Abstracts - der Bayerischen Landesärztekammer

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52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
ABSTRACTBAND
52. Nürnberger
Fortbildungskongress
der Bayerischen
Landesärztekammer
6. bis 9. Dezember 2001
Meistersingerhalle Nürnberg
Veranstalter:
Bayerische Landesärztekammer
Mühlbaurstraße 16, 81677 München
Telefon: 089/41 47-232
Telefax: 089/41 47-879
E-Mail: [email protected]
Internet:www.blaek.de
Kongressleitung
Dr. med. E. Amarotico
und Organisation: Bayerische Landesärztekammer
Wissenschaftliche Dr. med. H. H. Koch
Leitung:
Klinikum Nürnberg
Abstractband
1
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
INHALT
MEDIZIN AKTUELL
Tumortherapie – Laserinduzierte Thermotherapie von Lebermetastasen
J.-P. Ritz, Berlin ....................................................................................................... 5
Bluthochdruck und Schlaganfall: Eine unheilvolle Allianz
F. Erbguth, Nürnberg ............................................................................................... 7
Evidence Based Medicine – was ist dran?
J. Köbberling und M. Wehner, Wuppertal .............................................................. 11
Internet – Der informierte Patient – Konsequenzen für die Praxis
M. Kirchgeorg, München ....................................................................................... 14
Melatonin – als Schlafmittel
F. Waldhauser, Wien ............................................................................................... 15
Neue Arzneiformen in der täglichen Praxis
T. Eschenhagen, Erlangen ...................................................................................... 17
FALLSTRICKE INTERNISTISCHER NOTFALLMEDIZIN
Fallstricke internistischer Notfallmedizin bei Vergiftungen
W. Mühlberg, Nürnberg ......................................................................................... 18
Fallstricke internistischer Notfallmedizin bei Atemwegs- und
Lungenerkrankungen
P. L. Bölcskei, Nürnberg ........................................................................................ 20
Fallstricke internistischer Notfallmedizin bei kardialen Erkrankungen
O. Bartels, Nürnberg .............................................................................................. 21
Fallstricke internistischer Notfallmedizin bei Infektionserkrankungen
K. Fleischer, Würzburg ........................................................................................... 22
Fallstricke internistischer Notfallmedizin bei Lebererkrankungen
A. Holstege, Landshut ............................................................................................ 24
PROBLEME DER SCHMERZBEHANDLUNG
Pathophysiologie des Schmerzes
P. W. Reeh, Erlangen............................................................................................... 27
Besonderheiten der Schmerzdiagnostik und -therapie beim älteren Patienten
Th. Nikolaus, Ulm .................................................................................................. 28
2
Abstractband
Grenzen der Selbstmedikation
E. Martin, Marktheidenfeld ...................................................................................... 34
SUCHTMEDIZIN
Suchtmedizin: Suchtpatienten in der Praxis (wie erkenne ich – was tue ich
bei Verdacht – wie gehe ich um)
M. Niederberger, Ottobrunn .................................................................................... 35
Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung
G. Gensthaler, München ........................................................................................ 35
Suchtmedizin – Therapeutische Möglichkeiten
H. Henninger, Nürnberg ......................................................................................... 36
Substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger
F. Tretter, Haar ......................................................................................................... 37
Qualitätssicherung in der Substitution durch Kooperation Arzt – Apotheker
Ch. Fahrmbacher-Lutz, Augsburg ........................................................................... 41
HARNINKONTINENZ
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Besonderheiten der Schmerztherapie bei onkologischen Patienten
H. Kappauf, Nürnberg .............................................................................................. 29
Harninkontinenz – Pathomechanismus und Ursachen beim Mann
R. Walther, Nürnberg ............................................................................................... 43
Pathomechanismus und Ursachen bei der Frau
J. E. Altwein, München ............................................................................................ 46
Harninkontinenz: Therapeutische Konzepte
H. Melchior, Kassel ................................................................................................ 49
Praktische Gesichtspunkte bei Pflegefällen, Querschnittgelähmten und
Neurologischen Krankheitsbildern
R. Nützel, C. Fischer, Bayreuth .............................................................................. 50
REPETITORIUM INNERE MEDIZIN
Hypercalcämie
H. Lux, Nürnberg ..................................................................................................... 51
Erkrankungen der Pleura
S. Beckh, Nürnberg ................................................................................................ 52
Abstractband
3
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Interstitielle Lungenerkrankungen
R. Leistner, Nürnberg ............................................................................................ 54
Der nephrologische Notfall
R. Lang, Nürnberg ................................................................................................. 55
Die gastroösophageale Refluxkrankheit und ihre Folgen
J. Bauer, Nürnberg ...............................................................................................,. 56
Chronische Virushepatitis
D. Schuppan, Erlangen ......................................................................................... 58
Rheumatoide Arthritis: Klinik – Diagnostik – Therapie
B. Manger, Erlangen ............................................................................................. 59
Knochenmarkinsuffizienz
H. Reinel, Nürnberg ............................................................................................... 60
Diagnostik und Therapie nosokomialer Infektionen
R. Strauß, Erlangen ................................................................................................ 61
SONOGRAPHIE -SYMPOSIUM
Sonographie bei akutem Abdomen
Chr. Jacobeit, Radevormwald ............................................................................... 63
Sonographisch gesteuerte Punktionen: Wann indiziert?
S. Beckh, Nürnberg ............................................................................................... 66
Differenzierte Probleme am Pankreas: Was leistet die Sonographie?
B. Braun, Reutlingen .............................................................................................. 69
Das biliopankreatische System: Sonographie versus CT (und MR)
L. Greiner, Wuppertal ............................................................................................ 72
Endosonographisches Staging des Rektumkarzinoms: Relevanz
für das klinische Vorgehen
I. Schneider, Erlangen............................................................................................. 74
Arthro-Sonographie: Fester Bestandteil der internistisch-rheumatologischen
Praxis?
B. Manger, Erlangen.............................................................................................. 75
Moderne Schilddrüsen-Diagnostik und -Therapie
B. Braun, Reutlingen .............................................................................................. 76
REFERENTEN ......................................................................................................... 78
4
Abstractband
J.-P. Ritz, Berlin
Das kolorektale Karzinom stellt mit ca. 40.000 – 50.000 Neuerkrankungen jährlich alleine
in der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile das zweithäufigste Malignom bei beiden
Geschlechtern dar. Die Prognose dieser überwiegend erst in fortgeschrittenen Stadien diagnostizierten Erkrankung hängt wesentlich vom Auftreten einer hepatischen Metastasierung
ab. Diese liegt bei ca. 20- 25% der betroffenen Patienten bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung vor, während bis zu 60% der Patienten trotz kurativer Resektion des Primärtumors
im weiteren Verlauf Lebermetastasen entwickeln. Ohne therapeutische Intervention beträgt
das mediane Überleben bei unbehandelten Patienten mit hepatischen Metastasen lediglich
7-8 Monate, etwa ein Viertel aller Patienten mit kolorektalem Karzinom versterben an der
hepatischen Metastasierung.
Bislang stellt die chirurgische Resektion der Lebermetastasen das einzige potentiell kurative
Therapieverfahren dar, wodurch die mediane Überlebenszeit auf bis zu 39,6 Monate verlängert werden konnte. Die durchschnittliche Operationsletalität liegt bei 0,8-5%, die Morbidität
der Leberresektion korreliert mit der Länge des Eingriffs und dem Resektionsausmaß und
wird zwischen 16 und 46% angegeben. Unter Berücksichtigung prognoserelevanter Faktoren
kommen jedoch maximal 30% der Patienten für eine Resektion in Frage. Zusätzlich muss in
etwa der Hälfte der Patienten mit einem Metastasenrezidiv in der Restleber gerechnet werden. Diese Faktoren führten u.a. zur Entwicklung alternativer destruierender Verfahren, den
sogenannten In-situ-Ablationstechniken, die in der Lage sind, parenchymsparend,
komplikationsarm und mit einer hohen lokalen Tumorkontrolle Lebermetastasen und deren
Rezidive zu vernichten. Hierzu zählen die Kryotherapie, Alkoholinstillation, Radiofrequenztherapie, Ultraschalltherapie und die laserinduzierte Lasertherapie (LITT).
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Tumortherapie – Laserinduzierte Thermotherapie von Lebermetastasen
Die LITT stellt aufgrund der großen Zahl an therapierten Patienten das derzeit am besten
evaluierte Verfahren dieser Art dar. Bei diesem Verfahren wird die Metastase in Lokalanästhesie percutan unter CT- oder MRT-Kontrolle punktiert und das Tumorgewebe in-situ
durch Applikation von Laserlicht thermisch destruiert. Im Falle eines Verdachtes extrahepatischer Metastasen (z.B. Peritonealkarzinose, Lymphknotenbefall im hepatoduodenalen
Ligament), bei ungünstiger Lage der Metastasen oder synchroner Metastasen wird die
LITT über eine Laparotomie offen chirurgisch durchgeführt. Zur gezielten Punktion der
Metastase und zum online-Monitoring des Therapieerfolges findet bei der percutanen LITT
das MRT mit thermosensitiven Sequenzen und bei der percurtanen LITT die Sonographie
Verwendung. Die Therapie wird mit Hilfe eines Nd:YAG-Lasers (1064 nm Wellenlänge)
durchgeführt, da hiermit die größte Eindringtiefe in das Zielgewebe (Tumor/Metastase) zu
erzielen ist. Über einen speziellen Lichtwellenleiter kann das Laserlicht ohne Energieverlust
über mehrere Meter direkt in den Tumor eingebracht werden, wo es aufgrund der Absorption der Photonen zur Entstehung von Temperaturen zwischen 50 und 140° C mit thermischer Zelldestruktion kommt. Üblicherweise werden Energieleistungen von 10 – 20 Watt
gewählt, wobei die Behandlung einer Metastase etwa 15 bis 30 Minuten andauert.
Abstractband
5
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Im Rahmen von unkontrollierten Studien an der Chirurgischen Klinik I des Universitätsklinikums Benjamin Franklin und der Radiologischen Klinik der Goethe-Universität Frankfurt konnte bei palliativem Einsatzes der LITT an über 700 Patienten mit irresektablen
kolorektalen Lebermetastasen ohne Vergleichsgruppe eine mediane Überlebenszeit der
Patienten von 42,6 Monate erzielt werden. Diese ist der Überlebenszeit nach potentiell
kurativer chirurgischer Resektion gleichwertig. Die Komplikationsrate der LITT dieser
Patientengruppe betrug 7,6% ohne dass eine methodenbedingte Letalität auftrat. Als Indikation für die Anwendung einer LITT werden Patienten mit maximal 5 Metastasen und einem
maximalen Durchmesser von 5 Zentimetern angesehen. Gleichzeitig sollten keine extrahepatischen Tumormanifestationen vorhanden sein. Typische Indikationsbeispiele sind der
Fall einer 84-jährigen Patientin mit einer solitären Metastase im Segment 8 des rechten
Leberlappens von 3,5 cm Durchmesser, die im Rahmen der Nachsorge nach kolorektalem
Karzinom entdeckt wurde. Aufgrund des fortgeschrittenen Alters und des reduzierten
Allgemeinzustandes wurde bei der Patientin eine operative Resektion abgelehnt und eine
percutane LITT der Metastase durchgeführt. Am 3. postinterventionellen Tag konnte die
Patientin ohne Komplikationen entlassen werden und ist mittlerweile 34 Monate nach der
LITT weiterhin rezidivfrei und ohne Beschwerden. Häufige Indikationen stellen weiterhin
Rezidivmetastasen nach vorausgegangener hepatischer Resektion dar, die ohne einen aufwendigen und komplikationsträchtigen hepatischen Eingriff nicht gezielt therapiert werden
könnten. Beispielhaft sei der Fall eines 44-jährigen Patienten erwähnt, der 8 Monate nach
synchroner Kolonresektion und Hemihepatektomie links eine Rezidivmetastase im Segment 6 entwickelt hatte. Hier wurde ebenfalls eine percutane LITT unter stationären Bedingungen durchgeführt, wodurch die Metastase komplett destruiert werden konnte. Der Patient ist 18 Monate nach LITT rezidivfrei.
Der Einsatz lokal destruierender Maßnahmen zur palliativen Behandlung von Lebermetastasen ist mittlerweile sicher und effektiv. Inwieweit diese vielversprechenden Verfahren auch unter kurativen Ansatz eine Alternative zum Standardverfahren der chirurgischen
Resektion darstellen ist gegenwärtig noch nicht abschließend geklärt. Klarheit wird hier erst
durch die Ergebnisse einer im Herbst 2000 angelaufenen randomisierten Multicenterstudie
zu erwarten sein. In dieser durch das BMBF finanzierten Studie soll die LITT unter kurativem
Ansatz bei Patienten mit Lebermetastasen kolorektaler Karzinome mit der chirurgischen
Resektion verglichen werden.
Literatur
6
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Reither K, Wacker F, Ritz JP, Isbert A, Germer CT, Roggan A, Wendt M, Wolf KJ (2000). Laser
induzierte Thermotherapie (LITT) von Lebermetastasen in einem offenen 0,2 T MRT. RöFo; 172:
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Bluthochdruck und Schlaganfall: eine unheilvolle Allianz
F. Erbguth, Nürnberg
1. Einleitung und Definitionen
Der Schlaganfall stellt nach neueren WHO-Statistiken hinter den kardiovaskulären Erkrankungen weltweit die zweithäufigste Todesursache dar – noch vor den Krebserkrankungen.
Nicht-tödlich verlaufende Schlaganfälle sind in Europa die häufigste Ursache für lebenslange Behinderung in höherem Lebensalter. Nach den Daten des populationsbezogenen
Erlanger Schlaganfallregisters beläuft sich die Zahl erstmaliger Schlaganfälle pro Jahr auf
182 Fälle pro 100.000 Einwohner. Unter Hinzunahme von Rezidivereignissen wird die jährliche Zahl an Schlaganfällen in Deutschland auf 200.000 – 250.000 geschätzt. 80% der
Schlaganfälle sind auf zerebrale Ischämien („Hirninfarkt”) zurückzuführen, etwa 15% beruhen auf einer intrazerebralen Blutung und die restlichen 5% werden durch Subarachnoidalblutungen oder Sinusvenenthrombosen verursacht.
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4.
Eine der bedeutsamsten Risikofaktoren sowohl für den Hirninfarkt als auch für intrazerebrale
Blutung stellt die arterielle Hypertonie dar. Weitere Risikofaktoren - neben dem „statistischen Risikofaktor „Alter” - sind Herzerkrankungen (v.a. absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern), Diabetes mellitus, erhöhte Blutfette, Übergewicht, Rauchen und Alkoholmissbrauch.
Nach den WHO/ISH-Richtlinien von 1999 liegt eine Hypertonie ab einem Wert von 140/90
mmHg vor (Grad 1: 140-159/90-99; Grad 2: 160-179/100-109; Grad 3: 180/110). Bei der
„isolierten systolischer Hypertonie” liegt der systolischen Blutdruck über 140 mmHg
systolisch bei diastolischen Werten unter 90 mmHG). Als „optimal” gelten Blutdruckwerte
von < 120/80, als „normal” Werte von <130/85 und als „hoch-normal” Werte von 130-139/
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85-89. Es gibt jedoch keine Untergrenze eines Bludruckwertes, unter dem sich das
kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Risiko nicht weiter erniedrigen würde. Die Prävalenz
des Hypertonus in den Industrieländern liegt bei etwa 20%. Mindestens 20% der Hypertoniker
wissen nichts von ihrer Erkrankung. Folgen des Hypertonus an den Endorganen sind u.a.
Kardiomyopathie, Nephropathie, Retinopathie, Erkrankungen der großen, mittleren und kleinen arteriellen Gefäße.
Im Folgenden soll ein Überblick gegeben werden über die unheilvollen Zusammenhänge
zwischen Schlaganfall und arteriellem Hypertonus in folgenden Punkten:
·
·
·
·
·
Pathophysiologie: Hypertonus, Gehirn und Schlaganfall
Hypertonus und erstmaliger Schlaganfall
Hypertonus und Schlaganfallrezidive
Risikoentscheidend für den Schlaganfall: Diastolischer oder systolischer Wert?
Primär- und Sekundärprävention des Schlaganfalls durch antihypertensive
Therapie
2. Pathophysiologie: Hypertonus, Gehirn und Schlaganfall
Die arterielle Hypertonie führt durch Einlagerung von hyalinem Material (Hyalinose) zu
einer Verdickung der Gefäßwände der kleinen perforierenden Arterien und Arteriolen des
Gehirns mit Verengung der Gefäßlumina. In der Folge kommt es zu Mikroinfarkten, die sich
makroskopisch bzw. in den bildgebenden Schnittbilduntersuchungen des Gehirns (CCT,
MRT) als kleine pseudozystische Läsionen zeigen, die als „Lakunen” bezeichnet werden.
Auch Infarkte der Hirnrinde gehen auf solche hypertonusbedingten Gefäßläsionen zurück.
Eine spezielle Form der hypertonusbedingten mikroangiopathischen Schädigung der weissen Substanz des Hirngewebes stellen multiple Mikroläsionen dar („Leukoaraiosis”;
„Binswanger´schen Enzephalopathie”), die oft mit einer sogenannten „vaskulären Demenz”
oder „Multiinfarktdemenz” einhergeht. Es besteht ein Zusammenhang zwischen Demenzerkrankung im Alter und dem Ausmaß eines arteriellen Hypertonus. Auch führt der Hypertonus zur Ausbildung kleiner aneurysmatischer Aussackungen in den kleinen Arterien, die
im Falle ihrer Ruptur die Ursache von Hirnblutungen darstellen. Das Spektrum solcher
Hirnblutungen reicht von kleinen Kugelblutungen mit wenigen Millimetern Durchmesser
bis hin zu riesigen infaust verlaufenden Hirnmassenblutungen. Auch indirekt kann der arterielle Bluthochdruck über Herzerkrankungen wie z.B. Kardiomyopathie und Vorhofflimmern
zu den Ursachen embolischer Hinrinfarkte beitragen. Erhöhte Blutdruckwerte können außerdem als akute Trigger für Hirninfarkt und Blutung wirken.
3. Hypertonus und erstmaliger Schlaganfall:
In einer Vielzahl von prospektiven Studien konnte klar gezeigt werden, dass ein kausaler
Zusammenhang zwischen einer arteriellen Hypertonie und dem Auftreten eines Schlaganfalls besteht. So zeigte sich in der Framingham-Studie (Beobachtungszeit 30 Jahre) bei
8
Abstractband
4. Hypertonus und Schlaganfall-Rezidiv
Besteht nach einem Schlaganfall ein Hypertonus fort, so besteht ein deutlich erhöhtes
Risiko für ein Schlaganfall-Rezidiv. So konnten Alter et al. bei 662 Patienten (59% mit
Hypertonus) nach einem Schlaganfall innerhalb von 24 Monaten eine Schlaganfall-Rezidivrate von 12% feststellen. Das Schlaganfallrisiko war stark abhängig von der Güte der
Blutdruckkontrolle: bei schlecht eingestelltem Blutdruck war das Risiko gegenüber streng
kontrollierten Patienten achtfach so hoch. Selbst ein „mäßig gut” kontrollierter Blutdruck
ging noch mit einem 4-fachen Risiko einher.
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einem Blutdruck von >160/95 mmHg für Männer ein 3,1-faches und Frauen ein 2,9-fach
erhöhtes Schlaganfall-Risiko gegenüber „Normotonikern”. Selbst bei Personen mit einer
„Grenzwert-Hypertonie” wurde noch eine Verdopplung des Schlaganfall-Risikos festgestellt.
Nach den Framingham-Daten sind 56,4% der Schlaganfälle bei Männern und 66,1% bei
Frauen dem Risikofaktor Hypertonus zuzuschreiben. Ein etwa vierfach erhöhtes Schlaganfall-Risiko bei Hypertonikern fand sich in einer amerikanischen Studie; in einer australischen Untersuchung führte der Hypertonus zu einer 3,1-fachen Erhöhung der Rate an Hirnfaktoren und zu einer 5,5-fachen Erhöhung der Zahl intrazerebaler Blutungen. In einer chinesischen Studie ging eine Steigerung des systolischen oder diastolischen Blutdrucks über
160/90 mmHg um je 10 mmHg mit einem jeweils um 12% gesteigerten Schlaganfall-Risiko
einher. Dänische Schlaganfallforscher fanden bei den Patienten mit den höchsten Blutdruckwerten ein etwa 4-faches Risiko für einen Schlaganfall – allerdings begann der Risikoanstieg der jeweiligen Altergruppen bereits bei „formal” normalen systolischen Blutdruckwerten (z.B. bei 45-54 jährigen Männern ab systolisch 130-140 mmHg, bei gleichaltrigen
Frauen ab 125-135 mmHg). Kombiniert sich der Hypertonus mit anderen Gefäßrisikofaktoren
(z.B. Diabetes) steigt das Schlaganfallrisiko sogar multiplikativ.
5. Risikoentscheidend für den Schlaganfall: Diastolischer oder systolischer Wert ?
Über längere Zeit war umstritten, ob der diastolischen oder der systolischen Blutdruckerhöhung die entscheidende Bedeutung für das Schlaganfallrisiko zukommt. In einer Metaanalyse von 13.000 Schlaganfällen unter 450.000 Personen zeigte sich die Erhöhung des
diastolischen Blutdrucks über alle Altersstufen als wichtigster Risikoprädiktor. In anderen
Studien war jedoch eine alleinige Steigerung des systolischen Blutdruckes bei gleichbleibendem diastolischem Blutdruck für das erhöhte Schlaganfall-Risiko verantwortlich. Ebenso
zeigte sich bei konstant erhöhtem systolischen Blutdruck von über 160 mmHg keine weitere Risikozunahme durch Steigerung des diastolischen Blutdrucks. Der scheinbare Widerspruch der Studienergebnisse liegt im pathophysiologischen Unterschied der isolierten
systolischen Hypertonie vorwiegend im Alter und der kombinierten systolischen und
diastolischen Hypertonie. In der Framingham-Studie zeigte sich, dass im Alter der systolische
Blutdruck ansteigt, während der diastolische Blutdruck eher abnimmt, obwohl das Schlaganfall-Risiko zunimmt. Die Prävalenz dieser „isolierten systolischen Hypertonie” (RR syst.
>160 mmHg, diastolisch <90 mmHg) nimmt ab dem 65. Lebensjahr deutlich zu. Im Alter
von 80 Jahren besteht bei 20% der Männer und bei 30% der Frauen eine solche Konstellation.
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Dieser isolierte systolische Hypertonus ist Ausdruck des Elastizitätsverlusts der arteriellen
Gefäße im Alter. In dieser Konstellation erwies sich der „Pulsdruck” als Differenz zwischen
systolischem und diastolischem Blutdruck als eng korreliert mit dem Schlaganfallrisiko;
damit erklärt sich ein steigendes Schlaganfallrisiko mit sinkendem diastolischen Druck bei
konstanter Systole. Dieser Zusammenhang konnte auch in der Metaanalyse von Staessen
(Lancet 2000) belegt werden.
6. Primär- und Sekundärprävention des Schlaganfalls durch antihypertensive Therapie
6.1. Primärprävention: Unterschiedlichste Studien zur Prävention eines Schlaganfalls durch
eine antihypertensive Therapie konnten zeigen, dass eine Senkung eines erhöhten Blutdruckes das Schlaganfallrisiko signifikant reduziert. In einer Metaanalyse von 14 Studien
mit insgesamt 37.000 behandelten Hypertonikern fand sich bei einer mittleren Senkung
des diastolischen Blutdrucks um 5,8 mmHg eine relative Reduktion von Schlaganfällen um
42%. Erstaunlicherweise tritt dieser präventive Effekt bereits nach relativ kurzer Behandlungsdauer von 2 bis 5 Jahren auf. Dabei führte in einer amerikanischen Studie eine strenge
Blutdruckeinstellung zu 35% weniger tödlichen Schlaganfällen als eine „Routinebetreuung”.
Auch in einer japanischen Studie konnte gezeigt werden, dass eine konsequente Hypertoniebehandlung zu einer deutlichen Senkung des Schlaganfallrisikos führt: zwischen 1963 und
1987 wurden zwei Gemeinden verglichen, von denen in der einen eine strenge und in der
anderen eine lockere Hypertonusbehandlung praktiziert wurden. In der streng kontrollierten Gemeinde stellte sich ein Rückgang der Schlaganfallinzidenz um bis zu 75% ein, während sich in der locker betreuten Gemeinde nur eine Abnahme um 29% beobachten lies.
Gerade auch bei älteren Patienten ist eine antihypertensive Therapie hinsichtlich der Vermeidung von Schlaganfällen besonders effektiv: in der randomisierten, doppelblind-placebokontrollierten STOP-Studie (“Swedish Trial in Old Patients with Hypertension”) wurden
1627 Patienten zwischen 70 und 84 Jahren (syst.: 180-230 mmHg; diast.: 105-120 mmHg)
über 25 Monate behandelt, wobei in der Verumgruppe der Blutdruck von 195/102 mmHg
auf 167/87 mmHg gesenkt wurde. Die Schlaganfallzahl in der Verumgruppe lag um 47%
niedriger; das kardiovaskuläre Risiko wurde um 40% gesenkt. Der präventive Effekt der
Therapie wurde bereits nach einem Jahr wirksam und die Risikostratifizierung ergab für je
1 mmHg diastolische Blutdruckzunahme eine Erhöhung des Schlaganfall-Risikos um jeweils 3%. Therapiert wurde mit Betablockern, Diuretika und Kombinationen, in der STOP2-Studie mit ACE-Hemmern und Kalziumantagonisten.
Die bereits oben angeschnittene Frage der Bedeutung von systolischer vs. diastolischer
Blutdruckerhöhung für das Schlaganfallrisiko ist auch bei der Therapiefrage insbesondere
bei älteren Patienten relevant. So zeigten sich in mehren Studien (z.B. SHEP, Syst-Eur,
MRC) Senkungen des relativen Schlaganfallrisikos zwischen 30 und 40%. Die NNT betrug
etwa 30.
Allerdings erwies sich in der HOT-Studie (1998) die diastolische Blutdrucksenkung nur bei
Diabetikern als präventiv. In einer Metaanalyse von Staessen vom letzten Jahr von 8 Studien
mit insgesamt 15.693 Patienten mit isolierter systolischer Hypertonie im Alter (RR syst
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>160mmHg, RR diast < 95 mmHg) fand sich für je 10mmHg Erhöhung des systolischen
Blutdrucks eine Erhöhung der Gesamtmortalität um 26%, der Schlaganfälle um 22% und der
koronaren Ereignisse um 7%. Unter der antihypertensiven Behandlung sank die Gesamtmortalität um 13%, die kardiovaskuläre Mortalität um 18%, die kardiovaskulären Komplikationen um 26% und das Schlaganfall-Risiko um 30%. Die NNT bei Patienten unter 70 Jahre
betrug 99, die bei über 70-jährigen 33. Auch hier zeigte sich ein inverser Zusammenhang
zwischen diastolischem Blutdruck einerseits und der Gesamtmortalität und dem Schlaganfallrisiko andererseits.
In der Hope-Studie (“Heart Outcome Prevention Evaluation”) wurde Ramipiril gegen Placebo getestet und obwohl die RR-Senkung nur gering ausfiel, kam es doch zu einer 32%-igen
Reduktion von Schlaganfällen, obwohl die Blutdrucksenkung nur 3/3 mmHg betragen hatte.
Dies führte zu der Überlegung, ob die Therapie mit einem ACE-Hemmer eventuell eine
zusätzliche gefäßprotektive Wirkung haben könnte.
6.2. Sekundärprävention: Obwohl in der HOPE-Studie ein Teil der Patienten bereits ein vorausgehendes zerebrovaskuläres Ereignis hatten, gab es doch bislang keine sicheren Daten,
inwieweit eine antihypertensive Therapie nach einem Schlaganfall auch präventiv wirksam
sei. Diese Lücke wird durch die Daten der kürzlich beendeten PROGRESS-STUDIE (i. Druck;
Lancet 2001) gefüllt, in der eine Therapie mit Perindopril mit und ohne Zugabe des „atypischen” Diuretikums Indapamid das Risiko für Hirninfarkte um 24% und für Hirnblutungen um
50% gegenüber Placebo senken konnte. Auch das Risiko für einen Myokardinfarkt konnte
um 38% gesenkt werden. Auch die in der Studie eingeschlossenen „Normotoniker” profitierten von der Therapie. In der PROGRESS-Studie mussten 23 Patienten (=“number-needed-to
treat”) über 5 Jahre therapiert werden, um ein Schlaganfall-Rezidiv zu verhindern.
7. Schlussfolgerung:
Es gibt keine Zweifel an der immensen Bedeutung der arteriellen Hypertonie als Risikofaktor für einen Schlaganfall. Allerdings gelingt es auch, durch konsequente Therapie des
Hypertonus dieses Risiko deutlich zu verringern.
Evidence Based Medicine – was ist dran?
J. Köbberling und M. Wehner, Wuppertal
Der Begriff evidence based medicine (EbM) ist erst seit etwa 10 Jahren in Deutschland in
Gebrauch. Er hat sich sehr schnell verbreitet und wird heute eher inflationär benutzt. Auffallend ist, dass die meisten Autoren, die sich in Wort und Schrift über die Evidence based
medicine auslassen, aus der sog. Systemebene der Medizin stammen. Unter Klinikern ist
dagegen nicht selten eine Ablehnung dieser als praxisfremd und „besserwisserisch“empfundenen Methodik zu spüren. Andere lehnen den Begriff vor allem deswegen ab,
weil sie davon überzeugt sind, schon immer entsprechend den Vorgaben der evidence based
medicine gehandelt zu haben. In der Tat ist nichts, von dem was die evidence based medicine
ausmacht, wirklich neu, allenfalls die Gesamtbetrachtung und die explizite Berufung auf ein
solches Vorgehen.
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52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Bereits im 18. Jahrhundert gab es insbesondere in England eine Bewegung, in der quantitative und kritische Bewertungen der ärztlichen Tätigkeit vorgenommen wurden. Klassiker im
Sinne von EbM sind das heute noch lesenswerte Werk von Bleueler aus dem Jahre 1919
über „Das autistisch undisziplinierte Denken in der Medizin und seine Überwindung“ sowie
die „Allgemeine Methodenlehre der therapeutischen Forschung“ von Martini aus dem Jahre
1932.
