Diabetes als Risikofaktor

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Diabetes als Risikofaktor
Prof. Dr. med. Wilhelm Krone, Dr. med. Dirk Müller-Wieland,
Klinik II und Poliklinik für Innere Medizin der Universität zu Köln und
Lehrstuhl II für Innere Medizin des Krankenhauses Köln-Merheim
Mit prüfendem Blick hob er das Glas gegen das
Fenster. Er schwenkte die klare, gelbe Flüssigkeit mehrfach und stellte sie dann zurück auf
den Tisch neben das Krankenlager. Nachdem er
einen Finger in die Flüssigkeit getaucht und ihn
zum Mund geführt hatte, fand er seine Vermutung bestätigt. Der Kranke litt am „honigsüßen
Durchfluss“, einer Krankheit, die lange Zeit später als Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) bekannt
w u rde und sich zu einer der größten Vo l k skrankheiten entwickeln sollte.
Dem griechischen Arzt Aretaios von Kappadoki en waren die Symptome der Zuckerkrankheit
bereits 100 n. Chr. bekannt, doch es dauerte noch
weitere 1 800 Jahre, bis es mit der Entdeckung
des Insulins eine Möglichkeit gab, diese Krankheit
zu behandeln.
Was ist Diabetes?
Diabetes ist eine Störung des Stoffwechsels, bei
der der Blutzucker deutlich über der Norm, nämlich über 126 mg/dl liegt. Der Blutzucker erhöht
sich, wenn die Bauchspeicheldrüse zu wenig
oder kein Hormon Insulin produziert, aber auch
wenn die Wirkung von Insulin vermindert ist,
oder durch eine Kombination beider Faktoren.
Denn Insulin steuert die Aufnahme von Zucker in
den Körperzellen. Fällt Insulin aus oder sprechen
die Körperzellen schlecht auf Insulin an, kann
Glucose (Zucker) nicht normal umgesetzt werden und reichert sich in Blut und Urin an.
Charakteristische Anzeichen der Zuckerkrankheit
sind:
vermehrtes Wasserlassen (Polyurie),
erhöhter Durst (Polydipsie)
und die Ausscheidung von süßlichem Urin
(Glucosurie).
In Deutschland leiden heute rund vier Millionen
Menschen an Zuckerkrankheit. In den letzten 50
Jahren hat sich die Zahl der Diabetiker in Deutschland etwa verzwanzigfacht und sie wächst weiter.
Die langfristigen Folgen der Zuckerkrankheit –
wenn sie ungenügend behandelt wird – sind
schwerwiegend. Zum Beispiel kann sie zu Erblindung führen oder zu Nierenversagen. Vor allem
aber haben Zuckerkranke ein stark erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, für Herzinfarkt,
Schlaganfall und die arterielle Verschlusskrankheit
(Schaufensterkrankheit).
Man unterscheidet zwei Formen von Diabetes:
Diabetes Typ 1 ist gekennzeichnet dadurch,
dass die Bauchspeicheldrüse zu wenig oder
gar kein Insulin bildet. Meist erkranken junge
Menschen daran.
Diabetes Typ 2 ist die häufigste Form der
Zuckerkrankheit, 92 – 95% der Zuckerkranken sind davon betroffen. Diabetes Typ 2 tritt
vorwiegend bei erwachsenen und älteren Menschen auf. Die Krankheit entsteht schleichend,
oft vergehen Jahre bis sie erkannt wird. Eine
genetische Veranlagung ist die Grundlage, aber
man ist zu der Überzeugung gekommen, dass
die Hauptursache von Diabetes Typ 2 wahrscheinlich ein ungesunder Lebensstil ist. Die meisten Diabetiker vom Typ 2 sind übergewichtig, ernähren sich falsch und bewegen sich zu
wenig.
Insulinresistenz
In den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass
Diabetes, Übergewicht, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen oft zusammen auftreten
und eine Gemeinsamkeit haben: Alle diese Erkrankungen gehen meist mit einer verringerten Wirkung des Insulins (Insulinresistenz) einher. Die verminderte Wirkung des Insulins führt dazu, dass der
Blutzucker nicht ausreichend von den Organen aufgenommen und verbraucht werden kann. Um
dem entgegenzuwirken, produziert die Bauch21
speicheldrüse vermehrt Insulin, und es kommt
zu einem höheren Spiegel von Insulin im Blut
(Hyperinsulinämie). Die verminderte Wirkung
von Insulin mit erhöhten Insulinspiegeln findet
sich häufig bereits auch bei Nicht-Diabetikern mit
noch „normalem“ Blutzucker. Die genaue Stoffwechselanalyse dieser Patienten zeigt, dass schon
frühzeitig leichte Störungen des Fettstoffwechsels sowie eine geringgradige Erhöhung des Blutdrucks vorliegen können. Diese Veränderungen
infolge einer Insulinresistenz werden auch als
metabolisches Syndrom bezeichnet. Aus zahlreichen Bevölkerungsstudien kann man schließen,
dass die verminderte Wirkung von Insulin ein Risikofaktor für die frühzeitige Verkalkung der Herzkranzgefäße ist. Die verminderte Wirkung von
Insulin führt zu einer Veränderung der Blutfette, zu
einer Erhöhung des Blutdrucks und ist häufig mit
Übergewicht und einer Fettansammlung am Bauch,
die als besonders ungünstig gilt, verbunden.
