Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin Hans-Christian Deter (Hg.) Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin Die Kunst der Beziehungsgestaltung in der ärztlichen Heilkunde Mit einem Vorwort von Günther Jonitz Mit 20 Abbildungen und 23 Tabellen Vandenhoeck & Ruprecht © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnd.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-40168-2 © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Oakville, CT, U.S.A. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Punkt für Punkt GmbH · Mediendesign, Düsseldorf Druck und Bindung: S Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin Inhalt Vorwort von Günther Jonitz ........................................................... 9 Vorwort des Herausgebers .............................................................. 11 1 Einführung: Die Arzt-Patient-Beziehung in der Medizin – ein altes Thema für heute und morgen Hans-Christian Deter ................................................................ 15 Grundlegende Bedeutung der Arzt-Patient-Beziehung für die Medizin ......................................................................... 19 2.1 Dimensionen der Arzt-Patient-Kommunikation in der modernen Medizin Björn Meyer und Bernd Löwe ................................................... 19 2.2 Intuitives Verstehen zwischen Arzt und Patient. Das System der Spiegelneurone als seine neurobiologische Grundlage Joachim Bauer, Kurt Fritzsche und Michael Wirsching .......... 35 2.3 Das Narrativ bei der Verarbeitung schwerer emotionaler Belastungen. Zur Narrativierung von Trauer und Verlust Carl Scheidt ................................................................................. 44 2.4 Der Arzt als Placebo Frank Zimmermann-Viehoff ..................................................... 58 2.5 Der »gute Arzt« aus interdisziplinärer Sicht. Ergebnisse einer Expertenkonferenz Claudia Witt ............................................................................... 64 2 3 Die Arzt-Patient-Beziehung in der Kontinuität und im Wandel .................................................................................. 69 3.1 Die Arzt-Patienten-Beziehung in der Romantik – und heute? Roland Schiffter .......................................................................... 69 3.2 Die Arzt-Patient-Beziehung im Kontext der naturwissenschaftlichen Medizin der Jahre 1850–1900 Barbara Wolf-Braun .................................................................. 86 © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin 6 Inhalt 3.3 Nachdenken über Wahrheit im ärztlichen Alltag Klaus Gahl .................................................................................. 103 3.4 Das pathische Pentagramm von Viktor von Weizsäcker als Grundlage eines Verständnisses der Arzt-Patienten-Beziehung Dieter Janz .................................................................................. 117 4 Ist die gute Arzt-Patient-Beziehung erlernbar? ................. 124 4.1 Kann man gute ärztliche Gesprächsführung erlernen? Claudia Kiessling und Wolf Langewitz ..................................... 124 4.2 Die Arzt-Patient-Beziehung in der studentischen Lehre der Charité-Universitätsmedizin Henrike Hölzer und Simone Scheffer ........................................ 139 4.3 Die partizipative Entscheidungsfindung (Shared Decision Making) als neues Forschungsfeld der Arzt-Patient-Interaktion Wolfgang Eich ............................................................................. 150 5 Die Arzt-Patient-Beziehung bei bestimmten Patientengruppen ..................................................................... 159 5.1 The encounter between coronary patient and caregiver – the conceptual basis of behavioral medicine Kristina Orth-Gomér ................................................................. 159 5.2 Die Arzt-Patient-Beziehung bei Patienten mit chronischen Schmerzen Bernd Bergander ........................................................................ 174 5.3 Von der Schwierigkeit, mit Magersüchtigen in eine hilfreiche therapeutische Beziehung zu kommen Bettina Kallenbach-Dermutz .................................................... 184 6 Soziale und kulturelle Aspekte der Arzt-Patient-Beziehung .......................................................... 195 6.1 Wunsch und Wirklichkeit – wenn junge Mediziner deutschen Krankenhäusern den Rücken kehren Joachim Grifka ............................................................................ 195 6.2 Die Arzt-Patient-Beziehung in der DDR. Rückblick und aktuelle Bestandsaufnahme Sigmar Scheerer ........................................................................... 201 © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin 7 Inhalt 6.3 Arzt-Patient-Beziehung bei der Behandlung von Migranten Rita Kielhorn ............................................................................... 214 6.4 Der Einfluss der Familie auf die Arzt-Patient-Beziehung. Transkulturelle Aspekte eines Gesprächstrainings für onkologisch tätige Ärzte in China Tanja Gölz, Alexander Wünsch und Kurt Fritzsche ............... 230 7 Die Arzt-Patient-Beziehungen in der Psychotherapie ..... 253 7.1 Die Arzt-Patient-Beziehung in der psychotherapeutischen Einzelbehandlung Werner Köpp ............................................................................... 253 7.2 Ärztliche Erfahrungen mit traumatisierten Patienten und eigene Erlebnisse in der DDR. Zum 20-jährigen Jahrestag des Mauerfalls Karl-Heinz Bomberg ................................................................... 