Diabetologie für Dummies Cora Kube – Ärztin f. Allgemeinmedizin, Diabetologie u. Notfallmedizin Themen Wie diagnostiziere ich einen Diabetes mellitus? Therapiebeginn beim Diabetes mellitus Typ 2 Therapieziele beim geriatrischen Patienten Insulintherapie Formen der Insulintherapie Insulinsorten und Wirkprofile BE-Faktor, Korrekturfaktor, Zielwerte Wie diagnostiziere ich einen Diabetes mellitus? Wie diagnostiziere ich einen Diabetes mellitus? Der Patient hat einen HbA1c ≥ 6,5% = Der Patient hat einen Diabetes mellitus Der Patient hat einen HbA1c-Wert < 5,7% = Der Patient hat keinen Diabetes mellitus Der Patient hat einen HbA1c-Wert zwischen >5,7% und ≤ 6,4% = Der Patient könnte einen Diabetes mellitus haben HbA1c-Wert zwischen >5,7% und ≤ 6,4% Der Patient hat einen Diabetes, wenn: Gelegenheits-Plasmaglukosewert von ≥ 200 mg / dl (≥ 11,1 mmol / l) ● Nüchtern-Plasmaglukose von ≥ 126 mg / dl (≥ 7,0 mmol / l) ● OGTT-2-h-Wert im venösen Plasma ≥ 200 mg / dl ( ≥ 11,1 mmol / l) ● Therapiestart beim Diabetes mellitus Typ 2 Schulung des Patienten mit: Ernährungstherapie bei Übergewicht / Adipositas Reduktionsdiät Limitierung der Fettzufuhr ballaststoffreiche Kost Erhöhung der körperlichen Aktivität Lebensstiländerung: Reduktion des Alkoholgenusses, Nikotinverzicht und Metformin bei Fehlen von Kontraindikationen unabhängig vom HbA1c-Wert Kontraindikationen für Metformin Schwangerschaft, Stillzeit eingeschränkte Nierenfunktion (Grenzwert der Kreatinin-Clearance < 60 ml / min) schwere Lebererkrankung Pankreatitis Alkoholismus konsumierende Erkrankungen Kontraindikationen für Metformin hypoxische Zustände mit schlechter Sauerstoffversorgung der Gewebe, respiratorische Insuffizienz, schwere Herzinsuffizienz, Kreislaufschock Zustand 2 Tage vor und am Tag einer Operation (bis zur Nahrungsaufnahme) hohes Lebensalter ? 24 Stunden vor bis 24 Stunden nach einer Untersuchung mit jodhaltigen Röntgenkontrastmitteln Reduktionskost (< 1000 kcal täglich) Start der Metformintherapie Beginn mit 1x 500 mg zur Nacht Nach 1 Woche 2x 500 mg Nach 1 weiteren Woche 2x 1000 mg Bei 20% Nebenwirkungen, bei 5% so gravierend, dass Absetzen notwendig Und wie dann weiter? Patient hat nach 3- 6 Monaten einen HbA1c <6,5% = Die Therapie ist ausreichend, weiterführen! Der Patient hat einen HbA1c-Wert von ≥ 6,5% = Die bisherige Therapie ist unzureichend, muss erweitert werden! Unzureichende Therapie nach 3-6 Monaten ≥ 6,5% ≥ 7,5% <7,5% Kombinationstherapie aus 2 OAD: Metformin/Arcabose ●Metformin/DPP4 ●Metformin/Pioglitazon ●Metformin/GLP1Analoga ●Metformin/SH ●Metformin/SHA ● ≥ 6,5% OAD + Insulin: OAD + Basalinsulin ● OAD + Insulin ● prandiales Und wenn das noch nicht ausreicht? Umstellung auf intensivierte Insulintherapie + Metformin (wenn keine Kontraindikation) oder wenn nicht möglich Konventionelle Insulintherapie + Metformin (wenn keine Kontraindikation) Alternative Pioglitazon mit Insulintherapie Falls unter intensivierter Insulintherapie keine ausreichende Besserung: Insulinpumpentherapie Therapieziel für geriatrische Patienten - für sie auch HbA1c < 6,5%? Ältere Menschen mit gutem funktionellem Status (Go Go) Ziel HbA1c 6,5% bis 7,0% ohne Hypoglykämien Vorgehensweise orientiert an Leitlinien nicht geriatrischer Patienten, ggf. komplexe antihyperglykämische Therapie Ältere Menschen mit eingeschränktem funktionellem Status (Slow Go) HbA1c-Ziel 7% - 8% ohne Hypoglykämien