Gebühren im Überweisungsverkehr ab. Vgl. Hermann Großmann, Kritisches zum Postscheckbetrieb und -verkehr, in: Zeitschrift
für handelswissenschaftliche Forschung 15 (1921), S. 12 f.
137 S. zur abweichenden Liquiditätsentwicklung der Kontoinhaber bei der Reichsbank Kapitel VI.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
137
nach Währungen. Bei den Großbanken lauteten die Einlagen in besonders starkem Maße
auf Devisen. So waren die ausgewiesenen Valuta-Kreditoren bei der Commerzbank Ende
1922 fast so groß wie die Mark-Kreditoren, bei der Berliner Handels-Gesellschaft überstiegen sie diese sogar.138 Diese Guthaben in fremder Währung waren allerdings in der
Regel als transitorische Posten im Ausland angelegt. Sie betrugen Ende 1923 nach Schätzungen Lansburghs bei einzelnen Großbanken bis zu drei Fünftel der Gesamteinlagen.139
Zu den transitorischen Posten, die von der üblichen Kreditschöpfung im Eigengeschäft
der Banken ausgenommen waren, zählten auch die so genannten „Durchgangs-Gelder“,
die die Banken zweckgebunden am Geldmarkt anzulegen hatten.140
Weder diese Posten noch die Valutaeinlagen überhaupt lassen sich ausreichend quantifizieren. Eine entsprechende Korrektur wäre jedoch für die weitere Analyse notwendig. Wenn die Höhe der Einlagen auch nicht direkt in die verschiedenen Ansätze zur
Bestimmung der Kreditschöpfungsmöglichkeiten der Banken eingeht, beeinflusst sie
jedoch die in diesem Zusammenhang wichtigen Kennzahlen des Bargeldabfluss- und
des Bargeldhaltungskoeffizienten, der Liquiditätsquote und des Zeitdepositenquotienten.
Sind die Einlagen zu hoch angesetzt, so gilt dies auch für den Bargeldabfluss- und den
Bargeldhaltungskoeffizienten. Daher muss an entsprechender Stelle berücksichtigt werden, dass diese Kennzahlen in der Zeit der offenen Inflation geringer ausfielen, als dies
die Werte nahelegen, die aus dem vorhandenen statistischen Material errechnet wurden.
Dabei ist nach den zeitgenössischen Marktkommentaren davon auszugehen, dass sich
der Abstand zwischen den ermittelten und den tatsächlichen Werten im Laufe dieser Zeit
schrittweise vergrößerte. Die Auswirkungen der erwähnten Überschätzung der Einlagen
auf Liquiditätsquote und Zeitdeposititenquotienten sind dagegen nicht eindeutig.141
Etwas besser sind wir über das Ausmaß ausländischer Bankeneinlagen informiert.
Nach einer Erhebung des McKenna-Ausschusses standen Ende 1919 bis 1921 jeweils
35 bis 36 Prozent der Einlagen der acht bedeutendsten Berliner Banken Ausländern zu
(1918 20, 1922 elf und 1923 zwei Prozent), die nach Schätzungen des Ausschusses rund
72 Prozent des Devisengeschäfts aller deutschen Banken auf sich vereinigten. Die von
Holtfrerich auf das gesamte Bankensystem hochgerechneten Zahlen würden bedeuten,
dass ausländische Kunden Ende 1918 und 1923 jeweils gut acht Prozent der Gesamteinlagen hielten und Ende 1919 bis 1922 Anteile zwischen einem Fünftel (1919 und 1922)
und einem Drittel (1921) erreichten. Da die Spekulation um eine mögliche Aufwertung
der Mark eines der wesentlichen Motive für die Einzahlung dieser Gelder war, handelte
es sich bei diesen wohl fast ausschließlich um Mark-Guthaben.142 Diese Kopplung mit
den Geschehnissen auf dem Devisenmarkt führte zu einer hohen Volatilität dieser Gelder,
die wiederum gravierenden Einfluss auf die Kreditschöpfungsmöglichkeiten der Banken
hatten. Der Wirtschaftswissenschaftler Willi Prion war daher 1924 der Meinung, diese
Gelder kämen nicht oder nur in beschränktem Umfang für die eigentliche Kreditgewäh-
138
139
140
141
Alfred Lansburgh, Die Berliner Großbanken im Jahre 1922, in: Die Bank 16 (1923), S. 473.
Lansburgh, Bankenwende (wie Anm. 15), S. 366.
Ebd.
S. allgemein zur Errechnung der genannten Kennzahlen und der Kreditschöpfungsmultiplikatoren
Kapitel XII.
142 Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 286.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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138
Hartmut Kiehling
rung in Frage. Vielmehr seien sie „für die Stellung der Banken am Geldmarkt der Börse
von ausschlaggebender Bedeutung.“143
Die Banken können auf der Basis ihrer Einlagen umso mehr Kredit gewähren, je langfristiger und sicherer ihnen diese zur Verfügung stehen. Dies spiegelt sich unter anderem
in der Liquiditätspräferenz wider, also der Neigung des Publikums, Sichteinlagen (und
Bargeld)144 zu halten. Sie unterlag im Beobachtungszeitraum gravierenden Veränderungen. Während der Anteil der Kontokorrent- an den Gesamteinlagen bei den preußischen
Sparkassen Ende 1913 noch 0,49 und sechs Jahre später 5,75 Prozent betrug, erhöhte
er sich während der Inflationszeit in zwei großen Sätzen 1920 auf 10,08 Prozent (1921:
14,94 Prozent) und 1922 auf 82,95 (1923: 83,69 Prozent). Weit weniger dramatisch, aber
mit dem gleichen Verlaufsschema, war die Entwicklung bei den Berliner Großbanken.
Ihre Einlagen waren bereits Ende 1913 zu 56,8 und Ende 1918 zu 60,6 Prozent Guthaben
auf Kontokorrentkonten. Nach einem ersten Sprung im Jahr darauf (78,1 Prozent, 1920:
76,7 Prozent, 1921: 77,1 Prozent) erreichten diese Depositen bereits 1922 ihren höchsten
Anteil (93 Prozent, 1923: 92,6 Prozent).145 Aus diesen Daten und dem relativen Gewicht
der Einlagen bei beiden Bankengruppen lässt sich ein Zeitdepositenquotient für die
Kriegs- und Inflationszeit berechnen, wie er für die Kreditschöpfung nach der Liquiditätstheorie eine wichtige Rolle spielt.146 Er bildet den Anteil der Termin- und Spargelder
an den Gesamteinlagen ab, gewichtet nach den Gesamteinlagen beider Bankengruppen,
die sich im Laufe der betreffenden Jahre sehr verschieden entwickelten. Danach hatte
dieser Quotient insbesondere in den Jahren 1919 und 1921, vor allem aber 1922 einen
deutlich dämpfenden Einfluss auf die Kreditschöpfung der Banken.
Tabelle 3: Zeitdepositenquotient der deutschen Banken 1913–25
1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925
0,89 0,88 0,86 0,83 0,79 0,78 0,66 0,60 0,50 0,09 0,08 0,44 0,57
Quelle: Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9); Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51),
S. 56; eigene Berechnungen.
Die Eignung der einzelnen Einlagearten für die Kreditschöpfung richtet sich im Zeitablauf
nach deren Bodensatz und Verweildauer, die wiederum vom aktuellen Ein- und Auszahlungsverhalten des Publikums abhängen. Auch dieses kann man zum Teil nachvollziehen, zum Beispiel bei den Spareinlagen. Mit Ausnahme des Jahres 1915 registrierten die
Sparkassen Preußens wie die des gesamten Deutschen Reiches bis 1920 in jedem Jahr
Einzahlungsüberschüsse.147 Während des Ersten Weltkrieges kam es mit Ausnahme des
143 Prion, Kreditpolitik (wie Anm. 40), S. 181. Der Geldmarkt der Börse war ein gesondertes Marktsegment, auf dem Lombardkredit gegen erstklassige Wertpapierunterlage für Spekulationszwecke
gehandelt wurde. Vgl. ebd. S. 181–187.
144 Das Verhältnis zwischen Bargeld und Sichteinlagen hat sich ausweislich der relativen Entwicklung
von Bargeld und Postscheckguthaben erst ab 1919 (moderat) verändert.
145 Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 56.
146 S. Kapitel XII.
147 Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9), S. 63 f.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
139
Runs vom 25. Juli bis zum 7. August 1914148 und von den Zeichnungsmonaten für Kriegsanleihen offenbar auch in einzelnen Monaten zu Einzahlungsüberschüssen.149 Ausweislich der Zahlen der Sparkasse der Stadt Berlin änderte sich dies in der Zeit der offenen
Inflation. Nach dem Verlust der vorherigen Geländegewinne in der „Großen Schlacht
in Frankreich“ und während der Revolution in den Monaten von August bis November
1918 kam es zu Auszahlungsüberschüssen. Das Gleiche galt von November 1919 bis
Februar/März 1920, im Herbst 1920 sowie ab April 1921. Dabei dürften jeweils plötzlich
erhöhte Inflationsraten eine Rolle gespielt haben. Während des gesamten Zeitraums von
Anfang 1918 bis zu Beginn des Jahres 1921, für den die Sparkasse Monatsdaten veröffentlicht hat, wurden die Monate mit Netto-Auszahlungen immer häufiger und die Höhe
der Auszahlungsüberschüsse nahm zu. So verlor die (Alt-) Berliner Sparkasse150 um die
Jahreswende 1919/20 3,9 Prozent ihrer Spargelder. Auffällig war ferner, dass die Zahlen
der Sparkasse der Stadt Berlin im Oktober und im November 1921 über zwei Monate
in Folge besonders hohe Auszahlungsüberschüsse aufwiesen (-4,6 bzw. -5,3 Prozent),
die durch die darauf folgenden Einzahlungsüberschüsse nicht vollständig kompensiert
werden konnten (Dezember 1921: plus 7,9 Prozent, Januar 1922: plus 2,3 Prozent). Da
ausländische Einleger ihre Gelder wohl kaum in größerem Umfang auf Sparkonten deponiert hatten, ist dies ein Hinweis darauf, dass in dieser Zeit zumindest in der Hauptstadt
kleinere inländische Anleger Bankguthaben abgezogen haben.151 Die relativ bedeutende,
im Laufe der Zeit zunehmende Höhe dieser Auszahlungssalden sowie deren Häufigkeit
führte vermutlich bereits in den Jahren 1918 bis 1921 zu einer schrittweisen Entwertung
der Spareinlagen für das Kreditschöpfungspotenzial der Banken. Diese Entwicklung spiegelte sich in den durchschnittlichen Einzahlungsüberschüssen bei der Berliner Sparkasse
wider, die in den Jahren 1919 bis 1921 nahezu linear sanken: pro Monat von 2,5 über 2,0
und 1,3 auf 0,9 Prozent der Guthaben.152
Die Entwicklung setzte sich in den beiden Folgejahren verstärkt fort. Für den weiteren
Verlauf der Jahre 1922 und 1923 liegen für die Berliner Sparkasse allerdings lediglich
die Monatswerte der Ein- und Auszahlungsposten vor. Aus ihnen lässt sich nur bedingt
auf die wertmäßige Entwicklung schließen, bewegten sich Volumina und Stückzahlen
der Ein- und Auszahlungen doch auch in der Zeit zuvor nicht immer synchron. Immerhin
ist interessant, in welchen Monaten die Zahl der Auszahlungen überwog. Es waren dies
die Monate April, Juli, August und Oktober 1922 sowie April bis Juni 1923, während die
148 Bei der Sparkasse der Stadt Berlin wurden in dieser Zeit 10,5 Mio. M zurückgezahlt und nur 2,0
Mio. M vereinnahmt. Die Netto-Auszahlungen summierten sich also auf knapp 2,5 Prozent der Gesamteinlagen. Vgl. Wirtschaft und Statistik, 1 (1921), S. 288. Laut Prion wurden in dieser Zeit rund
20 Prozent der Gesamteinlagen der Aktienkreditbanken abgezogen. Vgl. Willi Prion, Die deutschen
Kreditbanken im Kriege und nachher. Stuttgart 1917, S. 21 f., 32.
149 Wirtschaft und Statistik 2 (1922), S. 289.
150 Mit Wirkung vom 1. Oktober 1920 gingen im Zuge der Bildung von Groß-Berlin 14 so genannte
„Vorortsparkassen“ auf die Sparkasse der Stadt Berlin über. Dementsprechend sprach man vor diesem
Datum von der „Alt-Berliner“, danach von der „Groß-Berliner Sparkasse“. Vgl. Sparkasse der Stadt
Berlin, Jahresbericht 1920, S. 5.
151 Die Ein- und Auszahlungsposten wiesen die gleiche Bewegung auf. Die durchschnittliche Höhe der
Auszahlungen ging sogar etwas zurück.
152 In das Jahr 1920 fiel allerdings die Ausdehnung des Geschäftsgebiets der Sparkasse auf das neu gebildete Groß-Berlin. Der Durchschnittswert der Alt-Berliner Sparkasse betrug 1921 1,1 Prozent.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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-6
Großhandelspreise, linke Skala
Barabhebungsquote Städt. Sparkasse Berlin
Ein-/ Auszahlungsüberschuß in % der Einlagen am
Monatsultimo
40
1922
8
1921
50
1920
10
1919
60
1918
% zum Vormonat
Abbildung 15: Ein- bzw. Auszahlungsüberschüsse bei Spareinlagen 1918–22
Lebenshaltungskosten, linke Skala
Barabhebungsquote Berliner Sparkassen
Quelle: Sparkasse der Stadt Berlin, Jahresberichte 1918–1923, passim.
Monate August bis Dezember 1923 steigende, im gesamten letzten Quartal sehr hohe Überschüsse der Einzahlungsposten aufwiesen.153 Über eine gleich verlaufende Entwicklung
der Spareinlagen berichtete auch die Stadtsparkasse München im November/Dezember
1923.154 Da bereits in der Zeit von 1918 bis 1920 die Sparguthaben in wesentlich geringerem Maße wuchsen als die Auszahlungsvolumina, kann man davon ausgehen, dass
dies auch ab 1922 für die Zeit einer erneut beschleunigten Inflation galt. Dadurch wurden
die Guthaben real immer geringer, was schon allein für sehr hohe Barabhebungsquoten
sorgte. Dennoch weisen die wiederkehrenden Einzahlungsüberschüsse bzw. die Bewegung der Zahlungsposten darauf hin, dass die Geldillusion der Sparer erst ab Ende 1921
schrittweise verloren ging. So stiegen die Volumina der Spargelder bei der Sparkasse der
Stadt Berlin nominal in jedem der Jahre 1918 bis 1923 per saldo an.155 Die Einzahlungen überwogen also. 1922 und 1923 wäre aufgrund der enorm hohen Inflationsraten ein
Anstieg der nominalen Sparvolumina allerdings bereits dadurch möglich gewesen, dass
gegen Jahresende eventuell nur ein einziger Monat einen Einzahlungsüberschuss aufwies.
Dennoch waren die Sparkassen in der Inflationszeit insgesamt vermutlich nicht von einem
Abzug der Einlagegelder, sondern vielmehr von einer Zurückhaltung bei den Einzahlungen
betroffen.156 Die Eignung dieser Gelder für die Kreditschöpfung nahm jedoch aus zwei
Gründen drastisch ab. Zum einen sorgte die fortschreitende Geldentwertung für eine stän153 Erfasst sind ausschließlich Papiermark-Sparkonten. Der lebhafte Gold- und Rentenmark-Sparverkehr
wurde unter andrem wegen der Kürze der Zeitreihen nicht berücksichtigt.
154 Städtische Spar- und Girokasse München, Geschäftsberichte 1921–1928, passim.
155 Sparkasse der Stadt Berlin, Jahresberichte 1918–1923, passim.
156 Das Gleiche galt sogar für Termineinlagen bei den Großbanken und wohl auch bei den übrigen Bankengruppen.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
141
dige reale Abwertung der Bestände. Zum anderen wurden die Auszahlungsüberschüsse in
einzelnen Monaten häufiger und höher, sodass der für die Kreditausreichung besonders
wichtige Bodensatz der Spareinlagen immer mehr abschmolz.
Beide Aussagen trafen im gesamten Untersuchungszeitraum in besonderem Maße auf
Girokonten zu.157 Das Ein- und Auszahlungsverhalten des breiten Publikums auf diesen
Konten kann man aus den Monatsendständen der Postscheckguthaben erschließen.158 Sie
liegen für die Jahre 1913 bis 1922 vor. Dabei waren Monate mit Auszahlungsüberschüssen
wesentlich häufiger als bei den Berliner Spareinlagen. Dennoch stiegen auch die Postscheckguthaben in (Papier-) Mark zwischen 1913 und 1922 Jahr für Jahr. Im Verlauf sind
einige Trends erkennbar. Mit Ausnahme einer Abhebungswelle zu Beginn des Krieges159
und Mitte 1915 überwogen während des Ersten Weltkrieges bei Weitem die Monate mit
Einzahlungsüberschüssen. Hohe Ein- und Auszahlungsüberschüsse wechselten sich um
die Jahreswende 1917/18, im Sommer und Herbst 1918 und im Sommer 1919 ab. Insbesondere um die Jahreswende 1919/20 signalisierten die Zahlen einen regelrechten Run
auf die Postscheckguthaben. Im ersten Quartal gingen 1920 die Guthaben von 5,9 auf 1,7
Mrd. (Papier-) Mark um über 70 Prozent zurück. Nach einer deutlichen Beruhigung der
Lage kam es in den Monaten Oktober und November 1921 zu einer neuen Abhebungswelle, die in diesem Fall 56 Prozent der (Papiermark-) Guthaben ausmachte. 1922 war von
einer nochmals vergrößerten Sprunghaftigkeit des Zahlungsverhaltens gekennzeichnet.
Nettoabhebungen fielen in die Monate Februar/März (minus 19,8 Prozent), Juli (minus
33,5 Prozent), Oktober (minus 33,4 Prozent) und Dezember (minus 12,5 Prozent). Dazwischen gab es immer wieder Monate mit hohen Zuwachsraten – in Papiermark zum
Teil dreistellig, im November solche von rund plus 300 Prozent. Auch innerhalb eines
Monats standen den Tagen mit Auszahlungsüberschüssen solche mit Einzahlungsüberschüssen gegenüber, sodass man sehr wahrscheinlich davon ausgehen kann, dass die
aggregierten Auszahlungsüberschüsse kurzzeitig noch sehr viel höher waren, als dies
die Monatswerte erkennen lassen. Von einem Bodensatz der Giroeinlagen, der auch für
die Kreditgewährung nutzbar gewesen wäre, kann daher ab Kriegsende wohl nicht mehr
ausgegangen werden. Von dieser Aussage sind allenfalls kurze Zeitspannen wie die von
Dezember 1918 bis August 1919 oder von Mai bis August 1920 auszunehmen. Da die
Banken jedoch nicht wussten, wie lange die Überschüsse anhalten würden, war es aus
ihrer Sicht sehr gewagt, im Vertrauen auf die Hoffnung auf einen namhaften Bodensatz
bei den Girokonten Kredit auszureichen. Die eingangs erwähnte Akzentverschiebung der
Depositen hin zu den Kontokorrentguthaben traf die Fähigkeit der Banken zur Kreditgewährung folglich in besonderem Maße.
157 Die Begriffe „Giro-“, „Scheck-“, „laufendes“ und „Kontokorrentkonto“ werden im Folgenden synonym verwandt, da die damals noch geläufigen Unterschiede an dieser Stelle ohne Bedeutung sind.
158 Vgl. zu den Daten Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 44 (1924/25), S. 314. Dabei ist es
im Untersuchungszeitraum angesichts der allgemein negativen Realverzinsung der Girokonten bei
Kreditinstituten ohne Bedeutung, dass Postscheckguthaben nicht verzinst wurden. Vgl. zu den Konditionen und organisatorischen Aspekten Großmann, Postscheckbetrieb (wie Anm. 136), S. 14 ff.
159 Juli 1914: -10,0 Prozent der Einlagen; August/September 1914: +45,2 Prozent; Oktober/November
1914: insgesamt -17,0 Prozent.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Hartmut Kiehling
Abbildung 16: Ein- bzw. Auszahlungsüberschüsse auf Postscheckkonten 1913–22
250
% der Guthaben am Vormonatsultimo
200
150
100
50
0
-50
1922
1921
1920
1919
1918
1917
1916
1915
1914
1913
-100
Quelle: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 44 (1924/25), S. 314.
Die für die zeitliche Feinanalyse verwandten Zeitreihen der Spargelder der Sparkasse der Stadt
Berlin sowie der Postscheckguthaben stammen von typischen Inlandsinstituten. Es ist deshalb
sinnvoll, in diesem Zusammenhang noch kurz auf einige unterjährige Bewegungen der Einlagen aus dem Ausland einzugehen. So geht aus den zeitgenössischen Geldmarktkommentaren
hervor, dass im September 1921 „die Markguthaben der ausländischen Spekulation in Milliardenbeträgen auf den Markt geworfen wurden. Im Gegensatz zu den Vormonaten ging die Panik
diesmal überwiegend vom Auslande (Amerika, England und Holland) aus.“160 Das Gleiche
wurde für den Oktober und die erste Novemberhälfte berichtet.161 Wenn im Herbst 1921 massiv
Auslandseinlagen abgezogen worden sind, so müssen Mitte 1921 bei den Berliner Banken –
nach umfangreichen Zuflüssen von Auslandsgeldern der ersten Jahreshälfte 162 – vermutlich
noch sehr viel mehr als die 178,0 Mrd. (Papier-) Mark am Jahresende vorhanden (Ende 1920:
41,6 Mrd. M) gewesen sein.163 Allerdings waren sich die Banken aller Wahrscheinlichkeit
nach der Herkunft und Nervosität dieser Gelder bewusst, sodass die scheinbare Beruhigung
der Volatilität im Zahlungsverhalten der Einleger in diesem Zeitraum wahrscheinlich nicht
in gleichem Maße zu einer Erhöhung des Kreditangebots führte. Im Jahr 1922 hielten die
Abflüsse von Auslandsgeldern an, die im Herbst 1921 eingesetzt hatten. Sie steigerten sich
ab der Jahresmitte zur panikartigen Flucht aus der Mark, die mit wenigen kurzzeitigen Unterbrechungen bis Mitte Februar 1923 anhielt.164 Angesichts der katastrophalen Verluste der
160
161
162
163
164
Die Bank 14 (1921), S. 642.
Ebd., S. 706; Die Bank 15 (1922), S. 39.
Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 15), S. 546.
Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 286.
Dabei ist wiederum auffällig, dass die Marktkommentare jeweils in den gleichen Monaten Februar,
März und Juni eine Versteifung des deutschen Geldmarktes sowie eine beschleunigte Flucht aus der
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
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143
Mark verzichteten viele ausländische Anleger nach Angaben des Statistischen Reichsamtes
auf einen Umtausch ihrer Guthaben in „Edelvaluta“ und investierten diese Gelder stattdessen
in ausländische sowie deutsche Aktien und Renten, die an deutschen Börsen notiert waren.165
In der einschlägigen Literatur findet sich immer wieder die Aussage, wonach die
Liquiditätskrise in Sommer und Herbst 1922 nicht so sehr auf einen nominalen Einlagenschwund bei den Banken zurückgegangen sei, als vielmehr auf die Steigerung der
Kreditnachfrage bei den Banken. Diese sei wiederum darauf zurückzuführen, dass „die
Beschaffung liquider Mittel über Wertpapieremissionen stockte.“166 Diese Aussage muss
relativiert werden. Bereits weiter oben wurde dargelegt, dass es im Vorfeld der „Kreditkrise“ Mitte 1922 in einzelnen Monaten zu einem nicht unerheblichen Abzug von Einlagen
gekommen war. Zudem hatte das Publikum die Substanzverluste dieser Einlagen nicht
durch Neueinlagen wettgemacht, sodass die realen Volumina der Bankeinlagen im Zuge
der Geldentwertung dramatisch zurückgegangen waren. Zwar hatten sich die Volumina
der Börseneinführungen an Aktien, sonstigen Bankschuldverschreibungen167 und Industrieobligationen bereits seit dem 4. Quartal 1921 deutlich reduziert und ab Februar 1922
wurden die Bezugsrechte junger Aktien im Allgemeinen unter pari gehandelt.168 Diese
Entwicklung ist jedoch vermutlich nicht repräsentativ. Vielmehr weicht der besonders
wichtige Aktienabsatz deutlich von den zeitgleichen Börseneinführungen ab.169 Deren
Monatswerte zeigen, dass die Aufnahmefähigkeit der Wertpapiermärkte real erst mit
Ausbruch der Liquiditätskrise ab Juli 1922 nachgelassen hatte.170 Die Entwicklung bei
den Einlagen spielte also wohl zumindest eine gleichwertige Rolle für die Entstehung
der Krise, auch wenn zeitgenössische Kommentare auf eine Aktienhausse von August bis
November 1921 hindeuten und sich dies teilweise in der Entwicklung der Papiermarkbeträge widerspiegelt.171
Als Ergebnis lassen sich hinsichtlich der Entwicklung der Gesamteinlagen der Kreditinstitute folgende Aussagen treffen: Im Laufe des Ersten Weltkrieges stiegen die Einlagen
nominal und real stetig an und erreichten während der Monate des Jahres 1918 ihren
absoluten Höhepunkt. Zwischen Dezember 1918 und Juni 1919 verzeichnete auch das
165
166
167
168
169
170
171
Mark anzeigten wie die oben genannten Zahlen zur wechselkursgesicherten Zinsarbitrage. Vgl. Die
Bank 15 (1922), S. 360, 446 f., 619 f., 677 f., 742 f., 808 f., 870; 16 (1923), S. 33 f., 101 f., 166 f., 234 f.;
ferner Holtfrerich, Erwartungen (wie Anm. 35), S. 9–13.
Wirtschaft und Statistik 2 (1922), S. 651, 815. Das Statistische Reichsamt schrieb zu dieser Entwicklung: „Einen erheblichen Anteil [an den Kurssteigerungen; Anm. d. Verf.] haben die umfangreichen
Auslandskäufe auf dem deutschen Effektenmarkt. Durch diese wurde ein beträchtlicher Teil der
ausländischen Papiermarkguthaben durch ihre Anlage in Industrieaktien davor bewahrt, durch die
Valutaentwicklung vollkommen wertlos zu werden.“ Vgl. Wirtschaft und Statistik 3 (1923), S. 122.
Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 68, 74.
Die (sonstigen) Bankschuldverschreibungen machten durchweg einen geringen Teil an den in der
Statistik des Reichsamtes aufgeführten Obligationen der gewerblichen Unternehmen aus. Vgl. Wirtschaft und Statistik 1–3 (1921–1923), passim.
Prion, Kreditpolitik (wie Anm. 40), S. 178.
Die Sacheinlagen wurden bei der Platzierung inländischer Aktien ab Januar 1922 getrennt ausgewiesen. Sie machten jedoch jeweils nur einen verschwindend geringen Anteil aus. Vgl. Wirtschaft und
Statistik 2 (1922), S. 123–125, 346, 512, 713; 3 (1923), S. 160 f.
S. Tabelle 4.
Prion, Kreditpolitik (wie Anm. 40), S. 178 f.
