HAFTUNG BEI SCHÄDEN AUFGRUND UNZUREICHENDER

Werbung
HAFTUNG
BEI
SCHÄDEN
AUFGRUND
UNZUREICHENDER MEDIZINISCHER
NOTFALLMASSNAHMEN IM KANTON
ZÜRICH
Foto: J. Büttner
Jacqueline Büttner
2012
INHALTSVERZEICHNIS
Abkürzungsverzeichnis………………………………………………………………….….….…IV
Literaturverzeichnis……………………………………………………………………......……..VI
Materialienverzeichnis………………………………………………………………………….VIII
Entscheidregister………………………………………………………………….……………….IX
1. EINLEITUNG ..................................................................................................................1
2. KOMPETENZAUFTEILUNG IN DER GESUNDHEITSVERSORGUNG .............2
3. NOTFALLVERSORGUNG ...........................................................................................2
3.1
DEFINITION DES NOTFALLBEGRIFFS ....................................................................................... 2
3.2
MEDIZINISCHE NOTFALLVERSORGUNG IM KANTON ZÜRICH .................................................. 3
3.2.1 Notfalldienstpflicht der niedergelassenen Ärzte .................................................................. 3
3.2.2 Rettungswesen / Rettungsdienst .......................................................................................... 4
3.2.3 Klinische Notfallversorgung ................................................................................................ 5
4. BEHANDLUNGSVERHÄLTNISSE .............................................................................5
4.1
PRIVATE LEISTUNGSERBRINGER ............................................................................................. 6
4.2
ÖFFENTLICH-RECHTLICHE LEISTUNGSERBRINGER ................................................................. 6
4.3
ZUORDNUNG VON SPITALBETRIEBEN ZUM ÖFFENTLICHEN ODER ZUM PRIVATEN RECHT ........ 7
5. MÖGLICHE HAFTUNGSARTEN ...............................................................................8
5.1
VERTRAGLICHE HAFTUNG...................................................................................................... 8
5.2
AUSSERVERTRAGLICHE HAFTUNG ......................................................................................... 9
6. HAFTUNG FÜR SCHÄDEN INFOLGE UNZUREICHENDER MEDIZINISCHER
NOTFALLMASSNAHMEN IM KANTON ZÜRICH ..................................................10
6.1
KAUSALHAFTUNG ................................................................................................................ 10
6.2
VERSCHULUDENSHAFTUNG .................................................................................................. 10
6.3
ABGRENZUNG DES VERSCHULDENS VON DER WIDERRECHTLICHKEIT .................................. 11
6.4
HAFTUNGSSUBJEKTE ............................................................................................................ 12
6.4.1 Im privatrechtlichen Behandlungsverhältnis ..................................................................... 12
6.4.2 Im öffentlich-rechtlichen Behandlungsverhältnis.............................................................. 12
6.4.3 Haftungssubjekt im Hinblick auf die Rechtstellung der Beteiligten ................................. 13
II
6.5
HAFTUNGSVORAUSSETZUNGEN ............................................................................................ 13
6.5.1 Allgemeine Voraussetzungen ............................................................................................ 13
6.5.1.1 Haftungsbegründender Tatbestand ............................................................................. 13
6.5.1.2 Schaden ....................................................................................................................... 15
6.5.1.3 Kausalzusammenhang ................................................................................................. 16
6.5.1.4 Verschulden ................................................................................................................ 18
6.5.1.5 Ausschluss- oder Reduktionsgründe; Verjährung und Verwirkung ........................... 19
6.5.2 Besondere Voraussetzungen der Staatshaftung ................................................................. 19
6.5.2.1 Rechtssatz.................................................................................................................... 19
6.5.2.2 Hoheitlicher Tätigkeitsbereich .................................................................................... 19
6.5.2.3 Funktioneller Zusammenhang..................................................................................... 20
6.5.2.4 Ausschlussgründe........................................................................................................ 21
6.6
VERFAHREN ......................................................................................................................... 21
7. BEWEISFRAGEN ........................................................................................................21
7.1
BEWEISLASTVERTEILUNG ..................................................................................................... 21
7.2
BEWEISERLEICHTERUNGEN .................................................................................................. 23
7.2.1 Grundsatz ........................................................................................................................... 23
7.2.2 Beweiserleichterungen in der Medizinalhaftung ............................................................... 23
8. FAZIT .............................................................................................................................25
III
Abkürzungsverzeichnis
a.a.O.
am angeführten Ort
Abs.
Absatz
AGZ
Ärztegesellschaft Zürich
a.M.
anderer Meinung
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
BGE
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des
Schweizerischen Bundesgerichts
BGer
Bundesgericht
BV
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom
18. April 1999 (SR 101)
bzw.
beziehungsweise
d.h.
das heisst
E.
Erwägung
f.
folgende
ff.
fortfolgende
FR
Freiburg
GesG
Gesetz
über
das
Gesundheitswesen
vom
2.
April
2007
(Gesundheitsgesetz, LS 810.1)
HAVE
Haftung und Versicherung (Zürich)
HG
Gesetz über die Haftung des Staates und der Gemeinden sowie ihrer
Behörden und Beamten vom 14. September 1969 (Haftungsgesetz, LS
170.1)
HMO
Health Maintenance Organization
i.c.
in casu
i.d.R.
in der Regel
i.V.m.
in Verbindung mit
Kap.
Kapitel
KV
Verfassung des Kantons Zürich vom 27. Februar 2005 (LS 101)
lit.
litera
IV
LS
Zürcher Loseblattsammlung
MedBG
Bundesgesetz über die universitären Medizinalberufe vom 23. Juni
2006 (Medizinalberufegesetz, SR 811.11)
Nr.
Nummer, Randnummer
OR
Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des
Schweizer Zivilgesetzbuches, fünfter Teil: Obligationenrecht
(SR 220)
PatG
Patientinnen- und Patientengesetz vom 5. April 2004 (LS 813.13)
S.
Seite
sog.
so genannt
SR
Systematische Sammlung des Bundesrechts
VGr
Verwaltungsgericht
vgl.
vergleiche
z.B.
zum Beispiel
ZBJV
Zeitschrift des bernischen Juristenvereins (Bern)
ZGB
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (SR 210)
ZH
Zürich
Ziff.
Ziffer
V
Literaturverzeichnis
Zitierweise:
Die nachstehenden Werke werden, wenn nichts anderes angegeben ist, mit Nachnamen des Autors
sowie Seitenzahl oder Randnummer zitiert.
BOSCHUNG MATHIAS
Der bodengebundene
Rettungsdienst,
Diss.
Freiburg, Zürich/Basel/Genf 2010
FELLMANN WALTER
Die
Haftung
Privatspitals,
des
in:
Privatarztes
Fellmann
und
des
Walter/Poledna
Tomas (Hrsg.), Die Haftung des Arztes und des
Spitals, Fragen und Entwicklungen im Recht der
Arzt- und Spitalhaftung, Referate der Tagung
vom
26.
November
2002
in
Luzern,
Zürich/Basel/Genf 2003, S. 47 ff.
FINK CLAUDIA
Aufklärungspflicht
von
Medizinalpersonen
(Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker), Bern
2008
FLACH DANIEL
Wer ist nun für den Notfalldienst zuständig?, in:
Managed
Care,
Schweizer
Zeitschrift
für
Managed Care, Public Health, Gesundheits- und
Sozialökonomie 7/2006, S.1
GÄCHTER THOMAS/VOLLENWEIDER IRENE
Gesundheitsrecht, Ein Grundriss für Studium
und Praxis, 2. Aufl., Basel 2010
GROSS JOST
Schweizerisches Staatshaftungsrecht, Stand und
Entwicklungstendenzen, 2. Aufl., Bern 2001
VI
HÄFELIN ULRICH/MÜLLER GEORG/
Allgemeines Verwaltungsrecht,
UHLMANN FELIX
5. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2006
HERZOG-ZWITTER IRIS
Behandlungsfehler und Beweisthematik, in:
Jusletter 7. Juni 2010
JAAG TOBIAS
Staats- und Verwaltungsrecht des Kantons
Zürich, 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2005
LANDOLT HARDY
Medizinalhaftung, Aktuelle Rechtsprechung zu
ausgewählten
Problembereichen
der
Arzthaftung, in: HAVE/2009, S. 329 ff.
POLEDNA TOMAS/BERGER BRIGITTE
Öffentliches Gesundheitsrecht, Bern 2002
REY HEINZ
Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 4. Aufl.,
Zürich/Basel/Genf 2008
SCHMID JÖRG
Die
privatrechtliche
Rechtsprechung
des
Bundesgerichts im Jahr 2006 und 2007, in:
ZBJV 07-08/2010, S. 554 ff.
SCHWARZENBACH-HANHART HANS-RUDOLF
Staatshaftung
bei
verfügungsfreiem
Verwaltungshandeln, Bern 2006
SUTTER-SOMM THOMAS/SPITZ BRIGITTE
Beweisfragen
im
Arzthaftungsprozess,
in:
Fellmann Walter/Poledna Tomas (Hrsg.), Die
Haftung des Arztes und des Spitals, Fragen und
Entwicklungen
im
Recht
der
Arzt-
und
Spitalhaftung, Referate der Tagung vom 26.
November 2002 in Luzern, Zürich/Basel/Genf
2003, S. 143 ff.
VII
Materialienverzeichnis
Ärztegesellschaft des Kantons Zürich AGZ
Rahmenvorschriften für die Organisation des
Notfalldienstes im Kanton Zürich, genehmigt an
der Delegiertenversammlung vom 12.11.2007,
in Kraft seit 01.01.2008 (zit. Rahmenvorschriften AGZ)
VOLLENWEIDER ANNE-CATHERINE
Die Haftpflicht für medizinische Eingriffe,
namentlich von Hilfspersonen. Rechtsgutachten
im Zusammenhang mit der Erarbeitung einer
neuen Ausbildung auf der Sekundarstufe II im
Hinblick auf ein EFZ (eidgenössisches
Fähigkeitszeugnis) im Gesundheitsbereich:
Fachangestellte/r Gesundheit, Bern 2001 (zit.
VOLLENWEIDER, Rechtsgutachten)
DIVERSE
Zusammenstellung der Vernehmlassungen zum
Vorentwurf für ein Bundesgesetz über die
Revision und Vereinheitlichung des
Haftpflichtrechts, 2004 (zit. VE
Haftpflichtrecht, Vernehmlassungen)
VIII
Entscheidregister
Bundesgerichtsentscheide
BGE 112 Ib 334
BGE 115 Ib 175
BGE 120 Ib 411
BGE 120 II 248
BGE 128 III 271
BGE 133 III 121
BGE 135 IV 56
Urteil des BGer 4C.53/2000 vom 13. Juni 2000
Urteil des BGer 4C.255/2003 vom 28. November 2003
Urteil des BGer 4C.378/1999 vom 23. November 2004
Urteil des BGer 4_A61/2007 vom 13. Juni 2007
Verwaltungsgerichtsentscheide
Urteil des VGr FR 1A 02 39 vom 12.06.2006
Urteil des VGr ZH VB 2002.00147 von 23.10.2003
IX
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit gibt dem Leser eine grobe Übersicht über die Organisation der
medizinischen Notfallversorgung im Kanton Zürich. Es wird aufgezeigt, dass im Bereich der
medizinischen Notfallversorgung unterschiedliche, teils privatrechtliche und teils öffentlichrechtliche
Behandlungsverhältnisse
begründet
werden.