Störungen des Fettstoffwechsels
Bis zu 50% aller Patienten mit Diabetes leiden an
verschiedenen Arten von Fettstoffwechselstörungen. Typisch sind:
eine Erhöhung der Neutralfette (Hypertriglyzeridämie),
eine Erniedrigung des HDL-Cholesterins (gutes Cholesterin)
und eine Erhöhung des LDL-Cholesterins
(schlechtes Cholesterin).
Eine Erhöhung der Neutralfette bei Diabetes ist häufig die Folge einer nicht optimalen Blutzuckereinstellung und eines erhöhten Körpergewichts.
Dadurch werden die Neutralfette vermehrt gebildet, aber auch zu wenig abgebaut. Zugleich ist häufig das HDL-Cholesterin verringert. Erhöhte LDLCholesterinspiegel – auch sie ein Zeichen einer
schlechten Blutzuckereinstellung – bringen ein
erhöhtes Risiko für Gefäßkomplikationen mit sich.
Das erhöhte LDL-Cholesterin bei Patienten mit
Zuckerkrankheit kann durch dessen verminderten Abbau bedingt sein, der durch Insulin reguliert wird. Zudem sind die Transporter der Plasmafette im Blut (Lipoproteine) häufig in ihrer
Struktur so verändert, dass sie die Verkalkung der
Gefäße fördern.
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Bluthochdruck
Patienten mit Zuckerkrankheit leiden rund zweimal so häufig an einem Bluthochdruck (arterielle Hypertonie) wie Menschen ohne Zuckerkrankheit. Bluthochdruck erhöht zusätzlich das
Risiko der Diabetiker, Erkrankungen der kleinen
oder großen Gefäße zu erleiden. Kürzlich hat
eine große Studie in England bei Patienten mit
Diabetes Typ 2 gezeigt, dass die Senkung des
erhöhten Blutdrucks die Sterblichkeit deutlich
verringert. Die Senkung des Blutdrucks ist auch
ein entscheidender Schritt, das Fortschreiten der
kleinen Gefäßveränderungen am Auge sowie der
Niere zu bremsen. Wie eine verminderte Insulinwirkung den Blutdruck erhöhen kann, ist im folgenden dargestellt:
Die Höhe des Blutdrucks wird bestimmt zum
einen durch das Blutvolumen in den Blutgefäßen,
zum anderen durch den Widerstand der kleinen
Gefäße in den Organen bzw. im Gewebe. Steigt
die Flüssigkeitsmenge in den Blutgefäßen an,
wird mehr Volumen pro Herzschlag gefördert,
und es erhöht sich damit der Blutdruck im Gefäßsystem. Verkleinert sich der Durchmesser der
Gefäße, steigt der Widerstand, gegen den das
Blut angepumpt werden muss, und damit ebenfalls der Blutdruck. Insulin kann die Flüssigkeitsmenge in den Gefäßen erhöhen und den
Durchmesser der Gefäße beeinflussen. Es verändert die Konzentration verschiedener Salze in den
Muskelzellen der Gefäßwand und erhöht dadurch
nicht nur deren Spannungszustand, sondern lässt
diese auch leichter bzw. empfindlicher auf Reize
reagieren, so dass sich die Gefäße verengen.
Außerdem ist kürzlich gezeigt worden, dass Insulin zu einer vermehrten Freisetzung des Stresshormons Noradrenalin führen kann, das eine den
Blutdruck stark steigernde Wirkung hat. Erhöhtes
Körpergewicht verschärft diese Wirkung.
Übergewicht
Vor kurzem hat die Forschung neue Erkenntnisse zur Entstehung von Übergewicht gewonnen: Fettzellen sind nicht nur ein passives Reservoir für
Neutralfette (Triglyzeride), sondern spielen mög-
Rechts unten erkennt man
auf dieser Abbildung eine
Frau, die dem Arzt eine
Harnprobe zur Unter suchung überreicht. Das
Gefäß, die sogenannte
„matula“, diente einzig
diesem Gebrauch.
