Rechtswissenschaftliches Institut Forensische Psychiatrie Herbstsemester 2017 Die Vorlesungsunterlagen werden vom Lehrstuhl Prof. Jositsch aufgeschaltet. http://www.rwi.uzh.ch/lehreforschung/alphabetisch/jositsch/l ehrveranstaltung.html Die prüfungsrelevanten Inhalte und Literatur sind ebenso dort zu finden. Einzeltermine Datum 20.09.2017 27.09.2017 Thema Einführung in die Psychopathologie Psychiatrische Begutachtung: Beurteilung der Schuldfähigkeit Einführung in die Kinder- und Jugendpsychopathologie und Entwicklungspsychologie Psychiatrische Begutachtung von jugendlichen Straftätern: Beurteilung des Deliktverhaltens und Schuldfähigkeit, differenzierte Massnahmeempfehlung Jugendforensische Versorgung inhaftierter Jugendlicher Einführung ins Risk Assessment Aktuarische Risk Assessment Instrumente und praktische Anwendung Risk-Assessment bei häuslicher Gewalt Wirksamkeit und Kosteneffiezienz forensischer Therapien Dozent/in PUK: Dr. S. Lau PUK: Prof. Dr. E. Habermeyer ZKJF: Dr. C. Bessler ZKJF: PD Dr. M. Aebi ZKJF: L. Vertone 06.12.2017 Risk-Assessment bei minderjährigen Straftätern Deliktorientierte Therapie bei minderjährigen Straftätern Forensische Massnahmen und Behandlungen 13.12.2017 20.12.2017 Sexualdelinquenz Differenzierte Massnahmenempfehlung PUK: PD Dr. A. Hill PUK: Dr. S. Lau 04.10.2017 11.10.2017 18.10.2017 25.10.2017 01.11.2017 08.11.2017 15.11.2017 22.11.2017 29.11.2017 ZKJF: Dr. C. Bessler ZKJF: Dr. D. Stiefel PPD: Prof. Dr. J. Endrass PPD: Prof. Dr. J. Endrass PPD: Prof. Dr. J. Endrass PPD: Prof. Dr. J. Endrass PUK: Prof. Dr. E. Habermeyer Einführung in die psychopathologische Befunderhebung Aufgaben der forensischen Psychiatrie Objektive Beratung von Juristen Beantwortung von Fachfragen, die ausserhalb juristischer Kompetenz liegen Psychiatrisches Fachwissen transparent vermitteln Diagnosen stellen Auf Rechtsbegriffe anwenden | 4 Wichtige Arbeitsbereiche der forensischen Psychiatrie Schuldfähigkeit Kriminalprognose und Risikobeurteilung Therapie von Straftätern bzw. straffällig gewordenen psychisch Kranken Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen Beratung und Behandlung von Verbrechensopfern Operative Fallanalyse | 5 Diagnostik in der Psychiatrie Psychiatrische Untersuchung Allgemeine Psychopathologie: Lehre von den Symptomen psychischer Störungen Moderne psychiatrische Klassifikationssysteme ICD-10 DSM-IV Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 20. September 2017 | 6 Abhängigkeit des Befundes vom psychopathologischen Grundverständnis Biographisch individuelles Erfassen (Romantik, frühes 19. Jahrhundert): psychische Störungen in erster Linie Ausdruck einer biographischen Fehlentwicklung subjekt-orientierter Ansatz Krankheit als Ausdruck des Scheiterns eines Lebensentwurfes Betonung des subjektiv-individuellen Aspekts gegenüber objektiven, deskriptiven Ansätzen Real-Definition von psychischen Krankheiten "Geisteskrankheiten sind Gehirnkrankheiten" (Griesinger, 1817-1868) psychische Krankheiten als naturwissenschaftlich fassbare Dinge "der Patient hat eine Krankheit" Befunderhebung = objektive, quasi photographische Abbildung des vorgegebenen krankhaften Sachverhaltes durch den Arzt Nominal-Definition von psychischen Krankheiten Entwicklung von Kriterien nach dem jeweils aktuellen Wissenstand psychopathologische Konventionen Konstruktion eines Konzepts durch Experten nicht was eine Störung ist, sondern unter welchen Umständen wir begründet von einer Störung sprechen, ist Gegenstand der psychiatrischen Diagnostikforschung. Ansatz der modernen Klassifikationssysteme Entwicklung zu Nominaldefinitionen Frühe Klassifikationsversuche: Romantische Psychiatrie: Störungen sind Seelenerkrankungen, mit Persönlichkeit verwoben Monomanie (Pinel, Esquirol) Einheitspsychose: Griesinger, Kontinuität Kahlbaum: Krankheitsentitäten Kraepelin: Verlauf Krise der psychiatrischen Diagnostik Schulenabhängigkeit (Kriterienvarianz) geringe Interraterreliabilität Komorbidität fehlende Fremdbeurteilungsskalen (Beurteilungsvarianz) im Kontrast zu pharmakologischem Fortschritt kollidiert mit gesellschaftlichen Veränderungen Operationalisierte Diagnostik Symptomkriterien Ausschlusskriterien Zeitkriterien Komorbiditätsprinzip Abkehr von der Jasperschen Schichtenregel Wichtige Störungen Hirnorganische Störungen Abhängigkeit Schizophrenie Affektive Störungen Neurotische- bzw. Belastungsstörungen Störungen der Sexualpräferenz Persönlichkeitsstörungen Intelligenzminderung Befunderhebung Deskription: deskriptiv = beschreibend Ziel: Symptomatik möglichst einfach, überprüfbar und übersichtlich erfassen und