24. MÄRZ 2016 Kehrt die Euro-Krise zurück? Nachdem im letzten Sommer Griechenland sein drittes Rettungspaket erhielt, wandte sich Europa anderen Krisen zu. Jedoch wäre es arg naiv, zu glauben, die Staatsschuldenkrise sei ausgestanden. Das griechische Drama ist weit von einem gütlichen Ende entfernt; in Portugal und Spanien wollen wacklige Linksregierungen Sparpolitik und Wirtschaftsreformen wieder beenden; Frankreich hat den wirtschaftlichen Ausnahmezustand erklärt; Italiens Wettbewerbsfähigkeit lässt weiter nach; die Politik der Europäischen Zentralbank zeigt immer weniger Wirkung bei immer größeren Risiken; und in Deutschland droht die Stimmung von Selbstgefälligkeit in Angst umzuschlagen. Report von: Professor Dr. Michael Wohlgemuth Diesen Februar veröffentlichte die Europäische Kommission ihre aktuellen Wirtschaftsprognosen für die Jahre 2016-2017. Pierre Moscovici, der Wirtschaftskommissar der EU, sagte dazu: „Die europäische Wirtschaft behauptet sich diesen Winter dank des billigen Öls, des Euro-Wechselkurses und niedriger Zinsen erfolgreich gegen neue Herausforderungen.“ Doch verwies er auch auf Faktoren, die dem positiven Trend entgegenwirken könnten: die nachlassende Konjunktur in China, schwankende Ölpreise, geopolitische Spannungen und „politische Unsicherheiten in Europa“. Zum letzten Punkt blieb Moscovici vage. Er erwähnte weder die aktuelle Flüchtlingskrise noch den möglichen Austritt Athen, 22. Juli 2015: Griechische Proteste gegen die Sparmaßnahmen. Das Jahr 2016 ist bereits drei Monate alt, doch es gibt noch immer keine Einigung für die extrem unpopulären Rentenkürzungen (Quelle: dpa) Großbritanniens aus der EU. ökonomische Kosten mit sich. Eine französische DenkÜberraschungen und Enttäuschungen fabrik beziffert die Kosten, die für Reisende, Pendler und Erstaunlicherweise finden sich im Bericht der EU die Händler in den nächsten zehn Jahren zusätzlich an den zusätzlichen Staatsausgaben aus Anlass der Terrorbe- Grenzen entstehen, auf 110 Milliarden Euro, sollte das kämpfung und der Flüchtlingskrise als „positive Über- grenzenlose Schengen-System solange nicht mehr gelten. raschungen seitens des öffentlichen Konsums“. In den ökonometrischen Modellen, die den Wirtschaftsprognosen Die EU-Kommission rechnet indes damit, dass die zugrunde liegen, zählen auch solche Mehrausgaben als Wirtschaft der Eurozone in diesem Jahr um 1,7 Prozent „nachfragewirksamer“ Stimulus der Volkswirtschaft. wächst und 2017 um 1,9 Prozent – das ist etwas weniger als in der EU als Ganzes und nur etwas mehr als die Hälfte Was die Modelle ausblenden, ist, dass man kaum des erwarteten Wachstums der Weltwirtschaft (mit 3,3 annehmen darf, dass wirklich viele der Flüchtlinge, die es Prozent dieses Jahr und 3,5 Prozent im kommenden). nach Deutschland oder Schweden geschafft haben, in Europas Wachstumsmotor dürfte Polen sein mit einem absehbarer Zeit in die jeweiligen Arbeitsmärkte integriert erwarteten Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts von 3,5 werden können – ganz zu schweigen von denen, die in Prozent dieses und kommendes Jahr, gefolgt von Spanien, Griechenland oder Italien gestrandet sind. Als politische Großbritannien und den Niederlanden, wo das Wachstum Reaktion auf die Flüchtlingskrise und die jüngsten über zwei Prozent liegen könnte. Deutschland dürfte mit Terrorattacken sind nun vielerorts wieder Grenzkontrollen 1,8 Prozent in beiden Jahren etwas unter dem EU- e i n g e f ü h r t w o rd e n . D i e s b r i n g t j e d o c h w i e d e r Durchschnitt liegen. SEITE 1 24. MÄRZ 2016 Brüssel, 4. Feb. 2016: EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici präsentiert die europäischen Prognosen für 2016/17 (Foto: dpa) Für Griechenland wiederum ist die EU-Kommission etwas weiteren Schuldennachlass auf die Agenda zu setzen. Das optimistischer als zuvor; die Wirtschaftsleistung soll dieses will auch der Internationale Währungsfonds (IWF), der Jahr nur noch um 0,7 Prozent schrumpfen. 