Forensische Psychiatrie

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Rechtswissenschaftliches Institut
Forensische Psychiatrie
Herbstsemester 2017
Die Vorlesungsunterlagen werden vom Lehrstuhl Prof. Jositsch aufgeschaltet.
http://www.rwi.uzh.ch/lehreforschung/alphabetisch/jositsch/l
ehrveranstaltung.html
Die prüfungsrelevanten Inhalte und Literatur sind ebenso dort zu finden.
Einzeltermine
Datum
20.09.2017
27.09.2017
Thema
Einführung in die Psychopathologie
Psychiatrische Begutachtung: Beurteilung der
Schuldfähigkeit
Einführung in die Kinder- und
Jugendpsychopathologie und
Entwicklungspsychologie
Psychiatrische Begutachtung von jugendlichen
Straftätern: Beurteilung des Deliktverhaltens und
Schuldfähigkeit, differenzierte
Massnahmeempfehlung
Jugendforensische Versorgung inhaftierter
Jugendlicher
Einführung ins Risk Assessment
Aktuarische Risk Assessment Instrumente und
praktische Anwendung
Risk-Assessment bei häuslicher Gewalt
Wirksamkeit und Kosteneffiezienz forensischer
Therapien
Dozent/in
PUK: Dr. S. Lau
PUK: Prof. Dr. E.
Habermeyer
ZKJF: Dr. C. Bessler
ZKJF: PD Dr. M. Aebi
ZKJF: L. Vertone
06.12.2017
Risk-Assessment bei minderjährigen Straftätern
Deliktorientierte Therapie bei minderjährigen
Straftätern
Forensische Massnahmen und Behandlungen
13.12.2017
20.12.2017
Sexualdelinquenz
Differenzierte Massnahmenempfehlung
PUK: PD Dr. A. Hill
PUK: Dr. S. Lau
04.10.2017
11.10.2017
18.10.2017
25.10.2017
01.11.2017
08.11.2017
15.11.2017
22.11.2017
29.11.2017
ZKJF: Dr. C. Bessler
ZKJF: Dr. D. Stiefel
PPD: Prof. Dr. J. Endrass
PPD: Prof. Dr. J. Endrass
PPD: Prof. Dr. J. Endrass
PPD: Prof. Dr. J. Endrass
PUK: Prof. Dr. E.
Habermeyer
Einführung in die
psychopathologische
Befunderhebung
Aufgaben der forensischen
Psychiatrie
 Objektive Beratung von Juristen
 Beantwortung von Fachfragen, die ausserhalb juristischer
Kompetenz liegen
 Psychiatrisches Fachwissen transparent vermitteln
 Diagnosen stellen
 Auf Rechtsbegriffe anwenden
| 4
Wichtige Arbeitsbereiche der
forensischen Psychiatrie
 Schuldfähigkeit
 Kriminalprognose und Risikobeurteilung
 Therapie von Straftätern bzw. straffällig gewordenen psychisch
Kranken
 Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen
 Beratung und Behandlung von Verbrechensopfern
 Operative Fallanalyse
| 5
Diagnostik in der Psychiatrie
 Psychiatrische Untersuchung
 Allgemeine Psychopathologie: Lehre von den Symptomen
psychischer Störungen
 Moderne psychiatrische Klassifikationssysteme

ICD-10

DSM-IV
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch |
20. September 2017
| 6
Abhängigkeit des Befundes vom
psychopathologischen
Grundverständnis
Biographisch individuelles Erfassen
(Romantik, frühes 19. Jahrhundert):
 psychische Störungen in erster Linie Ausdruck einer biographischen
Fehlentwicklung
 subjekt-orientierter Ansatz
 Krankheit als Ausdruck des Scheiterns eines Lebensentwurfes
 Betonung des subjektiv-individuellen Aspekts gegenüber objektiven,
deskriptiven Ansätzen
Real-Definition von
psychischen Krankheiten
 "Geisteskrankheiten sind Gehirnkrankheiten"
(Griesinger, 1817-1868)
 psychische Krankheiten als naturwissenschaftlich fassbare Dinge
 "der Patient hat eine Krankheit"
 Befunderhebung = objektive, quasi photographische Abbildung
des vorgegebenen krankhaften Sachverhaltes
durch den Arzt
Nominal-Definition von
psychischen Krankheiten




Entwicklung von Kriterien nach dem jeweils aktuellen Wissenstand
psychopathologische Konventionen
Konstruktion eines Konzepts durch Experten
nicht was eine Störung ist, sondern unter welchen Umständen wir
begründet von einer Störung sprechen, ist Gegenstand der
psychiatrischen Diagnostikforschung.
 Ansatz der modernen Klassifikationssysteme
Entwicklung zu
Nominaldefinitionen
Frühe Klassifikationsversuche:
 Romantische Psychiatrie: Störungen sind Seelenerkrankungen, mit
Persönlichkeit verwoben
 Monomanie (Pinel, Esquirol)
 Einheitspsychose: Griesinger, Kontinuität
 Kahlbaum: Krankheitsentitäten
 Kraepelin: Verlauf
Krise der psychiatrischen Diagnostik




Schulenabhängigkeit (Kriterienvarianz)
geringe Interraterreliabilität
Komorbidität
fehlende Fremdbeurteilungsskalen (Beurteilungsvarianz)
 im Kontrast zu pharmakologischem Fortschritt
 kollidiert mit gesellschaftlichen Veränderungen
Operationalisierte Diagnostik