benennen Zeichen vs. Symptom: Zeichen: objektive Manifestation eines psychopathologischen Zustandes Symptom: subjektive Manifestation eines psychopathologischen Zustandes Unterscheidung ist wichtig, um eine Vermischung objektiver und subjektiver Informationsquellen zu vermeiden. Es geht um: das äusserlich erkennbare Verhalten des Patienten seine eigenen Angaben über das aktuelle Erleben Annahmen über das subjektive Erleben des Patienten, die der Untersucher aufgrund von bestimmter Wahrnehmungen und Wertungen hat Angaben Dritter über das Verhalten und das Erleben das Patiente Teilaspekte äusseres Erscheinungsbild Art der Kontaktaufnahme, "Tenor" des Untersuchungsgespräches Psychomotorik Bewusstsein und Orientierung Aufmerksamkeit und Gedächtnis Denken und sprachliche Äusserungen Befürchtungen und Zwänge Wahn Sinnestäuschungen Ich-Störungen Affektivität Antrieb, Intentionalität, Wille Persönlichkeitsmerkmale Erscheinungsbild und Art der Kontaktaufnahme äusseres Erscheinungsbild verbales und nonverbales Verhalten Kontaktaufnahme Aufschluss über die psychosozialen Kompetenzen, Behandlungsmotivation, mitunter auch über Persönlichkeitsmerkmale. Histrionische Persönlichkeitsstörung rasch wechselnder oberflächlicher Affekt intensive Emotionen, Dramatisierung definieren sich über Anerkennung, stehen gerne im Mittelpunkt nagende Selbstzweifel lebenslustig, aktiv und mitreissend aber auch provokant oder sexuell verführerisch impressionistischer Sprachstil suggestibel Narzisstische Persönlichkeitsstörung Grössenideen, überzeugt von eigenen Fähigkeiten Idealisierung und Bewertung in Beziehungen hoher Anspruch an sich und andere Benutzen anderer, wenig empathisch brauchen Bewunderung, stehen gerne im Mittelpunkt selbstbewusst, arrogant aber auch empfindsam und leicht kränkbar Selbstwertregulationsstörung Bewusstsein und Orientierung Bewusstseinsstörungen: Störungen des gesamten Erlebens und Verhaltens, Störungen der Aktivität, der Klarheit und Zielgerichtetheit und der Aufmerksamkeit, der Sinneswahrnehmungen, Ansprechbarkeit, thematischen Fixierbarkeit, Reagibilität auf Umweltreize, Orientierung des Denkens, Wollens und Handelns quantitative Bewusstseinsstörung: Störung der Wachheit oder Vigilanz qualitative Bewusstseinsstörung: Störung der Fähigkeit, verschiedene Aspekte der eigenen Person und der Umwelt zu verstehen, sinnvoll miteinander zu verbinden und sich entsprechend mitzuteilen oder zu handeln. Beispiel: Delir, Dämmerzustand, Bewusstseinseinengung, Bewusstseinsverschiebung (z. B. Drogenrausch) Orientierungsstörungen Aufmerksamkeit und Gedächtnis Auffassungsstörung: Fähigkeit, Wahrnehmungen in ihrer Bedeutung zu begreifen, sinnvoll miteinander zu verbinden und in den individuellen und sozialen Erfahrungshorizont zu integrieren, ist gestört Konzentrationsstörung: Fähigkeit gestört, die Aufmerksamkeit einer Tätigkeit oder eines Themas dauernd zuzuwenden Merkfähigkeitsstörung: reduziertes Vermögen, aktuelle Sachverhalte über kurze Zeiträume zu erinnern Psychomotorik Prägung von Bewegungsabläufen und Körperhaltung durch seelische Vorgänge oftmals zeitlich stabiles Erkennungsmerkmal Störungen = Störungen des "in Erscheinung tretens" Beispiel: Stupor: keine Reaktion auf Versuche der Kontaktaufnahme, starrer Gesichtsausdruck, Abwesenheit, Spontanbewegungen fehlen keine Bewusstseins-, sondern Kommunikationsstörung Psychomotorik Parakinesen und Sterotypien: qualitativ abnorme, komplexe Bewegungen, die Gestik, Mimik und Sprechweise betreffen, sich wiederholende sprachliche oder motorische Tendenzen Verbigerationen = Wortsterotypien Manierismen: verstiegen, verschroben, unnatürlich, posenhaft, befremdlich Theatralik: drastisch, überziehend Mutismus/Logorrhoe Antrieb, Intentionalität, Wille Antrieb: Initiative, Schwung, Lebendigkeit, Energie, Zuwendung, Tatkraft, Unternehmungsgeist. Erkennbar an Aktivitätsniveau und Psychomotorik Wille: schwierig zu operationalisieren und zu quantifizieren Abulie: Willenschwäche, Negativismus, Ambivalenz Affektivität - I Affekt: Kurze, spontane, aus der jeweiligen Situation entstandene Gefühlregungen (Wetter) Stimmung: überdauernd, langwellig modulierbare Gefühlsregung (Klima) Affektivität - II Depressivität Gefühllosigkeit Anhedonie Affektarmut und Affektstarre Störung der Vitalgefühle Ängstlichkeit generalisierte Angst phobische Angst Affektivität - III Ambivalenz: gleichzeitige Existenz widersprüchlicher Gefühle, Vorstellungen, Wünsche, Intentionen, Impulse, was meist als ausserordentlich unangenehm erlebt wird Parathymie: Gefühlsausdruck und berichteter Erlebnisinhalt stimmen nicht überein