Die heute gebräuchliche Definition und Methodologie der evidence based medicine geht
vor allem auf Sackett zurück, von dem folgende Definition stammt: „Evidenzbasierte Medizin
ist der gewissenhafte, ausdrückliche und kritische Gebrauch der gegenwärtig besten externen Evidenz bei der Entscheidungsfindung in der medizinischen Versorgung individueller
Patienten”. Die Praxis evidenzbasierter Medizin bedeutet die Integration individueller klinischer Erfahrung mit der besten zur Verfügung stehenden externen Evidenz aus systematischer Forschung.
Lassen Sie uns kurz die einzelnen hier genannten Merkmale betrachten: Mit dem Begriff
ausdrücklich wird ein aktives Kümmern um und eine erkennbare Orientierung des Handels
an der zur Verfügung stehenden Evidenz bezeichnet. Dieses sich kümmern ist transparent
zu machen, indem stets Rechenschaft darüber abzulegen ist, ob aus der zur Verfügung
stehenden Literatur eine ausreichende Evidenz abzulesen ist und wie deren Qualität beschaffen ist. Der Begriff kritisch heißt nicht, dass der Anwender notwendigerweise in der
Lage sein muss, selbst Studien zu beurteilen. Dies wäre zwar wünschenswert, entscheidend ist aber, dass der Anwender die Grundprinzipien wissenschaftlicher Studien kennt und
in der Lage ist, die von ihm benutzten EBM-orientierten Produkte, etwa Leitlinien, zu bewerten. Tradition, Autorität, persönliche Erfahrung oder zufällig zukommendes Informationsmaterial sind hiernach keine Basis für Evidence based medicine. Mit dem Begriff gegenwärtig
beste Evidenz wird auf die Qualität der zugrunde liegenden empirischen Untersuchungen
Bezug genommen. Hiermit ist einerseits das Konzept bzw. das Design der Studien gemeint,
vor allem nach biometrischen und klinisch epidemiologischen Kriterien, die in sog. Evidenzklassen von Metaanalysen mehrerer randomisierter kontrollierter Studien bis zu bloßer
Meinungsäußerung oder persönlicher Erfahrung niedergelegt sind. Andererseits bezieht sich
dieser Begriff auch auf die Durchführungsqualität nach allgemein anerkannten, wenn auch
nicht immer formal standardisierten Kriterien. Ein Kernpunkt der Evidence based medicine
ist die transparente Beschreibung der Qualität von Studien.
Evidenzbasierte Medizin ist in jeder medizinischen Disziplin und in allen Bereichen des
Medizinsystems praktizierbar. Sie bezieht sich nicht nur auf therapeutische Verfahren, sondern auch auf die Diagnostik, auf die Beurteilung der Prognose oder auf Aussagen zur
Epidemiologie.
Wichtig ist die Feststellung, dass ein Arzt auch dort, wo keine oder eine nicht ausreichende
Evidenz vorliegt, nach Kriterien der evidence based medicine handeln kann. Evidenzbasiert
ist nämlich ein Merkmal des ärztlichen Handelns, nicht eines bestimmten medizinischen
Verfahrens. Der Begriff sagt etwas über die Qualität der Evidenz aus, nicht über die Bedeu-
12
Abstractband
tung des Ergebnisses. Mit qualitativ guter Evidenz als unwirksam erkannte Verfahren sind in
diesem Sinne auch evidenzbasiert.
In Kursen über evidence based medicine, die bei uns und an mehreren anderen Orten mit
leicht variierendem Curriculum und einem Umfang zwischen zwei und vier Tagen angeboten werden, werden sowohl die „Tugenden“ von EbM gelehrt, also in erster Linie die konsequente Ausrichtung des eigenen Handelns an den Maximen der evidenzbasierten Medizin,
als auch die hierfür erforderlichen Fertigkeiten, die sich auf die Informationsbeschaffung in
Datenbanken unter Anwendung moderner Techniken beziehen sowie auf die Deutung und
Beurteilung von Ergebnissen klinischer Studien. Hierzu sind auch Grundbegriffe der medizinischen Biometrie zu erlernen und die Fähigkeit, Fallstricke mit Täuschungsmöglichkeiten
in Studien zu erkennen.
Fast immer gehen die Teilnehmer solcher Kurse mit großer Begeisterung und vielen Vorsätzen in ihr medizinisches Umfeld zurück. Dort finden sie bei sich und anderen aber zunehmend Barrieren in der Umsetzung von EbM. Diese können im persönlichen Zeitmangel
liegen, in der fehlenden Akzeptanz durch Kollegen, in der Trägheit des Arbeitsumfeldes, in
dem Mangel an zur Verfügung stehenden Informationsmedien, aber auch in der Erwartungshaltung von Patienten oder in einem autoritären Umfeld mit Vorgesetzten, denen diese Bewegung eher suspekt vorkommt. Zweifellos hat evidence based medicine auch Züge einer
antiautoritären oder zumindest demokratisierenden Bewegung, weil sie unweigerlich zu
einer Diskussion über medizinische Fragen „auf gleicher Augenhöhe” führt und zur Ablehnung von Argumenten allein auf der Basis der höheren Autorität. Der sich aus der EbM
ergebende Begründungszwang für ärztliche Entscheidungen verändert zweifellos das kollegiale Miteinander, führt also neben dem intellektuellen Vergnügen auch hierdurch zu einer
Verbesserung der Arbeitszufriedenheit.
Als Einwand gegen evidence based medicine wird immer wieder angeführt, dass diese zu
einem „kochbuchmäßigen” ärztlichen Handeln führe und die Erfahrung und die ärztliche
Kunst vernachlässige. Dies ist sicher nicht richtig, denn die ärztliche Kunst ist weiterhin
gefordert, insbesondere im Zusammenhang mit der Kunst, die richtigen klinischen Fragen zu
stellen und die Ergebnisse aus der Literatur angemessen zu übertragen. Fast alle Einwände
gegen evidence based medicine sind entweder von Fremdinteressen gesteuert oder Ausdruck mangelnder intellektueller Flexibilität. Während vor einigen Jahren Vertreter dieser
Denk- und Handlungsweise noch eher als Außenseiter betrachtet wurden, ist inzwischen
zumindest das Prinzip weitgehend anerkannt, wenngleich die Technik als solche noch nicht
von ausreichend vielen Kollegen beherrscht wird. Die Frage, ob eine bestimmte Handlungsweise denn wirklich evidenzbasiert ist, wird inzwischen allgemein akzeptiert und löst nicht
mehr staunendes Unverständnis aus. Einem Vorurteil sollte unbedingt widersprochen werden: EbM dient nicht in erster Linie ökonomischen Zielen. Die mit EbM beabsichtigte Rationalisierung hat als erstes Ziel eine „vernünftige“ Medizin. Dieses schließt allerdings auch
den Aspekt der Sparsamkeit im Umgang mit begrenzten Ressourcen ein.
Die mit dem Titel für diesen Vortrag aufgegebene Frage, was an EbM dran sei, lässt sich
auch auf die Frage zuspitzen, ob eine Orientierung an evidence based medicine tatsächlich
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Abstractband
13
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
zu einer Verbesserung der medizinischen Ergebnisse, der sogenannten outcomes führt.
Dass evidence based medicine eine Methode zur Rationalisierung ärztlichen Handelns ist,
steht außer Zweifel. Es muss aber eingestanden werden, dass bisher noch keine Belege
dafür vorliegen, inwieweit sich durch EbM eine Verbesserung der Patientenversorgung erzielen lässt. Das gleiche gilt übrigens auch für die in letzter Zeit so viel diskutierten Leitlinien in
der Medizin. Ich neige dazu, dies als axiomatisch gegeben zugrunde zu legen, halte aber
trotzdem Studien, die sich mit dieser Frage befassen, für sehr wünschenswert.
Nach meiner persönlichen Meinung handelt es sich bei EbM um die wichtigste Herausforderung für das in vielen Bereichen kranke System der deutschen Medizin. Die mit EbM
verbundene Demokratisierung und verstärkte Transparenz in der Medizin stellt viele hergebrachte und unzeitgemäße Strukturen sowie etablierte Positionen in Frage. Sie fördert stattdessen sowohl wissenschaftlich orientiertes als auch vor allem patientenzentriertes Vorgehen. Hierin sehe ich das eigenliche positive Potential dieser neuen und zugleich klassisch ärztlichen Denkweise.
Internet – Der informierte Patient – Konsequenzen für die Praxis
M. Kirchgeorg, München
Das Internet macht Gesundheitsinformationen für alle leicht zugänglich. Nutzer und Patienten suchen zunehmend fundierte Informationen und Hilfe zu Themen wie Prävention, gesundes Leben, Krankheiten sowie über qualifizierte Leistungsanbieter. Der Internet-gestützte
Austausch mit anderen Betroffenen in sogenannten Medizinischen Communities kann Betroffenen helfen, ihre Lebenssituation oder Krankheit besser zu meistern. Internet- wie telefongestützte Demand und Disease Management-Programme helfen chronisch Kranken, eine
bessere Lebensqualität zu erreichen. Diese Elemente modernen Gesundheits- und KrankheitsManagements können zu Electronic Health (abgekürzt E-Health) als System integriert werden.
Gesunde und akut Kranke suchen typischerweise nach frei verfügbaren Gesundheitsinformationen (Content) für Laien, wie sie im Internet in öffentlichen Gesundheitsportalen,
sowie von Leistungsträgern und Leistungsanbietern im Gesundheitswesen zur Verfügung
gestellt werden. In Akutsituationen wird nach einer Wegleitung zum richtigen Leistungserbringer gefragt (Demand management oder vorärztliche Leistungssteuerung). Gesunde suchen typischerweise auch nach Communities, um gesund zu bleiben oder mit
bestimmten Lebensumständen besser zurecht zu kommen. Beispiele hierfür sind die Themen Mutter-und-Kind, Rauchen und Übergewicht.
Das wesentliche Element der Community ist der Austausch von Informationen unter gleichermaßen Betroffenen, das Teilen des gemeinsamen Schicksals, das Lernen von Anderen.
Entscheidend für die Qualitätssicherung der Informationen in Content und Communities sind
die Zugrundelegung evidenzbasierter Diagnose- und Therapieleitlinien sowie ein qualitäts-
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Abstractband
Chancen und Risiken
Risiken liegen im Internet wie in anderen Teilen des Gesundheitswesens darin, dass Patienten die Qualität der angebotenen Informationen kaum selbst beurteilen können. Seriöse
Anbieter haben deshalb schon früh Maßnahmen zur Selbsthilfe ergriffen und die Health On
the Net (HON-) Foundation mit Sitz in der Schweiz gegründet. Diese hat Kriterien aufgestellt, um laienverständliche Informationen im Internet zu bewerten. Weiterhin gibt es den
Kriterienkatalog Discern, welcher auch von der Ärztlichen Zentralstelle für Qualitätssicherung genutzt wird. Als weiteres Qualitätssicherungssystem für Informationen im Internet
ist das MedCertain-Projekt im Aufbau.
Gesetzliche und Private Krankenkassen stehen untereinander im Wettbewerb und suchen
nach Chancen zur Differenzierung und Kosteneinsparung. Sie haben das Feld E-Health als
Chance erkannt, diese Ziele zu erreichen. Die Rolle der Leistungserbringer hat sich im
Bereich E-Health noch nicht klar herauskristallisiert. Für Ärzte wie Krankenhäuser kann ein
kompetenter Internet-Auftritt ein Differenzierungsmerkmal sein.
Längerfristig verspricht E-Health eine Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen. Inwieweit
dies auf Seiten der Leistungsträger, der Leistungserbringer oder durch neue Dienstleister
realisiert werden wird, unterliegt den Kräften des Marktes.
Konsequenzen für die Praxis
Für die medizinische Praxis bedeutet dies in jedem Fall, dass Patienten sich zunehmend
kundig machen und den Arzt mit ihrem Wissen konfrontieren. Bei gutem Informationsstand auf beiden Seiten kann dies eine Zeitersparnis für den Arzt bedeuten, da weniger Zeit in
der Praxis für ausführliche Erklärungen über ein Krankheitsbild und dessen Behandlung
aufgewandt werden muss. Voraussetzung hierfür ist, dass sowohl im Internet als auch in der
ärztlichen Weiterbildung vom gleichen Stand evidenzbasierter Medizin ausgegangen werden kann.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
gesicherter Prozess zur Erstellung von Content. Hinzu kommt eine strikte Trennung der
medizinischen Inhalte von den Partikularinteressen eines Anbieters, Sponsors oder Leistungsträgers.
Melatonin – als Schlafmittel
F. Waldhauser, Wien
Seit der Entdeckung des Zirbeldrüsenhormons Melatonin vor 40 Jahren ist bekannt, dass es
eine sedativ-hypnotische Wirkung hat. Physiologischerweise wird Melatonin zirkadian sezerniert wobei niedere Spiegel während des Tages und hohen in der Nacht gefunden werden.
Bei Kindern sind die nächtlichen Melatonin Spiegel wesentlich höher als bei Erwachsenen.
Abstractband
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52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Zahlreiche Studien bei Gesunden haben ergeben, dass exogen zugeführtes Melatonin einen
schlaffördernden Effekt ausübt, indem es die Schlafinduktion beschleunigt und die Durchschlafqualität erhöht ohne die Schlafarchitektur wesentlich zu beeinflussen.
In letzter Zeit wurde bei Erwachsenen mit Schlafstörungen unterschiedlicher Genese versucht, durch Melatonin eine Besserung der Insomnie herbeizuführen. Patienten mit Einschlafstörungen scheinen von Melatonin klar zu profitieren. Bei Patienten mit Durchschlafstörungen, die mit geringer Dosis (0,5 mg) Melatonin behandelt wurden, blieb die
Anzahl der Wachstadien nach dem Einschlafen hoch. Mit einer Steigerung der Dosis auf 1
mg wurden die Wachstadien verkürzt und zusätzlich wurde das subjektive Empfinden der
Schlafqualität der Patienten verbessert. Die Einnahme von 1 mg Depot-Melatonin über
einen Zeitraum von 2 Monaten führte zu einer Besserung der Durchschlafstruktur. Die
Schlaflatenz dieser Patienten entsprach der von Gleichaltrigen ohne Schlafstörungen. Nach
höheren Dosierungen (2 - 10 mg) konnte eine gesteigerte Besserung der Schlafeffizienz
bei verschiedenen Formen der Schlafstörungen beobachtet werden. Bei depressiven Patienten zeigte ein Teil der Behandelten eine subjektive Besserung ihres Schlafes.
Kinder, die auf Grund einer körperlichen oder neurologischen Behinderung unter Schlafstörungen litten, wurden mit 2 - 10 mg Melatonin über Monate therapiert. Obwohl die Untersuchungen nur subjektive Parameter erhoben, wird über eine Besserung des Schlafes
ohne Nebenwirkungen berichtet. Manche Eltern weigerten sich, die Therapie auch nach
einem Jahr zu beenden, da sich das Verhalten und die Stimmung der Kinder während der
Hormontherapie gebessert haben. Einige Kinder aber wiesen nach einiger Zeit trotz Erhöhung der Melatonindosis eine Resistenz auf.
Die meisten Untersuchungen bestätigen Melatonin eine schlafmachende Wirkung. Welche
Bedeutung es im klinischen Alltag erlangen wird, ist zur Zeit erst bedingt abschätzbar.
Weiterführende Literatur
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1.
Waldhauser, F., J. Kovacs, and E. Reiter. 1998. Age-related changes in melatonin levels in man and its
potential consequences for sleep disorder. Experimental Gerontology 33:759-772.
2.
Langer, M., J. Hartmann, H. Turkhof, and F. Waldhauser. 1997. Melatonin beim Menschen –
Ein Überblick. Wien. Klin. Wochenschr. 109:707-713.
3.
Waldhauser, F., B. Saletu, and I. Trinchard-Lugan. 1990. Sleep laboratory investigations on hypnotic
properties of melatonin. Psychopharmacology (Berl.). 100:222-226.
Abstractband
T. Eschenhagen, Erlangen
Die Mehrzahl von „neuen” Arzneimitteln sind Variationen eines bekannten Therapieprinzips. Tatsächlich neue Therapieprinzipien sind rar und haben es bei der Effektivität der
vorhandenen Substanzen auch schwer sich durchzusetzen.
Die vorliegende Übersicht konzentriert sich auf Neuentwicklungen im Herz-Kreislaufbereich.
Herzinsuffizienz: Hier ist vor allem eine Neubewertung bekannter Arzneimittel zu beobachten, besonders der Betablocker Bisoprolol, Carvedilol und Metoprolol sowie des Aldosteronantagonisten Spironolacton. Für alle diese Substanzen ist die Indikationsstellung aufgrund überzeugender prospektiver klinischer Studien erweitert worden. Hypertonie: a1Adrenozeptorantagonisten (a1-Blocker) sind aus der ersten Stufe der Empfehlungen der
internationalen Hypertoniegesellschaften genommen worden, weil sie in einer langfristig
angelegten großen klinischen Studie prognostisch schlechter abgeschnitten haben als ein
Diuretikum. Betablocker und Diuretika gehören nach wie vor aufgrund der guten Langzeitdaten zur Standardtherapie der Hypertonie. Die relativ neuen AT1-Rezeptorantagonisten
haben wegen des günstigen Nebenwirkungsprofils an Bedeutung gewonnen, obwohl bisher Langzeitstudien fehlen und sie teurer sind als die von ihrem Wirkprofil vergleichbaren
ACE-Hemmer. Von diesen geraten die ersten aus der Patentpflicht und sind daher billiger.
Eine sichere Bewertung der Calciumkanalblocker ist aus Sicht des Autors zur Zeit unmöglich. KHK: Hier hat sich ein Paradigmenwandel von der symptomatischen Behandlung der
Angina pectoris hin zu einer kausalen, prophylaktisch orientierten Therapie vollzogen. Nitrate, insbesondere Langzeitnitrate und Molsidomin, und Calciumkanalblocker verlieren an
Bedeutung. Statine, ASS, Betablocker und ACE-Hemmer haben an Bedeutung gewonnen,
weil für alle in der Sekundärprophylaxe klare lebensverlängernde Effekte nachgewiesen
sind. Der Thrombozytenaggregationshemmer Clopidogrel hat sich in Bezug auf Wirksamkeit und Nebenwirkung inzwischen als mögliche Alternative zu ASS erwiesen, ist allerdings
deutlich teurer. Es sollte nur solchen Patienten verordnet werden, die ASS nicht vertragen
(Asthma, Hypertonus, Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz). In diesem Zusammenhang sollte
betont werden, daß die neuen COX-2 Hemmer wie Celecoxib und Rofecoxib die gleichen
akuten Nebenwirkungen an der Niere und auf den Blutdruck ausüben wie die unselektiven
nichtsteroidalen Antirheumatika und ASS.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Neue Arzneiformen in der täglichen Praxis
Ob neuere Betablocker wie Nebivolol aufgrund einer NO-vermittelten Vasodilatation Vorteile gegenüber herkömmlichen Betablockern wie Bisoprolol oder Metoprolol aufweisen, ist
zur Zeit unklar. Bei der Therapie mit Statinen werden in Zukunft Sicherheitsaspekte und
Interaktionen mehr Beachtung finden müssen. Diabetes mellitus Typ II: Wichtige Erkenntnis der letzten Jahre ist, dass alle sekundärprophylaktischen, medikamentösen Maßnahmen
wie ASS, Statine, ACE-Hemmer und auch Betablocker bei Diabetikern qualitativ dieselben
Effekte haben wie bei Nichtdiabetikern, dass dieser Effekt aber aufgrund des deutlich höheren Risikos noch ausgeprägter ist. Metformin ist Therapie der Wahl bei übergewichtigen
Abstractband
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52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Diabetikern, allerdings müssen die Kontraindikationen streng beachtet werden. Die neuen
Glitazone (Rosiglitazon, Pioglitazon) wirken als Insulinsensitizer und senken bei insulinpflichtigen Diabetikern den Insulinbedarf, führen aber wie Insulin und die Sulfonylharnstoffe
zur Gewichtszunahme und haben darüber hinaus ein lebertoxisches Potential.
Eine abschließende Bewertung ist zur Zeit nicht möglich. Zusammenfassend steht heute mit
den vorhandenen Substanzen ein effektives Arsenal zur Behandlung und Prophylaxe von
Herz-Kreislauferkrankungen zur Verfügung. Defizite bestehen zum Teil noch bei der Umsetzung von evidenzbasierten Therapieempfehlungen.
Fallstricke internistischer Notfallmedizin bei Vergiftungen
W. Mühlberg, Nürnberg
Über Fallstricke internistischer Notfallmedizin bei Vergiftungen stolpert man vor allem bei
akuten Intoxikationen, deren Symptome unspezifisch sind, erst nach längerer Latenzzeit
oder mit einem symptomfreien Intervall auftreten.
Vergiftungen mit Pilzen
95 % aller letalen Pilzvergiftungen sind durch den grünen Knollenblätterpilz verursacht.
Fallstrick 1: Nach Ingestion völlig symptomfreie Latenz von meist 8-12 (5-24) Stunden!
Vergiftungserscheinungen beginnen mit einem heftigen Brechdurchfall mit reiswasserähnlichen Stühlen, häufig Ausbildung einer Exsiccose.
Fallstrick 2: Nach dem initialen gastroenteritischen Stadium (Dauer 1-2 Tage) folgt eine
klinische Besserung für etwa einen Tag! Anschliessend entwickelt sich eine Lebernekrose
und eine Nierentubulusnekrose: steiler Anstieg der Transaminasen (frühestens nach 36
Stunden).
Pilzvergiftungen, die später als 5 Stunden nach dem Essen einsetzen, sind fast immer
Knollenblätterpilzvergiftungen!
Vergiftungen mit Chemikalien
CO-Intoxikation: Z.B. bewusstloser Patient in der Badewanne, CO-Intoxikation durch Gasofen mit defektem Abzug.
Fallstrick: „Rosige“ Gesichtsfarbe verschleiert die Hypoxämie, so dass die nötige sofortige
Sauerstoffgabe unterbleibt!
Flußsäure-Verätzungen: Flußsäure besitzt aufgrund ihrer geringen Dissoziation und entsprechend hohen Lipidlöslichkeit ein starkes Penetrationsvermögen in das menschliche Gewebe.
Fallstrick: Bei Verätzungen der peripheren Extremitäten häufig nur Schmerz ohne lokale
Rötung – Patienten werden anfangs für Simulanten gehalten!
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Abstractband
Fallstrick 1: Wirkungsdauer von Naloxon ist mit 30-45 Minuten kürzer als die der Opioide:
Klinikeinweisung ist trotz Besserung der Symptome durch Naloxon immer notwendig!
Fallstrick 2: Besonders lange Wirkungsdauer von Methadon: daher nach intravenöser Initialgabe Naloxon-Infusion notwendig!
Fallstrick 3: Bei Opioidabhängigen (Mehrzahl der Patienten) kann Naloxon schwere Entzugserscheinungen mit tödlichem Kammerflimmern auslösen: daher fraktionierte Gabe von 1
mg Naloxon in Abständen von einigen Minuten!
Mischintoxikation mit Alkohol und Medikamenten: Patient imponiert mit deutlicher Alkoholfahne.
Fallstrick: Zusätzliche Medikamentenintoxikation wird übersehen! Fremdanamnese vor allem bei bewusstlosen Patienten erforderlich.
Vergiftungen mit Arzneimitteln
Diphenhydramin-Intoxikation: Buntes und individuell verschiedenes Bild der Vergiftung.
Bereits in therapeutischer Dosierung wird Unruhe, Verwirrung, Fieber und Tachykardie beobachtet. Symptome nach toxischen Dosen sind Mundtrockenheit, Brennen im Rachen, Schwierigkeiten beim Schlucken und Sprechen sowie Sehstörungen. Häufig besteht ein anticholinerges Syndrom.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Vergiftungen mit Alkohol
Heroin, Codein, Methadon, Pethidin: Spezifische Behandlung mit Naloxon (Narcanti), das als
kompetitiver Antagonist die Atemdepression und alle übrigen zentralen Wirkungen der Opioide
aufhebt.
Fallstrick 1: Die Diphenhydramin-Intoxikation kann nahezu jedes zentralneurologische Krankheitsbild imitieren! Besonders bei leichten Intoxikationen imponiert ein atypisches Bild,
Patienten werden häufig mit der Diagnose einer akuten Psychose in psychiatrische Kliniken eingewiesen.
Fallstrick 2: Bei schweren Intoxikationen treten tonisch-klonische Krämpfe auf; häufigste
falsche Diagnose ist dann „Status epilepticus“!
Clonidin-Intoxikation bei Kleinkindern: Kind hat „nur 1 Tablette“ verschluckt.
Fallstrick: Schwere Intoxikation schon ab 100-125 mg (evtl. < 1 Tablette) zu erwarten!
Abstractband
:
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52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Fallstricke internistischer Notfallmedizin bei Atemwegs- und Lungenerkrankungen
SEMINARE/KURSE
P. L. Bölcskei, Nürnberg
8. bis 9. Dezember 2001
Die meisten pneumologischen Notfälle gehen mit Atemnot, sowie mehr oder weniger charakteristischen Auskultations- und Perfusionsbefunden einher.
Häufig sind Untersuchungen wie Messung der Lungenfunktionsparameter Einsekundenkapazität (FEV1), der forciert geatmeten Vitalkapazität, sowie des exspiratorischen und
evtl. des inspiratorischen Peak-flows, eine arterielle oder kapillare Blutgasanalyse, sowie
ein EKG für die Differentialdiagnose hilfreich.
Die Unterscheidung Obstruktion/Restriktion gelingt nicht mit der alleinigen Durchführung
des exspiratorischen Peak-flows.
An bildgebenden Verfahren sind Röntgen-Thorax-Aufnahmen, falls möglich in zwei Ebenen, sowie ein Lungenperfusionsszintigramm für die Weichenstellung des therapeutischen
Vorgehens wertvoll.
Wenn die gezielte Anamnese verwertbare weiterführende Angaben liefert, kann der Erfahrene bereits mit einigen der vorher genannten Untersuchungen die richtige Fährte finden.
Die folgenden pneumologischen Notfallsituationen und deren Vermeidung werden im Referat diskutiert:
·
·
·
·
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Nächtliche „Erstickungsanfälle” ohne anamnestische Hinweise auf eine obstruktve Atemwegserkrankung.
Plötzlich sich verschlimmernde Atemnot bei Patienten mit COPD.
Führende körperliche Untersuchungsbefunde: hochgradige Atemnot, einseitiger
hyper sonorer Klopfschall und weitgehend aufgehobenes Atemgeräusch.
Junge, vorher gesunde Männer oder Frauen mit pneumonischen Infiltraten und
„Schwächeanfällen” nach vorausgegangenem Trauma.
Allmähliche Verschlimmerung einer Atemnot über mehrere Wochen: auf antiobstruktive
Therapie kein Ansprechen. Raucheranamnese.
Führende körperliche Untersuchungsbefunde: Stark abgeschwächtes Atemgeräusch
über beiden Lungen, perkutorisch keine Dämpfung, fehlender oder nur angedeuteter
Stridor.
Abstractband
O. Bartels, Nürnberg
Aufgrund der Fortschritte der Pharmakologie, interventionellen Kardiologie und Herzchirurgie während der vergangenen 30 Jahre hat die Dringlichkeit der rechten Deutung akuter
Symptome, die Patient und Arzt häufig nicht spontan an eine Herzerkrankung denken lassen, an besonderer Aktualität ärztlichen Handelns in der Notfallmedizin gewonnen.
Drei charakteristische Symptome lassen den erstbehandelnden Arzt stets an eine Herzerkrankung denken:
1. Akuter Brustschmerz – koronare Herzkrankheit
2. Akute Luftnot, vor allem mit Orthopnoe – Linksherzinsuffizienz
3. Synkope – hämodynamisch wirksame Arrhythmie
Zweifellos sind die koronare Herzkrankheit, die akute Herzschwäche (z.B. beim Hypertoniker)
und die arrhythmogene Synkope die häufigsten Ursachen einer kardial bedingten Notfallsituation und werden in der Regel selten verkannt.
Ganz anders stellt sich die Situation dar, wenn die drei Leitsymptome Brustschmerz oder
Kurzatmigkeit oder Bewusstseinsstörung nicht auf eine KHK, Linksinsuffizienz oder Rhythmusstörung hinweisen. In dieser Situation ist der erstbehandelnde Arzt gefährdet, sich in „Fallstricken“ fehlgeleiteter Interpretation zu Lasten seines Patienten zu verfangen.
Gerade solche nicht typischen kardialen Notfallsituationen bedürfen vielfach rascher Erkennung, da sie nicht selten scheinbar akut, in Wirklichkeit am Ende einer bisher nicht erkannten
Krankheitssituation stehen und besonders rascher zielgerichteter Pharmakotherapie und/
oder interventioneller Behandlung und/oder eines kardiochirurgischen Eingriffes bedürfen.
Hierzu gehören folgende Erkrankungen mit der Gefahr der primären Fehlinterpretation und
damit bedrohlichen Verzögerung u.U. dringlicher Intervention:
1. Initialer Brustschmerz: Perikarditis mit Tamponade, Aortendissektion, Lungenembolie
2. Plötzliche Kurzatmigkeit: Mitralstenose, Aortenstenose, Mitralinsuffizienz
3. Synkope, TIA, Schwindel – nicht arrhythmogen: Infektiöse Endokarditis,
Vorhofmyxom, Aorten-, Pulmonalstenose, Kardiomyopathie
Die Diagnose der aufgeführten Krankheiten mit der Möglichkeit fehlleitender Symptomatik
erfordern solide klinische Kenntnisse jenseits ärztlicher Alltagsroutine. Die rasche Erkennung ist nur möglich durch gezielte, aber exakte Anamnese (trotz Zeitdrucks!), ordentliche
fachkundige Körperuntersuchung einschließlich Auskultation (deren Kunst zu erlernen zunehmend am Krankenbett schmählich vernachlässigt wird) und schöpferische Phantasie
des Arztes, wenn geläufige Symptome – wie am Beispiel von Brustschmerz, Kurzatmigkeit
und Synkope aufgezeigt – nicht zu der erwarteten Diagnosen passen.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Fallstricke internistischer Notfallmedizin bei kardialen Erkrankungen
Fallstricke zu vermeiden gehört zur ärztlichen Kunst, basierend auf Wissen und souveräner
Beherrschung körperlicher Untersuchung – auch im Notfall.