263 7.3 Einige zentrale Ergebnisse und Aspekte der Therapeut-Patient-Beziehung in der Praxisstudie analytische Langzeittherapie (PAL-Studie) Wolfram Keller, Tilman Grande, Thorsten Jacobsen, Claudia Oberpracht, Sabine Stehle, Reiner Dilg und Gerd Rudolf ................................................................................. 274 8 8.1 8.2 8.3 8.4 9 Patienten-Beziehungen in medizinischen Professionen .... Interaktion von Ärzten für Gynäkologie und Geburtshilfe mit ihren Patienten – zwischen medizinischem Fortschritt und zeitlichem Zwang Lisa Kloß, Stefanie Mache und David A. Groneberg .............. Erfolgreiche Ernährungsberatung durch Beziehungsmanagement Silvia Schönfuß ........................................................................... Patienten und Physiotherapeuten Dagmar Schütte .......................................................................... Patienten und Gestaltungstherapeuten Sabine Popp ................................................................................. 289 289 293 295 298 Die Perspektive der betroffenen Patienten – Außenansichten/Innenansichten Erfahrungsbericht der Patientin Astrid O. (63 Jahre) ........... 301 © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin 10 Ausblick Hans-Christian Deter ................................................................ 303 Literatur .............................................................................................. 307 Die Autoren und Autorinnen ......................................................... 331 Stichwortverzeichnis ........................................................................ 335 © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin Vorwort »Medicine even at its scientific best, is a social act« (Davidoff, 1996, S. 514). Voraussetzungen für gute Medizin beziehen sich in der Regel auf das richtige Wissen – auch unter dem Schlagwort »evidenzbasierte Medizin« bekannt –, auf das Können und die Erfahrung des Arztes und auf adäquate Rahmenbedingungen. Als wahrscheinlich entscheidendster Faktor ist aber die Beziehung des Arztes zu seinem Patienten zu bezeichnen. Diese hängt wesentlich von der Ausgestaltung des Gesprächs und der eigenen Arztpersönlichkeit ab, die wiederum in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung am wenigsten systematisch vermittelt wird. Nicht umsonst stellt der Stammvater der evidenzbasierten Medizin, David Sackett, fest: »Das mächtigste therapeutische Werkzeug, das Sie jemals haben werden, ist Ihre eigene Persönlichkeit.« Die Interaktion zwischen Arzt und Patient bestimmt maßgeblich, ob die Situation, die den Patienten belastet, vermittelt werden kann und inwieweit die Therapievorschläge oder auch Anweisungen des Arztes vom Patienten nicht nur hingenommen, sondern auch verstanden und eigenverantwortlich umgesetzt werden können. Diese Beziehung zwischen Arzt und Patient ist es auch, die die allermeisten Ärztinnen und Ärzte als Triebfeder zur Ausübung des Arztberufes angeben und nach wie vor viele junge Menschen zum Medizinstudium veranlassen. Diese Ebene muss gepflegt werden. In der Fachwelt haben sich dazu vier Themengebiete eröffnet. Das erste ist das der so genannten »Narrativen Medizin« (»Narrative Based Medicine«), bei der der Arzt lernt, die Geschichte des Patienten zu verstehen, und selbst in der Lage ist, sein medizinisches Wissen in diese Geschichte und in die Sprache des Patienten zu übersetzen. Das zweite Gebiet ist das der »Medical Humanities«, hier eher unter dem Begriff »Medizinische Geisteswissenschaften« geläufig. Es beinhaltet die Vermittlung von fachübergreifenden Lehrinhalten mit innovativen Lehrformen, beispielsweise aus der Kunst, Musik, Literatur, Geschichte und Religion, mit deren Hilfe Mediziner lernen, besser auf Patienten einzugehen. Unter »Health Literacy« verbirgt sich der © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin 10 Vorwort Ansatz, Kompetenzen im Verstehen wissenschaftlicher Aussagen zu erwerben und damit in der Lage zu sein, Krankheitsrisiken und den angegeben Nutzen von diagnostischen und therapeutischen Verfahren besser auswerten zu können. Auf diese Weise kann ein aktiver Beitrag zur Aufklärung geleistet werden. Das »Shared Decision Making« ist ein Modell zur medizinischen Entscheidungsfindung, bei der die Patientenentscheidung auf der Grundlage einer partnerschaftlichen Arzt-Patient-Beziehung beruht und die ärztliche Kommunikationskompetenz im Mittelpunkt steht. Das vorliegende Buch beleuchtet umfassend alle wesentlichen Aspekte der Beziehung zwischen Arzt und Patient. Es sei dem Berufsanfänger genauso ans Herz gelegt wie dem erfahrenen Kliniker, der sein eigenes Tun und seine Haltung reflektieren möchte. Den Autorinnen und Autoren sei von Herzen gedankt, dem Buch eine große Verbreitung gewünscht. Dr. med. Günther Jonitz Präsident der Ärztekammer Berlin © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin Vorwort des Herausgebers Die vorliegenden Aufsätze sind Einzelbeiträge und Ergebnis einer Diskussion von Experten, die auf einer Tagung zum Thema »Die Arzt-Patient-Beziehung in ihrer Bedeutung für die Medizin« viele erfahrene Wissenschaftler und Kliniker an der Charité zusammenbrachte. In der sich extrem schnell entwickelnden modernen, technisierter und ökonomischer werdenden Medizin gewinnt dieses Thema zunehmend an Bedeutung. Neben der eingeführten Beziehung zwischen niedergelassenem Allgemein- oder Facharzt und dem Krankenhaus ist ein neuer medizinischer Bereich entstanden, der mit dem