SPIRALDYNAMIK SONDERHEFT Vorfussschmerz in der Grundversorgung Metatarsalgie: Morton-Neurom und Köhler II Pathomechanik und funktionelle Therapie Das Morton-Neurom und der Morbus Köhler II gehören zur Gruppe der Metatarsalgien, ein Sammelbegriff für Beschwerden und Schmerzen im Bereich der Metatarsale II–V. Die häufigste Ursache der primären Metatarsalgien ist der Spreizfuss, dessen Diagnose und konsequente Behandlung schnell zu einer Besserung der Beschwerden führt. Morton-Neurom und Morbus Köhler II gehören zu den etwas spezielleren Ursachen der primären Metatarsalgie. Im Folgenden wird auf Klinik, differenzialdiagnostische Unterschiede und Therapie näher eingegangen. Peter Hende F ür die Metatarsalgie gibt es eine Vielzahl von Gründen. Zu unterscheiden sind primäre, also am Schmerzort zu suchende Ursachen und sekundäre Metatarsalgien, die weiter entfernt für die Beschwerden verantwortlich sind, wie etwa rheumatische Arthropathien, Gicht oder arterielle Durchblutungsstörungen. Morton-Neurom und Morbus Köhler II gehören zu den primären Metatarsalgien. Ihre differenzialdiagnostische Abgrenzung von der unspezifischen Metatarsalgie ist für die Grundversorgung von grosser Bedeutung und oft mit einfachen Mitteln möglich. Morton-Neurom: mechanische Kompression der interdigitalen Nerven Beim Morton-Neurom handelt sich um eine Erkrankung im Bereich der Vorfüsse. Dabei kommt es zu einer schmerzhaften Kompression der Plantarnerven zwischen den Mittelfussköpfchen. Am häufigsten treten die Neuralgien zwischen den Metatarsalköpfen II und III auf, seltener zwischen den Köpfen III und IV. In ausserordentlich seltenen Fällen findet sich die Erkrankung am Fuss an multiplen Stellen oder gar an beiden Füssen gleichzeitig. Die Problematik ist die mechanische Einengung im Sinne eines Nervenkompressionssyndroms oder die Überlastung des Interdigitalnerven. In der überwiegenden Zahl der Fälle liegt die Engstelle distal und plantar des Ligamentum intermetatarsale profundum, nahe den langen Zehenbeugesehnen. Klinisch imponiert ein Schmerz im intermetatarsalen Zwischenraum beziehungsweise im Bereich der Metatarsalköpfe. Die Vorgeschichte ist meist lang, und die Patienten stellen sich mit hohem Leidensdruck vor. In einzelnen Fällen strahlen die Schmerzen bis in die Zehen aus, und des 20 Öfteren werden auch Kribbelparästhesien beschrieben. Die Beschwerden sind oft schwer zu differenzieren, da sie häufig eine ähnliche Beschwerdesymptomatik aufzeigen wie bei einer ausgeprägten Metatarsalgie, etwa beim Spreizfuss oder beim Morbus Köhler II. Der Schmerz kann durch schlecht konfektionierte Einlagen, ungünstiges Schuhwerk und durch falsches Abrollverhalten des Fusses verstärkt werden. Abbildung 1: Häufige Lokalisation der Beschwerden beim Morton-Neurom Diagnose Morton-Neurom Die gründliche klinische Untersuchung steht im Vordergrund. Zu Beginn gilt es, den Fuss als Ganzes zu betrachten. Bestehen Achsabweichungen? Sind Fussdeformitäten vorhanden? Wie sind die Gewölbestrukturen ausgebildet? Sind pathologische Hornhautschwielen an den Metatarsalköpfen zu finden? Falls sich kein Anhaltspunkt für eine andere Diagnose findet, kann eine leicht durchzuführende probatorische Infiltration vorgenommen werden. Dabei wird