2017 dagegen sonst die Schuldentragfähigkeit nicht mehr gegeben sieht. wird erwartet, dass Griechenland nach einem Jahrzehnt Gleichzeitig ist der IWF aber nicht überzeugt, dass des Niedergangs wieder wächst: um stolze 2,7 Prozent. Griechenland selbst genug tut, um seine Ausgaben zu kürzen. Noch ist nicht entschieden, ob der IWF sich Kein Ende des Griechenland-Dramas in Sicht überhaupt am dritten Rettungspaket beteiligen wird. Freilich ist keine der „politischen Unsicherheiten“ aus Griechenland verschwunden. Brüssel erwartet auch dieses Genau diese Beteiligung jedoch war für die deutsche und nächstes Jahr neue Staatsdefizite. Damit steigt der Regierung ein wichtiges Argument, um das Rettungspaket Schuldenstand Athens in diesem Jahr auf einen Rekord- durch das deutsche Parlament zu bekommen. In Berlin ist wert von 185 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, ehe er man überzeugt, dass die EU-Institutionen alleine Griechen2017 leicht auf 182 Prozent sinken soll. Derweil bleiben land gegenüber zu nachsichtig wären. Andererseits ist Kapitalverkehrskontrollen in Kraft, um einen Run auf die man in Berlin sehr zurückhaltend, was die Forderung des Banken und eine Kapitalflucht zu verhindern. Gleichzeitig IWF nach einem Schuldenerlass betrifft. Ein weiterer haben Regierung und Verwaltung jede Menge Probleme, „haircut“ würde erkennbar zu Lasten deutscher Steuermit den Tausenden von Flüchtlingen klarzukommen, die zahler gehen. aus der Türkei an griechischen Inseln gestrandet sind. Kurzum: Griechenland bleibt ein großes Problemfeld für Wie schon in den Jahren zuvor streiten sich die griechi- die Eurozone. Die Regierung Tsipras ist alles andere als sche Regierung und ihre ausländischen Kreditgeber um stabil und sie steht unter starkem politischen und die Bedingungen der Rettungspakete. Noch immer ist die ökonomischen Druck. Wie ein maßgeblicher IWF-Vertreter sehr unpopuläre Rentenreform nicht parlamentarisch unlängst sagte, bleibt auch ein „Grexit“ durchaus immer beschlossen. Gleichzeitig möchte Athen die Verhand- noch möglich. lungen mit den Gläubigern rasch abschließen, um einen SEITE 2 24. MÄRZ 2016 Austeritätsmüdigkeit Die EU-Kommission erwartet, dass das Wachstum Im Süden der Eurozone bauen sich weitere Gegenwinde sowohl in Frankreich als auch in Italien dieses und auf. Zwar erwartet die EU-Kommission ein recht starkes kommendes Jahr hinter dem Durchschnitt der Eurozone Wachstum in Spanien; sie weist aber auch auf Risiken zurückbleibt. In beiden Jahren wird auch erwartet, dass hin, nicht zuletzt, weil sich seit den Wahlen im Dezember das französische Haushaltsdefizit die erlaubten drei 2015 noch immer keine neue Regierung hat bilden Prozent überschreitet – wie schon jedes Jahr seit 2008. können. Die Partei des amtierenden konservativen Der französische Wirtschaftskommissar erinnert seine Ministerpräsidenten Mariano Rajoy erzielte zwar mit 29 Landsleute und Parteifreunde zwar stets pflichtgemäß an Prozent die meisten Stimmen, kann aber keine Mehr- die Defizitregeln der Eurozone, aber ohne wirklichen heitskoalition bilden. Erfolg. Der französische Präsident hat derweil den „ökonomischen Ausnahmezustand“ erklärt und ein zwei Derweil sondierte der Chef der Sozialisten, Pedro Milliarden schweres staatliches Ausgabeprogramm Sanchez, eine Koalitionsbildung mit der linkspopulisti- angekündigt. Angesichts 26 Prozent Jugendarbeitsschen Podemos-Bewegung und kleineren kommunis- losigkeit soll nun die Anstellung junger Leute staatlich tischen und sezessionistischen Parteien – bisher ohne subventioniert