neuen Modell der integrierten Versorgung als einer gemeinsamen Aufgabe zwischen Klinik und Praxis umschrieben werden kann. Diese Schnittstellen der medizinischen Versorgung und die neuen durch Krankenkassen und Gesellschaft erzwungenen ökonomischen Bedingungen scheinen Aspekte der ArztPatient-Beziehung zunehmend mehr zu beeinflussen. Dabei beruhen eine ganze Reihe von Kommunikationssträngen in der medizinischen Versorgung gerade auf dem Funktionieren dieser Arzt-Patient-Beziehung. Dies wurde in Deutschland besonders deutlich in den gemeinsamen Arbeiten zur Qualitätssicherung in der psychosomatischen Grundversorgung von niedergelassenen Ärzten in Berlin, Niedersachsen, Hessen, Sachsen und Baden-Württemberg und in vielfältigen Fort- und Weiterbildungsaktivitäten in diesem Bereich (Sandholzer, 1999). Die Universitätsklinika gelten heutzutage für die Entwicklung und Schwerpunktsetzung der modernen Medizin als wesentliche Schrittmacher des medizinischen Fortschritts. Die Krankenversorgung, die Forschung und Lehre sollen verbessert und die Kooperation mit anderen medizinischen Fakultäten und Krankenhäusern aufrechterhalten werden. Die Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten und Kliniken der Regionalversorgung ist hierbei nur als Zuweisung von Patienten interessant, um eigene kontrollierte, randomisierte Behandlungsstudien zu ermöglichen. Dazu gibt es hier oft eine unübersichtliche Gemengelage: Vorgaben aus der Politik, Ärger mit den Universitätspräsidenten, Diskussionen mit den eigenen Mitarbeitern und Einrichtungen zur Verbesserung von Strukturen, das fehlende Geld, um neue Anpassungsprozesse einzuleiten, oder die kritischen Kommentare der Presse. © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin 12 Vorwort Eine Konzentration auf die Arzt-Patient-Beziehung erscheint bei dieser Problembeschreibung relativ unwichtig oder gar vernachlässigbar, da scheinbar so viele andere Aspekte in der Medizin, in der Technik, in der Pharmakologie oder der Ökonomie eine größere Bedeutung zu haben scheinen. Insofern ist es schon ein ambitionierter Schritt, zurückzugehen an die Anfänge der modernen ärztlichen Heilkunst und sich vor allem der Zwei-Personen-Beziehung zu widmen. Diese schienen viele – insbesondere in letzter Zeit – aus den Augen zu verlieren. Dabei gab es seit vielen Jahren eine Bewegung, die sich nach dem Arzt und Psychotherapeuten Michael Balint benannte und konsequent die Arzt-Patient-Beziehung fokussierte. In zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen – meistens in den so genannten Balintgruppen – wurde sie in den letzten 60 Jahren von Ärzten zum Thema gemacht. Die Frage aber heute ist, gab es seither Fortschritte in diesem Bereich, die möglicherweise den Ärzten, Psychologen und anderen im medizinischen Feld Tätigen verborgen geblieben sind? Hier macht das vorliegende Buch den Versuch, die neuesten Entwicklungen im kaum noch überschaubaren Feld nachzuzeichnen. Der 2. Teil des Buches widmet sich den Grundlagen der Arzt-PatientBeziehung, wie sie sich heute darstellen. Die diagnostischen Voraussetzungen stellen Björn Meyer und Bernd Löwe vor. Der Zweitautor hat mehrere Jahre in den USA psychodiagnostische Aspekte in der Allgemeinmedizin analysiert, den Physical Health Questionnaire (PHQ) übersetzt und in Deutschland eingeführt. Joachim Bauer und Mitarbeiter haben sich ausführlich mit hirnphysiologischen Grundlagen der Empathie in der Arzt-Patient-Beziehung beschäftigt. Carl Scheidt beschreibt grundsätzliche Möglichkeiten, innere Zustände eines Menschen zu verbalisieren, insbesondere Gefühle nach Trauer und Verlust sprachlich auszudrücken und in die Arzt-Patient-Beziehung einzubringen. Frank Zimmermann-Viehoff referiert die Grundlagen des Placebo-Phänomens und seine Bedeutung für die ärztliche Heilkunst und Claudia Witt berichtet über ein Statuskolloquium von Ärzten, Psychologen, Heilpraktikern sowie komplementären und traditionellen Medizinern, die miteinander zu klären versuchten, was den »guten Arzt« ausmacht. Im 3. Teil des Buches werden die historischen und philosophischen Grundlagen der Arzt-Patient-Beziehung dargestellt, wobei ausgewiesene Vertreter des Fachs wie Roland Schiffter, Klaus Gahl, Barbara Wolf-Braun und Dieter Janz zu Wort kommen. © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin 13 Vorwort Im 4. Teil des Buches geht es um die Lehr- und Lernbarkeit einer guten Arzt-Patient-Beziehung. Wolf Langewitz besitzt in diesem Bereich vielfältige Erfahrungen: Sein wissenschaftlicher Arbeitsschwerpunkt ist die Evaluation von Kommunikations- und Informationstechniken in der Arzt-Patient-Beziehung. Er war wesentlich beteiligt an der Gründung und Entwicklung der »European Association for Communication and Health« (EACH). Henrike Hölzer hat den Reformstudiengang der Charité wesentlich begleitet und Wolfgang Eich ist einer der bedeutenden Forscher im Bereich des wissenschaftlichen Konzepts der »partizipativen Entscheidungsfindung« in Deutschland. Den 5. Teil des Buches nehmen Erfahrungen in der Arzt-PatientBeziehung mit bestimmten Patientengruppen ein: In einer englischsprachigen Arbeit stellt Kristina Orth-Gomér, Mitgründerin und ehemalige Präsidentin der »International Society of Behavioral Medicine«, die Bedeutung der Arzt-Patient-Beziehung für die neuesten Entwicklungen im verhaltensmedizinischen Feld bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung dar. Bernd Bergander berichtet praktische Erfahrungen mit Schmerzpatienten und Bettina Kallenbach-Dermutz mit AnorexiePatienten. Über soziologische und kulturelle