Miniatur aus dem Werk
„La Vie de Monseigneur
Saint-Denis, glorieux
apôtre de France, 14. Jh.“
licherweise auch eine entscheidende Rolle bei
der Bildung und Freisetzung von Hormonen. Ein
Beispiel ist das kürzlich entdeckte Hormon Leptin. Leptin scheint in bestimmten Gebieten des
Gehirns die Bildung anderer Substanzen zu beeinflussen, die den Appetit und das Hungergefühl regu-
lieren. Die Bildung von Leptin scheint bei den
meisten Patienten mit Übergewicht erhöht zu
sein. Die Fettzellen können auch andere Hormone freisetzen, die wiederum direkten Einfluss
auf die Höhe des Blutdrucks sowie die Insulinempfindlichkeit haben.
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Je mehr Übergewicht, um so größer das Diabetes-Risiko
93,2
Relatives Risiko für
Diabetes in Prozent
80
60
40
Nurses Health Study
mit 114281 Krankenschwestern
Beobachtungszeitraum 14 Jahre
Alter: 30-55 Jahre
54
40.3
27,6
15,8
20
1
2,9
4,3
5
22-23
23-24
24-25
8,1
0
<22
25-27
Normalgewicht
27-29
29-31
Übergewicht
31-33
33-35
>35
starkes Übergewicht
Body
Mass
Index
(kg/m2)
Konsequenzen für die Therapie
Bei dieser Studie wurde das Übergewicht mit dem Body Mass
Index (BMI) gemessen, das heißt Gewicht in Kilogramm geteilt
durch das Quadrat der Körperlänge in Meter.
Zuckerkrankheit allein bedeutet eine große Gefährdung für Herz und Kreislauf. Das Risiko von
Zuckerkranken ist genauso hoch wie das von
Patienten, die bereits einen Herzinfarkt erlitten
haben. Wenn die Zuckerkrankheit mit Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen verschwistert ist, erhöht sich diese Gefährdung noch weiter. Deswegen ist eine entschiedene Strategie
nötig, die gegen alle Risikofaktoren aggressiv vorgeht.
Eine genaue Kontrolle des Blutzuckers kann –
das haben große Studien gezeigt (Diabetes Control and Complication Trial, United Kingdom Prospective Diabetes Study) – die Folgen der Zuckerkrankheit auf die kleinen und wahrscheinlich
auch auf die großen Gefäße verringern. Bei Diabetes Typ 2 wird durch einen optimal eingestellten Blutzuckerspiegel und eine Reduktion des
Körpergewichts die Insulinresistenz vermindert. Eine
Erhöhung der körperlichen Aktivität kann ebenfalls die Insulinempfindlichkeit steigern. Deshalb
ist die derzeitige therapeutische Empfehlung,
den Blutzucker optimal einzustellen,
das Körpergewicht zunächst um 10% zu reduzieren
und die körperliche Aktivität zu erhöhen.
Darüber hinaus ist eine konsequente Therapie
der anderen Risikofaktoren wichtig, wie z. B. die
strikte Senkung des LDL-Cholesterins und des
erhöhten Blutdrucks. Die Zielwerte sind ein LDLCholesterin unter 100 mg/dl und eine Senkung
der Triglyzeride auf weniger als 150 mg/dl. Das HDLCholesterin sollte möglichst über 40 mg/dl liegen.
Der Blutdruck sollte auf Werte unter 140/85 mmHg
gesenkt werden; bei guter Verträglichkeit unter
130/80 mmHg. In großen Studien ist gezeigt worden, dass hierdurch das Auftreten von Herzinfarkten drastisch vermindert werden kann.
Damit ist auch für die Vorbeugung der Weg gewiesen. Längst bevor Diabetes Typ 2 auftritt, besteht
eine Insulinresistenz. Zur Zeit gibt es zwar noch
keine klinischen Messwerte, um eine Insulinresistenz frühzeitig zu diagnostizieren. Aber es gibt Warnzeichen: Wenn die oben genannten Risikofaktoren Blutdruck, LDL, Triglyzeride, Blutzucker auch
nur leicht erhöht sind, HDL zu niedrig ist und
man sich bereits einen Bauch angegessen hat,
sind das deutliche Hinweise dafür, dass eine Insulinresistenz besteht, die Gefäße geschädigt werden und ein Diabetes Typ 2 sich entwickelt.
Zum Glück gilt: Ein gesunder Lebensstil, der vor
Herzkrankheiten schützt, schützt auch vor Diabetes Typ 2. Wie eine eindrucksvolle amerikanische Studie zeigt (s. Abb.), sollte dabei dem Übergewicht eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet
werden.
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