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Hartmut Kiehling
Tabelle 4: Platzierung und Börseneinführung von Kapitalmarktpapieren 1921/22 (in
Mio. GM)
Jahr
Quartal
I
1921
II
III
IV
Inländische Aktien
1922
II
III
I
Absatz
53,0
52,5 42,4 45,1 81,7 46,1
(zum Kurswert)
Börseneinführungen
45,6 109,7 140,6 33,9 40,3 40,6
(zum Nennwert)
Industrieanleihen und Bankschuldverschreibungen
Börseneinführungen
28,0 36,5 30,4
6,6
16,0
5,3
(zum Nennwert)
IV
14,0
3,6
26,9
4,5
5,7
1,1
Quelle: Wirtschaft und Statistik 1–3 (1921–1923), passim.
Abbildung 17: Absatz und Börsenzulassungen von Aktien und Industrieanleihen 1921–23
(in Mio. M)
10.000.000
Anleihe
1.000.000
100.000
10.000
Aktien
1.000
100
10
1923
1922
1921
1
Quelle: Wirtschaft und Statistik 1–3 (1921–1923), passim.
breite Publikum eine Phase höchster Liquidität.172 Seit Mitte 1917 sahen sich die Banken
einer mehr oder weniger stetig steigenden Volatilität ihrer Einlagen ausgesetzt. Sie führte
wiederholt zu gravierenden Abhebungswellen, so jeweils im Herbst 1917, 1921 und 1922,
um die Jahreswende 1919/20 sowie in einzelnen Monaten des ersten Halbjahres 1922.
172 Gemessen am Verhältnis zwischen Postscheckguthaben und -umsätzen.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
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145
Dem standen hohe Einzahlungsüberschüsse in anderen Monaten gegenüber, sodass die
Einlagenvolumina nominal weiter stiegen. Sie reichten jedoch seit 1919 bei Weitem nicht
mehr aus, die Geldentwertung wett zu machen, sodass die Einlagen der deutschen Banken
bis zum Ende der Inflationszeit auf einen Bruchteil ihres Vorkriegsstandes schrumpften.
Hinzu kam, dass sich diese Einlagen immer weniger für die Kreditgewährung der Banken
eigneten, da der Anteil des Bodensatzes immer mehr zurückging. Zum einen verschob sich
das Gewicht stark zugunsten der Kontokorrentguthaben mit ihrem ohnehin geringeren
Bodensatz. Zum anderen verminderten die genannten Abhebungswellen auch innerhalb
der einzelnen Einlagenarten den Bodensatz erheblich. Der an sich noch vergleichsweise
hohe Liquiditätsstand des Publikums bis Mitte 1921 wurde von daher konterkariert. Man
kann davon ausgehen, dass die Fähigkeit der Banken, aus ihren Papiermark-Debitoren
Kredit zu gewähren, ab Mitte 1922 gegen Null tendierte. Erst seit dem Sommer 1923,
bei vielen Banken auch erst im letzten Quartal des Jahres, sorgten wertbeständige, auf
Goldmark oder Valuta lautende Einlagen für einen zögerlichen Neuanfang. Über die
entsprechenden Volumina liegen jedoch keine Zahlen vor.
VI. Begriffliche Abgrenzungen der Liquiditätsreserven der Banken
Je umfangreicher Abhebungen von Einlagen sind, mit denen die Banken rechnen, desto
umfangreicher und verfügbarer müssen ihre Liquiditätsreserven sein. Sie stellen daher
einen Schwerpunkt dieser Untersuchung dar. Liquiditätsreserven können aus einzel- und
gesamtwirtschaftlicher Sicht abgegrenzt werden. Die Liquiditätsreserven einer einzelnen
Bank bestehen aus deren Kassenbeständen und Guthaben bei der Notenbank („Primär-“
oder „Barliquidität“) sowie aus solchen liquiden Aktiva, die jederzeit, schnell und (nahezu) ohne Kosten in Zentralbankgeld umgewandelt werden können („Sekundärliquidität“).
Dazu zählen Schecks, fällige Effekten, Kupons und Einzugspapiere, bei der öffentlichen
Hand oder anderen Banken dauernd einlösbare Geldmarktpapiere sowie täglich fällige
Forderungen an Banken. Hinzu treten Wechsel und andere Wertpapiere, die bei der Notenbank rediskont- oder lombardfähig sind, sofern die Bank dort über freie Linien verfügt.
Beim Goldstandard zählen aufgrund der Einlösungspflicht der betreffenden Notenbank
auch ausländische Sorten zu den Liquiditätsreserven. Das Gleiche gilt für Sorten und
Devisen in einem Festkurssystem, da in diesem Fall die heimische Notenbank zum Ankauf auf dem Wege von Interventionen verpflichtet ist. Beide Währungsregimes haben
jedoch in der hier untersuchten Zeit keine Bedeutung. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte
eine einzelne Bank ihre Liquiditätsreserven über ihre aktuelle Bankenliquidität hinaus
in Schecks, Privatdiskonten, Einzugspapieren oder als Interbankengelder halten. Fällige
Kupons und Effekten gehörten zwar grundsätzlich ebenfalls in diese Kategorie, hatten
jedoch aufgrund ihrer minimalen Beträge spätestens ab Mitte 1922 keinerlei Bedeutung
mehr. Der Rentenmarkt eignete sich zur Liquiditätsanlage nach der Wiederaufnahme des
Börsenhandels im September 1919 nur kurze Zeit, weil die Umsätze danach zu gering
waren und damit die jederzeitige Liquidierbarkeit nicht mehr gegeben war.
Gesamtwirtschaftlich stehen im Allgemeinen den verschiedenen Forderungen Verbindlichkeiten einer anderen Bank gegenüber oder sie führen bei ihrer Realisierung
in engem zeitlichem Zusammenhang zu einem Liquiditätsabfluss bei einem anderen
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Kreditinstitut. Aus der Sicht des Bankensystems als Ganzem kann man daher neben
dem aktuellen Zentralbankgeld (Kasse und Notenbankguthaben) nur diejenigen Aktiva
als Liquiditätsreserven betrachten, die den Banken bei der Notenbank einen autonomen
Zugriff auf Zentralbankgeld erlauben („potenzielles Zentralbankgeld“).173 Die so definierte Bankenliquidität174 ist der Liquiditätssaldo aller Banken eines Landes, wie er
sich in einer einfachen konsolidierten Bilanz des Bankensystems als Differenz zwischen
Nichtbankeinlagen und Krediten an Nichtbanken errechnet. Im Folgenden werden die
Liquiditätsreserven des gesamten Bankensystems, also in ihrer gesamtwirtschaftlichen
Abgrenzung verwandt.
Tabelle 5: Heute übliche Abgrenzung der Liquiditätsreserven der Banken
1. AUS DER SICHT DES BANKENSYSTEMS:
1.1. aktuelle Liquiditätsreserven:
■ inländische gesetzliche Zahlungsmittel
■ Guthaben bei der Notenbank
1.2. potenzielle Liquiditätsreserven erlauben einen autonomen Zugriff auf Zentralbankgeld bei der Notenbank:
■ lombard- und rediskontfähiges Material, sofern nicht Kreditlinien entgegenstehen
■ Devisen (in einem Festkurssystem)
■ Geldmarktpapiere mit einer Ankaufzusage der Notenbank
2. AUS DER SICHT EINER EINZELNEN BANK zudem sonstige liquide Aktiva, die jederzeit,
schnell und (nahezu) ohne Kosten in Zentralbankgeld umgewandelt werden können:
■ Schecks
■ fällige Effekten, Kupons und Einzugspapiere
■ bei der öffentlichen Hand oder anderen Banken jederzeit einlösbare Geldmarktpapiere
■ täglich fällige Forderungen an Banken
Die heute geltenden Definitionen bedürfen unter den besonderen Verhältnissen der Inflationszeit von 1914/18 bis 1923 einiger Modifizierungen, denn sie stellen allgemein
darauf ab, welche Aktiva das Bankensystem unmittelbar als inländische Zahlungsmittel
verwenden oder mit nur geringen zeitlichen und wertmäßigen Einbußen in solche umtauschen kann. Dies trifft unter normalen Währungsverhältnissen ausschließlich auf (aktuelles
und potenzielles) Zentralbankgeld zu. Finden in einem Land jedoch neben der offiziellen
Landeswährung eine (oder mehrere) weitere Währung(en) oder Geldersatz Verwendung,
so sind diese in die Überlegungen einzubeziehen. Das war über lange Perioden der Inflationszeit der Fall. Zumindest 1919, 1922 und 1923 übernahmen Devisen und Sorten
173 So genannte „aktuelle“ bzw. „potenzielle Liquiditätsreserven“ der Banken.
174 In der Bankbetriebslehre versteht man dagegen unter der Bankenliquidität die Fähigkeit einer einzelnen
Bank, jederzeit allen fälligen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
147
aus Hartwährungsländern in Deutschland die Funktion als Wertaufbewahrungsmittel.175
Während der Hyperinflation fungierten ausländische Sorten darüber hinaus auch im Inland unmittelbar als Zahlungsmittel – seit Herbst 1922 zwischen den Unternehmen sowie
seit Juni 1923 in bedeutendem Ausmaß zwischen Privatleuten.176 Sie waren daher auch
ab diesem Zeitpunkt als aktuelle Bankenliquidität anzusetzen, obwohl die Mark in der
Inflationszeit weder in den Goldstandard noch in ein Festkurssystem eingebunden war.
Das Gleiche galt für Devisen im Besitz von Kreditinstituten, da auf Auslandsguthaben
gezogene Schecks ebenfalls an Erfüllung statt genommen wurden und Hartwährungswechsel seit Mitte 1922 weite Verbreitung fanden. Als Währungen kamen insbesondere
der US-Dollar, aber auch das britische Pfund Sterling, der Schweizer Franken, Gulden
und Schwedenkronen in Frage. Sie flossen schon alleine deshalb ins Land, da die Mark
gemessen an ihrer Binnenkaufkraft bis Mitte 1923 zum Teil deutlich unterbewertet war.177
Es ist davon auszugehen, dass die inländischen Wirtschaftssubjekte zumindest einen
Teil dieser Devisen und Sorten horteten. Dies ist für die Zeit ab Mitte 1922 mehrfach
dokumentiert.178
Eine ähnliche Funktion übernahmen mit zunehmender Dauer und Intensität der Inflation Forderungen, die in Goldmark oder anderen wertbeständigen Maßstäben denominiert waren. Die Goldmark war nach der im Geschäftsverkehr häufigsten Definition der
Vorkriegsparität der Mark an den Dollar gekoppelt. Der Ausweis in Goldmark diente in
der Industrie bereits seit 1920 dazu, einzelne Positionen der Bilanz vor der Entwertung
zu bewahren. Seit Anfang 1922 war es in der Industrie und im Großhandel allgemein
üblich, sich bei der Preissetzung vor einem Substanzverzehr der Lager und Anlagen durch
Aufschläge zu schützen, die sich am Dollar, der Goldmark oder anderen wertbeständigen Größen orientierten.179 Ab dem Frühjahr 1923 liefen zunehmend auch im privaten
Verkehr fremde Sorten als Zahlungsmittel um180 und es gab einige Anleihemissionen mit
kurzer und mittlerer Laufzeit, die auf Goldmark bzw. Dollar lauteten.181 Ab August 1923
kam legales und illegales wertbeständiges Notgeld hinzu, das ebenfalls zu einem hohen
Prozentsatz in Goldmark oder Hartwährung denominiert war.
175 Siemens & Halske hielt im Frühjahr 1922 26 Prozent seiner Kassenbestände in fremder Währung,
Siemens-Schuckert am 1. Mai 1922 68 Prozent. Am 15. Juli 1922 beliefen sich die Anteile der Unternehmen auf 97 bzw. 100 Prozent. Vgl. Feldman, Disorder (wie Anm. 103), S. 592.
176 Ebd., S. 593; Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 72. In geringerem Maße galt dies auch für kleine Bankschecks und sogar ausländische Briefmarken. Vgl. Alfred Lansburgh, Die schwere Not, in:
Die Bank 16 (1923), S. 523 f.; Corrado Gini, Wirkungen der extremen Formen der Inflation auf den
Wirtschaftsorganismus, in: Weltwirtschaftliches Archiv N. F. 40 (1934), S. 409.
177 Eine grobe Abschätzung der Entwicklung ist möglich, indem man die Indices des Dollarkurses und
der Großhandelspreise ins Verhältnis setzt. Vgl. für eine detailliertere Analyse einzelner Zeiträume
Wirtschaft und Statistik 1 (1921), S. 192 f., 284 ff.; 2 (1922), S. 236, 341 f., 479.
178 Lansburgh, Not (wie Anm. 177), S. 523 f.; Prion, Kreditpolitik (wie Anm. 40), S. 187.
179 Bente, Währungspolitik (wie Anm. 2), S. 146*.
180 Nach Young belief sich das Ende 1923 umlaufende Volumen ausländischer Banknoten auf 1,2 Mrd.
GM. Vgl. John Park Young, European Currency and Finance, Vol. I. Washington 1925, S. 402, 538.
181 Die Reichsbank lehnte es dagegen wiederholt ab, wertbeständige Wechsel anzukaufen. Vgl. Die
Bank 15 (1922), S. 815. Erst ab dem 15. September 1923 gewährte die Reichsbank Lombard gegen
„wertbeständige Vorschüsse“, ab dem 22. Dezember desselben Jahres kaufte sie wertgesicherte Handelswechsel an. Vgl. Reichsbank, Reichsbank (wie Anm. 101), S. 90 f.; Die Bank 16 (1923), S. 674;
17 (1924), S. 98.
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Damit erscheint es gerechtfertigt, Devisen, Sorten und Goldmarkforderungen der
Banken zumindest in für die Hyperinflation der Jahre 1922 und 1923 dem aktuellen Zentralbankgeld gleichzustellen (aktuelle Liquiditätsreserven). Angesichts des anhaltenden
Markverfalls konnten die Wirtschaftssubjekte davon ausgehen, dass die Devisenbestände
während der gesamten Inflationszeit ohne Probleme in inländisches Zentralbankgeld
umgetauscht werden konnten, selbst wenn dies in größeren Mengen geschehen wäre.182
Für die Jahre 1919 bis (Mitte) 1922 sind die entsprechenden Aktiva also auch ohne offizielle Interventionspflicht der Reichsbank zumindest wie potenzielles Zentralbankgeld
zu behandeln (potenzielle Liquiditätsreserven).
Gleiches galt für bestimmte Geldmarktpapiere. Unter ihnen waren die Schatzanweisungen des Reiches allein von ihrem Umfang her am bedeutendsten. Sie verdrängten
immer mehr die Privatdiskonten als vorherrschendes Geldmarktpapier. Beide Arten von
Papieren eigneten sich zum Rediskont bei der Reichsbank. Die „sonstigen reichsbankfähigen Wertpapiere“ der Bankbilanzen konnten zum Lombard eingereicht werden.
Dafür gab es im Prinzip keine fest etablierten Obergrenzen. Die Reichsbank richtete in
der Inflationszeit für Banken keine Kreditlinien im Diskont- und Lombardgeschäft ein.
Eine quantitative Steuerung war ohnehin unüblich. Stattdessen variierte die Notenbank
ihre Kreditkonditionen (Zinssätze, Restlaufzeit, Kreditlinien für Nichtbanken) und die
Qualitätsanforderungen an die angekauften bzw. beliehenen Papiere.183 Dennoch konnten
sich die Banken nahezu durchgehend darauf verlassen, durch Verkauf oder Beleihung
der betreffenden Papiere bei der Reichsbank Zentralbankgeld beschaffen zu können.
Einzelheiten ihres Refinanzierungsverhaltens werden weiter unten behandelt.
Tabelle 6: Abgrenzung der Liquiditätsreserven des Bankensystems in der Inflationszeit
1. aktuelle Bankenliquidität:
– inländische gesetzliche Zahlungsmittel
– Guthaben bei Notenbanken
– Sorten und Devisen aus Hartwährungsländern (seit Mitte 1922)
– genehmigtes Notgeld (Oktober 1918 bis Frühjahr 1919 und seit Juli 1922)
– Geldersatz (insbesondere kleingestückelte wertbeständige Anleihen, seit Ende 1922)
2. potenzielle Bankenliquidität erlaubt einen autonomen Zugriff auf aktuelle Liquiditätsreserven:
– lombard- und rediskontfähiges Material
– Geldmarktpapiere, die die Notenbank ankaufte: Reichsschatzanweisungen
– Sorten und Devisen aus Hartwährungsländern (bis Mitte 1922)
182 Vgl. zu den gleichzeitigen spekulativen Devisenzuflüssen in der Zeit von Mitte 1919 bis Mitte 1921
Carl-Ludwig Holtfrerich, Amerikanischer Kapitalexport und Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft
1919–23 im Vergleich zu 1924–29, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 64
(1977), S. 497–529; ders.: Erwartungen (wie Anm. 35), S. 3–19; ders.: Inflation (wie Anm. 51),
S. 279–294.
183 Vgl. dazu beispielsweise Prion, Kreditpolitik (wie Anm. 40), S. 191–205; ders.: Kreditpolitik und
Ruhrkampf (1923), in: Schmollers Jahrbuch 49 (1925), S. 119–133.
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VII. Die aktuellen Liquiditätsreserven der Banken
Die aktuellen Liquiditätsreserven der Banken bestanden während des größten Teils der
Kriegs- und Inflationszeit im Wesentlichen aus deren Kassenbeständen und Reichsbankguthaben.184 Beide Komponenten wurden in den jährlichen Bilanzstatistiken der Banken
mit fälligen Zins- und Dividendenscheinen sowie Sorten und Guthaben auf Postscheckkonten in der Position „Barreserve“ zusammengefasst. Die Bedeutung ersterer für die
Barreserven der Banken tendierte im Laufe der Inflationszeit gegen Null, da die Realverzinsung der Anleihen und die Dividendenrendite der Aktien äußerst niedrig waren und
immer mehr sanken. Die Postscheckguthaben der Banken hatten zunächst vermutlich
einen größeren Umfang, da sich die Gironetze der Bankengruppen (mit Ausnahme der
Genossenschaftsbanken) noch im Aufbau befanden, nicht alle Banken über ein Reichsbankkonto verfügten und Nichtbanken weit eher Inhaber eines Postscheck- als eines
Reichsbankkontos waren. Lässt man die bei der Stadthauptkasse eingelieferten Gelder
außer Betracht, so betrug der Anteil der Postscheckguthaben der Sparkasse der Stadt Berlin
an den Guthaben in laufender Rechnung zum Bilanzstichtag 31. März 1919 52,8 Prozent
(Reichsbankguthaben: 44,6 Prozent).185 Je weiter allerdings die Inflation fortschritt, desto
mehr bewirkte die Unverzinslichkeit der Postscheckguthaben186 einen Abzug von Bankengeldern. Dagegen standen die ebenfalls unverzinslichen Reichsbankkonten auch für die
Verbuchung der Gegenwerte rediskontierter Handels- und Schatzwechsel zur Verfügung
und wurden für die Beschaffung von Bargeld benötigt. Die Reichsbank dehnte zudem – wie
auch die großen Banken – ihren Zahlungsverkehr immer mehr aus, indem sie zusätzliche
Zweiganstalten eröffnete. So stieg der Anteil der Reichsbankeinlagen an den Guthaben der
Berliner Sparkasse in laufender Rechnung187 bis Ende März 1920 auf 69,7 Prozent, der der
Postscheckguthaben sank auf 27,6 Prozent.188 Im Gegensatz zu den Postscheckguthaben
nahm die Bedeutung der ebenfalls in der Position „Barreserve“ enthaltenen Sorten gegen
Ende der Inflationszeit sehr wahrscheinlich zu. Dafür spricht zum einen das Bestreben der
Banken, ihre Aktiva vor der Geldentwertung zu schützen. Zum anderen geben einzelne
Geschäftsberichte entsprechende Hinweise.189 Eine getrennte Erfassung der Devisenbestände ist jedoch nicht möglich, sie finden sich im gesamten Untersuchungszeitraums in
den Zahlen der aktuellen Bankenliquidität. Die Position „Barreserve“ der Bankbilanzen
bildete die aktuelle Bankenliquidität vermutlich dennoch recht gut ab, legten die Banken
doch bis zur Hyperinflation nur vorübergehend nennenswerte Beträge in Sorten an. Ihre
184 Die Einlagen der Banken bei den vier übrigen Notenbanken konnten vernachlässigt werden. Die
(Gesamt-) Einlagen der Bayerischen, Württembergischen, Badischen und Sächsischen Notenbank
beliefen sich zwar 1913 noch auf knapp sieben Prozent derjenigen der Reichsbank. Sie sanken jedoch
im Laufe des Ersten Weltkriegs kontinuierlich auf 0,9 Prozent im Jahr 1917 und pendelten sich in der
weiteren Inflationszeit auf zwischen ein und zwei Prozent ein. Lediglich beim Jahresabschluss 1923
kamen sie auf einen Anteil von gut drei Prozent. Vgl. Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen
(wie Anm. 9), S. 36 ff.
185 Sparkasse der Stadt Berlin, Jahresbericht 1918, S. 26, 40 f.
186 Großmann, Postscheckbetrieb (wie Anm. 136), S. 12 f.
187 Ohne das Konto bei der Stadthauptkasse.
188 Sparkasse der Stadt Berlin, Jahresbericht 1919, S. 22, 34 f.
189 Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 15), S. 548 f.
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Umschichtungen in wertbeständige Aktiva äußerten sich stattdessen durch eine Zunahme
der Wertpapiere und Nostroforderungen auf das Ausland.190
Barbestand
Reichsbankgirokonto
Postscheckkonto
Berliner
Kassenverein
Grio-Zentrale
der Provinz
Brandenburg
31.3.1919
31.3.1920
Konto bei der
Stadthauptkasse
Tabelle 7: Aufteilung der Barreserve der Sparkasse der Stadt Berlin 1919/20 (in Prozent)
96,36
97,48
2,87
0,97
0,34
1,08
0,40
0,43
0,001
0,002
0,02
0,04
Quelle: Sparkasse der Stadt Berlin, Jahresbericht 1918, S. 26, 40 f.; 1919, S. 22, 34 f.
Die Bilanzstatistiken weisen für die Jahre 1921 und 1922 wiederum größere Lücken auf.
Die vorhandenen Werte der Berliner Großbanken sowie einzelner anderer Institute191
können jedoch auch hier dazu dienen, die Bewegungen in diesen Jahren zu rekonstruieren. Es ist anzunehmen, dass die so ermittelten Schätzwerte etwas zu hoch ausfallen, da
die Großbanken Vorsorge für einen eventuellen Abzug der primär bei ihnen gehaltenen
Auslandsguthaben treffen mussten.192 Allgemein erfassen die Bilanzstatistiken wiederum
nur ein Teil der Banken, nicht jedoch die Bankengruppen der Sparkassen, Privatbankiers,
GmbH-, Genossenschafts- und sonstigen öffentlich-rechtlichen Banken. Die betreffenden
Kreditinstitute193 repräsentierten 1913 knapp 61 und 1925 gut 55 Prozent der Barreserven
aller Banken.194
Die aktuellen Liquiditätsreserven der Banken stiegen zunächst in zwei Stufen (1914
und 1917) auf rund 2,3 Mrd. GM an, bevor sie mit der offenen Inflation Schritt für Schritt
190 Ebd.; Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 138), S. 473.
191 Die Deutsche Girozentrale – Deutsche Kommunalbank – sowie die Bayerische Hypotheken- und
Wechsel-Bank.
192 Lansburgh bezifferte den Anteil der Auslandsguthaben Berliner Großbanken an den fremden Geldern
zum Jahresultimo 1920 auf mindestens ein Drittel, also auf 20 bis 25 Mrd. M (= 1,1 bis 1,4 Mrd. GM).
Vgl. Alfred Lansburgh, Die Berliner Großbanken im Jahre 1920, in: Die Bank 14 (1921), S. 373. Dies
war eine sehr gute Schätzung, der McKenna-Ausschuss ermittelte im Auftrag der Alliierten Reparationskommission auf Grundlage der Bankenbücher für Ende 1920 einen Anteil der acht bedeutendsten
Berliner Banken in Höhe von 36 Prozent (1918: 20 Prozent; 1919: 35 Prozent; 1921: 36 Prozent;
1922: elf Prozent: 1923: zwei Prozent). Vgl. Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 284–287.
193 Die Berliner Großbanken, die Provinzbanken, die Hypothekenbanken einschließlich der gemischten
Institute, die Preußische Zentralgenossenschaftskasse sowie seit 1918 die DGZ – Deutsche Kommunalbank –.
194 Mit Ausnahme der Privatbankiers. – Bei dieser Berechnung ist nicht berücksichtigt, dass Genossenschaftskassen und kleinere Sparkassen keine Konten bei der Reichsbank, sondern bei ihren Zentralinstituten unterhielten. Die entsprechenden Guthaben können zwar nicht genau quantifiziert werden,
sie lagen jedoch angesichts der insgesamt ausgewiesenen Barreserven dieser Institute weit unter zehn
Prozent der Barreserven aller Banken.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
151
zurückgingen. Der Tiefpunkt war mit dem Jahresabschluss 1922 bei sieben Prozent des
Standes von 1917 erreicht, während die Bilanz des Jahres 1923 bereits wieder eine Steigerung aufwies. Diese Bewegungen spiegelten sich auch in den Anteilen der Barreserve
der Aktienkreditbanken an ihren liquiden Mitteln und Bilanzsummen wider. In beiden
Fällen nahmen die entsprechenden Sätze 1914/15 spürbar zu und blieben bis 1917 auf
dem erreichten Niveau, um bis 1919 jedoch per saldo stark abzusinken. In der Nachkriegsinflation lagen die Barreserven der Berliner Großbanken, die sich während des Ersten
Weltkriegs bis auf acht Prozent der Bilanzsummen erhöht hatten, relativ stetig bei etwa
sechs Prozent. Im Jahresabschluss 1924 war dieser Anteil auf rund fünf Prozent gesunken
– auf denselben Satz, der bereits in der Kaiserzeit längere Zeit gegolten hatte. Dies spricht
dafür, dass sich die Barreserve in der Inflationszeit wegen ihrer Unverzinslichkeit in der
Nähe ihres technischen Minimums bewegte, das durch die Barabhebungsquote und die für
die Abwicklung des Zahlungsverkehrs notwendigen Mindestguthaben auf den Konten der
Noten- und Abrechnungsbanken bestimmt war.195 Dieses technische Minimum lag jedoch
andererseits wegen der Sprunghaftigkeit im Verhalten der Wirtschaftssubjekte etwas höher
als zu normalen Zeiten.
