Angestellte Hebammen: Überstunden sind an der Tagesordnung

Werbung
Angestellte Hebammen: Überstunden sind an der Tagesordnung
20.06.2014
Von 8.548 festangestellten Hebammen und Entbindungspflegern in Krankenhäusern waren
71,7 Prozent im Jahr 2012 teilzeit- oder geringfügig beschäftigt. Ihr Anteil hat sich zwischen
1991 und 2012 laut Statistischem Bundesamt mehr als verdoppelt. Was sich dahinter
verbirgt, warum die Hebammen in Teilzeit arbeiten und wie es um die Arbeitszufriedenheit
und -belastung der angestellten Hebammen bestellt ist, geht aus dieser allgemeinen
Statistik jedoch nicht hervor. Aus diesem Grund hat der Deutsche Hebammenverband e.V.
im Februar diesen Jahres erstmalig eine Online-Befragung zu den Arbeitsbedingungen und
zur Arbeitszufriedenheit unter den angestellten Hebammen in Kliniken durchgeführt, an der
sich über 2.000 Hebammen beteiligt haben.
Teilnehmerinnen und Umfragedesign
Insgesamt haben sich 2.028 Hebammen an der Befragung beteiligt. Das sind etwa ein
Viertel aller angestellten Hebammen in Deutschland. Regionale Unterschiede werden nicht
dargestellt. Die Online-Befragung erfolgte anonym mit der Möglichkeit, Fragen zu
überspringen. Es gab Multiple-Choice-Abfragen, Bewertungen durch Eintragungen in Skalen
sowie offene Fragen. Die meisten teilnehmenden Hebammen (57,1 Prozent) haben
Berufserfahrung von über 10 Jahren, davon 34,1 Prozent sogar mehr als 20 Jahre, als
Berufsanfängerinnen (0–2 Jahre) gelten 11,2 Prozent, 6,2 Prozent haben studiert,
2,4 Prozent der Teilnehmerinnen studieren derzeit. Teilgenommen haben Hebammen aus
allen Altersgruppen, nur die über 50-Jährigen sind unterrepräsentiert. Mögliche Gründe
hierfür könnten sein, dass in früheren Jahrgängen weniger Hebammen ausgebildet wurden,
aber auch, dass sie sich frühzeitig aus dem Beruf zurückziehen oder seltener an
Befragungen beteiligen.
Arbeitszeitmodelle: überwiegend unbefristet und teilzeitbeschäftigt
Die meisten der befragten Hebammen (86,2 Prozent) haben ein unbefristetes
Arbeitsverhältnis. Genau ein Viertel (25 Prozent) ist in Vollzeit angestellt, während 75
Prozent der Hebammen in Teilzeit beschäftigt sind (davon 2 Prozent als geringfügig
Beschäftigte). Bei 80,3 Prozent der Hebammen wird das Angestellteneinkommen durch
andere Einkommensquellen ergänzt. Die Mehrheit der Hebammen gibt persönliche und
familiäre Wünsche als Gründe für ihre Teilzeittätigkeit an. Nur bei zirka 11 Prozent der
Hebammen spielen gesundheitliche Gründe eine Rolle, oder eine Vollzeitstelle ist nicht
vorhanden.
Tabelle1:
Zusätzliches Einkommen (Mehrfachnennungen möglich)
zusätzliche Nebenbeschäftigung (z. B. 450-€-Job)
selbstständige Tätigkeit/freie Mitarbeit
staatliche Hilfen (z. B. Wohngeld / Hartz IV)
Unterstützung durch Familie/LebenspartnerIn
eigenes Vermögen
Frührente, Hinterbliebenenrente
trifft für mich nicht zu
Prozentsatz
7,2 %
69,4 %
0,8 %
21,3 %
2,4 %
0,5 %
19,7 %
Anzahl der
Antworten
126
1.214
14
372
42
9
345
Leitungsstruktur: höhere Zufriedenheit mit einer Hebamme als Leitung