Aspekte in ihrer Bedeutung für die Arzt-Patient-Beziehung schreiben im 6. Teil des Buches Joachim Grifka (Wunsch und Wirklichkeit in deutschen Krankenhäusern bei jungen Medizinern), Sigmar Scheerer (Erfahrungen in der Allgemeinmedizinischen Praxis in der DDR), Rita Kielhorn (Erfahrungen mit Migranten), Tanja Gölz und Kurt Fritzsche (Die Bedeutung der [chinesischen] Familie für die Arzt-Patient-Beziehung). Die Erfahrungen aus der psychotherapeutischen Praxis berichten Werner Köpp (psychoanalytische Einzeltherapie) und Wolfram Keller und Mitarbeiter (Psychotherapeutische Evaluationsforschung – PALund LAC-Studie) im 7. Teil des Buches. Karl-Heinz Bomberg, Arzt und Psychotherapeut, war schon vor der Wende ein bekannter Liedersänger. Er hat seine damaligen Erfahrungen, die auch einen mehrmonatigen Gefängnisaufenthalt einschlossen, in Texten und Liedern verarbeitet. Diese Erfahrungen spiegeln sich auch in seiner Beziehung zu seinen Patienten wider. Den Abschluss des Buches bilden eine Zeiterfassungsstudie bei Gynäkologen und Berichte von Spezialtherapeuten über die ihnen anvertrauten Patienten sowie ein Brief einer Patientin, die ihre Sicht auf die Ärzte beschreibt. © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin 14 Vorwort Der Leser* wird nach der Lektüre dieser sehr vielfältigen Erfahrungen sein Bewusstsein für die Beziehung zwischen dem Patienten und seinem Arzt geschärft und die sehr unterschiedlichen Aspekte, Mechanismen und Zusammenhänge kennen gelernt haben. Der Herausgeber dieses Buches wäre froh, wenn Ärzte, Patienten, Ärztekammern, medizinische Fakultäten und die Öffentlichkeit diesem Thema wieder die Beachtung und Aufmerksamkeit schenkten, die es als entscheidendes Element einer modernen Heilkunde verdient. Hans-Christian Deter * Im vorliegenden Buch wurde bei geschlechtsspezifischen Formulierungen die männliche Form verwendet. Die weibliche Formulierung sollte immer mitgedacht werden. © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin 1 Einführung: Die Arzt-Patient-Beziehung in der Medizin – ein altes Thema für heute und morgen Hans-Christian Deter Das Wissen eines Patienten, »er wird von einem guten Arzt behandelt«, ist oft das Ergebnis aus einer persönlichen Begegnung, die ein Mensch mit einem anderen gemacht hat, der als Arzt oder Ärztin ausgewählt wurde. Sie hängt aber auch ganz wesentlich von der befriedigenden Klärung einer medizinischen Symptomatik und ihrer Behandlung ab und sicher auch von der Erfahrung einer gelungenen Begegnung und nachfolgend befriedigenden Beziehung mit einem Menschen. Die erfolgreiche Patient-Arzt-Interaktion ist durch sehr unterschiedliche Aspekte geprägt, die vor allem durch den Wunsch des Patienten, Unterstützung zu bekommen, und mit der tatsächlichen Erfüllung dieser Erwartung verknüpft ist. Allerdings wird diese so einfach aussehende Interaktion zusätzlich durch sehr verschiedene Aspekte beeinflusst. Da ist zum einen der Wunsch des Patienten, in einer besonderen Situation Hilfe zu bekommen. Welche Hilfe wünscht er? Die Behandlung eines Symptoms, einer Krankheit, einer Störung, einer aussichtslosen Situation? Wir wissen mittlerweile sehr gut, dass die verschiedenen Krankheiten nicht nur körperlich, also als körperlicher Defekt zu verstehen sind, sondern Ausdruck des seelischen Befindens und der sozialen Situation sind oder erhebliche Auswirkungen darauf haben. Eine Fettsucht oder eine essentielle Hypertonie können durch seelische Zustände oder soziale Bedingungen entstehen, aber sie können auch Ausdruck einer körperlichen Krankheit sein. Oft spielen mehrere, sehr unterschiedliche Faktoren hierbei eine Rolle. Einem sorgfältig vorgehenden Arzt, der seinen Beruf ernst nimmt und seine ärztliche Kunst beherrscht, ist es in diesem Zusammenhang wichtig, in einem ersten Schritt eine Anmutung von den möglichen einzelnen Entstehungs- und Verlaufskomponenten einer Krankheit zu bekommen und eine erste Hypothese zu dem wahrscheinlichen Bedingungsgefüge der Störung oder besser zum »Kommen des Patienten« zu © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin 16 Einführung finden. Hierzu sind konzeptionelle und kreative Eigenschaften gefragt, die eine Hypothese zur Entstehungsursache der Krankheit erst möglich machen (Deter, 1997). Neben der verbalen Anamnese ist eine sorgfältige körperliche Untersuchung eine weitere Voraussetzung, um durch die Inspektion/ Beobachtung, durch »Befühlen« und die körperliche Untersuchung einen Eindruck von einer möglichen Krankheit zu erhalten und gleichzeitig Nähe zum Patienten und Vertrauen zu schaffen. Die üblicherweise praktizierte körperliche Distanz zwischen zwei sich fremden Menschen wird auf diese Weise unter ärztlich professionellen Bedingungen überwunden. Hier nimmt der Arzt eine besondere Funktion wahr, die körperliche Nähe in neutraler Umgebung ermöglicht und damit das Vertrauen zwischen Arzt und Patient stärkt. Der Arzt versteht, untersucht körperlich und macht Vorschläge für weitere Untersuchungen (blutchemische Analyse, EKG, Röntgen, MRT etc.). Das wird er individuell und gezielt vorschlagen. Der erfahrene Arzt vermittelt seinem Patienten, dass er eine Idee von dem entwickelt, was den Patienten krank gemacht hat, und setzt daraufhin, gezielt auf den Patienten bezogen, einen diagnostischen Prozess in Gang. Der Patient erwartet, dass der Arzt alle in diesem Fall zu bedenkenden Alternativdiagnosen im Kopf hat und diagnostisch abklären oder ausschließen wird, ohne ihn dabei mehr als notwendig zu beeinträchtigen oder zu belasten. Das Vertrauen zum Arzt entsteht