Je
nach
Rechtsnatur
des
Behandlungsverhältnisses kommen im Schadenfall unterschiedliche Haftungsordnungen zur
Anwendung. Im Kanton Zürich beschlägt einerseits die vertragliche Haftung im Rahmen des
privatrechtlichen Vertragsverhältnisses1 und andererseits die ausservertragliche Haftung, welche im
Bereich des Vertrags in Anspruchskonkurrenz zu Art. 41 OR sowie dann zum Tragen kommt, wenn
die Notfallbehandlung im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Behandlungsverhältnisses
stattfindet. In diesem Zusammenhang wird der Anwendungsbereich von Art. 61 OR erläutert und es
erfolgt
eine
diesbezügliche
Einordnung
der
gezeigten
öffentlich-rechtlichen
Behandlungsverhältnisse. Es stellt sich die Frage, ob die öffentlich-rechtlich begründeten
Rechtsverhältnisse in der medizinischen Notfallversorgung Tätigkeiten beinhalten, die als amtlich
bzw. hoheitlich qualifiziert und deshalb im Schadenfall vom Anwendungsbereich der staatlichen
Haftung erfasst werden.
Es folgt eine Erläuterung der allgemeinen Haftungsvoraussetzungen sowie der besonderen
Voraussetzungen für die Haftung des Staates im Kanton Zürich. Weiter werden die vertragliche und
die ausservertragliche (Staats-) Haftung einander gegenübergestellt und im Hinblick auf die
Stellung des Geschädigten verglichen. Unter Einbezug der Rechtsprechung des Bundesgerichts
wird besonders auf die Frage eingegangen, welche Auswirkungen das anwendbare Haftungsregime
auf die Stellung des Geschädigten bei der Geltendmachung von Haftungsansprüchen hat, und ob der
Aufhebung des Verschuldenserfordernisses bei der staatlichen Haftung eine konkrete Bedeutung
zukommt. Dabei zeigt sich, dass weniger die konkrete Haftungsordnung als vielmehr die
prozessualen
Voraussetzungen,
insbesondere
hinsichtlich
des
Nachweises
der
Sorgfaltspflichtverletzung und des Kausalzusammenhangs, für den Geschädigten von Bedeutung
sind.
1
Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 398 OR; Art. 400 Abs. 1 OR oder Art. 101 Abs. 1 OR.
1
2. Kompetenzaufteilung in der Gesundheitsversorgung
In der Schweiz ist die Aufteilung der Gesetzgebungskompetenzen so geregelt, dass der Bund für die
Normierung eines Bereichs nur dann zuständig ist, wenn ihm die Bundesverfassung die
entsprechende Kompetenz zuweist.2 Gemäss Art. 43a Abs. 1 BV i.V.m. Art. 5a BV besagt das
bundesstaatliche Subsidiaritätsprinzip sodann, dass nur diejenigen Aufgaben vom Bund
übernommen werden, die einheitlich auf Bundesebene geregelt werden müssen.3 Im Bereich des
Gesundheitswesens besteht keine allgemeine Bundeskompetenz. Vielmehr handelt es sich beim
öffentlichen Gesundheitsrecht um einen traditionellen Kompetenzbereich der Kantone.4 So gehört
auch die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung, insbesondere Planung, Bau, Betrieb,
Finanzierung und Organisation von öffentlichen Spitälern, sowie die Subvention von
Privatspitälern, Kliniken und Spitex-Diensten zu den kantonalen Aufgaben.5
Im Kanton Zürich sorgen gemäss Art. 113 KV Kanton und Gemeinden für eine ausreichende und
wirtschaftlich tragbare Gesundheitsversorgung. Nach § 1 GesG handelt es sich dabei um eine
gemeinsame Aufgabe von Kanton und Gemeinden.6
3. Notfallversorgung
3.1 Definition des Notfallbegriffs
Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf die Haftung bei unzureichenden medizinischen
Massnahmen in Notfallsituationen. Eine umfassende und verlässliche Definition des Notfallbegriffs
existiert derzeit nicht.7 Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich definiert den medizinischen
Notfall gemäss dem klinischen Wörterbuch Pschyrembel, wonach als solcher ein akuter,
lebensbedrohlicher Zustand gilt, der durch Störung einer Vitalfunktion8 bewirkt wird, oder bei dem
die Gefahr plötzlich eintretender, irreversibler Organschädigung infolge Trauma, akuter Erkrankung
oder Vergiftung besteht9. Der rettungsdienstliche Notfallbegriff ist weiter gefasst. Der
Rettungsdienst kommt nicht nur bei Notfallpatienten im oben erwähnten Sinne zum Einsatz.
2
Art. 3 BV i.V.m. Art. 42 Abs. 1 BV.
GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 99.
4
POLEDNA/BERGER, S. 11.
5
POLEDNA/BERGER, Nr. 42.
6
JAAG, Nr. 4204.
7
FINK, S. 155.
8
Die Vitalfunktionen sind das Bewusstsein, die Atmung und der Kreislauf.
9
VB.2002.00147, E. 4a, vom 23.10.2003.
3
2
Auch bei Notfällen, wo die Vitalfunktionen der Patienten nicht beeinträchtigt sind sowie bei
zeitkritischen Patientenverlegungen ohne Beeinträchtigung der Vitalfunktionen muss der
Rettungsdienst unverzüglich ausrücken.10
3.2 Medizinische Notfallversorgung im Kanton Zürich
Die medizinische Notfallversorgung hat sich im Laufe der Zeit erheblich gewandelt. Früher, man
denke an die Geschichte des barmherzigen Samariters, war eine ausreichende medizinische
Notversorgung mehr oder weniger dem Zufall überlassen. Zu Gotthelfs Zeiten war es der Dorfarzt,
welcher zu jeder Tages- und Nachtzeit auf den Hof kam, um nach dem Patienten zu schauen. Wenn
heute ein Patient notfallmedizinisch versorgt werden muss, ist die Wahl des „Retters“ schon
schwieriger. Ist nun die Ambulanz zu rufen, der Hausarzt zu kontaktieren, eine Walk-in-Klinik oder
direkt die Notfallpforte des nächsten Spitals aufzusuchen?11 In der vorliegenden Arbeit werden die
nach Ansicht der Verfasserin wichtigsten Akteure im Bereich der medizinischen Notfallversorgung
berücksichtigt und im Folgenden kurz dargestellt.
3.2.1 Notfalldienstpflicht der niedergelassenen Ärzte
Die praktizierenden Ärzte müssen am Notfalldienst teilnehmen. Das MedBG regelt die
Berufspflichten der selbständig erwerbenden Ärzte und statuiert in Art. 40 lit. g die Pflicht, an
Notfalldiensten nach Massgabe der kantonalen Vorschriften mitzuwirken. Im Kanton Zürich
verpflichtet § 17 GesG die Ärzte, Notfalldienst zu leisten. Die Organisation des Notfalldienstes
wurde an die Standesorganisation der Zürcher Ärzteschaft, die AGZ, delegiert.12 Die konkrete
Planung und Durchführung des ambulanten Notfalldienstes obliegt innerhalb der AGZ sechs
Bezirksgesellschaften, welche in ihrem Bezirk zuständig sind für das Aufbieten, die Dispensation
und den Ausschluss der Notfalldienstpflichtigen. Die Bezirksgesellschaften wiederum können die
Planung des Notfalldienstes an die Notfalldienstkreise, eine untergeordnete Strukturebene der
Bezirksgesellschaften, delegieren.13
Notfalldienstpflichtig sind alle Ärzte, die voll oder teilweise selbständig sind. Diesen gleichgestellt
sind diplomierte Assistenzärzte, welche bei einem selbständigen Arzt bzw. einer HMO-Praxis oder
einer ambulanten ärztlichen Institution gemäss § 35 GesG angestellt sind.14
10
BOSCHUNG, Nr. 41.
FLACH, S. 1.
12
Rahmenvorschriften AGZ, S. 1.
13
Rahmenvorschriften AGZ, S. 2.
14
Rahmenvorschriften AGZ, a.a.O.
11
3
Der Notfalldienst ist grundsätzlich persönlich zu leisten. Auf Gesuch hin kann die
Bezirksgesellschaft den Arzt aus gesundheitlichen Gründen wie Krankheit, Behinderung,
Schwangerschaft oder wegen familiärer Betreuungspflichten von der Notfalldienstpflicht befreien.
Diesfalls ist jedoch eine Ersatzabgabe zu zahlen.15
3.2.2 Rettungswesen / Rettungsdienst
Das Rettungswesen ist ein Teilbereich des Gesundheitswesens. Es umfasst die Massnahmen, die
Leistungserbringer und die Organisationen, welche mit der Rettung von Personen im Rahmen von
Alltagsereignissen befasst sind. Darüber hinaus sind die Behörden und die einschlägigen
Vorschriften Teil des Rettungswesens.16 Der Ausdruck „Rettungsdienst“ ist in einem engeren Sinne
zu verstehen. Er umfasst sowohl eine materielle wie auch eine formelle Komponente. Im
materiellen Sinn ist unter Rettungsdienst die Tätigkeit der professionellen Retter im präklinischen
Bereich gemeint, welche die Teilmassnahmen Rettung, medizinische Versorgung und Transport ins
Spital enthält. Im formellen Sinne bezieht sich der Begriff auf die Leistungserbringer, welche die
rettungsdienstliche Tätigkeit ausüben. 17
Im Kanton Zürich sind die Gemeinden für den Rettungsdienst zuständig. Gemäss § 44 Abs. 1 GesG
stellen sie das Krankentransport- und Rettungswesen sicher.18 Der Kanton Zürich verfügt neben der
gesetzlichen Delegation über keine weiteren Spezialerlasse in Sachen Rettungsdienst, weshalb die
Gemeinden weitgehend frei darüber entscheiden können, wie sie den Rettungsdienst organisieren
wollen.19 § 44 Abs. 1 Satz 2 GesG besagt, dass die Gemeinden das Krankentransport- und
Rettungswesen Dritten übertragen können, was auch eine Übertragung der Aufgabenerfüllung auf
Private erfasst.20 Über die staatliche Beauftragung hinaus besteht also im Kanton Zürich gestützt auf
§ 35 Abs. 1 lit. f für Private die Möglichkeit, mit Polizeibewilligung zur privatwirtschaftlichen
Ausübung
des
Rettungsdienstes
zugelassen
zu
werden,
sofern
sie
die
gesetzlichen
Bewilligungsvoraussetzungen gemäss § 36 GesG erfüllen. Im Kantonsgebiet sind zurzeit keine
privatwirtschaftlichen Anbieter im Bereich des Rettungsdienstes tätig. Das Rettungswesen wird von
neun staatlichen Rettungsdiensten bewirtschaftet, wovon deren sieben spitalgebunden und deren
zwei spitalunabhängig sind.21
15
Rahmenvorschriften AGZ, S. 3 f.
