Arbeitsrecht Zurück in die Steinzeit

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ARBEITSRECHT
Round Table
Zurück in die Steinzeit
Auf Personalabteilungen, Arbeitsrechtler und Arbeitsgerichte kommt viel Arbeit zu: Schnell in Gesetze
gegossen hinterlassen die „Rente 63 plus X“ und der Mindestlohn eine Fülle an ungeklärten
arbeitsrechtlichen Fragen. Beim Round Table attestierten die Juristen dem Gesetzgeber auch
bei den geplanten Änderungen des AÜG und der Werkverträge eine große Realitätsferne.
äbe es eine nach oben offene Empörungsskala, bewegte sich die Amplitude in der Expertendiskussion kurz vor
dem Anschlag. Nicht nur die gesellschaftspolitische Dimension des gesetzgeberischen Handelns, vor allem auch die handwerklichen Fehler in den aktuellen arbeitsund rentenrechtlichen Gesetzesänderungen bewegten die Gemüter der Arbeitsrechtler.
G
Rentenreform – zu kurz gedacht
Einmütig bezeichneten die Arbeitsrechtsexperten in der Diskussionsrunde die
jüngste Rentenreform als „politischen
Skandal“. Damit schließen sie sich der
herrschenden Meinung von Volkwirtschaftlern an, die seit Monaten vor den
finanziellen und personalpolitischen Folgen der „Rente mit 63 plus X“ warnen.
Aus rein arbeitsrechtlicher Sicht legten
sie noch eine Schippe Empörung obendrauf. Denn was nach außen so unkompliziert erscheint, „versetzt Personaler, die
nicht über einen ganzen Stab an Juristen
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verfügen, in einen Leidensmodus“. Dies
beobachtet Arbeitsrechtler Michael Magotsch von DLA Piper. Ungeklärt ist beispielsweise, wie mit Arbeitnehmern in
Altersteilzeit verfahren wird. Können sie
ihr Arbeitsverhältnis verlängern und wie
sieht eine einvernehmliche, rechtswirksame Verlängerung aus? Ist eine Verlängerung in der Freistellungsphase möglich
und was haben Arbeitgeber zu beachten?
Ein anderes Problemfeld: Bei Sozialplänen hat sich schon fast eingebürgert, Abfindungen nicht nur nach Formeln zu
berechnen, die für ältere Arbeitnehmer
mit langen Betriebszugehörigkeiten üblicherweise sehr hohe Werte auswerfen,
sondern eine Begrenzung für rentennahe
Jahrgänge vorzusehen. Rentennah kann
aber jetzt schon jemand sein, der nicht die
Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern das 63. Lebensjahr vor Augen hat. Karl Geißler, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei T/S/C:
„Weil Sozialpläne immer eine Überbrückungsfunktion erfüllen, mag man darü-
ber nachdenken, als Bezugspunkt für die
Begrenzung von Abfindungszahlungen
nicht mehr die gesetzliche Regelaltersgrenze, sondern schon das 63. Lebensjahr
zu sehen. Ob dies zulässig ist, ist völlig
ungeklärt.“ Wer mit 63 Jahren die gesetzliche Rente in Anspruch nehmen will, muss
sich zudem bewusst sein, dass die Betriebsrente beim vorzeitigen Ausscheiden vor
dem Erreichen der Regelaltersgrenze
gekürzt wird. Dennoch stelle die Reform
Professor Dr. Stephanie Michel moderierte den
Round Table.
„
Das Mindestlohngesetz ist
handwerklich in vielerlei Hinsicht
unzureichend und nicht wirklich
zu Ende gedacht. Es stellt die
Praxis vor erhebliche Probleme.
Dr. Marcus Richter, Fachanwalt für Arbeitsrecht
und Partner, Görg Rechtsanwälte
„
Warum soll ein Zeitarbeitnehmer,
der Equal Pay erhält, davor
geschützt werden, dass er dies
dauerhaft über den Zeitraum
von 18 Monaten hinaus bekommt?