Ein leichter relativer Anstieg der Barreserven per Ende 1922 in der ersten Bilanz der
Hyperinflation ging nicht etwa auf eine automatische Aufwertung von nun verstärkt
gehaltenen Sorten zurück. Eine solche hätte sich am Jahresultimo 1923 umso stärker
niederschlagen müssen. Dieser Annahme widersprach zudem das Niederstwertprinzip,
wie es in § 261 HGB festgelegt war. Danach durfte ein niedrigerer Zeitwert nur insoweit
angesetzt werden, als er die Anschaffungs- oder Herstellungskosten nicht überstieg.196
Eine automatische Höherbewertung hätte also vorausgesetzt, dass die Sortenbestände
ständig rotierten und nach der Regel „first in, first out“ bewertet wurden. Zwar lässt
sich dies gerade für die Zeit der Hyperinflation nicht ausschließen, naheliegender ist aber
wohl eine andere, den bisherigen Usancen eher entsprechende Interpretation: In der Mitte
und gegen Ende Dezember 1922 stabilisierte sich die Mark gegenüber den wichtigsten
Hartwährungen. Entgegen den Erwartungen der Banken hatte die Reichsbank daraufhin
jedoch nicht – wie in den Vormonaten – ihren Diskontsatz erhöht. Da der Diskontsatz des
Ankaufstags für einmal rediskontierte Wechsel über die gesamte Restlaufzeit galt, hatten
die Banken bei der Reichsbank in großem Maße Wechselmaterial eingereicht. Das so erhaltene Zentralbankgeld konnten sie nun nicht wie geplant zu einem höheren Satz in neu
erworbenen Handelswechseln anlegen. Es erhöhte so einerseits ihre aktuellen Barreserven,
andererseits verflüssigte sich der Geldmarkt und die Banken erwarben Schatzanweisungen
und vergaben Ausleihungen an die Preußische Staatsbank (Seehandlung).197
195 Letztere werden „Working Balances“ genannt.
196 Kuno Barth, Die Entwicklung des deutschen Bilanzrechts und der auf ihm beruhenden Bilanzauffassungen, Bd. 1: Handelsrechtlich. Stuttgart 1953, S. 78. Nach vorherrschender Auffassung stand den
Unternehmen lediglich der Weg offen, einem Substanzverlust durch Scheingewinnausschüttung mittels
einer höheren Wiederbeschaffungsrücklage vorzubeugen. Vgl. Eugen Schmalenbach, Grundlagen
dynamischer Bilanzlehre. Leipzig 1919; ders.: Geldwertausgleich (wie Anm. 17); Erwin Geldmacher, Wirtschaftsunruhe und Bilanz, 2 Bde. Berlin 1923; Walb, Tageswert (wie Anm. 17); Mahlberg,
Weltteuerung (wie Anm. 17); ferner gegen diese Auffassung Fritz Schmidt, Die organische Bilanz
im Rahmen der Wirtschaft. Leipzig 21922. – Soweit eine Wiederbeschaffungsrücklage die steuerlich
zulässigen Abschreibungen überschritt, musste sie allerdings versteuert werden. Vgl. Buxbaum, Abschreibung (wie Anm. 17), S. 695 f.
197 Die Bank 16 (1923), S. 101 f.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Hartmut Kiehling
Alle Banken
–
–
–
–
–
2
6
7
2
1
3
2
2
Anteil an allen
Banken (in Prozent)
3
7
4
4
4
8
4
2
0
0
5
5
6
Summe
67
68
67
42
52
46
10
8
3
1
6
19
23
DGZ – Deutsche
Kommunalbank –
347
421
320
290
377
325
88
87
55
17
29
48
70
Preußische Zentralgenossenschaftskasse
380
538
598
635
937
722
228
246
169
58
107
201
290
Hypothekenbanken
Provinzbanken
1913
1914
1915
1916
1917
1918
1919
1920
1921
1922
1923
1924
1925
Berliner Großbanken
Tabelle 8: Barreserven der Banken in der Inflationszeit 1913–1925 (in Mio. GM, ab
1924 in Mio. RM)
797
1.035
989
971
1.370
1.102
336
350
231
78
150
275
391
60,75
60
60
60
60
60
57
54
50
47
44
43,69
55,30
1.312
1.700
1.600
1.600
2.300
1.800
600
650
460
160
340
630
707
Quelle: Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9); Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 15,
138, 192, 199, 211), passim; eigene Berechnungen. Geschätzte Werte sind kursiv gesetzt.
Ausreichende Informationen, um die aktuellen Liquiditätsreserven zeitlich durchgehend
in ihre Bestandteile Kasse- und Notenbankguthaben aufzusplitten, fehlen weitgehend.
Nur punktuell geben Literatur und Statistiken Hinweise. So bestanden Ende 1913 die
Barreserven aller Banken zu 25 Prozent, die der Berliner Großbanken zu 33 Prozent
aus Reichsbank- und Postscheckguthaben.198 Ende 1919 waren rund 80 Prozent der
Barreserven der Berliner Großbanken auf Reichsbankkonten gutgeschrieben.199 Für die
Gesamtheit der Banken hat man also mit rund drei Fünfteln zu rechnen. Damit wären zu
diesem Zeitpunkt knapp 30 Prozent der privaten Reichsbankeinlagen von den Banken
gehalten worden – gegenüber 54 Prozent Ende 1913.200
Der Rhythmus der Jahresabschlüsse ist für eine weitergehende Analyse zu grob. Es ist
deshalb sinnvoll, die Entwicklung der aktuellen Liquiditätsreserven der Banken mit Hilfe
eines anderen Indikators von Monat zu Monat nachzuzeichnen. Für die Kassenbestände
198 Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9), S. 74, 78.
199 Alfred Lansburgh, Die Berliner Großbanken im Jahre 1919, in: Die Bank 13 (1920), S. 438 f.
200 Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9), S. 78.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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153
Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
der Banken gibt es solche Zahlen nicht. Für die Guthaben bei der Reichsbank stehen
deren Wochenausweise zur Verfügung.
Die vorliegenden Statistiken sind allerdings mit Vorsicht zu interpretieren. Zum einen
gliederte die Reichsbank in den Jahren 1914 bis 1920 die bei ihr gehaltenen (Sicht-) Einlagen nicht wie in der Zeit zuvor und danach in „Reichs- und Staatsguthaben“ bzw. „Privatguthaben“ auf. Es ist also notwendig, für diese Zeit zunächst die Anteile der Privaten
näherungsweise abzuschätzen. Im Durchschnitt des Jahres 1913 machten deren Guthaben
70,1 Prozent der gesamten Einlagen aus. Im Januar 1921 betrug die Relation 74,4 Prozent,
sank danach jedoch zeitweise deutlich ab. Mangels eines anderen Maßstabes wird der
Anteil privater Guthaben bei der Reichsbank in den Jahren 1918 bis 1920 im Folgenden
näherungsweise mit 70 Prozent angesetzt. Deutlich niedrigere Anteile wären angesichts
der akuten Finanzierungsprobleme der öffentlichen Haushalte unwahrscheinlich gewesen,
die mit Sicherheit zur schnellen Abdisposition ihrer liquiden Mittel geführt hätten.201
Allerdings können mit dieser Durchschnittsbetrachtung kurzzeitige Verschiebungen –
etwa beim Eingehen der Zeichnungserlöse von Kriegsanleihen – nicht erfasst werden. So
ist auffällig, dass die Reichsbankeinlagen jeweils im Gefolge der Zeichnungsfrist einer
Kriegsanleihe sowohl absolut als auch relativ zu den Abrechnungsvolumina steil anstiegen.202 Dies kann hingenommen werden, da diese Mittel als Zacken in den Zeitreihen
deutlich kenntlich und zudem schnell abdisponiert wurden.
Abbildung 18: Einlagen der Privaten bei der Reichsbank 1913–23 (zum Monatsende in
Mio. GM)
7.000
6.000
5.000
4.000
3.000
2.000
1.000
1923
1922
1921
1920
1919
1918
1917
1916
1915
1914
1913
0
Quelle: Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 48–53; eigene Berechnungen.
201 Holtfrerich unterstellt nach den durchschnittlichen Verhältnissen von 1910 bis 1913 sogar einen Anteil
von 77,6 Prozent. Vgl. Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 48 f., 58.
202 Walther Lotz, Kritische Studien über die Statistik der deutschen Kriegsanleihen, in: Schmollers Jahrbuch 47 (1924), S. 207–241; Elster, Mark (wie Anm. 7), S. 87–91.
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Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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154
Hartmut Kiehling
Setzt man die genannten 70 Prozent an, so erreichten die privaten Guthaben bei der
Reichsbank im September 1918 mit vermutlich mehr als sechs Milliarden GM ihren
höchsten Stand. Sie sanken in der Folgezeit nahezu kontinuierlich ab bis auf einen Wert
von gut 350 Mio. GM im Februar 1920. Nach einer vorübergehenden Erholung bis in die
Größenordnung von 1,8 Mrd. GM im Juni des gleichen Jahres folgte ein lang gestreckter
Rückgang bis zur Liquiditätskrise im Sommer 1922. Im Oktober 1922 wurde mit 99 Mio.
GM ein vorläufiger Tiefpunkt erreicht. Die nun folgenden Monate der Hyperinflation
waren durch eine Oszillation auf niedrigstem Niveau gekennzeichnet, bei der die Spitzen
in den Monaten April (479 Mio. GM) und September (230 Mio. GM), die Tiefpunkte
in den Monaten Januar (52 Mio. GM) und Juli 1923 (92 Mio. GM) lagen. Auffällig ist
dabei, dass sich die Reichsbankguthaben der Privaten seit Herbst 1922 beständig nahezu
auf der gleichen Höhe bewegten wie die Wechselbestände der Reichsbank. Dies ist ein
deutlicher Hinweis auf die Probleme der Notenbank, die von den Kontoinhabern angestrebte Abdisposition in bar zuzulassen. Auffällig ist ferner, dass sich der beschriebene
Zusammenhang in den Monaten August und September 1923 lockerte. Dies mag an einer
leichten Entspannung im Barzahlungsverkehr durch die offizielle Zulassung wertbeständigen Notgeldes gelegen haben. Eine solche zeitweise Entspannung geht auch aus den
Geldmarktkommentaren der Zeit hervor.203
Die Einlagen der Privaten sind den Banken nicht voll zuzurechnen. Privatpersonen
konnten bei der Reichsbank – mit Ausnahme der eigenen Bediensteten – kein Konto
eröffnen. Anders war das bei den privaten Unternehmen. Allerdings akzeptierte die
Reichsbank nur solche Kontoinhaber, die an einem so genannten „Bankplatz“204 zu den
angesehensten Firmen zählten. Die von ihnen auf Reichsbankkonto gehaltenen Beträge
lassen sich nur schwer abschätzen.
Die Unternehmen hielten Reichsbankeinlagen aus unterschiedlichen Motiven. Neben
dem Prestige, die Reichsbank als Bankverbindung im Briefkopf zu führen, und der (nicht
allzu attraktiven) Möglichkeit einer sicheren (aber ertraglosen) Anlage überschüssiger
Mittel dienten die Reichsbankkonten den Unternehmen insbesondere dazu, ihr Wechselgeschäft mit der Notenbank abzuwickeln. Die Reichsbank kaufte Wechsel überwiegend
direkt von Nichtbanken an.205 Diese Wechsel hatten in aller Regel eine Restlaufzeit von
drei Monaten.206 Die Gegenwerte aus dem Wechselankauf werden auch zu Beginn der
offenen Inflation kaum länger als eine Woche unverzinslich auf Reichsbankkonto gehalten
worden sein. Geht man davon aus, so befand sich jeweils ein Zehntel des Volumens der
Wechselbestände der Reichsbank aus der Gutschrift der Diskontgegenwerte auf Reichsbankkonten. Rechnet man diese Beträge vollständig den Nichtbanken zu, so ergibt sich
vor Kriegsbeginn ein Anteil der Nichtbanken an den privaten Reichsbankguthaben von
203 Die Bank 16 (1923), S. 609, 672. Die Reichsbank hat wertbeständiges Notgeld allerdings nie entgegengenommen. Vgl. Reichsbank, Verwaltungsbericht 1923, S. 16.
204 In der Terminologie der Reichsbank war ein „Bankplatz“ ein Ort, an dem diese eine Zweiganstalt
unterhielt.
205 Als Indikator dafür, wann die Banken ihrerseits Wechsel ihres Portefeuilles bei der Reichsbank
rediskontierten, kann der Spread zwischen dem Reichsbank- und Privatdiskontsatz hilfsweise dem
Tagesgeldsatz gelten.
206 Dies entsprach der maximalen Restlaufzeit der Ankäufe durch die Reichsbank. Die Einreicher waren
wegen des relativ umständlichen ,Handlings‘ schon allein aus Kostengründen an einer möglichst
langen Restlaufzeit der Papiere interessiert. Vgl. Feldman, Disorder (wie Anm. 103), S. 586.
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Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
155
stetig über zwölf, meist sogar über 20 Prozent, in der Folgezeit bis 1916 regelmäßig von
sechs Prozent und darunter, von 1917 bis 1919 von kaum einmal einem Prozent, 1920
und 1921 von allenfalls einem bis vier Prozent. Nach dieser Rechnung ging der Anteil
der Nichtbanken an den privaten Reichsbankguthaben im Juli 1922 steil nach oben und
lag ab Oktober 1922 regelmäßig über zehn, in den Monaten Januar und Juli 1923 sogar
bei 20 Prozent und darüber. Anhand einer Proberechnung lässt sich zumindest punktuell
überprüfen, inwieweit die bis hierhin angestellten Überlegungen haltbar sind. Für einzelne Stichtage sind die Anteile der Nichtbanken an den Reichsbankeinlagen der Privaten
gesichert. Sie betrugen am 15. Juni 1910 17,2 Prozent, am 23. Juli 1914 14,3 Prozent und
am 31. Juli 1925 16,4 Prozent.207 Nach der oben angewandten Methode ergab sich für
Ende Juli 1914 ein Anteil von 19,7 Prozent. Eine solche Differenz ist durchaus akzeptabel
für einen Wert, der durch zwei sukzessive Näherungen ermittelt wurde – der zu Beginn
dieses Kapitels angestellten Annäherung sowie der Bestimmung der privaten Einlagen
mit einem Anteil von 70 Prozent an den Gesamteinlagen. Man kann also davon ausgehen,
dass die errechneten Werte vergleichsweise realistisch sind.208
Für zwei Perioden des Untersuchungszeitraums gilt dies allerdings nicht. Zum einen
bewirkte die Liquiditätsschwemme der Jahre 1917 bis 1920 mangels ausreichender Alternativen auch überhöhte Giroguthaben bei der Reichsbank. Im Gegensatz dazu dürften
die nach der obigen Methode ermittelten Sätze in der Hyperinflation wesentlich zu hoch
gewesen sein. Es kann davon ausgegangen werden, dass dem Bestreben der Unternehmen,
ihre Erlöse aus der Wechseldiskontierung in dieser Zeit sehr schnell abzudisponieren,209
allenfalls zeitweise technische Schwierigkeiten entgegenstanden. So konnte die Reichsbank in den Monaten Juli bis November 1922 Barabhebungen, wie sie insbesondere von
den Unternehmen gewünscht waren, aus Bargeldmangel nicht annähernd im gewünschten
Umfang zulassen. Auch in den Monaten April bis Oktober 1923 verblieben aus diesem
Grund größere Beträge auf Reichsbankkonten. Die Einlagen der Privaten fielen in der
Folge um die entsprechenden Beträge zu hoch aus.210 Die weiter oben für die Einlagen
der Privaten bei der Reichsbank ermittelten Schätzwerte sind während der Hyperinflation
vermutlich noch aus einem anderen Grund wesentlich zu hoch. Seit Herbst 1922 reichten
die Banken eigenes Wechselmaterial zum Rediskont ein, wenn auch nach wie vor der
größte Teil des von der Reichsbank angekauften Materials direkt von den Unternehmen
kam.211 Dazu hatten die Kreditinstitute zuvor wenig Veranlassung gehabt, war der Diskontsatz am freien Markt für vergleichbares Wechselmaterial traditionell doch deutlich
niedriger als bei der Reichsbank.212
Auch die Erfordernisse des Zahlungsverkehrs erzwangen gewisse Guthaben der
Unternehmen bei der Reichsbank. Je größer der Bargeldmangel wurde, desto sinnvoller
war es für die Unternehmen, Bargeld direkt bei der Reichsbank zu beschaffen, da diese
207 Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9), S. 42.
208 Ebenso ist davon auszugehen, dass die im Kapitel V genannte durchschnittliche Verweildauer wesentlich auf das sehr viel professionellere Dispositionsverhalten der anderen Gruppen von Kontoinhabern
zurückging.
209 S. Kapitel V.
210 Die Bank 15 (1922), S. 685, 783, 809, 871; 16 (1923), S. 34, 367, 430 f., 557 f., 617, 737.
211 Alfred Lansburgh, Die Berliner Großbanken im Jahre 1924, in: Die Bank 18 (1925), S. 267.
212 Sidney Homer, A History of Interest Rates. New Brunswick, N. J. 1963, S. 264–267, 467.
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156
Hartmut Kiehling
noch eher darüber verfügte als die Geschäftsbanken. Reichsbankkonten mussten jedoch
entsprechende Guthaben aufweisen, da Überziehungen nicht möglich waren. Spürbaren
Bargeldmangel gab es im letzten Viertel des Jahres 1918 sowie ab Juli 1922.213 Bargeld benötigten die Unternehmen insbesondere für die Auszahlung ihrer Löhne. Die
Lohnsummen der einzelnen Jahre sind nicht bekannt. Die Lohn- und Gehaltssummen
der Branchen, deren Firmen für ein Konto bei der Reichsbank in Frage kamen, beliefen
sich 1913 auf rund 16 Mrd. M, 1925 auf 24,5 Mrd. RM.214 Daraus errechnet sich bei
der Annahme vierzehntägiger Lohnzahlung215 für 1913 ein Betrag von 620 Mio. M, für
1925 ein solcher von 940 Mio. RM, die die Betriebe auf ihren Reichsbankkonten halten
mussten, sofern die gesamten Lohngelder bei der Notenbank beschafft worden wären.
Tatsächlich lag der Betrag mit aller Wahrscheinlichkeit bedeutend niedriger, da die Lohngelder gerade am Ultimo oftmals bereits abdisponiert waren und die meisten Betriebe
über keine Kontoverbindung zur Reichsbank verfügten oder zumindest einen Teil ihrer
Lohngelder auf anderem Wege beschafften. Gerade die größeren Unternehmen konnten
sich ab Juli 1922, insbesondere jedoch ab Oktober 1923 durch den Druck von Notgeld
Entlastung schaffen.216 Die entsprechenden Summen waren zunächst relativ gering. Nach
einer Untersuchung der Reichsbank lief Ende 1922 lediglich Notgeld für umgerechnet
11,4 Mio. GM um.217 Das genehmigte wertbeständige Notgeld betrug am Jahresultimo
1923 insgesamt rund 200 Mio. GM.218 Hermann Bente spricht sogar von 750 Mio. GM.219
Gleichzeitig lief nach einer Schätzung des Statistischen Reichsamtes nicht genehmigtes
Notgeld in den besetzten Gebieten für 180 Mio. GM und im übrigen Reichsgebiet für
höchstens zwölf Millionen GM um.220 Die Reichsbank bezifferte den Umlauf ungedeckten
Papiermarknotgeldes in den Monaten November und Dezember 1923 sogar mit 400 bis
500 Mio. GM.221 Ein erheblicher Teil dieser Beträge ist von den Unternehmen emittiert
worden. Damit entfielen auf einen Gehaltstermin gut 300 Mio. GM.222 Im Herbst 1923
dürfte daher die Bedeutung der Reichsbankgirokonten für die Bargeldbeschaffung der
Wirtschaft zurückgegangen sein. Nach wie vor waren die Unternehmen jedoch dabei zu
wesentlichen Teilen auf ihre Reichsbankguthaben angewiesen.
Hinzu kam für sie die Notwendigkeit, Guthaben für die Abwicklung des bargeldlosen
Zahlungsverkehrs zu halten. Allerdings ist dabei die Konkurrenz der übrigen Gironetze
zu berücksichtigen. Die Umsätze im Postscheckverkehr lagen seit 1926 regelmäßig über
denen des Abrechnungsverkehrs der Reichsbank, die aufgrund von Übertragungen und
Verrechnungen dennoch den weitaus höheren Marktanteil hielt. Mit der Ausdehnung der
Filialnetze der Großbanken und der großen Provinzbanken erwuchs der Notenbank seit
213
214
215
216
217
218
219
220
221
222
Reichsbank, Verwaltungsbericht 1919, S. 4 f.; 1922, S. 6 f.
Berechnet nach Hoffmann, Wachstum (wie Anm. 25), S. 200, 202, 461–478.
Webb, Hyperinflation (wie Anm. 60), S. 78–82.
Gesetz über die Ausgabe und Einlösung von Notgeld vom 17. Juli 1922, in: RGBl. 1922/I, S. 693;
Verordnung vom 26. Oktober 1923, in: RGBl. 1923/I, S. 1065.
Reichsbank, Verwaltungsbericht 1922, S. 7.
Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 309.
Bente, Währungspolitik (wie Anm. 2), S. 148*.
Statistisches Reichsamt, Deutschlands Wirtschaft, Währung und Finanzen. Berlin 1924, S. 66. – Es
handelte sich zu diesem Zeitpunkt nahezu ausschließlich um wertbeständiges Notgeld.
Reichsbank, Verwaltungsbericht 1923, S. 16.
Vom 27. Oktober bis Ende November 1923. Vgl. Reichsbank, Verwaltungsbericht 1923, S. 16.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
157
1920 eine zusätzliche Konkurrenz, ohne dass deren Marktanteil bekannt wäre. Aus diesem
Grund ist es unter anderem rückblickend nicht mehr möglich, die Höhe der Guthaben
abzuschätzen, die die Unternehmen zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs auf ihren Girokonten bei der Reichsbank halten mussten. Die Beträge können aber nicht bedeutend
gewesen sein, da die Gutschriften aus dem Zahlungsverkehr der Reichsbank in allen
betrachteten Jahren223 die entsprechenden Belastungen überstiegen. Unter bestimmten
Annahmen224 ergibt sich, dass die Unternehmen für ihren unbaren Zahlungsverkehr 1917
bis 1919 allenfalls Reichsbankguthaben im zweistelligen Millionenbereich, 1922 und
1923 von unter zehn Millionen GM halten mussten.
Insgesamt hatten die Unternehmen in der Kriegs- und Inflationszeit vermutlich ein
(bares und unbares) Zahlungsverkehrserfordernis in der Größenordnung von 500 bis 600
Mio. GM, im Herbst 1923 von 200 Mio. GM. Hinzu kamen Beträge aus der Gutschrift der
eingereichten Wechsel, die jedoch von Beginn des Ersten Weltkrieges an bis Anfang 1920
schrittweise von etwa 100 Mio. GM gegen Null abfielen, im weiteren Verlauf lediglich
zeitweise 50 Mio. GM erreichten und zudem wenigstens zum Teil für den Zahlungsverkehr zur Verfügung standen. In Wirklichkeit haben die Unternehmen jedoch von 1916 bis
1922 oftmals bedeutend höhere Beträge gehalten. Dies geht aus einer Gegenüberstellung
der Barreserven der Banken mit den Reichsbankeinlagen der Privaten hervor. Sie lagen
jeweils am Jahresultimo 1916 bis 1922 über den Barreserven. Die Differenzen zwischen
den Reichsbankeinlagen der Privaten und den Barreserven der Banken lagen Ende 1917
bei rund zwei Milliarden GM und erreichten in der Spitze ein Jahr später fast drei Milliarden GM. Dies ist angesichts der Zinslosigkeit der Reichsbankeinlagen Ausdruck einer
außerordentlich hohen Unternehmensliquidität. Sie macht es während der betreffenden
Zeiträume auch unmöglich, aus der monatlichen Entwicklung der privaten Guthaben bei
der Reichsbank Rückschlüsse auf die aktuelle Bankenliquidität zu ziehen. Das gilt insbesondere für die Jahre 1917 bis 1919, in denen die Einlagen der Privaten am Jahresultimo
die Barreserven der Banken um 80 bis 160 Prozent übertrafen. Für Jahre 1920 bis 1922
war dieser Satz dagegen mit 26 bis 38 Prozent deutlich niedriger.
Um zu prüfen, ob die Einlagen der Privaten bei der Reichsbank wenigstens ab 1920 als
Indikator für die aktuellen Liquiditätsreserven der Banken geeignet waren, soll deren Entwicklung Monat für Monat mit zeitgenössischen Marktkommentaren und Geldmarktsätzen
verglichen werden. Im August 1920 lagen die bei der Reichsbank gehaltenen Privateinlagen
bei schätzungsweise 970 Mio. GM – und damit deutlich unter denen des Juli und September.
Der Tagesgeldsatz betrug am Ende des Monats 4,48 Prozent – nach 4,34 Prozent im Monat
zuvor und 4,33 Prozent im darauf folgenden Monat.225 Der Marktkommentar konstatierte
eine „leichte Versteifung am Geldmarkt“.226 Auch im November 1920,227 im April, Oktober
223 Es liegen Angaben für die Jahre 1913 bis 1922 vor. Vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich
44 (1924/25), S. 313.
224 Bei einem Ausgabenüberschuss eines Tages von maximal einem Viertel der Ausgabenvolumina, einem
Anteil der Unternehmen am Reichsbankgiroverkehr von einem Zehntel sowie einer gleichmäßigen
Verteilung der Umsätze im Zeitablauf.
225 S. ferner zur Zinsentwicklung am Geldmarkt Kapitel IV.
226 Die Bank 13 (1920), S. 712.
227 Dass die Reichsbankguthaben der Privaten erst ab Januar 1921 getrennt ausgewiesen wurden, bestätigt
die obige Näherungsrechnung.
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158
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und November 1921, im März und von Juni bis November 1922 sowie im Januar 1923
wiesen die Guthaben, Zinssätze und Kommentare auf eine knappere Bankenliquidität hin.228
Umgekehrt signalisierten sie im März und September 1921 sowie im Mai und Dezember
1922 einen freundlicheren Geldmarkt.
Für das Jahr 1923 ist eine Interpretation anhand von Monatsdurchschnittswerten nicht
mehr möglich, da sich für die Zinssätze neue Maßstäbe ausbildeten und die Marktsituation
oft mehrmals im Monat wechselte. Insofern spiegelten die durchschnittlichen Zinssätze
nicht mehr notwendigerweise die Verhältnisse am Monatsende wider, die zu diesem Zeitpunkt bestimmend waren für die Reichsbankguthaben. So zeigte sich der Geldmarkt nach
„einer beispiellosen Geldklemme“ Ende Februar 1923 sehr viel leichter. Tagesgeld kostete
im Monatsdurchschnitt 25,67 Prozent, am Ultimo jedoch 14,5 Prozent.229 Gleichzeitig
sammelten die Banken größere Barreserven an und legten sie zu einem bedeutenden Teil
bei der Preußischen Staatsbank (Seehandlung) an.230 Zudem stiegen die Reichsbankguthaben der Privaten von 51,9 auf 245,8 Mio. GM.231 Vergleichbare Entwicklungen traten
in den Monaten September und Oktober 1923 ein.232 Auch im März und Ende August
1923 ging ein relativ freundlicher Geldmarkt mit steigenden Goldmarkvolumina der
Reichsbankeinlagen einher.233 Allerdings gab es 1923 auch einzelne Monate, in denen
die Entwicklung der Einlagen nicht mit der der Zinsen und den Marktkommentaren
übereinstimmte.234 Insgesamt bilden die Guthaben der Privaten bei der Reichsbank in
den Jahren 1920 bis 1923 jedoch die Bankenliquidität ausweislich von Geldmarktzinsen
und Marktkommentaren recht gut ab.235 Das Gleiche dürfte für das Jahr 1913 gelten, in
dem die Reichsbankguthaben der Privaten veröffentlicht wurden.
VIII. Die potenziellen Liquiditätsreserven der Banken
Potenzielle Liquiditätsreserven der Banken konnten in der Inflationszeit rediskont- und
lombardfähiges Material sein, also im Wesentlichen bonitätsmäßig erstklassige Handelswechsel sowie Schatzanweisungen und Anleihen des Reiches und der Länder.236
228 Die Bank 14 (1921), S. 32, 330, 706; 15 (1922), S. 39, 446, 619 f., 677, 742, 808 f., 870; 16 (1923),
S. 33, 166.
229 Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 70; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 44 (1924/25).
In beiden Fällen ist nicht angegeben, auf welchen Zeitraum sich die Sätze beziehen. Dieser ergibt sich
jedoch, wenn man die zeitgenössischen Marktkommentare zum Marktgeschehen im Monatsverlauf
zu Rate zieht.
