Scheidung Die Familie als psychologisches System Referat von Elisabeth Schmidt Dienstag, 17.07.2006 Inhalt Entwicklung der Scheidungshäufigkeit Soziale Merkmale, die mit dem Scheidungsrisiko korrelieren Scheidungsursachen Problematische Ausgangskonstellationen bei scheidungswilligen Eltern Scheidungsprozess Entwicklungsverläufe nach der Scheidung: Ehepartner Scheidung und ihre Folgen für die betroffenen Kinder Vaterabwesenheit Elterliches Sorgerecht Väterliches Engagement nach der Scheidung Gemeinsame Elternschaft nach der Scheidung Trennungs- & Scheidungsberatung 1 1. Entwicklung der Scheidungshäufigkeit (Klosinski, 2001) Zunahme der Scheidungshäufigkeit seit Mitte der 60er Jahre Scheidungsrate heute ca. bei 30 % 1997: 187.802 Ehescheidungen, davon 105.000 Ehen mit Kindern 1995: 142.300 Scheidungskinder, davon 53.000 Einzelkinder, 32.000 mit einem weiteren und 8.000 mit mehreren Geschwistern 1. Entwicklung der Scheidungshäufigkeit Scheidungsspirale (Klein, 1995) Reform des Scheidungsrechts 1976 Schuldprinzip -> Zerrüttungsprinzip Phänomen der „intergenerationalen Scheidungstradierung“ (Heekerens, 1987) -> erhöhtes Scheidungsrisiko für „Scheidungswaisen“ 2 2. Soziale Merkmale, die mit dem Scheidungsrisiko korrelieren: (Hammes, 1994; Paul/Sommer, 1993) Heiratsalter -> Frühehen besonders scheidungsgefährdet Ehedauer -> mit zunehmender Ehedauer: zunächst ansteigendes, später wieder abfallendes Scheidungsrisiko Konfession -> Konfessionslose / Protestanten höheres Scheidungsrisiko als Katholiken Wohnortgröße -> städtische Regionen haben höhere Scheidungsraten Frauenerwerbstätigkeit -> beide Partner erwerbstätig: höheres Scheidungsrisiko Bildungsniveau -> höheres Bildungsniveau der Frau: höheres Risiko Kinderzahl -> Kinder unter 5 Jahren wirken ehestabilisierend 3. Scheidungsursachen (nach Hofer, Klein- Allermann & Noack, 1992) Männer: (Cleek & Pearson, 1985) Arbeitsbezogene Stressoren Unvereinbarkeit sexueller Wünsche Emanzipationsbestrebungen der Ehefrau Frauen: (Rothleuthner-Lutter, 1989) Finanzielle und wohnraumbedingte Probleme Physische Misshandlung Psychische Probleme des Partners Wenig unterstützendes, autoritäres Verhalten des Partners 3 4. Problematische Ausgangskonstellationen bei scheidungswilligen Eltern (Klosinski et al., 1994) In der Persönlichkeit oder Lebenssituation der Eltern liegende Probleme Problematische Bewältigungsstrategien bei den Eltern Funktionalisierung des Kindes für eigene Ziele der Elternteile Totale Parteinahme für einen Elternteil mit gänzlicher Ablehnung des anderen bei schweren Loyalitätskonflikten Besuchsrechtssyndrom Verdacht des sexuellen Missbrauchs -> Verlagerte Bindungswünsche -> die inzestoide Familie -> projizierte eigene sexuelle Problematik -> asymmetrische Partnerschaft 5. Scheidungsprozess (nach Schneewind, Vierzigmann & Backmund, 1998) Auflösung des Familienverbandes -> rechtlich -> sozioökonomisch -> psychosozial Prozess ist komplex, ganzheitlich -> auf unterschiedlichen Ebenen, nicht immer zeitsynchron Spezifischer historischer, ökonomischer und sozialer Kontext