Karl Geißler, Fachanwalt für Arbeitsrecht,
T/S/C Fachanwälte für Arbeitsrecht
Arbeitgeber vor Herausforderungen. Sollte der frühere Ausstieg massenhaft genutzt
werden, so Geißler, entstehe Liquiditätsbedarf für die Finanzierung von Betriebsrenten, mit deren Inanspruchnahme erst
zu einem späteren Zeitpunkt gerechnet
wurde.
Sehen die vertraglichen Regelungen der
Betriebsrente allerdings vor, dass der
gesetzliche und der betriebliche Rentenbezug auseinanderfallen, kann sich dies nachteilig auswirken. Ob dies wirklich keine
„Verkomplizierung der Rahmenbedingungen für die betriebliche Altersversorgung“
nach sich zieht, wie der Gesetzgeber meint,
bezweifelt Marc André Gimmy, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Taylor Wessing.
Und er prophezeit weitere Folgen: „Trotz
aller gesetzgeberischer Maßnahmen wird
die Rente mit 63 dazu führen, dass ältere
Arbeitnehmer, die die Voraussetzung erfüllen, schneller abgebaut werden, als ohne
diese Regelung.“ Mit anderen Worten: Diese Reform ermöglicht es Restrukturierern,
sich die Regelung zunutze zu machen, um
ältere Mitarbeiter abzubauen.
Eine einzige positive Regelung findet Dr.
Thilo Mahnhold, Justem Rechtsanwälte,
im Rentenpaket versteckt. Endlich soll es
möglich sein, Arbeitnehmer nach Erreichen der arbeitsvertraglich vereinbarten
Altersgrenze sachgrundlos befristet weiter zu beschäftigen. Dann können Rentner
als Know-how-Träger gehalten werden,
ohne die Bürde des Kündigungsschutzes
oder des Gesetzes für Teilzeitarbeit/befristete Arbeitsverträge auf sich zu nehmen.
„Ob diese ohne ,Wenn und Aber‘-Regelung
aber europarechtskonform ist, steht auf
einem anderen Blatt.“
Reif für das Arbeitsgericht:
das Mindestlohngesetz
Einhelligen Unmut äußern die erfahrenen
Arbeitsrechtler auch über das Mindestlohngesetz (MiLoG), das der Gesetzgeber
euphemistisch „Tarifautonomiestärkungsgesetz“ nennt. „Aus handwerklicher Sicht
ist es eine Dreistigkeit“, „vor 100 Jahren
wurden Gesetze besser gemacht“, „ein
anwaltlicher Mitarbeiter würde seinen Job
nicht lange halten können, wenn er solche
Regelungen entwerfen würde“, so lauten
die noch freundlichen Kommentare zum
Gesetz. Der Rat der Juristen: Es gibt seit
vielen Jahren in anderen Ländern Mindestlohngesetze, z.B. in den USA oder in
Spanien. Wenn der Gesetzgeber nicht selber weiß, wie ein solches Gesetz geschrieben wird, sollte er wenigstens in diese
Gesetze hineinschauen und sich über die
dortigen Auswirkungen in der Praxis informieren.
Ein Beispiel für handwerkliche Defizite:
die Behandlung von Überstunden. Das
Mindestlohngesetz sieht vor, dass jede
Überstunde in einem Zeitraum von zwölf
Monaten ausgeglichen werden muss. Claudia Heins, Latham & Watkins: „Soll das
nun für alle Überstunden gelten? Und was
bedeutet dies für Arbeitszeitkonten?“ Es
fehlt die Klarstellung, dass dies nur für
diejenigen Arbeitnehmer zu gelten hat,
die den Mindestlohn erhalten. Die Empfehlung von Claudia Heins: Bis gerichtlich
nichts Gegenteiliges entschieden wird,
sollten alle Arbeitszeitkonten wie bisher
weitergeführt werden, nur bei den Mindestlohnbeziehern sollte auf den Ausgleich
innerhalb des Zwölfmonatszeitraums
geachtet werden.