BOSCHUNG, Nr. 27.
17
BOSCHUNG, Nr. 31 ff.
18
BOSCHUNG, Nr. 386.
19
BOSCHUNG, Nr. 145.
20
THIÉBAUD, S. 520 f., zitiert nach BOSCHUNG Nr. 388.
21
BOSCHUNG, Nr. 388 ff.
16
4
3.2.3 Klinische Notfallversorgung
Im Kanton Zürich existieren für die überregionale Versorgung Zentralspitäler (Universitätsspital
Zürich, Kantonsspital Winterthur), psychiatrische Kliniken (Burghölzli, Embrach, Rheinau) sowie
Spezialkrankenhäuser, wie z.B. Drogenkliniken.22 Öffentliche Spitäler können Teil der zentralen
oder dezentralen Leistungsverwaltung23 sein. Die Spitalträgerschaft kann das öffentliche vom
privaten Spital abgrenzen. Private Träger sind hauptsächlich Vereine, Stiftungen oder
Aktiengesellschaften. Staatliche Spitalträger sind in aller Regel die Gemeinwesen, öffentlichrechtliche Körperschaften oder Stiftungen. Das Universitätsspital Zürich und das Kantonsspital
Winterthur sind seit dem 01. Januar 2007 Anstalten des kantonalen öffentlichen Rechts mit eigener
Rechtspersönlichkeit. Mit der Totalrevision des GesG wurde die feste Verpflichtung von Kantonen
und Gemeinden zur Führung von eigenen Spitälern aufgehoben. Die Stadt Zürich und einige andere
Gemeinden führen noch sog. Stadtspitäler. Kleinere Gemeinden wiederum haben sich für die
Führung
von
regionalen
Krankenhäusern
zu
Zweckverbänden
oder
gemeinnützigen
Aktiengesellschaften zusammengeschlossen.24 Auch Private dürfen, sofern sie über eine
Bewilligung nach § 35 ff. GesG verfügen, Spitäler betreiben.25 In § 38 Abs. 1 statuiert das GesG im
Kanton Zürich eine Beistandspflicht der Institutionen des Gesundheitswesens in dringenden Fällen.
Gemäss § 38 Abs. 2 GesG besteht für Spitäler mit kantonalem Leistungsauftrag eine
Notfallaufnahmepflicht. Im ganzen Kantonsgebiet werden zur Zeit 32 Spitäler in unterschiedlichen
Rechtsformen betrieben. 17 davon verfügen über eine eigene Notfallpforte, welche rund um die Uhr
für die Notfallpatienten zugänglich ist.26
4. Behandlungsverhältnisse
Die Rechtsbeziehung zwischen dem Patienten und dem Leistungserbringer, vorliegend also
demjenigen, der die medizinische Notfallversorgung durchführt, wird als Behandlungsverhältnis
bezeichnet. Die Rechtsnatur des Behandlungsverhältnisses bezieht sich grundsätzlich auf das Recht,
welches für den Leistungserbringer gilt. Untersteht dieser dem Privatrecht, liegt typischerweise ein
privatrechtliches Vertragsverhältnis vor.27 Ist der Leistungserbringer hingegen nach öffentlichem
Recht organisiert, fällt auch das Behandlungsverhältnis unter öffentliches Recht. 28
22
JAAG, Nr. 4221.
Verwaltungstätigkeit, durch die den Privaten staatliche Leistungen vermittelt werden; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Nr. 30.
24
JAAG, Nr. 4222.
25
JAAG, Nr. 4223.
26
Diese Zahlen basieren auf den Angaben der Website der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich,
<http://www.gd.zh.ch/internet/gd/de/buerger/Patient.html#0005SubContainer1> (besucht am: 30. Oktober 2010).
27
GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 514.
28
GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 516.
23
5
4.1 Private Leistungserbringer
Wie gezeigt wurde, sind im Bereich der medizinischen Notfallversorgung die niedergelassenen
Ärzte im Rahmen ihrer gesetzlichen Notfalldienstpflicht tätig. Die Tätigkeit im Notfall gehört
demnach zur regulären Berufsausübung des frei praktizierenden Arztes. Zwischen diesem und dem
Patienten besteht in der Regel ein konkludent zustande gekommener privatrechtlicher Arztvertrag,
der sich nach den Regeln des einfachen Auftrags29 richtet.30 Wenn kein Vertrag zustande kommt,
z.B. bei Notfällen oder wenn der Patient bewusstlos ist, fallen die Tätigkeiten des
Leistungserbringers unter die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag gemäss Art. 419 ff. OR.31
Die dem Privatrecht üblicherweise inhärente Privatautonomie, insbesondere die Abschlussfreiheit,
wird im Bereich der Notfallversorgung beschränkt. Es besteht eine Behandlungspflicht, welche bis
anhin in den kantonalen Gesundheitsgesetzen vorgesehen war und nun auch in Art. 40 lit. g MedBG
verankert ist.32
Die Notfallversorgung im klinischen Bereich erfolgt teilweise durch privatrechtlich organisierte
Spitäler. Ob ein Spital als privat- oder öffentlich-rechtlich gilt, wird von der Lehre mit
unterschiedlicher Gewichtung anhand der Kriterien der Trägerschaft und der vom öffentlichen
Recht geregelten staatlichen Aufgabenerfüllung beantwortet.33 Wird ein Spital als privatrechtlich
organisiert qualifiziert, beruht das Rechtsverhältnis zwischen dem Patienten und den betreuenden
Personen auf einem privatrechtlichen Spitalvertrag.34 Beim Spitalvertrag wird zwischen totalem und
gespaltenem Vertrag unterschieden. Wenn dem Patienten alleine das Spital als Vertragspartner
gegenübersteht, handelt es sich um einen totalen oder einheitlichen Spitalvertrag. Wenn der Patient
im Rahmen eines Belegarztmodells mit dem Arzt einen Vertrag über die medizinische Behandlung
und parallel dazu mit dem Spital einen über Unterkunft, Verpflegung und Pflege abschliesst, spricht
man von einem gespaltenen Spitalvertrag.35
4.2 Öffentlich-rechtliche Leistungserbringer
Durch die Notaufnahme des Patienten in ein öffentliches Spital wird zwischen Patient und
Spitalträger ein öffentlich-rechtliches Behandlungsverhältnis, mithin ein Sonderstatusverhältnis mit
besonderen Pflichten für den Patienten, begründet.36
29
Art. 394 ff. OR.
POLEDNA/BERGER, Nr. 112.
31
GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 514.
32
GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 560.
33
BOSCHUNG, Nr. 561.
34
POLEDNA/BERGER, Nr. 108.
35
POLEDNA/BERGER, Nr. 109 ff.
36
GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 589.
30
6
Dieses kann als reines Anstaltsverhältnis bei Spitälern, welche als öffentlich-rechtliche Anstalten
organisiert sind, oder - sofern die vertragliche Form die geeignetere Art zur Erreichung des
Gesetzeszweckes ist - als öffentlich-rechtlicher Vertrag ausgestaltet sein.37
Auch das Rechtsverhältnis zwischen staatlich beauftragten Rettungsdiensten und Patient sollte dem
öffentlichen Recht zugeordnet werden, womit ein öffentlich-rechtliches Behandlungsverhältnis
begründet wird.38Als Begründung kann angeführt werden, dass die Rettungsdienste bei der
Ausübung des Notfall- und Krankentransports unmittelbar eine Staatsaufgabe erfüllen, welche die
Gemeinden im Kanton Zürich gemäss § 44 Abs. 1 GesG zu gewährleisten haben.39 In ihrer
Funktion kommt deshalb den Rettungsdiensten keine Privatautonomie zu. Ihr Handeln liegt im
öffentlichen Interesse und muss verfassungsmässig sein. Die Abschlussfreiheit und Wahl des
Vertragspartners, insbesondere im Notfalltransport, sind auf beiden Seiten eingeschränkt. Zwischen
den Parteien besteht ein Machtgefälle, da die Bevölkerung von den existenziellen Leistungen im
Notfalltransport abhängig ist und der Patient neben dem staatlich beauftragen Leistungserbringer
keine Ausweichmöglichkeit auf einen andern Anbieter hat. Aus diesen Überlegungen ergibt sich,
dass eine Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Privatrecht nicht in Betracht kommt.40
4.3 Zuordnung von Spitalbetrieben zum öffentlichen oder zum privaten Recht
Die Zuteilung zu öffentlichem oder privatem Recht führt zu unterschiedlichen Rechtsfolgen,
namentlich
in
Bezug
auf
die
Haftung.
SCHWARZENBACH
erläutert
die
bekannten
Zuordnungskriterien wie Subjekttheorie, Subordinationstheorie, Interessentheorie, Funktionstheorie
sowie die modale Theorie und kommt zum Schluss, dass keine für sich alleine als
Zuordnungskriterium taugt. Vielmehr sollte ein Methodenpluralismus mit spezieller Gewichtung
auf die Subordinations- und Subjekttheorie angewandt werden.41 Daraus folgt, dass gemäss heutiger
Lehre zur Abgrenzung eines öffentlichen von einem privaten Spital nicht mehr allein das Kriterium
der Trägerschaft herangezogen werden kann. Dies umso mehr, als die Tendenzen im
Gesundheitswesen dahin weisen, dass die Gemeinwesen ihre stationären Einrichtungen in
privatrechtliche Aktiengesellschaften umwandeln, wobei sie häufig die Aktienmehrheit behalten.
Auf diese Spitäler ist weiterhin öffentliches Recht anzuwenden.42
37
GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 517.
BOSCHUNG, NR. 565.
39
BOSCHUNG, NR. 566.
40
BOSCHUNG, a.a.O.
41
SCHWARZENBACH-HANHART, S. 126 ff.
42
GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 518.