Symptomkriterien
Ausschlusskriterien
Zeitkriterien
Komorbiditätsprinzip

Abkehr von der Jasperschen
Schichtenregel
Wichtige Störungen








Hirnorganische Störungen
Abhängigkeit
Schizophrenie
Affektive Störungen
Neurotische- bzw. Belastungsstörungen
Störungen der Sexualpräferenz
Persönlichkeitsstörungen
Intelligenzminderung
Befunderhebung
Deskription:
deskriptiv = beschreibend
Ziel:
Symptomatik möglichst einfach, überprüfbar und übersichtlich erfassen und
benennen
Zeichen vs. Symptom:
Zeichen: objektive Manifestation eines psychopathologischen
Zustandes
Symptom: subjektive Manifestation eines psychopathologischen
Zustandes
 Unterscheidung ist wichtig, um eine Vermischung objektiver und
subjektiver Informationsquellen zu vermeiden.
Es geht um:
 das äusserlich erkennbare Verhalten des Patienten
 seine eigenen Angaben über das aktuelle Erleben
 Annahmen über das subjektive Erleben des Patienten, die der
Untersucher aufgrund von bestimmter Wahrnehmungen und
Wertungen hat
 Angaben Dritter über das Verhalten und das Erleben das Patiente
Teilaspekte













äusseres Erscheinungsbild
Art der Kontaktaufnahme, "Tenor" des Untersuchungsgespräches
Psychomotorik
Bewusstsein und Orientierung
Aufmerksamkeit und Gedächtnis
Denken und sprachliche Äusserungen
Befürchtungen und Zwänge
Wahn
Sinnestäuschungen
Ich-Störungen
Affektivität
Antrieb, Intentionalität, Wille
Persönlichkeitsmerkmale
Erscheinungsbild und Art der
Kontaktaufnahme



äusseres Erscheinungsbild
verbales und nonverbales Verhalten
Kontaktaufnahme
 Aufschluss über die psychosozialen Kompetenzen,
Behandlungsmotivation, mitunter auch über Persönlichkeitsmerkmale.
Histrionische
Persönlichkeitsstörung







rasch wechselnder oberflächlicher Affekt
intensive Emotionen, Dramatisierung
definieren sich über Anerkennung, stehen gerne im Mittelpunkt
nagende Selbstzweifel
lebenslustig, aktiv und mitreissend aber auch provokant oder
sexuell verführerisch
impressionistischer Sprachstil
suggestibel
Narzisstische
Persönlichkeitsstörung







Grössenideen, überzeugt von eigenen Fähigkeiten
Idealisierung und Bewertung in Beziehungen
hoher Anspruch an sich und andere
Benutzen anderer, wenig empathisch
brauchen Bewunderung, stehen gerne im Mittelpunkt
selbstbewusst, arrogant aber auch empfindsam und leicht
kränkbar
Selbstwertregulationsstörung
Bewusstsein und Orientierung
Bewusstseinsstörungen:
Störungen des gesamten Erlebens und Verhaltens, Störungen der
Aktivität, der Klarheit und Zielgerichtetheit und der Aufmerksamkeit, der
Sinneswahrnehmungen, Ansprechbarkeit, thematischen Fixierbarkeit,
Reagibilität auf Umweltreize, Orientierung des Denkens, Wollens und
Handelns
quantitative Bewusstseinsstörung:
Störung der Wachheit oder Vigilanz
qualitative Bewusstseinsstörung:
Störung der Fähigkeit, verschiedene Aspekte der eigenen Person und
der Umwelt zu verstehen, sinnvoll miteinander zu verbinden und sich
entsprechend mitzuteilen oder zu handeln.
Beispiel: Delir, Dämmerzustand, Bewusstseinseinengung,
Bewusstseinsverschiebung (z. B. Drogenrausch)
Orientierungsstörungen
Aufmerksamkeit und Gedächtnis
Auffassungsstörung:
Fähigkeit, Wahrnehmungen in ihrer Bedeutung zu begreifen, sinnvoll
miteinander zu verbinden und in den individuellen und sozialen
Erfahrungshorizont zu integrieren, ist gestört
Konzentrationsstörung:
Fähigkeit gestört, die Aufmerksamkeit einer Tätigkeit oder eines Themas
dauernd zuzuwenden
Merkfähigkeitsstörung:
reduziertes Vermögen, aktuelle Sachverhalte über kurze Zeiträume zu
erinnern
Psychomotorik
 Prägung von Bewegungsabläufen und Körperhaltung durch seelische
Vorgänge
 oftmals zeitlich stabiles Erkennungsmerkmal
 Störungen = Störungen des "in Erscheinung tretens"
 Beispiel: Stupor: keine Reaktion auf Versuche der Kontaktaufnahme,
starrer Gesichtsausdruck, Abwesenheit, Spontanbewegungen fehlen
 keine Bewusstseins-, sondern Kommunikationsstörung
Psychomotorik
 Parakinesen und Sterotypien: qualitativ abnorme, komplexe
Bewegungen, die Gestik, Mimik und Sprechweise betreffen,
sich wiederholende sprachliche oder motorische Tendenzen
 Verbigerationen = Wortsterotypien
 Manierismen: verstiegen, verschroben, unnatürlich, posenhaft,
befremdlich
 Theatralik: drastisch, überziehend
 Mutismus/Logorrhoe
Antrieb, Intentionalität, Wille
Antrieb:
Initiative, Schwung, Lebendigkeit, Energie, Zuwendung, Tatkraft,
Unternehmungsgeist.
Erkennbar an Aktivitätsniveau und Psychomotorik
Wille:
schwierig zu operationalisieren und zu quantifizieren
Abulie:
Willenschwäche, Negativismus, Ambivalenz
Affektivität - I
Affekt:
Kurze, spontane, aus der jeweiligen Situation entstandene
Gefühlregungen (Wetter)
Stimmung:
überdauernd, langwellig modulierbare Gefühlsregung (Klima)
Affektivität - II