Fern von jeder Polemik hat die wohl
bewusst unpräzise Vorlage Folgen:
Es fehlt eine klare Entscheidung des
Gesetzgebers, was er unter 8,50 Euro Mindestlohn versteht. Umfasst dieser etwa
auch Zuschläge, leistungsbezogene Vergütungen, Sonderzahlungen oder Sachleistungen (wie Dienstwagen)? „Der Gesetzgeber lässt alles offen laufen, greift damit
auch in die Flexibilisierung der Vergütungssysteme, Arbeitszeitsysteme und
variablen Provisionssysteme ein“, urteilt
Marc André Gimmy. Dies sei „unerträglich, wenn gleichzeitig die ordnungsgemäße Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen, die ja von der Entgelthöhe
abhängt, strafbewehrt ist“. Eine falsche
Mindestlohnberechnung könne zu einer
Haftung des Geschäftsführers führen.
Das MiLoG sei an vielen Stellen nicht
wirklich zu Ende gedacht, geschweige
denn, dass es bereits bestehenden und
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anerkannten kollektivrechtlichen Regelungen zureichend Rechnung trägt,
ergänzt Marcus Richter, Görg Rechtsanwälte, und konkretisiert es an einem Beispiel: Wird ein Arbeitnehmer aufsattelnd
auf eine unter dem Mindestlohn liegende Grundvergütung erfolgsabhängig mit
Provisionen vergütet, die am Ende eines
Quartals zur Auszahlung kommen, verdient der Arbeitnehmer in der Folge im
Durchschnitt eines Quartals beispielsweise 20 Euro in der Stunde, gleichwohl
wäre dieser Arbeitnehmer nicht dem Mindestlohngesetz entsprechend vergütet.
Konsequenz: Die Geschäftsleitung begeht
mit dieser Handhabung eine Ordnungswidrigkeit.
Weil der Gesetzgeber die Praxis im Unklaren lässt, laufen Unternehmen Gefahr, den
Mindestlohn zu unterschreiten. Deshalb
rät Justem-Arbeitsrechtler Thilo Mahnhold, die Vergütungsmodelle zu überprüfen und soweit möglich auf monatliche
Leistungen umzustellen. Letztlich gelte
einmal mehr: „Der Gesetzgeber hat (unklar)
gesprochen, die Diskussion ist eröffnet.“
Sind die handwerklichen Fehler der Koalition nun darauf zurückzuführen, dass
sie zu wenig Zeit hatte, um das Gesetz in
trockene Tücher zu bringen? Diese Entschuldigung lässt Claudia Heins, Latham
& Watkins, nicht gelten. Dieses Gesetz zeige einmal mehr, wie weit der Gesetzgeber
von der betrieblichen Praxis entfernt ist.
Wer eine Regelung über die Höhe der Vergütung einführe, müsse wissen, dass sich
Folgefragen anschließen, beispielweise der
Umgang mit Sonderzahlungen. „Nun aber
beschäftigen die praktischen Fragen wieder die Personalabteilungen und die
Arbeitsrechtler und werden schlussendlich bei den Arbeitsgerichten abgeladen.“
Wer haftet?
Eine weiteres zentrales Problem bei der
Neuregelung des Mindestlohns ist die dort
vorgesehene Haftung des Auftraggebers (§
13 MiLoG). Nach dem Wortlaut würde der
Besteller, der ein Unternehmen mit einem
Dienst- oder Werkvertrag beauftragt, beispielsweise mit der Reinigung sämtlicher
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„
Die Rente mit 63 plus wird
trotz aller gesetzgeberischer
Maßnahmen dazu führen, dass
ältere Arbeitnehmer, die die
Voraussetzung erfüllen, schneller
abgebaut werden.
Marc André Gimmy, Fachanwalt für Arbeitsrecht
und Partner, Taylor Wessing
„
Wer eine Regelung über die Höhe
der Vergütung einführt, muss
die Folgefragen wie den Umgang
mit Sonderzahlungen klären, jetzt
landen die praktischen Fragen bei
den Arbeitsgerichten.