Affektlabilität: schnelle Stimmungswechsel, die sowohl als Reaktion auf Aussenreize im Sinne einer erhöhten affektiven Ansprechbarkeit als auch scheinbar spontan auftreten können Affektinkontinenz: affektive Reaktionen sind schon bei geringstem Anlass massiv, nicht beherrschbar Denken und Sprechen - I Denkhemmung: Denken und Sprechen wird als gebremst oder blockiert erlebt, gegen inneren Widerstand Denkverlangsamung: schleppend träger Denkablauf, hier fehlt der Eindruck des Ankämpfens gegen einen Widerstand umständliches, weitschweifiges Denken: Fehlende Trennung von Wesentlichen und Unwesentlichem, Verlieren in Details bei Wahrung des inhaltlichen Gesamtzusammenhanges Eingeengtes Denken: Umfang der Denkinhalte ist eingeschränkt, am Thema haftend, gedankliche Fixierung Denken und Sprechen - II Perseveration: Patient haftet an Worten oder Angaben Grübeln: unablässige Beschäftigung mit einem Thema, Denkprozesse nur mit Mühe oder nicht zu unterbrechen, führt zu Leidensdruck, wird aber nicht als fremd erlebt Gedankendrängen: Patient sieht sich dem Druck verschiedener Gedanken oder Einfälle ausgesetzt, kann die Gedankenfülle kaum noch kontrollieren Ideenflucht: Vermehrung von Einfällen, assoziative Lockerung Vorbeireden: Patient geht nicht auf die gestellte Frage ein, bringt etwas inhaltlich Unpassendes Denken und Sprechen - III Sperrung und Gedankenabreissen: Abbruch einen sonst flüssigen Gedankenganges Zerfahrenheit/Inkohärenz: Zuverlässige Unterscheidungen kaum möglich: Zerfahrenheit soll eher für Schizophrenien gelten, Inkohärenz für hirnorganische Syndrome andere Definitionsversuche: Steigerung der Zerfahrenheit mit völligem Sinnverlust innerhalb der Satzebene bei Sinnverlust auf Wortebene: Zungenreden Neologismen: Wortneubildungen, die der sprachlichen Konvention nicht entsprechen Befürchtungen und Zwänge Befürchtungen: Umdeutungen von Wahrnehmungen, Misstrauen, Ängstlichkeit, subjektiv, eigene Wertung Zwangssymptome: Ritualisiertes Denken, Unsinnigkeit und Schädlichkeit wird erkannt, dadurch entsteht Leidensdruck, dennoch können die Gedanken nicht unterdrückt oder unterlassen werden, ohne in starke Unruhe oder Angst zugeraten. Beispiel: Zwangsgedanken, aufdrängende Gedankeninhalte Zwangsimpulse: zwangartig aufdrängende Handlungsimpulse (Koprolalie, Zählzwang, Rechenzwang) Zwangshandlungen: aufgrund von Zwangsimpulsen und Zwangsgedanken durchgeführte Handlungen, die Angst reduzieren sollen Wahn entsteht auf dem Boden einer allgemeinen Veränderung des Erlebens und imponiert als Fehlbeurteilung der Realität, die mit apriorischer Evidenz (erfahrungsunabhängiger Gewissheit) auftritt und an der mit subjektiver Gewissheit festgehalten wird, auch wenn sie im Widerspruch zur Wirklichkeit der Mitmenschen steht Wahnthemen Beziehungswahn: wahnhafte Eigenbeziehungen Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn Eifersuchtswahn Schuldwahn Verarmungswahn, hypochondrischer Wahn Grössenwahn paranoid: Im angloamerikanischen Sprachraum mit Verfolgungswahn gleich zusetzen. überwertige Idee: besonders wichtige, mit heftigen Affekten verbundene Vorstellung, die dominierenden Einfluss auf Erleben, Planen und Verhalten gewinnt Sinnestäuschungen Illusionen: verfälschte wirkliche Wahrnehmungen, Reizquelle wird verkannt Halluzinationen: Wahrnehmungserlebnisse ohne physikalische Reizquelle Stimmenhören Akoasmen: Geräusche (z.B. Hämmern, Rauschen etc.)optische Halluzinationen Körperhalluzinationen taktile Halluzinationen Geruchs- und Geschmackshalluzinationen Zoenästhesien: qualitativ abnorme, fremdartige, häufig negativ getönte Leibsensationen Zoenästhesien 1. Stufe: dysästhetische Krise, Hypochondrismen einfühlbarer Affekt nachvollziehbare Körpermissempfindung DD: Panikattacke 2. Stufe: qualitativ eigenartig, Zoenästhesie i.e.S. indifferenter/inadäquater Affekt Einengung auf das abnorme Leiberleben 3. Stufe: Leibhalluzinationen mit dem Charakter des Gemachten und bizarrer Symptomatik Ich-Störungen Störungen in der subjektiven Wahrnehmung der eigenen Person, der Umwelt und der Beziehung dieser beiden Bereiche zu einander "bizarre Wahninhalte" Derealisation: Person, Gegenstände und Umgebung erscheinen unwirklich, fremdartig, räumlich verändert und damit unvertraut Depersonalisation: Störung des Einheitserlebens der Person vor oder der subjektiven Identität in bezug auf den gesamten Lebenslauf. Betroffene erleben sich als fremd, unwirklich, verändert, uneinheitlich Ich-Störungen Gedankenausbreitung: subjektives Erleben, das die Gedanken nicht mehr den Betroffenen alleine gehören, dass andere daran Anteil haben und wissen, was er