Bewältigungsaufgaben -> juristische Ebene -> individuelle Ebene -> Ebene der Paarbeziehung 4 5. Phasenspezifische Anforderungen im Scheidungsprozess (nach Hofer, Klein- Allermann & Noack, 1992) Vier- Stufen- Modell von Raschke (1987): Die Zeit vor der räumlichen Trennung Die Zeit unmittelbar während der Trennung Die Zeit bis zum rechtlichen Vollzug der Scheidung Eine idealtypische Phase des Wachstums Neues Gleichgewicht 6. Entwicklungsverläufe nach der Scheidung: Ehepartner (nach Hofer, Klein- Allermann & Noack, 1992) Eher psychiatrisch auffällig Höhere Unfall- und Selbstmordrate Leiden häufiger unter psychosomatischen Beschwerden und lebensbedrohlichen Erkrankungen Gefühle der Einsamkeit, Verwirrung, Bitterkeit und Schuldgefühle Gefühl, als Eltern und Ehepartner versagt zu haben Bezweifeln, je eine stabile Beziehung aufbauen zu können 5 7. Scheidung und ihre Folgen für die betroffenen Kinder (Sams, 2000) Faktoren, die das Erleben der Scheidung beeinflussen: Entwicklungsstand zum Zeitpunkt der Scheidung Geschlecht des Kindes Persönlichkeitsmerkmale des Kindes Frühere Beziehung zu beiden Elternteilen Wiederverheiratung eines Elternteils Sorge- und Besuchsrechtsregelungen 8. Vaterabwesenheit Auswirkungen auf die Mutter (nach Gadsden, 1996) Mehr Belastungen (finanziell, familiär, gesundheitlich, psychisch) Akuter Stress Reagieren auf Belastungen stärker negativ Multigenerationales Unterstützungsnetzwerk heute oft geschwächt Soziale Isolation keine Unterstützung bei Infragestellung ihrer Autorität 6 8. Vaterabwesenheit Auswirkungen auf das Kind (nach Gadsden, 1996) zeigen häufiger ausagierendes Verhalten Fehlende Selbstkontrolle Unsicherheit -> ökonomische und emotionale Unterstützung Angst, von beiden Eltern verlassen zu werden Fühlen sich für die Scheidung verantwortlich Geschlechtsrollenidentifikation (v.a. Jungen) 9. Elterliches Sorgerecht sorgeberechtigte Mütter – nichtsorgeberechtigte Väter Gründe Väter: Geringerer Nachdruck hinter dem Sorgerechtswunsch Reagieren auf soziale Erwartungen Sehen ihr Anliegen als unrealistisch -> weniger Erfahrungen -> berufliche Anforderungen vs. Kinderbetreuung 7 10.Väterliches Engagement nach der Scheidung Engagement nimmt typischerweise mit der Zeit ab 30-50% der geschiedenen Väter sind ganz abwesend Ca. 60% der Scheidungskinder sehen ihren Vater ein bis einige Male im Jahr Nur 25% sehen ihren Vater mindestens wöchentlich Weniger als 1/3 verbringen mindestens 3 Wochen beim Vater Zeigen gewöhnlich nur eingeschränktes elterliches Engagement -> Spiel und Unterhaltung Kaum Einfluss bezüglich wichtigen Entscheidungen 10.Väterliches Engagement nach der Scheidung Beeinflussende Faktoren: Vorstellungen zum Begriff Familie Seit der Scheidung vergangene Zeit Geographische Distanz Charakteristiken des Kindes Akzeptanz von Unterhaltszahlungen Einflussnahmen der früheren Partnerin Konflikt mit der früheren Partnerin Wiederheirat 8 11.Gemeinsame Elternschaft nach der Scheidung Faktoren zur Aufrechterhaltung: Ressourcen -> zeitlich -> finanziell Motivation -> zur Organisation und Planung -> kooperative und