a) durch diese erste Begegnung, b) durch das weitere Verhalten des Arztes bei der Anamnese und der körperlichen Untersuchung und c) durch das plausible Vorgehen bei weiteren Untersuchungen bzw. d) beim verständlichen Erklären dieser Maßnahmen gegenüber dem »nicht wissenden«, aber möglicherweise ahnenden und oft in unterschiedlicher Weise vorbeeinflussten Patienten, der seine eigenen Erfahrungen und Vorstellungen mitbringt (Adler u. Hemmeler, 1985; Anschütz, 1989). Aus Sicht des Patienten hat der Arzt die Funktion, ihn aus einer misslichen Lage zu befreien. In Deutschland kann sich jeder Patient seinen eigenen, persönlichen Arzt aussuchen, nicht wie in England, wo der »General Practitioner« einem Patienten zugewiesen wird. Durch Empfehlung, durch einen besonderen Ruf oder andere Aspekte findet © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin H.-C. Deter · Die Arzt-Patient-Beziehung in der Medizin 17 sich im deutschen Gesundheitssystem im Regelfall erst einmal eine positive Erwartungshaltung zum Arzt, die bestätigt, aber auch enttäuscht werden kann. Darüber hinaus hat der Arzt die Funktion des Fachmannes, der sich in der Medizin, im Fach Gesundheit und Krankheit, gut auskennt. Der Unterschied zum Reparaturbetrieb, in dem beispielsweise ein Kraftfahrzeug repariert wird, ist aber evident, da in diesem Fall der Patient selbst als Person betroffen ist und den Schaden am eigenen Körper erleidet, Schmerzen oder andere Unpässlichkeiten bei sich selbst wahrnimmt und wesentlich stärker existentiell und damit emotional auf »den zu Hilfe kommenden Arzt« angewiesen ist. Insofern ist es für den Patienten auch hoch bedeutsam, was und wie dieser Arzt spricht, welche Diagnose er stellt und welche gezielte Therapie er empfiehlt bzw. selbst einleitet. Die subjektive Bedeutsamkeit dieser Interaktion ist für den Patienten existentiell und kann im Regelfall als sehr hoch eingeschätzt werden. Ein angesehener Arzt findet für die Krankheiten, Nöte und Belastungen des Patienten die »richtige Antwort«, wobei hier neben dem medizinisch Sinnvollen auch für den Patienten akzeptable und angemessene Behandlungsprinzipien eingesetzt werden müssen. Oft reicht hierbei eine Besserung in einem bedeutsamen Leidensbereich, um auch andere Krankheitserscheinungen positiv zu beeinflussen. Sicher ist, dass eine körperlich fokussierte Therapie ebenso gute Erfolge haben kann wie eine Gesprächstherapie. Die meisten Ärzte bevorzugen eine Kombination von medikamentöser, manueller und verbaler Behandlung, wobei die direkte körperliche Therapie, die mit Berührung verbunden ist, bei vielen Erkrankungen gute Effekte zeigt. Bei der akuten Symptomatik spielt die direkte Untersuchung und schnelle gezielte therapeutische Antwort eine größere Rolle als bei chronischen Leidenszuständen. Sicher sind Krankheiten, bei denen psychosoziale Aspekte in der Verarbeitung oder Aufrechterhaltung der Symptome eine Bedeutung haben, auch vom Interaktionsverhalten des Arztes, seiner umfassenden Diagnosefähigkeit und seiner gewählten Therapie stärker abhängig als die vor allem körperlich ausgelösten Leiden. Ein erfolgreicher Arzt bringt entweder das Handwerkszeug für eine optimale Arzt-Patient-Interaktion aufgrund seiner Persönlichkeit mit, seines angeborenen oder gelernten Kontaktverhaltens, oder er optimiert seine beruflichen Beziehungsangebote im Rahmen seiner © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin 18 Einführung studentischen Ausbildung, in seiner ärztlichen Weiter- oder Fortbildung (z. B. im Curriculum »Psychosomatische Grundversorgung«). Sicher ist auch die ärztliche Praxistätigkeit über viele Jahre eine Möglichkeit, die Arzt-Patient-Beziehung zu optimieren, wobei hier in der Regel Patienten ihre Ärzte suchen und Ärzte die ihnen gemäße Patientenklientel selektieren, d. h. vermutlich auch die von ihnen am ehesten optimal zu behandelnden Patienten finden. Aus der Placebo-Forschung (s. Beitrag Zimmermann-Viehoff in diesem Buch) wissen wir, welche Patienten zu welchem Arzt am besten passen und welche Behandlungsverfahren hier am ehesten geeignet sind. Sicher ist die Überzeugung des Arztes in das von ihm bei diesem Patienten anzuwendende Verfahren ein wichtiges Vehikel für eine bedeutsame Placebo-Antwort aus ärztlicher Sicht. Aus Patientensicht ist es das Wissen des Arztes über die Therapie, die Einstellung des Patienten zum Arzt und seine Motivation, das Behandlungsverfahren konsequent einzusetzen. Natürlich hat das richtig ausgesuchte Medikament/Therapieverfahren als Verum einen entscheidenden Stellenwert, aber die Wirkungen über die Placebo-Komponenten sind zumindest ähnlich bedeutsam, wobei hier die Erwartungshaltung des Patienten und seine früheren Erfahrungen (Konditionierungen mit der Praxis, dem Arzt, dem Medikament und der Erkrankung) eine wichtige Rolle spielen (Deter, 2007). Einem guten Arzt sind alle diese Aspekte vertraut, er muss sie nicht kennen oder aufzählen, aber er sollte nach ihren Prinzipien handeln. Von Schauspielerpatienten in der studentischen Lehre in der Charité wurden folgende Eigenschaften angegeben, die das Vertrauen in den in einer Gesprächssituation befindlichen Mediziner (OSCE-Prüfung) stärken: a) er muss auf den ersten Blick sympathisch erscheinen (oder nicht unsympathisch sein), b) er sollte dem Patienten zuhören und auf ihn eingehen, c) er sollte die Bedenken und Gedankengänge des Patienten verstehen und diese in sein Vorgehen mit einbeziehen. Diese Aspekte dürften neben der ärztlichen Erfahrung, dem ausgeprägten Fachwissen und dem fachlichen Können im jeweiligen