Abstractband
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52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Fallstricke internistischer Notfallmedizin
bei Infektionserkrankungen
K. Fleischer, Würzburg
Die klinische Beurteilung einer akuten Infektionskrankheit insbesondere nach Tropenrückkehr
wird von vielen in der Praxis oder Klinik tätigen Kollegen/innen als schwierig angesehen. Es
bleibt oft die Unsicherheit, eine für sie ungewöhnliche Erkrankung nicht zu erkennen und in
Diagnostik und Therapie nicht die richtigen Schritte einzuleiten. Darüber hinaus fällt manchmal die Einschätzung der möglichen Infektiosität und die Einleitung der daraus folgenden
Schritte schwer. Auch ohne formales tropenmedizinisches Training kann man eine gewisse Ordnung in eine solche Untersuchung bringen und die Trefferquote von Verdachtsdiagnosen wesentlich erhöhen.
Die Untersuchung umfasst:
· Erhebung der Beschwerden nach den Hauptsymptomen Fieber, Stuhl- und
Miktionsbeschwerden, Kopf- und Gelenkschmerzen, Hautsymptome
·
·
Befragung zum exakten Zeitablauf, Reisegeschichte nach Land und Region,
Reiseart: Hotel oder Rucksacktour, Hygiene- und Prophylaxemaßnahmen,
besondere Speisen wie ungares Fleisch und Fisch
Klinische Untersuchung mit besonderer Beachtung von peripheren Lymphknoten,
Ikterus, Exanthemen, Stichen, Vergrößerung von Milz und Leber und Störung im
Sensorium
Anhand des Schemas werden neun akute Infektionskrankheiten dargestellt.
MALARIA
Beschwerden: Fieber: plötzlich mit Schüttelfrost <4 Wochen nach Rückkehr. Bei M.
tropica unregelmäßig, bei tertiana im Verlauf Wechselfieber (50%).
Schmerzen: Kopf, Muskeln, oft bd. Nieren, Husten.
Darm:
Mäßiger, selten starker Durchfall.
Reise:
Tropen, Moskitostiche, Chemoprophylaxe.
Befund:
Haut: warm. Milz: palpabel. Sensorium: Bei Tropica ab 3.– 5. Tag
Erregbarkeit bis Schläfrigkeit.
ENTERITIS:
Beschwerden:
Schmerzen:
Darm:
Reise:
Befund:
22
Abstractband
> 90 % bakteriell
Fieber: oft nur 1 Tag, bei Typhus und Shigellose ansteigend, anhaltend.
Wenig, Schwäche.
Häufige wässerige Stühle, bei Shigellen mit hellem Blut,
bei Typhus rasch Verstopfung mit Schmerzen.
Ballungsräume in Tropen.
Haut Ø, Milz Ø. Sensorium: bei Typhus getrübt. Leib: Oberbauchvölle.
GIARDIASIS
Beschwerden:
Schmerzen:
Darm:
Reise:
Befund:
Fieber Ø.
Oberbauchvölle innerhalb von 1 bis 3 Monaten.
Weich-wässrige Stühle, Rumoren, Blähungen.
Weltweit, Trinkwasser, Salat.
Haut Ø, Milz Ø. Leib: Oberbauch – Druckschmerz. Sensorium Ø.
DENGUE UND DENGUE HÄMORRHAG. FIEBER (DHF)
Beschwerden: Fieber: plötzlich, anhaltend, ~ 39° C, innerhalb von 1 (max.2) Wochen.
Schmerzen: Kopf, Nacken, Gelenke.
Darm:
Leichte Durchfälle.
Reise:
SO-Asien, Karibik, Küsten O-Afrika und Lateinamerika,
Mosquitostiche tagsüber, in Städten bei DHF wiederholter Aufenthalt und
Fieber.
Befund:
Feines Exanthem, bes. an Extremitäten, überrötete Haut, Dermographismus, bei DHF massenhaft nicht wegdrückbare Blutpunkte, Nasen- und
Zahnfleischbluten.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
AMÖBENRUHR
Beschwerden: Fieber: langsam ansteigend, schubweise.
Schmerzen: Unterbauch.
Darm:
Wenige teils blutig-schleimige Stühle.
Reise:
Straßenessen, Salat.
Befund:
Haut Ø, Milz Ø, bei Leberabszess Leberschmerzen. Sensorium Ø.
VIRUSENCEPHALITIS. FSME; West Nile, Jap. Encephalitis, Murray Valley u.a.
Beschwerden: Fieber: Meist mäßig, wechselnd, innerhalb von 2-14 Tagen.
Schmerzen: Ausgeprägt Kopf hinter Augen; Lichtscheu. In Ohr: Hörstörung.
Reise:
Mosquito- und Zeckenbiss bei “outdoor-activities”, umschriebene
Infektionsregionen.
Befund:
Haut: feines Exanthem, flüchtig, mehr am Stamm. Milz: vergrößert.
Sensorium: rasch beteiligt, Wortfindungsstörungen.
LASSA – Hämorrhagisches Fieber
Beschwerden: Fieber: plötzlich, anhaltend, hoch ~ 40° C, innerhalb von 5-16 Tagen.
Schmerzen: Kopf, Gelenke. Hals: Schluckschmerz. Brustkorb: hinter Sternum.
Trockener Husten. Darm: 1. Woche normal, 2. Woche wässriger Durchfall.
Reise:
Westafrika und Nigeria bis Liberia. Kontakt in Dörfern/Camps mit RattenUrin. Essen auf den Boden, Pflege von Kranken.
Befund:
„nicht beeinflussbares Fieber, Husten, Halsschmerz”.
Haut:
1. Woche normal. 2. Woche Bluten aus Einstichen, in Schleimhäute.
Abstractband
23
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
SANDFLIEGENFIEBER: Pappataci-Fieber
Beschwerden: Fieber: plötzlich, mäßig, innerhalb von 2-6 Tagen
Schmerzen: Deutlich Kopf und Wirbelsäule, “break bone fever”
Darm:
Gelegentlich leichter Durchfall
Reise:
Mittelmeerraum bis Indien. Durch Sandfliegenstiche in Beine (Flughöhe
bis 1 m) besonders vor Sonnenuntergang
Befund:
Kurz, aber kräftig krank. Haut: isolierte Sandfliegenstiche an Beinen,
selten flücht. Exanthem am Stamm. Milz: o.B. Sensorium o.B.
PEST
Beschwerden: Fieber: rasch ansteigend, wechselnd, innerhalb von 2-7 Tagen.
Schmerzen: Überall, besonders Kopf und Brust.
Darm:
Anfangs normal, dann blutig.
Reise:
In benannten Naturpestherden von Indien, China, Zentralasien, O-u. SAfrika, Rocky Mountains (USA), Kontakt mit toten Ratten und deren
Flöhen.
Befund:
Schwerstkrank – septischer Patient. Haut: In Axilla/Leiste: bis eigroße
schmerzhafte Beule (n). Milz: rasch zunehmend. Sensorium: rasch
getrübt.
Fallstricke internistischer Notfallmedizin
bei Lebererkrankungen
A. Holstege, Landshut
Chronische Lebererkrankungen verlaufen zumeist schleichend und werden erst im fortgeschrittenen Stadium symptomatisch. Unabhängig von der Ätiologie der Leberschädigung
endet die chronische Erkrankung unbehandelt fast immer in einer Leberzirrhose. Lebensbedrohliche Situationen in der internistischen Notfallmedizin ergeben sich aus den Komplikationen der Leberzirrhose, die wiederum Folgen der sich entwickelnden por talen
Hypertension sind. Zu diesen Komplikationen gehören die obere gastrointestinale Blutung,
die hepatische Encephalopathie, das hepatorenale Syndrom und der Ascites, der mit und
ohne spontan bakterielle Peritonitis auftreten kann. Bei einer akuten Lebererkrankung wird
selten der Übergang in ein akutes Leberversagen beobachtet, das ein rasches intensivmedizinisches und interdisziplinäres Handeln erfordert.
Hämatemesis,Teerstuhl und auch Hämotochezie stellen klinische Zeichen einer oberen
gastrointestinalen Blutung dar. Die gezielte Therapie erfordert eine weitere diagnostische
Abklärung mittels Endoskopie, da sich hinter diesen Symptomen auch bei einem Patienten
mit Leberzirrhose verschiedene Ursachen verbergen können. Am häufigsten ist die Blutung aus Ösophagus- und Magenvarizen, wobei jedoch weitere mögliche Blutungsquellen
24
Abstractband
Die initiale Blutstillung der akuten Ösophagusvarizenblutung erfolgt gleich während der
endoskopischen Diagnostik mittels Sklerosierung oder vorzugsweise mittels Ligatur. Beide Verfahren sind gleich effektiv mit einer initialen Blutstillungsrate von 80-90%. Die mit
der Ligatur verbundenen Nebenwirkungen sind seltener als bei der Sklerosierung und umfassen oberflächliche Ulzerationen und seltener Stenosierungen des Ösophagus. Nachteilig kann sich für den Untersucher der bei der Ligatur notwendige Aufsatz auf die Spitze des
Endoskops auswirken, da hierdurch das Blickfeld stark eingeengt wird. Vasokonstriktorisch
wirkende Medikamente, wie Terlipressin oder Somatostatin und seine Derivate sollten trotz
der in Studien aufgezeigten ähnlichen Effektivität bei der Blutstillung nie allein sondern
stets in Kombination mit endoskopischen Maßnahmen eingesetzt werden. Über bis zu 5
Tagen nach der endoskopischen Blutstillung verabreicht, reduziert dies Vorgehen den Bedarf
an Bluttransfusionen und erhöht zusätzlich die Wirksamkeit des Eingriffs.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
peptische Ulcera, die portal hypertensive Gastropathie, die gastrale antrale vaskuläre Ektasie (GAVE-Syndrom) und das Mallory-Weiss Syndrom darstellen. Bei Verdacht auf eine
schwere akute Oesophagusvarizenblutung kann bereits vom Notarzt Terlipressin in Kombination mit einem Nitropräparat oder ein Somatostatinderivat verabreicht werden, da dies
nicht nur die Bedingungen für die nachfolgende Endoskopie bessert sondern auch zum
Stillstand der Blutung führen kann. Vor der Endoskopie ist die hämodynamische Situation
des Patienten (Puls, Blutdruck) durch Volumengabe zu stabilisieren, wobei hierfür kristalline Infusionslösungen allein oder auch in Kombination mit Albuminlösungen geeignet erscheinen. Kolloidale Volumenersatzmittel haben den Nachteil einer ungünstigen Wirkung
auf die Blutgerinnung, die Nierenfunktion und das Risiko eine anaphylaktische Reaktion
auszulösen. Für den Blutersatz durch Erythrozytenkonzentrate ist ein Grenzwert nur schwer
festzulegen, da die individuelle Toleranz gegenüber einem Abfall des Hämoglobinwertes
von zahlreichen Faktoren abhängt. Die Grenze, ab der eine Substitution erfolgen sollte, liegt
bei 7-8g/dl, was einem Blutverlust von 25-50% des Ausgangsvolumens entspricht. Eine
Überdosierung sollte vermieden werden, da dies die Rezidivblutung begünstigen kann.
Nach Substitution sollte der Hämoglobingehalt nicht über 9-10 g/dl liegen. Blutverluste von
50-75% des Ausgangswertes erfordern zusätzlich die Gabe von gefrorenem Frischplasma
(FFP). Bei Vorliegen von hepatisch bedingten Gerinnungsstörungen kann dies auch schon
früher erforderlich werden.
Eine weitere allerdings weniger effektive Alternative stellt die Ballonsondentamponade dar.
Der Einsatz der Sengstaken-Blakemore Sonde erfordert Erfahrung und eine intensivmedizinische Überwachung des Patienten. Das Entblocken der Sonde ist häufig mit einer Rezidivblutung verbunden, so dass dieses Verfahren nur bei Versagen einer endoskopischen Therapie oder zur Überbrückung der Zeit, bis zu der eine definitive Maßnahme zur Verfügung
steht, zur Anwendung kommen sollte. Wegen der hohen Mortalität verbietet sich in diesen
Situationen die Anlage eines chirurgischen Notfallshuntes. Als Ausweichmethode hat sich
die Anlage eines transjugulären portosystemischen Stent-Shunts (TIPS) bei Patienten mit
nicht zu schlechter Leberfunktion etabliert.
Abstractband
25
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Fallstricke finden sich nicht nur beim korrekten Einsatz dieser Methoden sondern auch beim
Einsatz der adjuvanten Therapiemaßnahmen, die häufig unterlassen werden. Bei vorhandenem Ascites kann durch die Endoskopie eine spontan bakterielle Peritonitis ausgelöst werden. Bei 13% der Patienten mit notfallmäßiger Ösophagusvarizensklerosierung kam es zu
einer klinisch bedeutsamen Bakteriämie. In einer Metaanalyse erwies sich der Einsatz von
Antibiotika bei Leberzirrhose und oberer gastrointestinaler Blutung statistisch signifikant
gegenüber Placebo in der Häufigkeit von Infektionen, dem selteneren Auftreten einer spontan
bakteriellen Peritonitis und der geringeren Mortalität überlegen. Entsprechend ist die Gabe
von Antibiotika bei akuter Ösophagusvarizenblutung obligat, zumal es Hinweise darauf gibt,
dass Infektionen auch als Auslöser einer Varizenblutung dienen können. Weitere adjuvante
Maßnahmen helfen das Auftreten einer hepatischen Encephalopathie bei oberer
gastrointestinaler Blutung zu vermeiden. Hierzu gehören das möglichst vollständige Absaugen des Blutes aus dem Magen während der Endoskopie und die wiederholte prophylaktische orale oder rektale (Einläufe) Verabreichung von Laktulose.
Schwierigkeiten bereitet häufig die Erkennung einer spontan bakteriellen Peritonitis (SBP),
die initial asymptomatisch oder nur mit einer Verschlechterung der Nierenfunktion oder einer
hepatischen Encephalopathie einhergehen kann. Wichtig ist daher die Probepunktion des
Ascites mit Bestimmung der Leukozyten- oder Granulozytenzahlen, die eine SBP definieren
(Werte > 500/ml bzw > 250/ml). Eine weitere differentialdiagnostische Einordnung des
Ascites ist über die Messung zusätzlicher Parameter im Aspirat möglich. Therapeutisch
empfiehlt sich die Gabe von Cephalosporinen (Cefotaxim, Ceftriaxon) oder Amoxycillin/
Clavulansäure. Die Kombination mit Metronidazol ist wegen der Seltenheit von AnaerobierInfektionen nicht regelhaft erforderlich. Das Ansprechen der Antibiotikatherapie kann an
einem Abfall der Leukozytenzahlen im Ascites durch erneute Punktion nach wenigen Tagen
verfolgt werden.
Bei Patienten mit Leberzirrhose und einer Verschlechterung der Nierenfunktion müssen eine
Infektion und der Einfluss von nephrotoxischen Medikamenten wie NSAR oder Aminoglykosiden ausgeschlossen werden. Auch eine zu forcierte Diuretikatherapie oder ein
Volumenmangel bei gastrointestinaler Blutung können zu einem Kreatininanstieg und
prärenalem Nierenversagen führen. Definitionsgemäß liegt ein hepatorenales Syndrom (HRS)
vor, wenn das Serumkreatinin über 1,5 mg/dl ansteigt oder die Kreatininclearance unter 40
ml/min abfällt. Die therapeutischen Optionen sind in dieser Situation limitiert. Beim Versagen einer Behandlung mit vasokonstriktorisch wirkenden Peptiden (Ornipressin) sollte ein
TIPS oder eine Lebertransplantation zum Einsatz kommen. Dopamin zeigt bei HRS keine
Wirkung.
26
Abstractband
P. W. Reeh, Erlangen
Die Entdeckung der durch Hitzereize aktivierten Ionenströme und die Klonierung der daran
beteiligten Capsaicin-Rezeptorkanäle VR1 und VRL1 aus sensorischen Nervenzellen hat
ein grundsätzlich neues Licht auf die Transduktionsmechanismen geworfen, durch die
Entzündungsmediatoren Nozizeptoren erregen und Schmerz sowohl hervorrufen als auch
aufrecht erhalten. Prostaglandin E2, Histamin, ATP und, am wirksamsten, Bradykinin und
Gewebsazidose bewirken in erster Linie eine dramatische Sensibilisierung der Nozizeptoren
gegen Hitze (bzw. Wärme), die eine Rekrutierung zuvor unempfindlicher Nervenendigungen
mit einschließt. Membranständige Rezeptoren und verschiedene „second-messenger-“Kaskaden, einschließlich cAMP, Calcium-Einstrom und Proteinkinasen, sind an der Vermittlung
der sensibilisiernden Wirkung beteiligt. Verschiedene hitzeaktivierte Ionenkanaltypen, darunter die durch Entzündung rekrutierten Capsaicinrezeptoren, sind das Ziel der Sensibilisierung, die durch Phosphorylierung der Kanalproteine erreicht wird.
Für die Wirkung von Bradykinin und Gewebsazidose kann demonstriert werden, dass die
Nozizeptorschwellen binnen Sekunden bis Minuten in den Bereich der Raumtemperatur
absinken, wodurch die lokale Körpertemperatur zum massiven Reiz wird und Entladungstätigkeit in nozizeptiven Nervenfasern induzieren kann. Diese scheinbar chemisch, aber in
Wahrheit thermisch induzierte Aktivität unterliegt dann einer gewissen Adaptation. Die
Nozizeptorschwellen verbleiben aber unter der Körpertemperatur und zwar infolge sekundärer Prostaglandinsynthese, induzier t z.B. durch Bradykinin. Dadurch werden die
Nozizeptorsensibilisierung und die daraus resultierende Daueraktivität sowie Hyperalgesie
solange aufrecht erhalten, wie die sich gegenseitig in ihrer Wirkung verstärkenden
Entzündungsmediatoren im Gewebe vorliegen.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Pathophysiologie des Schmerzes
Erregung durch thermische Sensibilisierung mag auch als Mechanismus dienen, der die
bisher rätselhaften Hitzenozizeptoren in den Tiefen des Körpers im Falle von Entzündung und
die ektope Erregung in neuropathischen Nerven antreibt. Nicht nur die Nervenendigungen
sondern auch die Fasern selbst antworten nämlich wohlabgestuft auf Azidose sowie noxische
Hitzereize und setzen dabei im peripheren Nerv entzündungsfördernde und gefäßerweiternde
Neuropeptide frei.
Eine vereinheitlichende Theorie zuvor divergierender nozizeptiver Mechanismen könnte neue
Ziele für pharmazeutisch-chemische Entwicklungen liefern sobald die molekularen Grundlagen, hitzeaktivierte Ionenkanäle, identifiziert sein werden.
Abstractband
27
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Besonderheiten der Schmerzdiagnostik und -therapie beim
älteren Patienten
Th. Nikolaus, Ulm
Angaben über die Häufigkeit chronischer Schmerzzustände bei älteren Menschen sind immer noch mit großen Unsicherheiten behaftet. Verlässliche epidemiologische Angaben aus
Deutschland existieren nicht. In amerikanischen und skandinavischen Untersuchungen wird
die Prävalenz bei zuhause lebenden älteren Menschen, die beständige oder rezidivierend
auftretende Schmerzen beklagen, zwischen 25 und 50 % angegeben. Bei Bewohnern in
Alten- und Pflegeheimen liegt die Prävalenz von chronischen Schmerzen noch deutlich höher
als in einer vergleichbaren Alterskohorte, die zuhause lebt. Die Schätzungen reichen von 45
bis 80 % (1).
Ursachen für die stark schwankenden Angaben liegen neben der Einstellung vieler Ärzte
und auch Patienten, die Schmerzen für einen normales Phänomen des Alternsprozesses
ansehen auch in der Tatsache begründet, dass es bisher validierte Instrumente zur Erfassung chronischer Schmerzen bei älteren Menschen nicht gab.
In der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) hat sich deshalb ein
Arbeitskreis „Schmerz und Alter” konstituiert, der ein strukturiertes Schmerzinterview für
ältere Menschen entwickelt und validiert hat. Die Ergebnisse der Pilotphase zeigen, dass
sich das Interview einfach und schnell durchführen lässt und auch für Menschen mit milden kognitiven Störungen geeignet ist (2).
Die Arbeitsgruppe arbeitet gegenwärtig an einem Verlaufsfragebogen, der auf dem strukturierten Schmerzinterview basiert. Der nächste Schritt ist die Entwicklung eines Fremdbeobachtungsinstrumentes für Patienten, die nicht kommunizieren können in Anlehnung
an Entwicklungen in der Pädiatrie zur Erfassung von Schmerzen bei kleinen Kindern. Die
Entwicklung eines solchen Schmerzerfassungsbogens ist dringend erforderlich, da Schmerzen bei demenzkranken Menschen noch weit weniger adäquat behandelt werden als bei
einer nicht demenzkranken Vergleichsgruppe.
Bei der Therapie von chronischen Schmerzen sollten medikamentöse mit nicht medikamentösen Behandlungsverfahren kombiniert werden. Die Empfehlung eines multimodalen
Schmerzkonzeptes zur Therapie chronischer Schmerzen folgt der rationalen Überlegung,
dass mit der Kombination mehrerer Verfahren ein additiver Effekt erreicht werden kann und
sich Nebenwirkungen insbesondere der Pharmakotherapie minimieren lassen. Bei der
medikamentösen Therapie ist zu bedenken, dass es bisher wenig randomisierte Studien
zum Einsatz von Analgetika bei älteren Menschen gibt. Therapiestudien bei den sogenannten alten Alten d. h., bei den über 85-Jährigen, fehlen völlig. Wie wichtig jedoch Untersuchungen auch bei hochaltrigen Menschen sind, zeigt die Entwicklung der COX-2-Hemmer. Sie
führen bei guter gastrointestinaler Verträglichkeit zu einer vermehrten Natriumretention mit
Ödembildung bis hin zur kardialen Dekompensation bei vorbestehender Herzinsuffizienz.
28
Abstractband
Literatur:
1.
Nikolaus Th. Assessment chronischer Schmerzen bei älteren Menschen.
Therap Umsch 1997: 54:340-344
2.
Basler H.-D., Bloem R., Casser H.-R., Gerbershagen H., Griesinger N., Hankemeier U., Hersselbarth S.,
Lautenbacher S., Nikolaus Th., Richter W., Schröter C., Weiß L. Ein strukturiertes Schmerzinterview für
geriatrische Patienten. Schmerz 2001: 15:164-171
3.
Nikolaus Th. Welche Analgetika für alte Patienten? MMW-Fortschr Med 2000: 142:968-972
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Bei der häufig vorbestehenden Multimorbidität ist daher beim Einsatz jedes Analgetikums
sorgfältig auf die möglichen Nebenwirkungen zu achten. Aufgrund der veränderten
Pharmakogenetik und -dynamik sollte jedes Schmerzmittel mit der niedrigsten empfohlenen
Dosis begonnen werden, die Steigerung langsam erfolgen (start low, go slow). Grundsätzlich sollte eine analgetische Therapie folgenden Regeln folgen: by the mouth, by the time, by
the ladder, d.h. die Verabreichung sollte, wenn immer möglich, oral erfolgen, in einem festen
Zeitschema und sich an dem Stufenschema der WHO zur Behandlung von Karzinomschmerzen
orientieren (3). Die medikamentöse Therapie muss in jedem Fall und in Abhängigkeit von der
auslösenden Schmerzursache mit nicht medikamentösen Therapieverfahren kombiniert
werden. Hier haben sich bei älteren Menschen insbesondere die physikalische Therapie, die
Physiotherapie, das Kraft- und Aufbautraining sowie die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) bewährt. Im Einzelfall sind jedoch auch psychologische Verfahren mit
Biofeedback oder Entspannungstechniken wie das autogene Training oder die progressive
Muskelrelaxation nach Jacobsen Erfolg versprechend.
Besonderheiten der Schmerztherapie bei onkologischen Patienten
H. Kappauf, Nürnberg
1. Schmerz ist nicht nur eine körperliche Empfindung
Bereits vor knapp einem Viertel Jahrhunder t schrieb der renommier te Pionier der
onkologischen Schmerztherapie, der Oxford-Professor Robert Twycross: „Es gibt viele Gründe für eine ungenügende Schmerzlinderung, aber vielleicht ist einer der wichtigsten das
ungenügende Verständnis von Ärzten und Schwestern, dass Schmerz nicht nur eine körperliche Empfindung ist.”
Bei der Schmerzanalyse müssen unterschieden werden zwischen einem Schmerzreiz, der
bewussten Schmerzwahrnehmung, dem damit verbundenem, durch individuelle Bedeutungsgebungen moduliertem Schmerzerleben und dem Schmerzverhalten. Allein letzteres weist auf die Existenz von Schmerzen hin. Schmerzreiz, Schmerzwahrnehmung, Schmerzerleben, Schmerzintensität und Schmerzverhalten sind jedoch keineswegs streng miteinander korreliert.
Abstractband
29
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
2. Krebs ist mit Schmerz assoziiert
Bis zu 50% aller Patienten, bei denen eine Tumorerkrankung diagnostiziert wird, leiden
unter Schmerzen. Bei fortgeschrittener Krankheit steigt der Anteil auf 70 –80%. Schmerz
bedeutet in vielen Sprachen schlicht das „Böse”. Es verwundert somit nicht, dass maligne
(„bösartige”) Erkrankungen von vielen Menschen mit quälenden Schmerzen gleichgesetzt
werden. Dementsprechend ist der Wunsch Krebskranker nach aktiver Sterbehilfe am häufigsten durch unkontrollierbar erlebte oder zukünftig befürchtete Schmerzen motiviert. Da
Krebserkrankungen von Patienten mit unkontrolliertem Wachstum assoziiert werden, ist
für sie die Erfahrung einer befriedigenden Schmerzkontrolle eine wichtige Bewältigungshilfe.
3. Schmerz ist nicht die Krankheit
Bei Tumorkranken sind etwa zwei Drittel der Schmerzsyndrome unmittelbar tumorbedingt
(z.B. Knochenmetastasen). Daneben finden sich Schmerzzustände tumorassoziiert (z.B.
bei Lymphödem, Herpeszoster) oder therapiebedingt (z.B. Mukositis, Paravasate, toxische
Neuropathien, Skelettschmerzen bei G-CSF Therapie). Außerdem finden sich gerade bei
multimorbiden älteren Tumorpatienten sehr häufig vorbestehende oder neu aufgetretene tumorunabhängige Schmerzen (z.B. degenerative Skelettschmerzen, Glaukom, Angina pectoris).
Dementsprechend klagen die meisten onkologischen Patienten gleichzeitig oder im Krankheitsverlauf über verschiedene Schmerzarten. Eine genaue Schmerzanalyse ist wichtig,
besonders wenn Patienten über neue, verstärkte oder therapierefraktäre Schmerzen klagen.
Häufige psychosoziale Begleitumstände einer Krebserkrankung, wie beispielsweise Angst,
Schlafstörungen, Depression, Trauer oder soziale Isolation, verstärken die individuelle
Schmerzwahrnehmung, so dass selbst ohne Krankheitsprogredienz die Schmerzintensität
zunehmen kann. Eine befriedigende onkologische Schmerztherapie muss sich somit um
eine allumfassende Symptomkontrolle bemühen und die einzelnen Symptome als miteinander verwobene multidimensionale Konstrukte verstehen. Nicht-pharmakologische Maßnahmen der Krankenpflege, physikalischen Therapie oder der psychosozialen und spirituellen
Beratung und Begleitung können die Symptomkontrolle sehr hilfreich unterstützen.
Die Behandlung Tumorkranker muss auf ihr Gesamtbeschwerdebild ausgerichtet sein. Bei
gegebener Indikation wird eine tumorspezifische Behandlung gleichzeitig mit der symptomatischen Therapie durchgeführt. Tumorspezifische Maßnahmen (Chemo- oder Hormontherapie, Bestrahlung, chirurgische Eingriffe zur Entlastung oder Stabilisierung) beseitigen in vielen Krankheitssituationen die Schmerzursache, so dass dann oft die analgetische
Medikation beendet werden kann.
4. Das Schmerzerleben Krebskranker spielt sich nicht an Nozizeptoren ab
Eine erfolgreiche Schmerztherapie bei onkologischen Patienten erfordert selbstredend ein
differenziertes pathophysiologisches Verständnis der Schmerzentstehung und eingehende pharmakologische Kenntnisse. Gleichzeitig muss aber realisiert werden, dass sich das
Schmerzerleben Krebskranker nicht an Nozizeptoren abspielt, sondern mit ihren Vorstellungen und individuellen Bedeutungszuschreibungen verbunden ist.
30
Abstractband
5. Nozizeptiver oder neuropathischer Schmerz?
Nozizeptive und neuropathische Schmerzen lassen sich zumeist bereits durch die Schmerzanamnese und die klinische Untersuchung differenzieren. Auch wenn sich bei vielen Tumorpatienten mehrere Schmerzformen kombinieren, ist diese Unterscheidung behandlungsrelevant. Neuropathische Schmerzen erfordern frühzeitig und langfristig ein die Schmerzverarbeitung modulierendes Ko-Analgetikum in ausreichender Dosierung.
6. Dauerschmerz und / oder Durchbruchschmerz?
Die meisten Schmerzzustände bei Tumorpatienten entsprechen Dauerschmerzen, die eine
ausreichende analgetische Dauermedikation erfordern, solange die Schmerzursache gegeben ist. Dauerschmerzen sind jedoch eher selten in ihrer Intensität stabil. Bei gewissen
Aktionen (z.B. Bewegungen, Hustenattacken, Nahrungsaufnahme bei Mukositis) oder auch
ohne erkennbaren Auslöser können Schmerzspitzen, sogenannte Durchbruchschmerzen,
auftreten. Während sich bei Dauerschmerzen Arzneimittel, die das Analgetikum verzögert
freisetzen (Retard-Prinzip), sehr bewährt haben, sind derartige galenische Zubereitungen
für die rasche Kontrolle von Akut- und Durchbruchschmerzen ungeeignet.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Empirisch abgesichert ist der Schmerz vieler Krebskranker nicht nur eine Aussage über
körperliche Beschwerden, sondern auch über ihre aktuelle psychische Befindlichkeit und
ihre Sorge, dass die Krankheit fortschreitet. Direkt tumorbedingte Schmerzen haben im
Schmerzerleben eine andere Bedrohlichkeit als Schmerzen, die therapieassoziiert oder
unabhängig von der onkologischen Grundkrankheit gewertet werden. Damit gewinnt die
therapeutische Beziehung und vor allem die gute Kommunikation zwischen Patient, Ärzten,
anderen Therapeuten, Pflegenden und Angehörigen eine große Bedeutung für die befriedigende Schmerztherapie. Denn Missverständnisse, eine unbegründet fatalistische Krankheitssicht und angstbesetzte Vorstellungen zur Schmerztherapie behindern häufig deren konsequente Umsetzung und protrahieren unnötiges Leiden.