12,8 Prozent der Befragten arbeiten in einer Leitungsfunktion, davon 7,3 Prozent als
Kreißsaalleitung. Überwiegend (64,5 Prozent) haben die leitenden Hebammen dabei
Verantwortung für mehr als 10 Mitarbeiterinnen. Gibt es leitende Hebammen in der
Abteilung, ist die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen höher als mit anderen Vorgesetzten.
21,9 Prozent der Hebammen sind in einer Abteilung angestellt, die nicht von einer
Hebamme geleitet wird.
Arbeitsbedingungen: viele Überstunden, wenig positive Entwicklungen
89,4 Prozent der angestellten Hebammen machen regelmäßig Überstunden. 41,9 Prozent
leisten Rufbereitschaftsdienste, 16,2 Prozent Anwesenheitsbereitschaftsdienste. Bei 2,5
Prozent der Hebammen gibt es keine Mitarbeitervertretung an der Arbeitsstelle. Nur 11
Prozent der Hebammen sind gewerkschaftlich organisiert. Etwa 25 Prozent der Hebammen
werden nicht nach einem der Tarifverträge (TVöD, AVR, TV-L) vergütet. Positive
Veränderungen der Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren geben nur 5 Prozent an. Am
meisten beklagt wird von den Hebammen die Zunahme der Dokumentation,
Arbeitsverdichtung, Übernahme berufsfremder Tätigkeiten und der Personalabbau.
Tabelle 2:
Wesentliche Veränderungen der Arbeitsbedingungen
(Mehrfachnennungen möglich)
Personalabbau
Arbeitsverdichtung (mehr Patienten in der gleichen
Arbeitszeit)
Ausweitung der Arbeitszeit
weniger Unterstützung für Fortbildung (finanziell,
dienstfrei)
verändertes Patientenklientel
berufsfremde Tätigkeiten (Pflegetätigkeiten,
Putzarbeiten)
Zunahme von Dokumentation
Ausstattung verschlechtert
Die Bedingungen im Arbeitsvertrag haben sich
verschlechtert (Arbeitszeitverlängerung, weniger
Urlaubstage
keine Veränderungen
trifft für mich nicht zu
Prozentsatz
50,9 %
77,2 %
Anzahl der
Antworten
884
1.341
25,9 %
39,0 %
450
678
49,3 %
60,8 %
857
1.057
90 %
16,1 %
8,5 %
1.565
279
147
0,9 %
1,7 %
15
30
Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen: gute Zusammenarbeit untereinander trotz
Personal- und Zeitmangel
Das allgemeine Betriebsklima wird als mittelmäßig bewertet. Nur wenig besser wird die
Zusammenarbeit mit den ärztlichen Kolleginnen und Kollegen eingeschätzt. Auch hier gibt
es die meisten Bewertungen im Mittelfeld,+-q jedoch werden Top-Bewertungen fast
doppelt so häufig vergeben wie die untersten Bewertungen. Überwiegend zufrieden sind
die angestellten Hebammen mit der Zusammenarbeit untereinander (MW 7,52) und der
mit der leitenden Hebamme (MW 6,58).
Die höchste Zufriedenheit bei der Beurteilung einzelner Aspekte der Arbeitsbedingungen
gibt es bei der Berücksichtigung von Wünschen bei der Dienstplangestaltung. 70,5 Prozent
der Hebammen wählten hier eine der drei höchsten Bewertungsmöglichkeiten (MW 7,9).
Doch die vielen negativen Bewertungen der Arbeitsbedingungen belegen den Personal- und
Zeitmangel und die Arbeitsverdichtung durch immer mehr zusätzliche und
hebammenfremde Tätigkeiten.
Im Folgenden die hauptsächlichen Aussagen zu den Arbeitsbedingungen:

Unterbrechungen meiner Arbeit durch Patienten, Telefon, Anfragen usw. sind sehr
häufig. (MW 9,05)

Für die einzelne Frau/das Paar nicht so viel Zeit zu haben, wie ich eigentlich möchte,
erlebe ich sehr häufig. (MW 8,47)

Unter hohem Zeitdruck arbeiten zu müssen, erlebe ich sehr häufig. (MW 8,44)

Es kommt vor, dass eine Frau nicht die zeitliche Zuwendung und Betreuung erhält,
die eigentlich gut für sie wäre. Dies erlebe ich sehr häufig. (MW 8,36)

Etwas tun zu müssen, von dem ich das Gefühl habe, dass ich es eigentlich nicht machen sollte (z. B. bei Unterbesetzung), kommt häufig vor. (MW 7,64)

Den Anteil von Verwaltungsarbeit in meiner Tätigkeit empfinde ich als sehr gering.
(MW 3,03)

Die Möglichkeit der Mitentscheidung innerhalb der Klinik ist meiner Ansicht nach
sehr groß. (MW 4,27)
Insgesamt ist die Zufriedenheit mit der aktuellen Arbeitssituation (Skala von 1 = sehr
unzufrieden bis 10 = sehr zufrieden) nicht sehr groß. Nur 13,9 Prozent der Hebammen
beurteilen die Frage innerhalb der Top-Bewertungen zwischen 10 und 8; 57,3 Prozent in
den vier mittleren Bewertungsmöglichkeiten zwischen 4 und 7 und besorgniserregende
28,7 Prozent bewerten die Zufriedenheit mit ihrer Arbeitssituation zwischen 1 und 3.
Auf die Frage, was die Zufriedenheit am Arbeitsplatz erhöhen würde, haben viele
Hebammen konstruktive Vorschläge gemacht. Zum Beispiel:
 höherer Personalschlüssel für Hebammen/generell mehr Personal
 höhere/(der Verantwortung) angemessenere Vergütung
 mehr Zeit für die einzelnen Patientinnen/Paare und deren Bedürfnisse/Eins-zu-einsBetreuung
 bessere Zusammenarbeit mit der Ärzteschaft
 mehr Unterstützung/Rückendeckung/weniger Druck durch Leitung/PDL/leitende
Hebamme
 weniger invasive Eingriffe/Geburtseinleitungen etc.
 mehr Wertschätzung/Anerkennung des Berufsstandes/der Arbeit/der Kompetenz
 generell bessere Zusammenarbeit/Kommunikation
 mehr/zusätzliche Räume/Betten (auch auf anderen Stationen, etwa Wochenstation)
 bessere Qualifikation der Ärzte
 höheres Standing/mehr Mitspracherecht/Eigenverantwortung/weniger Einmischung/mehr Eigenständigkeit/Verantwortung/Mitspracherecht hinsichtlich der
Vorgehensweise generell
 Erhöhung des Personals in anderen Berufsgruppen (Sekretärinnen, Putzhilfen, Pflegekräfte, Arzthelferinnen etc.) zwecks Entlastung und Qualifizierung der Vorgesetzten/PDL/kompetente Leitung/neue Leitung
Zusammenfassung
Die typische angestellte Hebamme, die an der Umfrage teilgenommen hat, ist zwischen 30
und 50 Jahre alt und hat mindestens zehn Jahre Berufserfahrung. Sie macht regelmäßig
Überstunden, arbeitet zusätzlich freiberuflich und schätzt die Berücksichtigung ihrer
Dienstplanwünsche. Sie arbeitet gern mit ihren Kolleginnen zusammen und möchte nicht
auf die Geburtshilfe verzichten, leidet jedoch unter den immer schlechter werdenden
Arbeitsbedingungen in der Klinik. Insbesondere zunehmende Verwaltungsaufgaben,
berufsfremde Tätigkeiten und Personalabbau hindern sie daran, ihrer eigentlichen Berufung
nachzugehen. In den letzten Jahren hat sie daher den Anteil ihrer angestellten
Hebammentätigkeit immer weiter reduziert und arbeitet in Teilzeit. Sie bleibt jedoch – trotz
Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation – in der Klinik, auch um sozialversichert und im
Krankheitsfall finanziell abgesichert zu sein.
Herunterladen