medizinischen Bereich entscheidend sein. © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin 2 Grundlegende Bedeutung der Arzt-Patient-Beziehung für die Medizin 2.1 Dimensionen der Arzt-Patient-Kommunikation in der modernen Medizin Björn Meyer und Bernd Löwe Die Arzt-Patient-Kommunikation dient in der modernen Medizin vor allem dazu, eine bestmögliche Ausgangslage für eine korrekte Diagnose, optimale Behandlung und effektiven Therapieverlauf zu ermöglichen. Nicht zufällig heißt es in Lehrbüchern: »Die wichtigste diagnostische und therapeutische Handlung des Arztes ist das ärztliche Gespräch […] [und] der Erfolg oder Misserfolg einer ärztlichen Behandlung hängen von der Qualität der Arzt-Patient-Kommunikation ab« (Fritzsche u. Wirsching, 2006). Bei problematischer Kommunikation steigt die Wahrscheinlichkeit, dass irrelevante, unvollständige oder verzerrte Informationen in die Anamnese einfließen, dass eine Fehldiagnose abgeleitet wird und dass der Patient die Behandlung nicht engagiert mitträgt, was dann zu ungünstigen Verläufen und Behandlungsergebnissen beitragen kann. Zu den Aufgaben des Arztes gehört also, unabhängig von der fachlichen Ausrichtung, die Kommunikation schon ab dem Erstkontakt so zu gestalten, dass Kommunikationsfehlerquellen erkannt und vermieden werden und die Möglichkeiten der Kommunikation als Förderer einer optimalen Diagnosestellung und Behandlung voll ausgeschöpft werden. Zum Erkennen möglicher Fehlerquellen gehört u. a. die Einsicht, dass Kommunikation mehr ist als der objektive Austausch sachbezogener Informationen zwischen Arzt und Patient. Auch wenn die Intentionen beider Kommunikationspartner auf eine möglichst gute Behandlung abzielen – was in der Regel als gegeben angesehen werden kann –, ist die Effektivität der Kommunikation immer durch die individuellen Kommunikationsfähigkeiten beider Teilnehmer begrenzt. Diese Fähigkeiten beeinflussen das Ausmaß, in dem Kommunikation harmonisch ablaufen und so die Erreichung des übergeordneten Ziels © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin 20 Grundlegende Bedeutung der Arzt-Patient-Beziehung der Patientengesundheit begünstigen oder behindern kann. Weiterhin beeinflussen auch die körperlichen Symptome, die psychische Verfassung und das soziale Umfeld des Patienten die Möglichkeiten und Grenzen der Arzt-Patient-Kommunikation und müssen kontinuierlich und umfassend erfasst und berücksichtigt werden. Im vorliegenden Beitrag beschreiben wir diese beiden Aspekte als zwei grundlegende Dimensionen der Arzt-Patient-Kommunikation: einerseits die individuellen Kommunikationsfähigkeiten des Arztes, welche wir vor dem Hintergrund der spezifischen Anforderungen verschiedener Phasen des Arztgesprächs und verschiedener kommunikativer Bedürfnisse der Patienten besprechen; und andererseits den Patienten selbst in seinem biopsychosozialen Kontext: Körperliche und psychische Erkrankungen, aber auch Stress und soziale Faktoren können die Kommunikation erschweren oder sogar effektive Kommunikation verhindern. Ein Verständnis dieser Faktoren sowie das Wissen darüber, wie diese Barrieren kommunikativ bewältigt werden können, stellen für uns wesentliche Inhalte dieser zweiten Dimension dar. Die beiden Dimensionen stehen in Wechselbeziehung zueinander; der Arzt wirkt durch seine kommunikativen Fähigkeiten und Verhaltensweisen auf das biopsychosoziale Geflecht des Patienten ein; andererseits wirkt auch der Patient auf den Prozess der Kommunikation und somit die kommunikativen Fähigkeiten und Möglichkeiten des Arztes ein – bei manchen Patienten fällt die Kommunikation leicht, bei anderen hingegen sind Höchstmaße an Sachkenntnis, Erfahrung und kommunikativer Expertise gefordert. Abbildung 1 stellt diese Perspektive graphisch dar und verweist auf die Vielschichtigkeit dieser nur scheinbar simplen Zweidimensionalität. Eine differenziertere Ausarbeitung dieser Aspekte ist Ziel unseres Beitrags. Abbildung 1: Zwei Dimensionen der Arzt-Patient-Kommunikation © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin B. MeyerB. Löwe · Dimensionen der Arzt-Patient-Kommunikation 21 Die erste Dimension: Ärztliche Kommunikationsfähigkeiten Phasenspezifische kommunikative Anforderungen und Fähigkeiten Kommunikation zwischen Arzt und Patient findet nicht im konzeptuellen Vakuum statt, sondern hat immer einen historischen und situativen Rahmen, der sowohl die Ziele des Gesprächs als auch die Wahrnehmungen und Erwartungen der Gesprächsteilnehmer beeinflusst. Ein 30-minütiges psychosomatisches Konsiliargespräch in einer dermatologischen Krankenhausabteilung ist mit anderen Anforderungen verbunden als ein 90-minütiges Erstgespräch in einer psychosomatischen Ambulanz. Dennoch können übergeordnete Phasen der ArztPatient-Kommunikation unterschieden werden und Aufgaben, Ziele und entsprechende Kommunikationsfähigkeiten diesen Phasen zugeordnet werden. Nach den Calgary-Cambridge Guides des Arztkommunikationstrainings (Kurtz et al., 2003) werden so z. B. fünf Phasen eines prototypischen Arzt-Patient-Gesprächs unterschieden: 1) die Kontaktaufnahme/Beziehungsaufbau, 2) die Informationsakquise, 3) die körperliche Untersuchung, 4) die Befunderklärung und das Aushandeln der Optionen und 5) das konstruktive Beenden des Gesprächs. Jede dieser Phasen erfordert spezifische Kommunikationsfähigkeiten, die in der ärztlichen Ausbildung vermittelt und eingeübt werden können. Nach den Calgary-Cambridge Guides lernen Ärzte z. B., dass ein gutes Gespräch in Phase 1 damit beginnen sollte, dass der Arzt den Patienten namentlich