Kulturelle Vielfalt und die Ursprünge menschlichen Denkens

Werbung
Jahrbuch 2006/2007 | Haun, Daniel | Kulturelle Vielfalt und die Ursprünge menschlichen Denkens
Kulturelle Vielfalt und die Ursprünge menschlichen Denkens
Cultural variety and the origin of human thinking
Haun, Daniel
Max-Planck-Institut für Psycholinguistik, Nijmegen, Netherlands
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
W ie verstanden unsere evolutionären Vorfahren ihre Welt? Welche Strategien benutzten sie zum Beispiel, um
Nahrung
zu
suchen?
institutsübergreifende
Gedanken
sind
Forschergruppe
in
der
Fossilien
nicht
festgehalten.
Max-Planck-Institute
für
Deshalb
Psycholinguistik
bedient
und
sich
eine
Evolutionäre
Anthropologie einer alternativen Methode: der vergleichenden psychologischen Forschung. Dabei stellten die
W issenschaftler fest, dass einige der in der Evolution angelegten Strategien offenbar schon sehr früh durch
die einzigartige kognitive Entw icklung beim Menschen überschrieben w erden.
Summary
How did our evolutionary ancestors make sense of their w orld? W hat strategies did they use, for example, to
find food? Fossils do not preserve thoughts. Therefore, an cross-institutional research group at the Max Planck
Institutes
for Psycholinguistics
and
Evolutionary Anthropology use
an
alternative
research
method:
comparative psychological research. In this w ay, they discovered that some of the strategies shaped by
evolution are evidently masked early on by the cognitive development process unique to humans.
Für jede Spezies ist es von Vorteil, w enn sie sich an bestimmte Orte, die Nahrung bereithalten, erinnern und
diese w ieder finden kann. Daniel Haun und seine Kollegen haben nun erstmals die kognitiven Präferenzen
systematisch bei einer ganzen phylogenetischen Familie, nämlich den Hominiden, untersucht. Sie verglichen
alle fünf großen Menschenaffenarten – Orang-Utan, Gorilla, Bonobo, Schimpanse und Mensch – in ihren
Vorlieben für bestimmte kognitive Strategien, um versteckte Gegenstände w ieder zu finden. Wenn alle fünf
Arten bestimmte Vorlieben teilen – so die Annahme der W issenschaftler –, sind diese höchstw ahrscheinlich Teil
des evolutionären Erbes unseres letzten gemeinsamen Vorfahren, w elcher vor etw a 15 Millionen Jahren
ausstarb.
Um sich an die Lokalisation eines Objektes zu erinnern, gibt es zw ei grundsätzliche Strategien: Entw eder
bedient man sich der Eigenschaften des Objekts (es handelte sich um einen Baum, einen Stein etc.) oder man
merkt
sich
die
räumliche
Platzierung
(links,
Mitte,
rechts
etc.).
Im
Wolfgang
Koehler
Primatenforschungszentrum im Zoo Leipzig versteckten die Forscher in einer ersten Studie begehrte
Gegenstände auf zw ei verschiedene Arten (Abb.1): In der so genannten „Ort-Bedingung“ w ar der
Gegenstand zw ar am selben Ort zu finden, an dem er vorher versteckt w urde, aber unter einem anderen
© 2007 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
1/4
Jahrbuch 2006/2007 | Haun, Daniel | Kulturelle Vielfalt und die Ursprünge menschlichen Denkens
Objekt (z.B. einem Stein); bei der „Objekt-Bedingung“ dagegen blieb dieses Objekt unverändert, aber der Ort
w echselte. Tatsächlich bevorzugten alle vier Menschenaffen und 1-jährige Kleinkinder den Ort als Hinw eis, um
Verstecktes w ieder zu finden, selbst w enn es jetzt unter einem völlig anderen Objekt versteckt w ar. Dieses
Ergebnis legt nahe, dass diese Präferenz schon seit 15 Millionen Jahren Bestandteil unserer kognitiven
Struktur ist.
Ve rsuchsbe dingunge n Studie 1. Ein e rwa chse ne s O ra ng-Uta nMä nnche n führt die Aufga be n a us. O be n: „O rt-Be dingung“ –
de r Studie nle ite r ve rta uscht die O bje k te , unte r de ne n de r
Ge ge nsta nd (X) ve rste ck t ist; die P la tzie rung de s Ve rste ck s
ble ibt die se lbe . Unte n: „O bje k t-Be dingung“ – de r Studie nle ite r
ste llt da s O bje k t m it de m da runte r ve rste ck te n Ge ge nsta nd
a n e ine n a nde re n O rt. [1]
© Ma x -P la nck -Institut für P sycholinguistik /Da nie l Ha un
Die W issenschaftler untersuchten dann 3-jährige Kinder und stellten fest, dass diese – im Gegensatz zu den
jüngeren Kindern – das Objekt, unter w elchem ein Gegenstand versteckt w urde, als verlässlichsten Hinw eis
ansahen und zw ar auch dann, w enn das Versteck ursprünglich an einem ganz anderen Ort w ar. Die
W issenschaftler haben hinreichend Hinw eise, dass 1-jährigen Kindern und Menschenaffen nicht die Fähigkeit
© 2007 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
2/4
Jahrbuch 2006/2007 | Haun, Daniel | Kulturelle Vielfalt und die Ursprünge menschlichen Denkens
für eine Objekt-basierte Strategie fehlt, sondern dass sie lediglich den Einsatz einer Standort-basierten
Strategie bevorzugen. Und offenbar führt die w eitere kognitive Entw icklung beim Menschen dann dazu, dass
er diese Präferenzen neu gew ichtet.