Depressivität
Gefühllosigkeit
Anhedonie
Affektarmut und Affektstarre
Störung der Vitalgefühle
Ängstlichkeit
generalisierte Angst
phobische Angst
Affektivität - III
 Ambivalenz: gleichzeitige Existenz widersprüchlicher Gefühle,
Vorstellungen, Wünsche, Intentionen, Impulse, was meist als
ausserordentlich unangenehm erlebt wird
 Parathymie: Gefühlsausdruck und berichteter Erlebnisinhalt stimmen
nicht überein
 Affektlabilität: schnelle Stimmungswechsel, die sowohl als Reaktion
auf Aussenreize im Sinne einer erhöhten affektiven Ansprechbarkeit
als auch scheinbar spontan auftreten können
 Affektinkontinenz: affektive Reaktionen sind schon bei geringstem
Anlass massiv, nicht beherrschbar
Denken und Sprechen - I
Denkhemmung:
Denken und Sprechen wird als gebremst oder blockiert erlebt, gegen
inneren Widerstand
Denkverlangsamung:
schleppend träger Denkablauf, hier fehlt der Eindruck des Ankämpfens
gegen einen Widerstand
umständliches, weitschweifiges Denken:
Fehlende Trennung von Wesentlichen und Unwesentlichem, Verlieren in
Details bei Wahrung des inhaltlichen Gesamtzusammenhanges
Eingeengtes Denken: Umfang der Denkinhalte ist eingeschränkt, am
Thema haftend, gedankliche Fixierung
Denken und Sprechen - II
Perseveration:
Patient haftet an Worten oder Angaben
Grübeln:
unablässige Beschäftigung mit einem Thema,
Denkprozesse nur mit Mühe oder nicht zu unterbrechen,
führt zu Leidensdruck, wird aber nicht als fremd erlebt
Gedankendrängen:
Patient sieht sich dem Druck verschiedener Gedanken oder Einfälle
ausgesetzt, kann die Gedankenfülle kaum noch kontrollieren
Ideenflucht:
Vermehrung von Einfällen, assoziative Lockerung
Vorbeireden:
Patient geht nicht auf die gestellte Frage ein, bringt etwas inhaltlich
Unpassendes
Denken und Sprechen - III
Sperrung und Gedankenabreissen:
Abbruch einen sonst flüssigen Gedankenganges
Zerfahrenheit/Inkohärenz:
Zuverlässige Unterscheidungen kaum möglich: Zerfahrenheit soll eher für
Schizophrenien gelten,
Inkohärenz für hirnorganische Syndrome andere Definitionsversuche:
Steigerung der Zerfahrenheit mit völligem Sinnverlust innerhalb der
Satzebene bei Sinnverlust auf Wortebene: Zungenreden
Neologismen: Wortneubildungen, die der sprachlichen Konvention nicht
entsprechen
Befürchtungen und Zwänge
Befürchtungen:
Umdeutungen von Wahrnehmungen, Misstrauen, Ängstlichkeit, subjektiv,
eigene Wertung
Zwangssymptome:
Ritualisiertes Denken, Unsinnigkeit und Schädlichkeit wird erkannt,
dadurch entsteht Leidensdruck, dennoch können die Gedanken nicht
unterdrückt oder unterlassen werden, ohne in starke Unruhe oder Angst
zugeraten.
Beispiel: Zwangsgedanken, aufdrängende Gedankeninhalte
Zwangsimpulse:
zwangartig aufdrängende Handlungsimpulse (Koprolalie, Zählzwang,
Rechenzwang)
Zwangshandlungen:
aufgrund von Zwangsimpulsen und Zwangsgedanken durchgeführte
Handlungen, die Angst reduzieren sollen
Wahn
entsteht auf dem Boden einer allgemeinen Veränderung des Erlebens
und
imponiert als Fehlbeurteilung der Realität, die mit apriorischer Evidenz
(erfahrungsunabhängiger Gewissheit) auftritt und an der mit
subjektiver Gewissheit festgehalten wird, auch wenn sie im Widerspruch
zur Wirklichkeit der Mitmenschen steht
Wahnthemen







Beziehungswahn: wahnhafte Eigenbeziehungen
Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn
Eifersuchtswahn
Schuldwahn
Verarmungswahn, hypochondrischer Wahn
Grössenwahn
paranoid: Im angloamerikanischen Sprachraum mit Verfolgungswahn
gleich zusetzen.
 überwertige Idee: besonders wichtige, mit heftigen Affekten verbundene
Vorstellung, die dominierenden Einfluss auf Erleben, Planen und
Verhalten gewinnt
Sinnestäuschungen
Illusionen:
verfälschte wirkliche Wahrnehmungen, Reizquelle wird verkannt
Halluzinationen:
Wahrnehmungserlebnisse ohne physikalische Reizquelle
 Stimmenhören
 Akoasmen: Geräusche (z.B. Hämmern, Rauschen etc.)optische
Halluzinationen
 Körperhalluzinationen
 taktile Halluzinationen
 Geruchs- und Geschmackshalluzinationen
 Zoenästhesien: qualitativ abnorme, fremdartige, häufig negativ getönte
Leibsensationen
Zoenästhesien
1. Stufe:
dysästhetische Krise, Hypochondrismen
einfühlbarer Affekt
nachvollziehbare Körpermissempfindung
DD: Panikattacke
2. Stufe:
qualitativ eigenartig, Zoenästhesie i.e.S.
indifferenter/inadäquater Affekt
Einengung auf das abnorme Leiberleben
3. Stufe:
Leibhalluzinationen mit dem Charakter des Gemachten
und bizarrer Symptomatik
Ich-Störungen
Störungen in der subjektiven Wahrnehmung der eigenen Person, der
Umwelt und der Beziehung dieser beiden Bereiche zu einander
"bizarre Wahninhalte"
Derealisation:
Person, Gegenstände und Umgebung erscheinen unwirklich, fremdartig,
räumlich verändert und damit unvertraut
Depersonalisation:
Störung des Einheitserlebens der Person vor oder der subjektiven Identität in
bezug auf den gesamten Lebenslauf. Betroffene erleben sich als fremd,
unwirklich, verändert, uneinheitlich
Ich-Störungen
Gedankenausbreitung:
subjektives Erleben, das die Gedanken nicht mehr den Betroffenen
alleine gehören, dass andere daran Anteil haben und wissen, was er
denkt.
Gedankenentzug:
Wegnehmen eigener Gedanken.
Gedankeneingebung:
Implantieren fremder Gedanken und Vorstellungen in das eigene
Erleben, von aussen gesteuerten Beeinflussung und Lenkung.
Persönlichkeitsmerkmale
dauerhafte Muster in der Selbstwahrnehmung, der Wahrnehmung anderer,
der Werte, des Umgangs mit (Selbst-) Kontrolle und Impulsivität, dauerhafte
Charakteristika von Antrieb und Stimmung ("Temperament"), soziale
Kompetenzen im Sinne von Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit,
Umgang mit aversiven Affekten und Konflikten
DSM-IV-TR mit drei Clustern:
– sonderbar, exzentrisch
– dramatisch, emotional, launisch
– ängstlich, furchtsam
Intelligenz
Kasuistik
Der 26-jährige Proband hatte sein Opfer durch Schläge und Tritte
erheblich verletzt.
Motiv: Es werde ihm unmöglich gemacht, Arbeit zu finden oder
menschliche Kontakte aufzubauen. Eine Gemeinde verlange seit
über zwei Jahren von ihm, dass er zuvor Menschen mit den Augen
töten oder eine Frau vergewaltigen müsse. Es handele sich um eine
Gemeinschaft, die Gedanken lesen könne. Er werde von Ihnen
beschimpft, seine Handlungen abfällig kommentiert. Sein Opfer sei
Anführer dieser Gemeinde und beeinflusse ihn durch Hypnose. Er
habe nie mit ihm über die Stimmen bzw. die Gemeinde gesprochen:
„Der weiß ja, um was es geht“.
Am Tattag sei er von den Stimmen geweckt worden. Er habe ein
Traumbild des Opfers gesehen und gedacht, „jetzt manipuliert er
mich schon im Schlaf“.
Daraufhin habe er sich auf den Weg gemacht, um das Opfer zu töten.
Gewalt sei zwar nicht rechtens, er habe aber „endlich etwas
zurückgegeben und nicht immer nur einstecken“ wollen.
Zusammenfassung I






