18.10.13 Platzhalter für Bild, Bild auf Titelfolie hinter das Logo einsetzen Psychische Erkrankungen in der Familie Auswirkungen auf die Beziehungen Prof. Dr. Nina Heinrichs 14. September 2013 Welche Brille wird getragen? (1/2) PP – KJP – Paartherapeut/in - Erziehungsberatung Vater Bindungsstörung Eltern alkoholabhängig ? Herr B., 43 Psychische Störung, unbehandelt „Keine“ Erziehungskonflikte Störung des Sozialverhaltens im Jugendalter Frau B., 42 Partnerschaftskonflikte (Kommunikation) Depression, Agoraphobie mit Panikstörung, Alkoholabhängigkeit D., 6 Erziehungskonflikte Oppositionelles Trotzverhalten Schlafprobleme Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Heinrichs, 2011 1 18.10.13 Welche relevanten Beziehungen gibt es? Großeltern Mu+er Vater Kind Kind 2 Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Feinberg, 2011 Wie viele Familien sind mit psychischen Krankheiten konfrontiert? 2 18.10.13 Häufigkeit psychischer Erkrankung im letzten Jahr (Allgemeinbevölkerung) Angsterkrankungen Jedes Jahr 33% der erwachsenen Bevölkerung (jeder 3. Erwachsene) 14,0 Alkoholerkrankungen 9,5 Depression 6,9 Demenz 5,4 ADHS 5,0 4,9 Somatoforme Störung Posttraumatische Belastungsstörung 2,4 Psychotische Erkrankungen 2,4 0 2 4 6 8 10 Häufigkeit in % Angsterkrankungen 14 16 14 16 10,0 Störungen des Sozialverhaltens Bei Kindern & Jugendlichen: ca. 18% (jedes 6. Kind) 12 7,6 Depression 5,4 ADHS 2,2 0 2 4 6 8 10 12 Häufigkeit in % Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Quellen: Erwachsene: Wittchen et al., 2012/2013 – DEGS Kinder und Jugendliche: Ravens-Sieberer et al. (2008): Eur Child Adolesc Psychiatry. 2008,17 Suppl 1:148-56 Barkmann & Schulte-Markwort (2012), J Epidemiol Community Health. 2012, 66(3):194-203. . Angaben von Eltern zu psychischer Krankheit in der Herkunftsfamilie (Inanspruchnahmepopulation) in Prozent psychisch kranke Angehörige (1. Grades) 70 körperlich kranke Angehörige (1. Grades) 60 unbekannt 50 (Suizide) 40 30 20 10 0 psychisch kranke Angehörige (1. Grades) körperlich kranke Angehörige (1. Grades) unbekannt (Suizide) (70% der Kinder, die vorgestellt werden, haben Geschwister!) Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Quellen: Inanspruchnahmepopulation von Familien, die Hilfe wegen psychischer Beschwerden ihres Kindes suchten (N=357 Familien); Wenglorz & Heinrichs, 2013 3 18.10.13 Wie kann sich eine psychische Krankheit auf familiäre Beziehungen auswirken? Erwachsene sind oft auch Eltern, und meist auch Partner! Partnerschaft Symptome des Partners (z.B. Rückzug) Minderung der eigenen Partnerschaftszufriedenheit mehr Kritik und Feindseligkeit Eltern-Kind Beziehung mehr Stress (mehr) Psychopathologie und Unzufriedenheit mehr Kritik und Feindseligkeit weniger gegenseitige Unterstützung in der Erziehung mehr Probleme in der Erziehung Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Heinrichs, 2013; modifiziert nach Whisman & Baucom, 2012, Clinical Child and Family Psychology Review 4 18.10.13 Beispiel 1: Psychische Erkrankung eines Elternteils Auswirkungen auf die Kinder zusammen mit Dipl.