Für Durchbruchschmerzen bei einer wirksamen Basisanalgesie mit Non-Opioiden (WHO
Stufe I) ist ein nicht verzögert freigesetztes Opioid (Stufe II oder III) sinnvoll. Denn NonOpioide haben ein schmales therapeutisches Fenster, das Dosissteigerungen begrenzt.
Von einer Kombination von verschiedenen Non-Opioiden ist aus Toxizitätsgründen abzuraten. Bei einer Basisanalgesie mit Opioiden ( WHO Stufe II oder III) erfolgt die Behandlung
von Durchbruchschmerzen mit dem gleichen Opioid, oder einem Opioid mit gleichem OpioidRezeptor-Verhalten, in einer rasch wirksamen Aufbereitung. Denn Opioide der Stufe II (z.B.
Tilidin, Tramadol, Codein, Dihydrocodein ) haben ein größeres, Opioide der Stufe III (z.B.
Morphin, Fentanyl, Hydromorphon) sogar ein praktisch unbegrenztes therapeutisches Fenster. Zu vermeiden ist dabei eine Kombination von unterschiedlichen Opioiden der Stufe II,
die Kombination von Opioiden der Stufe II mit denen der Stufe III und die Kombination von
Opioiden der Stufe III mit unterschiedlichen Rezeptor-Verhalten (z.B. Buprenorphin mit anderen Opioiden). Denn derartige Kombinationen vermindern die Schmerzwirkung, steigern
aber Nebenwirkungen.
Abstractband
31
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Die Einzeldosis bei Durchbruchschmerzen soll bei oraler, rektaler, oder transdermaler Verabreichung etwa 1/6 der bisherigen Tagesdosis entsprechen, bei parenteraler Basisanalgesie
können jeweils 10-20% der Tagesdosis zusätzlich gespritzt werden.
Analgetika-Aufbereitungen mit sehr verzögerter Wirkstofffreisetzung, z.B. Membranpflaster,
sind für die terminale Krankheitssituation ungeeignet, da sie keine flexible Dosissteuerung
erlauben.
7. Ko-Analgetika und Begleitmedikamente
Bei einer gleichzeitigen tumorspezifischen immunsuppressiven Therapie muss stets berücksichtigt werden, dass Non-Opioide und Steroide als Ko-Analgesie die typischen Anfangssymptome von lebensbedrohlichen Infektkomplikationen kaschieren können.
Nachdem Abgeschlagenheit und Müdigkeit zu den häufigsten Klagen von Krebskranken
gehören, sollten Sedativa nur sehr überlegt ko-analgetisch verwendet werden. Davon ausgenommen ist die gezielte Behandlung von Schlafstörungen und Angst.
Obligat ist die Obstipationsprophylaxe bei einer Therapie mit Opioiden. Mittel der 1. Wahl
sind antiresorptiv und hydragog wirkende Laxantien (z.B. Bisacodyl, Na-Picosulfat) evtl.
kombiniert mit Gleitmitteln (Paraffin) und Laxantien, die auf den Defäkationsreflex wirken
(z.B. Glycerin- und Bisacodyl-Suppositorien).
Zu Beginn einer Opioid-Therapie treten in etwa 20-40% der Patienten Nausea und Emesis
auf. In den ersten 7 bis 14 Tagen ist somit eine präventive antiemetische Prophylaxe (z.B.
Haloperidol 3 x 0,5 mg/d) anzuraten.
Opioid-induzierte Alpträume oder Halluzinationen werden von vielen Patienten als sehr traumatisch erlebt, oft jedoch fehlgedeutet und verschwiegen. Sie sollten deshalb gezielt erfragt werden. Die Opioid-Medikation muss keineswegs abgesetzt werden, da unter einer
Begleitmedikation (z.B. abends Lorazepam oder Haloperidol) die Alpträume nicht mehr
auftreten.
8. Schmerztherapie in besonderen onkologischen Krankheitssituationen
8.1 Inoperable enterale Obstruktion (Ileus)
Bei Schmerzen sollen Opioide in ausreichender Dosierung eingesetzt werden, bei Koliken
zusätzlich Metamizol (6g/d), Antiemetika, und eventuell zusätzlich N-Butylscopolamin (6080 mg/d) wegen seiner antisekretorischen Wirkung. Bei hohem Verschluss können auch
Octreotid und Protonenpumpenhemmer die Volumenbelastung des Darmes und damit verbundene Schmerzen mindern.
In der Subileussituation lässt sich mit hochdosierten Kortikosteroiden und anschließend
Prokinetika und Cholinergika oft über Wochen eine Stabilisierung erreichen.
8.2 Respiratorische Probleme in der Terminalphase
Bei opioidgewöhnten Patienten kann bei belastender Dyspnoe die bisherige analgetisch
32
Abstractband
Terminales Rasseln („Todesrasseln”) wird von begleitenden Angehörigen auch bei
bewusstlosen Patienten häufig als qualvoller Todeskampf erlebt. Hier können Anticholinergika
(z.B. N-Butylscopolamin) die Sekretbildung hemmen. Eine geeignete Lagerung ist meist
hilfreicher und für den Patienten weniger belastend als wiederholtes Absaugen.
9. Zusammenfassung
· Die meisten Krebskranken fürchten anhaltende Schmerzen mehr als den Tod.
Somit sind starke Schmerzen als onkologischer Notfall zu werten.
· Weitere Ängste Krebskranker beziehen sich auf Kontrollverlust und Abhängigkeit.
Patienten in die Lage zu versetzen, ihre Schmerzen und Schmerztherapie selbst zu
kontrollieren, ist deshalb eine entscheidende Hilfestellung zur Krankheitsbewältigung.
· Bei der kompetenten Schmerztherapie ist die Angst vor Opioid-Abhängigkeit unbegründet.
· Schmerzen und andere häufige Symptome Krebskranker sind miteinander
verwobene multidimensionale Konstrukte.
· Die Schmerztherapie Tumorkranker muss eingebunden sein in ein berufsgruppenübergreifendes Gesamtbehandlungskonzept.
· Dauerschmerzen erfordern eine Dauertherapie, solange die Schmerzursache anhält.
· Die WHO-Stufenleiter der Schmerztherapie hat sich in der onkologischen Schmerztherapie bewährt. Wichtigstes Ziel ist jedoch immer die rasche Schmerzkontrolle, so
dass besonders bei intensiven oder komplexen Schmerzen die Stufenleiter keineswegs immer von unten durchlaufen werden soll.
· Patienten, die Analgetika mit verzögerter Wirkstofffreisetzung einnehmen, benötigen
bei Durchbruchschmerzen zusätzlich ein rasch wirksames Schmerzmittel (Einzeldosis 10-20% der Tagesdosis parenteral oder 1/6 der oralen Tagesdosis peroral).
· Falls unter oralen Opioiden mit verzögerter Wirkstofffreisetzung eine 8-stündliche
Gabe nicht zu einer befriedigenden Schmerzkontrolle führt, ist die Einzeldosis zu
erhöhen, nicht die Verabreichungshäufigkeit.
· Auf Grund der Dosis-Wirkungsbeziehung von Opioiden ist bei ungenügender
Schmerzkontrolle eine geringere Dosissteigerung als von jeweils 30–50% nicht
erfolgversprechend.
Abstractband
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
ausreichende Opioid-Tagesdosis – außer im sehr hohen Dosisbereich - unter Berücksichtigung der Klinik um 50% gesteigert werden. Akut wird z.B. Morphin in einer Dosis von 10-20%
der bisherigen Tagesdosis s.c. oder i.v. verabreicht. Bei opioidnaiven Patienten können akut
jeweils 5-10 mg Morphin s.c oder i.v. gegeben werden. Bei angstbedingter Verschlechterung
der Atemökonomie ist Lorazepam (z.B. 1mg bukkal), oder Promethazin oder Midazolam als
Kurzinfusion nach Effekt sinnvoll.
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52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
·
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Zu einer befriedigenden onkologischen Schmerztherapie gehört unabdingbar der
differenzierte und ausreichende Einsatz von Ko-Analgetika und Begleitmedikamenten,
insbesonders gegen Übelkeit, Obstipation und eventuell opioidbedingten Alpträumen.
Durch den differenzierten und kombinierten Einsatz von Non-Opioiden, Opioiden,
Ko-Analgetika und nicht-pharmakologischen Maßnahmen der Schmerztherapie im
Sinne einer „Breitband-Analgesie” (R. Twycross) läßt sich auch bei unheilbaren
Tumorleiden in nahezu allen Fällen eine ausreichende Schmerzkontrolle erzielen.
Grenzen der Selbstmedikation
E. Martin, Marktheidenfeld
Die Kopfschmerztherapie ist eine Domäne der Selbstmedikation. Die Selbstbehandlung dominiert nicht nur bei der Therapie akuter Kopfschmerzen, sondern geht auch bei chronischen
Schmerzzuständen vielfach der ärztlichen Therapie in großem Umfang parallel. Eine unkritische Selbstmedikation bietet eine ganze Reihe substantieller Risiken, angefangen von einer
Missachtung bestehender Kontraindikationen und der Verschleppung einer ärztlichen Diagnose bei schwereren, für eine Selbstmedikation nicht in Betracht kommenden Krankheitsbildern. Bestehende Grunderkrankungen können ebenso nachteilig beeinflusst werden wie
die Wirksamkeit einer ärztlich verordneten Begleitmedikation. Zu nennen sind schließlich
auch noch die volkswirtschaftlich bedeutsamen Folgen eines Analgetika-Missbrauchs, allen voran der medikamenteninduzierte Dauerkopfschmerz und die Analgetika-Nephropathie.
Für den Apotheker ergibt sich hieraus eine sehr große Verantwortung und eine ganzes Bündel
wichtiger Aufgaben bei der abgabebegleitenden Beratung. Wesentlich ist einmal ein
Ausschluss der wichtigsten Gegenanzeigen und eine konsequente Umsetzung aktueller
Therapieempfehlungen auch in der Selbstmedikation. Eine strikte Beschränkung auf eine
kleine Zahl von Monopräparaten (Acetylsalicylsäure, Ibuprofen und Paracetamol) ist die
Voraussetzung für eine individualisierte Auswahl und Empfehlung. Präzise Dosierungs- und
Einnahmehinweise sollen nach Möglichkeit einen raschen Wirkungseintritt und eine
verlässliche Kupierung von Schmerzen gewährleisten. Die nicht-medikamentösen
Behandlungsformen (Vermeidung von Auslösern, Entspannungstechniken etc.) sollen propagiert und die Patienten bei allen mehr als nur sporadischen Schmerzzuständen zur Führung eines Kopfschmerztagebuchs motiviert werden.
So wichtig es ist, derartige Forderungen zu formulieren, kann man die Augen nicht davor
verschließen, dass sie in der beruflichen Praxis bislang nur unzureichend umgesetzt werden. Dies liegt zum einen an den ungünstigen Rahmenbedingungen, den sehr beiläufigen,
wenig Vertraulichkeit und wenig Spielraum für eine ausführliche Beratung bietenden Kundenkontakten. Die geschilderte individuelle Auswahl wird durch die starke Bindung an konkrete Präparate erschwert und die Bezugnahme auf konkrete Risiken einer Selbstmedikation
durch eine im Vergleich zur ärztlichen Therapie sehr viel unkritischere Risikobewertung
34
Abstractband
Suchtmedizin: Suchtpatienten in der Praxis (wie erkenne ich – was tue
ich bei Verdacht – wie gehe ich um)
M. Niederberger, Ottobrunn
In der Praxis werden Ärzte fast jeder Fachrichtung mit Suchtpatienten konfrontiert. Meist
kommen sie nicht freiwillig, werden von Angehörigen oder Institutionen gedrängt. Die Patienten haben dabei keine oder nur bedingte Krankheitseinsicht und erschweren oder verhindern durch Abwehrstrategien, wie Krankheitsverleugnung oder Bagatellisierung, eine
weitere Hilfe durch den Arzt.
Die Wahrnehmung dieser Verhaltensmuster und das Erkennen körperlicher und
psychosozialer Symptomatik ermöglichen mit Hilfe von Gesprächsinteraktionen, Fragebogentests und Laboruntersuchungen eine frühe Diagnosestellung zur Einleitung weiterer
therapeutischer Maßnahmen.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
konterkariert. Auf dem Arzneimittelmarkt spielen Altzulassungen und problematische
Kombinationspräparate noch immer eine wichtige Rolle. Auch wenn sich der Verdacht eines
missbräuchlichen Analgetika-Gebrauchs für den Apotheker meist eher ergibt als für den
betreuenden Arzt (Umfang des Analgetikakonsums, Vorratshaltung, Verschleierung), ist es
sehr schwierig, den Patienten für die Sachverhalte zu sensibilisieren und mit der Zielsetzung
einer Entzugstherapie zum Arztbesuch zu motivieren. Um Vertrauen zu schaffen und den
Patienten an einen erfahrenen Schmerztherapeuten vermitteln zu können, ist eine offene und
konstruktive Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker unerlässlich.
Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung
G. Gensthaler, München
Die wegen ihres Abhängigkeits- bzw. Missbrauchpotentials den einschlägigen deutschen
Vorschriften unterstellten Stoffe unterschiedlichster chemischer Konstitution, wie pharmakologischer Wirkung und deren Zubereitung werden aus historischen Gründen als „Betäubungsmittel” bezeichnet und sind in Ermangelung einer allgemeingültigen Definition in den
Anlagen zu § 1 Abs. 1 Betäubungsmittelgesetz im Einzelnen aufgeführt.
§ 13 Abs. 3 Betäubungsmittelgesetz führt aus, „Die Bundesregierung wird ermächtigt ... das
Verschreiben von den in Anlage 3 bezeichneten Betäubungsmitteln, ihre Abgabe auf Grund
einer Verschreibung und das Aufzeichnen ihres Verbleibes und des Bestandes bei Ärzten und
Apotheken ... zu regeln.”
Abstractband
35
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Diese Regelung wird in der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung vorgenommen.
Durch diese Verordnung werden für Ärzte und Apotheker wichtige Bereiche geregelt, als da
sind:
· Verschreiben durch Arzt, Zahnarzt und Tierarzt mit Angabe der jeweils festgesetzten Höchstmenge,
· Verschreiben eines Substitutionsmittels,
· Verschreiben für Einrichtungen des Rettungsdienstes und für Kauffahrteischiffe,
· das Betäubungsmittelrezept und die notwendigen Angaben darauf,
· der Betäubungsmittelanforderungsschein und die notwendigen Angaben darauf,
· die Abgabe und die Nachweisführung
· sowie Straftaten und Ordnungswidrigkeiten.
Am 25. Juni 2001 ist die 15. Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnung vom 19. Juni
2001 veröffentlicht worden. Sie ist – ausgenommen der Regelungen über das Substitutionsregister und der suchttherapeutischen Qualifikation substituierender Ärzte – am 1. Juli 2001
in Kraft getreten.
Mit der Verordnung wurden u. a. Änderungen in den Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes
und der Vorschriften über das Verschreiben von Substitutionsmitteln in der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung mit dem Ziel ergänzt und präzisiert, die Sicherheit beim Umgang
mit diesen betäubungsmittelhaltigen Arzneimitteln zu erhöhen, die Qualität der substitutionsgestützten Behandlung zu verbessern und deren Durchführung praktikabler zu gestalten.
Suchtmedizin – Therapeutische Möglichkeiten
H. Henninger, Nürnberg
In den letzten Jahren kam es in der Behandlung von Suchterkrankungen zur Veränderung
verschiedener bisher gültiger oder als wesentlich betrachteter Paradigmen. Dies betrifft die
Abkehr vom Abstinenzprinzip als wesentliches oder gar einziges Therapieziel ebenso wie
das Dogma des Verzichts auf jegliche medikamentöse Behandlung oder Beeinflussung der
Sucht. Verschiedene Überzeugungen müssen in das Reich der Mythen verwiesen werden,
beispielsweise die Überzeugung, dass alle Versuche, den Ablauf der Erkrankung zu beeinflussen, unwirksam sind, dass ein spezieller Behandlungsansatz allen anderen überlegen ist
oder dass alle Behandlungsansätze letztlich die gleiche Wirkung haben. Mittlerweile wird
eine Hierarchisierung und Flexibilisierung der Therapie angestrebt. Der Grundgedanke der
„Harm Reduction” zielt auf eine situationsangemessene Symptomminimierung unter Sicherung des Überlebens und Verhinderung sozialer und körperlicher Desintegration. Interventionen müssen phasenbezogen erfolgen. Auf der Grundlage des Phasen-Interventionsmodells
nach Prochaska und Di Clemente werden die Phasen der Vorahnung, der Überlegung, der
36
Abstractband
Das Suchthilfesystem muss in diesem Zusammenhang individuell nutzbare Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stellen. Dies spiegelt sich in einer partiellen Abkehr vom lange Zeit gültigen Königsweg, Entgiftung, Entwöhnung, Nachsorge. Neben der klassischen
Langzeittherapie (6 Monate) stehen Konzepte der Kurzbehandlung (6 bis 12 Wochen) und
der mittleren Dauer (4 bis 5 Monate) zur Verfügung. In Einzelfällen können ambulante
Entgiftungen durchgeführt werden. Verschiedentlich werden Programme zum kontrollierten Trinken angeboten. Niederschwellige Angebote sollen die Akzeptanz der Suchthilfeinstitutionen erleichtern. Das Konzept der Schadensminderung muss Probleme der akuten
Entgiftung berücksichtigen. Dabei hat eine qualifizierte Entgiftung neben Behandlung von
Entzugssymptomen und Verhinderung von Komplikationen auch motivationale Aspekte mit
einzubeziehen. Als etabliert kann auch die Durchführung einer Substitutionsbehandlung
insbesondere der Opiatabhängigkeit unter Berücksichtigung der entsprechenden Richtlinien und Indikationen gelten.
Die Rückfallprophylaxe gewinnt unter dem Gesichtspunkt des Rückfallmanagement einen
neuen Stellenwert. Verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Methoden beziehen sich u.a. auf
die Erkennung und Vorwegnahme kritischer Situationen sowie den Erwerb sinnvoller Strategien zur Vermeidung und Bewältigung etwaiger Rezidive. Das Konstrukt des Craving
führt in diesem Zusammenhang auch zur Anwendung sog. Anti-Cravingsubstanzen. In
Planung und Durchführung der Therapie werden zunehmend Komorbiditäten berücksichtigt. Dies betrifft auch das Vorhandensein weiterer psychiatrischer Störungen, beispielsweise Angststörungen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen oder psychotische Störungen.
Das Vorliegen einer zusätzlichen psychischen Störung beeinflusst wesentlich den Verlauf
der Sucht und erfordert in der Regel eine spezifische Behandlung.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Entscheidung, der Handlung, der Aufrechterhaltung und des Rückfalls unterschieden. Ein
besonderes Gewicht gilt der Erlangung einer Einsicht in die Grunderkrankung. Dabei kommt
der Motivationsbehandlung eine bedeutende Rolle zu. Diese erfordert einen empathischindividuellen Zugang zum Patienten. Über das Ziel möglichst langer Abstinenzphasen soll
eine dauerhafte Abstinenz langfristig angestrebt werden.
Substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger
F. Tretter, Haar
Vorbemerkung
Die äußerst komplexen Verhältnisse bei Behandlung von Drogenabhängigen (hier: Opiatabhängigen) erfordert ein bestimmtes Maß an suchtmedizinischen Kenntnissen (vgl. Tretter
2000), das grundlegend nur über die Teilnahme an Qualifikationskursen der Landesärztekammern erworben werden kann. Bei ausreichenden speziellen Erfahrungen kann der Kurs
erlassen werden, die Kriterien sind noch nicht bekannt.
Abstractband
37
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Der folgende Beitrag kann daher das Thema auch im Grundlegenden nicht ausreichend
erfassen, weshalb hier auf die von der Bayerischen Akademie für Suchtfragen erstellte
und von dem Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit finanzierte Broschüre „Leitfaden für Ärzte zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger” hingewiesen wird.
Sie kann über die Bayerische Akademie für Suchtfragen in Forschung und Praxis e.V. München, Landwehrstr. 62-62, 80799 München (Email: [email protected]) bestellt werden.
1. Indikation zu Substitutionsbehandlung
Die Behandlung Opiatabhängiger mit einem Substitutionsmittel wie Methadon ist nach der
wissenschaftlichen Auffassung der Bundesärztekammer zulässig, wenn sie dem Ziel der
Abstinenz dient. Ein umfassendes Behandlungskonzept (psychosoziale Aspekte) muss der
Substitution zugrunde liegen.
Die Verordnung eines Opiates ist darüber hinaus auch nach dem Betäubungsmittelrecht
geregelt, wobei Verletzungen dieser Regeln unter Umständen strafrechtliche Konsequenzen für den Arzt haben können.
Schließlich bestehen für die Finanzierung der Substitution kassenrechtliche Einschränkungen. Dazu einige Vertiefungen:
Nach dem § 27 SGB V ist das „.. alleinige Auswechseln des Opiats keine Substitutionsbehandlung ...”, daher handelt es sich nicht um eine GKV-Leistung. Erst nach Erstellen
eines umfangreichen Behandlungskonzeptes ist eine Finanzierung durch die Kassenärztliche Vereinigung zulässig.
In der Novellierung der neuen, d.h. 15. BtMÄndV vom 1.7.01 sind folgende Punkte festgehalten:
· bei Codein/Dihydrocodein besteht eine strenge Indikation nicht nur bei Opiatabhängigen sondern auch bei Alkoholabhängigen (auch Erhöhung der Höchstverschreibungsmenge: 40 g), da sich diese Praxis ausgeweitet hat und wissenschaftlich noch ungesichert ist.
· für das seit 1.1. 2000 zugelassene Buprenorphin gilt 720 mg als Höchstverschreibungsdosis, bei Schmerztherapie 150 mg
· eine Meldung an das Substitutionsregister ist erforderlich (ab 1.7. 2002)
· die Qualifikation in „suchtmedizinischer Grundversorgung” ist erforderlich
(bei n< 3 Pat => kein Nachweis erforderlich, aber Supervision via Konsilarius
muss 1x/Q erfolgen; ab 1.7.02)
· in der Regel sind wöchentliche ärztliche Konsultation anzustreben, sie sind nicht
mehr obligat
· auch Buprenorphin und LAAM (Cave: Zulassungswiderruf!) sind zugelassen; DHC/
Codein ist Substitutionsmittel der zweiten Wahl
38
Abstractband
·
·
·
·
Substitutionsmittel dürfen nicht für parenterale Verabreichung verordnet werden,
sie sollen auch als nichtinjizierbare Zubereitung von Fertigarzneimitteln via
Apotheke verteilt werden
weiterhin ist keine Mitgabe vom Arzt her erlaubt
eine Vordatierung des Rezepts ist nicht zulässig
die Einweisung der Personen, die Vergabe realisieren (z.B. in Apotheken) ist vom
Arzt nicht persönlich, sondern auch durch Schulung der Betreffenden möglich
Take-home Verordnung ist weiterhin für max. 7 Tage möglich, wenn kein Beikonsum
gefährlicher Substanzen bzw. kein Missbrauch u. stabile Dosis vorliegt (Urlaub:
1x bis zu 30 Tage pro 1 Behandlungsjahr)
Für die Finanzierung der Substitution durch die kassenärztliche Vereinigung gibt es eine
Indikationsdauer nach Krankheitsgruppen:
1. unbefristet bei schwersten Erkrankungen: maligne Tumoren, HIV-Infektion, HCV
2. für 12 Monate: rezidiv. Abszesserkrankung, rez. Pneumonien, Tbc, psychiatrische
Komorbidität, Schwangerschaft u. bis zu 6 M nach Geburt
3. für 6 Monate: Herstellung stationärer Behandlungsfähigkeit, Überbrückung zwecks
Entzug
Zusätzlich: drogenfreie Therapie kann aus medizinischen Gründen nicht durchgeführt werden, Stabilisierung kann erreicht werden, durch allmähliches Herabdosieren kann Drogenfreiheit erreicht werden.
Kontraindikationen bestehen bei:
· Opiatabhängigkeit weniger als 2 Jahre
· fehlende Vorbehandlung wegen schwerwiegenden Beigebrauchs von Alkohol,
Benzodiazepinen od. and. Stoffen, soweit dieser Beigebrauch der Substitution
entgegensteht
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
·
Es muss schließlich ein Antrag über die KV erfolgen, die dann durch eine Kommission über
den Antrag entscheidet.
2. Diagnostik
Die Untersuchung muss folgende Aspekte erfassen:
· Nachweis der Opiatabhängigkeit per Anamnese, Untersuchung und Urinscreening
· Motivationsdiagnostik (z. B. per Plausibilitätsprüfungen)
· Begleiterkrankungen
· Psychopathologie
· insbes. psychiatrische Komorbidität (per Facharzt)
· Schwangerschaft
· EKG
Abstractband
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52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
·
·
·
·
Tinetest
allg. Labor
Infektionserkrankungen (HIV, HCV, Lues, etc.)
soziale Anamnese inkl. juristische Belastungen
Die Besonderheiten des Urinscreenings bestehen darin, dass der Urin möglichst unter
Sicht abgenommen und sofort in Hinblick auf Temperatur und Farbe überprüft werden
soll.
3. Therapiebeginn
Behandlungsvertrag inkl. Abbruchbedingungen
Ankopplung an psychosoziales Begleitprogramm (falls erforderlich m. E. Nichterfordernis begründen)
· Dosisfindung
· 30 mg Methadon (1% -Lösung) initial bei gesicherter Opiatabhängigkeit
· Aufklärung über Pharmakokinetik
· Beikonsumaufklärung
·
·
4. Therapiekontrolle
Die Hauptaufgabe besteht darin, eine Überwachung der vereinbarten Maßnahmen zu gewährleisten. Schließlich kann eine Take-home Verordnung vorgenommen werden. Voraussetzung ist, dass kein die Substitution gefährdender Beikonsum vorliegt, was über klinische Kontrollen und über Urinkontrollen überwacht wird.
5. Probleme
Es bestehen in der gegenwärtigen Debatte mehre Probleme
· Drogentod durch Methadon durch unzulängliche Qualität der Substitution
· besondere Aufgaben bei Schwangeren u. Müttern
· Problematik in Einzelfällen, Jugendliche zu substituieren (Cave: Fall-KonsensusKonferenz!)
6. Perspektiven
Einsatz von Buprenorphin (vgl. Soyka et al. 2000) zeigt mehrere Vorteile gegenüber
Methadon (weniger Nebenwirkungen, weniger sedierend usw.) jedoch „entweder
oder”, da Schwierigkeiten beim Umstellen (Wirkprofil, Wirkzeit, Entzugssymptome)
·
Literatur
BAS (2000): Leitfaden für Ärzte zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger,
Bayerische Akademie für Suchtfragen in Forschung und Praxis, München
Soyka, M. et al. (2000): Empfehlungen zur Anwendung von Buprenorphin (Subutex) in der Substitutionsbehandlung opioidabhängiger Patienten in der Schweiz, Österreich und Deutschland. Suchtmedizin Forschung
Praxis 2(1):43-53
Tretter, F. (2000): Suchtmedizin. Schattauer, Stuttgart
40
Abstractband
Ch. Fahrmbacher-Lutz, Augsburg
Der Entstehung einer Suchterkrankung, auch einer Opiatabhängigkeit, liegt ein multifaktorielles
Geschehen zugrunde. Aus diesem Grunde spricht sehr viel für einen Therapieansatz, der
dies berücksichtigt, der also andere Disziplinen in die Behandlung einbindet.
Die interdisziplinäre Kooperation bei der Substitution bietet für alle Beteiligten Vorteile. Vor
allen aber die Ärzte können davon zum Wohle ihrer Patienten profitieren.
Die Betäubungsmittel Verschreibungsverordnung (BtMVV) als rechtlicher Rahmen für eine
Substitution betont die Verantwortung des Arztes für das Therapiekonzept und nennt eine
bloße „Opiaterhaltungstherapie” ohne entsprechenden auf Abstinenz und Lebenskompetenz
ausgerichteten Behandlungsplan unzulässig. Sie verlangt deshalb vom Arzt die Einbeziehung erforderlicher „psychiatrischer, psychotherapeutischer oder psychosozialer Maßnahmen” in seinen Behandlungsplan und die Dokumentation entsprechend veranlasster Mitbehandlungen. Sie gibt an anderer Stelle aber auch Möglichkeit, den Arzt von zeitaufwendigen (hier: tägliche Verabreichung des Substitutionsmittels unter Sicht) Arbeiten zu entlasten indem ausdrücklich die Hinzuziehung anderer Berufe – beispielsweise der Apotheker –
zur substitutionsgestützten Behandlung ermöglicht wird.
Die oftmals schwierige Behandlung drogenabhängiger Patienten mit der ihnen eigenen
Psychodynamik wird in einem ambulanten Behandlungssetting dadurch noch erschwert,
dass andere Leistungserbringer im Gesundheitssystem (Ärzte, Apotheker, Therapeuten) von
diesen Patienten ebenfalls mit unterschiedlichsten Intentionen aufgesucht werden, während der substituierende Arzt dies gar nicht erfährt. So kann beispielsweise durch „Doppelsubstitution” oder Verordnung von den Verlauf der Substitution störenden Medikamenten
(Benzodiazepine, andere „Ersatzstoffe” wie Tramadol) der Erfolg einer Substitution gefährdet
werden. Da die BtMVV zwingend die Ausstellung eines Rezeptes zur Einlösung in der Apotheke verlangt (die Mitgabe von Substitutionsmitteln durch den Arzt ist eine Straftat nach §13
BtMG!), wenn der Patient in den Genuss sogenannter Take-home Dosen kommen darf, d.h.
wenn der Arzt die eigenverantwortliche Einnahme von einer oder bis zu 7 Dosen erlaubt, sind
gerade in dieser Phase die Kontakte mit dem Apotheker wichtig. Beobachtungen des Apothekers bezüglich Kaufs von Spritzen, Einlösens anderer Rezepte oder auch anderer Beobachtungen ermöglichen dem Arzt entsprechend in der Behandlung darauf zu reagieren. Von
fallweisen informellen Einzelkontakten bis zu einem strukturierten Erfahrungsaustausch,
wie im „Netzwerk Sucht” der bayerischen Akademie für Suchtfragen in Forschung und Praxis
BAS e.V., der interdisziplinär und überregional die Qualitätssicherung bei der Behandlung
Opiatabhängiger unterstützt, reichen so die möglichen Formen der Kooperation. Die Effekte
dieser Zusammenarbeit ergeben sich dabei aus der Struktur des Informationsaustausches.