distanzierte Kontaktaufnahme
klares Bewusstsein, voll orientiert
Gedächtnis o.B., Aufmerksamkeit im Verlauf reduziert
Ausdruck starr
Antrieb unauffällig
Stimmung indifferent, affektive Reagibiltät eingeschränkt
Zusammenfassung II





Denkprozesse geordnet
Inhaltlich Verfolgungs-, Beeinträchtigungswahn
Akustische Halluzinationen
Ich-Störungen: Gedankeneingebungen
Persönlichkeit ???
Schizophrenie I (ICD-10)
Während eines Zeitraumes von mindestens einem Monat sollte eine
psychotische Episode mit entweder mindestens einem der unter 1. aufgezählten
Syndrome, Symptome und Anzeichen oder mit mindestens zwei der unter 2.
aufgezählten Symptome und Anzeichen bestehen.
1. Mindestens eines der folgenden Merkmale:
a. Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung, Gedankenentzug oder
Gedankenausbreitung
b. Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl des Gemachten, deutlich bezogen
auf Körper- oder Gliederbewegungen oder bestimmte Gedanken, Tätigkeiten
oder Empfindungen; Wahnwahrnehmung
c. kommentierende oder dialogische Stimmen, die über die Patienten reden oder
andere Stimmen, die aus bestimmten Körperteilen kommen
d. anhaltender kulturell unangemessener, bizarrer Wahn, wie der, das Wetter
kontrollieren zu können oder mit Außerirdischen in Verbindung zu stehen
Schizophrenie II (ICD-10)
2. oder mindestens zwei der folgenden Merkmale:
a. anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität, täglich während
mindestens eines Monats, begleitet von flüchtigen oder undeutlich
ausgebildeten Wahngedanken ohne Beteiligung oder begleitet von
langanhaltenden überwertigen Ideen
b. Neologismen, Gedankenabreißen oder Einschiebungen in den
Gedankenfluss, was zu Zerfahrenheit oder Danebenreden führt
c. katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien, oder wächserne
Biegsamkeit (Flexibilitas cerea), Negativismus, Mutismus und Stupor)
d. negative Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachte oder
inadäquate Affekte, Anhedonie, sozialer Rückzug, Aufmerksamkeitsstörung
Mahnung
Die objektivierende und klassifizierende Psychiatrie hat zu erheblichen
diagnostischen und therapeutischen Fortschritten geführt,
ohne eine einfühlende, verstehende bzw. um Verstehen bemühte
Grundhaltung wird sie aber inhuman.
Psychische Störungen und
Gewalt
Seite
Öffentliche Meinung
Arens, Berger & Lincoln, 2009; Crisp et al, 2005
 Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen kommt sowohl
in der Allgemeinbevölkerung als auch im Gesundheitssystem vor
 Besonders davon betroffen sind die Schizophrenie und Suchterkrankungen
Prescosolido et al., 2010
USA:
 Keine sign. Veränderung in Bezug auf Stigmatisierung zwischen 1996 – 2006
 62% der Befragten möchten z.B. nicht mit einem Schizophrenie erkrankten
eng zusammenarbeiten
 Mehrheit der Befragten gab an, dass Schizophrene und Alkoholiker
gewalttätig werden können
Seite
Wieviel % der Bevölkerung hat jemals
(life time) eine oder mehrere psychische
Störungen gehabt?
Seite
Lebenszeit (lifetime)
Prävalenz: 42,6 %
12-MonatsPrävalenz: 31,1 %
1-MonatsPrävalenz: 19,8 %
Frauen: 48,9 %
Männer: 36,8 %
Frauen: 37,0 %
Männer: 25,3 %
Frauen: 23,9 %
Männer: 15,8 %
"Geisteskranke…(werden) … nicht
häufiger zu Gewalttätern als …
Geistesgesunde"
Böker, Häfner 1973
Seite
Stimmt das?
Männer
Frauen
aggressives Verhalten in den 6 Monaten
vor Aufnahme
49%
39%
mindestens eine Gewalthandlung in den
6 Monaten vor Aufnahme
22%
19%
Anteil von Patienten mit Verurteilung
wegen eines Gewaltdelikts
47%
16%
Anteil von Patienten, die in den 6
Monaten vor Aufnahme Opfer einer
Aggressionshandlung wurden
57%
48%
Hodgins et al., 2007
Seite
Begünstigen psychische Störungen
zwischenmenschliche Gewaltanwendung?
a) Epidemiologische Studien (USA, UK)
- Überwiegende Mehrzahl (95%) von Menschen mit psychischer Störung
verübten innerhalb von 3 Jahren keine kriminellen Handlungen (Menschen
ohne Psych. Störung: 98%)
- Risikofaktoren: frühere Gewaltanwendung und begleitender
Substanzmissbrauch/-abhängigkeit, frühere Viktimisierung
- Erhöhung des Relativen Risikos für Gewaltanwendung bei affektiven
Erkrankungen und Angsterkrankungen