Claudia Heins, Fachanwältin für Arbeitsrecht
und Partnerin, Latham & Watkins LLP
Glasflächen des Bürogebäudes, für die
Zahlung des Mindestlohns durch das beauftragte Reinigungsunternehmen oder einen
von ihm eingesetzten Subunternehmer
wie ein Bürge haften. Diese neue Haftungssituation für den Besteller, dass der Mitarbeiter des Werkunternehmers ihn auf
einen mindestlohnkonformen Nettolohn
in Anspruch nehmen kann, ist eine „völlig neue und von der Gesetzessystematik
unlogische Haftungssituation einer Dritthaftung“, kritisiert Dr. Alexander Insam,
Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner
bei der KPMG Law, weil der Mitarbeiter des
Werkunternehmers gerade kein Mitarbeiter des Bestellers ist. Marcus Richter von
Görg betont, dass eine so weitgreifende
Haftung „weder mit dem Zweck des Gesetzes zu rechtfertigen und auch verfassungsund europarechtlich aufgrund des sehr
weitreichenden Eingriffs in die unternehmerische Freiheit äußerst bedenklich ist“.
Eine andere Perspektive nimmt Michael
Magotsch, DLA Piper ein, der die Unruhe
zur Haftungsregelung nicht versteht. „Hier
wird nur normiert, was für die zivilrecht-
liche Durchsetzung von Branchenmindestlöhnen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz gilt: die Haftung des Unternehmers
und Auftraggebers von Werk- und Dienstleistungen.“ Diese existiere insbesondere bei
Generalunternehmern in der Bauwirtschaft
seit 15 Jahren: Die Haftung ist reduziert
oder wird weitergeleitet. Am Ende werde
sich der Unternehmer exkulpieren, wenn
er seinen eigenen Compliance-Erfordernissen im Sinne von Sorgfalts- und Auswahlpflichten nachkomme. Die Haftungsregelung sei also nicht wirklich neu und es gebe
keinen Anlass aufgeregt zu sein. „Aus Unternehmenssicht ist es ratsam, den Umgang
mit den Behörden der Zollverwaltung bei
zu erwartenden ‚Audits‘ zu üben und vorbereitet zu sein.“ Die Erfahrungen vergangener Tage mit der „Finanzkontrolle
Schwarzarbeit“ sollten dabei hilfreich sein.
AÜG – Hoffnungsschimmer Finnland
Voraussichtlich im Herbst will der Bundestag die gesetzliche Höchstüberlassungsdauer in der Zeitarbeitsbranche auf 18
Monate begrenzen. Grundlage der Geset-
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Round Table
zesänderung ist ein Gutachten von Schüren/Brors „zur Eindämmung von Missbräuchen beim Fremdpersonaleinsatz und
zur Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie“.
Danach sollen Leiharbeitnehmer auch spätestens nach neun Monaten den gleichen
Lohn wie die Stammbelegschaft erhalten
– wenn nicht noch das EuGH dazwischengrätscht und die Koalitionsvereinbarung
zur Zeitarbeit gefährdet.
Denn außerhalb von Deutschland herrscht
ein anderes Verständnis vom „Verbot nicht
vorübergehender Überlassung“. Ein finnisches Arbeitsgericht hat ein Vorabentscheidungsersuchen beim Europäischen
Gerichtshof eingereicht und der EuGH
wird entscheiden, ob und in welchem
Umfang Zeitarbeit überhaupt gesetzlich
eingeschränkt werden darf. Und damit
auch die Frage, ob die geplante Koppelung
aus Höchstüberlassungsdauer und Verpflichtung zu Equal Pay überhaupt umsetzbar ist.