Abstractband
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Qualitätssicherung in der Substitution durch Kooperation
Arzt – Apotheker
41
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Die Autorin, die in Augsburg einen Arbeitskreis von Ärzten und Apothekern zum Thema
Drogenabhängigkeit leitet und Sprecherin der Augsburger Arbeitskreise im dortigen Drogenprojekt ist, zeigt in ihrem Vortrag an Beispielen, wie diese Kooperation gestaltet werden
kann.
Tabelle: Fragestellungen und Probleme, Kommunikationsstruktur, mögliche Effekte
Tabelle: in Beispielen
Beipielhafte Fragestellungen,
Probleme
Kommunikationsstruktur
Lösungsansätze
Patient löst take-home Rezept ein
und kauft zugleich Spritzen
Fallweiser informeller Kontakt
Apotheker – Arzt
Individuelle Lösung
Patient nimmt regelmäßig seine
Substitutionsmittel in der Apotheke
ein
Regelmäßiger, protokollierter
Systematische Lösung
Informationsfluss und enger
anhand eines
Kontakt mit substituierendem Arzt Überlassungsvertrages
zwischen Arzt
und Apotheker
Verhalten der Ärzte einer Region
bei bestimmten Verordnungswünschen
Regionale Arbeitskreise von Ärzten Erarbeiten von regionalen
und Apothekern
Lösungen im Konsens,
sowie deren Durchsetzung
Trotz anfänglicher Rücksprache
Anfängliche informelle Rücksprache Systematische Intervention
auffällige Verordnungen aus einer Praxis
mit dem Verordner, dann Weiter- durch zuständigen Kolle(z.B. Benzodiazepine an Drogenabhängige) gabe an bekannten Ansprechgen
partner (Obmann)
Umgang mit Problemen in anderen
Regionen
Überregionale interdisziplinäre
Arbeitskreise
Abgleichung und Optimierung erarbeiteter Lösungen
Über diese beispielhaften Probleme aus dem Umfeld von Arzt und Apotheke hinaus empfiehlt sich jedoch auch eine Kooperation mit allen anderen Berufen, die ebenfalls mit Drogenpatienten zu tun haben. Hier ist natürlich in erster Linie die Drogenberatung gemeint, mit
der eine strukturierte Kommunikation auch in Form von Protokollen immer dann stattfinden sollte, wenn dort Patienten auf Veranlassung des Arztes betreut werden. Die Kommunikation mit den anderen Berufsgruppen (z.B.: Justiz, Polizei, Behörden) kann in Form
größerer Konferenzen oder bei Bedarf eigener Arbeitsgruppen stattfinden, wie sich das in
Augsburg sehr bewährt.
42
Abstractband
Mit dem medizinischen Begriff „Harninkontinenz” wird der Verlust der Fähigkeit bezeichnet, Urin bewusst zurückzuhalten und den Zeitpunkt der Entleerung selbst zu bestimmen.
Mit ca. 5 Millionen Betroffener, das ist eine aktuelle Zahl der Gesellschaft für Inkontinenzhilfe (GIH), hat das Symptom Harninkontinenz den Charakter einer Volkskrankeit. Dazu
kommt noch eine erhebliche Dunkelziffer von Betroffenen, so dass fast 10 % der Bevölkerung daran leiden. Harninkontinenz ist überwiegend ein Problem des Alters. Während in
der Altersstufe von 4 bis 64 Jahren 3 % inkontinent sind, sind es in der Altersstufe von 65
bis 79 Jahren bereits 11 %, bei den über 80 Jährigen ca. 30 %. Harninkontinenz ist die
zweithäufigste Einweisungsdiagnose in Heime, wo bis zu ¾ der Heimbewohner und 80 %
der bettlägerigen Bewohner inkontinent sind. Bei der Geschlechterverteilung sind 25% Männer und 75 % Frauen betroffen, wobei sich die Geschlechterverteilung im Alter angleicht.
Für die ambulante Versorgung Inkontinenter werden von den gesetzlichen Krankenkassen
bereits heute 2 Mrd. DM pro Jahr ausgegeben, die Versorung Inkontinenter in Pflegeheimen kostet etwa noch mal den gleichen Betrag.
Die Funktion des unteren Harntrakts besteht in der kontinenten Speicherung des Urins auf
der einen Seite und in der restharnfreien Entleerung der Blase zu einem sozial akzeptierten
Zeitpunkt auf der anderen Seite. Harninkontinenz ist nach Pollakisurie und imperativem
Harndrang die gravierendste Störung der Harnspeicherung, während Störungen der Harnentleerung durch verzögerten Miktionsstart, schwachen Harnstrahl, Restharn hin bis zur
Harnsperre gekennzeichnet sind. Um eine ungestörte Harnspeicherphase zu gewährleisten,
muss die vesikourethrale Funktion intakt sein.
Die Harnblase muss eine Kapazität von 400 bis 500 ml erreichen. Während der Urinsammelphase muss der Detrusor sich an die wachsenden Urinvolumina ohne intravesikale
Druckerhöhung anpassen können (viscoelastische Eigenschaften des Detrusors). Es darf
einerseits während der Füllphase kein Harndrang auftreten, andererseits muss ein Gefühl
für die Blasenfüllung vorhanden sein. Der Harnblasensphinkter, bestehend aus einem inneren und äußeren Sphinkter, bleibt geschlossen.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Harninkontinenz – Pathomechanismus und Ursachen beim Mann
NÜRNBERG
R. Walther, Nürnberg
Der intravesikale Druck ist immer niedriger als der urethrale Verschlussdruck und der Sphinkter ist auch in der Lage, plötzliche intraabdominelle Druckerhöhungen, wie Husten, Niesen
etc., zu kompensieren. Voraussetzung der Funktion ist neben der anatomischen Unversehrtheit der Strukturen die Intaktheit der neurogenen Versorgung der vesikourethralen Einheit. Während der Detrusor parasypmpathisch und sympathisch (vorwiegend ß-Rezeptoren)
versorgt wird, wird auch der interne Sphinkter autonom sympathisch, blasenhalsspezifische
alpha-Rezeptoren, der externe jedoch somatisch inerviert. Die parasympatische Innervation
kommt von den sakralen Segmenten S 2 bis S 4 über den Plexus pelvinus, die sympathischen kommen von Th 10 bis L2 über das Ganglion mesentericum inferior. Die somatische
Versorgung entspringt ebenfalls S 2 bis 4 und erreicht über die Nn. pudendi den externen
Abstractband
43
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Sphinkter. Das sakrale Miktionszentrum wird einerseits durch Afferenzen von der Blase
aktiviert, andererseits vom pontinem Miktionszentrum kontrolliert, gehemmt oder gebahnt.
Und das pontine Miktionszentrum steht wiederum unter der bahnenden oder hemmenden
Kontrolle der suprapontinen, zentralen Miktionszentren, wobei hier Basalganglien, Hypothalamus, limbisches System und die Hirnrinde (supramediale Portion des Frontallappens und
d. Knie des Corpus callosum) beteiligt sind.
Als Neurotransmitter fungieren Achetylcholin und Noradrenalin. Daneben werden zahlreiche
Neuropepide gefunden, Neuropeptid Y, Enzaphalin, VIP neben den postganglionären
cholinergen Rezeptoren, Substanz P, Cholecystokinin bei d. sakralen viszeralen afferenten
Nerven. Diese Substanzen modulieren die efferente und afferente Neurotransmission. Und
letztendlich muss die Bedeutung von Ca++ und K+ für die Kontraktibilität des Detrusor vesicae
erwähnt werden.
Während die Einteilungen der neurogenen Blasenentleerungsstörungen zahlreich sind, angefangen von übersichtlichen, klinisch-praktisch orientierten hin bis zu sehr komplexen
an der Lokalisation der neurogenen Schädigung orientierten Klassifikationen wird die Inkontinenz inzwischen allgemein akzeptiert in die von der ICS, der International Continence
Society, vorgeschlagenen Formen klassifiziert.
1. Stressinkontinenz (Belastungsinkontinenz): Bei Erhöhung des intravesikalen Druckes
kann die Sphinktereinheit nicht reagieren, es kommt ohne Harndrang zu unbemerkten
Urinabgang.
2. Dranginkontinenz, bei der zwischen motorischer und sensorischer differenziert wird:
Bei der motorischen Dranginkontinenz kommt es aufgrund von Veränderungen des
Detrusors während der Speicherphase zu nicht unterdrückbaren Kontraktionen, die
zu unfreiwilligem Urinabgang führen, bei der sensorischen Form erzeugen bereits
minimale Füllmengen der Blase zu nicht mehr beherrschbaren Harndrang, der zu
Blasenentleerung zwingt. Bei Entstehung des Harndranges können keine erhöhten
intravesikalen Drucke registriert werden.
3. Reflexinkontinenz: Hier kommt es aufgrund einer sog. supranukleären Neuroläsion zu
reflektorischen Detrusorkontraktionen mit unfreiwilligem Urinabgang.
4. Überlaufinkontinenz ist eine Folge von Urinentleerungsstörung, wenn sich bei voller
Blase der Detrusor nicht mehr weiter dehnen kann und der Urin mehr oder minder
passiv gegen den intakten bzw. obstruktiven Verschlussmechanismus in kleinen
Portionen abgepresst wird.
5. Extraurethrale Inkontinenz: der Urin geht hier unter Umgehung der Urethra über
pathologische Fistelgänge (am häufigsten Blasenscheiden/Harnleiterscheiden-Fistel)
oder über ektope Harnleitermündungen ab. Diese Form der Inkontinenz ist bei
Männern eine Rarität.
Während Frauen nicht nur häufiger von dem Symptom Inkontinenz betroffen sind, ist auch die
Verteilung der unterschiedlichen Inkontinenzformen bei Frauen und Männer anders (Tab.: 1)
44
Abstractband
Stressinkontinenz
Dranginkontinenz
Drang und Stressinkontinenz
Frauen
Männer
55%
14 %
31 %
12 %
39 %
49 %
Die Stressinkontinenz bei Männern wird häufig mit postoperativer Inkontinenz synomym
gesetzt. Sie ist Folge der radikalen Prostatektomie beim Prostatakarzinom und der Operation, entweder transurethral oder offen chirurgisch, des Prostataadenoms. Bei beiden
Operationsformen wird der sog. innere Sphinkter mitreseziert. Das führt allein nicht zur
bleibenden Inkontinenz, lediglich zu passageren Störungen der Feinkontinenz. Erst die Verletzung des äußeren Schließmuskels, bei der Operation des Prostataadenoms in der Regel auf
mangelhafte Operationstechnik zurückzuführen, bei der radikalen Prostatektomie trotz subtiler Technik nicht immer vermeidbar bzw. ungleich schwieriger sicherzustellen, führt zur
Inkontinenz. Auch bei Operationen der bulbären Harnröhre kann es zu Läsionen der Sphinkters kommen, wobei diese Eingriffe zahlenmäßig eine untergeordnete Rolle spielen. Auch
die zahlreichen neuen alternativen Behandlungsformen der benignen Prostatahyperplasie
wie Laserkoagulation, Thermotherapie und Hyperthermie geben keine Garantie, dass eine
Harninkontinenz sicher zu vermeiden ist.
Tabelle 2: Häufigkeit der postoperativen Inkontinenz
Transurethrale Prostataresektion
Radikale Prostatektomie
Harnröhrenoperationen
1,5 % – 3 %
10 % (2,5 % – 87 %)
1,3 % – 44 %
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Tabelle 1: Verteilung der Inkontinenzformen
Um die Ursachen der Dranginkontinenz darzustellen, müssen zwei weitere Begriffe aus der
Neurourologie eingeführt werden, die Detrusorinstabilität und die Detrusorhyperreflexie.
Beide beschreiben nicht unterdrückbare, spontane oder provozierbare Detrusorkontraktionen
über 15 cm Wassersäule. Während der Detrusorhyperreflexie neurologische Störungen
und Erkrankungen eindeutig zuzuordnen sind, bleiben die Ursachen der Instabilität wenig
eindeutig, teilweise spekulativ.
Die klassischen Ursachen der Hyperreflexie sind Erkrankungen und Verletzungen des Rükkenmarks cranial des spinalen Miktionszentrums S2/4, wie Querschnittlähmung,
Bandscheibenvorfälle, degenerative oder vaskuläre Prozesse. Als weitere Ursachen sind
zerebrale Läsionen (Blutungen, Insulte, Traumata, degenerative Prozesse), neurologische
Erkrankungen wie Morbus Parkinson und Multiple Sklerose, aber auch endokrinologische
Erkrankungen wie Diabetes mellitus zu nennen, der nicht nur, wenn gleich viel häufiger, zur
Retentionsblase führt. Diese Ursachen der Inkontinenz kommen natürlich bei Frauen und
Männern vor, geschlechtsspezifische Unterschiede erklären allenfalls die unterschiedliche
Inzidenz der Grunderkrankung.
Die chronische infravesikale Obstruktion, bei Männern die obstruktive Prostatahyperplasie,
ist häufig, bis 75 %, assoziiert mit einer Detrusorinstabilität, ob auch verantwortlich bleibt
Abstractband
45
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
noch ungeklärt. Es gibt Hinweise, dass eine chronische Obstruktion zu einer partiellen
parasympathischen Degeneration führt, verbunden mit einer Dennervationsüberempfindlichkeit des glattmuskulärem Detrusors als Folge einer erhöhten Kontraktibilität auf Acetylcholin
und elektrische Stimulation. Es wurden neben veränderter Konzentration von Neuropepitiden
(VIP reduziert) in Biopsien von instabilen Detrusor eine erniedrigte Anzahl von cholinergen
aber eine erhöhte Zahl von alpha-adrenergen Rezeptoren gefunden.
Neben diesen neuropathischen Faktoren können auch anatomisch-pathologische Veränderungen die viscoelastische Eigenschaften des Detrusors einschränken und somit die
Dehnbarkeit der Blase (Compliance) reduzieren und damit letztendlich das Symptom Inkontinenz verursachen. Das beginnt bei einer Detrusorhypertrophie, z. B. auch verursacht
durch Prostatahyperplasie hin bis zu ausgedehnten fibrotischen Veränderungen, Schrumpfblasen, als Folge von chronischen Entzündungen, Bestrahlungen, häufig wiederholten Resektionen z. B. bei Blasentumoren. Auch Operationen im kleinen Becken, Verletzungen,
Beckenfrakturen können eine sog. Low.compliance Blase zur Folge haben, obwohl bei der
meist assoziierten Schädigung der infranukleären Nervenversorgung eher eine akontraktile
Blase zu erwarten wäre.
Die Komplexität des Schädigungsmusters macht eine eindeutige Zuordnung zu einer
Inkontinenzform oft schwierig, der hohe Anteil der Mischformen dokumentiert dies. Deshalb ist eine umfangreiche Diagnostik, beginnend mit der Miktionsanamnese, dem
Miktionsprotokoll, über klinische Untersuchung, Urindiagostik, hin bis zu invasiven
endoskopischen und urodynamischen Untersuchungen in zahlreichen Fällen unerlässlich,
um einen erfolgversprechenden Therapieansatz zu finden.
Bei der reinen, postoperativen Stressinkontinenz ist dies die physikalisch-elektrische und
operative Therapie. Die Dranginkontinenz wird in erster Linie medikamentös behandelt,
wenn eine infravesikale Obstruktion als Ursache ausscheidet, vielfach ist hier jedoch eine
kombinierte Therapie, physikalisch, elektrisch, medikamentös und operativ erforderlich.
Pathomechanismus und Ursachen bei der Frau
J. E. Altwein, München
Die Urininkontinenz, definiert als unkontrollierter Urinabgang mit sozialen oder hygienischen Problemen und objektiver Nachweisbarkeit (International Continence Society), hat
eine Prävalenz von 23,5 % bei Frauen. Die Altersabhängigkeit ist ausgeprägt, 7,8 % der 20bis 29-jährigen Frauen, aber 45 % der 50- bis 59-jährigen Frauen sind inkontinent. Der
Häufigkeitsgipfel einer Stressinkontinenz besteht bei den 40- bis 49-Jährigen mit 28,7 %,
einer gemischten Inkontinenz bei den 50- bis 59-Jährigen mit 12,8 %, einer Dranginkontinenz
ebenfalls bei den 50- bis 59-Jährigen mit 3,8 %. Begünstigende Faktoren sind gynäkologi-
46
Abstractband
1. Stressinkontinenz: Die Stressinkontinenz ist durch unwillkürlichen Urinabgang bei
körperlicher Anstrengung ohne Harndrang gekennzeichnet. Beim Husten, Lachen,
Niesen oder physischer Anstrengung kommt es simultan zu spritzerförmigem
Harnverlust. Die Diagnose stützt sich auf einen positiven Stresstest, etwa Urinverlust
beim Husten, und den urodynamischen Ausschluss einer unwillkürlichen
Detrusorkontraktion (passive Inkontinenz). Stressinkontinenz resultiert, wenn eine
der drei Komponenten des Harnröhrenverschlusses defekt sind (Heidler). Es können
dabei die anatomischen Strukturen der Harnröhre, z.B. die submukösen Gefäßpolster
(Komponente 1), die passive Drucktransmission von der Blase auf die Harnröhre
(Voraussetzung sind ein intaktes perivesikales Fettgewebe und ein funktionstüchtiger
Beckenboden; Komponente 2) oder aber die aktive Drucktransmission (Aktivierung
der quergestreiften Sphinkter-Beckenboden-Muskulatur, Komponente 3) beschädigt
sein. Mechanische Ursachen hierfür sind ein defekter Aufhängeapparat von
Harnröhre und Vagina mit vertikalem Deszensus und Blasenhalsinsuffizienz. Damit
ist die Druckantwort beeinträchtigt, und es resultiert Stressinkontinenz. Die wichtigsten funktionellen Ursachen sind eine hypotone Harnröhre und ein hyporeaktiver
Sphinkter-Beckenboden-Muskelapparat. Diese Ursache und ein verminderter
Harnröhrenverschlussdruck (< 30 cm H20 im Harnröhrendruckprofil) sind auf ein
konstitutionelles Defizit alpha-adrenerger Stimulation, Operationen im kleinen Becken
oder neuro-urologische Erkrankungen zurückzuführen. Weitere Ursachen sind
Beckenfrakturen, vorausgehende Radiotherapie mit ausgedehnter Fibrosierung oder
wiederholte Otis-Urethrotomien. Eine Hyporeaktivität (Defekt der Komponente 3) des
Harnröhrenverschlusses kann eine Inaktivitätsatrophie sein, wobei die Frauen es
verlernt haben, bei diversen Belastungen des täglichen Lebens adäquate
Beckenbodenkontrationen durchzuführen. Auch traumatische Läsionen der Beckenbodenmuskulatur können mitwirken. Die isolierte Evaluierung dieser drei Komponenten des Harnröhrenverschlussmechanismus ermöglicht den Einsatz einer gezielten
Therapie.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
sche Operationen oder aber eine Strahlentherapie. Epidemiologisch ist der Zusammenhang
zwischen
der Zahl von GeburtenDAS
und Harninkontinenz
ungeklärt. FÜR
Demgegenüber
sind vagiNOTIZENSYMPOSIUM:
INTERNET – NUTZEN
ARZT UND
nalePATIENT
Geburten ein Risikofaktor der Stressinkontinenz. Inkontinenz-fördernde Faktoren von
besonderer Bedeutung sind Obstipation, Stress, Übergewicht, chronische Lungenerkrankungen
undDonnerstag,
bestimmte Medikamente.
7. Dezember 2000, 13.00 – 17.15 Uhr
Kleiner Saal
Pathophysiologisch werden eine Stressinkontinenz, Dranginkontinenz, Reflexinkontinenz,
Überlaufinkontinenz und extraurethrale Inkontinenz unterschieden.
2. Dranginkontinenz. Ist der unwillkürliche Harnverlust von einem imperativen Harndrang begleitet besteht eine Drang- oder Urge-Inkontinenz. Die hypersensitive Blase
mit verfrühtem und verstärktem Harndrang kennzeichnet die sensorische Dranginkontinenz. Die symptomatische sensorische Dranginkontinenz ist
multifaktioriell bedingt. Hierzu gehören der unspezifische Harnwegsinfekt, die
interstitielle Zystits, der Östrogenmangel, eine infravesikale Obstruktion, urethrale
Abstractband
47
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Divertikel, aber auch eine Beckenbodeninsuffizienz. Die Beteiligung psychischer
Faktoren ist möglich. Die idiopathische sensorische Dranginkontinenz kann neuromyogen hervorgerufen werden, aber auch die Alterung ist beteiligt. Synonym werden
für die idiopathische sensorische Dranginkontinenz Begriffe wie Reizblase oder
Urethralsyndrom verwendet.
Werden urodynamisch Detrusorkontraktionen (Detrusorhyperaktivität oder
-instabilität) bei der Abklärung einer Dranginkontinenz nachgewiesen, dann handelt es
sich um eine motorische Form. Die Beschwerden der sonsorischen und motorischen
Dranginkontinenz unterscheiden sich nicht. Ätilogisch bestehen Gemeinsamkeiten
mit der symptomatischen sensorischen Dranginkontinenz. Bei der Beckenbodeninsuffizienz kann neben der Stressinkontinenz auch ein instabiler Detrusor auftreten.
Wichtig sind aber Erkrankungen des höheren Lebensalters wie M. Parkinson oder
degenerative zerebrale Prozesse. Auch die infravesikale Obstruktion bei der Frau
kann beteiligt sein. Eine Zunahme der Inzidenz eines instabilen Detrusors im Alter ist
unstrittig. Diese wird ursächlich auf biologische Alterungsprozesse (degenerativ,
metabolisch oder neurogen) zurückgeführt. Hiervon ist der Detrusor nicht ausgenommen; Zellmembranveränderung wurden beim alternden Detrusor nachgewiesen.
Lässt sich eine motorische Dranginkontinenz symptomatisch nicht zuordnen, wird sie
als idiopathisch eingestuft.
3. Reflexinkontinenz: Reflexinkontinenz ist die Folge einer neurogenen
Detrusorhyperaktivität mit unwillkürlichem Harnverlust. Durch zerebrale, spinale oder
periphere Nervenläsionen kann eine suprapontine oder spinale Reflexblase auftreten.
Bei einer kompletten Schädigung aller auf- und absteigenden spinalen Bahnen
entwickelt sich die spinale Reflexblase, bleiben die aphorenten Bahnen erhalten, kann
der Harndrang zwar bemerkt, aber die Blasenentleerung nicht mehr willkürlich
gesteuert werden (spinal enthemmte Blase). Liegt die Läsion oberhalb der Hirnstammzentren, dann ist die Willkürkontrolle über die Blasenentleerung beeinträchtigt,
die Koordination zwischen Detrusor und Sphinkter bleibt aber erhalten. Die häufig
beobachtete erhöhte Beckenbodenaktivität resultiert dadurch, dass der Patient die
drohende Miktion durch Kneifen des Beckenbodens zu verhindern sucht (zerebral
enthemmte Blase).
4. Überlaufinkontinenz: Bei Frauen wird diese Inkontinenz bei 0,5 % beobachtet, bei
geriatrischen Patienten steigt die Prävalenz bis 10 %. Ursächlich ist neben einer oft
bei Frauen auftretenden mechanischen infravesikalen Obstruktion eine occulte
neurogene Blase.
5. Extraurethrale Inkontinenz: Ursachen sind ein ektop-mündender Harnleiter sowie
urogenitale Fisteln.
Zusammenfassend ist die Differenzierung dieser 5 Kardinalformen der weiblichen Harninkontinenz für eine gezielte Therapie wichtig. Eine differenzierende urodynamische Untersuchung ist ein wesentliches diagnostisches Instrument.
48
Abstractband
H. Melchior, Kassel
Harninkontinenz ist kein einheitliches Krankheitsbild, sondern eine Erkrankung mit vielen
Ursachen. Dementsprechend differenziert muss die Therapie indikationsgerecht sein. Im
allgemeinen wird als Ursache der Harninkontinenz eine Schließmuskelschwäche (StressHarninkontinenz) angesehen, was aber nur bedingt richtig ist; die häufigste Ursache einer
Harninkontinenz ist eine unkontrollierte Detrusorfunktion.
Stress-Harninkontinenz: Leichtere Grade der Stress-Harninkontinenz, insbesondere ohne
ausgeprägte Zysto-Urethrozele, können physiotherapeutisch behandelt werden: Beckenboden-(Muskel)training, ggf. mit Unterstützung durch elektrophysiologische oder
biomechanische („Coni”) Maßnahmen. Beckenbodentraining ist aber in erster Linie eine
Option der Prävention. Höhere Grade der Stress-Harninkontinenz bedürfen der operativen
Therapie. Dabei muss festgestellt werden, dass es nicht die Operationsmethode gibt –
auch wenn derzeit die Schlingensuspensionen eine Renaissance erfahren! – sondern dass
in Abhängigkeit von den anatomischen und funktionellen Gegebenheiten ein individuell
angepasstes Operationsverfahren gewählt werden muss: transvaginal – retropubisch-transabdominal – endoskopisch.
Drang-Harninkontinenz: Ursache der Drang-Harninkontinenz sind unkontrollierbare, ungewollte Aktivitäten des Blasenmuskels, welche wiederum multigenetisch sein können.
Die idiopathische Dranginkontinenz ist fast immer psychosomatischer Genese und muss
entsprechend therapiert werden; unterstützend wirken Antispasmodika (Oxybutynin,
Propiverin, Tolterodin, Trospiumchlorid). Von der idiopathischen Dranginkontinenz muss die
symptomatische Dranginkontinenz unterschieden werden, deren Ursache stets eine primäre
oder sekundäre Blasenerkrankung ist: spezifische oder unspezifische Entzündungen,
Neoplasien! Aus diesem Grunde muss vor der Behandlung einer Dranginkontinenz immer
eine Blasenerkrankung durch Urindiagnostik und Sonographie, ggf. auch Zystoskopie ausgeschlossen werden! Sonderformen der Dranginkontinenz sind die Altersblase und die neurogenen Inkontinenzformen.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Harninkontinenz: Therapeutische Konzepte
Harninkontinenz im Alter: Zweifellos die größte medizinische Herausforderung stellt die
Harn- und/oder Stuhlinkontinenz im Alter dar: Mehr als 30% der Bewohner von Pflegeheimen sind inkontinent, in mehr als 50% ist die Inkontinenz die Ursache für eine Heimeinweisung! Nur durch Prävention und Rehabilitation können die rasch wachsenden Belastungen
unseres Sozialsystems gebremst werden. Inkontinenz im Alter hat ihre Ursache in der nachlassenden Hirnleistung mit der Folge, dass der Miktionsreflex zunehmend unbeeinflussbar
über das primäre Miktionszentrum im Hirnstamm läuft (Supranukleäre Reflexinkontinenz):
diese Patienten können bei einsetzendem Harndrang diesen nicht unterdrücken, sie können aber auch nicht ihre Blase prophylaktisch entleeren, wenn sie nicht ausreichend gefüllt
ist. Sie haben die Fähigkeit verloren, ihren Blasenrhythmus dem Lebensrhythmus unterzuordnen, sie müssen daher ihren Lebensrhythmus dem Blasenrhythmus anpassen: ToilettenAbstractband
49
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
training. Wichtig ist, dass man mit dem Toilettentraining, dem Gang zur Toilette nach einem
festgelegten Tagesplan, nicht erst beginnt, wenn eine hochgradige Form der Inkontinenz
vorliegt, sondern bereits bei den Frühformen der Altersblase (Altersreizblase); wichtig ist
dabei, dass eine primäre Blasenerkrankung (Entzündung, Tumor) zuvor ausgeschlossen
wurde.
50
Abstractband
Neurogene Blasenstörungen gehören – unabhängig von der Grunderkrankung – in die
Hand eines Spezialisten (Neuro-Urologe); das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten
ist breit. Die einfachste, zugleich aber schlechteste Behandlungsform ist die Einlage eines
transurethralen Dauerkatheters, welcher als obsolet verdammt werden sollte!
Praktische Gesichtspunkte bei Pflegefällen, Querschnittgelähmten und
Neurologischen Krankheitsbildern
R. Nützel, C. Fischer, Bayreuth
Die Harninkontinenz stellt aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung ein zunehmendes
Problem dar. Die Inzidenz sinkt bei Männern vom 5. bis zum 15. Lebensjahr ab und steigt
nach den vorliegenden Daten ab dem 50. bzw. 55. Lebensjahr wieder an. Bei Frauen verhält
sich die Häufigkeit der Harninkontinenz etwas anders, hier zeigt sich ein Gipfel im Bereich
zwischen 45 und 54 Jahren. Es lässt sich also insgesamt eine altersabhängige Häufigkeit der
Harninkontinenz feststellen. In der Bundesrepublik Deutschland rechnet man für das Jahr
2000 mit 3,9 Mill. Harninkontinenten, für das Jahr 2030 bereits mit 4,4 Mill. inkontinenten
Menschen. Es handelt sich hauptsächlich um ältere Patienten, bei denen auch die Inzidenz
der neurologischen Krankheitsbilder und die der Pflegebedürftigkeit zunimmt. Die meisten
neurologischen Krankheitsbilder sind mit einer Harninkontinenz vergesellschaftet. Bei der
Diagnostik ist genau abzuwägen, ob eine Rehabilitation der Blase, also eine Behandlung
der Inkontinenz mit rationellen Mitteln möglich ist. Sollte dies der Fall sein, ist eine differenzierte Diagnostik mit urodynamischer Untersuchung durchzuführen, da sich allein nach
diesem Befund die Therapie der Harninkontinenz, ob medikamentös oder durch Blasentraining und auch die Versorgung mit den entsprechenden Hilfsmitteln wie Kondomurinalen,
Windeln, transurethralen Kathetern oder suprapubischen Kathetern richtet.
H. Lux, Nürnberg
Die klinischen Symptome der Hypercalcämie sind sehr variabel. Von völlig asymptomatischen Hypercalcämien bis zur hypercalcämischen Krise.