a) Record-Linkage Studien (Dänemark, Schweden)
- 10% der Gewalthandlungen bei Männern und 26% der Gewalthandlungen bei
Frauen gehen auf psychische Störung zurück.
- Höchste Risikosteigerung bei organisch begründeten Störungen und
Störungen aus dem Schizophreniespektrum
- Psychische Erkrankungen verweisen auf erhöhtes Rückfallrisiko bzgl.
Gewaltstraftaten
Maier et al., 2016
Seite
Begünstigen psychische Störungen
zwischenmenschliche Gewaltanwendung?
 Generell erhöhtes Risikoprofil für Straftaten mit zwischenmenschlicher Gewalt
für Gesamtheit psychisch Kranker wurde mehrfach und in verschiedenen
Ländern gefunden.
 Eine diagnosespezifische Betrachtungsweise ist wegen der Variation der
Risikoausprägungen erforderlich.
 Kulturelle Hintergrundfaktoren müssen aufgrund länderspezifischer
Unterschiede ebenfalls berücksichtigt werden.
Maier et al., 2016
Seite
Gewalt bei Psychosen
Epidemiologie
 Lebenszeitprävalenz liegt zwischen 0,6 – 1,0%
 Kulturübergreifend etwa gleich hohe Erkrankungsraten
 Geschlechter gleich häufig betroffen
 Alter bei Ersterkrankung bei Frauen höher (25-35 Jahre) als bei Männern
(15-25 Jahre)
Seite
Stigmatisierung
Wunsch nach sozialer Distanz zu Schizophrenen bei medizinischem
Fachpersonal und der Allgemeinbevölkerung vergleichbar hoch
Nordt, Rössler, Lauber (2006)
 Psychologie- und Medizinstudenten zeigen eine negative Einstellung
gegenüber Personen mit Schizophrenie
 Über 60% der Befragten beider Gruppen meinen, dass Schizophrene rasch
die Kontrolle über sich verlieren
 Stereotypen hinsichtlich der Gefährlichkeit der Schizophrenen vorhanden
Arens, Berger & Lincoln (2009)
Seite
Forensisch-Relevante Subtypen
Subtypen
Betroffene Bereiche
Symptomatik
Anmerkungen
Paranoide
Schizophrenie
(F20.0)
Wahrnehmung,
Inhaltliche
Denkstörungen
Verfolgungswahn,
Ich-Störungen,
Stimmen hören
Häufigster Subtyp Verfolgungswahn:
Sich in die Enge getrieben fühlen,
keinen Ausweg wissen, vermeintliche
Notwehrsituation
 Gewalt
Hebephrene
Schizophrenie
(F20.1)
Affektive
Veränderungen
Inadäquater, flacher Affekt,
zielloses Verhalten,
Denkstörungen
Sozialer Abstieg, Kritikminderung
 Eigentumsdelikte
Katatone
Schizophrenie
(F20.2)
Psychomotorik
Stupor, Erregung,
Haltungsstereotypien,
Negativismus
Selten:
Katatoner Erregungssturm mit
ungerichteter Gewaltanwendung
Liebeswahn,
Eifersuchtswahn
Häufig auf spezifische Person bezogen

Gewalt gegen Partner
und/oder vermeintlichen Nebenbuhler
Wahnhafte Störung Inhaltliche
(F22.0)
Denkstörungen
Seite 55
Risiko von Gewaltstraftaten bei
Schizophrenie
Risiko für Gewaltdelikte 4-5-fach erhöht
Der Grossteil der Betroffenen begeht keine Gewalthandlungen:
Basisrate in der Allgemeinbevölkerung:
Basisrate schizophrene Patienten:
1: 10‘000
1: 2‘000
 Das Risiko, einen gewaltbereiten Menschen zu treffen, liegt bei 1:10‘000
 Das Risiko, einen gewaltbereiten schizophrenen Menschen zu treffen, liegt
bei höchstens 1: 200.000
(bei einer Prävalenz von 1% muss man 100 Personen treffen, um einem Betroffenen zu begegnen,
100 x 2.000 entspricht dann der Anzahl von Kontakten bis man den schizophrenen Gewalttäter trifft)
 Im Kanton Zürich würden bei einer Einwohnerzahl von 1‘446‘100 aktuell
8‘677 bis 14‘461 Betroffene und zwischen 4 (Prävalenz 0,6%) und 7
(Prävalenz 1,0%) gewaltbereite Betroffene leben.
Fazel, Gulati et al. (2009); Müller-Isberner et al. (2009)
Seite
Risiko von Gewaltstraftaten bei
Schizophrenie
Schizophrene vs. Allgemeinbevölkerung:
Kontrolliert für Alter, Geschlecht und Substanzmissbrauch
 2.5-fach erhöhtes Risiko für andere Delikte
 3-fach erhöhtes Risiko für Gewaltdelikte
 3-fach erhöhtes Risiko für Gewalt gegen Familienmitglieder
Schizophrene mit einer Suchtproblematik:
 8.6-fach erhöhtes Risiko für Gewaltvorstrafen vs. Allgemeinbevölkerung
 Signifikant häufiger wegen Gewaltdelikten verurteilt als Schizophrene ohne
Suchtprobleme
Zunehmende Validität der Untersuchungsdesigns vermindert Überschätzung des
Gewaltrisikos für psychotisch erkrankte Patienten.
Das Suizidrisiko bei psychotisch erkrankten Patienten ist 3-mal höher als
schwerwiegende zwischenmenschliche Gewaltanwendung
Seite
Kriminalitätsbegünstigende Faktoren