230 Die Bank 16 (1923), S. 234 f.
231 Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 53.
232 Die Bank 16 (1923), S. 672, 736.
233 Ebd., S. 300 f., 609.
234 So zum Beispiel im April, als die Einlagen trotz einer Geldverknappung stiegen und das Tagesgeld
teurer wurde bis es am Ultimo schließlich über dem Monatsdurchschnitt lag. Vgl. Die Bank 16 (1923),
S. 366.
235 Die Bank 14 (1921), S. 270, 641; 15 (1922), S. 564; 16 (1923), S. 101.
236 Hinzu kamen bis Mitte 1922 zwar prinzipiell auch Sorten und Devisen aus Hartwährungsländern.
Diese lassen sich jedoch statistisch nicht von den übrigen Barreserven der Banken, also den aktuellen
Liquiditätsreserven, trennen.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
159
Einen besonderen Stellenwert nahmen die Reichsschatzanweisungen ein. Die Banken
wiesen ihre Bestände an Handels- und Schatzwechseln in den veröffentlichten Bilanzen
ungeachtet ihrer Rediskontierbarkeit bei der Reichsbank aus. Eine Summierung ergibt
daher lediglich eine Obergrenze für die Wechselbestände der betreffenden Banken.237
Allerdings wiegt dieses Manko nicht allzu schwer, wurde es im Laufe der Inflationszeit
doch immer leichter, sich bei einer der zahllosen neuen, zum Teil ausdrücklich für diesen
Zweck gegründeten Banken die zur Einreichung bei der Reichsbank erforderliche dritte
Unterschrift zu besorgen.238
Die auch bei den Wechselbeständen bestehenden zeitlichen Lücken der Bilanzstatistiken in den Jahren 1920 und 1921 können leicht geschlossen werden, wenn man das
Fortwirken vorheriger Trends unterstellt – vor allem die Marktanteilsverluste der übrigen
Institute gegenüber den Großbanken. Bilanzielle Werte liegen bei den Wechselbeständen
für die gleichen Institute vor wie bei den Barreserven.239 Die fehlenden Institutsgruppen240
vereinigten auf sich Ende 1913 lediglich 15,9 Prozent der Wechsel- und Schatzanweisungsbestände des gesamten Bankensystems. Zum Ende der Jahre 1924 und 1925 waren
es dagegen jeweils rund 40,1 bzw. 39,5 Prozent.241
Analog zur Berechnung der Barreserve wird zur Hochrechnung der Bestände in den
dazwischenliegenden Jahren unterstellt, dass der Anteil der erfassten Banken während
des Ersten Weltkrieges konstant blieb und danach bis 1923 schrittweise zurückging. Nach
dieser Rechnung fielen die Wechselbestände der Banken von 1913 bis 1914 zunächst von
4,4 auf 4,1 Mrd. GM ab, um danach Jahr für Jahr anzusteigen bis sie 1917 und 1918 mit
über zehn Milliarden GM einen absoluten Höhepunkt erreichten. 1919 und 1920 sanken
die Wechselbestände auf jeweils gut drei Milliarden GM. Sieht man die Zahlen der Berliner Großbanken als repräsentativ an,242 so setzte sich dieser Rückgang ab 1921 fort, bis
die Banken Ende 1923 real nur noch ein Prozent der Bestände des Jahres 1918 hielten.
Handels- und Schatzwechsel machten 1920 in der Spitze 55,4 Prozent der Bilanzsumme
der Berliner Großbanken aus. In den Folgejahren sank dieser Anteil über 42,9 Prozent
und 21,3 Prozent auf 1,6 Prozent in der Goldmark-Eröffnungsbilanz, während er noch
in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg regelmäßig gut 20 Prozent betragen hatte.243 Die
237 Erfasst sind wieder dieselben Institute wie bei den Barreserven.
238 Lansburgh, Bankenwende (wie Anm. 15), S. 372.
239 Im Einzelnen die Berliner Großbanken, die Provinzbanken, die Hypothekenbanken, die Preußische
Zentralgenossenschaftskasse und die DGZ – Deutsche Kommunalbank –. Die Werte der in den einschlägigen Statistiken ebenfalls aufgeführten gewerblichen Kreditgenossenschaften sind dagegen
gerade in den hier besonders interessierenden Jahren der Nachkriegsinflation zu lückenhaft, um zu
mehr als einem reinen Merkposten zu taugen.
240 Mit Ausnahme der Privatbankiers, die Ende 1930 jedoch nur 0,5 Prozent der betreffenden Papiere in
ihrem Bestand hatten. Vgl. Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9), S. 74, 118.
241 Ebd., S. 74. – Dabei ist nicht berücksichtigt, dass Genossenschaftskassen und kleinere Sparkassen
Wechsel nicht bei der Reichsbank, sondern auch bei ihren Zentralinstituten rediskontierten. Auf diese
Institutsgruppen entfielen in den Jahren 1923 und 1924 ein bzw. neun Prozent der Wechselbestände
aller Banken.
242 Bis 1920 waren die Anteile der Berliner Großbanken leicht angestiegen, die der Provinzbanken etwas
abgesunken.
243 Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9), S. 56 ff.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Hartmut Kiehling
Wechselbestände der Banken lagen also im Ersten Weltkrieg weit oberhalb einer zuvor
lange Zeit üblichen Marke und verschwanden danach bis 1923 nahezu vollständig.
Alle Banken
–
–
–
–
–
0
15
17
25
5
0
2
20
Anteil an allen
Banken (in Prozent)
53
170
36
169
329
217
27
57
32
5
10
106
373
Summe
279
312
293
327
483
655
113
116
61
14
4
22
38
DGZ – Deutsche
Kommunalbank –
1.556
1.285
1.279
1.529
2.277
2.273
525
441
242
38
8
191
271
Preußische Zentralgenossenschaftskasse
1.880
1.697
2.027
2.913
5.447
5.828
2.079
2.127
1.212
202
45
1.062
1.492
Hypothekenbanken
Provinzbanken
1913
1914
1915
1916
1917
1918
1919
1920
1921
1922
1923
1924
1925
Berliner Großbanken
Tabelle 9: Bestände der Banken an Handels- und Schatzwechseln 1913–25 (in Mio. GM,
ab 1924 in Mio. RM)
3.768
3.463
3.634
4.938
8.536
8.974
2.758
2.757
1.572
266
67
1.383
2.194
84,1
84
84
84
84
84
84
78
72
66
60
59,9
60,5
4.482
4.100
4.300
5.900
10.200
10.700
3.300
3.500
2.200
400
110
2.310
3.626
Quelle: Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9); Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 15,
138, 192, 199, 211), passim; eigene Berechnungen. Geschätzte Werte sind kursiv gesetzt.
In den vorliegenden Bilanzstatistiken sind Handels- und Schatzwechsel zu einer Position
zusammengezogen, ohne dass vermerkt wäre, ob diese reichsbankfähig waren. Immerhin
erwähnte Lansburgh für „die Kriegsjahre“, dass die Wechselbestände zu mehr als zwei
Dritteln aus Reichsschatzanweisungen bestanden.244 Damit konnten nur die Jahre 1917
und 1918 gemeint sein, denn zuvor wären die resultierenden Summen gemessen an den
insgesamt marktmäßig platzierten Reichsschatzanweisungen zu hoch gewesen.245 Für
das Jahr 1920 schrieb Lansburgh, dass die Berliner Großbanken rund drei Fünftel ihrer
244 Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 138), S. 472.
245 Das galt auch für 1916, zumindest wenn man den Anteil von zwei Dritteln auf alle Banken hochrechnet.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
161
fremden Gelder in Schatzanweisungen angelegten hätten.246 Damit wären 25 Prozent der
ausgegebenen Papiere von diesen Instituten gehalten worden.247 Dies bedeutet, dass die
Berliner Großbanken Ende 1920 überhaupt keine Bestände an Handelswechseln mehr
hielten.248 Für 1921 waren – wiederum nach Angaben Lansburghs – nur noch 46 Prozent
der fremden Gelder in Reichsschatzanweisungen investiert worden, also etwa 700 Mio.
GM bzw. 56 Prozent der Wechselbestände der Großbanken.249 1922 betrugen die Bestände
der Berliner Großbanken an Handelswechseln „annähernd das Siebenfache“250 der (Papiermark-) Vorjahreswerte. Damit errechnet sich nur noch ein Investment der Großbanken
in Reichsschatzanweisungen von rund 90 Mio. GM. Sofern für die übrigen Banken die
gleichen Verhältnisse galten, wären 1917 rund zwei Drittel der marktmäßig platzierten
Reichsschatzanweisungen auf Kreditinstitute entfallen, 1918, 1919 und 1921 jeweils rund
die Hälfte, 1920 aber vier Fünftel. Ende 1922 hatten die privaten Nichtbanken vermutlich
keine nennenswerten Bestände an Reichsschatzanweisungen mehr. Damit lässt sich der
Zeitraum, in dem die privaten Nichtbanken251 in bedeutendem Maße Reichsschatzanweisungen hielten, auf die Jahre 1917 bis 1921 eingrenzen. Dies war ein kürzerer Zeitraum,
als er sich für die Liquiditätsanlage der Unternehmen in Form von Reichsbankguthaben
ergeben hatte (1916 bis 1922). Zu den Gründen für diese Entwicklung zählen neben den
Marktusancen, die die Unternehmen vor 1918 davon abgehalten haben, Reichsschatzanweisungen zu übernehmen, insbesondere für das Jahr 1922 ein weniger ausgeprägtes
„Treueverhältnis“ zur Reichsbank und zum Reich sowie die durch ein lebhafteres Wechseldirektgeschäft bei gleichzeitigem Bargeldmangel automatisch anfallenden Reichsbankguthaben der Unternehmen. Auffällig ist, dass die Volumina der marktmäßig platzierten
Reichsschatzanweisungen von 1917 bis 1921 weit über die der Reichsbankeinlagen der
Privaten hinausgingen. Erstere boten bei nur unwesentlich geringerem Liquiditätsgrad
und ohne Kursrisiko schon allein aufgrund ihrer Verzinslichkeit Vorteile.
Für die Kriegs- und Inflationszeit liegen monatliche Werte der außerhalb der Reichsbank gehaltenen Schatzanweisungen des Reiches vor, die jedoch nicht nach Banken und
Nichtbanken differenzieren. Die Volumina erreichten in der Spitze im August 1918 einen
Wert von 20,1 Mrd. GM.252 Parallel zu den auf Reichsbankkonten gehaltenen Guthaben der
Banken sanken diese Bestände bis Anfang 1920 nahezu kontinuierlich auf 2,1 Mrd. GM ab.
Von Februar bis Juli des Jahres konnten sie sich kurzzeitig auf 8,2 Mrd. GM erholen und
sich mit Schwankungen bis zum Spätsommer des Folgejahres in einer ähnlichen Größenordnung halten. Der nächste Einschnitt erfolgte Mitte 1921. Insbesondere die Großbanken
kauften in der zweiten Hälfte dieses Jahres immer weniger Reichsschatzanweisungen
an. Zum einen entsprach die geringe Verzinsung von 43⁄8 bis 45⁄8 Prozent je nach Laufzeit
nicht mehr ihren Ertragsvorstellungen. Zum anderen war in der Hochkonjunktur auch
246 Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 192), S. 375. Dieselbe Angabe macht Prion, Kreditpolitik (wie
Anm. 40), S. 177.
247 Ebd., S. 177.
248 Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 15), S. 546 f.
249 Ebd.
250 Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 138), S. 472.
251 Das heißt im Wesentlichen die Unternehmen.
252 Elster, Mark (wie Anm. 7), S. 452 f.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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162
Hartmut Kiehling
der Kreditbedarf der Privatwirtschaft gestiegen.253 Von September bis November 1921
sanken die Schatzanweisungsbestände außerhalb der Reichsbank real weiter deutlich ab,
wozu der schwindende Wert der Mark zusätzlich beitrug. Nach einer leichten Erholung im
Januar gingen sie danach bis zum August 1922 – auch in Papiermark gerechnet – stetig
zurück.254 Im August 1922 lag das Volumen der außerhalb der Reichsbank gehaltenen
Schatzanweisungsbestände – in Goldmark gerechnet – nur noch beim dreizehnten Teil
des Vorjahresendstandes. Lediglich in der Stabilisierungsphase von Februar bis April
1923 wurden nach den veröffentlichten Zahlen wieder etwas höhere Bestände gehalten.
1,6
0,4
-1,5
0,7
1,1
0,1
0,5
2,3
-2,6
0,3
0,8
-0,1
0,2
2,1
-2,8
0,5
0,9
1919 Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Juli
August
September
Oktober
November
Dezember
1920 Januar
Februar
März
April
Mai
Von der Reichsbank
gehalten
0,2
0,2
-0,1
-0,2
0,1
1,7
0,4
-1,1
-0,9
0,3
0,4
1,4
1,1
-1,7
-1,5
-0,1
0,4
Außerhalb der
Reichsbank gehalten
Von der Reichsbank
gehalten
1,80
0,60
-1,63
0,55
1,21
1,82
0,89
1,13
-3,53
0,61
1,21
1,28
1,28
0,34
-4,31
0,42
1,30
Insgesamt
Außerhalb der
Reichsbank gehalten
1914 August
September
Oktober
November
Dezember
1915 Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Juli
August
September
Oktober
November
Dezember
Insgesamt
Tabelle 10: Reichsschatzanweisungen, Veränderungen der (Papier-)Mark-Bestände zum
Ultimo des Vormonats 1914–1923 (in Mrd. GM)
1,74
1,38
0,89
1,13
1,05
0,90
0,75
0,47
0,42
0,42
0,21
0,11
0,12
0,03
0,15
0,26
0,73
1,9
1,2
-0,2
0,7
2,0
-0,5
1,5
0,3
0,0
0,4
0,2
-0,6
0,3
0,1
-0,1
0,6
0,9
-0,2
0,1
1,1
0,5
-0,9
1,4
-0,8
0,1
0,5
0,0
0,0
0,7
-0,2
0,0
0,3
-0,3
-0,2
253 Born, Beginn (wie Anm. 19), S. 50.
254 Elster, Mark (wie Anm. 7), S. 452 f.
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163
-0,4
0,4
1,7
-2,4
0,3
0,9
-0,1
0,4
2,7
-2,1
0,1
1,2
-0,9
0,6
3,3
-3,2
0,4
0,9
0,1
0,2
2,4
-2,2
0,3
1,8
-1,3
0,2
2,3
-1,8
0,7
1920 Juni
Juli
August
September
Oktober
November
Dezember
1921 Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Juli
August
September
Oktober
November
Dezember
1922 Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Juli
August
September
Oktober
1,26
0,94
0,57
0,60
0,13
0,42
0,30
0,19
0,42
0,31
0,40
0,27
0,47
0,30
0,59
0,28
0,17
0,15
0,47
0,18
0,13
0,13
0,13
0,13
0,06
0,08
0,06
0,30
0,14
0,4
0,9
1,4 -0,5
0,5
0,1
0,0
0,6
0,2 -0,1
0,2
0,2
-0,1
0,4
0,67 -0,49
0,21 0,21
-0,42 0,73
0,76 -0,36
-0,01 0,28
-0,46 0,93
0,28 0,02
0,39 0,19
-0,25 0,52
0,17 0,01
-0,11 0,26
0,05 0,42
0,31 -0,13
-0,02 0,15
-0,04 0,17
0,00 0,13
-0,06 0,18
-0,14 0,21
-0,06 0,14
-0,04 0,10
0,05 0,25
0,02 0,12
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Von der Reichsbank
gehalten
1,3
1,2
-1,9
-0,5
0,6
0,1
1,3
1,2
-2,3
-0,2
1,0
0,8
2,7
1,3
-2,6
0,0
0,7
0,6
1,7
1,8
-1,7
0,5
0,9
1,0
4,4
2,5
-4,3
0,2
2,0
Außerhalb der
Reichsbank gehalten
Von der Reichsbank
gehalten
0,86
1,64
-0,23
-2,93
0,88
1,03
1,22
1,58
0,44
-2,36
1,16
1,98
1,74
1,93
0,72
-3,17
1,15
1,59
1,82
1,94
0,76
-1,79
1,20
2,81
3,14
2,63
-1,93
-1,56
2,61
Insgesamt
Außerhalb der
Reichsbank gehalten
1916 Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Juli
August
September
Oktober
November
Dezember
1917 Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Juli
August
September
Oktober
November
Dezember
1918 Januar
Februar
März
April
Mai
Insgesamt
Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
164
1,6
-0,4
1,1
3,9
-2,0
0,8
2,7
1922 November 0,13
Dezember 0,37
1923 Januar
0,05
Februar
0,28
März
0,60
April
0,26
Mai
0,11
Juni
0,32
Juli
0,14
August
0,46
September 1,19
Oktober
0,40
November 0,18
Dezember -0,19
Von der Reichsbank
gehalten
Von der Reichsbank
gehalten
1,3
2,9
2,2
-3,1
2,1
0,9
-0,7
Außerhalb der
Reichsbank gehalten
Außerhalb der
Reichsbank gehalten
2,90
2,47
3,30
0,89
0,13
1,70
2,03
Insgesamt
Insgesamt
1918 Juni
Juli
August
September
Oktober
November
Dezember
Hartmut Kiehling
0,02 0,11
0,08 0,29
0,01 0,04
0,03 0,25
0,28 0,32
0,02 0,24
0,00 0,11
0,04 0,28
0,00 0,14
0,08 0,38
0,03 1,16
0,02 0,38
0,00 0,18
0,00 -0,19
Quelle: Statistisches Reichsamt, Wirtschaft (wie Anm. 220), S. 62; eigene Berechnungen.
Als potenzielle Bankenliquidität kamen neben Handels- und Schatzwechseln auch andere
lombardfähige Papiere in Frage. Es waren dies in erster Linie Anleihen des Reiches und
der Länder. Die Bestände der Banken an solchen Papieren stiegen von 1913 bis 1917
vergleichsweise moderat von schätzungsweise 2,4 auf 4,4 Mrd. GM. Nach 3,6 Mrd. GM
im Jahr 1918 ließen die Banken ihre Bestände in den Folgejahren überproportional auf
450 Mio. GM, knapp 400 Mio. GM und 60 Mio. GM zurückgehen. Zum Jahresultimo
1923 erfolgte durch die erhöhten Bestände einiger Bankengruppen eine Erholung auf 50
bis 100 Mio. GM. In den Bilanzen der Banken sind die zum Zweck des Lombardkredits
verpfändeten Papiere jeweils mit enthalten. Die vorhandenen Statistiken zur Lombardkreditgewährung der Reichsbank lassen eine Aufteilung in Direkt- und Bankenkredit
jedoch nicht zu, sodass eine Bereinigung heute nicht mehr möglich ist. Allerdings sind
die Volumina des Reichsbanklombards im Untersuchungszeitraum im Verhältnis zu
denjenigen der lombardfähigen Wertpapiere sehr gering (1914: 0,8 Prozent, 1915–1921:
0,1–0,3 Prozent). Lediglich Ende 1922 – quasi bei einem Null-Bestand der Banken an
lombardfähigen Papieren – und am Jahresultimo 1923 könnte über die Hälfte der bilanzierten inländischen Staatsanleihen bei der Reichsbank (und anderen Instituten des
In- und Auslandes) verpfändet gewesen sein (1922: 52 Prozent, 1923: 268 Prozent; zum
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
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165
Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
Vergleich 1913: 3,9 Prozent, 1924: 4,9 Prozent). Trotz der im Allgemeinen nicht genutzten
Möglichkeit des Lombardkredits zählten lombardfähige Titel nach allgemeiner Auffassung zur potenziellen Bankenliquidität, da die Refinanzierungszusage der Notenbank im
Prinzip ohne Obergrenze galt.255
–
–
–
–
–
0
1
0
0
0
0
2
7
717
840
1.059
1.021
1.309
1.095
136
117
17
0
41
165
112
30
30
30
30
30
30
30
30
30
36
42
48
25
Alle Banken
98
121
171
213
315
269
48
24
8
0
0
7
8
Anteil an allen
Banken (in Prozent)
47
68
50
49
49
27
4
2
1
0
0
0
1
Summe
231
251
337
273
322
242
26
19
2
0
21
34
46
DGZ – Deutsche
Kommunalbank –
126
174
276
263
306
241
28
56
4
0
20
61
45
Gewerbliche Kreditgenossenschaften
Hypothekenbanken
215
225
224
224
317
316
29
15
2
0
0
61
5
Preußische Zentralgenossenschaftskasse
Provinzbanken
1913
1914
1915
1916
1917
1918
1919
1920
1921
1922
1923
1924
1925
Berliner
Großbanken
Tabelle 11: Bestände an Reichs- und Länderanleihen 1913–25 (in Mio. GM, ab 1924 in
Mio. RM)
2.400
2.800
3.500
3.400
4.400
3.600
450
390
60
1
100
347
453
Quelle: Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9); Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 15,
138, 192, 199, 211), passim; eigene Berechnungen. Geschätzte Werte sind kursiv gesetzt.
Nur am Rande seien an dieser Stelle die Nostroforderungen der Banken erwähnt. Sie
waren (volkswirtschaftlich betrachtet) lediglich insoweit Liquiditätsreserven, als sie auf
fremde Währung lauteten. Auch die Nostroforderungen lassen sich aus der Bilanzstatistik
ablesen. Ihre Aufteilung in inländische und fremde Währung ist danach allerdings nicht
möglich. Zudem gibt es keine monatlichen Werte und auch die jährlichen Bilanzstatistiken
weisen für die meisten Institutsgruppen 1921 und 1922 keine Zahlen aus. Immerhin ist
bekannt, dass die Interbankenforderungen Ende 1913 bei den Aktienkreditbanken 636
255 S. die Überlegungen in Kapitel X.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
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166
Hartmut Kiehling
Mio. GM oder 3,9 Prozent der Bilanzsumme betragen haben und bis 1917 Jahr für Jahr
absolut und relativ auf zwei Milliarden GM oder 9,6 Prozent der Bilanzsumme angestiegen sind.256 Der Kursrückgang der Mark ließ die Goldmarkbeträge bis 1920 dramatisch
abnehmen, während sie relativ zur Bilanzsumme nur Ende 1918 leicht sanken. Dieser
vorübergehende Rückgang war ausschließlich auf die Gruppe der Berliner Großbanken
zurückzuführen, die ihre Interbankenforderungen seit Beginn des Krieges in deutlich
geringerem Maße steigerten als die Provinzbanken. Das Gewicht der Interbankenforderungen an der Liquiditätshaltung der Provinzbanken verstärkte sich seit 1915 Jahr für
Jahr. Bei den Berliner Großbanken trat in den ersten beiden Kriegsjahren und 1918 eine
gegenläufige Entwicklung ein. Nostrogelder überstiegen bei den Provinzbanken seit 1915,
bei den Berliner Großbanken seit 1916 die Barreserven. Diese Entwicklung hat sich bei
den Berliner Großbanken per saldo bis 1923 fortgesetzt,257 während die Provinz- und
Hypothekenbanken258 zum Ende der Inflation anteilig wieder etwas höhere Barreserven
hielten.259 Die Interbankenforderungen der Berliner Großbanken stiegen in den Jahren
1921 bis 1923 schrittweise wieder an. Dies galt sowohl in Goldmark als auch relativ zur
Bilanzsumme.260 Auf das Jahr 1923 bezogen stellte Lansburgh fest, dass die Nostroguthaben der Berliner Großbanken „fast restlos aus Valuta-Guthaben [bestanden], welche
die Banken im Auslande, meist im Hochvalutarischen, unterhalten“.261 Er war allerdings
der Meinung, dass diese – wohl aufgrund ihrer Befristung – nicht als Liquiditätsreserve,
sondern als Schutzmaßnahme vor der Geldentwertung anzusehen seien.
Der Kreditschöpfungsspielraum der Banken ist nach der Liquiditätstheorie dann erschöpft, wenn diese ihre potenziellen Liquiditätsreserven vollständig in aktuelle Liquiditätsreserven umgewandelt haben. Aus dem vorhandenen Zahlenmaterial ist ein solcher
Zeitpunkt nicht exakt zu ermitteln. Am Ende der Jahre 1922 und 1923 wurde mit jeweils
rund 550 Mio. GM die geringste potenzielle Bankenliquidität ausgewiesen. Da die Banken
1922 lediglich über äußerst geringe Bestände an lombardfähigen Papieren verfügten, kann
man den Bestand der außerhalb der Reichsbank platzierten Reichsschatzanweisungen als
Indikator für die potenziellen Liquiditätsreserven der Banken ansehen. Danach waren
diese – und mit ihnen der Kreditschöpfungsspielraum der Institute – in den Monaten
August, Oktober und November 1922 sowie Januar 1923 besonders niedrig.
In einer Gesamtübersicht der aktuellen und potenziellen Liquiditätsreserven aller Banken lassen sich weitere Entwicklungslinien erkennen. Von 1914 bis 1916 beschleunigte
sich das Wachstum dieser Reserven real nur wenig.262 Das Jahr 1917 wies danach mit
256 Bei den Berliner Großbanken ebenso wie bei den Provinzbanken.
257 Die Werte dieses Jahres beruhen zwar auf der Goldmark-Eröffnungsbilanz, sind also nach anderen
Kriterien ermittelt als die vorangegangenen Mark-Bilanzen. Barreserve und Nostrogelder wurden
jedoch eins zu eins aus der Mark-Schlussbilanz übernommen.
258 Zu diesen zählten in den von der Bundesbank veröffentlichten Statistiken auch die gemischten Institute.
259 Berechnet nach Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9), S. 56–61, 76–81, 84–87.
260 Die Werte für 1923 sind den Goldmark-Eröffnungsbilanzen entnommen. In der Mark-Schlussbilanz
per 31. Dezember 1923 machten die Interbankenforderungen 38,0 Prozent der Bilanzsumme aus.
Vgl. Die Bank 17 (1924), S. 368. Der von Whale genannte Anteil von 42,1 Prozent für das Jahr 1922
beruht auf einem Rechenfehler, den er aus der Zeitschrift „Die Bank“ übernommen hat. Vgl. Whale,
Banking (wie Anm. 14), S. 221.
261 Lansburgh, Bankenwende (wie Anm. 15), S. 367 f.
262 Die Reserven stiegen um 1914 um fünf, 1915 um zehn und 1916 um 15 Prozent an.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
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167
Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
einem Plus von 54 Prozent einen deutlichen Sprung auf. Die Volumina lagen 1916 bei
rund elf Milliarden GM, 1917 und 1918 jeweils über 16 Mrd. GM. Damit war der Höhepunkt erreicht. 1919 gab es einen Rückgang von drei Vierteln auf gut vier Milliarden
GM, die Folgejahre erlebten zunächst eine vorübergehende Stabilisierung und dann ein
weiteres Absinken um 40 Prozent (1921) bzw. 80 Prozent (1922). Die Zusammensetzung
der Liquiditätsreserven variierte im Laufe der Kriegs- und Inflationszeit deutlich. 1913
waren 16 Prozent der (aktuellen und potenziellen) Bankenliquidität als Barreserve gehalten worden – ein Prozentsatz in der Größenordnung der Jahre 1924 und 1925. Dieser
Anteil stieg nach Kriegsbeginn kurz an, verringerte sich danach jedoch Schritt für Schritt
bis er 1918 nur noch elf Prozent betrug. Dies war bis 1915 darauf zurückzuführen, dass
die Banken ihre lombardfähigen Papiere – insbesondere Anleihen des Reiches und der
Länder – aufstockt hatten. Deren Anteile an den Liquiditätsreserven gingen jedoch danach über mehrere Jahre zurück und beliefen sich 1922 auf deutlich unter einem Prozent.