Typische Symptome:
1. von Seiten der Niere:
· Polyurie
· Polydipsie
· Creatinin-Clearance ß
2. von Seiten der Knochen:
· Knochenschmerzen
3. von Seiten des Magen-Darm-Traktes:
· Obstipation
· Übelkeit
· Erbrechen
4. von Seiten des Herzens und des Kreislaufes:
· QT-Verkürzung
· Rhythmusstörungen
· Hypertonie
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Hypercalcämie
5. von Seiten des Nervensystems und der Psyche:
· Reflexabschwächung
· Depression
· Koma
Ursachen:
Die häufigste Ursache der Hypercalcämie ist der pHPT (Mehr Sekretion von Parathormon
aus einem oder mehreren vergrößerten Epithelkörperchen). Davon abzugrenzen ist der sekundäre HPT (z.B. bei Niereninsuffizienz).
Die zweithäufigste Ursache ist die Tumorhypercalcämie z. B. bei Tumorosteolysen oder
Hypercalcämie auslösenden Substanzen z. B. arathormon-related-Protein.
Weitere Ursachen sind: Hypercalcämie durch erhöhten Knochenumbau, Vitamin-D bedingte
Hypercalcämie, medikamentös induzierte Hyperkalcämie.
Abstractband
51
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Diagnostik:
Serum-Kalzium, Serum-Phosphat und Parathormon. Die wichtigste Lokalisationsmaßnahme
ist die Suche nach einem erfahrenem Chirurgen.
Therapie:
Die kausale Therapie ist die operative Entfernung des zu Grunde liegenden Epithelkörperchenadenoms oder der Nebenschilddrüsenhyperplasie.
Erst nach nicht erfolgreicher Operation ist eine Lokalisationsdiagnostik erforderlich (selektive Blutentnahme zur PTH-Bestimmung oder ein MRT des Halses).
Medikamentöse Therapie in der Zeit bis zur Überbrückung zur Operation.
Rehydratation:
Hemmung der Osteolyse oder der Calciumresorbtion aus dem Darm (Bisphosphonattherapie, Calcitonin). Evtl. Glukokortikoidtherapie bei Vitamin-D-Intoxikation.
Erkrankungen der Pleura
S. Beckh, Nürnberg
Die Pleura kann durch primäre eigenständige Erkrankungen oder sekundär im Rahmen
extrapleuraler Krankheitsbilder betroffen sein. In dieser Hinsicht ist es wichtig, ob eine
einseitige oder beidseitige Erkrankung vorliegt. Doppelseitige Beteiligung der Pleura weist
eher auf extrapleurale Krankheitsursache, wie z.B. Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz oder
entzündliche Systemerkrankungen hin. In diesem Fall müssen spezielle weiterführende
Organuntersuchungen und Laborteste für die Diagnosestellung herangezogen werden.
Einseitige Erkrankungen des Pleuraraumes umfassen Pleuritis, Pleuraerguss, Pleuraempyem,
Pneumothorax, Pleurakarzinose, sowie benigne und maligne Herdbildungen. Zur frühzeitigen Ergussbildung führen bakterielle, virale und tuberkulöse Pleuritiden bzw. Pleuropneumonien, aber auch maligne Erkrankungen des Pleuraraumes.
Je nach Reserve der gesamten Lungenfunktion führen sehr unterschiedliche Mengen
Pleuraerguss zu Atemnot. Bei einem sonst völlig lungengesunden Patienten werden unter
Umständen Flüssigkeitsmengen von 2–3 Liter toleriert. Andererseits kann ein Patient bei
stark vorgeschädigter Lunge bereits bei Mengen von ca. 250 ml über starke Dyspnoe
klagen. In variabler Ausprägung berichten die Patienten über unbestimmtes thorakales Druckgefühl bis zu atemabhängigen Schmerzen und Hustenreiz. Bei Entzündungen treten Fieber
und allgemeines Krankheitsgefühl dazu. Patienten mit Pleuraempyem zeigen in der Regel
schwerste allgemeine Krankheitssymptome.
Nach der körperlichen Untersuchung kann sich bei Erkrankungen des Pleuraraumes gleich
die sonographische Untersuchung anschließen. Sie lässt auf Menge, Verteilung und Septierung
52
Abstractband
Ein Pneumothorax ist immer mit sofort einsetzenden Atembeschwerden oder Thoraxschmerzen verbunden. Die Röntgenaufnahme zeigt die Ausprägung des Pneumothorax,
die hochauflösende Computertomographie die meist vorhandenen Emphysembullae vorzugsweise in den apikalen Lungenpartien. Bei nachgewiesenen Emphysemblasen ist das
Risiko für ein Pneumothoraxrezidiv bis zu 50 %. Die Patienten sollten deshalb frühzeitig zur
endoskopisch-chirurgischen Emphysemblasenabtragung überwiesen werden.
Benigne Raumforderungen der Pleura werden zufällig auf Röntgenübersichtsaufnahmen entdeckt. Mitunter kann auch bei diesen Herdbildungen ein begleitender, allerdings immer nur
geringer Pleuraerguss festgestellt werden. Lipome lassen sich durch die Dichtemessung im
CT diagnostizieren. Andere Herdbildungen müssen durch eine Gewebeprobe oder Resektion
diagnostiziert werden. Im eigenen Patientengut wurden verschiedene Arten gutartiger
bindegewebiger Tumore beobachtet, u.a. Schwannome, Hyalinosen und komplexe fibröse
Tumore. Differentialdiagnostisch müssen diese Herdbildungen immer von Malignomen abgegrenzt werden. Eine Operation ist indiziert, falls mit Punktion keine Diagnose zu stellen ist
oder der Befund aufgrund Raumverdrängung die Lungenfunktion beeinträchtigt.
Die Pleura kann im Rahmen einer metastasierenden Tumorerkrankung mit betroffen sein,
beim Bronchialkarzinom beträgt der Anteil der Pleurakarzinose bis zu 25 %. Der häufig rasch
und in großen Mengen nachlaufende Erguss erfordert über die Drainage hinaus die Instillation von Medikamenten (z.B. Fibrinkleber, Tetrazyklin, Zytostatika, Talkum) zur Verklebung
der Pleurablätter.
Eine zunehmende Rolle spielt das maligne Pleuramesotheliom. Wegen der langen Latenzzeit nach Asbestexposition bis zum Auftreten des Mesothelioms ist noch in den nächsten
10 Jahren mit einer wachsenden Anzahl Erkrankungen zu rechnen. Zur Differenzierung der
Art des Mesothelioms sind immer ausreichende Gewebeproben für die histologische Untersuchung erforderlich. Zytologisches Material allein ist manchmal hinweisend, aber für
die eindeutige Diagnosestellung ungenügend. Falls die Erkrankung noch lokal begrenzt ist,
Abstractband
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
der Flüssigkeit schließen und die günstigste Stelle für die Punktion finden. Sonographische
Hinweise für einen entzündlichen Erguss sind ausgeprägte Septierungen oder Kammerungen
und zahlreiche auch flottierende Binnenechos bei hohem Zellgehalt. Zusätzlich muss immer
die parietale Pleura und die Lungenoberfläche bei der Sonographie mituntersucht werden.
Häufig finden sich dabei Hinweise auf die Genese des Pleuraergusses.
Wegweisend ist die weitere Analyse des Pleurasekretes. Bestimmt werden sollte immer
der Eiweißgehalt, die Zellzahl und Zelldifferenzierung, die LDH, Glucose, pH-Wert, Cholesterin und Triglyceride. Weitere Proben müssen für die bakteriologische (spezifisch und unspezifisch!) und zytologische Untersuchung abgegeben werden. Bei genügend großem Ergusssaum wird zusätzlich eine Pleurabiopsie durchgeführt.
Als weiterführende bildgebende Verfahren müssen eine Röntgenthorax-Übersichtsaufnahme
zur Beurteilung des Lungenparenchyms und in Problemfällen noch zusätzlich eine Computertomographie des Thorax angefertigt werden. Falls mit Bildgebung, Zytologie und Biopsie
keine Diagnosestellung gelingt, sollte sich eventuell eine Thorakoskopie anschließen.
53
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
steht die Resektion an erster Stelle. Bei inoperabler Erkrankung kommen verschiedene
systemische Chemotherapeutika zum Einsatz. Bei nachlaufendem Pleuraerguss ist die
thorakoskopisch angewandte Talkumpleurodese sinnvoll.
54
Abstractband
Interstitielle Lungenerkrankungen
R. Leistner, Nürnberg
Interstitielle Lungenerkrankungen stellen eine sehr heterogene Gruppe unterschiedlicher
Krankheitsentitäten dar. Daher ist eine einheitliche Definition nicht möglich. Histopathologisch ist primär das Lungeninterstitium und in unterschiedlichem Ausmaß auch der
Alveolarraum betroffen. Während die klassischen Staublungenkrankheiten (z.B. Asbestose,
Silikose) heute eher eine untergeordnete Rolle spielen, weisen idiopathische Lungenfibrosen
eine zunehmende Inzidenz und Prävalenz auf. Medikamenteninduzierte interstitielle Lungenerkrankungen (z.B. Amiodaron) sowie die Gruppe der exogen Allergischen Alveolitiden (EAA)
stellen wichtige, da im Grunde vermeidbare Erkrankungen dar. Ein Kennzeichen all dieser
Erkrankungen ist, dass der pathologischen Prozess nicht umschrieben eine Lungenregion
betrifft, wie z. B. beim Bronchialkarzinom oder der Pneumonie, sondern sich „diffus” im
Lungenparenchym ausbreitet. Deshalb werden interstitielle Lungenerkrankungen international auch als diffuse Lungenerkrankungen bezeichnet. Radiologisch sind interstitielle Lungenerkrankungen durch ein retikulonoduläres Verteilungsmuster charakterisiert, wobei in einigen Fällen mehr die Oberfelder (z.B. Silikose, Sarkoidose, exogen allergische Alveolitis) in
anderen Fällen die Unterfelder (idiopathische Lungenfibrosen, Kollagenosen, Asbestose)
betroffen sind. Klinisch imponiert ein chronischer, langsam fortschreitender Krankheitsverlauf. Die Patienten klagen häufig über zunehmende Belastungsdyspnoe und trockenen
Husten.
Eine zentrale Rolle nehmen in der Diagnostik der interstitiellen Lungenerkrankungen die
Anamnese (Berufe, Hobbies, Rauchen, Medikamente, Begleiterkrankungen), der körperliche Untersuchungsbefund (Trommelschlegelfinger, Sklerosiphonie, Zyanose, Zeichen der
Rechtsherzinsuffizienz) und die radiologischen bildgebenden Verfahren ein. Besonders
das Hochauflösungs CT-Thorax (HRCT) hat in den letzten Jahren die Diagnostik der interstitiellen Lungenerkrankungen entscheidend verändert. So lassen sich heute mit Hilfe der
Anamnese und dem HRCT das Spektrum der in Frage kommenden Differenzialdiagnosen
deutlich einengen. In Zweifelsfällen oder bei entsprechender therapeutischer Konsequenz
sollte zur Diagnosesicherung allerdings weiterhin eine histopathologische Diagnose angestrebt werden, wobei als Goldstandard heute die thorakoskopische Lungenbiopsie (VATS)
angesehen wird. Insbesondere bei der Diagnostik der Lungenfibrosen, bei denen aufgrund
eines charakteristischen histopathologischen Musters verschiedene Entitäten unterschieden werden, sollten mehrere ausreichend große Lungenbiopsate aus verschiedenen Regionen der Lunge entnommen werden (Katzenstein und Meyers 1998). Demgegenüber
kann die bronchoskopische Lungenbiopsie lediglich wichtige Differenzialdiagnosen aus-
Die therapeutischen Möglichkeiten reichen je nach Ätiologie und Schweregrad der Erkrankung von der Expositionsprophylaxe (z.B. EAA) über die medikamentöse Therapie mit
Kortikosteroiden und Immunsupressiva (z.B. Azathioprin, Cyclophosphamid) bis hin zur
Lungentransplantation und rein symptomatischen Behandlungsstrategien (z.B. Sauerstofflangzeittherapie). Die Wahl des richtigen Therapieregimes hat immer die Progression des
jeweiligen Krankheitsprozesses, das Alter des Patienten sowie klinische und lungenfunktionsanalytische Kriterien Rechnung zu tragen. Hinsichtlich der schlechten Prognose der UIP
(usual interstitial pneumonia), der eigentlichen idiopathischen Lungenfibrose, und dem nur
unzureichenden Ansprechen auf Kortikosteroide werden heute zahlreiche alternative Therapieverfahren in Studien geprüft (z.B. Acetycystein, Interferon-Gamma). Ziel dieser neueren
Therapieverfahren ist es, primär den fibrosierenden Prozess in der Lunge zu beeinflussen.
Der nephrologische Notfall
R. Lang, Nürnberg
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
schließen (z.B. Sarkoidose, Lymphangiosis carcinomatosa). Die bronchoalveoläre Lavage
(BAL) mit Differenzial- und Immunzytologie stellt ein semiinvasives bronchoskopisches
Verfahren dar, welches einen wichtigen Beitrag z.B. in der Aktivitätsbeurteilung der Sarkoidose
oder der EAA leisten kann. Die eigentliche Diagnose ergibt sich immer aus der Synopsis
klinischer, radiologischer (v.a. Röntgenthorax-Voraufnahmen) und histopathologischer Befunde.
Ausfall von Teilfunktionen der Nieren sind häufige Notfallsituationen in der Nephrologie. Mit
Ausnahme der hypertensiven Krise und des akuten Lungenödems präsentieren sich die
meisten Notfälle zunächst unspektakulär und täuschen den Patienten (und den Arzt) über die
bereits bestehende akute Lebensgefahr oder den drohenden Organverlust.
HYPERKALIÄMIE. Ursachen sind verzögerte Kaliumexkretion durch akutes oder chronisches
Nierenversagen, Medikamente (Spironolakton, Amilorid, Triamteren, ACE-Hemmer, AT1Rezeptor-Blocker u.a.) und andere Erkrankungen (Hämolyse, M. Addison, diab. Ketoazidose,
renal tubuläre Azidosen u.a.) oft gepaart mit einem Diätfehler (Diätsalz etc.). Symptome sind
Parästhesien, Muskelschwäche, Übelkeit umd Bradykardie. Kardiale Symptome sind bei
Kaliumwerten <6,0 mmol/l selten. Bei EKG-Veränderungen ist Monitorüberwachung erforderlich, Therapie der akuten kardialen Toxizität durch Ca-Glukonat. Kalium-Shift nach intrazellulär durch Insulin plus Glukose oder ß2-Mimetika inhalativ, Kaliumelimination durch
Dialyse; Austauscherharze (Resonium) wirken unzuverlässig und erst nach Stunden, Diuretika nach Tagen.
HYPOKALIÄMIE. Auslöser sind u.a. anhaltendes Erbrechen, Diuretika oder Durchfälle. Die
Allgemeinsymptome sind zunächst vieldeutig, im Verlauf Auftreten von Tachykardien, Arrhythmien, Gefahr der Rhabdomyolyse. Bei symptomatischer Hypokaliämie stationäre TheAbstractband
55
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
rapie mit Kaliumsubstitution und ggf. Ausgleich der Alkalose. Der Kaliumbedarf wird oft
unterschätzt.
HYPONATRÄMIE (HYPOOSMOLARES SYNDROM). Auslöser sind ADH induzierte renale
Wasserretention durch schwere Herzinsuffizienz, Leberzirrhose, Hypothyreose, Thiazide oder
idiopathisch (SIADH) und Wasserausscheidungsstörungen bei Niereninsuffizienz. Zerebrale
Symptome wie Verwirrtheit und Krampfanfälle stehen im Vordergrund. Die Therapie richtet
sich nach dem Volumenstatus, der Schwere der Hyponatriämie, der Akuität und kann per se
schwere Schäden verursachen (zentrale pontine Myelinolyse).
VOLUMENEXZESS. Präsentation als entgleister Hochdruck, Lungenödem, Linksherzversagen.
Auslöser sind Störungen der renalen Natriumausscheidung mit Natriumakkumulation. Typische Ursachen sind nephrotisches Syndrom, Niereninsuffizienz, Herzinsuffizienz, Medikamente (NSAID, Fludrocortison), oft gepaart mit Diätfehler (Kochsalz).
AKUTES NIERENVERSAGEN (ANV). Sonographie und Urinstatus gehören zur Basisdiagnostik.
Nach Ausschluss einer Harnabflussstörung, Suche nach prärenalen Ursachen: Volumenmangel, Sepsis, Herz-Kreislauf-Insuffizienz, Leberzirrhose, Nierenarterienstenosen, Medikamente (ACE-Hemmer, AT1-Blocker, NSAID, Diuretika, Kontrastmittel). Renale Ursachen
sind vielfältig (z.B. ischämische Tubulusnekrose, hypertensive Krise, hämolytisch urämisches Syndrom, interstitielle Nephritis, Paraproteinämie, RPGN u.a.).
Die RAPID PROGRESSIVE GLOMERULONEPHRITIS (RPGN) ist gekennzeichnet durch
Creatininanstieg über Tage bis Wochen mit meist typischem Urinbefund. Die Klinik ist unspezifisch, nicht immer finden sich Ödeme oder Hypertonie. Hier ist rasches Handeln und ein
Therapiebeginn noch am Tag der Diagnose (Nierenbiopsie) indiziert, da der irreversible
Organverlust droht! Daher sollte jedem auffälligen Creatininwert oder U-Status kurzfristig
weitere Diagnostik oder die Überweisung zum Nephrologen folgen.
URÄMIE ist das klinische Endstadium eines akuten oder chronischen Nierenversagens. Aus
initial unspezifischen Symptomen wie Müdigkeit, Leistungsknick, Appetitlosigkeit heraus
entsteht akute Lebensgefahr durch Hyperkaliämie, Volumenexzess, respiratorische Insuffizienz, Perikarderguss und Koma. Patienten, bei denen die Urämie nicht durch rechtzeitige
Nierenersatztherapie verhindert wurde, haben eine sehr hohe Mortalität durch multiple Organkomplikationen und Infektneigung. Dies trifft insbesondere zu für Diabetiker.
Die gastroösophageale Refluxkrankheit und ihre Folgen
J. Bauer, Nürnberg
In allen westlichen Industrienationen zeigt die gastrooesophageale Refluxkrankheit in den
letzten Jahren eine deutlich ansteigende Inzidenz und Prävalenz. Etwa 10 % der Bevölkerung
können als refluxkrank gelten, da sie aufgrund häufiger Beschwerden eine signifikante Einbuße an Lebensqualität aufweisen.
56
Abstractband
Für die erfolgreiche Therapie der gastrooesophagealen Refluxkrankheit können die
Protonenpumpenhemmer mit ihren verschiedenen Vertretern heute als Standard angesehen
werden. Eine Indikation für den Einsatz von H2-Antagonisten ergibt sich nur in sehr begrenztem Maße, da diese sowohl in der Akuttherapie als auch in der Rezidivprophylaxe eine hohe
Versagerquote aufweisen. Bezüglich der Durchführung einer Rezidivprophylaxe ist zu bedenken, dass bei 80 % der Betroffenen die Refluxkrankheit einen chronischen Verlauf nimmt. In
Abhängigkeit von der Schwere der Refluxkrankheit bzw. des Vorhandenseins von
endoskopischen Läsionen ist zwischen einer kontinuierlichen Dauertherapie und einer “on
demand”-Medikation abzuwägen.
In den letzten Jahren erlangten die extraoesophagealen Manifestationen der Refluxkrankheit,
wie der nicht kardiale Thoraxschmerz, die chronische Laryngitis sowie der Zusammenhang
mit Exazerbationen eines Intrinsic-Asthma bronchiale, eine zunehmende Aufmerksamkeit.
Bei Patienten mit einer diesbezüglichen Beschwerdesymptomatik ist eine Verursachung
durch eine Refluxkrankheit in Erwägung zu ziehen und eine diesbezügliche Therapie einzuleiten.
Die gefährlichste Komplikation einer langjährigen gastrooesophagealen Refluxkrankheit ist
das Auftreten eines Barrett-Oesophagus und in dessen Folge, die Manifestation eines
Adenocarzinoms der distalen Speiseröhre. Letzteres weist die höchste relative Zuwachsrate
aller gastrointestinalen Tumoren auf.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Unkomplizierte Fälle einer gastrooesophagealen Refluxkrankheit können bei Fehlen von
sogenannten Alarmsymptomen wie Dysphagie, Odynophagie, Gewichtsabnahme und fehlenden Hinweisen auf eine gastrointestinale Blutung nach einer sorgfältigen Anamnese für
einen befristeten Zeitraum probatorisch mit einem säuresuppressiven Medikament behandelt werden. Für Patienten mit diesen Alarmsymptomen sowie für solche mit wiederkehrenden oder persistierenden Beschwerden nach bzw. unter Therapie ist eine endoskopische
Abklärung unverzichtbar. Bei der Bewertung des endoskopischen Befundes ist zu bedenken,
dass etwa 60 % der Patienten mit gastrooesophagealer Refluxkrankheit keine endoskopisch
sichtbaren Veränderungen aufweisen. Die Mehrzahl dieser Patienten zeigt jedoch in der 24Stunden-pH-Metrie ein pathologisches Refluxprofil. Im Einzelfall ist daher abzuwägen, ob
man diese weiterführende Diagnostik durchführt oder probatorisch einen Therapieversuch
mit einem Protonenpumpenhemmer unternimmt.
Patienten mit der endoskopisch-bioptischen Diagnose eines Barrett-Oesophagus sind einem endoskopischen Follow up zuzuführen, um ggf. leicht- oder schwergradige Dysplasien
oder auch ein Karzinom im frühen Stadium nachweisen zu können. Im Falle der Diagnose
einer hochgradigen Dysplasie bzw. eines Frühcarzinoms stehen neben lokal endoskopischen
Maßnahmen begrenzte chirurgische Eingriffe zur Wahl.
Abstractband
57
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Chronische Virushepatitis
58
Abstractband
D. Schuppan, Erlangen
Aus einer akuten Hepatitis B entwickelt sich bei ca. 10% der Patienten eine chronische
Hepatitis, die wiederum in der Hälfte der Fälle einen chronisch-aktiven Verlauf mit dem
Spätstadium der Zirrhose nimmt. Dagegen liegt die Chronifizierungsrate der Hepatitis C bei
ca. 70-90%, und ca. 30% der Patienten entwickeln nach im Mittel 20 Jahren eine Zirrhose mit
den Komplikationen der Leberinsuffizienz, der portalen Hypertension mit Ösophagusvarizenblutung und Aszites, der hepatischen Enzephalopathie und einem 100-200-fach erhöhten
Risiko für die Entwicklung eines Leberzellkarzinoms.
Die serologische Diagnose erfolgt zunächst durch einen Nachweis des HBs-Ag, ggf. HBeAg, des anti-HBc und der HBV-DNA bzw. von anti-HCV und der HCV-RNA.
Man rechnet mit ca. 300 Millionen chronisch mit dem Hepatitis B Virus (HBV) infizierten
Patienten weltweit, davon 75% in Asien. Jährlich versterben ca. 1,5 Millionen an einer Zirrhose oder einem hepatozellulärem Karzinom. Die weltweite Prävalenz der chronischen Hepatitis C liegt bei geschätzten 100 Millionen, davon ca. 5 Millionen in Europa und 560.000 allein
in Deutschland (0,7% der Bevölkerung).
Eine Therapie, möglichst im Frühstadium einer chronisch aktiven Hepatitis B oder C, ist
deshalb notwendig. Eine chronische Hepatitis liegt bei einem mehr als 6-monatigen Verlauf
nach Beginn der Symptome und/oder einer mindestens seit 6 Monaten dokumentierten
Transaminasenerhöhung vor. Vor der Behandlung muss anamnestisch, laborchemisch und
durch bildgebende Verfahren (Sonographie) geklärt sein, ob der Patient bereits eine Zirrhose
hat, ob andere Lebererkrankungen beteiligt sind und ob Kontraindikationen für eine Therapie,
insbes. mit Interferon, bestehen. Im Falle der Hepatitis C ist eine Leberbiopsie mit Bestimmung der entzündlichen Aktivität und des Fibrosestadiums notwendig, da einige Patienten
keinerlei entzündliche Aktivität oder Fibrose aufweisen und deshalb nicht behandelt werden
müssen.
Das Basismedikament für die Therapie der chronischen Virushepatitiden ist nach wie vor
das Interferon alpha (IF) über 6 Monate (Hepatitis B) oder 6-12 Monate (Hepatitis C). Jedoch
werden bei der Hepatitis B zunehmend orale Virostatika (Lamivudin, Adefovir) eingesetzt,
insbes. bei Nichtansprechen der IF-Therapie (ca. 60% der Patienten). Bei der Hepatitis C führt
die Kombination von Langzeit- (pegyliertem) IF mit dem oralen Virostatikum Ribavirin in ca.
40 bzw. 80% (Virusgenotyp 1 vs. 2 oder 3) zur dauerhaften Viruselimination. Die Indikation
der teuren und nebenwirkungsreichen IF-basierten Therapie muss streng und durch einen
erfahrenen Hepatologen gestellt und überwacht werden. Kontraindikationen sind u.a. die
dekompensierte Lebererkrankung und Autoimmunerkrankungen. Nach Viruselimination wird
das Risiko einer Progression oder eines Leberkarzinoms deutlich reduziert bzw. normalisiert.
B. Manger, Erlangen
Die Arthritis, d. h. entzündliche Veränderungen am Gelenk sind das Leitsymptom bei einer
Fülle verschiedenster „rheumatischer“ Erkrankungen. Die Aufgabe der rheumatologischen
Diagnostik besteht in der Unterscheidung der verschiedenen Krankheitsursachen, der
differentialdiagnostischen Zuordnung und der Beurteilung der Aktivität und des Verlaufs einer
Arthritis.
Die wichtigste Säule der Diagnostik in der Rheumatologie ist nach wie vor die sorgfältige
Erhebung von Anamnese und klinischem Befund. Lokalbefund, Verteilungsmuster der Arthritis und extraartikuläre Symptomatik erlauben oft bereits eine differential-diagnostische Einordnung.
Bei der zweiten Säule, den bildgebenden Verfahren, ist unverändert die konventionelle Röntgendiagnostik die Methode der Wahl. Im Verlauf einer Arthritis lassen sich hier zunächst
entzündliche Weichteilveränderungen, nach einigen Wochen eine gelenknahe Entkalkung
und nach einigen Monaten knöcherne Destruktionen und Usuren darstellen. Von zunehmender Bedeutung ist in den letzten Jahren die Gelenksonographie insbesondere zur Beurteilung
der Gelenkkapsel und periartikulärer Weichteilstrukturen. Spezialuntersuchungen, wie Computer- und Kernspintomographie, bleiben besonderen Fragestellungen vorbehalten.
Die dritte Säule der rheumatologischen Diagnostik stellen die Laboruntersuchungen dar. Für
die differentialdiagnostische Einordnung von Gelenkbeschwerden spielen vor allem Autoantikörpernachweise (Rheumafaktoren, Analyse antinukleärer oder antizytoplasmatischer
Antikörper), immungenetische Bestimmungen (z. B. HLA-B 27) oder die Untersuchung von
Synovialflüssigkeit eine wichtige Rolle. Für die Beurteilung der Aktivität einer rheumatischen Erkrankung und damit zur Therapiesteuerung stehen dagegen meist unspezifische
Entzündungsparameter (z.B. CRP, Komplementfaktoren) im Vordergrund.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Rheumatoide Arthritis: Klinik – Diagnostik – Therapie
Dieser Vortrag soll einen Überblick über die genannten diagnostischen Möglichkeiten geben
und insbesondere auf einige neue in den letzten Jahren etablierte und bereits bewährte
Weiterentwicklungen im Bereich der bildgebenden Verfahren und der Labormethoden aufmerksam machen.
Auch in den Klassifikationskriterien des “American College of Rheumatology” wird deutlich,
dass Anamnese und klinischer Befund den Hauptanteil (5 von 7 Kriterien) zur Diagnosestellung beitragen, Labordiagnostik und radiologischer Befund tragen nur mit je einem Kriterium bei.
Die rheumatoide Arthritis (RA) ist eine Systemerkrankung bei etwa 1% der Gesamtbevölkerung, deren Morbidität und Mortalität erheblich unterschätzt wurde. Neuere epidemiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass die 5-Jahres Überlebenszeiten bei ausgeprägter
RA vergleichbar mit der bei koronarer Herzkrankheit (2-Gefäß-Stenose) oder M. Hodgkin
(Stadium III) sind. Aus dieser Erkenntnis heraus ergibt sich die Notwendigkeit, die derzeit
Abstractband
59
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
verfügbaren Möglichkeiten zur medikamentösen Beeinflussung des Krankheitsverlaufes hinsichtlich ihrer Effizienz und Toxizität sorgfältig zu überprüfen. Weitere grundsätzliche Überlegungen zum Therapiekonzept der RA leiten sich aus Verlaufsuntersuchungen ab, die zeigen
konnten, dass die Progression der Erkrankung in den ersten Jahren am ausgeprägtesten ist,
was die besten Aussichten für therapeutische Interventionen in diesem Fenster erwarten
lässt.
Diese prognostischen Überlegungen haben dazu geführt, dass prinzipiell jede gesicherte RA
mit einer krankheitsmodifizierenden Therapie durch immunmodulierende Substanzen angegangen werden sollte. In diesem Vortrag werden Indikationen und Stellenwert für die konventionellen Basistherapeutika (Methotrexat, Gold, Chloroquin, Sulfasalazin und DPenicillamin), neuere Immunsuppressiva (Cyclosporin A, Leflunomid) sowie TNF-Inhibitoren
und Kombinationen der genannten Substanzen besprochen.
Knochenmarkinsuffizienz
H. Reinel, Nürnberg
Unter Panzytopenie versteht man eine Kombination aus Anämie, Leukopenie und
Thrombozytopenie im peripheren Blut. Klinische Manifestationen sind Anämiesymptome,
Infektionen und Blutungen. Ist eine Panzytopenie nachgewiesen worden, muss eine Abklärung der Ursache erfolgen.
Neben der ausführlichen Anamnese und dem körperlichen Befund ist als hämatologische
Basisdiagnostik das Anfertigen eines Differentialblutbildes inklusive Retikulozytenzählung
sowie die Durchführung einer Knochenmarkspunktion (Zytologie, Histologie) erforderlich.
Aus den erhobenen Befunden ergibt sich die Indikation zu weitergehenden Untersuchungen
(z.B. Vitamin B12-Spiegel im Serum, Virusserologie, Flowzytometrie und Zytogenetik des
Knochenmarks).