ein Kortikoid zusammen mit einem Lokalanästhetikum intermetatarsal gespritzt, das, im Falle eines Morton-Neuroms, schnell zu einer Beschwerdelinderung führt. Sollte sich nach der Infiltration keine Besserung einstellen, SPIRALDYNAMIK SONDERHEFT Abbildung 3: Exemplarische Darstellung der Infiltrationsstelle in den Interdigitalraum DII/DIII Abbildung 2: MRI Vorfuss rechts frontal zeigt Morton-Neurom zwischen 2. und 3. Strahl ist ein MRI des Fusses anzustreben. Es ist zu erwähnen, dass das MRI nicht in allen Fällen eine eindeutige und zuverlässige Identifizierung des Neuroms erlaubt. Das MRI stellt aufgrund seiner differenzialdiagnostischen Aussagekraft aber dennoch das wertvollste und bei längerem Krankheitsverlauf auch unumgängliche Diagnosewerkzeug dar. Therapie des Morton-Neuroms Die Behandlung besteht auf der konservativen Ebene aus Infiltrationsmanövern, welche man bis zu dreimal wiederholen kann, kombiniert mit einem funktionellen Fuss- und Beinachsentraining. Gerade bei Achsdeformitäten und Stellungsfehlern des Fusses kann eine aktive, die Fussbinnenmuskulatur aufbauende Physiotherapie einen nicht unerheblichen Beitrag zur Reduktion der Beschwerdesymptomatik leisten. Ebenfalls stellen entlastende Massnahmen in Form von Einlagen mit Aussparungen ein hilfreiches Therapieinstrument dar. Einfache Änderungen der Lebensgewohnheiten wie das Tragen von bequemen und nicht einschnürenden Schuhen gehören ebenfalls zur konservativen Therapie. An dieser Stelle ist das Konzept der Spiraldynamik erwähnenswert. Mit diesem anatomisch begründeten Bewegungs- und Therapiekonzept kann konkret und gezielt ein dreidimensionales Bein- und Fussachsentraining absolviert werden, um Belastungskräfte zu ändern und Druckbelastungsspitzen auszugleichen. Zentral geht es in dieser Problematik um eine «funktionelle Reorganisation der plantaren Strukturen» und den «Wiedereinsatz der körpereigenen Dämpfungsmechanismen» in Form des Längs-, aber vor allem auch des muskulären Quergewölbes des Fusses. Die richtige und richtig dosierte Kombination dieser Therapien vermag den letzten Schritt – die Operation – zu verhindern. Sie sollte beim Morton-Neurom ohnehin eine der letzten Optionen sein. Falls sich eine operative Resektion Abbildung 4: Spreizfuss mit vergrössertem Intermetatarsalwinkel I–II. Ein radiologisch eindeutiges Zeichen für eine Osteonekrose im Köpfchen des MT-II-Knochens fehlt. Abbildung 5: Die bandförmige Kontrastmittelaufnahme in einem Köpfchen – meist MT-II, seltener wie hier im Bild MT-III – ist typisch für den Morbus Köhler. des Neuroms als unumgänglich herausstellt, handelt es sich allerdings um einen Eingriff mit wenig Komplikationen, der postoperativ zu einer schnellen Besserung der klinischen Beschwerden führt. Morbus Köhler II – aseptische Knochennekrose der Metatarsalköpfe Gerade der Morbus Köhler II wird in der klinischen Praxis oft als einfache Metatarsalgie verkannt und entsprechend falsch behandelt, was für viele Patienten einen langen und unbefriedigenden Krankheitsverlauf nach sich zieht. Glücklicherweise handelt es sich um eine eher selten vorkommende Erkrankung, die vor allem Jugendliche betrifft. Bezüglich der Ätiologie der Erkrankung werden ähnlich wie beim Morton-Neurom falsches Schuhwerk, Fussdeformitäten und Fehlstellungen sowie Überlastungen oder 21 SPIRALDYNAMIK SONDERHEFT Folgen eines Traumas diskutiert. Der pubertäre Wachstumsschub mag zu einer Diskrepanz zwischen Belastung und Belastbarkeit der exponierten Metatarsalköpfe beitragen. 