-Psych. Julia Griepenstroh und PD Dr. Thomas Beblo/Prof. Dr. Martin Driessen, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bethel Teufelskreis „psychische Erkrankung“? • Kinder psychisch kranker Eltern: erhöhtes Risiko, später selbst psychische Auffälligkeiten zu entwickeln • Wie nimmt die psychische Erkrankung Einfluss? (1) emotionales Klima in der Familie (Kritik, Feindseligkeit, Überinvolvierung) à Expressed Emotion (2) Übernahme von unangemessener Rolle des Kindes in der ElternKind Beziehung à Parentifizierung • Erfassung des familiären Klimas in Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil mit dem Five Minute Speech Sample (FMSS) Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs 5 18.10.13 Five Minute Speech Sample (FMSS): Ziele der Studie • Einbezug von Eltern- und Kindperspektive • Vergleich mit einer Stichprobe von Familien mit psychisch gesunden Elternteilen • 113 Eltern-Kind Dyaden (davon 61 mit psychisch krankem Elternteil) § 48 Jungen/65 Mädchen, im Mittel 10,5 Jahre alt § Eltern im Mittel 41 Jahre, 65% verheiratet/in Partnerschaft § 90% Affektive Störungen, 10% psychotische Störungen § 69% mit komorbiden Störungen Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Five Minute Speech Sample (FMSS) Sprechprobe der Eltern Prävalenz von EE (über alle Familien hinweg): 44% hochkritisch 1% überinvolviert Low-EE High-EE Kritik 70 (Elternsicht) Prozent der Eltern 60 50 40 Chi2 (1): 4,5 p < .05 30 20 10 0 Psychisch erkrankte Elternteile (EG) Psychisch gesunde Elternteile (KG) Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Griepenstroh, Beblo, Driessen & Heinrichs, submitted 6 18.10.13 Five Minute Speech Sample (FMSS) Sprechprobe der Kinder Low-EE High-EE Kritik Prozent der Familie (Kindersicht) 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Kinder von psychisch erkranktem Elternteil Kinder von psychisch gesundem Elternteil Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Chi2 (1): 0,46 p = .50 Griepenstroh, Beblo, Driessen & Heinrichs, submitted Und was ist mit dem Erziehungsverhalten? • Häufige Vermutungen: § Psychische Störungen äußern sich symptomatisch, die Symptome verursachen ungünstigeres Erziehungsverhalten à (temporäre) Unfähigkeit, auf die Bedürfnisse des Kindes angemessen einzugehen § Eine psychische Störung bedingt einen Mangel an Ressourcen für Erziehungsprozesse, da die Herausforderung durch die Erkrankung, bereits alle Ressourcen benötigt à Überforderung in Erziehung Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Griepenstroh, Beblo, Driessen & Heinrichs, Verhaltenstherapie & Verhaltensmedizin 2013, 34, 276-290 7 18.10.13 Aber: • wenige Studien haben bisher akut psychisch erkrankte Eltern untersucht • die kindlichen Perspektive auf elterliches Erziehungsverhalten wurde nicht berücksichtigt • häufig werden Eltern mit subklinischen Beschwerden oder solche mit einer depressiven Episode in der Vergangenheit befragt • die Ergebnisse hinsichtlich des Zeigens von positivem Erziehungsverhalten sind sehr widersprüchlich! • Parentifizierung? Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Griepenstroh et al., 2013 Ist das Erziehungsverhalten wirklich so anders? - Erziehungsverhalten aus Sicht des Elternteils Erziehungsverhalten aus Sicht des erkrankten Elternteils Fast immer 6 Fast nie 5 * ns * * * * * 4 3 2 1 psychisch erkrankt Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs psychisch gesund Griepenstroh et al., 2013 Erziehungsverhalten erfasst mit dem Alabama Parenting Questionnaire (APQ) von Reichle & Franiek, 2009; basierend auf Frick 1991 8 18.10.13 Erziehungsverhalten aus Sicht des Kindes Erziehungsverhalten aus Sicht des Kindes Stimmt total Stimmt gar nicht 4 ns ns ns Lenkung Fehlende Grenzsetzung Zuwendung 3 2 1 psychisch erkrankt psychisch gesund Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Griepenstroh et al., 2013 Was ist mit Parentifizierung oder Rollenüberforderung? • Anhand der Sprechprobe des Elternteils