Meistens wird die Panzytopenie durch eine mangelhafte bzw. gestörte Bildung der Blutzellen
im Knochenmark verursacht. Häufig liegt eine Verdrängung des normalen Knochenmarks
durch maligne Zellen vor (z.B. Leukämie, maligne Lymphome, multiples Myelom, Karzinome). Ein „zellreiches Knochenmark“ bei Panzytopenie weist auf eine gesteigerte Hämatopoese
mit gestörter Ausreifung hin, sog. Ineffektive Hämatopoese (z.B. Myelodysplastisches Syndrom, megaloblastäre Anämie). Ein „zellarmes Knochenmark“ lenkt dagegen den Verdacht
auf eine aplastische Anämie, die z.B. durch Medikamente oder Viren ausgelöst werden kann.
Ist bei der Knochenmarkaspiration kein Material zu gewinnen („Punctio sicca“) sollte an
eine Knochenmarkkarzinose, Osteomyelofibrose oder Haarzellleukämie gedacht werden.
Seltener ist die Panzytopenie Folge einer gesteigerten Zerstörung der reifen Blutzellen in den
Gefäßen und / oder der Milz (z.B. Hypersplenismus, Autoimmunerkrankungen, Infektionen).
Hier findet man im Knochenmark eine kompensatorisch gesteigerte, morphologisch jedoch
unauffällige Hämatopoese.
60
Abstractband
R. Strauß, Erlangen
Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich ausdrücklich nicht auf nosokomiale Infektionen bei Patienten mit sehr schwerem Immundefekt (z.B. Neutropenie <1.000/µl, HIVInfektion, Z.n. Transplantation), da für diese jeweils separate Diagnose- und Behandlungsempfehlungen gegeben werden müssen.
Epidemiologie: häufig und vital bedrohlich
Die nosokomiale Pneumonie ist die am häufigsten zum Tode führende im Krankenhaus
erworbene Infektion und nach den Harnwegsinfektionen die zweithäufigste Hospitalinfektion
überhaupt (Inzidenz ca. 1-5/1000 Aufnahmen). Die Letalität liegt zwischen 30 und 50%. Pragmatisch wird jede Pneumonie, die später als 48 h nach stationärer Aufnahme manifest wird,
als nosokomial definiert. Ausgenommen sind nur bei Aufnahme nachweislich „inkubierte“
Infektionen.
Die Diagnose einer Pneumonie umfasst drei Komponenten:
1. die klinische Diagnosestellung,
2. die Beurteilung des Schweregrades und
3. ggf. die Erregeridentifikation
Leitsymptom: Pulmonales Infiltrat plus Entzündungszeichen
Die Diagnose wird bei neuem Auftreten oder Progredienz eines pulmonalen Infiltrates gestellt, wenn gleichzeitig Entzündungszeichen wie Fieber oder Hypothermie, Leukozytose,
CRP-Erhöhung und purulentes Tracheobronchialsekret vorliegen. Allerdings sind diese Kriterien zwar relativ sensitiv, aber wenig spezifisch, sodass Differentialdiagnosen immer erwogen werden müssen. Zu denken ist v.a. an Atelektasen, Lungenödem, Lungeninfarkt/-embolie,
Blutungen, Ergüsse, Alveoltiden oder ARDS. Wichtig ist, dass mit zunehmendem Alter und
Schwere der Grunderkrankung die meisten Entzündungsparameter den Grad der Infektion
nur unzureichend reflektieren.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Diagnostik und Therapie nosokomialer Infektionen
Schwere Pneumonie: respiratorische oder zirkulatorische Insuffizienz
Als schwer ist jede NP einzustufen, die mit einer akuten respiratorischen oder zirkulatorischen
Insuffizienz oder multilobären Infiltraten einhergeht.
Erregerdiagnostik: sinnvoll zumindest bei schwerer Verlaufsform
Im Gegensatz zur ambulant erworbenen Pneumonie ist bei der NP das Erregerspektrum
weiter und Antibiotikaresistenzen häufiger. Deshalb sollte zumindest bei den schweren Verlaufsformen eine ggf. auch invasive Erregerdiagnostik angestrebt werden. Dies scheint zumindest bei Beatmungspneumonien die Prognose zu verbessern und den Antibiotikaverbrauch
zu senken.
Abstractband
61
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Therapieprinzipien: kalkuliert und schnell
Die antibiotische Initialtherapie erfolgt kalkuliert. Dabei müssen die individuelle Disposition
des Patienten (z.B. Grundkrankheit, Therapie, antibiotische Vorbehandlung, Schwere der
Pneumonie, Zeitpunkt des Auftretens) ebenso berücksichtigt werden wie die lokale Resistenz- und Erregersituation (z.B. lokale „Problemkeime“, lokale „Kleinepidemien“). Entsprechend gibt es keine überall und jederzeit anwendbare „Standardtherapie“. Für die Prognose
des Patienten ist entscheidend, dass die initiale Antibiose den oder die relevanten Keime
erfasst und dass sie so schnell wie möglich begonnen wird.
Für die Therapiewahl können vereinfacht zwei Erregergruppen unterschieden werden:
1. die Kerngruppe („Standarderreger“):
S. pneumoniae, H. influenzae, S. aureus (Methicillin empfindlich), E. coli, K. pneumoniae, Proteus spp., S. marcescens. Diese sind immer zu berücksichtigen.
Sie finden sich v.a. bei früher Manifastation (£ 5 Tage) und bei Patienten ohne
besondere Risikofaktoren.
2. die Riskogruppe („Problemkeime“):
Diese „Problemkeime“ finden sich v.a. bei Patienten mit später Manifestation (>5
Tage) oder entsprechendem Risikoprofil und gehen i.A. mit erhöhter Sterblichkeit
einher: P. aeruginosa, Acinetobacter, S. aureus (Methicillin resistent) (Langzeitbeatmung, Antibiotikavorbehandlung), P. aeruginosa (strukturelle Lungenerkrankung), S. aureus (Koma, Schädel-Hirn-Trauma, D. mellitus, chronische
Niereninsuffizienz), Legionellen (Hoch-Dosis-Corticoide), Anaerobier (Aspiration,
abdominelle Op).
Drei antimikrobielle Therapieschemata können für die Initialtherapie empfohlen werden:
SCHEMA 1:
· Cephalosporin II (III) oder Aminopenicillin/ß-Laktamase-Inhibitor
Geeignet für:
Patienten ohne o.g. Risikofaktoren und früher Manifestation (£ 5 Tage), egal ob
leicht oder schwer
SCHEMA 2:
· Aminopenicillin/ß-Laktamase-Inhibitor plus Erythromycin oder Ciprofloxacin oder
Levofloxacin falls MRSA Verdacht zusätzlich Vancomycin
Geeignet für:
Patienten mit o.g. Risikofaktoren und leichtem Verlauf, egal ob frühe oder späte
Manifestation
62
Abstractband
Sonographie bei akutem Abdomen
Chr. Jacobeit, Radevormwald
Die Diagnostik bei Patienten mit akuten Abdominalproblemen muss besonders rasch und
präzise erfolgen. Die Abdomenübersichtsaufnahme (Alternativdiagnostik) zeigt meist nur
indirekte Zeichen einer akuten Abdominalerkrankung, selten die direkte Erkrankungsursache.
Die Sonographie ermöglicht nach einer Studie von Guthoff und Mitarbeitern in 66% der Fälle
die richtige Diagnose, bei weiteren 13% ermöglicht sie wegweisende Aussagen und ist
damit das bildgebende Verfahren der Wahl.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
SCHEMA 3:
· Antipseudomonas-Penicillin oder Antipseudomonas-Cephalosporin oder
Carbapenem plus Ciprofloxacin oder Aminoglycosid falls MRSA Verdacht zusätzlich Vancomycin
Geeignet für:
Patienten mit später Manifestation und schwerem Verlauf, egal ob Risikofaktoren
vorliegen oder nicht, sowie für Patienten mit Pseudomonas-Disposition egal ob
frühe oder späte Manifestation.
Selbstverständlich ist die Initialtherapie im Verlauf an eingehende mikrobiologische Befunde anzupassen und, soweit möglich, ein Wechsel der initialen
iv-Gabe auf eine po-Gabe vorzunehmen.
Die Häufigkeitsverteilung der betroffenen Organsysteme bei 290 Patienten:
1. Magen-Darmtrakt
105
2. Pankreas
86
3. Gallesystem
47
4. Raumforderungen
28 (Abzesse, Hämatome retro-intraperitoneal)
5. Nierenprozesse
7
6. Adnexprozesse
4
7. Gefäßprozesse
3
8. Sonstige
10
Beispielhaft sollen anhand des Ileus die diagnostischen Möglichkeiten aufgezeigt werden
sowie Tipps und Tricks für die Untersuchung gegeben werden. Die Diagnose „Ileus“ stützt
sich neben der klinischen Symptomatik sonographisch in erster Linie auf den Nachweis
dilatierter flüssigkeitsgefüllter Darmschlingen, in zweiter Linie auf die Änderung der Peristaltik.
Beim kompletten Dünndarmileus ist das Dünndarmlumen über 3 cm, beim kompletten
Dickdarmileus ist das Dickdarmlumen über 6 cm erweitert. Die Differenzialdiagnose zwiAbstractband
63
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
schen komplettem und inkomplettem mechanischen Ileus stützt sich auf mehrere Indizien:
beim kompletten mechanischen Ileus ist in der Regel eine Pendelperistaltik sichtbar, beim
inkompletten Ileus eine Hyperperistaltik.
Das Charakteristikum des kompletten mechanischen Ileus ist die Pendelperistaltik. Die
Differenzialdiagnose zwischen paralytischem und mechanischem Ileus ist einfach, da beim
paralytischen Ileus keine Pendelperistaltik erkennbar ist (Totenstille), während beim inkompletten mechanischen Ileus die Hyperperistaltik kennzeichnend ist. Sowohl beim mechanischen als auch beim paralytischen Ileus sind die Darmschlingen abgerundet, die Darmwand
ist dünn ausgezogen. Im Spätstadium kann allerdings die Hyperperistaltik vom kompletten
mechanischen Ileus erlahmen, sodass dann das Bild eines kompletten sekundär paralytischen Ileus besteht. Ein begleitendes Darmwandödem zeigt eine Darmischämie an,
intramurale Gasansammlungen sind ein Charakteristikum für eine Ischämie mit Keiminvasion
und dringendem V.a. beginnende Durchwanderungsperitonitis.
Die Lokalisation eines Ileus ist einfach bestimmbar: eine hohe Obstruktion proximal des
Treitz‘schen Bandes zeigt den Duodenalileus an, ein Jejunalileus ist an dem typischen Klaviertastenphänomen erkennbar (dilatiertes Jejunum mit Kerckringfalten). Der Nachweis dilatierter
Haustren ist charakteristisch für den Dickdarmileus. Die Ätiologie des mechanischen Ileus
(Hernie, Bride, Tumor, Fremdkörper) kann unter subtiler sonographischer Abklärung unter
symptomorientierter Einstellung und Absuchen der o.g. Landmarken in vielen Fällen geklärt
werden. Es empfiehlt sich unter Berücksichtigung der anamnestischen Daten (OP-Narbe)
sowie der klinischen Untersuchung (Druckschmerz) eine genaue Suchdiagnostik. Die beiden häufigsten Ursachen (Bride, Inkarzeration) mit äußerer und innerer Hernie treten in etwa
vergleichbarer Häufigkeit auf. Tumoren folgen mit 10-20%. Eine inkarzerierte Hernie ist in der
Regel unschwer klinisch erkennbar, die Diagnose „Bridenileus“ kann bei Nachweis von
Bindegewebssträngen mit Darmstrangulation gelingen.
Ein stenosierender Tumor imponiert als asymptomatische Kokarde mit poststenotischer
Dilatation und poststenotischem Hungerdarm. Eine gastrointestinale Steinperforation ist eine
seltene Ursache des Ileus (in 60% liegt die Steinobstruktion im Ileum, nur in 3% im Magen,
und selten im Bulbus). Wegweisend bei V.a. Steinperforation ist die Schrumpfgallenblase mit
Aerozystie und Fistelnachweis. Typisch für die Invagination (die klassischerweise zu 85%
ileocoecal auftritt) ist ein Doppelkokardenphänomen („Kokarde in Kokarde“, häufige
inkarzerierte Netzkappe). Bei Erwachsenen sollte bei einer nachgewiesenen Invagination
immer nach einem zugrunde liegenden Tumor gefahndet werden.
Die stenosierende Ileumläsion ist typischerweise auf einen Morbus Crohn zurückzuführen
(charakteristisch ist hier eine langstreckige, echoarme Wandverbreiterung mit Aufhebung
der Peristaltik). Die sonographische Diagnose eines kompletten paralytischen Ileus ist einfach, die Genese unter Berücksichtigung der Anamnese (OP) sowie der klinischen Untersuchung (Vorhofflimmern, V.a. Embolie) häufig rasch differenzierbar. Die klinisch mild verlaufende infektiöse Enterocolitis imponiert als hyperperistaltischer Darm mit vermehrter
intraluminaler Flüssigkeitssekretion.
64
Abstractband
Die pseudomembranöse Colitis imponiert als langstreckig echoarme Colonwandschwellung
mit aufgequollenen Haustren. Abzugrenzen von der Darmwandischämie (die als echoarme
Wandschwellung mit Darmparalyse imponiert) ist das Antikoagulationsabdomen. Hierbei
handelt es sich um eine Darmwandeinblutung unter Antikoagulation mit nachfolgenden
Transportstörungen. Der Darm ist fokal echoarm verdickt. Hinweis ist hierbei die typische
Anamnese.
Im Kindes- und Jugendalter ist die häufigste Ursache des akuten Abdominalschmerzes weiterhin die Appendizitis (nach Siewert), sodass in jedem Fall bei einem akuten Abdomen eine
Appendizitis ausgeschlossen werden sollte. Selbst bei fehlender Perforation ist die akute
Appendizitis meist als transmurale Entzündung nachweisbar, wobei frühzeitig die umgebenden Strukturen mitbeteiligt sind.
Diese so genannte Periappendizitis ist ein diagnostisch wertvolles Phänomen, die sonographisch als eine umgebende echoreiche Fettgewebsreaktion (Netzhaube) imponiert. In
vielen Fällen zeigt sich ebenfalls bei einer beginnenden Durchwanderungsperitonitis eine
diskrete abdominelle Flüssigkeitsansammlung. Landmarken für das Aufsuchen der Appendix (die in vielen Fällen auch retrocoecal gelegen sein kann!) ist der Coecalpol und die
Ileacalgefäße. Im Vortrag sollen Tipps und Tricks für die Untersuchung gegeben werden.
Weiterhin sollten beispielhaft typische abdominale Erkrankungen mit dem Bild eines sekundären akuten Abdomens dargestellt werden:
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Für die klinisch schwer verlaufende toxische Colitis charakteristisch ist ein echoarmes
Darmwandödem mit Hyperperistaltik und reichlich intraluminaler Flüssigkeit. Kleine Mengen Ascites sind häufig vorhanden.
1. Gallenblasenperforation
2. Vom Intestinum ausgehende Sepsis
3. Nekrotisierende Pankreatitis
4. Akuter Ureterstau
5. Stielgedrehte Ovarialzyste
6. usw.
Galle
Die subtile Untersuchung der Gallenblase und der Gallenwege gehört zu jeder Abklärung
eines unklaren Oberbauchschmerzes. Im Vortrag sollen eine optimierte Darstellung sowie
Funktionsprüfung der Gallenblase und Gallenwege dargestellt werden. Zu einer kompletten
Gallenblasendiagnostik gehöhrt neben der Nüchternsonographie die postprandiale Funktionskontrolle (nach Reizmahlzeit), wobei sich bei einer unauffälligen Gallenblasenfunktion das
Volumen um über 50% verringern sollte. Funktionsstörungen der Gallenblase lassen sich so
einfach darstellen. Im Vortrag soll ein praktikabler Funktionstest vorgestellt werden. Unverzichtbar ist die Gallenblasensonographie in variablen Lagerungspositionen (Linksseitenlage, stehend). Beim Verzicht auf diese Untersuchungstechnik und der Sonographie nur in
Abstractband
65
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Rückenlagerung werden kleinere Steine der Untersuchung entgehen (diese Mikrolithen sind
häufig Ursache für steinbedingte Komplikationen in den Gallenwegen oder im Bereich der
Papille). Einen besonderen Stellenwert hat die subtile Sonographie der Gallenwege (vorzugsweise in Linksseitenlage) vor laparoskopischer Operation, um Variationen der Gefäße
bzw. des Gallengangsverlaufes rechtzeitig zu erkennen und operative Komplikationen zu
vermeiden. Auf eine doppelt angelegte A.hepatica dextra ist hier besonders hinzuweisen,
ebenso wie auf außerordentliche Varietäten des Verlaufs der A.hepatica.
An Hand typischer Beispiele sollen die Charakteristika der akuten Cholangitis (echoarme
Wandverdickung mit Schlick im Gallengang) und die sonophänomenologischen Charakteristika der chronischen Cholangitis dargestellt werden (echoreiche Wandverdickung mit typisch perlschnurartigem Verlauf bei der primär sklerosierenden Cholangitis – PSC). Dargestellt werden soll die Differenzialdiagnose „zystischer Gallengangprozesse“. Typische
sonomorphologische Charakteristika des Carolisyndroms sind kleine Zysten ventral der
Pfortaderäste (intrahepatisch gelegene Gallensteine erhärten die Diagnose). Bei ätiologisch
unklarer extrahepatischer Cholestase sollte nach Ausschluss einer lithogenen oder malignombedingten Ursache die primäre Adenomyomatose differenzialdiagnostisch in die Erwägung einbezogen werden. Der sonographische Befund imponiert hierbei einerseits als erweiterter, andererseits als wandverdickter Choledochus, wobei der Gallengang dreischichtig
wandverdickt imponiert mit einer echogenen Innen-/Außenschicht und einer echoärmeren
Mittelschicht (teilweise mit kleinen zystischen Läsionen). Neben diesen eher seltenen Erkrankungen der Gallenwege sollen ungewöhnliche Gallenblasenerkrankungen (wie z.B. die
pseudotumorös imponierende xanthogranulomatöse Cholezystitis) dargestellt werden.
Sonographisch gesteuerte Punktionen: Wann indiziert?
S. Beckh, Nürnberg
Die sonographisch gesteuerte Punktion ist durch die Möglichkeit der permanenten Sichtkontrolle während des Punktionsvorganges ein sehr sicheres Verfahren mit hoher diagnostischer Ausbeute.
Grundsätzliche Voraussetzungen für einen diagnostischen Eingriff sind eine normale Blutgerinnung (Normalwerte für INR, PTT und Thrombozyten), das schriftliche Einverständnis
des Patienten und zu erwartende therapeutische Konsequenzen aus dem Ergebnis der Punktion. Therapeutische Eingriffe, z.B. Anlegen einer Drainage zur Entlastung eines klinisch
bedeutsamen Abszesses, Ergusses oder Empyems müssen unter Abwägung von Nutzen
und Risiko manchmal trotz Störungen der Blutgerinnung durchgeführt werden. Zur Aspiration von Flüssigkeiten werden Kanülen oder Feinnadeln von 0,7 bis 0,9 mm Durchmesser
verwendet, das Material wird der biochemischen, bakteriologischen und/oder zytologischen
Untersuchung zugeführt. Für die Entnahme von Gewebeproben sind spezielle Saug- oder
Schneidbiopsienadeln mit einem Durchmesser von 0,95 bis 1,4 mm erforderlich.
66
Abstractband
Punktionen der Schilddrüse können ohne weiteres ambulant erfolgen. Bei Punktionen im
Thorax- oder Abdominalraum empfiehlt sich ein Nachbeobachtungszeitraum von wenigen
Stunden bis zu einem Tag. Eine Punktion unter stationärer Überwachung ist gegebenenfalls
vorzuziehen.
Vor jeder Punktion ist eine gründliche Reinigung und Desinfektion des entsprechenden Hautareals vorzunehmen, steriles Arbeiten mit Schallkopf und Instrumentarium ist selbstverständlich. In jedem Fall ist der kürzeste und zugleich sicherste Punktionsweg zu wählen.
Mittels der Farbdopplersonographie müssen Gefäße in der ausgewählten Region und insbesondere in der zu punktierenden Herdbildung dargestellt werden. Eine irrtümliche Punktion
eines abdominellen Aneurysmas wäre fatal. Eine Lokalanästhesie sollte bei thorakalen und
abdominellen Punktionen eingesetzt werden, vor allem bei Verwendung größerer Nadelkaliber oder vor Anlage von Drainagekathetern. Bei Punktionen tiefer liegender Regionen,
wie z.B. Pankreas oder Retroperitoneum ist eine zusätzliche milde Sedierung mit beispielsweise Midazolam ratsam.
Indikation zur Punktion der Schilddrüse sind szintigraphisch kalte und gleichzeitig sonographisch auffällige Knoten. Auch komplizierte Zysten oder die verschiedenen Arten von
Schilddrüsenentzündungen können mit Material diagnostiziert werden, das mittels einer
Aspirationszytologie gewonnen wurde. Bei Schilddrüsenkarzinomen kann der zytologische
Befund negativ oder die Differenzierung zwischen Karzinom und Adenom unmöglich sein.
Bei klinisch und sonographisch begründetem Verdacht auf das Vorliegen eines Karzinoms
sollte der Befund auch bei negativer Zytologie operiert und von weiteren Punktionsmanövern
Abstand genommen werden.
Bei Leberparenchymerkrankungen oder unklaren Herdbildungen müssen Gewebezylinder
für die Diagnosestellung gewonnen werden, beim Leberabszess sind Aspirationszytologien
ausreichend. Auf Leberparenchymerkrankungen weisen in der Regel pathologische Laborwerte hin, eine Gewebeuntersuchung ist zur ätiologischen Zuordnung und Einleitung der
entsprechenden Therapie erforderlich. Raumforderungen in der Leber sind eher Zufallsbefunde – häufig bei der Sonographie, manchmal auch bei der Computertomographie entdeckt. Solide Herdbildungen sollten punktiert werden, wenn sie als Metastasen einer bislang nicht bekannten oder anders nicht diagnostizierbaren Tumorerkrankung vermutet werden. Befunde, die dem sonographischen Bild eines primären, noch umschriebenen
hepatozellulären Karzinoms entsprechen, müssen bei noch möglicher Resektabilität nicht
punktiert, sondern sollten gleich dem Chirurgen vorgestellt werden. Bei sonographischem
oder mit anderen bildgebenden Verfahren eindeutig zuzuordnendem Befund sollten Herdbildungen wie Hämangiome, Leberadenome und follikuläre noduläre Hyperplasien wegen
des erhöhten Blutungsrisikos nicht punktiert werden. Mitunter ist aber eine Artdiagnose mit
bildgebenden Verfahren nicht möglich. In diesem Fall muss die Entscheidung getroffen werden, ob invasive diagnostische Maßnahmen indiziert sind oder ob eventuell der weitere
Verlauf zunächst beobachtet werden kann. In keinem Fall sollten Hämangiome oder kräftig
vaskularisierte Herde punktiert werden, wenn der Befund bis an den Leberrand reicht und
auf dem Punktionsweg keine schützende Parenchymbrücke dazwischen liegt.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Abstractband
67
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Nach den Leberpunktionen folgen in der Häufigkeitsstatisitik die Pankreaspunktionen. In der
Regel geht es um die differentialdiagnostische Klärung von umschriebenen Herdbildungen
mit der Frage Karzinom, Lymphom, Metastase oder fokale Pankreatitis. Die sonographische
Einstellung kann durch überlagernde Darmabschnitte beeinträchtigt sein. Zur besseren diagnostischen Ausbeute werden mehrfache Punktionsgänge mit Gewebeaspiration empfohlen. Beim muzinös-zystischen Karzinom – sonographisch durch multiple teils konglomeratartig, teils septierte zystische Anteile auffallend – ist allerdings die Induktion einer peritonealen
Aussaat durch eine Punktion möglich. Eine weitere Indikation für eine Pankreaspunktion
können infizierte Zysten oder der Verdacht auf infizierte Nekrosen im Rahmen einer
Pankreatitis sein.
Die Indikation zur Nierenpunktion ist vom Nephrologen zu stellen und wegen der möglichen
Komplikationen nur von geübten Untersuchern durchzuführen. Maligne Neubildungen der
Niere sind mit der Sonographie und gegebenenfalls ergänzenden bildgebenden Verfahren gut
darzustellen. Eine Punktion ist nicht mehr üblich, die Tumore werden – soweit dem Patienten
zumutbar – ohne vorherige Histologie operiert oder bei Inoperabilität embolisiert.
Punktionen der Milz werden wegen des extrem hohen Blutungsrisikos nur sehr selten durchgeführt. Isolierte vorzugsweise dem Organ aufsitzende Abszesse können bei günstiger Lage
eventuell abpunktiert oder drainiert werden, ansonsten müssen chirurgische Verfahren zum
Einsatz kommen.
Freie Flüssigkeit im Abdomen ist sonographisch gut darstellbar. Die Indikation zur Punktion
ergibt sich bei der Frage nach bakterieller oder spezifischer Peritonitis, sowie bei Verdacht
auf Peritonealkarzinose. Sonographisch muss vor der geplanten Punktion unbedingt ein
zystischer Ovarialtumor differentialdiagnostisch ausgeschlossen werden. Ovarialkystome
können riesige zystische Anteile haben, die bei oberflächlicher Untersuchung als Aszites
missdeutet werden können.
Häufige Indikationen für Punktionen im Thoraxraum sind Pleuraerguss, Pleuraempyem sowie solide Herdbildungen der Pleura. Lungenherde, die bis an die viszerale Pleura reichen
oder durch Flüssigkeit oder konsolidiertes unbelüftetes Gewebe beschallbar werden, können mit hoher diagnostischer Treffsicherheit unter sonographischer Sicht punktiert werden.
Das Pneumothoraxrisiko liegt bei 1 – 2 %, Hämoptysen treten bei Lungenpunktionen bei 2 –
4 % auf, vor allem bei Punktion entzündlich infiltrativer Herde.
Insgesamt ist die Komplikationsrate sonographisch gesteuerter Punktionen mit 0,59 % bei
der Gewinnung zytologischen und 0,99 % bei der Gewinnung histologischen Materials sehr
niedrig. Für therapeutische Eingriffe betrug die Komplikationsrate 1,98 % (DEGUM-Umfrage
II 1996). Metastasen im Stichkanal wurden in derselben Umfrage bei 0,0063 % aller
sonographischen Punktionen beobachtet. Insgesamt ist die sonographisch gesteuerte Punktion bei korrekter Indikation und nötiger Sorgfalt eine äußerst sichere und wertvolle Methode.
68
Abstractband
B. Braun, Reutlingen
Einleitung: Pankreaserkrankungen gehen in der Mehrzahl der Fälle mit uncharakteristischen
Symptomen und unspezifischen laborchemischen Befunden einher. Die Einführung der neuen bildgebenden Verfahren in den 70er Jahren bedeutete einen Quantensprung in der Pankreasdiagnostik. Mittels Sonographie, CT und MR können Parenchym und Anteile des Gangsystems sowie die benachbarten Organe und Strukturen anatomiegerecht dargestellt werden. Die ERCP ist die Methode der Wahl zur Beurteilung des biliären und pankreatischen
Gangsystems und hat besonderen Stellenwert als interventionell-therapeutisches Verfahren.
Indikationen zur Pankreassonographie: Gezielte morphologische Pankreasdiagnostik bei
Verdacht auf akute oder chronische Pankreatitis und Pankreastumor beginnt stets mit der
Sonographie. Die nosologische Differenzierung des Ikterus / der Cholestase und der Amylase/ Lipase- Erhöhung gelingt sonomorphologisch in den meisten Fällen.
Stellenwert der Sonographie: Für die Diagnosestellung der entwicklungsgeschichtlichen
erklärbaren Pankreasfehlbildungen (Pankreas divisum, Pankreas anulare) ist die ERCP die
Methode der Wahl. Die Sonographie kann durch Nachweis eines weiten Gangsystems,
eines abnorm großen aber homogen strukturieren Pankreaskopfes oder dem Nachweis
einer Duodenalstenose wichtige Hinweise auf diese kongenitalen Anomalien geben. In der
Diagnostik der akuten Pankreatitis leistet die Sonographie einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Diagnose (Tabelle), zur Erfassung des Schweregrades und zur Erkennung von
Komplikationen im Verlauf der Erkrankung. Auch für die ätiologische Einordnung der
Pankreatitis und die Erkennung der biliären Form und damit zur Indikation zur Früh-ERCP ist
die Sonographie von großer Bedeutung. Lokale Komplikationen im Verlauf der hämorrhagisch
nekrotisierenden schwer verlaufenden Pankreatitis wie die Ausbildung von Aszites,
Pleuraergüssen, sterilen oder infizierten Nekrosen, Pseudozysten, Gallengangs- oder
duodenalen Stenosen oder portal venösen Thrombosen werden sonomorphologisch erfasst.
Bei qualifizierter Durchführung der Sonographie ist computertomographische Diagnostik
selten und nur dann erforderlich, wenn bei hämorrhagisch nekrotisierender Pankreatitis das
Organ und die peripankreatische Region mittels Sonographie nicht ausreichend darstellbar
sind und sich aufgrund des klinischen Verlaufs prognostische oder operative Konsequenzen
ergeben.
Abstractband
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Differenzierte Probleme am Pankreas: Was leistet die Sonographie?