7. Kontraindikationen Diagnose des Morbus Köhler «In Wahrheit heisst ‹etwas wollen› ein ‹Experi- Entscheidend ist die gründliche orthopädische Untersuchung des Fusses. Diese schliesst mit ein, dass der schmerzende Fuss des Patienten im Stand, im Gang und vor allem in Ruhe genauestens betrachtet und untersucht wird. Gerade bei Metatarsalgien ist die klinische Untersuchung ein wichtiges Kriterium zur Differenzierung der Ursachen. Die Nuancen der klinischen Symptome zu erkennen, ist entscheidend für die weitere apparative Diagnostik und vor allem für die Wahl der therapeutischen Massnahmen. Zu betonen ist das deshalb, weil die beiden beschriebenen Erkrankungen häufig eine lange und quälende Krankheitsphase nach sich ziehen und sich in den Anfangsstadien sehr gleichen. Fazit: «Vorfussschmerz», selbst bei noch so deutlicher Spreizfussproblematik, bedeutet nicht immer die Diagnose Metatarsalgie. Finden sich nach der klinischen Untersuchung keine Hinweise auf andere spezifische Erkrankungen, wird ein Röntgenbild angefertigt. Gerade bei Vorfusserkrankungen empfiehlt es sich, Belastungsaufnahmen zu machen. Leider lassen sich beim Morbus Köhler II gerade in der Frühphase in den seltensten Fällen radiologische Veränderungen erkennen. Erst im Spätstadium können Exostosen um das Gelenk herum, lose Knorpelflächen oder freie Ge- ment machen›, um zu erfahren, was wir können.» (Friedrich Nietzsche) Die Negativliste umfasst alle Krankheitsbilder und Beschwerden, die einer funktionellen Bewegungstherapie nicht zugänglich sind bzw. bei denen eine andere, zum Beispiel operative Therapie oder Pharmakotherapie indiziert ist: 1. Fortgeschrittene orthopädische Leiden mit Operationsindikation 2. Neuropathische Schmerzsyndrome, etablierte Dystonien 3. Früharthrose nach Frakturen mit Gelenkbeteiligung 4. Somatoforme Schmerzstörung, Rentenbegehren etc. 5. Bewusstseinsstörungen, z.B. Demenz, akute Psychose, Drogen 6. Kontraindikationen, z.B. akute Entzündung, Tumor, frische Fraktur 8. Der Behandlungspfad am Med-Center «Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg.» (Laotse) Der Behandlungspfad am Med-Center folgt einem logischen Ablauf. Am Anfang steht die Diagnose des Arztes. Es folgt ein Tageskurs. Dort lernt der Patient sein Problem und dessen Lösungsansatz kennen. Die Tageskurse vermitteln erkenntnisorientiertes Wissen und sechs praktische Übungen. Mit diesem Vorwissen gehen die Patienten in die Therapie. Dabei werden Physiotherapie und Spiraldynamik-Therapie standardmässig kombiniert, wobei die Physiotherapie primär symptomorientiert ist und die Spiraldynamik-Therapie ergänzend die Bewegungsabläufe im Alltag optimiert. Vor Abschluss der Therapie wird der Transfer in den Trainingsbereich sichergestellt. Egal, ob Spaziergang mit Hund, Yoga, Kraftsport oder Bergwanderung – Alltag und Training sind der verlängerte Arm der therapeutischen Intervention. Abbildung: Behandlungspfad am Med-Center. 