Threat/control/override
Substanzkonsum



Antisoziale Persönlichkeit, Empathiemangel
VG von Gewaltdelikten (Gewalt gegen Menschen, Tiere, Gegenstände)








Wahn relevant für schwere Delikte
Überbelegung, Personalwechsel, Restriktionen
Soziale Desintegration
Steinert (1998)
Angermeyer, Schulze (1998)
Hodgins (1994)
Jüngeres Alter
Männliches Geschlecht
Frühe unbehandelte Krankheitsphase
Begleitender Suchtmittelkonsum
Maier et al. (2016)
Entstehung von Aggressionen bei
Schizophrenie
Drogen
THC
Kokain
Amphetamin
Alkohol
Stress
Persönlichkeit
Störung der
Informationsverarbeitung,
kognitive
Beurteilung
KrankheitsSymptome,
z.B.
Paranoia,
Halluzinationen
Frontale
Hemmung/
Verhaltensregulation
Top-down
Kontrolle
reduziert
Auslösung/Trigger
Amygdala,
limbisches System
Bottom-up
drive
erhöht
modifiziert nach Siever (2008)
Seite
Reaktion
Flucht
Gegenwehr
Krankheitssymptome
Paranoia,
Halluzinationen
Unterbringungsdelikte (führendes Delikt)
Delikt
NRW
M-V
Rheinau
Tötungsdelikt (inkl. Versuche)
29,4%
22,2%
29,3%
Körperverletzung
29,6%
35,6%
29,3%
Sexualdelikt
12,8%
11%
9,8%
Eigentumsdelikt
14,9%
8,8%
14,6%
Brandstiftung
8,9%
20%
2,4%
sonstige Delikte
4,5%
4,4%
14,6%
Seite
Behandlungsprobleme
Merkmal
NRW
M-V
Rheinau
komorbider
Substanzabusus,abhängigkeit
73,9%
62,2%
58,8%
komorbide
Persönlichkeitsstörung
17,2%
0,44%
14,7%
Complianceprobleme
90,7%
64,4%
55,9%
Vorstrafenbelastung
63,4%
64,4%
52,9%
7
3,7
3,1
durchschnittliche Anzahl der
Vorstrafen
Seite
Behandlungsprobleme
Eigengefährdung
Fremdgefährdung
Gedanken
46.9%
29.6%
Verhalten im Vorfeld der
Aufnahme
17.3%
14.3%
Vorgeschichte
58.2%
53.1%
erfragt/dokumentiert
93.9%
13.2%
Seite
affektive Störungen
Seite
Sachstand Depression
"Im Rahmen der landläufigen Kriminalität treten Patienten mit depressiven
Erkrankungen praktisch nicht in Erscheinung. Dies hängt mit den Besonderheiten
der Symptomatik zusammen, die durch Gehemmtheit, Skrupelhaftigkeit und
Selbstentwertungstendenzen gewissermassen einen "Schutzwall" gegenüber
dem Straffälligwerden darstellt"
Habermeyer E, Venzlaff U (2008) Affektive Störungen (und Anpassungsstörungen).
In: Foerster, Dressing, (Hrsg.) Psychiatrische Begutachtung. 5. Auflage. 189-204
Ausnahmen:
 Erweiterter Suizid (Lammel, 1987)
 Eigentumsdelikte (Mundt, 1981)
 Verkehrsdelikte (Mende, 1967)
Seite
Aber:
1. Suizidalität:

Suizidversuche können eine Tendenz zu gewaltsamen Lösungsstrategien anzeigen

Agitiert depressive Bilder können reaktive Aggressivität begünstigen
2. Häusliche Gewalt/Stalking



Assoziation von Stalker und Depression bei schwerer Gewalt (James & Farnham, 2003)
erhöhtes Suizidrisiko bei Stalker (McEvan et al., 2010)
Depression gilt als Risikofaktor für die Ausübung häuslicher und auch
schwerwiegenderer häuslicher Gewalt (Graham K et al., 2012)
3. Alkohol- und Substanzkonsum