Stattdessen investierten die Banken seit 1916 verstärkt in Handels- und Schatzwechseln,
sodass der Wechselbestand der Banken von einem Anteil von 45 Prozent (1915) auf
81 Prozent (1921) kletterte. Da der Ankauf von Handelswechseln durch die Reichsbank
vom Sommer 1914 bis Anfang 1920 ständig zurückging,263 die marktmäßige Platzierung
der Reichsschatzanweisungen jedoch von Ende 1916 bis zum Sommer 1918 in Papier- und
Goldmark enorm anstieg, war diese Zunahme mit Sicherheit auf den erhöhten Bestand
der Banken an Reichsschatzanweisungen zurückzuführen.
Liquiditätsreserven****
Reichsbankfähige,
verzinsliche Wertpapiere***
Bilanzsumme
380
538
598
635
937
in Mio. GM, 1924: in Mio. RM
1.880
215
2.475
1.697
225
2.460
2.027
224
2.850
2.900
233
3.767
5.284
338
6.559
Nostroguthaben
bei Banken
1913
1914
1915
1916
1917
Wechsel und unverzinsliche
Schatzanweisungen ohne
Solawechsel, eigene Akzepte
und Ziehungen**
Barreserve*
Tabelle 12: Liquiditätsreserven der Berliner Großbanken laut Bilanz zum Jahresultimo
1913–24
337
326
344
485
1.009
8.391
7.643
7.605
8.603
13.131
263 Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 53.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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168
1918
1919
1920
1921
1922
1923*****
1924
723
228
246
169
58
107
201
1913
1914
1915
1916
1917
1918
1919
1920
1921
1922
1923*****
1924
4,5
7,0
7,9
7,4
7,1
6,3
5,8
6,4
6,0
6,1
6,1
5,0
1913
1914
1915
1916
15,4
21,9
21,0
16,8
in Mio. GM, 1924: in Mio. RM
5.725
330
6.777
2.070
32
2.331
2.127
18
2.391
1.212
3
1.385
202
0
260
28
11
146
890
13
1.105
in Prozent der Bilanzsumme
22,4
2,6
29,5
22,2
2,9
32,2
26,7
3,0
37,5
33,7
2,7
43,8
40,2
2,6
49,9
49,6
2,9
58,7
52,7
0,8
59,4
55,4
0,5
62,3
42,9
0,1
49,0
21,3
0,0
27,4
1,6
0,6
8,3
21,9
0,3
27,2
in Prozent der Liquiditätsreserven
76,0
8,7
100,0
69,0
9,1
100,0
71,1
7,9
100,0
77,0
6,2
100,0
Bilanzsumme
Nostroguthaben
bei Banken
Liquiditätsreserven****
Reichsbankfähige,
verzinsliche Wertpapiere***
Wechsel und unverzinsliche
Schatzanweisungen ohne
Solawechsel, eigene Akzepte
und Ziehungen**
Barreserve*
Hartmut Kiehling
556
324
264
316
336
478
670
11.549
3.926
3.840
2.826
950
1.751
4.056
4,0
4,3
4,5
5,6
7,7
4,8
8,3
6,9
11,2
35,4
27,3
16,5
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
13,6
13,3
12,1
12,9
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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169
Bilanzsumme
Nostroguthaben
bei Banken
Liquiditätsreserven****
14,3
10,7
9,8
10,3
12,2
22,3
73,3
18,2
in Prozent der Liquiditätsreserven
80,6
5,2
100,0
84,5
4,9
100,0
88,8
1,4
100,0
89,0
0,8
100,0
87,5
0,3
100,0
77,7
0,0
100,0
19,0
7,7
100,0
80,6
1,2
100,0
Reichsbankfähige,
verzinsliche Wertpapiere***
Wechsel und unverzinsliche
Schatzanweisungen ohne
Solawechsel, eigene Akzepte
und Ziehungen**
1917
1918
1919
1920
1921
1922
1923*****
1924
Barreserve*
Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
15,4
8,2
13,9
11,1
22,9
129,1
328,1
60,7
*)
Kasse, Sorten, Kupons, Guthaben bei Noten- und Abrechnungsbanken.
1913–15: eigene Akzepte und Ziehungen und Solawechsel nicht berücksichtigt.
***)
Zum geringeren Teil geschätzt. 1913–15: Anleihen des Reiches und der Bundesstaaten.
****) Barreserve, diskont- und lombardfähige Wertpapiere.
*****) Goldmark-Eröffnungsbilanz zum 1. Januar 1924.
Quelle: Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 15, 138, 192, 199, 211), passim; eigene Berechnungen.
**)
In den Jahren 1919 bis 1921 sah sich die deutsche Volkswirtschaft einem umfangreichen
Zustrom von Devisen aus Hartwährungsländern ausgesetzt,264 den die Banken offenbar
anderweitig nicht mehr vollständig sinnvoll investieren konnten. In den beiden Folgejahren ging dagegen die Bedeutung der Wechselbestände für die Bankenliquidität in großen
Schritten zurück (auf gut 70 bzw. 20 Prozent). Der Anteil der Reichsschatzanweisungen
sank dabei vermutlich bereits zum Jahresende 1922 noch stärker, da die Reichsbank ihren
Ankauf von Handelswechseln seit September des Jahres stark forciert hatte. Zum Jahresultimo 1923 hielten die Banken nur noch sehr wenige Reichsschatzanweisungen. Deren
Stelle nahmen zu diesem Zeitpunkt die Anleihen des Reiches und der Länder ein, denen
mit knapp 18 Prozent eine im Vergleich der Jahre zuvor außerordentlich große Bedeutung
zukam. Zu einer wichtigen Komponente der Liquiditätshaltung der Kreditinstitute hatte
sich in der Zeit der offen ausgebrochenen Inflation die Barreserve entwickelt. Ihr Anteil
stieg von 1918 bis 1923 auf 62 Prozent.
264 Holtfrerich, Kapitalexport (wie Anm. 182), S. 497–529.
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Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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170
Hartmut Kiehling
Tabelle 13: Liquiditätsreserven der Kreditinstitute 1913–25 (in Mio. GM, ab 1924 in
Mio. RM)
Handels- und
Schatzwechsel
Lombardfähige
Wertpapiere
Insgesamt
Summe der
Liquiditätsreserven
1913
1914
1915
1916
1917
1918
1919
1920
1921
1922
1923
1924
1925
Potenzielle Liquiditätsreserven
Barreserve
Aktuelle Liquiditätsreserven
1.312
1.700
1.600
1.600
2.300
1.800
600
650
460
160
340
630
707
4.482
4.100
4.300
5.900
10.200
10.700
3.300
3.500
2.200
400
110
2.310
3.626
2.400
2.800
3.500
3.400
4.400
3.600
450
390
60
1
100
347
453
6.882
6.900
7.800
9.300
14.600
14.300
3.750
3.890
2.260
400
210
2.657
4.079
8.200
8.600
9.400
10.900
16.900
16.100
4.350
4.540
2.720
560
550
3.287
4.786
Quelle: Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9); Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 15,
138, 192, 199, 211), passim; eigene Berechnungen. Geschätzte Werte sind kursiv gesetzt.
Noch ausgeprägter entwickelte sich der Reservesatz der deutschen Banken, also das
Verhältnis zwischen der Barreserve der Banken und den Einlagen der Nichtbanken. Er
wird im Kreditschöpfungsmultiplikator der traditionellen Kreditschöpfungstheorie als
Maß für die Liquiditätshaltung der Banken verwandt. Seine Werte lagen in der Kriegszeit
mit durchschnittlich 5,8 Prozent nur geringfügig über dem Wert von 1913 (4,0 Prozent).
Die Jahre bis 1921 sahen jeweils einen Anstieg von rund zwei Prozentpunkten, während
die Kennzahl am Jahresultimo 1922 und 1923 Werte von 24,5 Prozent bzw. 92,1 Prozent
erreichte.
Ermittelt man aus dem Verhältnis der (aktuellen und potenziellen) Liquiditätsreserven
aller Banken zu ihren Einlagen eine Liquiditätsquote,265 so ergab sich bis 1920 und 1921
265 Diese stimmt jedoch nicht mit der Liquiditätsquote aus dem Kreditschöpfungsmultiplikator der Liquiditätstheorie überein (s. Kapitel III), da diese eine exakte Quantifizierung der Überschussreserven
voraussetzt.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
171
ein stetiger Anstieg von 25 auf 68 Prozent. In der Hyperinflation stiegen die Jahresendstände von 84 Prozent (1922) auf 149 Prozent (1923). Bei den Aktienkreditbanken zeigte
sich ein auffällig unterschiedlicher Verlauf. Bereits 1913 lag ihre Quote bei knapp über
100 Prozent, die bis Ende 1917 nochmals auf 113 Prozent anzog. Der Niveauunterschied
zur Gesamtheit der deutschen Banken ging in dieser Zeit vermutlich auf die Reservefunktion besonders der Berliner Großbanken, aber auch einiger großer Provinzbanken zurück.
Die Jahre 1918 bis 1920 brachten nochmals deutlich erhöhte Werte um 140 Prozent – ausschließlich ein Resultat der erhöhten Bestände der Berliner Großbanken an potenzieller
Bankenliquidität. In den beiden Folgejahren ging die so berechnete Liquiditätsquote der
Aktienkreditbanken entgegen des Branchentrends auf 111 bzw. 93 Prozent zurück und
lag 1923 trotz eines Wiederanstiegs auf 118 Prozent deutlich unter dem Schnitt aller Banken. Holtfrerich hat diese Liquiditätsquote der Aktienkreditbanken für die Jahre 1920 bis
1922 im Zweimonatsabstand errechnet.266 Danach wies die Liquiditätsausstattung dieser
Banken im April 1920 sowie um die Jahreswende 1920/21 jeweils Tiefpunkte auf. Ein
nachhaltiger Rückgang begann im August 1921. Ihre Talsohle war im April 1922 bereits
nahezu erreicht. Ab August 1922 verbesserte sich die Liquiditätsquote schon wieder. Die
Entwicklung der Liquiditätsquote stimmte bis Mitte 1922 gut mit der Liquiditätslage des
Publikums überein, wie sie sich in dieser Zeit im Verhältnis zwischen Postscheckguthaben und -umsätzen darstellte. Der Anstieg der Liquiditätsquote in der Zeit danach ist
am ehesten erklärbar, wenn man für diesen Zeitpunkt (und erst für diesen) eine starke
Zurückhaltung der Banken in ihrer Kreditgewährung und in der Investition dieser Gelder
in wertbeständige liquide Mittel unterstellt – wie auch aus den zeitgenössischen Quellen
hervorgeht. Die Kreditversorgung der Wirtschaft übernahm jetzt zu großen Teilen die
Reichsbank.
Die Reichsbank hat der Nachfrage nach Zentralbankgeld während der Revolutionszeit
noch längere Zeit ohne nennenswerte Restriktionen nachgegeben und dadurch den Abzug
von Einlagen bei den Banken bis Anfang 1919 kompensiert. Es folgte eine Phase eher
abwartenden Agierens, während die Liquiditätsversorgung der Wirtschaft insbesondere
aufgrund des Verfalls der Mark real drastisch zurückging. Erst ab dem März 1920 stieg
die Kreditgewährung der Reichsbank kurzzeitig wieder an, bevor sie 1921 bereits zwei
Monate vor den ersten Einlageabzügen wieder abgebaut wurde. Die realen Volumina des
Reichsbankkredits gingen danach bis weit nach dem Einsetzen der Liquiditätskrise im
Sommer 1922 zurück. Die Reichsbank hat demnach seit 1919 mit wenigen Ausnahmen
keine ausgesprochen expansive Kreditpolitik verfolgt.
Die Anteile des Diskonts von Reichsschatzanweisungen und der Kredite der Darlehenskassen am Notenbankkredit bewegten sich von Anfang 1915 bis Mitte 1922
spiegelbildlich. Das Gleiche galt ab der Jahresmitte 1922 für den Anteil des Diskonts
von Reichsschatzanweisungen zu dem von Handelswechseln. Eine ähnliche Bewegung
vollzogen auch die realen monatlichen Volumina. Die Reichsbank hat also parallel zu
den Wechselankäufen 1922/23 ihren Staatskredit zurückgenommen.
266 Holtfrerich legt dabei die in der Zeitschrift „Wirtschaftskurve“ veröffentlichten Werte der Kreditoren
und Debitoren der Aktienkreditbanken zugrunde. Vgl. Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 69. Die
Jahresendstände stimmen nicht exakt mit den zuvor erwähnten überein, da bei dieser Berechnung Veränderungen der übrigen Bilanzpositionen (durchlaufende Posten, Beteiligungen, Immobilien, ausgewiesenes
Eigenkapital, Akzepte und uneingelöste Schecks, sonstige Passiva) Verzerrungen bewirkten.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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172
Hartmut Kiehling
Abbildung 19: Liquiditätsquote* 1913–25
2,5
2
1,5
1
0,5
0
1913
1914
1915
1916
alle Banken
1917
1918
1919
Aktien-Kreditbanken
1920
1921
Berliner Großbanken
1922
1923
1924
1925
Provinzbanken
* (Barreserven + potenzielle Liquiditätsreserven) zu Einlagen.
Quelle: Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9), passim; Lansburgh, Großbanken (wie
Anm. 15, 138, 192, 199, 211), passim; eigene Berechnungen.
Zusammenfassend ist festzuhalten:
(1.) Ausweislich der außerhalb der Reichsbank platzierten Reichsschatzanweisungen
war der Kreditschöpfungsspielraum der Banken in den Monaten August, Oktober
und November 1922 sowie im Januar 1923 besonders niedrig.
(2.) Die Liquiditätsausstattung der Aktienkreditbanken ging ab August 1921 nachhaltig
zurück. Ihre Talsohle war im April 1922 bereits nahezu erreicht. Diese Entwicklung
stimmte bis Mitte 1922 mit der Liquiditätslage des breiten Publikums überein. Im
Gegensatz zu dieser verbesserte sich die Liquiditätsausstattung der Aktienkreditbanken – und wohl nur ihre – ab August 1922 wieder, was auf eine deutliche
Zurückhaltung dieser Institute in ihrer Kreditgewährung und in der Investition der
betreffenden Gelder in wertbeständige liquide Mittel schließen lässt.
IX. Die Überschussreserven der Banken
Nach der traditionellen Theorie ist der Kreditschöpfungsspielraum der Banken dann erschöpft, wenn deren Überschussreserven aufgebraucht sind. Unter Überschussreserven
versteht man im Allgemeinen die frei verfügbaren Zentralbankguthaben der Banken.
Nicht frei verfügbar ist heute in einigen Ländern ihr Mindestreserveerfordernis. Das
Notenbankinstrument der Mindestreserve für Banken hat in Deutschland jedoch erst die
Bank deutscher Länder angewandt. Nicht frei verfügbar ist im Prinzip auch derjenige Teil
der Zentralbankguthaben der Banken, den diese für den bargeldlosen Zahlungsverkehr
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173
Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
benötigen.267 In der Gegenwart spielen derartige Überlegungen allerdings meist keine
Rolle mehr, da die Banken ihre Konten bei der Zentralbank entweder unmittelbar überziehen können oder ihnen eine anderweitige automatische Kreditmöglichkeit268 offen
steht. Die Überschussreserven (Ü) ließen sich unter den Verhältnissen der Inflationszeit
also als Differenz zwischen den tatsächlich gehaltenen Guthaben (DB) und den für den
Zahlungsverkehr notwendigen Working Balances WB der Banken bei der Zentralbank
definieren:
Ü = DB – WB.
Weiter oben wurde gezeigt, dass die Veränderungen der Guthaben der Privaten bei
der Reichsbank seit 1920 recht gut die Entwicklung der Liquiditätssituation der Banken
widerspiegelten. In der Folge wird dieser Umstand genutzt, um Aussagen über die zeitliche Entwicklung des Kreditschöpfungsspielraums der Banken zu gewinnen. Zudem
ist abzuschätzen, wie hoch die Working Balances in der fraglichen Zeit mindestens sein
mussten.
Abbildung 20: Umsätze im Zahlungsverkehr 1913–23 (in Mio. GM)
12.000
10.000
Abrechnungsverkehr
der Reichsbank
8.000
6.000
4.000
2.000
Postscheckverkehr
1923
1922
1921
1920
1919
1918
1917
1916
1915
1914
1913
0
Quelle: Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 52 ff.; eigene Berechnungen.
267 Geht man davon aus, dass das Interesse der Banken primär darauf gerichtet war, ihre Mittel zu einem
akzeptablen Risiko ausreichend zu verzinsen, so kamen für sie (unverzinsliche) Einlagen bei der
Reichsbank nur aus drei Gründen in Betracht: als Working Balance für den Zahlungsverkehr, als
Liquiditätspuffer und mangels anderweitiger Anlagemöglichkeiten. Den ersten Grund gilt es hier zu
isolieren.
268 In Deutschland beispielsweise auf dem Wege des Giroüberzugslombards.
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174
Hartmut Kiehling
Der Giro- und Abrechnungsverkehr der Reichsbank umfasste neben der Abrechnung die
sonstigen Verrechnungen,269 Barzahlungen, Fern- und Platzübertragungen.270 Geht man
allein von den vorhandenen Jahreszahlen271 aus und sieht von geringen Doppelzählungen
ab,272 so entfielen davon auf die Abrechnungen lediglich zwischen 2,5 Prozent (1919)
und sechs Prozent (1922). Dennoch sind die Abrechnungsvolumina zur Abschätzung
der Working Balances vermutlich ausreichend gut geeignet. Barzahlungen, Fern- und
Platzüberweisungen haben sich kurzfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit im Rhythmus
des gesamten Zahlungsverkehrs entwickelt. Sie gehorchten denselben Einflussfaktoren
wie zum Beispiel dem Abrechnungsverkehr, der Konjunkturentwicklung, der zeitweisen
Beschleunigung oder Verlangsamung der Inflation etc. Lediglich die Verrechnungen
der Reichsbank hatten wohl ein anderes Verlaufsmuster, das sich jedoch im Großen und
Ganzen durch die Entwicklung des (Handels- und Schatz-) Wechselgeschäfts der Reichsbank abschätzen lässt. Verschiebungen zwischen den einzelnen Zahlungsverkehrsarten
gingen ansonsten auf trendmäßige, allmähliche Veränderungen zurück, so zum Bespiel
die Marktanteilsverluste der Reichsbank im Fernverkehr. Der Abrechnungsverkehr bei der
Reichsbank verlor während des Krieges stetig an Gewicht bis 1919 nur noch 2,5 Prozent
der Umsätze im Giro- und Abrechnungsverkehrs auf ihn entfielen (1913: 12,1 Prozent).
Danach stieg dieser Anteil bis 1922 wieder auf sechs Prozent. Genau spiegelbildlich dazu
bewegten sich die Volumina der Platzübertragungen, während der Anteil der Fernübertragungen seit 1915 stetig zurückging.273 Dahinter standen Marktanteilsverluste an den
Postscheckverkehr und vermutlich auch an den Spargiroverkehr sowie ab 1920 an den
Zahlungsverkehr der Großbanken. Kurzfristig ergaben sich Verschiebungen im Giro- und
Abrechnungsverkehr der Reichsbank nur in den Beschleunigungsphasen der Geldentwertung durch das Anschwellen der baren Auszahlungen sowie in weit geringerem Maße auch
durch Platzübertragungen. Barauszahlungen resultierten bei der Reichsbank aus dem Bargeldbedarf der Kreditinstitute und den Gehaltszahlungen der Wirtschaft, Bareinzahlungen
aus den Einzahlungen zur Überweisung durch Privatleute und kleine Gewerbetreibende
sowie der Einlieferung überschüssiger Barmittel durch Banken und Handelsbetriebe.
In der Grob- und Feinstruktur der Bewegung stimmten die Umsätze im Postscheckverkehr in der Kriegs- und Inflationszeit auffallend gut mit denen des Abrechnungsverkehrs
überein. Abgesehen von der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und von gewissen temporären
Marktanteilsgewinnen des Postscheckverkehrs von 1917 bis 1919 sowie im Jahr 1922
entwickelten sich die Umsätze im Postscheck- und Abrechnungsverkehr synchron. Nur
auf wenige Monate traf dies nicht zu, so im Juni und Juli 1918 sowie im Dezember 1918
und Januar 1919. Da der Postscheckverkehr von seiner Zusammensetzung her eher den
Fernübertragungen der Reichsbank entsprach, ist auch diese Übereinstimmung zwischen
Abrechnungs- und Postscheckumsätzen ein Hinweis auf einen relativ einheitlichen Rhyth269 Das heißt Verrechnungen der Reichsbank, die auf der einen Seite ein Konto der Girobuchhaltung, auf
der anderen Seite ein Erfolgs- oder Bestandskonto auswiesen, zum Beispiel im Postscheckverkehr
oder für Gebühren aus dem Wechsel-, Lombard- und Sortengeschäft.
270 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 44 (1924/25), S. 313.
271 Mit Ausnahme des Abrechnungsverkehrs.
272 In den Verrechnungen sind die Abrechnungssalden enthalten.
273 Platz- und Fernübertragungen betrafen Buchungen zwischen Girokonten derselben bzw. verschiedener
Reichsbankzweiganstalten.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
175
mus der einzelnen Bestandteile des Reichsbankgiroverkehrs. Damit ist es vertretbar, die
Abrechnungsumsätze als repräsentativ für die gesamten Zahlungsverkehrsumsätze der
Reichsbank anzusehen.
Die relative Entwicklung der für den Zahlungsverkehr notwendigen Working Balances
der Banken bei der Reichsbank kann man nach diesen Überlegungen abschätzen, indem
man die privaten Reichsbankeinlagen in einem ersten Schritt ins Verhältnis zu den Abrechnungsvolumina setzt.274 Die entsprechenden Berechnungen ergeben ein relativ klares
Bild. Die privaten Reichsbankeinlagen machten 1913 und im ersten Halbjahr 1924 6,1
bis 9,7 Prozent der Abrechnungsumsätze aus. Von Anfang 1920 bis Anfang 1923 lagen
die privaten Reichsbankguthaben – von wenigen Ausnahmen abgesehen – zwischen zehn
und 20 Prozent der Umsätze im Abrechnungsverkehr.275 Interessant ist insbesondere die
Entwicklung im zweiten Halbjahr 1922. Die Einlagen der Privaten bei der Reichsbank
fielen im Juli 1922 von zwölf auf 9,3 Prozent und im Monat darauf auf 7,4 Prozent der
Abrechnungsumsätze. Offensichtlich trat danach mit der Beruhigung der Spekulation
gegen die Mark in den letzten beiden Monaten des Jahres auch eine Entspannung der
Liquiditätssituation der Banken ein. Jedenfalls wies die genannte Kennzahl im Dezember einen Wert von 18,7 auf und war damit so hoch wie seit einem Jahr nicht mehr. Mit
der erneuten drastischen Schwäche der Mark auf den Devisenmärkten im Januar 1923
sanken dann die Arbeitsguthaben der Banken bei der Reichsbank auf extrem niedrige
5,8 Prozent der Abrechnungsumsätze. Die meisten der darauf folgenden Monate könnten
von einer Entspannung der Situation gekennzeichnet sein. Lediglich im Juli 1923 kamen
die Banken der Sechs-Prozentgrenze noch einmal nahe. Dabei sah das Jahr 1923 jedoch
wieder stärkere Schwankungen, die die Überschussreserven der Banken in diesem Ausmaß
wohl nicht abbilden.276 Inflationsverlauf und wirtschaftliche Entwicklung waren nun so
sprunghaft, dass die unterschiedlichen zeitlichen Bezüge277 der verwendeten Größen mit
hoher Wahrscheinlichkeit für zusätzliche Verwerfungen sorgten.
Die Gegenüberstellung von Reichsbankeinlagen und Abrechnungsvolumina ermöglicht
es, die Liquiditätslage der Banken unabhängig vom Dollarkurs und den Auswirkungen der
Dollarkursänderungen auf die Liquiditätshaltung der Banken zu untersuchen. Dabei stellt
sich heraus, dass es einerseits Phasen mit einer ausgeprägten Dollarkursabhängigkeit gab,
in denen eine relative Stabilität der Mark mit wachsenden Guthaben bei der Reichsbank
vice versa einhergingen. Dies war im Herbst 1917 der Fall, in den Monaten um die Jahreswende 1919/20, im Juli und Dezember 1920, im Juni 1922 sowie im Dezember 1922.
Andererseits wurden die Reichsbankguthaben der Privaten über lange Zeiträume hinweg
von der Veränderung des Dollarkurses kaum oder gar nicht beeinflusst.
274 Für die Quantifizierung der Überschussreserven müsste dagegen bedacht werden, inwieweit die privaten Reichsbankeinlagen nach den obigen Überlegungen auf Nichtbanken entfielen.
275 In den Kriegsjahren stiegen die Prozentzahlen weit darüber hinaus – von 31 Prozent (Jahresdurchschnitt 1915) kontinuierlich auf 66 Prozent (Jahresdurchschnitte 1918 und 1919). Sieht man von den
Zeichnungsmonaten der Kriegsanleihen ab, so verzeichneten vom Herbst 1918 bis zum Frühjahr 1919
einzelne Monate Werte von 80 bis 90 Prozent. Danach folgte ein scharfer, nur in wenigen Monaten
unterbrochener Rückgang. Diese Zahlen geben allerdings aufgrund der stark verzerrenden Reichsbankguthaben der privaten Nichtbanken lediglich Indikationen.
276 Eigene Berechnungen nach Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 50–53.
277 Reichsbankguthaben zum Monatsultimo, Abrechnungsvolumina als Monatssummen.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Abbildung 21: Indikator für die Überschussreserven 1920–23 (Stand zum Monatsende,
entspricht Mio. GM)
1.600
1.400
1.200
1.000
800
600
400
200
0
1923
1922
1921
1920
-200
Quelle: Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 48–53; eigene Berechnungen.
Im letzten Friedensjahr 1913 sanken also die privaten Reichsbankguthaben ebenso wie
in der Kriegs- und Inflationszeit nicht unter eine Grenze von sechs Prozent der Abrechnungsvolumina.278 Man kann also davon ausgehen, dass Working Balances in dieser Höhe
mindestens notwendig waren, um den Zahlungsverkehr abzuwickeln. Ein Blick auf die
Verhältnisse im Postscheckverkehr bestätigt diese Rechnung. Zwar wies das Verhältnis
zwischen Postscheckguthaben am Ende eines Monats und Postscheckumsätzen desselben Monats in der Kriegs- und Inflationszeit bei Weitem geringere Schwankungen auf.
Die Postscheckguthaben sanken jedoch nicht unter 5,5 Prozent der Postscheckumsätze
desselben Monats. Diese Werte wurden wiederum in der Zeit bis Mitte 1914 und in der
zweiten Hälfte des Jahres 1922 erreicht.279 Über sechs Prozent der Abrechnungsvolumina
hinausgehende Reichsbankguthaben der Privaten sind jedoch nicht in voller Höhe als
Überschussreserven der Banken zu betrachten. Darüber hinausgehende Guthaben kann
man nicht in voller Höhe als Überschussreserven betrachten, da zumindest von 1916 bis
1919, wahrscheinlich jedoch bis 1921/22 auch die Unternehmen in bedeutendem Ausmaß
Guthaben bei der Reichsbank gehalten haben. Sie stellen – vor allem seit 1920 – einen
brauchbaren Indikator dar. Im Februar 1920 erreichten die Überschussreserven der Banken
nach einem dramatischen Rückgang einen ersten Tiefstand, dem sich bis zum Juni nur
eine kurzzeitige Erholung anschloss. In den nun folgenden zwei Jahren bildeten sich die
Überschussreserven unter Schwankungen zurück, bis sie im Zuge der Liquiditätskrise im
278 Januar 1913: 6,2 Prozent; April und Mai 1913: je 6,4 Prozent; Juli 1913: 6,1 Prozent; Oktober 1913:
6,0 Prozent; Januar 1923: 5,8 Prozent.