38
7
Weiter wird unter anderem festgehalten, dass der Begriff des öffentlichen Spitals für diejenigen
Spitäler gelten soll, die unabhängig von ihrer Trägerschaft einen staatlichen Auftrag erfüllen,
weshalb hier von einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis ausgegangen werden kann.43
5. Mögliche Haftungsarten
Die anwendbaren Haftungsregeln richten sich grundsätzlich nach dem Rechtsverhältnis, aus dem
sich die Haftungsansprüche ergeben.44
5.1 Vertragliche Haftung
Soweit die Arztbehandlung im Rahmen eines privatrechtlichen Vertragsverhältnisses erfolgt, was
regelmässig zwischen Patient und frei praktizierendem Arzt sowie zwischen Patient und privaten
stationären Einrichtungen der Fall ist, ist die Vertragshaftung nach Art. 97 Abs. 1 OR anwendbar.
Der Leistungserbringer haftet für den Schaden seines Patienten, den er oder eine seiner
Hilfspersonen45 als Folge einer Verletzung einer vertraglichen Haupt- oder Nebenpflicht
rechtserheblich verursacht hat, sofern und soweit ihn ein Verschulden trifft.46 Liegt ein gespaltenes
privatrechtliches Verhältnis vor, ist zu prüfen wem die schädigende Handlung zuzurechnen ist.
Wenn der Schaden durch das medizinische Personal des Spitals verursacht wurde, haftet dieses aus
dem Spitalaufnahmevertrag nach Art. 398 Abs. 2 OR. Darüber hinaus ist eine Haftung des Arztes
denkbar, wenn der Schädiger als dessen Hilfsperson im Sinne von Art. 101 Abs. 1 OR qualifiziert
wird. Diesfalls haften Arzt und Spital solidarisch. Wenn hingegen der Arzt allein für den Schaden
verantwortlich
ist,
so
haftet
nur
er
dafür.47
Beim
einheitlichen
privatrechtlichen
Spitalaufnahmevertrag ist das Spital der Vertragspartner des Patienten. Dies hat zur Folge, dass
vertragliche Haftungsansprüche nur gegen das Spital gerichtet werden können. Persönlich kann der
behandelnde Arzt nach Deliktsrecht gemäss Art. 41 ff. OR zur Verantwortung gezogen werden. Ein
Sonderfall liegt dann vor, wenn Privatpatienten durch Chefärzte in öffentlich-rechtlichen Spitälern
behandelt werden. Hier geht das Bundesgericht48 trotz privatrechtlichem Auftragsverhältnis
mehrheitlich von der Anwendbarkeit der Staatshaftung aus.49
43
GÄCHTER/VOLLENWEIDER, NR. 518.
GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 554.
45
Hilfsperson im Sinne von Art. 101 OR.
46
LANDOLT, S. 330.
47
GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 573.
48
Vgl. z.B. BGE 112 Ib 334 E.2 S. 337 f.
49
GÄCHTER/VOLLEWEIDER, Nr. 574.
44
8
5.2 Ausservertragliche Haftung
Vollständigkeitshalber ist hier zu erwähnen, dass der geschädigte Patient alternativ zur vertraglichen
Haftung die ausservertragliche Deliktshaftung geltend machen kann. Diese Alternative ist aber
theoretischer Natur, da dem Geschädigten bei der Haftung aus Art. 41 Abs. 1 OR der Nachweis des
Verschuldens obliegt. Mitgeschädigten Dritten, insbesondere Angehörigen, stehen mithin nur
ausservertragliche Haftungsansprüche zu.50
Wenn die Notfallbehandlung im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses erfolgt, ist
mit Blick auf Art. 61 OR zu unterscheiden, ob die Behandlung gewerblich oder amtlich, bzw.
hoheitlich ist. Die Kantone sind gestützt auf Art. 61 Abs. 1 OR befugt, die im Rahmen einer
amtlichen Tätigkeit begangene Schädigung einer kantonalrechtlichen Haftungsordnung zu
unterstellen.51
Weil
Gesundheitsversorgung
das
als
Behandlungsverhältnis
amtliche
Tätigkeit
öffentlich-rechtlich
qualifiziert
wird,
Verantwortlichkeitsgesetze bei Schädigungen des Patienten anwendbar.
52
sind
ist
und
die
die
kantonalen
Auch eine Privatisierung
des Leistungserbringers ändert nichts an der staatlichen Aufgabenerfüllung, so dass sich die
Anwendung der kantonalen Verantwortlichkeitsgesetze weiterhin rechtfertigt.53
Selbst im Rahmen eines gespaltenen Behandlungsverhältnisses fällt ein allfällig privatrechtlicher
Teil, obwohl dieser als „gewerbliche Tätigkeit“ qualifiziert werden könnte, unter die Staatshaftung.
Begründet wird dies damit, dass dem Patienten keine unnötigen Hürden bei der Erkennung der
Rechtslage auferlegt werden sollen.54
Von der erwähnten Gesetzgebungskompetenz haben alle Kantone Gebrauch gemacht. Eine Haftung
für Schadenszufügung bei amtlicher Tätigkeit nach Bundeszivilrecht55 kommt demnach in keinem
Kanton vor.56 Ein Patient, welcher infolge unzureichender medizinischer Notfallversorgung einen
Schaden erlitten hat, kann seinen Anspruch je nach Behandlungsverhältnis auf die vertraglichen
oder auf die kantonalen Haftungsregeln abstützen und ist in keinem Fall auf die für ihn ungünstigere
Variante der deliktischen Haftung nach Art. 41 ff. OR angewiesen.
Im Folgenden möchte ich der Frage nachgehen, ob die konkret anwendbare Haftungsordnung
Auswirkungen auf die Rechtstellung des Geschädigten hat.
50
LANDOLT, S. 330.
LANDOLT, S. 329.
52
GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 600.
53
GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 518.
54
GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 601 f.
55
D.h. nach Art. 41 ff. OR.
56
GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 600.
51
9
6. Haftung für Schäden infolge unzureichender medizinischer
Notfallmassnahmen im Kanton Zürich
6.1 Kausalhaftung
Die Staatshaftung im Kanton Zürich ist grösstenteils57 als Kausalhaftung ausgestaltet. Gemäss Art.
46 Abs. 1 KV haften der Kanton, die Gemeinden und die Organisationen des öffentlichen Rechts
kausal für den Schaden, den Behörden oder Personen in ihrem Dienst durch rechtswidrige amtliche
Tätigkeit oder Unterlassung verursachen.58 Bei der Kausalhaftung entfällt die Qualifikation des
Verschuldens. Hier entsteht Haftbarkeit des Staates bei jedem widerrechtlichen, wenn auch in
entschuldbarem Rechts- oder Tatsachenirrtum erlassenen Akt, oder für jede widerrechtliche
Unterlassung.59 Wer die haftungsbegründende Widerrechtlichkeit begeht, ist innerhalb der
Kausalhaftung unerheblich, der Geschädigte muss den Schädiger nicht persönlich identifizieren
können, es genügt, wenn er die Amtsstelle oder Behörde nennt, die für die von ihm als
widerrechtlich betrachtete Handlung oder Unterlassung verantwortlich ist.60
6.2 Verschuldenshaftung
Mit Verschulden ist die persönliche Vorwerfbarkeit der Nichtanwendung der Regeln der ärztlichen
Kunst gemeint.61 Der freipraktizierende Arzt, welcher im Rahmen seines Notfalldienstes einen
Schaden verursacht hat, kann dafür, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, persönlich haftbar
gemacht werden. Bei Vorliegen einer Vertragsverletzung im Sinne einer widerrechtlichen
Sorgfaltspflichtverletzung wird ein Verschulden vermutet. Die Haftung entfällt aber, wenn der
Schädiger beweist, dass ihn keinerlei Verschulden trifft.62 Im Rahmen der vertraglichen Haftung hat
der Schädiger, i.c. der privatrechtliche Leistungserbringer, für Vorsatz und Fahrlässigkeit
einzustehen. Fahrlässig handelt, wer bewusst oder unbewusst aus mangelnder Sorgfalt einen
Schaden verursacht. Der Massstab, an dem das Verhalten des Schuldners gemessen wird, ist
objektiviert. Es sind also nicht die individuellen Umstände des Einzelfalls oder die Fähigkeiten des
einzelnen Arztes bzw. Leistungserbringers massgebend. Ausschlaggebend ist vielmehr die im
Verkehr erforderliche Sorgfalt.63
57
Wird ein Entscheid im Rechtsmittelverfahren abgeändert, haftet der Staat nur bei Arglist oder Vorsatz der Vorinstanz (§ 6 Abs. 2
HG); bei Schaden aus falscher Auskunft wird Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorausgesetzt (§ 6 Abs. 3 HG).
58
JAAG, Nr. 3102.
59
SCHWARZENBACH-HANHART, S. 21.
60
SCHWARZENBACH-HANHART, S. 22.
61
LANDOLT, S. 338.
62
FELLMANN, S. 63.
63
FELLMANN, a.a.O.; S. 64.
10
6.3 Abgrenzung des Verschuldens von der Widerrechtlichkeit
Es fragt sich, ob die Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht dem Verschulden oder der
Widerrechtlichkeit zuzuordnen ist.64 FELLMANN gibt dem Begriff der Sorgfalt zwei Bedeutungen:
Im Zusammenhang mit der widerrechtlichen Sorgfaltspflichtverletzung diene der Begriff als
Grundlage für die Bestimmung der Qualität, die bei der Ausführung des Auftrags an die Leistung zu
stellen
sei.
Hier
werde
ein
Höchstmass
an
Sorgfalt
verlangt.
Die
schuldhafte
Sorgfaltspflichtverletzung umschreibe demgegenüber den Fahrlässigkeitsmassstab. Auf der Stufe
des Verschuldens sei nicht mehr das gänzlich objektivierte Ausmass menschenmöglicher Sorgfalt
massgebend. Hier werde das erforderliche Können vielmehr auf ein Standardmass herabgesetzt. Er
vergleicht also die Sorgfaltspflichtverletzung im Bereich der Widerrechtlichkeit mit der
Fahrlässigkeit im Bereich des Verschuldens und kommt überzeugend zur Ansicht, dass die beiden
Begriffe aufgrund des im Vertragsrecht objektivierten Verschuldensbegriffs nahezu identisch sind.65
GROSS wiederum hält fest, dass in der herrschenden Praxis im Verantwortlichkeitsrecht
Widerrechtlichkeit, Amtspflichtwidrigkeit und Verletzung der objektiven Sorgfaltspflicht
weitgehend gleichgesetzt werden. Die verschuldensunabhängige Widerrechtlichkeitshaftung nähere
sich daher stark einer objektivierten Verschuldenshaftung an, und zwar auch dann, wenn die
Widerrechtlichkeit primär als Rechtsgutverletzung verstanden werde. Dies deshalb, weil die
Widerrechtlichkeit als Rechtsgutverletzung dem Staat als Haftpflichtsubjekt den Entlastungsbeweis
der Erfüllung der Amtspflicht vorbehalte. Diese Erfüllung der Amtspflicht sei, z.B. im
medizinischen Bereich mit der Wahrung der ärztlichen Sorgfaltspflicht im objektiven Sinn,
gegeben.66
Somit lässt sich sagen, dass der Aufhebung des Verschuldenserfordernisses in der öffentlichrechtlichen Kausalhaftung in Bezug auf die Rechtstellung des Geschädigten keine oder nur geringe
praktische Bedeutung zukommt.