Depressionen erhöhen das Risiko von Abhängigkeit und Missbrauch
Missbrauch und Abhängigkeit begünstigt Depressionen
Alkohol- und Substanzkonsum sind Risikofaktoren für Gewalt bei Depression (Hodgins
et al., 1999)
Seite
Aber:
4. Population Study zu Gewalt bei depressiver Störung (Fazel et al., 2015)
 47’158 ambulante Patienten mit depressiver Störung
 Kontrollgruppe Allgmeinbevölkerung (n = 898.454)
 mittlerer Beobachtungszeitraum: 3 bzw. 3.2 Jahre
a) 3,7% der depressiven Männer (gegenüber 1,2% in Kontrolle) 0,5% der Frauen
begehen Gewaltdelikte (0.2 in Kontrolle)  odds ratio von 3
b) Geschwister:  odds ratio von 1.2 - 1.5 gegenüber Kontrollgruppe
 odds ratio von 2 gegenüber nicht erkrankten Geschwistern
c) Risikofaktoren: Substanzgebrauch, Selbstschädigung, Gewalt (16.3% bei
Männern, 9.5% bei Frauen)
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Folgen
Die korrekte diagnostische Einordnung hat erhebliche Folgen für das weitere
Procedere:
 Agitiert-dysphore Symptome im Rahmen der depressiven Symptomatik sollten
nicht als Zeichen einer Persönlichkeitsstörung gewertet werden
 Agitiert depressive Syndrome können zu einer Intensivierung eines Substanzbzw. Alkoholkonsums führen
 Die Kombination von depressiv-agitierter Affektlage, Einengung der
Gedankengänge/Grübeln, Alkoholkonsum und Suizidalität kann zu Drohungen
beitragen
 Antidepressive Medikation kann die Symptomatik zurückbilden
 In Konfliktfällen auftretende depressive Symptome sind oftmals an eine
bestimmte Situation gebunden und bedingen keine erhöhte Rückfallgefahr
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Fazit Depression
"Im Rahmen der landläufigen Kriminalität treten Patienten mit depressiven
Erkrankungen praktisch nicht in Erscheinung. Dies hängt - insbesondere beim
melancholischen Typus bzw. den endogenen Depressionen - mit den
Besonderheiten der Symptomatik zusammen, die durch Gehemmtheit,
Skrupelhaftigkeit und Selbstentwertungstendenzen gegenüber dem
Straffälligwerden schützt."
Habermeyer E, Venzlaff U (2015) Affektive Störungen (und Anpassungsstörungen). In:
Dressing, Habermeyer (Hrsg.) Psychiatrische Begutachtung. 6. Auflage. 245-257
Andere Situation bei Drohungen, häuslicher Gewalt, Stalking:
Hier kann eine Depression auf ein suizidal-homizidales Syndrom verweisen
und einen Risikofaktor für schwere Gewalthandlungen darstellen
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Bipolare Störung
-
1 % der Gefängnispopulation mit Bipolar-I/II-Störung (Chang et al., 2015; Schönfeld et
al., 2006)
-
-
Seite
Tatbegehung stets bei manischer oder hypomanischer Verstimmung
Fazel, 2010:
- 2,3-fach erhöhtes Risiko für Begehung von Gewaltdelikten
- Nur minimale Erhöhung bei jenen, die keinen begleitenden Substanzkonsum
aufwiesen (1.3-fach).
- Erhöhte Gewaltrate bei nicht-erkrankten Geschwistern  genetische oder
Umwelteinflüsse
Weniger starker Prädiktor für Gewalt als Schizophrenie (Sariaslan et al., 2015)
Besondere Forensische Relevanz:
- Rapid Cycling-Verläufe (5-15% der bipolaren Störungen)
- Komorbiditäten (Antisoziale Persönlichkeitsstörung, Substanzmissbrauch)
Bipolare Störung
Typische Straftaten:
- Großteils Bagatelldelikte
- Eigentumsdelikte mit Betrug (übersteigerte Einkäufe, Kreditkartenbetrug etc.)
- Straßenverkehrsdelikte
- Sexuelle Enthemmung (Beleidigungen, Belästigung, grober Unfug)
- Selten: ernste Gewalttätigkeiten mit erheblichen Körperverletzungen oder mit
Todesfolge, Sexualstraftaten
- kein erhöhtes Risiko für Tötungsdelikte
Schanda, 2004; Habermeyer & Venzlaff, 2015
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Gewalt bei Suchterkrankungen
Delinquenz bei Suchterkrankungen
-
Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz
Direkte und indirekte Beschaffungskriminalität
- Eigentumsdelikte
- Aggressionsdelikte
- Wirkebenen
- Beeinträchtigung der Selbstbeherrschung
- Beeinträchtigung der Urteilsfähigkeit
- Beeinträchtigung der Impulskontrolle
- Unruhe, Reizbarkeit, Affektlabilität
- «Durchbrennen der Sicherungen»
- Misstrauen, Paranoia
- Paradoxe Reaktionen (z.B. bei Rausch)
 Multifaktorielles Geschehen (Geschlecht, Alter, Persönlichkeit, aggressive
Prädisposition, Komorbiditäten, Depravation)
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Alkoholabhängigkeit/-missbrauch
-
Alkoholabhängigkeit häufigste Abhängigkeitsform: 5% der deutschen Bevölkerung
3 - 4x mehr Männer als Frauen betroffen
25,6% der begutachteten Probanden waren Alkoholabhängig (Pillmann et al., 2000)
Längsschnittstudie: 86% traten strafrechtlich in Erscheinung vs. 37% der
Kontrollgruppe (Modestin et al., 1996)
- Alkoholabhängigkeit ist ein hochsignifikanter Prädiktor für rezidivierende
Kriminalität (Stadtland & Nedopil, 2003)
- Alkoholisierung häufig bei kriminellen Taten, jedoch multifaktorielles Geschehen
(Sozialisation, Peer-Group, Persönlichkeit etc.) (Farrington, 2009; Nedopil & Müller, 2012)
- Typische Delikte: Aggressionsdelikte, Gewaltstraftaten, schwere Unfälle (Soyka, 2001;
Nedopil & Müller, 2012)
- Steigerung der Aggressivität bei Alkoholisierung mit Studenten nachgewiesen
(Gustafson, 1991; Pillmann et al., 2000)
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Ausgewählte psychotrope Substanzen
Amphetamine
- Steigerung des Aggressionspotentials
- Paranoide Symptome und Halluzinationen
- Beschaffungskriminalität
- In Japan und asiatisch-pazifischem Raum häufigste forensisch relevante
Störung bei Aggressionsdelikten (Farell et al., 2002)
Cannabinoide (THC)
- Psychische Abhängigkeit (Suchtdruck, Beschaffungskriminalität)
- Auslösung von paranoiden Psychosen bei genetischer Vulnerabilität
- Atypische Rauschverläufe mit aggressiven Durchbrüchen und Panikattacken
Anabolika & Testosteronpräparate
- uneindeutige Datenlage bezüglich gesteigerter Aggressivität (Talih et al., 2007)
- Hypersexualität bei Testosteronanabolika
- Hohe Prävalenzen in Gefängnispopulationen (Lood et al., 2012; Klötz et al., 2010)
- Unklare Zusammenhänge aufgrund weiterer Einflussfaktoren wie
Dominanzbestreben, hohe Gewaltbereitschaft, kriminelle Subkultur
Seite
Gewalt bei
Persönlichkeitsstörungen
Seite
Definition von Persönlichkeitsstörung
Eine Persönlichkeitsstörung liegt dann vor, wenn durch den Ausprägungsgrad
und/ oder die besondere Konstellation von psychopathologisch relevanten
Merkmalen in den Bereichen des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens, Wollens
und der Beziehungs-gestaltung erhebliche subjektive Beschwerden und/oder
nachhaltige Beeinträchtigungen der sozialen Anpassung entstehen. (Saß 1987)
Seite
Klinische Bedeutung und Epidemiologie von
Persönlichkeitsstörungen