69
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Sonographischer Beitrag zur Differentialdiagnose der akuten Pankreatitis
Differentialdiagnose
Sonographischer Befund
Akute Cholezystitis
dolente, wandverdickte Gallenblase mit
Wandseparierung, Steinen und Sediment
Gallenkolik
Nachweis von Gallensteinen und/oder
Gallengangserweiterung
Chronische Pankreatitis
Verkalkungen; irregulärer, erweiterter
Pankreasgang; Pankreatolithen
Pseudozysten
Ulcus ventriculi/duodeni
Lokalisierte Wandverdickung mit umschriebener
Dolenz
Magen-Darmperforation
Nachweis freier Luft
Obstruktiver/paralytischer
Ileus
stehende flüssigkeitsgefüllte Darmschlingen; ggf. Pendelperistaltik
Mesenterialgefäßverschluss
langstreckig und zirkulär verdickte Darmschlingen; Stenose/Verschluss der
A. mesenterica sup./inf. im Farddoppler
Divertikulitis
Divertikelnachweis, entzündliches Ödem der Darmwand, inflammatorische
Umgebungsreaktion
Appendizitis
Darstellung der aperistaltischen pathologischen Kokarde
Pleuritis
Pleurarandwinkelerguss, basale Lungenbelüftungsstörung, eingeschränkte
Zwerchfellbewegung
Lungenembolie
Rechtsherzbelastung, Pleurarandwinkelerguss,
segmentale periphere Lungeninfiltrate
Herzinfarkt
Regionale Wandbewegungsstörung
Perikarditis
Perikarderguss
Dissezierendes
Aortenaneurysma
Aneurysma-Darstellung im abdominalen
Bereich (Dissektion mittels Farbdoppler)
Sonographische Befunde bei chronischer Pankreatitis sind Inhomogenitäten des Parenchyms, langstreckige oder zirkumskripte Erweiterung des Ductus pancreaticus, Verkalkungen
oder der Nachweis von Pseudozysten. In Frühstadien der Erkrankung, in der Differenzierung
der fokalen Pankreatitis vom Tumor und beim gleichzeitigen Vorliegen von Tumor und chronischer Pankreatitis ist die sonographische Diagnostik limitiert. In Einzelfällen kann die
sonographisch gesteuerte Feinnadelpunktion hilfreich sein.
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Abstractband
Akute Pankreatitis
Chronische
Pankreatitis
Tumor
ödematös/milde
nekrotisierend/
schwere
Größe
normal (ca. 20%);
diffus vergrößert
umschrieben/diffus
vergrößert
verbreitert/normal/
atroph
umschrieben vergrößert
Kontur
glatt/unscharf
unscharf/uferlos
unregelmäßig
Kontursprung;
unscharfe Begrenzung;
„Krebsfüßchen”
Parenchymstruktur
homogen echoarm; inhomogen;
inhomogen;
umschrieben echoarm,
echonormal
echoarm/echodicht; echoarm/echodicht; inhomogen
(ca. 20%)
„zystische” Areale
Kalk, Zysten, Narben (selten Zysten)
Pankreasgang
schlecht darstellbar selten darstellbar
umschrieben erprästenotisch erweitert
weitert; perlschnurartig; ggf. Gang-
Organkom-
Dolenz
(+)
steine
Dolenz
(+)
pressibilität
In der Diagnostik der Pankreastumoren – der serösen wie der muzinösen Zystadenome und
Zystadenokarzinome, der Erkennung des aggressiv wachsenden ductalen Adenokarzinoms
und der Erfassung von intrapankreatischen Metastasen – kommt der Sonographie entscheidende Bedeutung zu. Ergänzt durch farbcodierte Doppler-Sonographie und Endosonographie
kann in den meisten Fällen das lokale Staging erfolgen und damit die Frage der lokalen
Operabilität beantwortet werden. Bei inoperablen Tumoren sollte die Diagnosesicherung
mittels sonographisch gezielter Feinnadelpunktion erfolgen. Im Verlauf der Erkrankung wird
die Sonographie eingesetzt zur Erfolgskontrolle einer palliativen Chemotherapie und zur
Beurteilung der Durchgängigkeit biliärer Stents. Die farbcodierte Sonographie zeigt – und
dies kann durch die intravenöse Applikation von Echokontrastverstärkern (z.B. Sonovue®)
verstärkt werden – eine verstärkte Durchblutung bei neuroendokrinen Tumoren des Pankreas, bei serösen Zystadenomen und in den Septierungen muzinöser Zystadenome sowie in
intrapankreatischen Metastasen von hypernephroiden Karzinomen oder hochmalignen
Lymphomen. Dagegen sind die häufigeren Adenokarzinome des Pankreas durch Gefäßarmut charakterisiert.
Abstractband
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Sonographische Kriterien zur Beurteilung des normalen und pathologischen Pankreas
71
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Das biliopankreatische System: Sonographie versus CT (und MR)
L. Greiner, Wuppertal
Die parenchymatösen und die tubulären Strukturen von Leber und Pankreas bieten ideale
akustische Grenzflächen-Bedingungen für die sonographische „Bildgebung”. Ihre Detailauflösung ist mittlerweile lupenähnlich; darüber hinaus liefert die Ultraschalluntersuchung sowohl intravitale realtime-Bilder von Normalbefunden, diffusen oder umschriebenen Strukturabweichungen als auch den realtime-Nachweis von Transportstörungen in den Galle,
Pankreassaft und Blut führenden Gefässen. Die diagnostisch relevanten Strukturen können
hierbei ohne jede Vorbereitung des Patienten vom verantwortlichen Kliniker selbst detailgetreu herausgearbeitet werden, wobei die Ebenen der Schnittführung nicht apparativ vorgegeben sind, sondern den individuellen Situs-Gegebenheiten angepasst werden können –
eine Direktheit des diagnostischen Zugriffes mit einem Optimum an Ortsauflösungsvermögen,
das sonst keine technische Diagnostik bietet.
Das Leber- und Pankreasvolumen erschließt sich weniger aus ungenauen Messungen als
vielmehr aus den Organkonturen und dem morphologischen Gesamtaspekt.
Die Parenchymkonsistenz ist durch Sichtpalpation und durch Impressionen mitgeteilter Pulsationen beurteilbar (Segment II/III: durch den rechten Ventrikel; Segment I und Processus
uncinatus/Pankreaskorpus: durch die Vena cava inferior und die Aorta abdominalis).
Diffuse Parenchymstörungen gehen mit Veränderungen des relativen Reflexibilitätseindruckes
der Parenchymanschnitte einher. Bei der Beurteilung des Pankreasparenchyms spielen
diffuse Alterationen eine untergeordnete Rolle; bekannt ist die im Alterspankreas häufig
vermehrte Reflexibilität („Lipomatose” des alten Pankreas).
Die Stauungsleber weist eine verminderte Reflexibilität auf, während eine hepatozytäre
Fetteinlagerung zu vermehrter Reflexibilität relativ zum Nierenparenchym führt – Kriterien,
die sich (wie letztlich alle deskriptiv-morphologischen Beobachtungen) einer „exakten” Messung entziehen, mithin zwangsläufig subjektiv bleiben. Dies gilt auch für die diffusen Störungen der Lebergefäßarchitektur, einem dennoch wesentlichen Kriterium bei der Beurteilung
der sonographisch millimeterdünnen Schnittflächen des Leberparenchyms. Systematische
Korrelationen der Sonomorphologie zur Histologie des devitalen dehydrierten Lebergewebes
stoßen damit an die Grenzen der Vergleichbarkeit. Ist eine Leberhistologie erforderlich, so
muss heute die Menghini-Punktionstechnik komplettiert werden durch die unmittelbar vorausgehende sonographische Festlegung der Punktionskoordinaten wie Einstich-Ort, -Richtung und -Tiefe.
Fokale Parenchymläsionen in Leber und Pankreas sind umso besser zu erkennen, je ausgeprägter die relative Reflexibilitätsdifferenz zum umgebenden Parenchym ist – und vice versa.
In einer reflexarmen, flüssigkeitsreichen Stauungsleber sind reflexarme Metastasen schlecht
bis kaum differenzierbar. Die eher reflexreiche alimentär belastete mitteleuropäische Durchschnittsleber erlaubt die Detektion auch kleiner echoarmer Metastasen.
72
Abstractband
Die Sonographie der Galle, Pankreassaft oder Blut führenden Gefäße orientiert sich an der
Stauung/Dilatation und der Kompression/Verlegung des Lumens sowie an Wandverdickungen.
Die Ikterus-Differentialdiagnostik ist damit durch den Ultraschall ebenso bahnbrechend einfach geworden wie die komplexeren Krankheitsbilder, beispielsweise des Budd-Chiari- und
des Caroli-Syndroms.
Auf anderweitige Methoden der „Bildgebung” – gemeint sind CT und MR – mit insbesondere
schlechterem Ortsauflösungs-Vermögen, fehlender realtime-Information und mühsamer bzw.
fehlender Interventionssteuerung kann damit auch in der Diagnostik des biliopankreatischen
Systems meist verzichtet werden. Die derzeit kongresstypische Frage nach der Differentialindikation von ERCP (endoskopisch-retrograder Cholangio-Pankreatikographie) versus MRCP
(Magnetresonanz-Cholangio-Pankreatikographie) ist für den erfahrenen selbst sonographierenden Gastroenterologen nur schwer verständlich: die Sonographie des
biliopankreatischen Abfussystems lässt nur selten (wenn überhaupt) Fragen offen, die durch
die MRCP geklärt werden könnten. (Vor interventionellen biliopankreatischen Endoskopien
ist damit die Sonographie – möglichst durch ein und denselben Arzt – unerlässlich.)
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Analog sind kleine dem Pankreasparenchym „isoreflexible” Parenchymläsionen oft nicht
oder „nur” durch die Verursachung einer Obstruktion des D.pancreaticus zu erkennen. Durchaus problematisch sind mitunter auch parapankreatische Raumforderungen (in der Regel
Lymphome) mit einer pankreasähnlichen Reflexibilität. CT und MR haben hier allerdings
wesentlich gravierender Diskriminierungsprobleme, insbesondere bei schlechtem luminalem
Kontrastmittelangebot.
Die zyto-/histomorphologische Diagnosensicherung von Leber- und Pankreasraumforderungen erfolgt mit Hilfe der ultraschallgesteuerten Feinnadelbiopsie, die nicht nur in der
gastroenterologischen Onkologie unentbehrlich geworden ist.
Diese fehlende Mehrinformation durch CT oder MR gilt auch für viele andere differentialdiagnostische Überlegungen – beispielsweise in der Abklärung fokaler Leberläsionen: will
man tatsächlich eine beweisende oder hoch-/höchstwahrscheinliche Diagnose herbeiführen, ist man so gut wie immer auf eine mikroskopische Morphologie angewiesen. Mit anderen Worten: beim Nachweis einer fokalen Leberläsion ist es in der Regel nur kostenträchtig
und wenig hilfreich, die komplette Bildgebungskaskade ablaufen zu lassen – meist ist eine
sonographische (Hoch-, Höchst-) Wahrscheinlichkeitsdiagnose ausreichend, durchaus
unter Einbeziehung aktueller technischer Möglichkeiten (farbkodierte Duplexsonographie,
Echosignalverstärker/ „Sono-Kontrastmittel”). Im Zweifelsfall sollte – unter Weglassung
übriger sog. Bildgebungen – die mikroskopische Diagnostik am sonographisch-interventionell
gewonnenen Biopsat (Zytologie; Histologie) angestrebt werden.
Im Methodenvergleich zwischen Sonographie und teureren – nicht höherwertigen – anderen
sog. bildgebenden Verfahren darf schließlich nicht unerwähnt bleiben, dass bei der quantitativ häufigsten Fragestellung – der nach einer Cholezystolithiasis – die Sonographie unbestritten die Methode der Wahl ist – auch hier versagen CT und MR die notwendigen hohen
Sensitivi- und Spezifitätszahlen.
Abstractband
73
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Letztlich ist auch in Kreisen engagierter Radiologen die Tatsache bisher unwidersprochen,
dass mindestens 80% aller bundesweit veranlassten CT- und MR-Untersuchungen des Abdomens durch einen qualifizierten sonographischen Untersuchungsgang überflüssig (oder
zumindest in ihrer Indikation hochgradig relativierbar) sind.
Die sonographische Diagnostik auch und insbesondere des biliopankreatischen Systems ist
die Untersuchungsmethode der ersten Wahl, die in aller Regel den Einsatz anderer sog.
bildgebender Verfahren erübrigt oder zumindest relativiert – mit wesentlicher Ökonomisierung
des weiteren Werdeganges für den somit minderbelasteten Patienten.
Endosonographisches Staging des Rektumkarzinoms: Relevanz für das
klinische Vorgehen
I. Schneider, Erlangen
Die endorektale Sonographie stellt heute ein Standardverfahren zur präoperativen Beurteilung von Rektumkarzinomen dar. Bei Tumoren des unteren Rektums kommt ihr in dem
Entscheidungsprozess zwischen lokaler Exzision des Tumors und radikaler Resektion eine
zentrale Bedeutung zu.
Für die endorektale Sonographie werden Ultraschallsonden mit einem Frequenzbereich von
7,5 – 10 MHz eingesetzt. Als Vorlaufstrecke dient ein wassergefüllter Ballon, der der Darmwand unmittelbar anliegt. Das erzeugte Bild gibt den schichtenweisen Aufbau der Rektumwand wider, sodass Rektumkarzinome entsprechend ihrer Eindringtiefe mit hoher Zuverlässigkeit in die Kategorien T1, T2, T3 oder T4 eingeteilt werden können. Daneben erlaubt die
endorektale Sonographie auch eine Aussage zum Vorliegen von tumornahen Lymphknotenmetastasen, die sich im Ultraschallbild als rundliche echoarme Raumforderungen darstellen.
Gerade bei tiefsitzenden Karzinomen stellt sich für Patient und Operateur die Frage, ob der
Tumor lokal exzidiert werden kann oder ob eine Rektumexstirpation mit Anlage eines dauerhaften Anus praeter naturalis erforderlich ist. Falls es sich um einen kleinen Tumor mit
einem Durchmesser von 2 – 3 cm handelt, der aufgrund der Biopsie nicht als schlecht oder
undifferenziertes Karzinom (G3, G4) eingestuft wurde, entscheidet die Endosonographie über
das weitere Vorgehen. Ein als T1 oder in einzelnen Fällen als T2 kategorisierter Tumor wird
beim Fehlen von endosonographisch nachweisbaren Lymphknotenmetastasen lokal exzidiert. Größere Tumoren bzw. das Vorliegen von Lymphknotenmetastasen machen eine radikale Resektion erforderlich.
Die definitive Festlegung, ob eine lokale Exzision ausreichend ist, liegt nach wie vor beim
Pathologen. Die Sicherheit jedoch, mit der die adäquate Behandlung von vorne herein eingeleitet wird, ist durch die Endosonographie gestiegen.
74
Abstractband
B. Manger, Erlangen
In den vergangenen Jahren hat die sonographische Darstellung von Gelenken und Weichteilen zunehmende Bedeutung in der orthopädischen, unfallchirurgischen und internistischrheumatologischen Diagnostik gewonnen. Hier soll einer kurzer Überblick über sonographische Anatomie, Schnittführung, typische pathologische Befunde und sonstige Besonderheiten des Gelenkultraschalls gegeben werden. Zur systematischen Darstellung der
arthrosonographischen Untersuchung wird auch verwiesen auf www.eular.org und (1).
Für die Sonographie geeignete Schallwellenlängen in wasserhaltigen Medien liegen um
etwa drei Zehnerpotenzen höher als die mittlere Wellenlänge des sichtbaren Lichtes. Allein
hieraus ergibt sich, dass aus der Optik und von Röntgenbildern her gewohnte Auflösungen
nicht erreicht werden können. So kann und soll die Arthrosonographie auch nicht mit konventionellen Röntgenaufnahmen konkurrieren, was die Beurteilung knöcherner Veränderungen wie entzündlicher Usurierungen angeht. Vielmehr stellt sie eine wertvolle diagnostische
Ergänzung dar, deren Vorteil bei der Beurteilbarkeit der periartikulären Strukturen und der
Funktion des Gelenkes liegt. Die Darstellung des Gelenkes unter Bewegung spielt vor allem
bei komplexerem Zusammenspiel von Skelett- und Weichteilelementen eine Rolle, wie zum
Beispiel bei der Überprüfung der Funktion der Rotatorenmanschette der Schulter. Die
sonographische Gelenkuntersuchung sollte grundsätzlich im Seitenvergleich durchgeführt
werden, da vielfach erst hierdurch einseitige pathologische Veränderungen gut herausgearbeitet werden können.
Alle bildgebende Verfahren in der Rheumatologie weisen Stärken und Schwächen in bestimmten klinischen Situationen auf. In der heutigen Situation mit der Notwendigkeit zu
deutlichen Einsparungen im Gesundheitswesen ist es mehr denn je erforderlich, die Kosten
und die Effizienz der zur Verfügung stehenden Verfahren für bestimmte diagnostische Fragestellungen zu analysieren.
Die Vorteile der Arthrosonographie liegen in der guten Beurteilbarkeit von Weichteilstrukturen,
was von allen anderen Verfahren nur die Kernspintomographie (MRT) in vergleichbarem
Maß leistet. Der MRT gegenüber ist die Sonographie im Vorteil was Kosten, Verfügbarkeit,
Wartezeiten, Belastung des Patienten und die Darstellung dynamischer Bewegungsabläufe
angeht. Allerdings ist die Sonographie das am meisten „Untersucher-abhängige“ bilgebende
Verfahren. Dies bedeutet, dass Ausbildung und Erfahrung des Untersuchers ganz entscheidend für die Wertigkeit der Methode sind. Auch sollte der sonographische Befund nur im
engen Kontext mit der klinischen Situation interpretiert werden. Aus diesem Grund sollte die
Arthrosonographie möglichst von dem Arzt durchgeführt werden, der auch die klinischen
Untersuchungsbefunde erhoben hat. Unter diesen Bedingungen hat die Sonographie die größte diagnostische Aussagekraft, was in diesem Vortrag an Bildbeispielen belegt werden soll.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Arthro-Sonographie: Fester Bestandteil der internistischrheumatologischen Praxis?
1. Backhaus M, Burmester G, Grassi W, Machold K, Swen W, Wakefield R, Manger B. Guidelines for
muskuloskeletal ultrasound in rheumatology. Annals of the Rheumatic Diseases (2001), 60:641-649.
Abstractband
75
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Moderne Schilddrüsen-Diagnostik und -Therapie
B. Braun, Reutlingen
Einleitung: Die Sonographie der Schilddrüse mit hochauflösenden Schallköpfen und einer
Frequenz von 7 – 14 MHz hat sich als primäres Untersuchungsverfahren zur Beurteilung der
Schilddrüsenmorphologie durchgesetzt. Es lassen sich Schilddrüsenerkrankungen konklusiv nachweisen und bei Darstellung einer normalvolumigen und homogen strukturierten,
sowie unauffällig vaskularisierten Schilddrüse eine Erkrankung und eine Funktionsstörung
der Schilddrüse ausschließen. Die Kombination von hochauflösender B-Bild-Sonographie
mit der farbcodierten Dopplersonographie ermöglicht es auch, funktionelle Informationen zu
gewinnen und Schilddrüsenerkrankungen, z. B. den echoarmen Basedow von einer Postpartum-Hyperthyreose oder einer Thyreoiditis de Quervain zu differenzieren. Das Ausmaß
der Vaskularisation, die Verteilung der Gefäße und die Bestimmung der peak systolik velociti
(PSV) ergeben auf nicht invasivem Wege wichtige Informationen über die lokale und regionale Durchblutung der Schilddrüse.
Schilddrüsenentzündungen: Die chronische Thyreoiditis kann in den Initialstadien mit
Schilddrüsenvergrößerung (Typ Hashimoto) einhergehen; seltener ist die primär atrophische Form. In fortgeschrittenen Stadien ist die chronische Thyreoiditis die häufigste Ursache
der Hypothyreose im Erwachsenenalter. Sie ist sonographisch charakterisiert durch eine
fleckig-inhomogene und echoarme Parenchymstruktur. In den meisten Fällen findet sich
weniger Vaskularisation, selten wird vermehr te diffuse Durchblutung beobachtet.
Schilddrüsenantikörper als Ausdruck der gestörten Immuntoleranz (TPO-AK) sind in den
meisten Fällen positiv. Der Nachweis von Schilddrüsenantikörpern belegt aber nicht zwingend die Schilddrüsenerkrankung und ist auch kein Beleg für die gestörte Schilddrüsenfunktion.
Die subakute Thyreoiditis de Quervain tritt häufig nach viralen Infekten der Luftwege auf und
zeigt klinisch cervikale Schmerzen und lokale Druckdolenz. Laborchemisch lassen sich
Entzündungszeichen (CRP-Erhöhung, BSG-Beschleunigung) nachweisen. Der sonomorphologische Befund ist mit Nachweis unscharf begrenzter, landkartenartig verlaufender echoarmer Areale sehr charakteristisch. Unter der Therapie kann sich das sonomorphologische
Bild rasch ändern. Die Feinnadelpunktion mit Nachweis der granulomatösen Entzündung
kann in der Differenzierung hilfreich sein.
Die Post-partum-Thyreoiditis (PPT) tritt nach Entbindung mit einer Inzidenz bis 5 % auf, wird
allerdings klinisch selten manifest. Sie führt zu vorübergehender Funktionsstörung und ist
häufig in ihrem Verlauf selbstlimitierend. Sonomorphologisch ist die Schilddrüse durch echoarme Organvergrößerung mit – im Unterschied zum Morbus Basedow – verminderter
Vaskularisation charakterisiert.
Schilddrüsentumore treten mit einer Inzidenz von ca. 3 Fällen pro 100.000 Einwohner und
Jahr auf. Die diagnostische Problematik besteht darin, bei der Vielzahl gutartiger Schilddrüsenknoten, wie sie in Jodmangelgebieten existieren, einen sehr seltenen malignen Tumor zu
76
Abstractband
Sonomorphologische Malignitätskriterien sind unscharfe Begrenzung, Fehlen eines Halo,
echoarme, inhomogene Struktur mit Nachweis von Mikroverkalkungen, irreguläre Vaskularisation und der Nachweis lokaler Lymphknoten und Thrombosen.
Struma parenchymatosa et nodosa: Zur Beurteilung und Volumetrie der Struma parenchymatosa kommt der Sonographie große Bedeutung zu. Regression der Schilddrüsengröße
unter Jodsubstitution kann dokumentiert werden. In der Diagnostik der Struma nodosa mit
regressiven Veränderungen kommt der Farbdopplersonographie untergeordnete Bedeutung
zu. Malignitätskriterien müssen gezielt überprüft werden.
Differentialdiagnose der Hyperthyreose: Die Farbdopplersonographie leistet einen entscheidenden Beitrag in der Differentialdiagnose der Hyperthyreose. Für die Immunhyperthyreose/
Morbus Basedow ist eine echoarme Binnenstruktur des Organs in bis zu 90 % nachweisbar.
Verstärkte Vaskularisation im Sinne eines vaskulären Infernos und Flussbeschleunigung in
der A. thyreoidea inferior auf 60 – 250 cm/sec. sind charakteristisch. In wie weit die Persistenz
des vaskulären Infernos unter thyreostatischer Therapie zur Einschätzung des Rezidivrisikos
beitragen kann, ist Gegenstand gegenwärtiger Untersuchungen. Methode der Wahl zur Erkennung eines Morbus Basedow in einer Knotenstruma ist die Farbdopplersonographie. In
der Erkennung der focalen Autonomie leistet die Farbdopplersonographie ebenfalls einen
wichtigen Beitrag: es finden sich verstärkt binnen- und randvaskularisierte Knoten. In der
definitiven Ausschaltung der focalen Autonomie mit Hyperthyreose durch sonographisch
gezielte Alkoholinstillationsbehandlung oder Thermoablationsverfahren ist die Beurteilung
der Binnenvaskularisation von großer Bedeutung.
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
erkennen. Erhöhtes Malignitätsrisiko besteht nach Bestrahlungen der Halsregion, nach früherer Strahlenexposition (z. B. Strahlenthyreoiditis), bei Nachweis derber und nicht
schluckverschieblicher Knoten, bei positiver Familienanamnese, Alter unter 20 und über 60
Jahren und einer Knotengröße über 4 cm.
Zusammenfassend erfolgt moderne Schilddrüsendiagnostik mit hochauflösender BBildsonographie und Schallköpfen mit 7–14 MHz, sowie ergänzender Farbdopplersonographie.
Anamnese, klinischer Befund, Sonomorphologie und basale TSH-Bestimmung sind die Grundlage der Schilddrüsendiagnostik. Nur in Einzelfällen und gezielt sollten Bestimmung von
Antikörpern, Szintigraphie und weiterführende Diagnostik erfolgen.
Abstractband
77
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
REFERENTEN
Altwein, Jens, Prof. Dr. med., Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Urologische Klinik, Romanstraße 93, 80639 München
Bartels, Olaf, Prof. Dr. med., Krankenhaus Martha-Maria, Medizinische Klinik, Stadenstraße 58,
90491 Nürnberg
Bauer, Jürgen, Dr. med., Klinikum Nürnberg, Medizinische Klinik 6,
Prof. Ernst-Nathan-Straße 1, 90419 Nürnberg
Beckh, Sonja, Dr. med., Klinikum Nürnberg, Medizinische Klinik 3, Prof. Ernst-Nathan-Straße 1,
90419 Nürnberg
Bölcskei, Pal L., Univ. Doz. der Semmelweis Med. Univ. Budapest, Dr. med., Klinikum Nürnberg,
Medizinische Klinik 3, Prof. Ernst-Nathan-Straße 1, 90419 Nürnberg
Braun, Bernd, Prof. Dr. med., Kreiskrankenhaus, Medizinische Klinik, Steinenbergstr. 31
72764 Reutlingen
Erbguth, Frank, Prof. Dr. med., Klinikum Nürnberg, Klinik für Neurologie,
Breslauer Str. 201, 90471 Nürnberg
Eschenhagen, Thomas, Prof. Dr. med., Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie u.
Toxikologie, Fahrstraße 17, 91054 Erlangen
Fahrmbacher-Lutz, Christiane, Apothekerin, Ludwigs-Apotheke, Ulmer Straße 8,
86154 Augsburg
Fleischer, Klaus, Prof. Dr. med., Missionsärztliche Klinik Würzburg, Tropenmedizinische Abteilung,
Salvatorstr. 7, 97074 Würzburg
Gensthaler, Gerhard, Dr. rer. nat., Bayerische Landesapothekerkammer, Maria-Theresia-Str. 28,
81675 München
Greiner, Lucas, Prof. Dr. med., Klinikum Wuppertal GmbH, Medizinische Klinik 2, Heusner Str. 40,
42283 Wuppertal
Henninger, Harald, Dr. med., Klinikum Nürnberg, Klinik für Psychiatrie, Prof. Ernst-Nathan-Str. 1,
90419 Nürnberg
Holstege, Axel, Prof. Dr. med., Klinikum Landshut, Medizinische Klinik I,
Robert-Koch-Str. 1, 84034 Landshut
Jakobeit, Christian, PD Dr. med., Johanniter-Krankenhaus, Medizinische Klinik, Siepenstraße 33,
42477 Radevormwald
Kappauf, Herbert, Dr. med., Klinikum Nürnberg, Medizinische Klinik 5, Prof. Ernst-NathanStraße 1, 90419 Nürnberg
Kirchgeorg, Markus, Dr. med., NetDoktor GmbH, Frauenplatz 11, 80331 München
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Abstractband
Lang, Rainer, Dr. med., Klinikum Nürnberg, Med. Klinik 4, Breslauer Str. 201,
90471 Nürnberg
Leistner, Rumo, Dr. med., Klinikum Nürnberg, Medizinische Klinik 3, Prof. Ernst-Nathan-Straße 1,
90419 Nürnberg
Lux, Heidemarie, Dr. med., Klinikum Nürnberg, Medizinische Klinik 1, Prof. Ernst-Nathan-Straße 1,
90419 Nürnberg
Manger, Bernhard, Prof. Dr. med., Klinikum der Univ. Erlangen-Nürnberg, Med. Klinik III mit Poliklinik, Universitätsstraße 12, 91054 Erlangen
Martin, Eric, Apotheker, Dr. rer. nat., Hubertus-Apotheke, Luitpoldstraße 31,
97828 Marktheidenfeld
Melchior, Hansjörg, Prof. Dr. med., Klinikum Kassel, Klinik für Urologie, Mönchebergstr. 41-43,
34125 Kassel
Mühlberg, Wolfgang, PD Dr. med., Klinikum Nürnberg, Medizinische Klinik 2, Giftinformationszentrale, Prof. Ernst-Nathan-Straße 1, 90419 Nürnberg
Niederberger, Maximilian, Dr. med., Facharzt für Nervenheilkunde, -Psychotherapie, -Psychoanalyse, Ottostraße 47, 85521 Ottobrunn
Nikolaus, Thorsten, Prof. Dr. med., Bethesda, Geriatrische Klinik Ulm, Zollernring 26, 89073 Ulm
Nützel, Reinhold, Dr. med., Krankenhaus Hohe Warte, Urologische Klinik,
Hohe Warte 8, 95445 Bayreuth
Reeh, Peter Werner, Prof. Dr. med., Klinikum der Univ. Erlangen-Nürnberg, Inst. für Physiologie
und Exp. Pathophysiologie, Universitätsstraße 17, 91054 Erlangen
52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Köbberling, Johannes, Prof. Dr. med., Kliniken St. Antonius, Innere Medizin,
Carnaper Str. 48, 42283 Wuppertal
Reinel, Hans, Dr. med., Internist, Hämatologe und Onkologe, Klinikum Nürnberg, Medizinische
Klinik 5, Prof. Ernst-Nathan-Straße 1, 90419 Nürnberg
Ritz, Jörg-Peter, Dr. med., Univ. Klinik Benjamin Franklin der FU Berlin,
Hindenburgdamm 30, 12203 Berlin
Schneider, Ignaz, Dr. med., Klinikum der Univ. Erlangen-Nürnberg, Chirurgische Klinik und
Poliklinik, Krankenhausstraße 12, 91054 Erlangen
Schuppan, Detlef, Prof. Dr. med., Dr. rer. nat., Klinikum der Univ. Erlangen-Nürnberg,
Medizinische Klinik I, Krankenhausstraße 12, 91054 Erlangen
Strauß, Richard, Dr. med., Klinikum der Univ. Erlangen-Nürnberg, Medizinische Klinik I,
Krankenhausstraße 12, 91054 Erlangen
Tretter, Felix, Dr. med., Dr. phil., Bezirkskrankenhaus Haar, Suchtabteilung,
Postfach 1111, 85529 Haar
Waldhauser, Franz, Prof. Dr. med., Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien, Universitätskliniken,
Währinger Gürtel 18-20, A-1090 Wien
Walther, Reimund, Dr. med., Klinikum Nürnberg, Urologische Klinik,
Prof. Ernst-Nathan-Straße 1, 90419 Nürnberg
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52. Nürnberger Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer
Herausgeber und verantwortlich für den wissenschaftlichen Inhalt:
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Bosch-Druck GmbH, Festplatzstraße 6, 84030 Ergolding
ã congress compact Verlag Dipl.-Inform. Thomas Ruttkowski
ã Berlin 2001
Gerichtsstand und Erfüllungsort: Berlin
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