„Wir leben offenbar in Deutschland auf
einer Insel mit eigener Kultur. Warum soll
jemand, der Equal Pay erhält, davor
geschützt werden, dass er dies dauerhaft
über den Zeitraum von 18 Monaten hinaus
bekommt?“, fragt Karl Geißler, Fachanwalt
für Arbeitsrecht bei T/S/C. Womöglich stehe er in einem seriösen Leiharbeitsunternehmen besser als bei einem unseriösen,
möglicherweise wirtschaftlich schwächelnden Entleiher. „Es ergibt sich zwangsläufig die Frage, ob nicht Equal Pay allein
ausreichend Schutz für Beschäftigte bietet und zugleich die Belange der Arbeitgeber ausreichend beachtet werden. Das Thema ‚vorübergehende Überlassung‘ wird
aus Europa noch erheblich unter Druck
geraten.“
Ausweitung der
Mitbestimmungsrechte
Schon im Vorfeld der Bundestagswahl hatten die Parteien ihre Forderungen nach
Gesetzesänderungen für Werkverträge konkretisiert. Dabei gehen sie davon aus, dass
es sich bei Werkverträgen vorherrschend
um Scheinkonstrukte handelt, und nur
eine Ausweitung der Mitbestimmungsrech10
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„
Global operierende Unternehmen
werden sich immer häufiger
und regelmäßig sogenannten
sozialversicherungsrechtlichen
Audits ausgesetzt sehen.
Michael Magotsch, Fachanwalt für Arbeitsrecht
und Partner, DLA Piper UK LLP
„
Der Gesetzgeber lässt die Praxis
im Unklaren, wie sich der
Mindestlohn errechnet – die
Diskussion ist eröffnet.
Dr. Thilo Mahnhold, Fachanwalt für Arbeitsrecht
und Partner, Justem Rechtsanwälte
te Betriebsräte besser in die Lage versetzen könne, den Einsatz von Fremdbeschäftigten zu kontrollieren. Eine angemessene Vertretung der in Subunternehmen
beschäftigten Arbeitnehmer erfordere eine
Ausweitung der Mitbestimmungsrechte,
heißt es bei der SPD. Dieses Vorhaben löst
größte Verwunderung bei den Arbeitsrechtlern aus. So sehen die Entwürfe vor, dass
vor jedem Einsatz von Werkunternehmern
der Betriebsrat gemäß § 99 BetrVG – also
wie bei der Einstellung eines Arbeitnehmers – beteiligt werden soll. Die derzeit eingebrachten Vorschläge, insbesondere das
genannte Gutachten von Schüren/Brors,
„enthalten völlig über das Ziel hinausschießende Regelungen und Eingriffe auch in die
jedenfalls unstreitig funktionierenden Regelungskomplexe, wie etwa das Betriebsverfassungsrecht“, befindet Marcus Richter,
Görg. Es müsste danach auch der Betriebsrat beteiligt werden, bevor ein Unternehmen einen Handwerker mit der Reparatur
des Dachs der Werkhalle beauftragt. „Das
nimmt absurde Züge an; vor allem greifen
solche Ansätze in nicht mehr zu rechtfer-
tigender Weise in die unternehmerische
Freiheit des Arbeitgebers ein.“ Die Arbeitsrechtler sind sich einig: Es muss dabei bleiben, dass der Betriebsrat des Auftraggebers
für seine Mitarbeiter zuständig ist und der
Betriebsrat des Werkvertragsunternehmens für seine Beschäftigten.
Weitere mögliche Folgen: Wenn nun jede
geplante Beauftragung eines externen
Dienstleisters, der mehr als einen Monat
im Betrieb des Auftraggebers eingesetzt
werden soll, dem Betriebsrat vorgelegt
werden und dieser ein Widerspruchsrecht
haben soll, „wird das Problem der Werkverträge auf die Betriebsräte verlagert, die
mit der Lösung vielfach überfordert sein
werden, schon deshalb, weil sie vor Beginn
eines Auftragsverhältnisses meist noch
gar nicht absehen können, wie das Auftragsverhältnis in der Praxis durchgeführt
wird“, zeigt Claudia Heins, Latham & Watkins, auf.
Auslöser der gesetzgeberischen Aktivitäten waren Schweinwerkverträge im BlueCollar-Bereich (Schlachthöfe, et cetera)
und es sei richtig, dieses Vorgehen zu
„
Regulatorisch bewegen wir
uns leider in der Vergangenheit
und nicht in die Zukunft der
Wissensgesellschaft.