In einer zw eiten Studie untersuchten die Forscher die „Ort-Strategie“ im Detail. W iederum gibt es zw ei
zentrale Herangehensw eisen, um sich an die Lokalisation eines Versteckes zu erinnern: Entw eder bedient
man sich der eigenen Körperachsen als Referenz (z.B. das linke Versteck) oder man merkt sich die Platzierung
der Verstecke im Verhältnis zu den Eigenschaften der Umgebung (z.B. das Versteck bei der Tür oder das
nördliche Versteck). In dieser Studie beobachteten Versuchsteilnehmer, w ie der Forscher einen begehrten
Gegenstand unter einem von mehreren Bechern auf einem Tisch versteckte. Anschließend versuchten sie einen
ähnlichen, zw eiten Gegenstand in einer identischen Konstellation von Bechern auf einem zw eiten Tisch zu
finden (Abb. 2). Dieser zw eite Gegenstand w urde auf zw ei verschiedene Arten versteckt: In der so genannten
„Selbst-zentrierten Bedingung“ w ar der Gegenstand auf Tisch 2 an der gleichen Stelle relativ zum
Versuchsteilnehmer zu finden w ie auf Tisch 1 (z.B. w ieder links von den anderen Bechern); bei der
„Umgebungs-zentrierten Bedingung“ dagegen befand sich das Objekt auf Tisch 2 an der gleichen Stelle relativ
zur Umgebung (z.B. w ieder nördlich von den anderen Bechern) w ie auf Tisch 1. Alle vier Menschenaffen und 4jährige Kleinkinder bevorzugten die umliegende Umgebung als Referenzrahmen, um Verstecktes w ieder zu
finden. W iederum legt dieses Ergebnis nahe, dass diese Präferenz schon seit 15 Millionen Jahren Bestandteil
unserer kognitiven Struktur ist.
Ve rsuchsbe dingunge n Studie 2. „Se lbst-ze ntrie rte Be dingung“:
de r Studie nle ite r pla tzie rt zwe i O bje k te a uf de n be ide n
Tische n a n de r gle iche n Ste lle re la tiv zur Ve rsuchspe rson (z.B.
im m e r link s). In de r „O bje k t-ze ntrie rte n Be dingung“ ve rste ck t
de r Studie nle ite r zwe i O bje k te a uf de n be ide n Tische n a n de r
gle iche n Ste lle re la tiv zur Um ge bung (z.B. im m e r nördlich).
[2]
© Ma x -P la nck -Institut für P sycholinguistik
Frühere Arbeiten am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik haben bereits dokumentiert, dass verschiedene
menschliche Sprachen entw eder die eine oder die andere der beiden genannten Strategien bevorzugen, um
im tagtäglichen Gebrauch über räumliche Beziehungen zu sprechen. Alle europäischen Sprachen bevorzugen
Selbst-zentrierte Konstruktionen w ie zum Beispiel: „Der Ball ist vor (hinter, rechts, links) vom Baum.“ Andere
Sprachen,
w ie
zum
Beispiel
#Akhoe
Hai||om,
die
Sprache
einer
Jäger-Sammler-Gemeinschaft der
Namibianischen Kalahari, benutzen mit Vorliebe die Himmelsrichtungen, um Raum zu beschreiben: „Der Ball ist
w estlich vom Baum.“ Die Forschergruppe um Daniel Haun benutzte den in Abbildung 2 beschriebenen Aufbau,
um zu testen, ob sich diese verschiedenen Vorlieben auch auf nicht-sprachliche Gedächtnisstrategien
ausw irken – obw ohl, w ie ja vorher gezeigt w urde, eine Präferenz für Umgebungs-Strategien schon seit
Jahrmillionen Teil unseres evolutionären Erbes darstellt. Nichtsdestotrotz zeigten die Ergebnisse dieser
© 2007 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
3/4
Jahrbuch 2006/2007 | Haun, Daniel | Kulturelle Vielfalt und die Ursprünge menschlichen Denkens
zw eiten Studie, dass selbst diese uralten Vorlieben interkulturell variieren können: Europäer und #Akhoe
Hai||om unterschieden sich in ihren kognitiven Präferenzen genauso w ie in ihrem Sprachgebrauch.
Daraus schließen die Max-Planck-Forscher, dass die menschliche kognitive Entw icklung einige unserer
evolutionär geerbten Strategien überschreibt. In zukünftigen Studien w ollen sie nun herausfinden, w elche
Teile der kognitiven Entw icklung im Menschen für diese Restrukturierung kognitiver Präferenzen verantw ortlich
sind. Dieser neue methodische Ansatz und die daraus gew onnenen Ergebnisse ebnen nun den Weg zu einer
systematischen Erforschung der kognitiven Strukturen unserer evolutionären Vorfahren und darauf basierend
zu einem besseren Verständnis der Ursprünge menschlichen Denkens und ihrer Interaktion mit menschlicher
kultureller Vielfalt.
Originalveröffentlichungen
Nach
Erw eiterungen
suchenBilderw eiterungChanneltickerDateilisteHTML-
Erw eiterungJobtickerKalendererw eiterungLinkerw eiterungMPG.PuRe-ReferenzMitarbeiter
Editor)Personenerw eiterungPublikationserw eiterungTeaser
(Employee
mit
BildTextblockerw eiterungVeranstaltungstickererw eiterungVideoerw eiterungVideolistenerw eiterungYouTubeErw eiterung
[1] Haun, D., Rapold, C., Call, J., Janzen, G., Levinson, S.:
Cognitive cladistics and cultural override in Hominid spatial cognition.
PNAS 103, 17568-17573 (2006).
[2] Haun, D., Call, J., Janzen, G., Levinson, S.:
Evolutionary psychology of spatial representations in the Hominidae.
Current Biology 16, 1736-1740 (2006).
© 2007 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
4/4
Herunterladen