begrüßt, sich vorstellt, seine Rolle und Funktion erklärt, Interesse am Wohlergehen des Patienten bekundet, sich mit offenen Fragen nach den Gründen für die Konsultation erkundet, aufmerksam zuhört und Verständnis signalisiert und das beabsichtigte weitere Vorgehen erklärt. Zu jeder der fünf Gesprächsphasen werden spezifische Ziele und Unterziele in unterschiedlichen Feinheitsgraden definiert und dazu passende idealtypische Kommunikationsverhaltensweisen vorgegeben, die dann wiederum empirisch überprüft werden können. Über diese phasenspezifischen Kommunikationsziele und -fähigkeiten hinaus werden in den Calgary-Cambridge Guides zwei übergeordnete Kommunikationsfähigkeiten betont: 1. Die Fähigkeit, die Sitzung kontinuierlich zu strukturieren, und 2. die Fähigkeit, kontinuierlich die Beziehung aufzubauen bzw. aufrechtzuerhalten. © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin 22 Grundlegende Bedeutung der Arzt-Patient-Beziehung Richtlinien wie die Calgary-Cambridge Guides sind aus dem Bedürfnis entstanden, die inhaltliche Ebene des Arzt-Patient-Gesprächs enger mit der Prozessebene zu verknüpfen (Kurtz et al., 2003). Angehende Mediziner sollen anhand dieser Richtlinien nicht mehr die Struktur eines Arztgesprächs (z. B. Vorstellungsgrund – Symptomanamnese – psychischer Befund – somatischer Befund) getrennt vom Kommunikationsprozess (z. B. aktiv zuhören, offene Fragen stellen, Emotionen spiegeln) erlernen, sondern von Anfang an die enge Verknüpfung zwischen Struktur und Prozess erlernen und verinnerlichen. In gängigen Lehrbüchern (Fritzsche u. Wirsching, 2006) werden diese Ebenen in der Regel getrennt behandelt, so dass angehende Mediziner zwar einerseits über die Wichtigkeit von offenen Fragen, Paraphrasieren und Spiegeln von Emotionen aufgeklärt sind, andererseits aber das Arztgespräch eher an inhaltlichen »Einkaufslisten« ausrichten. Die künstliche Trennung der Prozess- von der inhaltlichen Ebene kann gerade bei Medizinstudenten Verwirrung stiften: »Wenn Lernende mit diesen beiden Modellen [dem inhaltlichen und dem prozessorientierten] des medizinischen Interviews konfrontiert werden, ist es all zu leicht für sie, diese Modelle als Alternativen aufzufassen […] zu oft kommt es vor, dass Lernende ihr Kommunikationstraining ignorieren und das traditionelle medizinische Anamnesegespräch als Richtlinie nicht nur für die Inhalte, sondern auch für den Prozess des medizinischen Gesprächs anwenden« (Kurtz et al., 2003). Kommunikationsfähigkeiten wie die in dem Calgary-Cambridge Guides beschriebenen Dimensionen können nachgewiesenermaßen gelehrt und eingeübt werden, was sich in messbaren Steigerungen der ärztlichen Kommunikationskompetenz auswirkt. In einer multizentrischen Studie an drei amerikanischen Medizinhochschulen konnten z. B. mittlere bis große Effektstärken eines an diesen Prinzipien ausgerichteten Trainingsprogramms nachgewiesen werden (Yedidia et al., 2003). Noch bessere Effekte könnten erreicht werden, wenn dem Training kommunikativer Fähigkeiten ein noch höherer Stellenwert in der medizinischen Ausbildung beigemessen würde. In erweiterten Trainingsprogrammen wären neben dem Erlernen inhaltlicher und prozessorientierter Kommunikationsfähigkeiten auch noch weitere Elemente denkbar, wie z. B. ein Fokus auf das Erlernen emotionaler Kompetenzen (Flowers, 2005). Studien bezüglich der Wirksamkeit verschiedener Kommunikationstrainingsprogramme litten allerdings jahrzehntelang unter mangelnder konzeptueller Klarheit sowie problematischer Erhebung der Outcome© 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin B. MeyerB. Löwe · Dimensionen der Arzt-Patient-Kommunikation 23 Variablen. So war eine spezifische Empfehlung aus einem Review von 26 Untersuchungen, dass künftige Forschungen auf diesem Gebiet sich noch stärker an etablierten theoretischen Modellen bei der Auswahl spezifischer Kommunikationsfähigkeiten ausrichten sollten (Cegala u. Lenzmeier Broz, 2002). Theoriebasierte ärztliche Kommunikationsfähigkeiten Ein relevantes theoretisches Modell im Kontext der Arzt-PatientKommunikation stellt die Self-determination-Theorie dar, nach der ärztliche Kommunikation besonders dann Wirksamkeit entfaltet, wenn bestimmte psychische Grundbedürfnisse der Patienten kontinuierlich im Kommunikationsprozess befriedigt werden können. Die kommunikativen Techniken, die eine solche Grundbedürfnisbefriedigung im medizinischen Alltag ermöglichen sollen, wurden in den letzten Jahren im Bereich der Motivierenden Gesprächsführung detailliert herausgearbeitet (Rollnick, 2008). Ähnliche Theorien, die ebenfalls die Rolle der Grundbedürfnisbefriedigung im therapeutischen Prozess betonen, wurden in den letzten Jahren auch von anderen Autoren entwickelt (Grawe, 2004). Nach der Self-determination-Theorie ist die kontinuierliche Befriedigung der psychischen Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Bindung (relatedness) und Selbstbestimmung (autonomy) ein wichtiger – wenn nicht der wichtigste – Grundpfeiler effektiver ärztlicher Kommunikation (Ryan et al., 2008; Ryan u. Deci, 2008). Welche Gesprächstechniken eingesetzt werden können, um diese Bedürfnisbefriedigung im ärztlichen Alltag effizient zu ermöglichen, wird in der Motivierenden Gesprächsführung beschrieben, einem Kommunikationsverfahren, das ursprünglich im Kontext der Suchtbehandlung entwickelt wurde und inzwischen auf viele unterschiedliche medizinische Anwendungsbereiche ausgeweitet wurde, in denen Verhaltensänderung im weitesten Sinne eine Rolle spielt (Miller u. Rollnick, 2004). Der Bezug zwischen