Geriatrische Schulung, modifizierte Ernährungsempfehlung unter Berücksichtigung von Defiziten Einfache antihyperglykämische Therapien Ältere Menschen mit extrem eingeschränktem funktionellem Status oder terminal Erkrankte (No-Go) HbA1c sekundär, keine Hyper- oder Hypoglykämien Schulung des Pflegepersonals Einfache antihyperglykämische Therapieformen Reine Symptomkontrolle Geriatrischer Zielbereich Zeyfang A et al. Diabetes mellitus im Alter. Diabetologie 2010; 5: S 166–S 171 Insulintherapieformen BOT= Basal unterstützte orale Therapie Einmalige Gabe eines langwirksamen Basalinsulins und eines oralen Antidiabetikums. SIT= Supplementäre Insulintherapie Gabe eines kurzwirksamen Insulins nur zu den Mahlzeiten, Metformin ggf. zusätzlich. Konventionelle Insulintherapie (CT): Prinzip: Gabe von Mischinsulin 2x pro Tag. Bei konventioneller Insulintherapie erfolgt eine an den Bedarf angepasste Kostverordnung 6 – 7 Mahlzeiten mit vorgeschriebenem Kohlehydratgehalt. (z.B. 3 – 1 – 3 – 1 – 3 – 1 KE/ BE). Mahlzeiten müssen nach einem festen Schema eingenommen werden. Intensivierte Insulintherapie (ICT) Prinzip: Gabe von kurzwirksamem Insulin zu jeder Mahlzeit in Abhängigkeit von der aufgenommen Kohlenhydratmenge und dem Ausgangsblutzuckerwert. Zusätzlich Gabe von langwirksamen Basalinsulin 12x/Tag. Insulinpumpentherapie (CSII): Die Insulinpumpentherapie wird auch als CSII bezeichnet, was soviel wie Continuierliche Subkutane Insulin-Infusion bedeutet. Durch die kontinuierliche subkutane Infusion kleinster Insulinmengen wird der Blutzucker auch in Fastenphasen konstant gehalten. Basalrate 1,6 1,4 1,2 1 I.E/h 0,8 0,6 0,4 0,2 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 Insulinsorten und ihre Wirkprofile Actrapid ●Insuman Rapid ●Berlinsulin und Wirkprofile Normal ●Insulin Braun Normal ● Insulinsorten Kurzwirksame Insuline Lang wirksame Basalinsuline Protaphane ●Berlinsulin Basal ●Insuman Basal ●Insulin Braun Basal ● Mischinsuline Actraphane 30 ●Berlinsulin 30/70 ● Wirkprofile z.B. Actrapid z.B.Actraphane 30 Lantus z.B.Novorapid Wirkprofile Levemir z.B.Novomix z.B.Protaphane Was ist eine gute Einstellung? Zielwerte? HbA1c Nüchtern – BZ 1-2 h nach dem Essen ≤ 6,5% 90-120 mg/dl <140mg/dl mg/dl Cora Kube Was ist eine gute Einstellung in der Schwangerschaft? Nüchtern 60-90 mg/dl 1 h postprandial <140 mg/dl 2 h postprandial <120 mg/dl Vor dem Schlafen 90-120 mg/dl Nachts 2:00- 4:00 Uhr >60 mg/dl Mittlere Blutglucose 85- 105 mg/dl Der Zielwert muss individuell festgelegt werden! Bei Neigung zu Unterzuckerungen müssen die Zielwerte nach oben korrigiert werden! Schwere Unterzuckerungen mit notwendiger Fremdhilfe sind unbedingt zu vermeiden! Die individuellen Lebensumstände sind bei der Festlegung der Zielwerte zu berücksichtigen. Cora Kube Insulindosisanpassung – oder was tue ich wenn... BE/ KHE BE-Faktor Korrekturfaktor Wirkdauer von Insulinen BE/ KE und BE-Faktor BE (Broteinheit) oder KHE (Kohlenhydrateinheit) steht für eine Schätzmenge von 10 -12 g Kohlenhydraten in der Nahrung Der BE-Faktor bezeichnet die Menge an Insulin, die notwendig ist, um 1 BE abzudecken. Beispiel: Eine Person hat einen BE-Faktor von 1 und möchte 1 Brötchen essen. = 2 BE BE-Faktor = 1 Rechne: 1 Einheit Insulin/BE x 2 BE = 2 Einheiten Insulin Die Person muss 2 Einheiten Insulin spritzen, um 1 Brötchen abzudecken. Cora Kube BE-Faktor und Tageszeit Der BE-Faktor ist bei jedem Menschen