denkt. Gedankenentzug: Wegnehmen eigener Gedanken. Gedankeneingebung: Implantieren fremder Gedanken und Vorstellungen in das eigene Erleben, von aussen gesteuerten Beeinflussung und Lenkung. Persönlichkeitsmerkmale dauerhafte Muster in der Selbstwahrnehmung, der Wahrnehmung anderer, der Werte, des Umgangs mit (Selbst-) Kontrolle und Impulsivität, dauerhafte Charakteristika von Antrieb und Stimmung ("Temperament"), soziale Kompetenzen im Sinne von Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit, Umgang mit aversiven Affekten und Konflikten DSM-IV-TR mit drei Clustern: – sonderbar, exzentrisch – dramatisch, emotional, launisch – ängstlich, furchtsam Intelligenz Kasuistik Der 26-jährige Proband hatte sein Opfer durch Schläge und Tritte erheblich verletzt. Motiv: Es werde ihm unmöglich gemacht, Arbeit zu finden oder menschliche Kontakte aufzubauen. Eine Gemeinde verlange seit über zwei Jahren von ihm, dass er zuvor Menschen mit den Augen töten oder eine Frau vergewaltigen müsse. Es handele sich um eine Gemeinschaft, die Gedanken lesen könne. Er werde von Ihnen beschimpft, seine Handlungen abfällig kommentiert. Sein Opfer sei Anführer dieser Gemeinde und beeinflusse ihn durch Hypnose. Er habe nie mit ihm über die Stimmen bzw. die Gemeinde gesprochen: „Der weiß ja, um was es geht“. Am Tattag sei er von den Stimmen geweckt worden. Er habe ein Traumbild des Opfers gesehen und gedacht, „jetzt manipuliert er mich schon im Schlaf“. Daraufhin habe er sich auf den Weg gemacht, um das Opfer zu töten. Gewalt sei zwar nicht rechtens, er habe aber „endlich etwas zurückgegeben und nicht immer nur einstecken“ wollen. Zusammenfassung I distanzierte Kontaktaufnahme klares Bewusstsein, voll orientiert Gedächtnis o.B., Aufmerksamkeit im Verlauf reduziert Ausdruck starr Antrieb unauffällig Stimmung indifferent, affektive Reagibiltät eingeschränkt Zusammenfassung II Denkprozesse geordnet Inhaltlich Verfolgungs-, Beeinträchtigungswahn Akustische Halluzinationen Ich-Störungen: Gedankeneingebungen Persönlichkeit ??? Schizophrenie I (ICD-10) Während eines Zeitraumes von mindestens einem Monat sollte eine psychotische Episode mit entweder mindestens einem der unter 1. aufgezählten Syndrome, Symptome und Anzeichen oder mit mindestens zwei der unter 2. aufgezählten Symptome und Anzeichen bestehen. 1. Mindestens eines der folgenden Merkmale: a. Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung, Gedankenentzug oder Gedankenausbreitung b. Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl des Gemachten, deutlich bezogen auf Körper- oder Gliederbewegungen oder bestimmte Gedanken, Tätigkeiten oder Empfindungen; Wahnwahrnehmung c. kommentierende oder dialogische Stimmen, die über die Patienten reden oder andere Stimmen, die aus bestimmten Körperteilen kommen d. anhaltender kulturell unangemessener, bizarrer Wahn, wie der, das Wetter kontrollieren zu können oder mit Außerirdischen in Verbindung zu stehen Schizophrenie II (ICD-10) 2. oder mindestens zwei der folgenden Merkmale: a. anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität, täglich während mindestens eines Monats, begleitet von flüchtigen oder undeutlich ausgebildeten Wahngedanken ohne Beteiligung oder begleitet von langanhaltenden überwertigen Ideen b. Neologismen, Gedankenabreißen oder Einschiebungen in den Gedankenfluss, was zu Zerfahrenheit oder Danebenreden führt c. katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien, oder wächserne Biegsamkeit (Flexibilitas cerea), Negativismus, Mutismus und Stupor) d. negative Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachte oder inadäquate Affekte, Anhedonie, sozialer Rückzug, Aufmerksamkeitsstörung Mahnung Die objektivierende und klassifizierende Psychiatrie hat zu erheblichen diagnostischen und therapeutischen Fortschritten geführt, ohne eine einfühlende, verstehende bzw. um Verstehen bemühte Grundhaltung wird sie aber inhuman. Psychische Störungen und Gewalt Seite Öffentliche Meinung Arens, Berger & Lincoln, 2009; Crisp et al, 2005 Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen kommt sowohl in der Allgemeinbevölkerung als auch im Gesundheitssystem vor Besonders davon betroffen sind die Schizophrenie und Suchterkrankungen Prescosolido et al., 2010 USA: Keine sign. Veränderung in Bezug auf Stigmatisierung zwischen 1996 – 2006 62% der Befragten möchten z.B. nicht mit einem Schizophrenie erkrankten eng zusammenarbeiten Mehrheit der Befragten gab an, dass Schizophrene und Alkoholiker gewalttätig werden können Seite Wieviel % der Bevölkerung hat jemals (life time) eine oder mehrere psychische Störungen