Ich bin ja so nervös! Die Hände zittern, das Herz rast, der Schweiß bricht aus. Vor einem wichtigen Termin, einer Prüfung oder vor dem Traualtar – jeder war schon mal nervös. Was aber, wenn die Stresshormone nicht mehr aufhören durch den Körper zu rauschen? Was, wenn aus einer Nervosität, die in der modernen Psychiatrie übrigens Stress- respektive Panikreaktion genannt wird, eine Angststörung wird? Wenn das der Fall ist, wenn Nervosität so heftig auftritt, dass sie Lebensqualität und Handlungsfähigkeit wesentlich beeinträchtig, sollte fachärztlich psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe gesucht werden. Dr. Elmar Weiskopf ist Facharzt für Psychiatrie und betreibt eine Praxis in Götzis. Zudem ist er Geschäftsführer von pro mente Vorarlberg. Eine gemeinnützige Gesellschaft, die im Auftrag der Vorarlberger Landesregierung ambulante sozialpsychiatrische Betreuung, Krisenhilfe und Prävention anbietet. Zudem wird im Rahmen der sozialpsychiatrischen und psychosozialen Rehabilitation umfangreiche Hilfestellung offeriert. Im Interview erklärt Dr. Weiskopf was hinter Stress- beziehungsweise Panikreaktionen steckt, ab wann Nervosität krankheitswertig ist und was man selbst dagegen unternehmen kann. Jeder war schon einmal nervös – vor einer Prüfung, vor einem wichtigen Termin, vor dem Traualtar. Was genau ist „Nervosität“? Im Allgemeinen versteht man unter Nervosität einen Zustand von akut auftretender innerer Angespanntheit, innerer Unruhe, Zittern, Herzklopfen bis Herzrasen, Schwitzen, weiters ein Gefühl von Kontrollverlust und Panik. Am liebsten würde man der Situation entfliehen. Dieser Zustand tritt meist in spezifischen Situationen wie Prüfungssituationen, Konfrontationen mit Vorgesetzten, Reden vor Publikum und dergleichen auf. Allerdings: Der Begriff „Nervosität“ wird in der modernen Psychiatrie nicht mehr verwendet. Wie sagt man dann? Im psychiatrischen und psychotherapeutischen Sprachgebrauch sprechen wir heute von einer Stressbeziehungsweise Panikreaktion. Was steckt hinter Nervosität oder eben einer Stress- respektive Panikreaktion? Was sind Auslöser dafür? Auf der körperlichen Ebene handelt es sich um eine Überschwemmung des Körpers mit Stresshormonen, wie beispielsweise dem Adrenalin. Diese Ausschüttung bestimmter Hormone verursacht die bereits erwähnten Symptome. Es handelt sich eigentlich um eine Flucht beziehungsweise eine Kampfreaktion. Früher war dies überlebensnotwendig, als der Mensch noch direkt erlebbaren Bedrohungen ausgesetzt war. Eine Stressreaktion an sich ist nichts negatives, sondern kann aktivierend und stimulierend wirken. Eine leichtgradige Nervosität ist in vielen Situationen sogar notwendig, um die maximale Leistung abrufen zu können, zum Beispiel wenn man sich in einer Prüfungssituation befindet. Wenn die Stressreaktion jedoch überschießend und lang anhaltend ist, wird diese sinnvolle physiologische Reaktion zu einem Problem. Um auf das Beispiel der Prüfungssituation zurückzukommen: Eine Stressreaktion kann in diesem Fall zu einer Blockade, mitunter sogar zum Versagen führen. Ab wann spricht man von „krankhafter Nervosität“ – sofern es dies überhaupt gibt? Das gibt es schon. Allerdings sprechen wir nicht von „krankhafter Nervosität“, sondern von einer Angststörung. Das ist dann der Fall, wenn die Nervosität nicht situationsgerecht ist. Dann wird sie krankheitswertig. Hierbei geht die Nervosität beziehungsweise die Stressreaktion in eine Angststörung über. Das heißt: Bei Angststörungen kann sich aus einer Stressreaktion eine Panikattacke entwickeln. Dies kann sich etwa in Situationen ereignen, die an und für sich harmlos sind, wie zum Beispiel beim Befahren eines Tunnels, beim Liftfahren oder wenn man Räume mit Menschenansammlungen betritt, also einen Konzert- oder Kinosaal oder ähnliches. Wenn sich die Symptomatik der inneren Unruhe, Angespanntheit, Erregung so weit steigert, dass man befürchtet zu kollabieren oder zu ersticken, beziehungsweise einen Herzinfarkt zu erleiden, wird von einer Panikattacke gesprochen. Abgesehen davon kommt eine ausgeprägte Nervosität, die andauernd vorhanden ist, das heißt, den ganzen Tag über, und etwa mit Schlafstörungen kombiniert ist, bei verschiedensten psychischen Erkrankungen vor. Hierbei handelt es sich um spezielle Formen der depressiven Erkrankungen, generalisierte Angststörungen, sowie fortgeschrittene Burn-out-Syndrome. Übrigens: Obwohl das Burn-Out heutzutage schon fast im alltäglichen Sprachgebrauch zuhause ist, wissen wohl die wenigsten, dass es sich dabei um depressive Erschöpfungssyndrome handelt. Wann sollte man einen Arzt aufsuchen? Wenn sich die Nervosität verselbständig beziehungsweise so heftig auftritt, dass es zu einer schweren Beeinträchtigung der Lebensqualität und Handlungsfähigkeit führt, sollte ein Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin aufgesucht werden. Dieser kann dann eine eingehende Abklärung der möglichen Ursachen und eine adäquate Therapieeinleitung durchführen. Bei leichtgradigen Angststörungen, Prüfungsängsten oder sonst wie gearteter situativ auftretender Nervosität ist oft eine Psychotherapie ausreichend. Bei schweren Zustandsbildern ist zusätzlich zum psychotherapeutischen Vorgehen eine medikamentöse Therapie erforderlich. Was kann man selbst tun – und zwar sowohl vorbeugend als auch, wenn man schon unter Nervosität leidet? Jeder Mensch, der unter verstärkter Nervosität leidet beziehungsweise eine Angststörung entwickelt hat, sollte sich intensiv mit sich selbst auseinandersetzen und zwar im Sinne einer Selbsterfahrung. Ebenso mit seinem Lebensumfeld und seiner Biographie. In der Folge ist es hilfreich, seine Lebensführung und Lebensgestaltung zu überdenken. Dabei sollte sowohl das berufliche als auch das private Beziehungsumfeld einbezogen werden. Auch eine allgemein gesunde Lebensführung mit sportlicher Aktivität, der Verzicht auf Alkohol, ein regelmäßiger Schlaf-, Wachrhythmus wirken stabilisierend und vermindern die Nervosität. Weiters ist es hilfreich, Entspannungstechniken wie Yoga oder Autogenes Training zu erlernen und anzuwenden. Führen diese allgemeinen Verhaltensmaßnahmen respektive Verhaltensänderung nicht zum Ziel, sollte entweder eine psychotherapeutische oder eine fachärztlich psychiatrische Hilfe in Anspruch genommen werden.