64
LANDOLT, S. 339.
FELLMANN, S. 64.
66
GROSS, S. 231.
65
11
6.4 Haftungssubjekte
6.4.1 Im privatrechtlichen Behandlungsverhältnis
Liegt ein privatrechtliches Behandlungsverhältnis vor, so ist der Arzt selbst das Haftungssubjekt.
Dies auch in jenen Fällen, wo eine Hilfsperson einen Schaden verursacht hat, welcher dem Arzt
gestützt auf Art. 101 OR zugerechnet werden kann.67
6.4.2 Im öffentlich-rechtlichen Behandlungsverhältnis
Im Zusammenhang mit der Staats- und Beamtenhaftung geht es einerseits um die Haftung für
Schäden, welche Dritten durch den Staat bzw. dessen Organe oder Angestellte in Verrichtung
öffentlicher Aufgaben zugefügt werden. Andererseits geht es um die Entschädigung des Staates für
Schädigungen, welche er selbst durch Handlungen seines Personals erleidet.68 Gegenstand der
vorliegenden Arbeit ist die Schädigung Dritter, der Bereich der internen Beamtenhaftung ist für die
Bearbeitung des Themas nicht relevant.
Die ausschliessliche Staatshaftung, bei welcher gegenüber dem Geschädigten ausschliesslich der
Staat haftet bzw. direkte Schadenersatzforderungen gegen Beamte ausgeschlossen sind, ist die
häufigste Form der staatlichen Haftung gegenüber Dritten.69 Die Kantonsverfassung legt im Kanton
Zürich das System der ausschliesslichen Staatshaftung fest, die mit dem Haftungsgesetz vom 14.
September 1969 eingeführt wurde.70 Im Bereich der öffentlich-rechtlichen Medizinalhaftung heisst
dies, dass der Geschädigte sich mit seinem Haftungsanspruch direkt an die zuständige Organisation
bzw. das zuständige Gemeinwesen wenden kann und das fehlbare Personal nicht identifizieren
muss. In den Fällen, in denen das Bundesrecht eine persönliche Haftung der Beamten mit
subsidiärer Staatshaftung vorsieht, statuiert § 5 Abs. 2 HG die solidarische Staatshaftung.71
Der Anspruch auf Schadenersatz kann sich gemäss § 1-3 HG gegen den Kanton, gegen alle Arten
von
Gemeinden
sowie
gegen
Organisationen
des
öffentlichen
Rechts
mit
eigener
Rechtspersönlichkeit richten. Die öffentlichen Anstalten gemäss § 3 Abs. 2 HG sind vom
Anwendungsbereich des Haftungsgesetzes ausgeschlossen.72
67
Vgl. GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 572 f.
JAAG, Nr. 3101.
69
HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Nr. 2229.
70
JAAG, Nr. 3102.
71
JAAG, Nr. 3130.
72
JAAG, Nr. 3110 f.
68
12
6.4.3 Haftungssubjekt im Hinblick auf die Rechtstellung der Beteiligten
Ob nun der Staat oder der Arzt als Privatperson für einen Schaden einstehen muss, ist für den
Geschädigten heute im Hinblick auf die Solvenz des Schadensverursachers von untergeordneter
Bedeutung. Für die niedergelassenen Ärzte besteht eine gesetzliche Pflicht zum Abschluss einer
Haftpflichtversicherung oder zur Erbringung gleichwertiger Sicherheiten.73
Je nach Haftungssubjekt muss der Geschädigte den Schädiger persönlich identifizieren oder es
reicht aus, dass die verantwortliche Organisation genannt werden kann. Im letzteren Fall sind
beweisrechtliche Vorteile für den Geschädigten auszumachen.
Aus der Optik des Schädigers besteht haftungsrechtlich ein Unterschied zwischen der Vertrags- und
der Staatshaftung. Während der Beauftragte persönlich haftet, wird im haftungsrechtlichen Sinn das
medizinische Personal im Rahmen der Staatshaftung grösstenteils von der persönlichen
Verantwortung entbunden da der Staat, wenn überhaupt, nur bei schwerem Verschulden oder
Vorsatz auf sie zurückgreifen kann. Auf individueller Ebene kann das Personal jedoch immer
disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt werden, so dass trotz Staatshaftung die persönliche
Verantwortlichkeit nach wie vor gegeben ist.74
6.5 Haftungsvoraussetzungen
Damit eine Haftung für unzureichende medizinische Notfallversorgung überhaupt in Frage kommt,
müssen vorab die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen wie Schaden, Vertragsverletzung bzw.
Widerrechtlichkeit, natürliche und adäquate Kausalität sowie bei der vertraglichen Haftung das
Verschulden gegeben sein.
6.5.1 Allgemeine Voraussetzungen
6.5.1.1 Haftungsbegründender Tatbestand
Der Arztbehandlungsvertrag umfasst eine vertragliche Hauptpflicht, nämlich eine Behandlung,
welche auf die Wiederherstellung der Gesundheit ausgerichtet und nach den Regeln der ärztlichen
Kunst vorzunehmen ist. Er beinhaltet zudem eine vertragliche Nebenpflicht, wonach anderweitige
Schädigungen des Patienten zu vermeiden sind. Wenn der Leistungserbringer eine dieser Pflichten
verletzt, begeht er eine positive Vertragsverletzung, was den haftungsbegründenden Tatbestand bei
der vertraglichen Haftung darstellt.75
73
Art. 40 lit. h MedBG.
VOLLENWEIDER, Rechtsgutachten, S. 11.
75
LANDOLT, S. 331.
74
13
Bei der Staatshaftung ist die Rechtsgutverletzung der haftungsbegründende Tatbestand. 76 Die
Sorgfaltspflichtverletzung ist gemäss Bundesgericht als Teil der Widerrechtlichkeit zu
berücksichtigen.77 Die schweizerische Rechtsprechung richtet sich nach der „Theorie der objektiven
Widerrechtlichkeit“78. Danach ist ein Verhalten dann widerrechtlich, wenn es gegen geschriebene
oder ungeschriebene Verhaltensnormen der Rechtsordnung verstösst.79 Diese Normen finden sich
im ganzen Privatrecht, im öffentlichen Recht und im Strafrecht. Widerrechtlich ist einerseits die
Verletzung absoluter Rechte, andererseits die Verletzung einer Verhaltensnorm, deren Schutzzweck
der geschädigten Person dient. Leben und Gesundheit des Patienten sind solche Güter, welche von
der Rechtsordnung haftpflichtrechtlich gegen schädigende Eingriffe durch Dritte geschützt
werden.80 Auch Unterlassungen können widerrechtlich sein wenn eine Schutznorm ein Handeln
verlangt. Man spricht von einer sog. Garantenstellung, welche ihren Rechtsgrund in positiven
Verhaltensnormen des Privat-, Verwaltungs- oder Strafrechts hat.81 Den Leistungserbringern im
Bereich der Notfallbehandlung kommt die Garantenpflicht aus Vertrag bzw. aus Gesetz zu.
Nach heute vorherrschender Lehre und Rechtsprechung ist der ärztliche Eingriff per se
widerrechtlich. Der Leistungserbringer verletzt mit der Heilbehandlung die physische Integrität und
weitere Persönlichkeitsrechte des Patienten.82 In der Regel liegt eine gültige Einwilligung83 des
hinreichend aufgeklärten Patienten und damit ein Rechtfertigungsgrund vor.
Falls der Arzt die Aufklärung unterlässt oder unzureichend vornimmt, entfällt die Rechtfertigung
und er haftet für sämtliche Risiken des Eingriffs, selbst wenn dieser nach den Regeln der ärztlichen
Kunst vorgenommen wurde.84 Mit Bezug auf Notfallsituationen ist hinzuzufügen, dass diesfalls die
Aufklärung unterbleiben kann. Der Leistungserbringer hat hier vom hypothetischen Willen des
Patienten auszugehen. Wenn nachgewiesen ist, dass der Eingriff objektiv im Interesse des Patienten
ist und der voraussichtliche Erfolg in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der Operation
verbundenen Risiken steht, ist regelmässig von der mutmasslichen Einwilligung des Patienten
auszugehen.85
76
LANDOLT, S. 331.
vgl. BGE 115 Ib 175 E. 2b S. 181.
78
REY, Nr. 670.
79
REY, a.a.O.
80
GROSS, S. 163.
81
GROSS, S. 164.
82
Vgl. GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 535.
83
Voraussetzungen für eine gültige Einwilligung: siehe GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 538.
84
Vgl. GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 552 f.
85
GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Nr. 541.
77
14
Aus dem Gesagten wird deutlich, dass die haftungsbegründende ärztliche Unsorgfalt zum einen
Kunst- und Behandlungsfehler, zum anderen aber auch die sog. Aufklärungsfehler erfasst.86
Das Bundesgericht hat im Jahr 2007 wie folgt an den Umfang der vom Arzt geschuldeten
Sorgfaltspflicht erinnert: „L’étendue du devoir de diligence qui incombe au médecin se détermine
selon des critères objectifs: Les exigences qui doivent être posées à cet égard ne peuvent pas être
fixées une fois pour toutes; elles dépendent des particularités de chaque cas, telles que la nature de
l’intervention ou du traitement et les risques qu’ils comportent, la marge d’appréciation, le temps
et les moyens disponibles, la formation et les capacités du médecin.“
87
Daraus ergibt sich, dass
namentlich in Notfallsituationen, wo oft unter Zeitdruck gehandelt werden muss, reduzierte
Anforderungen an die Sorgfaltspflicht möglich sind. In jedem Fall schuldet der Arzt, bzw.
derjenige, welcher die Notfallbehandlung am Patienten vornimmt, diesem eine sorgfältig
ausgeführte Tathandlung und nicht etwa einen Erfolg im Sinne einer garantierten Genesung, und
zwar unabhängig davon, ob der Arzt als Beamter oder als Beauftragter des Patienten handelt.88
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Sorgfaltspflichtverletzung gemäss Rechtsprechung
und herrschender Lehre bei der vertraglichen Haftung von der Vertragsverletzung und bei der
Staatshaftung von der Widerrechtlichkeit erfasst wird. Die Sorgfaltspflichtverletzung gehört daher
in jedem Fall zum Beweisthema des Geschädigten.89
6.5.1.2 Schaden
Sowohl bei der vertraglichen Haftung wie auch bei Staatshaftung liegt ein haftpflichtrelevanter
Schaden dann vor, wenn der Geschädigte eine unfreiwillige Vermögenseinbusse erlitten hat. Ein
Schaden kann in der Verminderung der Aktiven, einer Vermehrung der Passiven oder in
entgangenem Gewinn bestehen. Nach der Differenztheorie wird der Schaden anhand des Vergleichs
des gegenwärtigen Vermögensstands des Geschädigten mit jenem Stand, den sein Vermögen ohne
das schädigende Ereignis hätte,
berechnet.90
Im schweizerischen Verständnis
ist ein
haftpflichtrechtlich relevanter Schaden i.d.R. ein Vermögensschaden.