arbeitsteilige Beziehung Planung -> Zeitplan Kommunikation und Konfliktvermeidung -> offene und kontinuierliche Kommunikation Elterliche Zufriedenheit -> bei freiwilliger gemeinsamer Elternschaft 11.Gemeinsame Elternschaft nach der Scheidung Auswirkungen auf die Kinder: Positive Auswirkungen: Selbstkonzept ist entwickelter Beziehung zu Vater und Mutter ist positiver Negative Auswirkungen: Kinder leiden u. U. unter gesteigerten vorehelichen Konflikten -> emotional gesündere Entwicklung 9 12.Trennungs- und Scheidungsberatung Beratung Ausgangspunkt: Informationsbedürfnis zu… …äußeren Bedingungen …Verhaltensmöglichkeiten …inneren Zuständen Ziel: Erhöhung der Handlungskompetenz durch eigenverantwortliche und bewusste Steuerung des Verhaltens 12.Trennungs- und Scheidungsberatung Mittel: Ratgeber, Informationsveranstaltungen Verdeutlichung psychologischer Prozesse Vertiefung der Selbstkenntnis Herstellung einer persönlichen Beziehung Gefahrenquellen: Auswahl einseitiger Informationen Fehldeutungen Steigerung psychischer und somatischer Leiden Starke emotionale Abhängigkeit 10 12.Trennungs- und Scheidungsberatung Mediation Ausgangspunkt: Interpersonaler Konflikt, von den Beteiligten nicht selbst lösbar Ziel: Identifikation von Problemen bei der Einigung Erarbeitung von Lösungsvorschlägen 12.Trennungs- und Scheidungsberatung Mittel: Erarbeitung von Einigungsvorschlägen Kontrolle der Auseinandersetzung Wechsel der Perspektive Erhöhung der Verbindlichkeit getroffener Entscheidungen Gefahrenquellen: Bevorzugung Ungenügende Kontrolle der Auseinandersetzung Verschärfung der Konflikte Missbrauch erhaltener Informationen 11 12.Trennungs- und Scheidungsberatung Psychotherapie Ausgangspunkt: Störung der Identität oder des Mikrosystems Partnerschaft (Fließgleichgewicht) Ziel: Wiederannäherung an ein unbelastendes Gleichgewicht 12.Trennungs- und Scheidungsberatung Mittel: Kognitive Strategien Affektive Strategien Verhaltensstrategien Veränderung der Rahmenbedingungen Gefahrenquellen: Anpassung an Therapeutensicht Emotionale Abhängigkeit Erhöhung der Unselbständigkeit Reduktion gesellschaftlicher Probleme auf den Einzelfall 12 Diskussion Ist es ratsamer, „den Kindern zuliebe“ eine problembelastete Ehe aufrecht zu erhalten , um ihnen eine Scheidung mit eventuellen Folgen zu ersparen? Literatur Fthenakis, W. u. a. (1999). Engagierte Vaterschaft. Die sanfte Revolution in der Familie. Opladen: Leske+Budrich Klosinski, G., Günter, M. & Karle, M. (Hrsg.) (2001). Scheiden tut weh. Zur Situation von Kindern in auseinanderbrechenden Familien. Tübingen: AttemptoVerlag Peuckert, R. (1996). Familienformen im sozialen Wandel.(2. Auflage). Opladen: Leske+Budrich Schneewind, K. (Hrsg.) (2000).Familienpsychologie im Aufwind. Brückenschläge zwischen Forschung und Praxis. Göttingen: Hogrefe- Verlag Werneck, H., Werneck- Rohrer, S. (Hrsg.) (2000). Psychologie der Familie. Wien: WUV- UniversitätsVerlag Witte, E., Sibbert, J. & Kesten, I. (1992). Trennungsund Scheidungsberatung. Grundlagen – Konzepte – Angebote. Stuttgart: Verlag für Angewandt Psychologie 13