Dr. Alexander Insam, Fachanwalt für Arbeitsrecht
und Partner, KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
(KPMG Law)
unterbinden. Jetzt werde das Kind allerdings mit dem Bade ausgeschüttet, so
Heins. Gesetzesänderungen seien jedoch
nicht notwendig, denn selbst nach den derzeit zu prüfenden, nicht immer einfachen
Abgrenzungskriterien waren die angesprochenen Verträge eindeutig als Scheinwerkverträge anzusehen. Indem bereits
jetzt verstärkte Kontrollen durch die Zollämter durchgeführt werden und der
Gesetzgeber nun auch noch die Vorschriften verschärfen will, erschwere er nur die
Beauftragung „echter“ freier Dienstleister, zum Beispiel IT-Consultants, die früher in der Mehrzahl wegen ihres hohen
Spezialisierungsgrades und Know-hows
ohne Weiteres als selbständig angesehen
wurden und die überhaupt kein Interesse
daran haben, bei dem Auftraggeber Arbeitnehmer zu werden. Heins: „Hier koppelt
sich der Gesetzgeber von der Realität ab
und versteht den Markt nicht, der diese
hoch qualifizierten Beraterleistungen nachfragt bzw. anbieten will.“
Das Aus für Outsourcing?
Die Erweiterung der Mitbestimmung würde ganze Geschäftsfelder im Markt treffen, nämlich solche, die sich im Zuge des
Outsourcings in den vergangenen 20 Jahren erfolgreich entwickelt haben, befürchtet Thilo Mahnhold, Justem. Zu erwarten
wären massenhafte, mitunter auch willkürliche, Zustimmungsverweigerungen
bei Einstellungen und ein Missbrauch der
Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten etwa beim Arbeitsschutz zu Lasten
der nicht beteiligten Werkunternehmer.
Faktisch und durch die Hintertür würde so
das Outsourcing beziehungsweise der Einsatz externer Dienstleister unattraktiv.
Dass die Besteller hierauf aber mit einem
flächendeckenden „Insourcing“ reagieren
würden, sei Träumerei, so Mahnhold. Zu
leicht ließen sich Tätigkeiten in das Ausland verlagern, wie die Praxis lehrte.
Doch warum fällt es dem Gesetzgeber so
schwer, die tatsächliche Bedeutung von
Werkverträgen zu erfassen? Zwei verschiedene Beschäftigungsgruppen werden derzeit in einen Topf gepackt, registriert Alexander Insam, KPMG Law: die gering
qualifizierten Mitarbeiter im unteren Lohnund Qualifikationsbereich und die Wissensarbeiter. Sie arbeiten in flexiblen
Beschäftigungsverhältnissen, weil sie das
wollen, und nicht weil sie das müssen, beispielsweise IT-Programmierer, Engineering-Freelancer oder Interim Manager.
Arbeitsrechtler Insam: „Der Gesetzgeber
redet oft über eine alte Industrienation und
nicht über eine Informations-, Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft. Regulatorisch bewegen wir uns leider in der Vergangenheit und nicht in der Zukunft.“
Gesetzgeber meidet
Abgrenzungskriterien
Einfache Guidelines zur Grenzziehung
zwischen Zeitarbeitnehmern und Werkunternehmern gibt es nicht. Vielmehr
muss eine Indizienkette abgeprüft werden, zum Beispiel ob der Dienstleister
von dem Auftragnehmer Arbeitsanweisungen erhält, in dessen betriebliche
Organisation und Teams eingegliedert
ist und die betriebliche Infrastruktur
nutzt wie die Stammarbeitnehmer,
beschreibt Claudia Heins, Latham & Watkins, die Praxis. „Doch obwohl die Strafen bei Missbrauch hoch sein können,
plant der Gesetzgeber offenbar nicht,
einen klaren Kriterienkatalog vorzulegen.“ Das erschwert die Beratungspraxis. Zwar erfahren die Drittbetriebe alles
über die Abgrenzung, aber die betriebliche Wirklichkeit spiele oft nach eigenen
Regeln. In der Beratung geht es neben der
Ausarbeitung der passenden Verträge,
so Arbeitsrechtler Sebastian Frahm, Naegele, zunehmend um die Kontrolle der
praktischen Umsetzung im Arbeitsalltag. „Wie die Vorgesetzten den Vertrag
handhaben, kann uns externen Beratern
oft niemand erklären. Als Ergebnis lässt
sich festhalten, dass in den komplexen
Anforderungen im Arbeitsalltag der
Abschluss von Werkverträgen nicht mehr
seriös aktiv beraten werden kann.“
Letztlich müssten beide Vertragspartner
genau darauf achten, wie sich das Verhältnis entwickelt, rät auch Marc André Gimmy, Taylor Wessing: „Unternehmen müssen sich zukünftig genau überlegen, ob
ein Werkvertrag das probate Mittel ist, um
die Flexibilisierung sicherzustellen. Ist
dies nicht praktikabel, darf das Instrument nicht zum Einsatz kommen.“
Reserveerlaubnis gestrichen?