gehabt? Seite Lebenszeit (lifetime) Prävalenz: 42,6 % 12-MonatsPrävalenz: 31,1 % 1-MonatsPrävalenz: 19,8 % Frauen: 48,9 % Männer: 36,8 % Frauen: 37,0 % Männer: 25,3 % Frauen: 23,9 % Männer: 15,8 % "Geisteskranke…(werden) … nicht häufiger zu Gewalttätern als … Geistesgesunde" Böker, Häfner 1973 Seite Stimmt das? Männer Frauen aggressives Verhalten in den 6 Monaten vor Aufnahme 49% 39% mindestens eine Gewalthandlung in den 6 Monaten vor Aufnahme 22% 19% Anteil von Patienten mit Verurteilung wegen eines Gewaltdelikts 47% 16% Anteil von Patienten, die in den 6 Monaten vor Aufnahme Opfer einer Aggressionshandlung wurden 57% 48% Hodgins et al., 2007 Seite Begünstigen psychische Störungen zwischenmenschliche Gewaltanwendung? a) Epidemiologische Studien (USA, UK) - Überwiegende Mehrzahl (95%) von Menschen mit psychischer Störung verübten innerhalb von 3 Jahren keine kriminellen Handlungen (Menschen ohne Psych. Störung: 98%) - Risikofaktoren: frühere Gewaltanwendung und begleitender Substanzmissbrauch/-abhängigkeit, frühere Viktimisierung - Erhöhung des Relativen Risikos für Gewaltanwendung bei affektiven Erkrankungen und Angsterkrankungen a) Record-Linkage Studien (Dänemark, Schweden) - 10% der Gewalthandlungen bei Männern und 26% der Gewalthandlungen bei Frauen gehen auf psychische Störung zurück. - Höchste Risikosteigerung bei organisch begründeten Störungen und Störungen aus dem Schizophreniespektrum - Psychische Erkrankungen verweisen auf erhöhtes Rückfallrisiko bzgl. Gewaltstraftaten Maier et al., 2016 Seite Begünstigen psychische Störungen zwischenmenschliche Gewaltanwendung? Generell erhöhtes Risikoprofil für Straftaten mit zwischenmenschlicher Gewalt für Gesamtheit psychisch Kranker wurde mehrfach und in verschiedenen Ländern gefunden. Eine diagnosespezifische Betrachtungsweise ist wegen der Variation der Risikoausprägungen erforderlich. Kulturelle Hintergrundfaktoren müssen aufgrund länderspezifischer Unterschiede ebenfalls berücksichtigt werden. Maier et al., 2016 Seite Gewalt bei Psychosen Epidemiologie Lebenszeitprävalenz liegt zwischen 0,6 – 1,0% Kulturübergreifend etwa gleich hohe Erkrankungsraten Geschlechter gleich häufig betroffen Alter bei Ersterkrankung bei Frauen höher (25-35 Jahre) als bei Männern (15-25 Jahre) Seite Stigmatisierung Wunsch nach sozialer Distanz zu Schizophrenen bei medizinischem Fachpersonal und der Allgemeinbevölkerung vergleichbar hoch Nordt, Rössler, Lauber (2006) Psychologie- und Medizinstudenten zeigen eine negative Einstellung gegenüber Personen mit Schizophrenie Über 60% der Befragten beider Gruppen meinen, dass Schizophrene rasch die Kontrolle über sich verlieren Stereotypen hinsichtlich der Gefährlichkeit der Schizophrenen vorhanden Arens, Berger & Lincoln (2009) Seite Forensisch-Relevante Subtypen Subtypen Betroffene Bereiche Symptomatik Anmerkungen Paranoide Schizophrenie (F20.0) Wahrnehmung, Inhaltliche Denkstörungen Verfolgungswahn, Ich-Störungen, Stimmen hören Häufigster Subtyp Verfolgungswahn: Sich in die Enge getrieben fühlen, keinen Ausweg wissen, vermeintliche Notwehrsituation Gewalt Hebephrene Schizophrenie (F20.1) Affektive Veränderungen Inadäquater, flacher Affekt, zielloses Verhalten, Denkstörungen Sozialer Abstieg, Kritikminderung Eigentumsdelikte Katatone Schizophrenie (F20.2) Psychomotorik Stupor, Erregung, Haltungsstereotypien, Negativismus Selten: Katatoner Erregungssturm mit ungerichteter Gewaltanwendung Liebeswahn, Eifersuchtswahn Häufig auf spezifische Person bezogen Gewalt gegen Partner und/oder vermeintlichen Nebenbuhler Wahnhafte Störung Inhaltliche (F22.0) Denkstörungen Seite 55 Risiko von Gewaltstraftaten bei Schizophrenie Risiko für Gewaltdelikte 4-5-fach erhöht Der Grossteil der Betroffenen begeht keine Gewalthandlungen: Basisrate in der Allgemeinbevölkerung: Basisrate schizophrene Patienten: 1: 10‘000 1: 2‘000 Das Risiko, einen gewaltbereiten Menschen zu treffen, liegt bei 1:10‘000 Das Risiko, einen gewaltbereiten schizophrenen Menschen zu treffen, liegt bei höchstens 1: 200.000 (bei einer Prävalenz von 1% muss man 100 Personen treffen, um einem Betroffenen zu begegnen, 100 x 2.000 entspricht dann der Anzahl von Kontakten bis man den schizophrenen Gewalttäter trifft) Im Kanton Zürich würden bei einer Einwohnerzahl von 1‘446‘100 aktuell 8‘677 bis 14‘461 Betroffene und zwischen 4 (Prävalenz 0,6%) und 7 (Prävalenz 1,0%) gewaltbereite Betroffene leben. Fazel, Gulati et al. (2009); Müller-Isberner et al. (2009) Seite Risiko von Gewaltstraftaten bei Schizophrenie Schizophrene vs. Allgemeinbevölkerung: Kontrolliert für Alter, Geschlecht und