279 Vgl. Abbildung 13.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
177
Sommer 1922 praktisch nicht mehr vorhanden waren. Danach kann man davon ausgehen,
dass die Banken in den Monaten Juli, August und Oktober 1922 nahezu keinen und im
Januar 1923 überhaupt keinen Spielraum für eine weitere Kreditvergabe hatten.280 Die
Reichsbank führte diese Entwicklung – wenigstens zum Teil – auf die bewusste Reduzierung der Einlagen angesichts gestiegener Inflationserwartungen zurück.281 In den Monaten
März, April und September 1923 erholten sich die Werte zeitweise auf niedrigem Niveau.
In den beiden gegenläufigen Phasen Mitte 1920 sowie im März und April 1923 waren die
Einlagen der Privaten bei der Reichsbank verstärkt den Nichtbanken zuzurechnen, da die
Reichsbank in dieser Zeit ihr (Diskont-) Direktgeschäft mit den Nichtbanken ausgeweitet
hatte. Die ermittelten Werte bilden die relative Entwicklung der Überschussreserven in
diesen Zeiträumen nicht mehr ausreichend ab. Es ist damit wahrscheinlich, dass sich die
Überschussreserven der Banken von Anfang 1919 bis zum Sommer 1922 relativ kontinuierlich zurückbildeten.
X. Der Notenbankkredit
Der Notenbankkredit ist die alleinige Quelle des Zentralbankgeldes, das das Bankensystem für die Kreditgewährung über ihre Einlagenbestände hinaus benötigt – jedenfalls
soweit Kredit in inländischer Währung gewährt wird. Der Kredit der Reichsbank ist für
die hier behandelte Zeit auch im Monatsablauf sehr gut dokumentiert. Weniger gut ist
die Aufteilung seiner einzelnen Ausprägungen (Ankauf von Reichsschatzanweisungen,
(Re-) Diskont von Handelswechseln, Lombardkredit und Kredit der Darlehenskassen) auf
Banken, Nichtbanken und Staat bekannt. Sie lässt sich allenfalls für einzelne Perioden mit
einiger Sicherheit nachvollziehen. Nach einem ersten starken Anstieg zu Kriegsbeginn
erhöhte sich der Notenbankkredit bis Mitte 1916 real zunächst nur wenig, wuchs dann
etwas stärker und machte im Dezember 1917 einen regelrechten Sprung. Seinen höchsten
Wert erreichte er im September 1918 mit 22,5 Mrd. GM, das heißt rund dem Achtzehnfachen des Vorkriegsstandes. Von Februar 1919 bis Februar 1920 folgte ein scharfer Abfall
auf 2,7 Mrd. GM, eine viermonatige Erholung und gleich anschließend eine schrittweise
Verminderung auf real noch sehr viel niedrigere Beträge.282 Im Gegensatz dazu verblieben
die Umsätze im Zahlungsverkehr, die marktmäßig platzierten Reichsschatzanweisungen
oder die Postscheckguthaben nach der Erholung rund 1½ Jahre auf dem neuen Niveau
und gingen erst seit der Jahresmitte 1921 außerordentlich stark zurück. Im Gefolge des
Ruhrkampfes erreichte der Notenbankkredit in einzelnen Monaten des Frühjahrs und
Sommers 1923 real wieder etwas höhere Werte.
Ein Vergleich mit den Einlagen der Nichtbanken bringt bemerkenswerte Unterschiede
zu Tage. So begann der Abstieg 1918/19 mit einer Verzögerung von zehn Monaten. Die
Reichsbank hat also der Nachfrage nach Zentralbankgeld während der Revolutionszeit
noch längere Zeit ohne nennenswerte Restriktionen nachgegeben und dadurch den Abzug
280 Prion berichtete von einem „Stocken“ der Kreditgewährung in den Monaten Juni und Juli 1922. Vgl.
Prion, Kreditpolitik (wie Anm. 40), S. 181.
281 Webb, Hyperinflation (wie Anm. 60), S. 30.
282 Im Durchschnitt der Monate Juli 1922 bis Dezember 1923: 846 Mio. GM.
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von Einlagen bei den Banken bis Anfang 1919 kompensiert. Dagegen hat sie die bald
darauf folgende Liquiditätskrise nicht verhindert. Erst als sich nach dem Scheitern des
Kapp-Putsches ohnehin national wie international wieder Vertrauen bildete, stieg kurzzeitig auch die Kreditgewährung der Reichsbank an. Bemerkenswert ist ferner der frühzeitige, spätestens im April 1921 – und damit zwei Monate vor den ersten Einlageabzügen
– stattfindende Abbau, der insbesondere die Darlehenskassen und damit denjenigen Kredit
betraf, der direkt für die Wirtschaft zur Verfügung stand. Auffallend ist schließlich, dass
das Volumen an Reichsbankkrediten real bis weit nach dem Einsetzen der Liquiditätskrise
im Sommer 1922 zurückging. Die Reichsbank hat demnach seit 1919 keine expansive
Kreditpolitik verfochten, sondern im Großen und Ganzen lediglich defensiv auf die an
sie herangetragenen Kreditwünsche reagiert. Darauf deutet auch die bereits genannte
Untersuchung von Sargent und Wallace hin, die für den Zeitraum von November 1920
bis Mai 1923 einen kausalen Zusammenhang zwischen der Preissteigerungsrate und dem
Geldangebot der Reichsbank nachweist.283 Betrachtet man diesen Zeitraum allerdings
genauer, so sind die Perioden von April bis Juni 1920 sowie von August bis Oktober 1922
von dieser Aussage auszunehmen.
Abbildung 22: Notenbankkredit 1913–23 (in Mio. GM)
25.000
20.000
Kredite der
Darlehenskasse
15.000
10.000
5.000
Diskont von
Handelswechseln
Diskont von Reichsschatzanweisungen
1923
1922
1921
1920
1919
1918
1917
1916
1915
1914
1913
0
Quelle: Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 48–53.
Die Höhe des Notenbankkredits wurde in der Kriegs- und Inflationszeit zumeist fast vollständig durch den Ankauf von Darlehenskassenscheinen und Reichsschatzanweisungen
bestimmt. Hier schlug sich einerseits die „Reichstreue“ der Reichsbank nieder, andererseits die Erkenntnis ihres Direktoriums, dass „nach Lage der Verhältnisse dem Reich zur
283 Thomas J. Sargent/Neil Wallace, Rational Expectations and the Dynamics of Hyperinflation, in:
International Economic Review 14 (1973), S. 328–350.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
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Deckung seiner notwendigen Ausgaben ein anderer Weg als die Aufnahme schwebender
Schuld nicht offen steht.“284 Theo Balderston hat festgestellt, dass der Reichsregierung
schon im Krieg aufgrund der mangelnden Absetzbarkeit deutscher Reichsanleihen im Ausland gar keine andere Wahl blieb, als ihre Budgetdefizite in der einen oder anderen Weise
zu monetisieren.285 Folgerichtig änderte sich in dieser Hinsicht die Politik der Reichsbank
auch nach Inkrafttreten des Autonomiegesetzes nicht.286 Auf Reichsschatzanweisungen
entfielen durchweg wesentlich höhere Ankaufbeträge als auf Darlehenskassenscheine.
Die Darlehenskassen waren zu Beginn des Krieges bei den Reichsbanknebenstellen
geschaffen worden, um den ersten „Angstbedarf“ der Wirtschaft nach Kriegsausbruch
zu decken. In den ersten zwei Kriegsjahren dienten sie im Wesentlichen der kurzfristigen
Finanzierung der Unternehmen. Danach traten jedoch mehr und mehr die Vorfinanzierung
der Zeichnungen von Kriegsanleihen und die Kreditgewährung an die öffentliche Hand
in den Vordergrund. Die Darlehenskassen gaben sowohl der Wirtschaft als auch den
öffentlichen Kassen unterhalb der Ebene des Reiches Lombardkredit auf Wertpapiere
und Waren. Zu diesem Zweck stellte ihnen die Reichsbank Noten zur Verfügung und erhielt dafür Darlehenskassenscheine. Einen Teil davon nahm sie in ihr Portefeuille, einen
anderen gab sie in Umlauf. Zwar waren die Darlehenskassenscheine keine gesetzlichen
Zahlungsmittel, sie waren jedoch klein gestückelt und mussten von öffentlichen Kassen
zum Nennwert angenommen werden, sodass sie als Bargeld umliefen. Die Reichsbank
konnte die Darlehenskassenscheine zur Dritteldeckung ihrer Noten heranziehen.287 Sie
machte davon insbesondere gegen Ende der Inflationszeit in starkem Maße Gebrauch.
Am Ende der Jahre 1920 und 1922 befanden sich nur noch 34 Prozent bzw. fünf Prozent
aller ausgegebenen Darlehenskassenscheine im freien Verkehr.288 Die Darlehenskassen
waren nichts anderes als der Versuch der Reichsbank, die Einhaltung der verbliebenen formalen Vorschriften des Bankgesetzes zu ermöglichen, obwohl ein Großteil des
Reichsdefizits über die Notenpresse finanziert wurde.289 Wegen der engen Verzahnung
zwischen Reichsbank und Darlehenskassen werden deren Kredite und Papiere in dieser
Untersuchung im Allgemeinen wie die der Reichsbank behandelt.
Die Kassen vergaben in erster Linie Direktkredit. Der Anteil der Banken betrug jeweils
zum Ende der Jahre 1915 bis 1922 zwischen 1,5 und 29,5 Prozent. Lediglich Ende 1914
wurden 44,9 Prozent erreicht.290 Während des gesamten Ersten Weltkrieges war die Kreditgewährung der Kassen angestiegen. Kreditnehmer waren zunächst weit überwiegend
Unternehmen und Banken gewesen. Ab 1916 wurden diese jedoch von inländischen
Gebietskörperschaften verdrängt. In der Spitze gewährten die Darlehenskassen im Januar 1919 Kredite in Höhe von 8,3 Mrd. GM. Auffällig ist im weiteren Verlauf, dass die
284 Reichsbank, Verwaltungsbericht 1922, S. 10.
285 Theo Balderston, War Finance in Britain and Germany, 1924–1918, in: Economic History Review 42
(1989), S. 222–244.
286 Gesetz über die Autonomie der Reichsbank vom 26. Mai 1922, in: RGBl. 1922/II, S. 135; vgl. ferner
zur Politik der Reichsbank Pfleiderer, Reichsbank (wie Anm. 107), S. 160.
287 Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 111.
288 Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9), S. 38.
289 Vgl. zu den Darlehenskassen insgesamt Walther Lotz, Darlehenskassen, in: Ludwig Elster/Adolf Weber/
Freidrich Wieser (Hrsg.), Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 3, Jena 41926, S. 209–215.
290 S. Abbildung 23. – Vgl. Bente, Währungspolitik (wie Anm. 2), S. 680*f.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
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Abbildung 23: Kreditausreichungen der Darlehenskassen nach Kreditnehmern 1914–24
100%
80%
Bundesregierungen und Kommunalverbände
Kriegsgesellschaften incl. Reichsgetreidestelle
Kreditanstalten
Wirtschaft
Sonstige
keine Aufteilung veröffentlicht
60%
40%
20%
0%
1914
1915
1916
1917
1918
1919
1920
1921
1922
1923
1924
Quelle: Bente, Währungspolitik (wie Anm. 2), S. 143*.
Kredite der Darlehenskassen nach einem überaus starken Rückgang im April 1921 (2,1
Mrd. GM) bereits im November desselben Jahres ein Niveau erreicht hatten (203 Mio.
GM), das für den Vorabend der Kreditkrise vom Sommer 1922 typisch war. Die Beträge
gingen im Herbst 1922 real weiter zurück (bis auf 50 Mio. GM im November 1923). Sie
erreichten im Dezember selbst unter Einrechnung der Kredite an die Reichsgetreidestelle
in Höhe von 73,3 Mio. GM nur 144 Mio. GM.291 1922 entfielen nur noch 13,7 Prozent
der Kreditumsätze auf Länder und Gemeinden.292
Der (Re-) Diskont von Reichsschatzanweisungen stellte während des größten Teils des
Untersuchungszeitraums bei Weitem die quantitativ bedeutendste Form des Reichsbankkredits dar. Umgekehrt spiegelte sich in diesem Ankauf die schwebende Reichsschuld
wider. Spätestens seit Beginn des Hindenburgprogramms im August 1916 gelang es dem
Reich nicht mehr, seine kurzfristig auf diesem Wege vorfinanzierten Verschuldung durch
Anleihen zu konsolidieren.293 Die an sich für die Zeit nach dem Krieg geplante Umwandlung von Reichsschatzanweisungen unterblieb aus mehreren Gründen. Zunächst war das
Reich angesichts seiner hohen Zinsbelastung und der bestehenden Zinsunterschiede selbst
291 Im ersten Quartal des Jahres 1923 beliefen sich die Beträge auf 39 Mio. GM (Januar), 131 Mio.
GM (Februar) und 231 Mio. GM (März). Dies entsprach zwischen 13 und 15 Prozent des gesamten
Notenbankkredites – gegenüber regelmäßig über 20 Prozent seit Oktober 1914 und über 30 Prozent
zwischen April 1917 und April 1921. Feldman stellt dagegen – m. E. unzutreffend – für die Zeit zwischen Dezember 1922 und März 1923 fest: „Even without this specific credit, however, it is manifest
that the loan bureaus were playing the kind of major role in the credit market they had not played
since the war.“ Vgl. Feldman, Disorder (wie Anm. 103), S. 585.
292 Bente, Währungspolitik (wie Anm. 2), S. 143*.
293 Vgl. zur Finanzpolitik des Reiches 1914–1918, insbesondere zur marktmäßigen Finanzierung Walter
Lotz, Die deutsche Staatswirtschaft im Kriege. Stuttgart 1927, S. 30–41.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
Abbildung 24: Kredite der Darlehenskassen 1913–23 (in Mio. GM)
9.000
8.000
7.000
6.000
5.000
4.000
3.000
2.000
1.000
1923
1922
1921
1920
1919
1918
1917
1916
1915
1914
1913
0
Quelle: Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 48–53.
nicht mehr an derartigen Aktionen interessiert.294 Ab 1921 tilgte die Regierung sogar per
saldo ihre Anleihen, indem sie diese bei bestimmten Steuern zum Nominalwert an Zahlung
statt entgegennahm.295 Nach dem Krieg war zudem die Attraktivität neuer Reichsanleihen so gering, dass die Regierung nach der Sparprämienanleihe von Anfang 1920, die
lediglich 1,82 Mrd. M (= 118 Mio. GM) in bar erbrachte, bis zur Zwangsanleihe vom Juli
1922 keinen Versuch der Unterbringung einer langfristigen Schuldverschreibung mehr
machte.296 Der Ankauf von Reichsschatzanweisungen durch die Reichsbank erreichte in
der Spitze 15 Mrd. GM. Reichsschatzanweisungen vereinigten mit wenigen Ausnahmen
einen Anteil von mehr als 50 Prozent des Notenbankkredits auf sich. Dennoch finanzierte die Reichsbank kaum 15 Prozent der Kriegskosten, da sie während des Krieges im
294 Im Sommer 1919 veranschlagte der Finanzminister seinen Finanzbedarf für das laufende Rechnungsjahr
auf 17,5 Mrd. M, wovon allein zehn Milliarden Mark auf Zinszahlungen entfielen. Die „Fundierung“
der Reichsschuld hätte eine noch stärkere Ausweitung dieser Position bedeutet: Bei Kursen zwischen
77,5 und 80 Prozent für die fünfprozentige Kriegsanleihe wären neue Reichsanleihen nur mit einer
6½-prozentigen Ausstattung unterzubringen gewesen. Demgegenüber kostete die Diskontierung
von Reichsschatzanweisungen bei der Reichsbank nur fünf Prozent, die (quantitativ unbedeutende)
Unterbringung am Geldmarkt sogar nur 41⁄2 bis 45⁄8 Prozent. Vgl. Alfred Lansburgh, Die Politik der
Reichsbank und die Reichsschatzanweisungen nach dem Kriege (Schriften des Vereins für Socialpolitik
166). München/Leipzig 1924, S. 24.
295 Ebd. S. 24 f.; Klaus-Dieter Krohn, Helfferich contra Hilferding. Konservative Geldpolitik und soziale
Folgen der deutschen Inflation, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 62 (1975),
S. 62–92, hier S. 67.
296 Lansburgh, Politik (wie Anm. 295), S. 28 f.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
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Hartmut Kiehling
Durchschnitt rund zwei Drittel der zunächst diskontierten Reichsschatzanweisungen an
den Kapitalmarkt weitergegeben hatte.297
Der Verlauf der Bestandsänderungen an Reichsschatzanweisungen bei der Reichsbank
und außerhalb lässt zudem Rückschlüsse auf deren Ankauf von Banken zu. In einzelnen
Monaten der Kriegs- und Inflationszeit stand einem Rückgang der Schatzanweisungen
im Portefeuille der Kreditinstitute in nahezu allen Fällen bis zum Ende des gleichen
Monats eine Zunahme des entsprechenden Bestandes der Reichsbank in mindestens der
gleichen Höhe gegenüber. Die Reichsbank kaufte diese Papiere also auch ohne förmliche
Ankaufszusage unbegrenzt an.298 In den ersten Jahren gab die Reichsbank in dem jeweiligen Folgemonat in einem vergleichbaren Volumen Papiere an das Reich zurück und
machte so ihre Schaffung von Zentralbankgeld wieder rückgängig.299 Dies gelang ihr in
der ersten Jahreshälfte 1919 und ab Anfang 1921 nicht mehr. Letztmals war die schwebende Reichsschuld im April 1918 gegenüber dem Vormonatsultimo zurückgegangen.
Ab 1921 finanzierte die Reichsbank das Reich ohne Einschränkungen über diskontierte
Schatzanweisungen. Von Februar bis August 1922 bauten die Banken ihre Bestände
an Reichsschatzanweisungen stetig ab. Ihre Abgaben überstiegen die Aufnahmen der
Reichsbank in jedem Monat, ohne dass diese noch einmal nach dem alten Schema reagiert hätte. Obwohl die Banken in jedem der nun folgenden Monate bis zum November
1923 per saldo wieder Reichsschatzanweisungen kauften, fielen die absoluten Beträge
mit einer Ausnahme300 kaum noch ins Gewicht. Die von manchen Autoren konstruierte
Kausalität zwischen einem erhöhten Finanzbedarf des Staates durch den Ruhrkampf und
einer Verringerung von Attraktivität und Ankauf von Reichsschatzanweisungen durch die
Banken trifft also nicht zu.301
Es lassen sich daher in der Kriegs- und Inflationszeit mehrere Phasen des Ankaufverhaltens der Reichsbank bei Reichsschatzanweisungen unterscheiden, die sich zum großen
Teil in den zeitgenössischen Marktkommentaren nachvollziehen lassen.302 Dabei ging
die Initiative zum Verkauf der Papiere offensichtlich durchweg von den Kreditinstituten
aus.303 Die Zuweisung der Reichsschatzanweisungen im Besitz der Banken zu deren
297 Ebd., S. 32, 37 f.
298 Die Bank 14 (1921), S. 509; Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 199), S. 438; ders.: Großbanken (wie
Anm. 192), S. 373 f.
299 Dem Handeln des Reichsbankdirektoriums lagen zwar andere Maßstäbe zugrunde, etwa die „Reichstreue“ und die Einhaltung der Deckungsvorschriften. Die Argumentation dieses Beitrags versteht sich
jedoch ex post aus dem Blickwinkel der Frage nach der Liquiditätswirkung des Ankaufverhaltens der
Reichsbank. Die erwähnte Neutralisierung von Zentralbankgeld ist für die Frage unerheblich, ob es
sich bei den Reichsschatzanweisungen um potenzielle Liquiditätsreserven handelte. Dies ergibt sich
aus dem so genannten „Schlepptauproblem“, wonach die Notenbank einem Kreditinstitut dringend
benötigte Liquidität nicht verweigern konnte, da sie sonst ein einzelnes, zufällig zu diesem Zeitpunkt
auf Zentralbankgeld angewiesenes Institut in die Illiquidität getrieben hätte. Diese Zwangslage der
Notenbank konnte kurzfristig eine generell angestrebte Verknappung von Zentralbankgeld verhindern.
300 Im März 1923.
301 Frenkel, Exchange Rate (wie Anm. 33), S. 663.
302 Die Bank 13 (1920), S. 57, 134; 14 (1921), S. 93, 157, 390 f., 449 f., 642; 15 (1922), S. 39 f., 284, 360,
447, 508, 565, 620 f., 678, 743.
303 Insofern unterscheiden sich die Reichsschatzanweisungen grundlegend von den jüngeren deutschen
Geldmarktpapieren. Seit dem Februar 1975 gibt die Bundesbank keine Geldmarktpapiere mehr aus, die
sie mit einer Ankaufzusage verbindet, die also „in die Geldmarktregulierung der Bundesbank“ einbe-
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potenziellen Liquiditätsreserven ist also gerechtfertigt. Eine spätere Neutralisierung der
Zuflüsse an Zentralbankgeld ist für diese Einschätzung ohne Bedeutung.304
Abbildung 25: Bestand der Reichsbank an Reichsschatzanweisungen 1913–23 (in Mio. GM)
16.000
14.000
12.000
10.000
8.000
6.000
4.000
2.000
1923
1922
1921
1920
1919
1918
1917
1916
1915
1914
1913
0
Quelle: Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 48–53.
Im Gegensatz zum Ankauf von Reichsschatzanweisungen war der Diskont von Handelswechseln eines der traditionellen Geschäfte der Reichsbank und ihrer Vorgängerinstitute.
Die Reichsbank pflegte vor dem Krieg insbesondere den Direktkredit mit Industrie und
Handel. Bis in den Herbst 1922 hinein erhöhte sie jedoch die Wechsellinien der Unternehmen gegenüber der Vorkriegszeit nicht, sodass der Wechselankauf der Reichsbank
schon allein aus diesem Grund stagnieren musste.305 Lediglich vorübergehend stieg der
Wechselankauf in dieser Zeit ab April 1920 an, als die Reichsbank bemüht war, die akute
Liquiditätskrise zu überwinden. Um die Jahresmitte ging der Wechselankauf jedoch wieder
zurück. Zu einer nachhaltigen Belebung des Wechselverkehrs auf dem freien Markt kam
es jedoch nicht. Erst seit Ende April 1922 wurde der Handelswechsel mit einer Laufzeit
von drei bis vier Monaten aus Liquiditätsgründen zunehmend üblicher.306 Insofern stellte
zogen sind. Seit April 1975 verfügen die Banken über keine derartigen Papiere mehr. Vgl. Karl-Heinz
Ketterer/Norbert Kloten, Geldversorgung und Notenbankpolitik, in: Norbert Kloten/Johann Heinrich v.
Stein (Hrsg.), Obst/Hintner. Geld-, Bank- und Börsenwesen. Stuttgart 371980, S. 13. Insofern sind die
in einzelnen Lehrbüchern vorzufindenden Definitionen der potenziellen Liquiditätsreserven obsolet.
304 Sie entspricht einem ähnlichen Verhalten der Bundesbank etwa bei Devisenmarktinterventionen oder
der Ausschüttung des Bundesbankgewinns.
305 Besprechung der Abteilungsleiter des Reichsverbands der Deutschen Industrie vom 6. September
1922, zit. n. Feldman, Disorder (wie Anm. 103), S. 589. Danach erfolgte offenbar die Aufweichung
der Ankaufsbedingungen. Vgl. ebd., S. 591.
306 Ebd., S. 587.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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das Treffen des Reichsbankdirektoriums mit Vertretern der größten Banken und der Spitzenverbände des Handels und der Industrie vom 22. Juni 1922, bei dem die Notenbank
ihren Diskontkredit propagierte,307 nicht die Initialzündung für dessen Renaissance dar.
Zeitgenössischen Marktkommentaren zufolge hatten die Banken vor der Jahresmitte 1922
kaum in größerem Ausmaß Handelswechsel bei der Reichsbank eingereicht. Bis in die
zweite Jahreshälfte 1922 hinein gab es vielmehr in aller Regel einen (mehr oder weniger
gut) funktionierenden Sekundärmarkt für erstklassige Handelswechsel außerhalb der
Reichsbank. Solange der Rediskont solcher Papiere aufgrund des Zinsspreads zwischen
Reichsbank- und Privatdiskont für die Banken Verluste brachte, hatten sie daher wenig
Veranlassung, die Reichsbank in Anspruch zu nehmen.
Entscheidend für die Frage, ob Handelswechsel zur potenziellen Bankenliquidität
zählten, war jedoch, dass sich die Banken auch hier sicher sein konnten, im Bedarfsfall
ohne betragsmäßige Grenze gegen Rediskontierung von Handelswechseln Zentralbankgeld zu erhalten.308 Dass dies der Fall war, zeigten neben expliziten Aussagen von Direktoriumsmitgliedern309 auch das Verhalten der Reichsbank in der Hyperinflation, als
die Sekundärmärkte für Handelswechsel zusammenbrachen und der Wechselankauf der
Reichsbank seine Grenze eher im Mangel an Material fand als in den zeitweise erfolgten
Bremsversuchen der Bank. Erst am 7. April 1924 machte die Reichsbank einen auf Dauer
erfolgreichen Versuch, die Kreditvergabe an die Banken zu beschneiden.310
Die Reichsbank veröffentlichte ihre Wechselbestände in ihrem Wochenausweis, differenzierte sie jedoch nicht nach Einreichern.311 Die Bestände der Notenbank sanken seit
Kriegsbeginn über lange Zeiträume selbst in Papiermark deutlich ab, so bis Mitte 1919 und
von Mitte 1920 bis Ende 1922. 1919 und in den Monaten um die Jahreswende 1921/22
spielte das Diskontgeschäft bei der Reichsbank nahezu keine Rolle. Im Gegensatz dazu
propagierte die Reichsbank ihren Diskontkredit nach der Kreditkrise im Juli 1922 zunächst
regelrecht,312 sodass sich ihre Ankäufe ab September 1923 auch in Goldmark deutlich
erhöhten. Gleichzeitig hielten sich die Geschäftsbanken aus Liquiditätsgründen bei ihrem
eigenen Wechselgeschäft zurück und rediskontierten mehr Wechsel bei der Notenbank. Ab
Oktober 1922 bemühte sich auch die Reichsbank, ihren Wechselankauf zu reduzieren und
die Qualität des Materials zu erhöhen.313 Die Wechselbestände der Reichsbank stagnierten
daraufhin in Goldmark und gingen im Januar sogar zurück.314 Mit dem Beginn des Ruhrkampfes und den Versorgungsschwierigkeiten des Winters 1923 gab die Reichsbank diese
Politik zunächst auf und deckte den „immer gewaltiger anschwellenden Kreditbedarf“315
zunächst durch ihren Diskontkredit. Am 7. April 1923 verhängte die Reichsbank jedoch
307 Ebd., S. 585.
308 Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 15), S. 549.