und des Kindes • Emotionale Parentifizierung: § Kindliche Übernahme alters-, entwicklungs- und rollenunangemessener „emotionaler“ Aufgaben, die eher eine erwachsenen Freundin oder einem Partner zukommen würde • Instrumentelle Parentifizierung: § Kindliche Übernahme von alters- und entwicklungsunangemessenen Aufgaben auf instrumenteller Ebene • Rollenüberforderung: § Aussagen, die eine beim Elternteil gefühlte dauerhafte Überforderung anzeigen, mit der Erziehung und den Bedürfnissen und Anforderungen, die das Kind hat/stellt, umzugehen. Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Griepenstroh et al., 2013 9 18.10.13 Parentifizierung und Rollenüberforderung Liegt vor (in Prozent) 100 80 60 40 ns * * 20 0 emotionale Parentifizierung instrumentelle Parentifizierung psychisch erkrankt Rollenüberforderung psychisch gesund Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Griepenstroh et al., 2013 Diskussion und Implikationen für die Erwachsenenpsychotherapie • Familienbezogene Interventionen mit dem Ziel der Verringerung von „high EE“ bei den Eltern § Kommunikations- /Problemlösetraining adaptieren für Eltern-Kind Beziehung? • Erziehungsverhalten und Rollenüberforderung: § die subjektive Sicht des Elternteils ist relevant! § Elternarbeit als regelmäßiger Bestandteil einer Psychotherapie mit Erwachsenen, wenn sie eine Elternrolle bei minderjährigen Kindern einnehmen? § Rollenüberforderung nur ein Epiphänomen einer bereichsübergreifenden Überforderung bei depressiver Erkrankung? • Emotionale Parentifizierung: § bei knapp ¼ der Betroffenen à Einbezug in die Elternarbeit: Grenzen einhalten lernen • Probleme: § nur zwei von vielen psychischen Krankheiten untersucht... § Können Kinder valide Angaben machen zu diesen Aspekten? § Können betroffene Eltern valide Angaben machen zu diesen Aspekten? Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs 10 18.10.13 Beispiel 2: Psychische Erkrankung eines Kindes Auswirkungen auf die Eltern als einzelne Person Zusammen mit Prof. Dr. Brunna Tuschen-Caffier Universität Freiburg Kinder mit einer Störung mit sozialer Ängstlichkeit • Konservative Prüfung, da Störungsbild weniger Einfluss auf die direkten Familienbeziehungen vermuten lässt • Bisher: Mütter/Väter dieser Kinder selber sozial ängstlich § Aber: Transmissionsprozess unklar! • Stichprobe: 165 Kinder und ihre Eltern § 66 (gesunde Kinder) und 99 Kinder mit Angststörung (Störung mit sozialer Ängstlichkeit oder Soziale Phobie) Fragen: • Lebensqualität der Eltern unterschiedlich? • Erziehungsverhalten der Eltern unterschiedlich? • Familiäres Klima unterschiedlich? Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs 11 18.10.13 Lebensqualität der Eltern von Kindern mit einer sozialen Angststörung Eltern von Kindern mit Angststörung Lebenszufriedenheit (je höher, desto zufriedener) Eltern von Kindern ohne Angststörung 70 Partnerschaft ns Freunde ns Familienleben * Gesundheit * * 60 50 40 30 20 10 0 Lebensqualität (Gesamt) 0 2 4 6 8 10 12 14 Lebenszufriedenheit (je höher, desto zufriedener) Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Erziehungsverhalten und Familienbeziehungen bei Eltern von Kindern mit einer sozialen Angststörung Erziehungsverhalten (je höher, desto ungünstiger) Eltern von Kindern mit Angststörung Eltern von Kindern ohne Angststörung 5 4 3 2 1 0 * ns ns Verhaltenskontrolle Affektive Mitteilung Affektiver Austausch Rollenverhalten Kommunikation Problemlösen 0 0,5 1 1,5 2 2,5 Eingeschätztes Familienleben (je höher, desto