Substanzmissbrauch 2.5-fach erhöhtes Risiko für andere Delikte 3-fach erhöhtes Risiko für Gewaltdelikte 3-fach erhöhtes Risiko für Gewalt gegen Familienmitglieder Schizophrene mit einer Suchtproblematik: 8.6-fach erhöhtes Risiko für Gewaltvorstrafen vs. Allgemeinbevölkerung Signifikant häufiger wegen Gewaltdelikten verurteilt als Schizophrene ohne Suchtprobleme Zunehmende Validität der Untersuchungsdesigns vermindert Überschätzung des Gewaltrisikos für psychotisch erkrankte Patienten. Das Suizidrisiko bei psychotisch erkrankten Patienten ist 3-mal höher als schwerwiegende zwischenmenschliche Gewaltanwendung Seite Kriminalitätsbegünstigende Faktoren Threat/control/override Substanzkonsum Antisoziale Persönlichkeit, Empathiemangel VG von Gewaltdelikten (Gewalt gegen Menschen, Tiere, Gegenstände) Wahn relevant für schwere Delikte Überbelegung, Personalwechsel, Restriktionen Soziale Desintegration Steinert (1998) Angermeyer, Schulze (1998) Hodgins (1994) Jüngeres Alter Männliches Geschlecht Frühe unbehandelte Krankheitsphase Begleitender Suchtmittelkonsum Maier et al. (2016) Entstehung von Aggressionen bei Schizophrenie Drogen THC Kokain Amphetamin Alkohol Stress Persönlichkeit Störung der Informationsverarbeitung, kognitive Beurteilung KrankheitsSymptome, z.B. Paranoia, Halluzinationen Frontale Hemmung/ Verhaltensregulation Top-down Kontrolle reduziert Auslösung/Trigger Amygdala, limbisches System Bottom-up drive erhöht modifiziert nach Siever (2008) Seite Reaktion Flucht Gegenwehr Krankheitssymptome Paranoia, Halluzinationen Unterbringungsdelikte (führendes Delikt) Delikt NRW M-V Rheinau Tötungsdelikt (inkl. Versuche) 29,4% 22,2% 29,3% Körperverletzung 29,6% 35,6% 29,3% Sexualdelikt 12,8% 11% 9,8% Eigentumsdelikt 14,9% 8,8% 14,6% Brandstiftung 8,9% 20% 2,4% sonstige Delikte 4,5% 4,4% 14,6% Seite Behandlungsprobleme Merkmal NRW M-V Rheinau komorbider Substanzabusus,abhängigkeit 73,9% 62,2% 58,8% komorbide Persönlichkeitsstörung 17,2% 0,44% 14,7% Complianceprobleme 90,7% 64,4% 55,9% Vorstrafenbelastung 63,4% 64,4% 52,9% 7 3,7 3,1 durchschnittliche Anzahl der Vorstrafen Seite Behandlungsprobleme Eigengefährdung Fremdgefährdung Gedanken 46.9% 29.6% Verhalten im Vorfeld der Aufnahme 17.3% 14.3% Vorgeschichte 58.2% 53.1% erfragt/dokumentiert 93.9% 13.2% Seite affektive Störungen Seite Sachstand Depression "Im Rahmen der landläufigen Kriminalität treten Patienten mit depressiven Erkrankungen praktisch nicht in Erscheinung. Dies hängt mit den Besonderheiten der Symptomatik zusammen, die durch Gehemmtheit, Skrupelhaftigkeit und Selbstentwertungstendenzen gewissermassen einen "Schutzwall" gegenüber dem Straffälligwerden darstellt" Habermeyer E, Venzlaff U (2008) Affektive Störungen (und Anpassungsstörungen). In: Foerster, Dressing, (Hrsg.) Psychiatrische Begutachtung. 5. Auflage. 189-204 Ausnahmen: Erweiterter Suizid (Lammel, 1987) Eigentumsdelikte (Mundt, 1981) Verkehrsdelikte (Mende, 1967) Seite Aber: 1. Suizidalität: Suizidversuche können eine Tendenz zu gewaltsamen Lösungsstrategien anzeigen Agitiert depressive Bilder können reaktive Aggressivität begünstigen 2. Häusliche Gewalt/Stalking Assoziation von Stalker und Depression bei schwerer Gewalt (James & Farnham, 2003) erhöhtes Suizidrisiko bei Stalker (McEvan et al., 2010) Depression gilt als Risikofaktor für die Ausübung häuslicher und auch schwerwiegenderer häuslicher Gewalt (Graham K et al., 2012) 3. Alkohol- und Substanzkonsum Depressionen erhöhen das Risiko von Abhängigkeit und Missbrauch Missbrauch und Abhängigkeit begünstigt Depressionen Alkohol- und Substanzkonsum sind Risikofaktoren für Gewalt bei Depression (Hodgins et al., 1999) Seite Aber: 4. Population Study zu Gewalt bei depressiver Störung (Fazel et al., 2015) 47’158 ambulante Patienten mit depressiver Störung Kontrollgruppe Allgmeinbevölkerung (n = 898.454) mittlerer Beobachtungszeitraum: 3 bzw. 3.2 Jahre a) 3,7% der depressiven Männer (gegenüber 1,2% in Kontrolle) 0,5% der Frauen begehen Gewaltdelikte (0.2 in Kontrolle) odds ratio von 3 b) Geschwister: odds ratio von 1.2 - 1.5 gegenüber Kontrollgruppe odds ratio von 2 gegenüber nicht erkrankten Geschwistern c) Risikofaktoren: Substanzgebrauch, Selbstschädigung, Gewalt (16.3% bei Männern, 9.5% bei Frauen) Seite Folgen Die korrekte diagnostische Einordnung hat erhebliche Folgen für das weitere Procedere: Agitiert-dysphore Symptome im Rahmen der depressiven Symptomatik sollten nicht als Zeichen einer Persönlichkeitsstörung gewertet werden Agitiert depressive Syndrome können zu einer Intensivierung eines Substanzbzw. Alkoholkonsums führen Die Kombination von