anders und schwankt auch bei der einzelnen Person im Verlaufe des Tages. Am Morgen ist der BE-Faktor oft höher als gegen Mittag. Bei Typ 2-Diabetikern ist der BE-Faktor oft höher als bei Typ 1- Diabetikern. Cora Kube Beispiel BE-Faktor und Tageszeit Eine Person habe am Morgen den BE-Faktor 2,0; am Mittag den BE-Faktor 1,0 und am Abend 1,5. Wieviel Insulin muss die Person spritzen, um zu der entsprechenden Tageszeit ein Brötchen essen zu können? Cora Kube Lösung = 2 BE Morgen: Mittag: Abend: BE-Faktor: 2,0:1 1,0:1 1,5:1 2,0 x 2 = 4 1,0 x 2 = 2 1,5 x 2 = 3 Cora Kube Der Korrekturfaktor ● ● ● ● ● Korrekturfaktor 30 bedeutet, dass 1 Einheit Insulin den Blutzucker um 30 mg/dl (1,7 mmol/l) senkt. Bei den meisten Menschen liegt der Korrekturfaktor zwischen 30 und 50. Der Korrekturfaktor ist bei jedem Menschen anders. Ähnlich wie der BE-Faktor ist kann auch der Korrekturfaktor in Abhängigkeit von der Tageszeit schwanken. Der Korrekturfaktor lässt sich nur durch Austesten Cora bestimmen. Kube Beispielrechnung für den Korrekturfaktor Ihr BE-Faktor beträgt am Morgen 2,0. Ihr Korrekturfaktor beträgt 30. Sie messen Ihren Blutzucker vor dem Frühstück: 160 mg/dl Ihr Zielwert liegt aber bei 100 mg/dl. Sie möchten 1 Brötchen essen. Wieviel Insulin spritzen Sie? Cora Kube Lösung: Für die im Brötchen enthaltenen 2 BE müssen Sie (2,0 x 2) 4 Einheiten Insulin spritzen. Um Ihren Zielbereich von 100 mg/dl zu erreichen, müssen Sie bei einem Korrekturfaktor von 30 zwei zusätzliche Einheiten Insulin spritzen, um Ihren Blutzucker von 160 mg/dl auf 100 mg/dl zu senken. Sie benötigen also 6 Einheiten Insulin, um Ihr Brötchen abzudecken. Cora Kube Fallstricke Erfolgen die Insulingaben in zu kurzem Zeitabstand kann es zur Überlappung der Wirkung kommen. Die Dauer der Insulinwirkung ist dosisabhängig. Hohe Insulindosen wirken länger. Cora Kube Richtlinien Bei Verwendung von Analoginsulinen wie Apidra®, Humalog® und Novorapid®, Liprolog® keine Korrektur vor Ablauf von 2 -3 Stunden nach der letzten Insulininjektion. Bei Verwendung von Normalinsulin wie Actrapid®, Insuman Infusat®, Huminsulin Normal®, Insuman Rapid®, Berlinsulin Normal® etc. keine Korrektur vor Ablauf von 4-5 Stunden. Besondere Vorsicht bei Korrekturen am Abend, um Überlappungen mit dem Basalinsulin zu vermeiden. Cora Kube Richtlinien Die Wirkdauer des Insulins ist dosisabhängig. Berger Diabetes mellitus 2000 Cora Kube Welches Insulin für welchen Patienten? ● Welchen Pen, welche Fertigspritze kann der Patient ablesen? Welches Insulin für welchen Patienten? ● Welchen Pen/Fertigspritze kann der Patient bedienen? Rheuma? Arthrose? Welches Insulin für welchen Patienten? ● ● ● Wie oft ist der Patient bereit zu spritzen und zu messen? Kann der Patient mit BE/KHE, BE-Faktoren, Korrekturfaktoren rechnen? Gleichmäßiger Tagesablauf, Nahrungszufuhr regelmäßig? Welches Insulin für welchen Patienten? ● Wird der Patient sorgfältig sein beim Schwenken seine Verzögerungs-/ Mischinsulin? ● Kann er den Nadelwechsel regelmäßig vornehmen? ● Ist der Patient Typ 1 oder Typ 2 Diabetiker? ● Schwangerschaft geplant? ● Welche Krankenkasse? Welches Insulin für welchen Patienten? ● ● Wie oft kommt der Pflegedienst, der die Injektion vornimmt? Blutzucker nur morgens erhöht, nur nach den Mahlzeiten erhöht? ● Dawn-Phänomen? ● Neigung zur Hypoglykämien? ● Vorübergehende Entgleisung? ● Psychische Probleme des Patienten? Fallbeispiel 