ungünstiger) Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs 12 18.10.13 Beispiel 3: Psychische Erkrankung eines Kindes Auswirkungen auf die Eltern als Paar zusammen mit PD Dr. W. Briegel Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Schweinfurt Verhaltensauffälligkeiten von Kindern und Partnerschaft der Eltern Partnerschaftliche Konflikte Auswirkungen auf d = .62Kinder Interparentale Qualität der Eltern1 (39 Studien) Konflikte d = .322 (68 Studien) Kind-Beziehung d = .463 (77 Studien) Verhaltensauffälligkeiten der Kinder Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs 1) Krishnakumar & Buehler (2000); 2) Buehler et al. (1997); 3) Gershoff (2002); Zeichnungen © Manfred Döpfner 13 18.10.13 Zwei grundlegende Annahmen 1. Wie sich Eltern als Paar gegenseitig im Umgang mit der psychischen Störung ihres Kindes unterstützen, sagt das Ausmaß partnerschaftlicher Belastung und die Anzahl partnerschaftlicher Konflikte in dieser Zeit vorher 2. Wie („stark“) Eltern sich als Paar erleben und unterstützen bestimmt mit, wie gut die Kinderpsychotherapie wirkt. Wie stark fühlen sich Paare in ihrer Partnerschaft beeinträchtigt, wenn sie ihr Kind zu einer Kinderpsychotherapie anmelden? Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs „Hand in Hand“ • 492 Familien suchten im Studienzeitraum Hilfe • Etwas mehr Jungen; im Mittel 10 Jahre • 30% kommen nicht in Frage für die Studie (z.B. allein erziehend) • Prinzipielle Teilnahme möglich: 294 Paare • 43% Ablehner! § Grund: „Es geht um unser Kind, nicht um uns!“ § Ablehnende Eltern: besser gebildet; eher Kinder mit Angststörungen; eher ältere Kinder • 168 Mütter (und 158 Väter) machten Angaben zu ihrer Partnerschaft (getrennt voneinander) Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Heinrichs, Briegel et al., in Vorbereitung 14 18.10.13 Partnerschaftsunzufriedenheit (0-10) Ergebnisse: Partnerschaftszufriedenheit 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Deutschland (Normstichprobe): 28% 36% der Mütter 33% der Väter 3,1 2,8 MSI-R Mutter MSI-R Vater 2,5 MSI-R (Norm, Dt.) Gesamt Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Heinrichs, Briegel et al., in Vorbereitung Primärer Diagnosetyp des Kindes (MAS-Diagnose) 60 (nur von unzufriedenen Paaren) % klinisch unzufriedener Paare 70 50 40 30 20 10 0 HKS/SSV Angst/Depression Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Heinrichs, Briegel et al., in Vorbereitung 15 18.10.13 Zur Diskussion... (was hat das alles zu bedeuten?) Implikationen (I) § Erwachsene Psychotherapiepatienten sind auch häufig Eltern à Eltern-Kind Interaktionen daher auch essentiell für Psychologische PsychotherapeutInnen § Kinder in Psychotherapie haben (auch noch) Eltern, die ein Paar sind à Partnerschaftliche Interaktionen daher essentiell für Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen (neben dem Erziehungsverhalten) • Insbesondere bei therapiesuchenden Eltern von Kindern mit expansiven Verhaltensproblemen à Diagnostik dieser Beziehungen!! Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Heinrichs, 2013 16 18.10.13 Implikation (II): Differenzierung zwischen verschiedenen Arten der Intervention Unterschiedliche Formen des Einbezugs des Partners Partnerassistierte Intervention Störungsspezifische Intervention Paartherapie Unterschiedliche Formen des Einbezugs der Eltern Elternassistierte Intervention Störungsspezifische Intervention Eltern-KindTherapie Niedersächsischer Psychotherapeutentag, September 2013 | Prof. Dr. Nina Heinrichs Baucom & Hahlweg, 2012; Heinrichs, 2013 17