den Konzepten der Self-determination-Theorie und den Techniken der Motivierenden Gesprächsführung wurde mehrfach ausführlich beschrieben (Vansteenkiste u. Sheldon, 2006; Markland et al., 2005). In einem Review verschiedener Metaanalysen zur Wirksamkeit der Motivierenden Gesprächsführung konnte gezeigt werden, dass die Anwendung dieser Methode über verschiedene Indikationen hinweg sowohl die engagierte Mitarbeit der Patienten im Behandlungsprozess steigert als auch klinische OutcomeParameter positiv beeinflusst (Lundahl u. Burke, 2009). © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin 24 Grundlegende Bedeutung der Arzt-Patient-Beziehung Nach der Self-determination-Theorie bedeutet effektive Kommunikation, das Bedürfnis der Patienten nach Kompetenz zu befriedigen, indem eine klare Gesprächstruktur geschaffen wird, Inhalte verständlich formuliert werden oder indem der Arzt dem Patienten hilft, klare und erreichbare Ziele zu formulieren (Markland et al., 2005) (s. Abb. 2). Je mehr der Patient dieses Kompetenzgefühl im Gespräch mit dem Arzt erleben kann, desto besser für die Behandlungsmotivation und – in der Regel – für den Therapieverlauf (Ryan et al., 2008). Die beiden anderen Bedürfnisse der Self-determination-Theorie – Bindung und Selbstbestimmung – können ebenso durch gezieltes Kommunikationsverhalten auf Seiten des Arztes befriedigt werden: indem Druck und Zwang vermieden werden, Widerstand nicht abgewehrt, sondern offen aufgenommen wird, der Patient ermuntert wird, Behandlungsoptionen eigenständig zu erkunden, und Patienten Freiraum gelassen wird, behandlungsrelevante Entscheidungen selbst zu fällen, wird das Bedürfnis nach Autonomie eher befriedigt als durch paternalistische Anweisungen oder unflexible Vorschriften (Markland et al., 2005). Das Bedürfnis nach Bindung wiederum kann im Kommunikationsverhalten u. a. dadurch befriedigt werden, dass Empathie aktiv ausgedrückt wird, dass Sorgen und Ängste der Patienten erkundet werden, dass Verständnis für die Perspektive des Patienten vermittelt wird und dass Schuldzuweisungen oder implizite Verurteilungen des Verhaltens vermieden werden (Abb. 2). Klare Struktur schaffen – Verständliche und neutrale Informationen geben – Dem Patienten helfen, angemessene Ziele zu formulieren – Positives Feedback geben – Selbstwirksamkeit stützen Bedürfnis nach Kompetenz befriedigt Patienten-Autonomie stützen – Druck und Zwang vermeiden – Widerstand gelassen annehmen – Optionen selber erkunden und entdecken lassen – Zu Verbalisierung von Veränderungen ermutigen – Den Patienten Entscheidungen treffen lassen Bedürfnis nach Autonomie (Selbstbestimmung) befriedigt Persönliche Beteiligung – Empathie ausdrücken – Sorgen und Ängste erkunden – Verständnis für die Perspektive des Patienten ausdrücken – Nicht werten, verurteilen oder Schuld zuweisen Bedürfnis nach Bindung bzw. Verbundenheit befriedigt Abbildung 2: Self-determination-Theorie und Motivierende Gesprächsführung (nach Markland et al., 2005) © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2 Hans-Christian Deter, Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin B. MeyerB. Löwe · Dimensionen der Arzt-Patient-Kommunikation 25 Zusammenfassend lassen sich also die ärztlichen Kommunikationsfähigkeiten in verschiedenen Phasen des ärztlichen Gespräches und im Hinblick auf die Befriedigung grundlegender psychischer Patientenbedürfnisse als eine erste wichtige Dimension der Arzt-PatientKommunikation beschreiben. Je mehr der Arzt die Fähigkeiten besitzt, die einzelnen kommunikativen Herausforderungen der verschiedenen Gesprächsphasen zu meistern (von der Kontaktaufnahme zum konstruktiven Beenden des Gesprächs), je mehr er gleichzeitig dazu in der Lage ist, das Gespräch im Sinne einer zielgerichteten Interaktion zu strukturieren, und je mehr der Arzt dem Patienten ein Maximum an Autonomieerleben, Kompetenzgefühl und persönlicher Verbundenheit (relatedness) vermitteln kann, desto optimaler wird diese erste Dimension in der Arzt-Patient-Kommunikation realisiert. Die zweite Dimension: Biopsychosoziale Patientenaspekte Unabhängig vom Ausmaß ärztlicher Kommunikationsfähigkeiten und motivierender Gesprächsführungskompetenz sind viele Patienten aus den unterschiedlichsten Gründen nicht in der Lage, ihre Symptome sowie deren Auslöser kohärent, detailliert und wahrheitsgetreu zu beschreiben. Solche kommunikativen Schwierigkeiten beruhen in der Regel nicht auf dem mangelnden Willen der Patienten, sondern sind oftmals als Aspekte spezifischer Psychopathologie zu verstehen und drücken sich in systematischen Verzerrungen der Wahrnehmung und der Informationsverarbeitung aus. Anstatt direkt von ihrer behandlungsbedürftigen Depression zu berichten, beschreibt eine Patientin beispielsweise ausschließlich ihre Kopf- und Gliederschmerzen. Anstatt von dem kürzlich erlittenen Verlust des Arbeitsplatzes vor dem Hintergrund sozialer Vereinsamung zu berichten, beschreibt ein ehemaliger Manager lediglich seine Verdauungsbeschwerden. Diese Beispiele zeigen, dass die Kommunikation zwischen Arzt und Patient durch verschiedene Aspekte der biopsychosozialen Befindlichkeit der Patienten erschwert werden kann. Diese Dimension derartiger biopsychosozialen Anpassung betrachten wir hier als zweite grundlegende Säule der Arzt-Patient-Kommunikation. Im Folgenden beschreiben wir ausgewählte Aspekte derartiger biopsychosozialer Patientenmerkmale, um die Relevanz dieser Dimension im Kontext der Arzt-Patient-Kommunikation zu verdeutlichen. © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40168-2