depressiv-agitierter Affektlage, Einengung der Gedankengänge/Grübeln, Alkoholkonsum und Suizidalität kann zu Drohungen beitragen Antidepressive Medikation kann die Symptomatik zurückbilden In Konfliktfällen auftretende depressive Symptome sind oftmals an eine bestimmte Situation gebunden und bedingen keine erhöhte Rückfallgefahr Seite Fazit Depression "Im Rahmen der landläufigen Kriminalität treten Patienten mit depressiven Erkrankungen praktisch nicht in Erscheinung. Dies hängt - insbesondere beim melancholischen Typus bzw. den endogenen Depressionen - mit den Besonderheiten der Symptomatik zusammen, die durch Gehemmtheit, Skrupelhaftigkeit und Selbstentwertungstendenzen gegenüber dem Straffälligwerden schützt." Habermeyer E, Venzlaff U (2015) Affektive Störungen (und Anpassungsstörungen). In: Dressing, Habermeyer (Hrsg.) Psychiatrische Begutachtung. 6. Auflage. 245-257 Andere Situation bei Drohungen, häuslicher Gewalt, Stalking: Hier kann eine Depression auf ein suizidal-homizidales Syndrom verweisen und einen Risikofaktor für schwere Gewalthandlungen darstellen Seite Bipolare Störung - 1 % der Gefängnispopulation mit Bipolar-I/II-Störung (Chang et al., 2015; Schönfeld et al., 2006) - - Seite Tatbegehung stets bei manischer oder hypomanischer Verstimmung Fazel, 2010: - 2,3-fach erhöhtes Risiko für Begehung von Gewaltdelikten - Nur minimale Erhöhung bei jenen, die keinen begleitenden Substanzkonsum aufwiesen (1.3-fach). - Erhöhte Gewaltrate bei nicht-erkrankten Geschwistern genetische oder Umwelteinflüsse Weniger starker Prädiktor für Gewalt als Schizophrenie (Sariaslan et al., 2015) Besondere Forensische Relevanz: - Rapid Cycling-Verläufe (5-15% der bipolaren Störungen) - Komorbiditäten (Antisoziale Persönlichkeitsstörung, Substanzmissbrauch) Bipolare Störung Typische Straftaten: - Großteils Bagatelldelikte - Eigentumsdelikte mit Betrug (übersteigerte Einkäufe, Kreditkartenbetrug etc.) - Straßenverkehrsdelikte - Sexuelle Enthemmung (Beleidigungen, Belästigung, grober Unfug) - Selten: ernste Gewalttätigkeiten mit erheblichen Körperverletzungen oder mit Todesfolge, Sexualstraftaten - kein erhöhtes Risiko für Tötungsdelikte Schanda, 2004; Habermeyer & Venzlaff, 2015 Seite Gewalt bei Suchterkrankungen Delinquenz bei Suchterkrankungen - Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz Direkte und indirekte Beschaffungskriminalität - Eigentumsdelikte - Aggressionsdelikte - Wirkebenen - Beeinträchtigung der Selbstbeherrschung - Beeinträchtigung der Urteilsfähigkeit - Beeinträchtigung der Impulskontrolle - Unruhe, Reizbarkeit, Affektlabilität - «Durchbrennen der Sicherungen» - Misstrauen, Paranoia - Paradoxe Reaktionen (z.B. bei Rausch) Multifaktorielles Geschehen (Geschlecht, Alter, Persönlichkeit, aggressive Prädisposition, Komorbiditäten, Depravation) Seite Alkoholabhängigkeit/-missbrauch - Alkoholabhängigkeit häufigste Abhängigkeitsform: 5% der deutschen Bevölkerung 3 - 4x mehr Männer als Frauen betroffen 25,6% der begutachteten Probanden waren Alkoholabhängig (Pillmann et al., 2000) Längsschnittstudie: 86% traten strafrechtlich in Erscheinung vs. 37% der Kontrollgruppe (Modestin et al., 1996) - Alkoholabhängigkeit ist ein hochsignifikanter Prädiktor für rezidivierende Kriminalität (Stadtland & Nedopil, 2003) - Alkoholisierung häufig bei kriminellen Taten, jedoch multifaktorielles Geschehen (Sozialisation, Peer-Group, Persönlichkeit etc.) (Farrington, 2009; Nedopil & Müller, 2012) - Typische Delikte: Aggressionsdelikte, Gewaltstraftaten, schwere Unfälle (Soyka, 2001; Nedopil & Müller, 2012) - Steigerung der Aggressivität bei Alkoholisierung mit Studenten nachgewiesen (Gustafson, 1991; Pillmann et al., 2000) Seite Ausgewählte psychotrope Substanzen Amphetamine - Steigerung des Aggressionspotentials - Paranoide Symptome und Halluzinationen - Beschaffungskriminalität - In Japan und asiatisch-pazifischem Raum häufigste forensisch relevante Störung bei Aggressionsdelikten (Farell et al., 2002) Cannabinoide (THC) - Psychische Abhängigkeit (Suchtdruck, Beschaffungskriminalität) - Auslösung von paranoiden Psychosen bei genetischer Vulnerabilität - Atypische Rauschverläufe mit aggressiven Durchbrüchen und Panikattacken Anabolika & Testosteronpräparate - uneindeutige Datenlage bezüglich gesteigerter Aggressivität (Talih et al., 2007) - Hypersexualität bei Testosteronanabolika - Hohe Prävalenzen in Gefängnispopulationen (Lood et al., 2012; Klötz et al., 2010) - Unklare Zusammenhänge aufgrund weiterer Einflussfaktoren wie Dominanzbestreben, hohe Gewaltbereitschaft, kriminelle Subkultur Seite Gewalt bei Persönlichkeitsstörungen