3 - 10 % der Allgemeinbevölkerung

40 - 60 % der psychiatrischen Patienten

in Haftpopulationen bis zu 70%

Antisoziale Persönlichkeitsstörungen bei bis zu 47% der Männer und 21%
der Frauen

Borderline Störung bei 25% der Frauen

Suizidrisiko 3x höher als in Allgemeinbevölkerung

beeinflußt Verlauf und Prognose komorbider psychiatrischer Erkrankungen
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Hauptgruppen der Persönlichkeitsstörungen
nach DSM-IV
Cluster A
(paranoide, schizoide, schizotypische PS)
sonderbar-exzentrisch, affektarm, misstrauisch
Cluster B
(histrionische, narzisstische, antisoziale, Borderline-PS)
dramatisch, emotional, launisch
Cluster C
(vermeidend-selbstunsichere, zwanghafte, dependente PS)
ängstlich-furchtsam
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ICD 10-Forschungskriterien
Dissoziale Persönlichkeitsstörung
Mindestens drei der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen müssen
vorliegen:
1) herzloses Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen Anderer
2) deutliche und andauernde verantwortungslose Haltung und
Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen
3) Unfähigkeit zur Aufrechterhaltung dauerhafter Beziehungen
4) sehr geringe Frustrationstoleranz und niedrige Schwelle für
aggressives, gewalttätiges Verhalten
5) fehlendes Schuldbewusstsein oder Unfähigkeit, aus negativer Erfahrung,
insbesondere Bestrafung, zu lernen
6) deutliche Neigung, andere zu beschuldigen oder plausible Rationalisierungen
anzubieten für konfliktträchtiges eigenes Verhalten
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Antisoziale Persönlichkeitsstörung
Frontale Dysfunktion
Mangelnde Selbstkontrolle
(kognitiv und motorisch)
Enthemmtes Verhalten
Mangelnde kognitive Flexibilität
Mangelnde Verhaltensanpassung
Untererregung
Reizsuche
Nicht-Wahrnehmung von Belohnung und
Bestrafung
Keine Angst vor Strafe, Wunsch nach sozialer
Anerkennung nicht verhaltensregulierend
Limbische Dysfunktion
Gefühlsarmut
Mangelnde emotionale Hemmung und
Empathie
Verminderte konditionierte Angst
Geringes Vermeidungsverhalten
Schwierigkeiten, emotionale
Gesichtsausdrücke zu erkennen
Angst des Opfers induziert keine
Aggressionshemmung
Seite
Caspi et al. (2002)
Seite
Andere forensisch relevante
Persönlichkeitsstörungen
Paranoide Persönlichkeitsstörung
 ständige Selbstbezogenheit, besonders in Verbindung mit starker
Überheblichkeit
 Streitbarkeit und beharrliches situationsunangemessenes Bestehen auf
eigene Rechte
 Misstrauen und anhaltende Tendenz, Erlebtes zu verdrehen, indem neutrale
oder freundliche Handlungen als feindlich oder verächtlich missdeutet werden
Narzisstische Persönlichkeitsstörung
 hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit
 glaubt von sich, besonders und einzigartig zu sein
 ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch
 zeigt einen Mangel an Empathie
 zeigt arrogante, überhebliche Verhaltensweisen oder Haltungen
Seite
Andere forensisch relevante Symptome von
Persönlichkeitsstörungen
Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung, impulsiver Typus
 deutliche Tendenz, unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen
zu handeln
 deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten
 Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt
 Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen, die nicht unmittelbar
belohnt werden
Borderline-Persönlichkeitsstörung
 affektive Instabilität
 unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren
Seite
Fazit
Fazit
Bedenken bezüglich Gewalt nicht unbegründet, aber…
 geringes Risiko für die Allgemeinbevölkerung
 weitaus überwiegender Teil der PatientInnen begeht keine Gewalttaten
 Ursachen der Delinquenz unklar – multikausales Geschehen
 Hohe Stigmatisierung
Seite
Schwedische Kohorten-Studie (2001-2008)
Menschen, die an einer psychischen Störung leiden, haben ein 4.9-fach
erhöhtes Risiko, Opfer von Tötungsdelikten zu werden
Suchterkrankungen:
Persönlichkeitsstörungen:
Schizophrenie:
16-fach
7-fach
5-fach
Zusammenhang zwischen Tötungsdelikten und psychischer Störung bleibt
trotz Kontrolle soziodemografischer Variablen (u.a. Geschlecht) bestehen
Komorbider Substanzmissbrauch erklärt den Zusammenhang zwischen
psychischer Störung und Tötungsdelikt nicht vollständig
Crump et al. (2013)
Suizidrate: 4-10%, Risiko ist 30-40x höher als in der Allgemeinbevölkerung
Seite
Danke für
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Zugehörige Unterlagen
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