309 Ausführlich dazu Karl Friedrich, Kreditnot und ihre Bekämpfung, in: Bank-Archiv 21 (1921/22),
S. 319–323, hier S. 321.
310 Lansburgh, Bankenwende (wie Anm. 15), S. 265; Feldman, Disorder (wie Anm. 103), S. 821–835.
311 Reichsbank, Verwaltungsberichte, versch. Jgge. Hier werden jedoch die Monatsultimowerte verwendet.
Vgl. Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42) S. 48–53.
312 So im August und September 1922. Vgl. Die Bank 15 (1922), S. 678, 743.
313 Im November Umlenkung der Kreditnachfrage auf den Lombard, im Dezember Ermahnungen und
Ankündigung von Restriktionen. Vgl. Die Bank 16 (1923), S. 34, 102.
314 Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 53.
315 Reichsbank, Verwaltungsbericht 1923, S. 10 f.
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Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
bereits wieder Kreditrestriktionen, aus denen sofort ein realer Rückgang ihrer Wechselbestände resultierte. Erst im Herbst 1923 erhöhte sie die Ankäufe real wieder etwas, um die
Winterversorgung der städtischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen und
lebenswichtigen Betrieben den Kauf von Kohlen zu gestatten.316
Aus dem Unterschied zwischen den Diskontsätzen der Reichsbank und unter Banken
ergeben sich Hinweise, inwieweit es für die Banken lohnend war, Wechselmaterial bei
der Notenbank einzureichen. Der Diskontsatz am freien Markt für vergleichbares Wechselmaterial war traditionell deutlich niedriger als bei der Reichsbank.317 Der Reichsbankdiskont vom lag 23. Dezember 1914 bis zum 27. Juli 1922 unverändert bei fünf Prozent.
Die Zinsdifferenz zum Satz für Privatdiskonten unter Banken betrug während des Ersten
Weltkriegs zunächst grob einen Prozentpunkt, sank jedoch 1916 bis 1918 sowie 1922
auf knapp 40 Basispunkte und stieg 1919 bis 1921 auf 1,4 bis 1,8 Prozentpunkte (jeweils
Jahresdurchschnitte).318 Nach diesem Indikator war Geld in den Jahren 1916 bis 1918
und 1922 knapper und teuerer als 1915 oder gar 1919 bis 1921.
Abbildung 26: Bestand der Reichsbank an Handelswechseln 1913–23 (in Mio. GM)
3.000
2.500
2.000
1.500
1.000
500
1923
1922
1921
1920
1919
1918
1917
1916
1915
1914
1913
0
Quelle: Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 48–53.
Von August 1916 bis Dezember 1918 fand an der Berliner Börse kaum ein Handel mit
Privatdiskonten statt. Während der Durchschnittssatz für Privatdiskonten von 1919 bis
1921 durchweg um mehr als einem Prozent unter dem Reichsbankdiskont lag, schrumpfte
dieser Zinsunterschied bis zum August 1922 vollständig zusammen und wurde im Oktober
sogar negativ. Anhand dieses rückläufigen Zinsunterschieds lässt sich die schrittweise
316 Ebd.
317 Homer, History (wie Anm. 212), S. 264–267.
318 Ebd., S. 467.
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Hartmut Kiehling
Verschärfung der Liquiditätssituation der Wirtschaft in Ansätzen bereits für den Oktober
1921, deutlich jedoch für die Zeit seit Dezember desselben Jahres ablesen. In den Monaten August und September 1922 lag der Privatdiskontsatz nur noch einen Basispunkt
unter dem Reichsbankdiskont und stieg im Oktober sogar darüber hinaus. In den letzten
Monaten des Jahres befanden sich die vom Statistischen Reichsamt erhobenen Privatdiskontsätze wieder unter denen des Reichsbankdiskonts.319 Die Sätze für Privatdiskonten
sind für die Zeit ab September 1922 immer stärker nach Bonität differenziert. Sie sind
deshalb mit Vorsicht zu interpretieren. Gegen Jahresende dünnten sich auch die Umsätze
stark aus. Für 1923 liegen noch nicht einmal Taxsätze vor.320
Aus der Literatur ist bekannt, dass sich die Diskontsätze der Banken für das Publikum
bereits im Frühjahr 1923 erheblich über denen der Reichsbank bewegten. So verlangten
die großen Banken im Februar 1923 einen Diskont zwischen 30 und 50 Prozent,321 die
Reichsbank hingegen von zwölf Prozent p. a. Die Frankfurter Bankiervereinigung setzte
im Dezember 1923 für nicht wertbeständige (Diskont-) Kredite an erste Adressen täglich
1,5 bis drei Prozent an, für andere mindestens 2,5 bis 3,5 Prozent. Da die Zinsen 1923
täglich einschließlich Zinseszins berechnet wurden,322 entsprachen diese Sätze konformen Jahreszinssätzen zwischen 228 Prozent und 284.000 Prozent.323 Der Diskontsatz der
Reichsbank für nicht wertbeständige Kredite betrug gleichzeitig 90 Prozent p. a., sodass
die Banken mit Sicherheit in erheblichem Maße eigenes Wechselmaterial rediskontiert
haben.324 In der Tatsache, dass die Reichsbank ihre Zinsen erst spät und zögerlich erhöht
hat, kam die Überzeugung zum Ausdruck, dass die Einreichungsvolumina an Reichsschatzanweisungen in keiner Weise zinsreagibel seien. Andererseits wollte die Notenbank
die Zinslast des Reiches, die diese aus dem ordentlichen Haushalt bestreiten musste,
möglichst niedrig halten. Und schließlich befürchtete die Bank lange Zeit, dass mit einem
Anstieg der Leitzinsen die Kurse der Reichs- und Kriegsanleihen unter Druck geraten
könnten.325 Erst Mitte Juli 1922 entfiel dieses Motiv mit den starken Kurssteigerungen
einiger häufig gehandelter Reichsanleihen,326 die sich bis zur Stabilisierung fortsetzten.
Auch der Lombardkredit der Reichsbank diente überwiegend der Direktfinanzierung
der Wirtschaft. Die Volumina waren – verglichen mit den übrigen Kreditquellen der Unternehmen – gering, sie erreichten vor dem Ersten Weltkrieg in der Spitze jedoch immer
wieder Summen von über 100 Mio. M. Der Lombardkredit der Reichsbank an die Wirtschaft ging seit Kriegsbeginn in dem Maße zurück, wie ihn die damals eingerichteten,
organisatorisch mit der Notenbank verbundenen Darlehenskassen übernahmen. Das Resultat waren seit Herbst 1914 ungewöhnlich geringe, bis 1921 immer noch zurückgehende
Lombardvolumina der Reichsbank. An Kreditinstitute gewährte die Reichsbank nur in
319 Reichsbank, Reichsbank (wie Anm. 101), S. 91; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 43
(1923), S. 269.
320 Die Bank 15 (1922), S. 808 f.; 16 (1923), S. 33, 101 f.
321 Feldman, Disorder (wie Anm. 103), S. 218.
322 Mahrholz, Geldmarkt (wie Anm. 104), S. 710 f.
323 Kruschwitz, Finanzmathematik (wie Anm. 105), S. 33.
324 Diese Entwicklung bahnte sich bereits im zweiten Halbjahr 1922 an. Vgl. Steffan, Vereinsbank (wie
Anm. 106), S. 209.
325 Pfleiderer, Reichsbank (wie Anm. 107), S. 166 f.
326 Die Bank 15 (1922), S. 673.
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Ausnahmefällen Lombardkredit. Sowohl die Reichsbank als auch die Kreditinstitute
sahen ihn als ein Instrument an, das nur in äußerster Bedrängnis zur Verfügung stand. Er
machte für die Kreditinstitute auch solange keinen Sinn, wie die Reichsbank den billigeren
Diskontkredit unbegrenzt offen hielt und ausreichend reichsbankfähiges Wechselmaterial
zur Verfügung stand. Erst als die Notenbank im November 1922 bestrebt war, den zuvor
außerordentlich stark beanspruchten Diskontkredit zurückzuführen, gingen die Kreditinstitute etwas mehr in den Lombard.327 Die zum entsprechenden Monatsultimo ausgewiesenen 28,2 Mio. GM waren allerdings im Vergleich zum übrigen Notenbankkredit immer
noch zu vernachlässigen. 1923 gab es immer wieder Monate, in denen die Reichsbank
vorübergehend für die Darlehenskassen einsprang, deren gesetzliches Kontingent für die
Ausgabe von Darlehenskassenscheinen erschöpft war. Ab der Jahresmitte 1923 wurde
die Reichsbank darüber hinaus verstärkt für die Kreditversorgung des besetzten Gebietes
in Anspruch genommen. Im Zuge dessen schuf die Bank „im Zusammenwirken mit dem
Reichswirtschaftsministerium und den von ihm zur Milderung der Wirtschaftsnöte des
Rhein- und Ruhrgebietes geschaffenen Organen […] ein Notlombardverfahren zur Beleihung von Waren gegen Sicherungsübereignung.“328 Man kann also davon ausgehen, dass
auch 1923 hauptsächlich Nichtbanken den Lombardkredit der Reichsbank in Anspruch
nahmen. Andererseits war der Anreiz zur Lombardierung 1923 durchaus vorhanden,
sofern der Rediskont nicht (mehr) in Frage kam, lagen doch die Zinssätze für den Lombardkredit der Reichsbank seit Februar 1923 unter denen für Tagesgeld und blieben seit
der Jahresmitte weit hinter diesen zurück.
Abbildung 27: Lombardkredit der Reichsbank 1913–23 (zum Monatsende in Mio. GM)
1.000
100
10
1
1923
1922
1921
1920
1919
1918
1917
1916
1915
1914
1913
0
Quelle: Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 48–53.
327 Die Bank 16 (1923), S. 109.
328 Reichsbank, Verwaltungsbericht 1923, S. 12.
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Aus der Entwicklung der Anteile der einzelnen Kreditarten am Notenbankkredit lassen
sich weitere Schlussfolgerungen ziehen. Während der Lombardkredit der Reichsbank
die gesamte Kriegs- und Inflationszeit hindurch relativ unbedeutend war, galt dies für
ihren (Re-) Diskont von Handelswechseln nicht durchgehend. Auf ihn entfiel 1915 und
1916 ein Anteil von rund zehn Prozent. Er wies zudem Mitte 1920 und vor allem von
Mitte 1922 bis Mitte 1923 eine deutliche Belebung auf. Die Anteile der beiden bedeutendsten Formen des Notenbankkredits, des Diskonts von Reichsschatzanweisungen
und der Kredite der Darlehenskassen, bewegten sich von Anfang 1915 bis Mitte 1922
spiegelbildlich – sowohl hinsichtlich der Trends als auch der Monatsbewegungen. Dies
wird wohl als Hinweis gedeutet werden müssen, dass diese Arten des Notenbankkredits
einander wechselweise ersetzten – in erster Linie vermutlich bei der Staatsfinanzierung.
Dagegen ist der überproportionale relative Rückgang des Diskonts von Reichsschatzanweisungen durch die Reichsbank in der zweiten Jahreshälfte 1922 mit einiger Sicherheit
eine Reaktion der Notenbank auf die gleichzeitige Wiederbelebung des Diskonts von
Handelswechseln. Jedenfalls ergänzen sich jetzt diese beiden Arten des Notenbankkredits recht gut auf rund 90 Prozent und machen auch absolut eine Scherenbewegung
zueinander.329 Die Reichsbank hat also parallel zu den Wechselankäufen den Anteil ihres
Staatskredits zurückgenommen – eine Bewegung, die sich in der ersten Phase des Ruhrkampfes bis zum Juli 1923 in ihr Gegenteil verkehrte. Dies galt im Großen und Ganzen
auch für die absoluten realen Veränderungen von Monat zu Monat.330 Die bereits von
Cagan und später von Sargent und Wallace vertretene Ansicht, dass der Inflationsprozess
in Hyperinflationen fast ausschließlich über die Finanzierung staatlicher Budgetdefizite
durch die Notenbank alimentiert wird, entsprach also von Mai 1922 bis Januar 1923
nicht der deutschen Realität.331 Dieser Zusammenhang galt erst wieder in den Monaten
des Ruhrkampfes von Februar bis September 1923. Dabei hat Jacobs – im Gegensatz
zu allen anderen untersuchten Hyperinflationen des 20. Jahrhunderts – sogar statistisch
nachweisen können, dass der deutsche Staat im Zeitablauf eine immer höhere Inflationssteuer eingeplant hatte.332
Stellt man die Kredite und liquiditätswirksamen Gold- und Devisentransaktionen der
Reichsbank333 den Einlagen bei ihr gegenüber, so erhält man ein Bild von der Entwicklung
der Nettofinanzierung von Staat und Wirtschaft durch die Notenbank, die in der Kriegszeit wesentlich gleichmäßiger verlief als die Entwicklung der Kredite und Einlagen, die
jeweils rund um die Zeichnungstermine der Kriegsanleihen Ausreißer aufweisen. Aufschlussreich ist auch der Verlauf in der Zeit höchster Liquidität von Dezember 1917 bis
329 Der Anteil des Staates an der Kreditgewährung der Darlehenskassen schrumpfte gleichzeitig. Vgl.
Reichsbank, Verwaltungsbericht 1922, S. 4.
330 Insofern ist Feldmans Bemerkung, „the [Reichs-]bank was approaching the limits of what a central
bank of issue could or should do to support the private economy“, bezogen auf das zweite Halbjahr
1922, zu kategorisch. Vgl. Feldman, Disorder (wie Anm. 103), S. 591; s. ferner weiter unten die
Überlegungen zur Nettofinanzierung der Wirtschaft.
331 Cagan, Dynamics (wie Anm. 20), S. 88–91; Sargent/Wallace, Expectations (wie Anm. 283), S. 333–
338.
332 Jacobs, Hyperinflation (wie Anm. 91), S. 297 f.
333 Liquiditätswirksam waren in Deutschland solche Käufe und Verkäufe von Gold und Devisen, bei
denen sich die Menge an umlaufenden Reichsbanknoten veränderte.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
Abbildung 28: Anteile am Notenbankkredit (Reichsbank und Darlehenskassen) 1913–23
(in Prozent des gesamten Notenbankkredits)
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
Diskont von Reichsschatzanweisungen
Kredite der Darlehenskassen
Diskont von Handelswechseln
1923
1922
1921
1920
1919
1918
1917
1916
1915
1914
1913
0
Lombardkredit der Reichsbank
Quelle: Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 48–53; eigene Berechnungen.
Juni 1919 mit den dazugehörigen Auf- und Abstiegen, die jeweils wesentlich ausgeprägter
ausfielen als bei den bisher untersuchten Zeitreihen. Der höchste Finanzierungsbeitrag der
Reichsbank wurde im Januar 1919 mit 15,8 Mrd. GM erreicht. Interessant ist wiederum
die Entwicklung in den letzten Jahren der Inflation. So ging die Nettofinanzierung durch
die Reichsbank bereits in den Monaten September und Oktober 1921 von gut vier auf
rund zwei Milliarden GM zurück. Dabei war der Rückgang – obgleich er die Entwicklung
des Dollarkurses fast exakt nachvollzog – im Wesentlichen auf eine verringerte Kreditgewährung, weniger auf Einlagenabzüge zurückzuführen. Nach einer mehr oder weniger
konstanten Phase reduzierte sich die Nettofinanzierung in den Monaten Juli und August
1922 auf 623 Mio. GM und erreichte im Januar 1923 mit 200 Mio. GM einen absoluten
Tiefpunkt. Im März 1923 stieg dieser Wert noch einmal kurzzeitig auf über eine Milliarde GM. Mit Ausnahme des Septembers war die Nettofinanzierung der Volkswirtschaft
durch die Reichsbank im zweiten Halbjahr 1923 durchweg negativ. Die Einlagen waren
also höher als die Kredite (im weiteren Sinne). Setzt man – ausgehend von den oben
genannten Jahresabschlusswerten – den Anteil der privaten Wirtschaft an den Krediten
der Darlehenskassen ab der Jahresmitte 1922 mit 30 Prozent an, kann man für die Zeit
der Hyperinflation mit einiger Wahrscheinlichkeit den Verlauf der Nettofinanzierung des
privaten Sektors durch die Reichsbank rekonstruieren. Dieser Anteil erreichte lediglich
in den Monaten zwischen November 1922 und März 1923 außerordentlich hohe Werte.
Die Spitze lag im Januar 1923 bei zwölf Prozent. Bis zum September 1922 und zwischen
Juni und Oktober 1923 ergaben sich nach dieser Rechnung sogar negative Werte. Die
Einlagen der privaten Wirtschaft waren demnach also höher als ihre Kredite. Selbst wenn
man die Kredite der Darlehenskassen in dieser Zeit vollständig zurechnet, haben Ban-
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ken und Unternehmen der Reichsbank jeweils am Ende der Monate August bis Oktober
1923 per saldo Kredit gewährt (in Höhe von 74 bis 120 Mio. GM). Von einer extremen
Liquiditätsknappheit, wie sie in der Literatur zum Teil erwähnt wird,334 kann also für
diese Zeit keine Rede sein.
Abbildung 29: Nettofinanzierung von Staat und Wirtschaft durch die Reichsbank* 1913–23
(in Mio. GM)
18.000
16.000
14.000
12.000
10.000
8.000
6.000
4.000
2.000
0
1923
1922
1921
1920
1919
1918
1917
1916
1915
1914
1913
-2.000
* Kredite
der Reichsbank und der Darlehenskassen minus Einlagen bei der Reichsbank plus/minus Liquiditätswirkungen aus dem Goldverkehr.
Quelle: Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 48–53; eigene Berechnungen.
Die Entwicklung, die zur Liquiditätskrise Mitte 1922 führte, wurde zunächst eingeleitet durch den realen Rückgang des Notenbankkredits (ab April 1921, insbesondere der
Kredite der Darlehenskassen) und Einlagenabzüge des breiten inländischen Publikums
in einzelnen Monaten. Ab September 1921 folgten massenhafte Abzüge von Geldern aus
dem Ausland.
XI. Die Geldbasis
Die Geldbasis setzt sich zusammen aus dem Bargeld und den Notenbankguthaben der
Privaten. In der ergänzten monetären Basis ist zudem die potenzielle Bankenliquidität
enthalten. Dabei muss man die gewährten Lombardkredite abziehen, da die zu diesem
Zweck verpfändeten Papiere weiterhin auf der Aktivseite der Bilanzen der Kreditnehmer
stehen blieben. Die entsprechenden Zahlen kann man aus den Statistiken der Reichsbank
334 Laursen/Pedersen, Inflation (wie Anm. 52), S. 21.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
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entnehmen. Sie lassen jedoch keine Aufteilung in Banken und Nichtbanken zu. Noten
und Lombardkredit der Privatnotenbanken waren in der fraglichen Zeit zu unbedeutend,
als dass sie berücksichtigt werden müssten. Der Jahresendbestand an Lombardkrediten
der Darlehenskassen an nicht staatliche Stellen wird abgezogen. Bei der Berechnung
wird unterstellt, dass sich die Verteilung der Kreditnehmer beim Jahresendbestand nicht
signifikant von derjenigen bei den Kreditausreichungen des Gesamtjahres unterscheidet.
Die Zahlen sind bis Mitte 1922 vergleichsweise gut gesichert. Ab diesem Zeitpunkt, vor
allem aber für das Jahr 1923, wurden jedoch im inländischen Bargeldumlauf die nur sehr
ungenau bekannten Volumina an Notgeld, Geldsurrogaten und ausländischer Währung
immer wichtiger.335
Es wird deshalb im Folgenden der Versuch unternommen, diese Bestandteile der Geldbasis annähernd zu beziffern. In der Literatur wird ein Betrag von zwei bis drei Milliarden GM an Banknoten aus Hartwährungsländern genannt, die in Deutschland trotz einer
strengen Devisengesetzgebung in Umlauf waren.336 Setzt man zudem das Volumen der als
Zahlungsmittel verwandten wertbeständigen Anleihen mit gut 100 Mio. GM an, so gab es
im deutschen Barzahlungsverkehr Ende 1923 Zahlungsmittel in Höhe von insgesamt 3,5
bis fünf Milliarden GM. Hinzu kam noch gut eine Milliarde Rentenmark. Zu Beginn der
Stabilisierung Mitte November 1923 dürften es zwischen drei und 4,5 Mrd. GM gewesen
sein. Die Entwicklung im Jahresverlauf ist wesentlich schwieriger einzuschätzen. Allerdings ergeben sich aus den Emissionszeitpunkten wichtiger Anleihen Hinweise, daneben
liegen vereinzelt brauchbare Anhaltspunkte in der Literatur vor. Aus diesen lässt sich
insgesamt schließen, dass der größte Teil der Emissionstätigkeit in der letzten Beschleunigungsphase der Inflation fiel. So wurden Reichsgoldanleihen, Goldpfandbriefe, Goldzertifikate, kleingestückelte wertbeständige Anleihen der Länder, wertbeständiges und
nicht wertbeständiges Notgeld, ob nun genehmigt oder nicht, zumindest weit überwiegend
erst im Spätsommer und Herbst 1923 ausgegeben. Ausländische Geldscheine gewannen
allmählich ab März 1923 Bedeutung und auch die ersten Dollarschatzanweisungen des
Reiches stammten aus demselben Monat.337 Die Ausgabe wertbeständiger Anleihen seit
Dezember 1922 fiel demgegenüber wohl weniger ins Gewicht. Vernachlässigt man die
sehr schwer abschätzbaren ausländischen Zahlungsmittel, so war der Stückgeldumlauf
zumindest bis Mitte 1923 weit überwiegend durch ordentliche Papiermarkzahlungsmittel
bestimmt. Notgeld und Geldsurrogate wurden also erst in der letzten Phase der Hyperinflation bedeutsam, und nicht zuletzt nach der Stabilisierung, als der Zahlungsverkehr
zunächst mit zu wenig Rentenmark auskommen musste.
Sowohl die Geldbasis als auch die ergänzte monetäre Basis wiesen von 1913 bis 1923
einen Verlauf auf, wie er ähnlich bereits aus der Auswertung anderer Zeitreihen bekannt
ist: mit dem Höhepunkt 1918, einem starken Rückgang 1919 und dem absoluten Tiefpunkt
335 Die Volumina der Notgeldperioden der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit sind bekannt, da die
Reichsbank jeweils Aufstellungen veröffentlicht hat. Danach wurden unmittelbar nach Kriegsausbruch
8,5 Mio. M, ab Dezember 1916 67 Mio. M (rund 50 Mio. GM) und im letzten Quartal 1918 2,0 Mrd.
M (rund 1,1 Mrd. GM) emittiert. Vgl. Reichsbank, Verwaltungsbericht 1919, S. 5–8.
336 Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 310.
337 Das Zeichnungsergebnis betrug zunächst allerdings nur 18 Mio. US-Dollar. Vgl. Bente, Währungspolitik
(wie Anm. 2), S. 139*. Prion spricht sogar lediglich von 12,5 Mio. US-Dollar, die nachträglich mit Hilfe
der Banken auf 25 Mio. US-Dollar erhöht wurden. Vgl. Prion, Kreditpolitik (wie Anm. 184), S. 119.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Hartmut Kiehling
Abbildung 30: Geldbasis 1913–25 (zum Jahresultimo in Mio. GM)
40.000
35.000
ergänzte monetäre Basis
30.000
25.000
20.000
15.000
10.000
Geldbasis
5.000
0
1913
1914
1915
1916
1917
1918
1919
1920
1921
1922
1923
1924
1925
Quelle: Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 45–53; Deutsche Bundesbank, Geld- und
Bankwesen (wie Anm. 9); Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 15, 138, 192, 199, 211), passim; eigene
Berechnungen.
1922. Die Geldbasis nahm ihren Ausgang 1913 bei 7,4 Mrd. GM, die ergänzte monetäre
Basis bei 14,2 Mrd. GM. Die jeweiligen Höhepunkte 1918 lagen bei 24,5 Mrd. GM und
38,9 Mrd. GM, die Tiefpunkte 1922 bei 1,1 Mrd. GM und 1,5 Mrd. GM. Die Veränderungsraten wechselten von Jahr zu Jahr. Die Geldbasis nahm 1914 bereits um ein Drittel
zu, stagnierte im Folgejahr und erhöhte sich 1917 um nahezu 60 Prozent. 1919 und 1922
folgten jeweils reale Rückgänge um drei Viertel, 1921 von gut 40 Prozent, während die
Geldbasis 1920 fast unverändert blieb. Die ergänzte monetäre Basis zeigte zwar grundsätzlich das gleiche Verlaufsschema, die Zuwächse fielen jedoch geringer, die Abnahme
jeweils etwas höher aus. Bis Ende 1923 erfolgte ein Wiederaufbau der genannten Geldmengenaggregate, der jedoch ausschließlich auf die Geldbasis zurückging. Damit hatte
die ergänzte monetäre Basis, die 1913 nahezu doppelt so groß war wie die Geldbasis und
bis 1921 relativ zur Geldbasis nur leicht zurückging, diese Ende 1923 nahezu erreicht.
Zieht man den Lombardkredit der Reichsbank ab, so waren die potenziellen Liquiditätsreserven der Wirtschaft nahezu dahingeschmolzen.
Im Gegensatz zur erweiterten monetären Basis kann man bei der Geldbasis über die
Jahreswerte hinaus in aller Regel auch verlässliche Monatswerte errechnen. Dabei stellt
sich heraus, dass die Endstände der Jahre 1919 bis 1922 im Jahresverlauf jeweils sehr
niedrig lagen und damit keinesfalls repräsentativ für das Gesamtjahr waren. Der Abbau
der Geldbasis begann 1921 im Juli, also einen Monat später als bei den Postscheckeinlagen. Im November 1921 war bereits ein Stand erreicht, der erst wieder im Juli 1922
eintreten sollte. Bemerkenswert in dieser Phase war der kontinuierliche Rückgang bis
zum November 1922 bzw. – nach nur kurzzeitig höheren Werten – bis zum Januar 1923,
als mit 311 Mio. GM ein absolutes Minimum erreicht wurde. Diese Entwicklung hat mit
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
Abbildung 31: Geldbasis und ihre Zusammensetzung 1913–23 (in Mio. GM)
25.000
20.000
Reichsbankeinlagen der Privaten
15.000
10.000
5.000
Bargeld (incl. Notgeld)
1923
1922
1921
1920
1919
1918
1917
1916
1915
1914
1913
0
Quelle: Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 45–53; eigene Berechnungen.