86
SUTTER-SOMM/SPITZ, S. 145.
BGE 133 III 121 E. 3.1 S. 124.
88
BGE 120 Ib 411 E 4a S. 413.
89
BGE 120 Ib 411 E 4a S. 414.
90
REY, Nr. 151 ff.
87
15
Vereinzelt und in speziellen Fällen anerkennt das Bundesgericht auch das Vorliegen eines sog.
normativen Schadens, insbesondere im Zusammenhang mit der Körperverletzung oder Tötung einer
haushaltführenden Person.91
Im Bereich der Haftung für unzureichende medizinische Notfallmassnahmen steht der
Personenschaden im Vordergrund. Darunter sind alle Kosten zu verstehen, die bei der Tötung oder
Verletzung eines Menschen entstehen. Art. 99 Abs. 3 OR verweist auf Art. 45 OR, wonach bei
Tötung eines Menschen die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu
ersetzen sind. Wenn der Tod nicht sofort eingetreten ist, hat der Haftpflichtige auch für die Kosten
der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit bis zum Tod einzustehen. Nach
Art. 46 Abs. 1 OR, der vom Verweis in Art. 99 Abs. 3 OR ebenfalls erfasst wird, hat der Verletzte
bei Körperverletzung Anspruch auf Ersatz der Kosten sowie auf Entschädigung für die Nachteile
gänzlicher oder teilweiser Arbeitsunfähigkeit, unter Berücksichtigung der Erschwerung des
wirtschaftlichen Fortkommens.92 In bestimmten Fällen räumt das Gesetz den Betroffenen gemäss
Art. 47 OR einen Anspruch auf Genugtuung ein.93 Die Angehörigen können innerhalb der
vertraglichen Haftung keine Genugtuungsansprüche geltend machen, da sie zum Schädiger nicht in
einem Vertragsverhältnis stehen. Ihnen steht ein Anspruch aus Delikt zu, was zur Folge hat, dass sie
auch das Verschulden des Schädigers nachweisen müssen.94
Der Umfang des Schadenersatzes bei staatlicher Haftung im Kanton Zürich wird von § 8 f. HG
erfasst. Gestützt auf § 10 HG kann dem Verletzten oder den Angehörigen unter bestimmten
Voraussetzungen eine Genugtuung zugesprochen werden.
6.5.1.3 Kausalzusammenhang
Der Leistungserbringer kann sowohl bei der vertraglichen wie bei der ausservertraglichen Haftung
nur dann belangt werden, wenn zwischen dem Schaden des Patienten und der Vertragsverletzung
bzw. der Rechtsgutverletzung ein adäquater Kausalzusammenhang besteht.95 LANDOLT unterteilt
das Kausalverhältnis in die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität.
Haftungsbegründende Kausalität ist gegeben, wenn zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung und der
erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigung ein sicherer Kausalzusammenhang vorliegt.
91
REY, Nr. 178a.
FELLMANN, S. 54 f.
93
FELLMANN, S. 55.
94
FELLMANN, S. 55 f.
95
FELLMANN, S. 61.
92
16
Haftungsausfüllende Kausalität liegt dann vor, wenn ein sicherer Kausalzusammenhang zwischen
der erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigung und dem relevanten Schaden besteht.96
Zur Feststellung des natürlichen Kausalzusammenhangs wird in Lehre und Praxis die „conditiosine-qua-non“-Formel verwendet. Es wird danach gefragt, ob der Schaden auch eingetreten wäre,
wenn sich der betreffende Umstand nicht verwirklicht hätte. Die natürliche Kausalität ist zu
bejahen, wenn die Ursache nicht weggedacht werden kann, ohne dass damit auch der eingetretene
Schaden entfiele.97 Pflichtwidrige Unterlassungen sind dann natürlich kausal, wenn nachgewiesen
werden kann, dass die Gesundheitsbeeinträchtigung und der Schaden überwiegend wahrscheinlich
nicht eingetreten wären, hätte sich der präsumtiv Haftende pflichtgemäss verhalten.98 Eine
Unterlassung wird aber wiederum nur dann als Ursache eines Schadens betrachtet, wenn eine
Pflicht zum Handeln, eine sog. Garantenpflicht bestand und die unterlassene Handlung den Schaden
sicher oder höchstwahrscheinlich verhindert hätte.99
Im Zusammenhang mit der natürlichen Kausalität stellt sich die Frage, ob und falls ja unter welchen
Voraussetzungen diese beim Hinzutreten von Reserveursachen wegfallen soll.100 Eine solche
Reserveursache stellt z.B. das rechtmässige Alternativverhalten dar.101 Darunter wird der Einwand
des Schädigers verstanden, der konkrete Schaden wäre auch dann eingetreten, wenn er sich nicht
rechtswidrig, sondern rechtmässig verhalten hätte.102 Als Beispiel kann ein Urteil des
Verwaltungsgerichts Freiburg angeführt werden, wo die Haftung des Kantonsspitals für einen
eingetretenen Hörschaden trotz nachgewiesener Sorgfaltspflichtverletzung verneint wurde. Dies mit
der Begründung, bei einer Meningitis bestehe auch bei pflichtgemässem Verhalten ein hohes Risiko
für derartige Folgeschäden.103 Das Bundesgericht stützte den diesbezüglichen Entscheid des
Verwaltungsgerichts Freiburg.104
Wenn die Sorgfaltspflichtverletzung darin besteht, dass der Patient nicht aufgeklärt wurde und
demnach nicht eingewilligt hat, entfällt die Haftung, sofern der Arzt nachweisen kann, dass die
Voraussetzungen für die Annahme einer hypothetischen Einwilligung erfüllt sind.105
96
LANDOLT, S. 333 f.
REY, Nr. 518.
98
LANDOLT, S. 334.
99
FELLMANN, S. 62.
100
LANDOLT, S. 334.
101
A.M. REY, Nr. 604.
102
LANDOLT, S. 334.
103
Vgl. Urteil VGr FR 1A 02 39 vom 12.02.2006.
104
Vgl. Urteil des BGer 4A_61/2007 vom 13.06.2007.
105
LANDOLT, S. 334.
97
17
So verweist im Kanton Zürich § 22 PatG auf die mutmassliche Einwilligung als
Rechtfertigungsgrund. Weiter kann eine Haftung entfallen, wenn der Arzt über ein Laborergebnis
im Zusammenhang mit einer Vasektomie106 nicht sorgfaltsgemäss über das Restrisiko aufklärt, er
aber nachweisen kann, dass der Patient sich in Kenntnis des richtigen Laborbefundes nicht anders
verhalten hätte und deshalb die unterlassene Aufklärung für den Schaden nicht kausal war.107
LANDOLT stellt die Frage in den Raum, ob es gerechtfertigt ist, dass der natürliche
Kausalzusammenhang wegfällt, wenn hypothetische oder tatsächliche Reserveursachen hinzutreten.
So sei etwa nicht einzusehen, weshalb ein präsumtiv Haftender, welcher tatsächlich eine
Sorgfaltspflichtverletzung begangen und eine Gesundheitsbeeinträchtigung beim Patienten
verursacht hat, nicht für den Schaden einstehen soll, bloss weil dieser später ohnehin eingetreten
wäre.108 Solche und weitere Reserveursachen sollten eine Haftung nicht ausschliessen, sondern
allenfalls bei der Bemessung des Schadenersatzes als Reduktionsgrund berücksichtigt werden.
Weiter gibt er zu bedenken, dass das Bundesgericht in Arzthaftungs- und anderen Haftpflichtfällen
den Einwand der überholenden Kausalität zugelassen hat, in einem kürzlich beurteilten Straffall109
jedoch festhielt: „Der Täter, der durch sein Verhalten eine Bedingung für den Eintritt des Erfolgs
gesetzt hat, kann sich daher nicht damit entlasten, dass der Erfolg - wie in den Konstellationen der
"Doppelkausalität", der "alternativen Kausalität" sowie der "hypothetischen Ersatzursachen" auch ohne die von ihm gesetzte Bedingung, etwa infolge des Verhaltens eines andern, gleichwohl
eingetreten wäre“. Wenn sich also der Arzt in einem Straffall nicht auf die überholende Kausalität
berufen kann, ist nicht nachvollziehbar, weshalb ein solcher Einwand im Haftungsrecht zugelassen
wird.
Weiter muss eine Handlung für den Schadenseintritt adäquat kausal sein, d.h. die Vertrags- bzw.
Rechtsgutverletzung muss aufgrund juristischer Wertung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge
und der allgemeinen Erfahrung geeignet sein, den Schadenseintritt herbeizuführen oder ihn
jedenfalls zu begünstigen.110
6.5.1.4 Verschulden
Im Rahmen der vertraglichen Haftung ist das Verschulden des Schädigers Voraussetzung. Diese
wurde bereits unter Kap. 6.2 und 6.3 besprochen.
106
Fachbegriff für die Sterilisation des Mannes.
Vgl. Urteil des BGer 4C.255/2003 vom 28.11.2003, E.4.2.
108
LANDOLT, S. 335.
109
Vgl. BGE 135 IV 56 E. 3.1.2 S. 66.
110
FELLMANN, S. 61.
107
18
6.5.1.5 Ausschluss- oder Reduktionsgründe; Verjährung und Verwirkung
Die Ersatzpflicht des Staates bzw. des Vertragspartners kann ermässigt werden bzw. ganz
wegfallen, wenn der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt hat oder wenn
Umstände, für welche er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens
eingewirkt haben111
Als letzte allgemeine Voraussetzung für die Entstehung des Haftungsanspruchs sind die
einschlägigen Fristen zu beachten. Bei Ansprüchen aus vertraglicher Haftung gilt gemäss Art. 127
OR i.V.m. Art. 130 Abs. 1 OR eine Verjährungsfrist112 von zehn Jahren. Im Rahmen der
Staatshaftung statuiert § 24 Abs. 1 HG im Kanton Zürich eine Verwirkungsfrist113 von zwei Jahren
seit Kenntnis der haftungsbegründenden Tatsachen. Bestreitet die zuständige Behörde den
Anspruch, so hat der Geschädigte gemäss § 24 Abs. 2 HG innert einer einjährigen Verjährungsfrist
Klage beim zuständigen Gericht einzureichen.
