Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes im Strafverfahren Rechtsgrundlagen Verfahrens- und Informationsrechte Umgang mit opferbezogenen Beweisanträgen Videovernehmung Konfliktverteidigung Entscheidungsfindung Adhäsionsverfahren Urteil Mainz 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 2 Traumatisierte Zeugen Traumatische Erlebnisse bilden oftmals den Hintergrund von Strafverfahren. Beim unmittelbaren Tatopfer einer Gewalt- oder Sexualstraftat versteht sich das von selbst. Aber auch „unbeteiligte“ Zeugen schrecklicher Ereignisse und - im Falle unberechtigter Vorwürfe - selbst der Beschuldigte können vor und während eines Strafverfahrens erhebliche Belastungen erfahren. Traumata gehören also für den Strafjuristen gewissermaßen zum Alltag. Dass sie ggfls. therapeutischer Maßnahmen bedürfen, versteht sich von selbst. Gelegentlich gestritten wird über das Verhältnis zwischen dem Gebot der Wahrheitsermittlung, die auch traumatisierten Verfahrensbeteiligten einiges abverlangen kann (insbesondere Vernehmungen) und deren Anspruch auf Beachtung ihrer oft ganz individuellen Bedürfnisse. In diesem Spannungsfeld spielt dann auch noch die fachliche Kompetenz der professionell Beteiligten (insbesondere der Entscheidungsträger, also Richter und Staatsanwälte) eine wichtige Rolle. So wird trotz klarer Sachlage beispielsweise immer wieder die Frage aufgeworfen, ob ein traumatisiertes Opfer vor der gerichtlichen Vernehmung im Rahmen der Hauptverhandlung mit einer notwendigen Therapie beginnen darf oder ob es diese zurückstellen muss, um nicht die „Glaubwürdigkeit“ seiner Aussage zu gefährden. Tatopfer wollen gerade in der Anfangsphase der Ermittlungen als Hauptperson wahrgenommen werden. Das Strafverfahren beschäftigt sich aber zwangsläufig vorrangig mit einer „Tat“, dem Täter und den diesem drohenden Rechtsfolgen. Es ist also tat- und täterorientiert. Akutintervention hat bei potentiell traumatisierten Personen aber immer Vorrang vor einer Vernehmung („victim first“). Berechtigte persönliche Interessen des Opfers und seine Rolle als Zeuge sind nicht immer vereinbar. Dies kann und muss kommuniziert werden. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 3 Rechtlicher Rahmen des Opferschutzes Das Postulat der Wahrheitsfindung Nach § 244 Abs. 2 StPO besteht unabhängig von etwaigen Anträgen der Verfahrensbeteiligten eine gerichtliche Aufklärungspflicht. Die Ermittlung des wahren Sachverhaltes stellt das zentrale Anliegen des Strafprozesses dar. Da es hier um die verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechte des Beschuldigten geht, gehört die ordnungsgemäße richterliche Sachaufklärung zu den unverzichtbaren Voraussetzungen eines rechtsstaatlichen Verfahrens (BVerfG NStZ-RR 2013, 115; NJW 2013, 1062 f, 1067; NJW 2010, 592 ff; 2004, 211; BGH 3 StR 35/13 Tz 6; 4 StR 359/10). Verstöße können im Rahmen der Revision gerügt werden und zur Aufhebung eines Urteils führen. Das Strafverfahren ist daher - zwingend - zunächst an den Bedürfnissen der Verteidigung eines Beschuldigten orientiert. Zeugen befinden sich in der Funktion eines „Beweismittels“, was insbesondere bei sog. Opferzeugen kommuniziert werden muss. Zeugenrechte und -pflichten Als Zeuge bei der Aufklärung von Straftaten zur Verfügung zu stehen, gehört angesichts des hohen Stellenwertes einer umfassenden Sachaufklärung zu den allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten, deren Unannehmlichkeiten – im Grundsatz – jedermann zuzumuten sind (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2014, 124 f m.w.N.). Diese Pflicht kann notfalls mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, §§ 161a Abs. 1 und 2 StPO. Selbstverständlich muss der Zeuge auch einer gerichtlichen Ladung Folge leisten, §§ 