und 500.000 Lehrstellen geschaffen Erfolg. Eine solche Koalition hätte auch wenige Gemein- werden. samkeiten, außer der, die Sparpolitik und Wirtschaftsreformen der alten Regierung zu beenden. Ohne den Gereizte Italiener Fortbestand dieser Politiken könnte Spanien jedoch Kommissar Moscovici wurde auch von der italienischen schon bald wieder zum Problemfall für die Eurozone Regierung herausgefordert. Nachdem der italienische werden. Premierminister sich laut über kleinliche Bürokraten in Brüssel und Berlin echauffierte, mahnte Moscovici Rom Ähnlich sieht es derzeit in Portugal aus. Hier verlor die zu „Ruhe, Geduld und Dialogfähigkeit“. konservative Reformregierung ihre Mehrheit bei den Wahlen im Oktober 2015 und wurde überraschend von Anfang dieses Jahres hat sich Italien mit der EU über die einer sozialistischen Minderheitsregierung abgelöst. Behandlung notleidender Kredite in den Bankenbilanzen Diese ist von der Unterstützung extrem linker Parteien geeinigt. Diese haben von 125 Milliarden Euro im Jahr abhängig, die jede Sparpolitik und teilweise sogar den 2012 auf über 200 Milliarden zugenommen (nur in Euro ablehnen. Portugal muss aufgrund der 78 Milliarden Griechenland wird ein noch höherer Anteil schlechter Euro Rettungsgelder seinen Staatshaushalt der EU- Kredite bei den Banken vermutet). Dies war der erste Kommission vorlegen. Nach viel Reibereien erlangte das offizielle Test für das neue Regelwerk der Bankenunion, Land eine bedingte Billigung des aktuellen Haushalts- das eine Beteiligung der Anteilseigner und Gläubiger plans. Kommissar Moscovici warnte jedoch, Portugal („bail-in“) an einer Bankensanierung vorsieht. bewege sich am Rand des unter den EU-Fiskalregeln Erlaubten. Italienischen Banken ist es nunmehr erlaubt, Altkredite zu bündeln und als Verbriefungen an private Investoren Französischer Ausnahmezustand zu verkaufen. Der italienische Staat hilft dabei, indem er Die linken Regierungen in Frankreich und Italien standen die werthaltigeren Tranchen der Kreditpakete mit nie wirklich hinter einer konsequenten Sparpolitik und Garantien versieht. Dies zeigt, dass hier Risiken staatlich wirtschaftsfreundlichen Reformen. Anders als die abgesichert werden, die so am Markt nicht zu verkaufen Genossen in Griechenland, Spanien und Portugal wären. Dieser Plan ist nur schwer mit dem europarechtdürften die Regierungen in Paris und Rom freilich bis zu lichen Verbot der Staatshilfen vereinbar; auch zeigt er, den nächsten regulären Wahlen (Mai 2017 in Frankreich, dass die eigentliche Idee der Bankenunion, eher Mai 2018 in Italien) im Amt blieben. Da es sich hier aber Investoren in die Haftung zu nehmen als Steuerzahler zu um die zweit- und drittgrößten Länder der Eurozone belasten, nicht so ernst genommen wird, als von handelt, haben auch geringere politische Risiken dieser manchen gedacht. Länder mehr Gewicht. SEITE 3 24. MÄRZ 2016 In Italien gibt es aber noch mehr Gründe zur Sorge. britische Austritt populistische Tendenzen gegen die Nach vielen Jahren der Rezession ist das reale BIP pro Mitgliedschaft in der EU oder der Währungsunion auch Kopf noch immer unter dem Niveau von 1999. Die in anderen Ländern verstärken und damit den Bestand Arbeitsproduktivität sinkt weiter, ohne durch eine der europäischen Integration gefährden. Senkung der Arbeitskosten aufgefangen zu werden. Steuern und Regulierungen behindern ein Wachstum der Deutsche Angst Unternehmensgröße. Regierungschef Matteo Renzi hat Deutschland bleibt derweil der Anker der Eurozone. Der die Probleme zwar im Blick, kommt mit seinen Reformen dreifache konjunkturelle Rückenwind, den die EUaber nur schleppend voran. Kommission in ihrem Bericht nannte – billiges Öl, schwacher Euro, niedrige Zinsen – hat der deutschen Geldpolitik wirkt