6.5.2 Besondere Voraussetzungen der Staatshaftung
Folgende Tatbestände müssen für die Haftung des Gemeinwesens zusätzlich zu den allgemeinen
Haftungsvoraussetzungen erfüllt sein:
6.5.2.1 Rechtssatz
Der Ersatz eines Schadens, der durch staatliches Handeln verursacht wurde, stellt eine positive
Leistung des Gemeinwesens dar, welche sich am Legalitätsprinzip gemäss Art. 5 BV zu orientieren
hat. Das Bundesgericht bejaht daher die Haftung des Gemeinwesens nur insoweit, als das
eidgenössische oder kantonale Recht diese vorsehen.114 Die einschlägigen Rechtssätze finden sich
vorab in den Verantwortlichkeitsgesetzen von Bund und Kantonen oder auch in Spezialgesetzen.115
6.5.2.2 Hoheitlicher Tätigkeitsbereich
Eine Haftbarmachung des Staates nach öffentlichem Recht kommt gemäss Art. 61 Abs. 1 OR nur
dann in Frage, wenn die schädigende Verhaltensweise im Rahmen des amtlichen Tätigwerdens
erfolgt ist.116 Auch eine gesetzeswidrige Unterlassung kann haftungsbegründend sein, wenn eine
Garantenpflicht besteht.
111
Siehe § 7 HG; Art. 42 ff. OR.
Verjährungsfristen können i.d.R. gehemmt oder unterbrochen werden.
113
Verwirkungsfristen sind von Amtes wegen zu beachten und können weder gehemmt noch unterbrochen werden.
114
SCHWARZENBACH-HANHART, S. 14.
115
REY, Nr. 119.
116
REY, Nr. 122.
112
19
Eine Garantenpflicht liegt vor, wenn rechtlich eine Pflicht zur Handlung bestand und dem
Amtsträger der Sachverhalt, der zum Eingreifen hätte führen sollen, bekannt war.117
Dem Zürcher Haftungsgesetz liegt ein weiter Beamtenbegriff zugrunde. Gemäss § 4 HG umfasst er
alle im Dienst von Verwaltungs- und Gerichtsbehörden des Kantons, der öffentlich-rechtlichen
Körperschaften und Anstalten sowie der Gemeinden stehenden Personen, unabhängig davon, ob sie
Behördenmitglieder oder Angestellte, vollamtlich oder nebenamtlich, besoldet oder ehrenamtlich,
dauernd oder vorübergehend beschäftigt sind.118 Demgegenüber findet das HG gemäss § 4a keine
Anwendung auf Private, die in selbständiger Erwerbstätigkeit eine öffentliche Aufgabe erfüllen. In
diesen Fällen haften die Privaten nach den Grundsätzen der Kausal- und nicht der
Verschuldungshaftung primär, Kanton oder Gemeinden haften diesfalls subsidiär bei Ausfall des
Privaten.119
Wie gezeigt wurde, sind in der medizinischen Notfallversorgung Sim stationären und im
präklinischen Bereich Leistungserbringer tätig, welche als Beamte im Sinne des kantonalen
Haftungsgesetzes gelten.120
6.5.2.3 Funktioneller Zusammenhang
Eine weitere Voraussetzung für die Haftung des Staates ist, dass zwischen dem schädigenden
Verhalten des Beamten und der amtlichen Tätigkeit ein funktioneller Zusammenhang besteht. Als
Verwaltungshandeln, welches einen haftpflichtrelevanten Schaden verursachen kann, kommen
Rechtsakte, Realakte sowie Unterlassungen von Behörden und Beamten in Frage. 121 Für die
vorliegende Arbeit sind Rechtsakte nicht von Bedeutung, relevant sind hier Realakte und
widerrechtliche Unterlassungen.
Demgegenüber können Handlungen oder Unterlassungen, die ein Beamter nicht in seiner
diesbezüglichen Funktion, sondern nur „bei Gelegenheit“ einer amtlichen Tätigkeit ausführt, nicht
zu einer Haftung des Staates führen, da dieser nur das eigentliche Betriebsrisiko, nicht aber das
allgemeine Risiko für das Verhalten seiner Beamten trägt.122
117
SCHWARZENBACH-HANHART, S. 13.
JAAG, Nr. 3114.
119
JAAG, Nr. 3115.
120
Siehe Kap. 4.2 und 5.2.
121
SCHWARZENBACH-HANHART, S. 12 f.
122
HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Nr. 2244.
118
20
6.5.2.4 Ausschlussgründe
Der Vollständigkeit halber ist an dieser Stelle noch darauf hinzuweisen, dass die Überprüfung von
formell rechtskräftigen Verfügungen, Entscheiden und Urteilen ausgeschlossen ist.123
6.6 Verfahren
Bei vertraglichen Haftungsansprüchen richtet sich das Verfahren nach zivilprozessualen Regeln.
Öffentlich-rechtliche Ansprüche werden im Kanton Zürich zuerst in einem Vorverfahren geprüft.124
Wenn die zuständige Behörde nicht innert Frist oder ablehnend Stellung nimmt, kann der
Geschädigte Klage beim zuständigen Bezirksgericht einreichen.125 Dieses Gerichtsverfahren richtet
sich ebenfalls nach den Regeln des Zivilprozesses.126
7. Beweisfragen
Wie gezeigt wurde, erfolgen medizinische Notfallmassnahmen aufgrund unterschiedlicher
rechtlicher Grundlagen. Soweit dies Auswirkungen auf Fragen der Beweislast hat, wird im
Folgenden darauf eingegangen. Sowohl bei der vertraglichen wie auch der ausservertraglichen
Haftung für Schädigungen infolge unzureichender medizinischer Notfallmassnahmen kommt der
Verteilung der Beweislast eine zentrale Rolle zu. Zu beachten ist einerseits die spezifische Situation
bei der Behandlung, die den nicht voll beherrschbaren menschlichen Organismus zum Gegenstand
hat, sowie andererseits die Situation des Patienten als Kläger, welcher in den wohl allermeisten
Fällen ein Laie in medizinischen Fragen ist.127
7.1 Beweislastverteilung
Gemäss der allgemeinen Regel von Art. 8 ZGB hat, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt,
derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
Der geschädigte Patient hat demnach die Vertrags- bzw. Rechtsgutverletzung, den Schaden und den
Kausalzusammenhang zu beweisen. Der Schädiger hat demgegenüber die tatsächlichen Grundlagen
von allfälligen Haftungsausschluss- und Reduktionsgründen zu beweisen.128
123
JAAG, Nr. 3125; siehe auch § 21 Abs. 1 HG.
Vgl. HG § 22.
125
Vgl. HG § 23.
126
JAAG, NR. 3143.
127
SUTTER-SOMM/SPITZ, S. 146.
128
LANDOLT, S. 344.
124
21
Im Rahmen der Staatshaftung im Kanton Zürich besteht beweisrechtlich für den Geschädigten der
Vorteil, dass es sich um eine „Organisationshaftung“ handelt, d.h. er nicht explizit darlegen muss,
welcher Arzt oder welche Medizinalperson den Fehler gemacht hat.129 Der Patient muss aber
substantiiert nachweisen, dass eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt sowie dass diese kausal für
seinen erlittenen Schaden ist.
Dem Schädiger steht der Rechtfertigungsbeweis offen. Er muss also beweisen, dass für den
grundsätzlich widerrechtlichen Eingriff ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, im medizinischen
Bereich ist dies i.d.R. die gültige Einwilligung des Patienten. Die Einwilligung dient aber nur dann
als Rechtfertigungsgrund, wenn der Arzt den Patienten hinreichend aufgeklärt hat. 130 Kann der
Haftpflichtige diesen Beweis nicht erbringen, räumt die Rechtsprechung ihm jedoch die
Möglichkeit ein, sich auf die hypothetische Einwilligung zu berufen, also nachzuweisen, dass der
Patient auch bei korrekter Aufklärung in den fraglichen Eingriff eingewilligt hätte. Den Patienten
trifft bei der Beweiserhebung insofern eine Mitwirkungspflicht, als er persönliche Gründe glaubhaft
oder mindestens geltend machen muss, aus denen er bei Kenntnis der Risiken einen medizinischen
Eingriff abgelehnt hätte.131
Nach bundesgerichtlicher Praxis ist die Sorgfaltspflicht des beauftragen Arztes unter dem
Gesichtspunkt der Vertragsverletzung zu behandeln.132 Erst wenn die Verletzung der
Sorgfaltspflicht durch den Patienten nachgewiesen ist, hat die Gegenpartei zur Abwehr der Haftung
nachzuweisen, dass sie kein Verschulden trifft. Die in diesem Zusammenhang stehende Frage,
welche Vorbringen dem Schädiger zur Entkräftung seines vermuteten Verschuldens dann überhaupt
noch möglich sind, ist bis heute offen geblieben.133 Wie bereits oben gezeigt wurde, ist es aufgrund
der weitgehenden Überschneidung von Sorgfaltspflichtverletzung und Verschulden für die Stellung
des Geschädigten von untergeordneter Bedeutung, ob die Haftung als Verschuldens- oder
Kausalhaftung ausgestaltet ist. In jedem Fall ist nämlich die Sorgfaltspflichtverletzung durch den
geschädigten Patienten nachzuweisen und es ist fraglich, wie viel Raum bei einer erfolgreich
nachgewiesenen Sorgfaltspflichtverletzung für eine allfällige Exkulpation des Schädigers noch
bleibt.134
129
Siehe § 6 Abs. 4 HG, wonach dem Geschädigten kein Anspruch gegen den fehlbaren Beamten zusteht.
SCHMID, S. 614.
131
SCHMID, S. 615.
132
SCHMID, a.a.O.
133
SCHMID, S. 616.
134
Vgl. FELLMANN, S. 64.
130
22
7.2 Beweiserleichterungen
7.2.1 Grundsatz
Für den Nachweis des Behandlungsfehlers gilt grundsätzlich das Regelbeweismass der annähernden
Sicherheit.135 Ein Beweis gilt demnach gemäss Bundesgericht als erbracht, „wenn das Gericht nach
objektiven Gesichtspunkten von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist […] und
keine ernsthaften Zweifel am Vorliegen der behaupteten Tatsache mehr bestehen oder allenfalls
verbleibende Zweifel als leicht erscheinen.“136 Aus dem Gesetz oder als Folge einer richterlichen
Beweiserleichterung können sich Ausnahmen vom Regelbeweismass ergeben, in denen eine
überwiegende Wahrscheinlichkeit oder sogar ein blosses Glaubhaftmachen als ausreichend
betrachtet wird.137 Gemäss Bundesgericht rechtfertigt sich eine Herabsetzung des Beweismasses
dann, wenn die Rechtsdurchsetzung an Beweisschwierigkeiten scheitern würde, die typischerweise
bei bestimmten Sachverhalten auftreten.