Sicherheit auch im Spätsommer und Herbst 1923 die Kreditgewährung durch die Banken und die Wirtschaftstätigkeit im Allgemeinen weiter gebremst – und damit zu einer
Zeit, als die Reichsbank bereits bestrebt war, durch die Forcierung des Rediskonts von
Handelswechseln zusätzliche Liquidität zu schaffen. Bemerkenswert war zudem, dass
die Summe aus umlaufenden Reichsbanknoten und -guthaben von Mai bis Juli 1922
real deutlich langsamer stieg als die aus dem Reichsbankkredit und den Beleihungen des
Goldbestandes. Im Juni 1922 machte diese Differenz 120,6 Mio. GM aus. Die Gegenposition in der Notenbankbilanz fand sich im Wesentlichen in einer Abnahme der sonstigen
Aktiva, zum Teil aber auch in einer Zunahme der sonstigen Passiva. Die Notenbank hat
also gerade in einer Zeit der Liquiditätsknappheit in großem Umfang Vermögenswerte
verkauft, Verbindlichkeiten erhöht und so die Geldbasis verringert. Insgesamt zeigt
sich in den Jahren der offenen Inflation ein Schema, das Cagan bereits 1956 für sieben
Nachkriegsinflationen des 20. Jahrhunderts aufgezeigt hat: Die realen Volumina der
Geldbestände sanken per saldo deutlich. Das Preisniveau stieg also schneller als die nominale Geldmenge, gleichgültig welche Bezugsgröße man für die Bereinigung verwendet. Diese Bewegung setzte sich – jedenfalls was die Papiergeldvolumina anging – bis
zur Stabilisierung fort. So sandte die Reichsbank zwischen April und September durch
liquiditätswirksame Gold- und Devisentransaktionen kontinuierlich restriktive Impulse
aus.338 Die monatlichen Fluktuationen waren jedoch erheblich. Sie gingen in erster Linie
338 344 Mio. GM bei einer Kreditgewährung von 1,18 Mrd. GM. Vgl. Reichsbank, Verwaltungsbericht
1923, S. 6 f.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Hartmut Kiehling
auf sprunghafte Änderungen der Geldnachfrage zurück, wie sie im Hortungsverhalten
der Wirtschaftssubjekte zum Ausdruck kamen.339
Ein anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn man die wertbeständigen Zahlungsmittel
einbezieht. Danach erholten sich die Volumina der in Deutschland verwandten Zahlungsmittel bereits im ersten Halbjahr 1923, besonders aber seit der Jahresmitte. Sicher ist,
dass der Umlauf wertbeständiger Zahlungsmittel spürbar zunahm. Er lässt sich jedoch
gerade im zweiten Halbjahr nicht mit Sicherheit rekonstruieren. Die Extremwerte der für
vorliegende Untersuchung unternommenen Schätzung differieren im zweiten Halbjahr je
nach Monat um 20 bis 30 Prozent. Sie belaufen sich im dritten Quartal auf 300 bis 800
Mio. GM, im vierten Quartal auf 1,1 bis 1,7 Mrd. GM.
Das Gewicht des Bargeldes in der Geldbasis stieg zuletzt schon allein dadurch deutlich
an, dass die Reichsbank keine Einzahlung wertbeständigen Notgeldes zuließ.340 Der betreffende Anteil wies im Verlauf der Kriegs- und Inflationszeit mit einer kurzen Unterbrechung
zwei klare Trends auf. Von 1913 bis 1917/18 ging der Satz stetig von 93,2 auf 78 Prozent
zurück. Ab 1919 nahm er dann wieder zu. Eine Ausnahme bildete das Jahr 1922, als die
Probleme der Reichsbank, genügend Noten zu drucken, kurzzeitig für eine Gegenbewegung
sorgten. Dennoch stieg in der Zeit der offenen Inflation das Gewicht des unbaren Zahlungsverkehrs im Verhältnis zum Bargeldumlauf deutlich an. Im Jahr 1922 beschleunigte sich
diese Entwicklung noch. Dies ist Ausdruck einer immer höheren Umschlagshäufigkeit der
im bargeldlosen Zahlungsverkehr verwandten Gelder. Seit Februar 1923 kehrte sich diese
Entwicklung bis zur Stabilisierung dramatisch um – ausweislich des Verhältnisses zwischen
Abrechnungs- und Bargeldvolumina. Nun brach der unbare Zahlungsverkehr allein schon
wegen der nochmals gestiegenen Inflationsraten und der nicht mehr zu bewältigenden mengen- und ziffernmäßigen Anforderungen zusammen. Die Reichsbank beschränkte daraufhin
die Einlieferungsfristen, schrieb Mindestbeträge vor, erhob Sondergebühren für Eilaufträge
und schloss zeitweilig einzelne stark belastete Zweiganstalten, um Rückstände aufarbeiten
zu können. Da die privaten Banken ihre Provisionen jedoch gerade 1923 in schneller Folge
erhöhten, wanderten viele Kunden zur Reichsbank ab. Je größer die Verspätungen im Überweisungsverkehr aufgrund der massenhaften Einlieferungen wurden, desto mehr gingen
die Wirtschaftssubjekte dazu über, sich über ihre Reichsbankguthaben Schecks bestätigen
zu lassen, diese per Boten zu versenden und bei der Reichsbankzweiganstalt des Zielortes
vorzulegen.341 Das Volumen der schwebenden Verrechnungen aus dem Zahlungsverkehr,
also der so genannte „Float“ der privaten Banken und ihre Kreditschöpfungsmöglichkeiten
daraus, ging in der Folge gegen Null.342
Der Abbau der Geldbasis begann im Juli 1921 und erreichte im November 1921 bereits
einen sehr tiefen Stand. Die Geldbasis ging 1922 in der zweiten Jahreshälfte mit einer
kurzen Unterbrechung im November 1922 bis zum Januar 1923 kontinuierlich zurück.
Sie hat damit im Spätsommer und Herbst 1923 die Kreditgewährung durch die Banken
und die Wirtschaftstätigkeit ganz allgemein weiter gebremst, während die Reichsbank
339 Cagan führte diese Nachfrageänderung auf vergangene Preissprünge zurück, sodass in seinem Modell
die Geldnachfrage durch die aktuelle Geldmenge und einen exponentiell gewichteten Durchschnitt
vergangener Preisänderungsraten bestimmt wird. Vgl. Cagan, Dynamics (wie Anm. 20), S. 86–91.
340 Reichsbank, Verwaltungsbericht 1923, S. 16.
341 Ebd., S. 17.
342 Steffan, Vereinsbank (wie Anm. 106), S. 187.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
Abbildung 32: Gewicht des unbaren Zahlungsverkehrs 1913–23 (Abrechnungsvolumina
und Postscheckumsätze in Prozent des Bargeldumlaufs)
400
350
300
250
200
150
Abrechnung
100
50
Postscheck
1923
1922
1921
1920
1919
1918
1917
1916
1915
1914
1913
0
Quelle: Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie Anm. 42), S. 45–49, 52 ff.; eigene Berechnungen.
gleichzeitig bestrebt war, durch den Rediskont von Handelswechseln zusätzliche Liquidität
zu schaffen. Die Geldbasis stieg von Mai bis Juli 1922 real deutlich langsamer als die
aus Reichsbankkredit und Beleihungen des Goldbestandes, da die Notenbank in großem
Umfang Vermögenswerte verkauft und Verbindlichkeiten erhöht verringert hat. Bereits
im ersten Halbjahr 1923, besonders aber seit der Jahresmitte erholten sich die Volumina
der in Deutschland verwandten Zahlungsmittel. Dies lag weniger an der Geldschöpfung
der Reichsbank, die zwischen April und September kontinuierlich durch liquiditätswirksame Gold- und Devisentransaktionen restriktive Impulse aussandte. Vielmehr nahm
der Umlauf wertbeständiger Zahlungsmittel spürbar zu. In den Monaten August bis
Oktober 1923 trat eine Entspannung der Liquiditätslage der gesamten Wirtschaft ein.
Mit Ausnahme des Septembers war die Nettofinanzierung der Volkswirtschaft durch die
Reichsbank im zweiten Halbjahr 1923 durchweg negativ. Dies galt in besonderem Maße
und bereits etwas früher (ab Juni) für die Nettofinanzierung des privaten Sektors durch
die Reichsbank. Die Entspannung der Liquiditätslage schlug sich darüber hinaus in hohen
Einzahlungsüberschüssen des Publikums auf seine Sparkonten nieder.
XII. Die Kreditschöpfung der Banken
Die vom Bankensystem, also von den Geschäfts- und Notenbanken, ausgereichten Kreditvolumina sanken von 1913 bis 1916 trotz eines stetig steigenden Notenbankkredits343
343 Beim Notenbankkredit ist kein getrennter Ausweis des Direktkredits möglich. Insofern kommt es bei
der Kreditsumme des gesamten Bankensystems zu Doppelzählungen.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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um rund fünf Prozent. Die Kreditsumme der Institute ging im gleichen Zeitraum um
rund 22 Prozent zurück. Einzig 1917 kam es unter dem Anlagedruck der um mehr als die
Hälfte gestiegen Bankenliquidität zu einem Aufbau des Kreditvolumens um 16 Prozent
(einschließlich Notenbankkredit 26 Prozent). Bereits 1918 und 1919 erfolgte trotz weiter
steigender Geldbasis ein Rückgang um insgesamt 85 Prozent und in den drei Folgejahren
um weitere 92 Prozent. In der zweiten Periode konnte auch der Notenbankkredit dieser
Entwicklung nicht mehr entgegenwirken. Er trug erst 1923 erneut weit überproportional
zur nun wieder lebhafteren Kreditausreichung der Kreditinstitute bei. Schließt man außer dem Notenbankkredit auch den der Finanzintermediäre344 aus und konzentriert sich
allein auf diejenigen Volumina, bei deren Refinanzierung die Einlagen der Nichtbanken
eine entscheidende Rolle spielen und die von der Kreditangebotstheorie erfasst werden,
so verlief die Entwicklung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges noch gedämpfter. Der
Rückgang bis 1916 maß rund 38 Prozent, die Steigerung im Jahr darauf nur noch knapp
sieben Prozent, während die beiden Schrumpfungsperioden prozentual ähnlich starke
Abschläge brachten wie bei den Kreditinstituten insgesamt. Hier schlug sich in den ersten
beiden Kriegsjahren die deutlich positivere Entwicklung nieder, die der Absatz von Pfandbriefen und Kommunalobligationen gegenüber den Einlagen der Nichtbanken nahm.345
Abbildung 33: Kreditvolumen 1913–25 (zum Jahresultimo in Mio. GM/RM)
60.000
50.000
Kreditvolumen der Kreditinstitute (ohne
Hypothekenbankgeschäft)
Kreditvolumen der Kreditinstitute
40.000
Kreditvolumen des Bankensystems
30.000
20.000
10.000
0
1913
1914
1915
1916
1917
1918
1919
1920
1921
1922
1923
1924
1925
Quelle: Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9); Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 15,
138, 192, 199, 211), passim; eigene Berechnungen.
344 Realkreditinstitute (Hypothekenbanken, Land-, Stadt- und Ritterschaften sowie öffentlich-rechtliche
Realkreditinstitute), Zwecksparunternehmen (insbesondere Bausparkassen), Versicherungen, bestimmte Fondsgesellschaften etc.
345 Achterberg, Hypothekenbank (wie Anm. 127), passim.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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Die Geldpolitik der Reichsbank in der Großen Inflation
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Der Notenbankkredit entwickelte sich zeitweise etwas anders als einige der bisher behandelten Größen. Zunächst hatten die Einlagen der Nichtbanken noch einen zeitlichen
Vorlauf vor wichtigen anderen Zeitreihen, die geeignet sind, Teilaspekte der Bankenliquidität abzubilden. So lag der höchste Stand der Postscheck- und Spareinlagen in den
Monaten April bzw. Mai 1918. Die betreffenden realen Volumina sanken im weiteren
Jahresverlauf bereits stark ab, während der Notenbankkredit (September 1918 bis Januar
1919), die Reichsbankeinlagen (September 1918)346 und die Geldbasis (September bis
Dezember 1918) erst in der zweiten Jahreshälfte ihre jeweiligen Höchststände erreichten.
Bereits der Tiefpunkt im Februar 1920 nach dem Absturz 1918/19 war allen anderen
Zeitreihen gemeinsam. Das Gleiche galt für das Zwischenhoch im Mai/Juni 1920, die
Schrumpfungsphase von Juni 1921 bis November 1921 sowie die absoluten Tiefstände
im November 1922 und Januar 1923. Das letzte Jahr der Inflationszeit bedeutete dagegen
das Ende dieses Gleichlaufs. Die immer mehr differierende Entwicklung der Geldbasis im
Jahr 1923 zeichnet das Bild einer zunehmend auf der Grundlage des Barzahlungsverkehrs
arbeitenden Volkswirtschaft, während die Wirtschaftssubjekte weniger liquide Anlagen
scheuten und Reichsbank sowie Geschäftsbanken zudem wertbeständige Konten nur sehr
zögerlich einführten.
Allerdings geht der genannte Gleichlauf zu Teilen auf die Entwicklung des Dollarkurses zurück. Bezieht man Indikatoren ein, deren Werte nicht unmittelbar vom Dollarkurs
beeinflusst wurden, so ergeben sich zwar gewisse zeitliche Verschiebungen, nicht aber
ein grundsätzlich anderes Bild. Relativ zu den Abrechnungsvolumina hatten die Reichsbankeinlagen der Privaten im März und April 1919 ihren höchsten Stand. Das Gleiche
galt für die Postscheckumsätze im Verhältnis zu den Postscheckguthaben.347 Dagegen
wurde der Höhepunkt der Liquiditätsschwemme ausweislich des Privatdiskontsatzes
erst in den Monaten Juli und August 1919 erreicht. Ähnlich verliefen andere markante
Marktphasen, ohne dass jedoch aus einem immer wieder gleichen Ablauf Hinweise auf
bestimmte Wirkungszusammenhänge erkennbar wären. Die Werte für die genannten
Tiefpunkte streuen zwischen November 1919 und März 1920, Oktober 1921 und Januar
1922 sowie September und Oktober 1922.
Ein Vergleich der Entwicklungen der Kreditgewährung348 mit denjenigen der wichtigsten Einflussfaktoren, soweit sie in den Kreditschöpfungsmultiplikatoren des Kapitels III
eine Rolle spielen, gibt weitere Aufschlüsse. Von 1914 bis 1920 stieg die Kreditgewährung
durchgehend weniger stark als die Geldbasis (bzw. die ergänzte monetäre Basis). Von
allen betrachteten Jahren zeigte nur das Jahr 1921 ein gegenteiliges Bild. Dämpfend auf
die Kreditgewährung wirkte jedoch in den meisten Jahren die Neigung der Wirtschaftssubjekte, immer größere Teile ihrer Anlagen liquide zu halten. Dies galt etwa für die
Liquiditätsquote,349 die mit Ausnahme des Jahres 1921 restriktiv wirkte und 1922 und
vor allem 1923 sprunghaft anstieg. Auch der Zeitdepositenkoeffizient als ein Maß für
346 Der betreffende Spitzenwert ging allerdings auf die Gutschrift der Gegenwerte für die 9. Kriegsanleihe
in Höhe von 10,4 Mrd. M (= 6,65 Mrd. GM) zurück. Vgl. Elster, Mark (wie Anm. 7), S. 90. Zwischen
März und Dezember 1918 bewegten sich die Reichsbankeinlagen auf dem hohen Niveau von rund
4,5 Mrd. GM.
347 Februar und April 1919.
348 Ohne die Kredite der Notenbanken und Finanzintermediäre.
349 S. die Definitionen in Kapitel I.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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die Liquiditätsneigung des Publikums hatte mit Ausnahme des Jahres 1918 einen ständig
negativen Effekt auf die Kreditvergabe. Er wirkte vor allem 1922 stark dämpfend ein. In
der Kriegszeit und während der ersten Hälfte der Inflation waren jedoch nicht alle Einflussfaktoren der Kreditschöpfung hinderlich. So war der Reservesatz bis 1918 neutral,
derjenige der Großbanken von 1915 bis 1921 sogar eher förderlich. Dagegen wirkten
Reservesatz, Liquiditätsquote und Geldmarktzins 1922, vor allem aber 1923 nur noch in
Richtung einer weiteren Reduktion des Spielraums für die Kreditschöpfung.
Abbildung 34: Kennzahlen der Kreditschöpfung 1913–25 (relative Entwicklung zum
Kreditvolumen, 1913 = 100)
1.000.000
100.000
10.000
Zeitdepositenquotient
Liquiditätsquote
Geldmarktzins
Geldbasis
1.000
100
10
1
1913
1914
1915
1916
1917
1918
1919
1920
1921
1922
1923
1924
1925
Quelle: Deutsche Bundesbank, Geld- und Bankwesen (wie Anm. 9); Lansburgh, Großbanken (wie Anm. 15,
138, 192, 199, 211), passim; Holtfrerich, Inflation (wie Anm. 51), S. 56; Statistisches Reichsamt, Zahlen (wie
Anm. 42), S. 45–53; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 43 (1923), S. 269; eigene Berechnungen.
Von Bedeutung ist auch die relative Entwicklung der Kreditgewährung350 zu derjenigen
ihrer wichtigsten Einflussfaktoren. Danach hielt die expansive Wirkung der Entwicklung
von Geldbasis und ergänzter monetärer Basis in nahezu der gesamten Kriegs- und Inflationszeit an, während Gleiches auch für den restriktiven Einfluss der Liquiditätshaltung galt,
wie sie in oben genannten Kennzahlen zum Ausdruck kam. Davon weichen nur wenige
Ausnahmen ab. So signalisierten der 1917 relativ zurückfallende Zeitdepositenkoeffizient
und Geldmarktzins351 einen erhöhten Kreditschöpfungsspielraum, während die Geldbasis
lebhaft stieg und der Reservesatz sowie die Liquiditätsquote nicht signifikant zunahmen.
Umgekehrt fiel die Geldbasis 1919 relativ zurück, sämtliche Liquiditätskennzahlen legten
jedoch weit überproportional zu. Selbst ohne den gleichzeitigen Markverfall wären daher die
Kreditvolumina real vermutlich dramatisch zurückgegangen. Auch 1921 blieb die Geldbasis
350 Ohne die Kredite der Notenbanken und Finanzintermediäre.
351 Letzterer wurde allerdings künstlich niedrig gehalten.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
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hinter dem Kreditvolumen zurück – dieses Mal jedoch ohne eine ausgeprägte Änderung
des Verhaltens der Marktteilnehmer und ohne dramatische Auswirkungen. 1922 gingen von
der Geldmengenentwicklung zwar wieder starke Impulse aus, die weit überproportional
gesteigerte Liquiditätshaltung der Wirtschaftssubjekte überwog jedoch noch einmal. Im
letzten Inflationsjahr kam es einerseits zu einer weit überproportionalen Steigerung des
Geldmarktzinses. Andererseits erfuhr wohl auch die Geldbasis eine relativ starke Ausweitung
und sowohl der Zeitdepositenquotient als auch die Liquiditätsquote blieben relativ zurück.
Das Ergebnis war zum ersten Mal seit 1917 eine reale Ausweitung des Kreditvolumens.
Die Kreditschöpfungsmöglichkeiten der Banken waren während des gesamten Kriegsund Inflationszeitraums durch die zunehmende Liquiditätshaltung der Einleger wie der
Banken selbst gebremst. Ein Nachlassen dieser Faktoren führte 1917 kurzzeitig zu einer
realen Expansion des Kreditvolumens. Während die Geldmengenentwicklung – ausgelöst
durch den Notenbankkredit – zunächst noch Impulse gab, wirkte auch sie von 1919 bis
1921 eher bremsend. Dies führte im Verein mit der weiter zunehmenden Liquiditätsneigung der Wirtschaftssubjekte Jahr für Jahr zu einem realen Rückgang des Kredits. Bis
Anfang 1920 verdichtete sich der Rückgang der Liquidität von Banken und Kunden zu
einer Liquiditätsknappheit, die in einen Run mündete. Die Reichsbank reagierte darauf
unter anderem durch eine Wiederbelebung ihres Diskonts von Handelswechseln. Erst
1923 bewirkten eine real erneut wachsende Geldbasis zusammen mit einer nicht mehr
weiter zu steigernden Liquiditätsneigung der Wirtschaftssubjekte erstmals wieder eine
reale Kreditsteigerung.
Hinsichtlich der Entwicklung des Jahres 1923 werden die Nachteile des hier gewählten
Verfahrens deutlich. Für die Bestimmung der Geldmenge, aber auch für die Rekonstruktion der Bilanzdaten oder der Aufteilung der Einlagen nach Fristigkeiten sind zum
Teil Schätzungen nötig gewesen. Die verwendeten Bilanzdaten unterliegen jedoch den
unterschiedlichsten Manipulationen. Da ausschließlich Jahresendstände in die Analyse
einbezogen werden konnten und die einzelnen Größen durch äußerst unterschiedliche Reaktionsgeschwindigkeiten gekennzeichnet waren, konnten zudem Stichtagszufälligkeiten
nicht ausbleiben. So ist der Geldmarktzins sehr reagibel, das Kreditvolumen kurzfristig
jedoch nicht.352 Andererseits liegen für wichtige Teilaspekte auch monatliche Daten
vor, die der Relativierung dienen können. Außerdem ist das zuletzt gewählte Verfahren
gerade unter der Voraussetzung sinnvoll, dass das Kreditvolumen langsamer reagiert als
seine Einflussfaktoren. So mag diese Skizze als ein Versuch verstanden werden, einen
Prozess plausibel zu machen und zusammenzufassen, der sich in seiner Vielschichtigkeit und mangels geeigneter Daten und Maßstäbe ansonsten einer zusammenfassenden
quantitativen Analyse in starkem Maße entzieht.
XIII. Zusammenfassung der Ergebnisse
Seit Kriegsbeginn bildeten die einschlägigen Zeitreihen (Einlagen, Bankenliquidität,
Notenbankkredit, Geldbasis etc.) eine real stetig wachsende Liquiditätsversorgung der
352 Hier spielten vereinbarte Laufzeiten bestehender Kredite sowie selbst in der Hyperinflation Usancen
und Kreditzusagen aufgrund gewachsener Kundenbeziehungen eine Rolle.
Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.
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Volkswirtschaft ab, bis in den Jahren 1917 und 1918 die absolute Spitze erreicht war. Die
liquiden Mittel wurden 1919 in einem großen krisenhaften Schritt insbesondere durch
den Verfall der Mark, aber auch durch Einlagenabzüge und Kapitalflucht weitgehend
abgebaut. Im ersten Halbjahr 1920 kam es aufgrund einer etwas lebhafteren Ausreichung
von Notenbankkrediten und spekulativer Zuflüsse von Auslandsgeldern zu einer Erholung
auf niedrigerem Niveau. Im Sommer 1921 bildete sich zunächst der Notenbankkredit
wieder zurück und in einzelnen Monaten kam es zu Einlagenabzügen der Inländer, ab
Herbst 1921 auch zum breiten Rückzug der Auslandsgelder. Die Entwicklung setzte
sich fort und mündete im Sommer und Herbst 1922 in eine krisenhafte Zuspitzung der
Liquiditätssituation.
Die Liquiditätskrise 1921/22 wurde zunächst eingeleitet durch den realen Rückgang
des Notenbankkredits (ab April 1921 insbesondere der Kredite der Darlehenskassen) und
Einlagenabzüge des breiten inländischen Publikums in einzelnen Monaten. Ab September
1921 folgten massenhafte Abzüge von Geldern aus dem Ausland. Die Liquiditätsausstattung der Aktienkreditbanken ging ab August 1921 nachhaltig zurück. Ihre Talsohle war im
April 1922 bereits nahezu erreicht. Diese Entwicklung stimmte bis Mitte 1922 gut mit der
Liquiditätslage des breiten Publikums überein. Im Gegensatz zu dieser verbesserte sich
die Liquiditätsausstattung der Aktienkreditbanken – und wohl nur ihre – ab August 1922
wieder, was auf eine deutliche Zurückhaltung dieser Institute in ihrer Kreditgewährung
und die Investition der betreffenden Gelder in wertbeständige liquide Mittel schließen
lässt. Ausweislich der außerhalb der Reichsbank platzierten Reichsschatzanweisungen
war der Kreditschöpfungsspielraum der Banken in den Monaten August, Oktober und
November 1922 sowie Januar 1923 besonders niedrig. In den Monaten August bis Oktober 1923 trat eine Entspannung der Liquiditätslage der gesamten Wirtschaft ein. Dies
lag zum Teil an den seit August/September 1923 erstmals in größerem Maße emittierten
wertbeständigen Zahlungsmitteln. Mit Ausnahme des Septembers war die Nettofinanzierung der Volkswirtschaft durch die Reichsbank im zweiten Halbjahr 1923 durchweg
negativ. Dies galt in besonderem Maße und bereits etwas früher für die Nettofinanzierung
des privaten Sektors durch die Reichsbank.
Die von den Kreditinstituten eingeräumten Kredite entwickelten sich während des
gesamten Untersuchungszeitraumes aufgrund einer immer mehr zunehmenden Liquiditätsneigung der Wirtschaftssubjekte schlechter als diejenigen Größen, die die Liquidität
abbildeten. Die Kreditvolumina gingen sogar (mit Ausnahme von 1917) in jedem Jahr
zurück. Nachdem das Kreditschöpfungspotenzial im Spätsommer 1922 nahezu auf Null
gesunken war und die Aktienkreditbanken in der Folge nicht bereit waren, die geringen
verbliebenen Kreditspielräume zu nutzen, übernahm die Reichsbank einen Teil dieser
Aufgabe. Erst in der letzten Phase der Hyperinflation stieg der Notenbankkredit nicht mehr
in dem Ausmaß, wie es für die Erhaltung der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
notwendig gewesen wäre. In dieser Phase schufen sich die Wirtschaftssubjekte einerseits
durch die Emission wertbeständiger Zahlungsmittel selbst die notwendige Liquidität,
andererseits reichten die Banken nun wieder etwas mehr Kredit aus.
Das Jahr 1923 war typisch für die Haltung und Politik der Reichsbank. Ihr Handeln
war weniger von einem einheitlichen geldpolitischen Willen geprägt, sondern folgte mehreren Prinzipien, die einander im Einzelfall durchaus widersprechen konnten. Darunter
war die gefühlte Verpflichtung am Wichtigsten, den politischen Leitlinien der Reichspo-
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litik zu folgen und den grundlegenden Interessen des Reiches nicht zuwider zu handeln
(„Reichstreue“). Sie spiegelte sich wider in der Bereitschaft, die Reichsregierung dort
durch (direkten oder indirekten) Notenbankkredit zu finanzieren, wo es für diese keine
Alternative gab. Das war im Februar und März 1923 im beginnenden Ruhrkampf der Fall.
Andererseits scheute die Reichsbank die unbeschränkte Kreditvergabe an die Banken. So
verhängte sie bereits Anfang April erste Kreditrestriktionen, aus denen sofort ein realer
Rückgang ihrer Wechselbestände resultierte – wenn sie auch weiterhin Liquiditätsengpässe
beseitigte und de facto zur Finanzierung des Ruhrkampfes beitrug. Selbst 1923 versuchte
die Reichsbank lange Zeit, formal an Prinzipien festzuhalten, die moderate Teuerungsraten
voraussetzten. Dazu gehörte das so genannte „Mark-gleich-Markt-Prinzip“. So kaufte die
Reichsbank erst sehr spät auf Goldmark, also letztendlich auf Dollar lautende Handelswechsel an. Auch ihre Zinsen erhöhte die Bank nur sehr zögerlich. Das galt besonders für
den Diskont von Reichsschatzanweisungen, bei dem sich die Reichsbank letztendlich erst
zu deutlichen Zinserhöhungen entschied, als die Kurse einiger wichtiger Reichsanleihen
Mitte Juli 1923 emporschossen und damit in dieser Hinsicht keine Rücksichtnahme auf
das Reich mehr geboten war. Die Politik der Reichsbank schwankte also keineswegs
von Mal zu Mal zwischen wechselnden Maximen. Sie richtete sich vielmehr dauerhaft
an klar definierten Aufgaben und Grundsätzen aus und entschied lediglich von Mal zu
Mal, welchem von ihnen Vorrang zukäme – neben der „Reichstreue“ eine ausreichende
Liquiditätsversorgung der Wirtschaft sowie „geordnete Verhältnissen“ an den Finanzmärkten, zu denen auch moderate Zinssätze zählten.
(Dr. Hartmut Kiehling, Associate Professor of Finance, German University in Cairo, und Gastprofessor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität zu Köln, c/o Astallerstraße 6, D-80339
München)
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Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.
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