kaum noch positiv Exportwirtschaft, dem deutschen Arbeitsmarkt und dem In den letzten Jahren wurde die Europäische Zentralbank deutschen Finanzminister geholfen, positive Rekordzum entscheidenden Faktor in den Rechnungen der ergebnisse zu erzielen. Marktteilnehmer und der Politik. Als anfangs noch zurückhaltender und nun hemmungsloser Geldgeber der Wenig spricht dafür, dass die deutsche Wirtschaft letzten Instanz ist für viele nun die EZB die einzige plötzlich einbrechen sollte. Gleichwohl zeigen IndikaHoffnung für die Eurozone. toren, dass das Geschäftsklima und die Aufträge der Exportwirtschaft sinken, da sich in China und vielen Jedoch hat, wie in anderen GIS-Berichten dargelegt, die Schwellenländern eine deutliche Abkühlung abzeichnet, quantitative Lockerung (QE) der Geldpolitik bisher wenig und die Risiken in der Eurozone die Zuversicht ebenso Wirkung auf die Realwirtschaft gehabt. Das meiste Geld dämpfen wie die Gefahr eines Brexit. Generell droht die wurde von den Banken genutzt, um notleidende Kredite Stimmung im Land von selbstgefälliger Zuversicht in umzuschulden oder es fachte Vermögenspreisblasen an gereizte Angst zu kippen – was auch mit der Aufnahme auf einigen Märkten für Aktien, Anleihen und Immobilien. von weit über einer Million Flüchtlingen im letzten Jahr Der massive Ankauf von Staatsanleihen hat die Anreize zusammenhängt. der Regierungen, ihre Haushalte zu sanieren, stark reduziert. Die EZB hat „Zeit gekauft“, damit aber die Das Image von Bundeskanzlerin Angela Merkel als Sanierung von Banken, Unternehmen und Staaten nur souveräne Krisenmanagerin hat darunter ebenfalls deutverzögert. lich gelitten; auch nach den letzten Beschlüssen einer „europäischen Lösung“ unter starker Beteiligung der Die Gefahr des Brexit Türkei herrscht starke Skepsis, ob es gelingen kann, das Premierminister David Cameron wird das Referendum Flüchtlingsproblem in absehbarer Zeit zu lösen. In über den Verbleib seines Landes in der EU am 23. Juni diesem politischen Reizklima ist es wenig wahrscheinabhalten. Umfragen lassen erwarten, dass die Wahr- lich, dass Wähler und Politiker in Deutschland erneut scheinlichkeit eines „Brexit“ (des Austritts aus der EU) „Solidarität“ mit fremden Banken und Regierungen nahe bei 50 Prozent liegt. zeigen werden, sollte die Eurokrise sehr akut werden. Zwar gehört Großbritannien nicht zur Eurozone, dennoch Banken-Stress dürfte der Austritt der zweitgrößten Volkswirtschaft und Auch wenn ein Zusammenbruch der Eurozone derzeit des wichtigsten Finanzzentrums der EU die Finanz- kein Thema ist, wäre es naiv anzunehmen, die Staatsmärkte und das politische Establishment Europas stark schuldenkrise sei vorbei. erschüttern. Die wirtschaftlichen Folgen eines Brexit für Großbritannien und die EU sind schwer vorherzusagen, Die Turbulenzen an den Börsen Anfang des Jahres hängen sie doch ganz davon ab, welches Modell des weisen auf erneute Nervosität und neue Risiken hin. Wer Marktzugangs danach vereinbart werden kann. Jeden- hätte gedacht, dass etwa die Deutsche Bank öffentlich falls wäre ein Brexit der Sprung ins Ungewisse und versichern müsste, ihre Verbindlichkeiten bedienen zu dürfte zu jahrelanger rechtlicher, politischer und wirt- können – woraufhin der Kurs der Aktie Mitte Februar schaftlicher Unsicherheit führen. Zudem könnte der ganze 40 Prozent verlor? SEITE 4 24. MÄRZ 2016 Im Fall der Deutschen Bank liegen spezifische rechtliche • Italien und Frankreich scheitern beim Versuch, globale Probleme vor; aber auch generell liegt im europäischen Wettbewerbsfähigkeit herzustellen und gleichzeitig Bankensektor einiges im Argen. Zum 21. März hat der ihren aufgeblähten Wohlfahrtsstaat zu erhalten. Für Eurostoxx Index europäischer Bankaktien seit Jahres- das Überleben der Währungsunion