22 SPIRALDYNAMIK SONDERHEFT lenkkörper einen Hinweis auf die Erkrankung liefern, sodass sich bei begründetem Verdacht das MRI als Frühdiagnostikum mit hoher Sensitivität und hoher Spezifität anbietet. Im Gegensatz zum Morton-Neurom liefert das MRI beim Morbus Köhler II in fast allen Fällen sichere und zuverlässige Ergebnisse. Minderdurchblutete Areale, vornehmlich in den Metatarsalköpfen II–V, stellen sich gut und verlässlich dar. Fazit Beide Erkrankungen – Morbus Köhler und Morton-Neurom – liegen differenzialdiagnostisch eng beieinander und nahe bei der unspezifischen Metatarsalgie. Es ist daher wichtig, dass die Sonderfälle als solche erkannt und benannt werden, damit die anschliessende individuell angepasste Therapiekaskade in die richtige Richtung läuft. Peter Hende Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates FMH, Zertifizierte Fusschirurgie Manuelle Medizin (SAMM) Spiraldynamik Med Center Basel Gellertstrasse 140, 4052 Basel Therapie des Morbus Köhler Das Hauptaugenmerk richtet sich bei der Behandlung auf die Entlastung der Metatarsalköpfe. Entlastende Einlagen mit Aussparungen, weiches und grosszügig konfektioniertes Schuhwerk, aber auch eine physiotherapeutische Behandlung mit aktiver Arbeit zum Aufbau der Fussbinnenmuskulatur und gezielter Entlastung der einwirkenden Kräfte an den Metatarsalköpfen helfen, den Schmerz zu reduzieren. Die Spiraldynamik leistet auch hier mitunter einen wesentlichen Beitrag zur Genesung. Ähnlich wie beim Morton-Neurom verbessern konsequentes Fuss- und Beinachsentraining die Beschwerden, und die Neuorganisation der plantaren Belastungszonen und das Training der Fussbinnenmuskulatur können zu einer dauerhaften Besserung beitragen. In einigen Fällen lohnt es sich, auf etwas ausgefallenere Methoden zurückzugreifen. Etwa den Einsatz von Wabeneinlagen, wie sie oft und gerne bei Diabetikern verwendet werden. Ebenfalls können physikalische Massnahmen wie Ultraschallanwendungen oder simple Fusswechselbäder Erleichterung verschaffen. Die konservative Therapie des Morbus Köhler II ist meist langwierig, leistet aber bei konsequenter Durchführung gute Dienste. Über die Langwierigkeit muss der Patient gleich zu Beginn aufgeklärt werden. Auch beim Morbus Köhler II steht am Ende der Therapiekette die Operation, welche je nach Befund unterschiedliche Möglichkeiten bietet. Zuweilen wird versucht, durch Knochenanbohrungen eine Revitalisierung der Metatarsalköpfe zu erreichen. Diese «Pridie-Bohrung» verzeichnet eine Erfolgsquote von etwa 50 Prozent. Zum anderen können durch Umstellungsoperationen Entlastungen der Metatarsalköpfe erreicht werden, welche in Folge zur gewünschten Schmerzreduktion führen. Literaturquellen: 1. Fachlexikon Orthopädie «Fuss» Wülker/ Schulze ecomed, 1998. 2. Fusschirurgie. Ein praktischer Leitfaden. Chr. Sommer, 2006. 3. H. Assmus, G. Antoniadis: Nervenkompressionssyndrome. Verlag Springer, 2008. 4. A.B. Imhoff, H. Zollinger-Kies: Fusschirurgie. Thieme Verlag, 2004. Das Erfolgskonzept von Kopf bis Fuß DVD & Buch SPIRALDYNAMIK bei Thieme Jeder Band: DVD-Laufzeit ca. 60 min., Booklet 64 Seiten, 44 Abb., je CHF 50,90 Alle Titel auch einzeln als Übungsbuch im Handtaschenformat erhältlich Jeder Band: 64 Seiten, je CHF 18,70 In Ihrer Buchhandlung www.trias-verlag.de 23