Die Beweiserleichterung setzt also eine „Beweisnot“ voraus. Diese liegt vor, wenn ein strikter
Beweis nach der Natur der Sache nicht möglich oder nicht zumutbar ist, insbesondere wenn die von
der beweisbelasteten Partei behaupteten Tatsachen nur mittelbar durch Indizien bewiesen werden
können. Blosse Beweisschwierigkeiten im konkreten Einzelfall führen hingegen nicht zu einer
Beweiserleichterung.138
7.2.2 Beweiserleichterungen in der Medizinalhaftung
Der Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung und dem
eingetretenen Schaden bereitet dem Patienten meistens grosse Schwierigkeiten, weil ärztliche
Pflichtverletzungen sich primär im Wahrnehmungsbereich des Beauftragten abspielen. Deshalb
stellt sich die Frage ob, und falls ja auf welche Weise eine Beweiserleichterung sachgerecht ist.139
Der Beweis des Kausalzusammenhangs ist nach heutiger Rechtsprechung erbracht, wenn ein
Schaden zwar relativ selten auftritt, aber doch im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit
als mögliche Folge ärztlichen Handelns betrachtet werden muss. Hier ist demnach eine eigentliche
Reduktion des Beweismasses möglich, indem statt eines vollen Beweises die überwiegende
Wahrscheinlichkeit ausreicht.140
135
HERZOG-ZWITTER, S. 3.
BGE 128 III 271 E. 2b/aa S. 275.
137
HERZOG-ZWITTER, S. 3.
138
Vgl. BGE 128 III 271 E. 2b/aa S. 275.
139
SCHMID, S. 616.
140
SUTTER-SOMM/SPITZ, S. 155.
136
23
Darüber hinaus wurden Beweiserleichterungen in Fällen der fehlenden und mangelhaften
Dokumentation zum Nachweis des Behandlungsfehlers zugelassen.141 So hat das Bundesgericht
infolge erheblicher Dokumentationsmägel (der Operationsbericht war lücken- und mangelhaft
verfasst und Videokassetten von der Operation waren nicht mehr vorhanden) von der Klägerin nicht
verlangt, dass sie den vollen Beweis für die Sorgfaltspflichtverletzung des Kantonsspitals erbringen
müsse, sondern liess es genügen, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass
die Schädigung durch die Operation verursacht wurde.142
In einem Aufsehen erregenden Entscheid143 ist das Bundesgericht von einer natürlichen Vermutung
ausgegangen, „wonach eine durch die Injektion eines Heilsmittels verursachte Infektion auf eine
Sorgfaltspflichtverletzung des Arztes zurückgeht“. Der Arzt habe, sofern vorhersehbar sei, dass eine
Behandlung negative Auswirkungen haben kann, alles vorzukehren, um diese negativen
Auswirkungen zu verhindern. Wenn diese dann dennoch eintreten, bestehe eine natürliche
Vermutung dafür, dass tatsächlich eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung vorliege. Diese
Vermutung habe eine Beweiserleichterung, nicht aber eine Umkehr der Beweislast zur Folge.144
Die in diesem Entscheid statuierte Beweiserleichterung der „natürlichen Vermutung“ schränkte das
Bundesgericht im Urteil 4C.53/2000 E. 2b vom 13.06.2000 wieder ein und erklärte, es habe nicht
entschieden, dass bei jeglicher Verschlechterung des Gesundheitszustands des Patienten während
einer ärztlichen Behandlung eine natürliche Vermutung für eine Sorgfaltswidrigkeit spreche.
Vielmehr
bestätigte
es
den
allgemeinen
Grundsatz
von
Art.
8
ZGB,
wonach
die
Sorgfaltspflichtverletzung nach vom Geschädigten zu beweisen sei. Im BGE 133 III 121 ff.
bekräftigte das Bundesgericht die Relativierung der Rechtsprechung zur natürlichen Vermutung.
Mit dieser Präzisierung hat das Bundesgericht den Anwendungsbereich der natürlichen Vermutung
auf ganz bestimmte Infektionsfälle bzw. ärztliche Behandlungsformen beschränkt. Damit wird der
natürlichen Vermutung die Qualität einer in richterlicher Rechtsfortbildung gefundenen Regel,
welche in Medizinalhaftungsfällen zu mehr Gerechtigkeit und Rechtssicherheit im Beweisverfahren
führen könnte, abgesprochen. Sofern mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unsorgfältige ärztliche
Behandlung eines bestehenden körperlichen Leidens zu einer neuen Verletzung geführt hat, liegt
141
HERZOG-ZWITTER, S. 3
Urteil des BGer 4C.378/1999 vom 23. November 2004, E. 3.2.
143
BGE 120 II 248 ff.
144
121 II 248 E. 2c S. 250.
142
24
ein Wahrscheinlichkeitsschluss vor, für welchen sich in allen analogen Fällen die natürliche
Vermutung rechtfertigen würde.145
Das bisher Gesagte macht deutlich, wie die Beweislast verteilt ist: Sowohl die geschädigte Person,
die sich durch einen niedergelassenen Arzt im Notfalldienst oder in der Notfallstation eines privaten
Spitals behandeln lässt, als auch diejenige, die ihre Notfallbehandlung im Rahmen eines öffentlichrechtlichen Behandlungsverhältnisses erfährt, trifft die Beweislast für das Vorliegen eines ärztlichen
Kunst- bzw. Behandlungsfehlers. Den Ersteren im Rahmen seiner Beweislast für die positive
Vertragsverletzung, den Letzteren im Rahmen der Behandlung der Widerrechtlichkeit.
Die Beweislastverteilung im geltenden Recht gibt immer wieder Anlass zu Diskussionen. So wird
einerseits für eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten argumentiert, dies vor allem wegen
des Informationsvorsprungs des Arztes gegenüber dem Patienten sowie dessen Unterlegenheit als
medizinisch unkundiger Laie. Als Gegenargument wird andererseits angeführt, es sei das geltende
Recht einzuhalten. Eine Änderung der Beweislastverteilung sei grundsätzlich Sache des
Gesetzgebers und nicht eines Gerichts.146 In diesem Zusammenhang ist abschliessend zu erwähnen,
dass der Bundesrat auf eine umfassende Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts,
welches in einigen Punkten auf eine Besserstellung des Geschädigten und eine weitmögliche
Waffengleichheit tendierte,147 angesichts des in der Vernehmlassung festgestellten fehlenden
Konsens verzichtet hat.148
8. Fazit
Gestützt auf die einleitend formulierten Fragestellungen hat sich gezeigt, dass im Bereich der
medizinischen Notfallversorgung nebst der vertraglichen Haftung des Privatarztes und des
Privatspitals die öffentlich-rechtliche Staatshaftung einschlägig ist. Die rettungsdienstliche Tätigkeit
und die klinische Notfallbehandlung im öffentlichen Spital werden als hoheitliche Tätigkeiten im
Sinne von Art. 61 Abs. 1 OR qualifiziert, womit der Kanton Zürich befugt ist, solcherlei
Schädigungen einer kantonalrechtlichen Haftungsordnung zu unterstellen, was er mit dem
Haftungsgesetz vom 14.09.1969 auch getan hat.
145
SCHMID, S. 617.
146
SUTTER-SOMM/SPITZ, S. 157.
147
Vgl. Vernehmlassungen, S. 36.
Siehe Medienmitteilung EJPD vom 21.01.2009, <http://www.news.admin.ch/
dokumentation/00002/00015/index.html?lang=de&msg-id=24953> (besucht am: 30. Oktober 2010).
148
25
Wenn man nun die beiden Haftungsordnungen einander gegenüberstellt lässt sich sagen, dass die
eine als Verschuldenshaftung und die andere als Kausalhaftung ausgestaltet ist. Der Arzt haftet
sowohl
im
vertraglichen
wie
auch
im
ausservertraglichen
Bereich
wenn
ihm
eine
Sorgfaltspflichtverletzung nachgewiesen werden kann. Der nach Art. 97 Abs. 1 Haftende kann sich
zwar, im Gegensatz zum Personal, welches nach öffentlichem Recht haftet, exkulpieren. Diese
Möglichkeit bleibt aber einerseits mit Blick auf die heutige Rechtsprechung und andererseits
aufgrund der starken Objektivierung des Verschuldens eher theoretischer Natur.
Die persönliche Verantwortlichkeit des Schädigers ist bei der Staatshaftung eingeschränkt.
Immerhin kann das Personal aber disziplinarisch oder strafrechtlich zur Verantwortung gezogen
werden. Innerhalb der beiden Haftungen gelten unterschiedliche Fristen. Wer in einem öffentlichen
Spital im Kanton Zürich notfallmässig behandelt wurde, muss einen allfälligen Haftungsanspruch
innert zwei Jahren seit Kenntnis der haftungsbegründenden Tatsachen geltend machen. Im Bereich
der vertraglichen Haftung gelten die Bestimmungen gemäss Art. 127 OR i.V.m. Art. 130 Abs. 1
OR.
Trotz dieser Unterschiede ist weniger die anwendbare Haftungsordnung als vielmehr die Verteilung
der Beweislast ausschlaggebend für die Rechtstellung des Patienten ist. Der Nachweis der
Sorgfaltspflichtverletzung obliegt in jedem Fall dem Patienten. Dieser Nachweis ist für
medizinische Laien schwierig zu erbringen. I.d.R. ist dies nur mit einem medizinischen Gutachten
möglich, welches der Patient auf seine Kosten in Auftrag geben muss. Zusätzlich hat der
Geschädigte zu beweisen, dass der konkrete Schaden eine Folge der Sorgfaltspflichtverletzung und
nicht etwa wegen seines Gesundheitszustandes oder einer früheren Erkrankung aufgetreten ist.
Problematisch aus Patientensicht ist zudem die Rechtsprechung des Bundesgericht, welche
Beweiserleichterungen nur restriktiv und einzelfallweise zulässt. Im deutschen Ärztehaftpflichtrecht
ist eine Umkehr der Beweislast beim groben Behandlungsfehler verankert. Entscheidend ist, ob ein
grober Behandlungsfehler geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art
herbeizuführen. Dem Arzt obliegt diesfalls der Beweis, dass der von ihm verursachte Fehler für die
Schädigung nicht ursächlich ist. In der Schweiz hat sich das Bundesgericht gegen eine
Beweislastumkehr ausgesprochen und in der Lehre wurde vor einer solchen mit dem Argument
gewarnt, die Konsequenz wäre eine schleichende Einführung einer Gefährdungshaftung.149
149
HERZOG-ZWITTER, S. 5 f.
26
Herunterladen