sind beide Länder beginn 15 Prozent verloren und lag 33 Prozent unter jedoch jeweils „too big to fail“. Sobald sie von der seinem Stand vom April 2015. Sollten sich dahinter nicht Gläubiger- auf die Schuldnerseite wechseln, klappen nur geringere Ertragserwartungen verbergen (auch dies die Rettungsschirme zusammen, und es dürfte kaum eine Folge der Nullzinspolitik der EZB), sondern erhöhte mehr eine gemeinsame Währung für den „Club Med“ Zweifel an der Solvenz vieler Banken, wäre dies ein und die fiskalisch stabileren Länder des Nordens ernstes Alarmsignal. geben. Zwar sind die meisten Banken der Eurozone heute • Der Brexit führt zu wirtschaftlichen Verwerfungen auf besser kapitalisiert als zu Beginn der Eurokrise; auch beiden Seiten des Ärmelkanals und markiert den das Engagement der EZB in Form extrem lockerer größten politischen Rückschlag der EU seit ihrer Geldpolitik, Banküberwachung und Möglichkeiten der Gründung. Nationalistische Strömungen gewinnen an Bankenabwicklung sollte zumindest so viel Vertrauen Zulauf, und das europäische Integrationsprojekt wird generieren wie die letzten „Stress-Tests“ des Banken- in vielen Teilen Europas infrage gestellt. sektors. Doch hat dies alles wenig bewirkt; das Vertrauen in die Banken könnte bei erneuten Schocks Jedes dieser negativen Szenarien kann wahrscheinlicher verloren gehen. Ebenso haben die vielen Aktionen der und gravierender werden, wenn die geopolitischen EU, der Eurozone neue Regeln aufzuerlegen, nicht Spannungen jenseits Europas weiter zunehmen, etwa in wirklich dazu geführt, dass man den Regierungen Russland oder dem Mittleren Osten; ganz zu schweigen zutraut, für solide Staatsfinanzen und wettbewerbsfähige von möglichen Folgen der amerikanischen PräsidentWirtschaftsordnungen zu sorgen. schaftswahlen. Toxische Kombinationen Vertrauensfragen Im schlimmsten Fall könnte es deshalb zu einer toxi- Im besten Fall wird nichts oder kaum etwas vom oben schen Kombination einiger der folgenden Szenarien Skizzierten passieren. Davon scheint die EUkommen, die eine erneute Bankenkrise, gefolgt von einer Kommission in ihrer jüngsten Wirtschaftsprognose ausmassiven Staatsschuldenkrise, auslösen könnten. zugehen. Solange man die letzten makroökonomischen Trends schlicht extrapoliert, kann sich tatsächlich eine • Die Reformen in Griechenland kommen nicht voran, leichte Erholung aller europäischen Volkswirtschaften woraufhin sich der IWF endgültig zurückzieht. Ein ergeben. Schuldenschnitt kommt auch nicht zustande, die griechische Regierung muss erneut Neuwahlen ausru- Die Frage ist nur, ob die beliebte Annahme der Ökofen und die Idee eines „vorübergehenden Grexit“ kehrt nomen – ceteris paribus, alles andere bleibt gleich – zurück auf die Agenda (inzwischen ist bekannt, dass wirklich adäquat ist. im letzten Sommer nicht nur Deutschland, sondern auch andere Vertreter der Eurozone, einschließlich des Die akute Flüchtlingskrise hat ebenso das Potenzial, die damaligen griechischen Finanzministers Varoufakis, Annahmen radikal zu ändern wie eine erneute Krise des mit diesem „Plan B“ geliebäugelt haben). Bankensystems. In beiden Fällen ist das Vertrauen in europäische • Spanien und Portugal nehmen die marktfreundlichen Institutionen und Lösungsansätze nicht sonderlich tief. Reformen zurück, Staatsschulden und Arbeitslosigkeit Zwar ist auch hier die EU sehr bemüht zu zeigen, dass erreichen wieder die alten Krisenniveaus. In beiden sie Probleme besser lösen kann als einzelne Länder im Ländern könnten sich „griechische Verhältnisse“ erge- Alleingang. Aber das Vertrauen nationaler Regierungen ben mit instabilen Minderheitsregierungen, politischem und Bürger in die Leistungsfähigkeit der EU nimmt Chaos und entnervten Gläubigern. derzeit eher ab als zu. SEITE 5