Was den Arbeitgebern wehtun wird, ist
der Plan des Gesetzgebers, dass Unternehmen, die Dienstleister vermitteln,
eine Arbeitnehmerüberlassungslizenz
nicht „auf Vorrat“ halten dürfen. Denn
wenn das Unternehmen eine solche
Lizenz besitzt, führt das nach gegenwärtigem Recht zumindest nicht dazu, so
Claudia Heins, Latham & Watkins, dass
bei der Umqualifizierung eines freien
Dienstleisters in einen Arbeitnehmer
automatisch ein Arbeitsverhältnis zwischen ihm und dem Auftragnehmer fingiert wird. Auch hafte der Auftragnehmer
nicht gesamtschuldnerisch für nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge, sondern nur nachgelagert. Diese noch besteSonderheft 09 | 2014
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„
Neben der Ausarbeitung der
,richtigen‘ Werkverträge geht
es zunehmend um die Kontrolle
der praktischen Umsetzung im
Arbeitsalltag.
Dr. Sebastian Frahm, Fachanwalt für Arbeitsrecht
und Partner, Naegele Kanzlei für Arbeitsrecht
henden Erleichterungen würden entfallen. Am Arbeitsgericht Stuttgart gibt es
eine einheitliche Linie, berichtet Sebastian Frahm, Naegele. Ist eine Reserveerlaubnis vorhanden, ist keine Fiktion im
Rahmen unwirksamer Arbeitnehmerüberlassung erfolgt. Warum also die neue Stoßrichtung?
Durch die geplante Regelung soll ein Missbrauch vermieden werden. „Missbrauch
wovon?“, fragt sich Marcus Richter, Görg.
Selbst der kritisch prüfende Zoll verfolge
bis heute die Prüfung von Arbeitgebern
nicht weiter, wenn sie auf Grundlage eines
Werkvertrages Leistungen erbringen, die
sich in der Praxis als eine Arbeitnehmerüberlassung darstelle, solange eine Lizenz
dafür vorliege. „Bis zu einer Neuregelung
in diesem Bereich sollten Arbeitgeber, die
Unternehmen mit Werkleistungen beauftragen, weiterhin solche Anbieter bevorzugt auswählen, die auch über eine Verleiherlaubnis verfügen, um Prüfungen
dieser Vertragsbeziehungen der Deutschen Rentenversicherung oder des Zolls
möglichst übersichtlich zu halten.“
Die neuen Vorlagen zum AÜG kommen
aus der „Blue-Collar-Ecke und gehen davon
aus, dass wir jeden schützen müssen, der
nicht in einem normalen Arbeitsverhältnis arbeitet – das geht voll an der Realität
vorbei“. Zu diesem Schluss kommt Michael
Magotsch von der Anwaltskanzlei DLA
Piper, die eine weitere Erfahrung macht.