1 ● ● ● ● Ältere Dame, 68 Jahre alt, seit 12 Jahren Diabetes mellitus Typ 2 Seit 6 Jahren Therapie mit Amaryl und Metformin, zuletzt Amaryl 6 mg, Metformin 2x1000 mg. Seit 1Jahr ansteigende HbA1c-Werte, zuletzt 8,2%. Lässt sich nur mit Mühe zur Insulintherapie bewegen, bisher keine Folgeschäden. Fallbeispiel 1 Welche Insulintherapie? ● ● ● Basal unterstützte orale Therapie (BOT) Metformin bei normalen Creatininwerten beibehalten, Amaryl absetzen Basalinsulin Lantus, Levemir, Protaphane, Insuman basal möglich. oder ● Konventionelle Insulintherapie mit Gabe von 2x Mischinsulin unter Beibehaltung Metformin Fallbeispiel 2 ● ● ● Motivierter 58 jähriger Typ2-Diabetiker, noch berufstätig, viel unterwegs, wiegt 98 kg bei 178 cm. Isst unregelmäßig, lässt einzelne Mahlzeiten aus, Nüchtern-BZ mit Werten um 120 mg/dl akzeptabel, postprandial jedoch um 200 mg/dl. Bisher keine medikamentöse Therapie. Fallbeispiel 2 Welche Therapie? ● Metformin 2x1000 mg bei unzureichender Therapie ● Zusätzlich Novonorm nur zu den Mahlzeiten bei unzureichender Therapie ● Novonorm absetzen und Supplementäre Insulintherapie (SIT) zu den Mahlzeiten zusätzlich zu Metformin Fallbeispiel 3 ● ● ● 55 Jahre alter Patient, Zugführer, Diabetes mellitus Typ 2 seit ca. 5 Jahren. Therapie mit Metformin 2x1000mg und Arcabose, dennoch HbA1c jetzt 8,0%. Problem: Darf seinen Beruf nicht mehr ausüben, wenn er Insulin spritzt. Fallbeispiel 3 Welche Therapie? ● ● ● ● Insulin vermeiden, um Patienten Berufsausübung zu ermöglichen. Therapie bevorzugt mit Antidiabetikum, das keine Hypoglykämien bewirkt. Kombination Metformin mit – DPP4-Hemmer oder – Inkretinmimetikum oder – Glitazon Ggf. ausnahmsweise 3 orale Antidiabetika Fallbeispiel 4 ● ● ● ● 23 Jahre alter Patient, Typ 1-Diabetiker seit 10. Lebensjahr. Borderline-Persönlichkeitsstörung, multiple Psychotherapien ohne Effekt. Rezidivierende Krankenhausaufenthalte mit BZEntgleisungen bis 1000 mg/dl. HbA1c schwankt zwischen 11% und 18% Aktuell intensivierte Insulintherapie mit Lantus u. Humalog, wünscht Umstellung auf Insulinpumpe Fallbeispiel 4 Insulinpumpe? ● ● ● Bei fehlender Motivation oder mangelhafter Schulung niemals Insulinpumpe ebenso bei schwerwiegenden psychischen Störungen Indikation für Insulinpumpe: – Schwangerschaft – Dawnphänomen – Schichtdienst Verordnung erst wenn ICT klappt Fallbeispiel 5 ● Typ-1-Diabetikerin, 26 Jahre alt, seit 10 Jahren Diabetes mellitus, Kinderwunsch, HbA1c 6,8% ● Aktuelle Therapie mit Lantus und Humalog ● Umstellung der Therapie? Fallbeispiel 5 Insulintherapie in Schwangerschaft ● ● ● ● Lantus aktuell noch nicht in Schwangerschaft zugelassen, Umstellung auf anderes Insulin erforderlich Pumpentherapie ratsam, da instabile Stoffwechsellage während Schwangerschaft zu erwarten Umstellung auf Pumpe einige Monate vor Schwangerschaft, nicht erst mit Eintritt der Schwangerschaft Kontrolle Augenhintergrund bei Augenarzt Fallbeispiel 6 ● ● ● Typ 1-Diabetiker mit prinzipiell befriedigender BZEinstellung, aber morgendlich erhöhten BZ-Werten um 180 mg/dl Aktuelle Therapie mit Protaphane gegen 6 Uhr und 22 Uhr und Novorapid zu den Mahlzeiten. Erhöhung der Protaphanedosis führt zu Hypoglykämie gegen 4 Uhr morgens. Fallbeispiel 6 ● Bei ausgeprägtem Dawn-Phänomen Umstellung auf Levemir® oder Semilente® aus der Auslandsapotheke. ● Basalinsulin so spät wie möglich spritzen. ● Alternativ Versorgung mit einer Insulinpumpe.