Seite Definition von Persönlichkeitsstörung Eine Persönlichkeitsstörung liegt dann vor, wenn durch den Ausprägungsgrad und/ oder die besondere Konstellation von psychopathologisch relevanten Merkmalen in den Bereichen des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens, Wollens und der Beziehungs-gestaltung erhebliche subjektive Beschwerden und/oder nachhaltige Beeinträchtigungen der sozialen Anpassung entstehen. (Saß 1987) Seite Klinische Bedeutung und Epidemiologie von Persönlichkeitsstörungen 3 - 10 % der Allgemeinbevölkerung 40 - 60 % der psychiatrischen Patienten in Haftpopulationen bis zu 70% Antisoziale Persönlichkeitsstörungen bei bis zu 47% der Männer und 21% der Frauen Borderline Störung bei 25% der Frauen Suizidrisiko 3x höher als in Allgemeinbevölkerung beeinflußt Verlauf und Prognose komorbider psychiatrischer Erkrankungen Seite Hauptgruppen der Persönlichkeitsstörungen nach DSM-IV Cluster A (paranoide, schizoide, schizotypische PS) sonderbar-exzentrisch, affektarm, misstrauisch Cluster B (histrionische, narzisstische, antisoziale, Borderline-PS) dramatisch, emotional, launisch Cluster C (vermeidend-selbstunsichere, zwanghafte, dependente PS) ängstlich-furchtsam Seite ICD 10-Forschungskriterien Dissoziale Persönlichkeitsstörung Mindestens drei der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen müssen vorliegen: 1) herzloses Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen Anderer 2) deutliche und andauernde verantwortungslose Haltung und Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen 3) Unfähigkeit zur Aufrechterhaltung dauerhafter Beziehungen 4) sehr geringe Frustrationstoleranz und niedrige Schwelle für aggressives, gewalttätiges Verhalten 5) fehlendes Schuldbewusstsein oder Unfähigkeit, aus negativer Erfahrung, insbesondere Bestrafung, zu lernen 6) deutliche Neigung, andere zu beschuldigen oder plausible Rationalisierungen anzubieten für konfliktträchtiges eigenes Verhalten Seite Antisoziale Persönlichkeitsstörung Frontale Dysfunktion Mangelnde Selbstkontrolle (kognitiv und motorisch) Enthemmtes Verhalten Mangelnde kognitive Flexibilität Mangelnde Verhaltensanpassung Untererregung Reizsuche Nicht-Wahrnehmung von Belohnung und Bestrafung Keine Angst vor Strafe, Wunsch nach sozialer Anerkennung nicht verhaltensregulierend Limbische Dysfunktion Gefühlsarmut Mangelnde emotionale Hemmung und Empathie Verminderte konditionierte Angst Geringes Vermeidungsverhalten Schwierigkeiten, emotionale Gesichtsausdrücke zu erkennen Angst des Opfers induziert keine Aggressionshemmung Seite Caspi et al. (2002) Seite Andere forensisch relevante Persönlichkeitsstörungen Paranoide Persönlichkeitsstörung ständige Selbstbezogenheit, besonders in Verbindung mit starker Überheblichkeit Streitbarkeit und beharrliches situationsunangemessenes Bestehen auf eigene Rechte Misstrauen und anhaltende Tendenz, Erlebtes zu verdrehen, indem neutrale oder freundliche Handlungen als feindlich oder verächtlich missdeutet werden Narzisstische Persönlichkeitsstörung hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit glaubt von sich, besonders und einzigartig zu sein ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch zeigt einen Mangel an Empathie zeigt arrogante, überhebliche Verhaltensweisen oder Haltungen Seite Andere forensisch relevante Symptome von Persönlichkeitsstörungen Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung, impulsiver Typus deutliche Tendenz, unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen, die nicht unmittelbar belohnt werden Borderline-Persönlichkeitsstörung affektive Instabilität unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren Seite Fazit Fazit Bedenken bezüglich Gewalt nicht unbegründet, aber… geringes Risiko für die Allgemeinbevölkerung weitaus überwiegender Teil der PatientInnen begeht keine Gewalttaten Ursachen der Delinquenz unklar – multikausales Geschehen Hohe Stigmatisierung Seite Schwedische Kohorten-Studie (2001-2008) Menschen, die an einer psychischen Störung leiden, haben ein 4.9-fach erhöhtes Risiko, Opfer von Tötungsdelikten zu werden Suchterkrankungen: Persönlichkeitsstörungen: Schizophrenie: 16-fach 7-fach 5-fach Zusammenhang zwischen Tötungsdelikten und psychischer Störung bleibt trotz Kontrolle soziodemografischer Variablen (u.a. Geschlecht) bestehen Komorbider Substanzmissbrauch erklärt den Zusammenhang zwischen psychischer Störung und Tötungsdelikt nicht vollständig Crump et al. (2013) Suizidrate: 4-10%, Risiko ist 30-40x höher als in der Allgemeinbevölkerung Seite Danke für Ihre Aufmerksamkeit [email protected] Seite