Bei grenzüberschreitenden Transaktionen hat der potenzielle Erwerber in einem
Asset Deal ein großes Interesse daran,
alle hoch spezialisierten Leiharbeitskräf12
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te im Rahmen eines Betriebsübergangs
nach § 613 a BGB zu übernehmen und ist
sehr erstaunt, wenn diese Beschäftigten
oft gar kein Interesse an einem automatischen Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse haben; sie widersprechen, da sie
„die deutsche Schutztheorie“ nicht benötigen.
Welche Lobby treibt die
Änderungen voran?
„Die politische Zielsetzung scheint zu sein,
einzig den festangestellten Einheitsarbeitnehmer im Unternehmen sehen zu wollen.“ So lautet das Fazit von Alexander
Insam, KPMG Law. „Erst wird die Zeitarbeit behindert, dann Werkverträge erschwert. Abgrenzungskriterien, die jahrelang durch die Rechtsprechung geprägt
wurden, werden aufgeweicht und nivelliert, das schafft neue Rechtsunsicherheit.“ Und auch die Arbeitnehmervertretungen haben ein handfestes Interesse,
über die gesamte Wertschätzungskette
ihre Mitbestimmung zu erhalten. In dem
Maße, in dem outgesourct werde, verliere nicht nur der Betriebsrat, sondern möglicherweise auch die Gewerkschaft ihre
Zuständigkeit, sagt Karl Geißler, T/S/C
„Daher besteht schon aus Gründen des
eigenen Machterhalts das Interesse,
Zugriff‘ auf alle Arbeitnehmer zu erhalten.“ Ähnlich beurteilt Michael Magotsch,
DLA Piper, die aktuellen Änderungsvorhaben: Es bestehe ganz offensichtlich eine
große Furcht bei gewissen Lobbyisten,
dass das äußerst umfangreich ausgestaltete Paket der Arbeitnehmerschutzrechte
in Deutschland aufgeweicht oder umgangen werde. Dies sei letztlich der falsche
Weg, „das Thema muss entpolitisiert werden“. Ebenso spielen die Belange der Sozialkassen mit: Global operierende Unternehmen würden sich immer häufiger und
regelmäßig sogenannten „sozialversicherungsrechtlichen Audits“ ausgesetzt
sehen, berichtet Magotsch. Fahnder würden nach Scheinselbständigen, unechten
freien Mitarbeitern, Scheinwerkvertraglern und dauerhaft beschäftigten, eingegliederten Leiharbeitnehmern suchen,
die „Personalunterlagen filzen und am
Ende Nachzahlungsbescheide und Strafen festsetzen“.
Unterm Strich: Die Einsatzbedingungen
und die Gestaltung von Werkverträgen
sowie Personaldienstleistungsverträge
sollen auf einen Tarifvertrag zurückgefahren werden. „Eine Belegschaft, ein
Betriebsrat – das scheint das Ziel der
Bundesregierung zu sein“, stellt Marc
André Gimmy fest. Dabei werde das Rad
zurückgedreht, obwohl sich in den vergangenen Jahren gezeigt habe, dass die
Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse
sehr erfolgreich war und die Arbeitslosenquote deutlich zurückgegangen ist.
„Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht mag
man sich diesen Luxus zurzeit leisten können, aber die Wirtschaft kann es sich nicht
leisten.“ Ein starres, fixiertes Arbeitssystem lässt Bedingungen der Industrie und
ihrer Schwankungen außer Acht. Viele,
insbesondere Know-how getriebene Unternehmen, beispielsweise aus dem Flugzeugbau- oder der Automobilindustrie,
könnten ohne diese flexiblen Instrumente nicht leben, und dabei handelt es sich
nicht um Low-Budget-Arbeitsverträge, sondern um hoch dotierte Posten.
Abschließend lautet die Empfehlung der
Arbeitsrechtler an den Gesetzgeber: Ihren
Blick auf die Arbeitsrealität zu erweitern,
und nicht nur die knapp 800 000 Zeitarbeitnehmer im Blick zu haben, sondern
auch die Hunderttausende von Freelancern und Werkunternehmern, die nicht
festanstellt arbeiten wollen.
Christiane Siemann, freie Journalistin, Bad Tölz
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