48, 51, 70 StPO. Ggfls. muss er die Richtigkeit seiner Angaben beschwören, § 59 StPO. Angaben können nur dann verweigert werden, wenn ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht, insbes. nach den §§ 52 ff., § 55 StPO, besteht. Zeugen sind aber nicht bloßes Objekt bzw. Beweisinstrumente des Strafverfahrens. Es ist vielmehr darauf zu achten, dass auch ihre Belange, insbesondere wenn sie Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 4 Tatopfer sind, in jedem Verfahrensstadium angemessen gewahrt werden (vgl. BGH NStZ 2005, 579 f.). Internationaler Rahmen UN-Declaration on Victims of Crime and Abuse of Power, 1985 mit Forderungen u.a. nach: Information des Opfers über das Verfahren Beratung und Prozesskostenhilfe Schutz des Opferzeugen vor Vergeltung Schadensausgleich durch den Täter und den Staat sozialem Beistand Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Art. 2: Schutz des Rechts auf Leben Art. 3: Anspruch auf „menschliche“ Behandlung Art. 6: Anspruch auf rasches Verfahren und zivilrechtlichen Schutz Art. 8: Anspruch auf öffentliche Sicherheit, Verhinderung von Straftaten, Schutz der Gesundheit, der Rechte und Freiheiten. Daraus ergibt sich bei schwerwiegenden Taten auch ein Anspruch des Opfers auf „wirksame strafrechtliche Ermittlungen… und die Möglichkeit von Wiedergutmachung und Entschädigung“ (vgl. EGMR NJW 2014, 607 ff). Verstöße gegen diese Bürgerrechte können Amtshaftungsansprüche auslösen. Rahmenbeschluss des Europarates vom 15.03.2001 Auf europäischer Ebene wurde der Bedeutung des Zeugenschutzes jedenfalls betreffend Tatopfer durch den Rahmenbeschluss des Rates vom 15.03. 2001 Rechnung getragen: Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 5 „Mitgliedsstaaten…bemühen sich…nach Kräften, um zu gewährleisten, dass das Opfer während des Verfahrens mit der gebührenden Achtung seiner persönlichen Würde behandelt wird,…“ (Art. 2) „Die Mitgliedsstaaten ergreifen die gebotenen Maßnahmen, damit ihre Behörden Opfer nur in dem für das Strafverfahren erforderlichen Umfang befragen.“ (Art. 3) Richtlinie 2004/81/EG des Rates vom 29.04.2004 über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Opfer des Menschenhandels.... Opfern von Menschenhandel/illegal eingeschleusten Ausländern soll bei Kooperation mit den Behörden mit einem Aufenthaltstitel geholfen werden. Richtlinie 2011/93/EU vom 13.12.2011 „zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie…“ Im Dezember 2011 in Kraft getreten. Sie regelt etwa in Art. 19 die geschuldete Unterstützung und Betreuung von Tatopfern. Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, 2011 Z.B. mit Artikel 56 Schutzmaßnahmen (1) Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um die Rechte und Interessen der Opfer, insbesondere ihre besonderen Bedürfnisse als Zeuginnen und Zeugen, in allen Abschnitten der Ermittlungen und Gerichtsverfahren zu schützen, indem sie insbesondere a) für ihren Schutz sowie den Schutz ihrer Familien und der Zeuginnen und Zeugen vor Einschüchterung, Vergeltung und davor, erneut Opfer zu werden, Sorge tragen; b) sicherstellen, dass die Opfer, zumindest in den Fällen, in denen die Opfer und ihre Familien in Gefahr sein könnten, über eine Flucht oder vorübergehende oder endgültige Freilassung des Täters beziehungsweise der Täterin unterrichtet werden; Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 6 c) diese nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts über ihre Rechte und die ihnen zur Verfügung stehenden Dienste und über die aufgrund ihrer Anzeige veranlassten Maßnahmen, die Anklagepunkte, den allgemeinen Stand der Ermittlungen oder des Verfahrens und ihre Rolle sowie die in ihrem Fall ergangene Entscheidung unterrichten; d) den Opfern in Übereinstimmung mit den Verfahrensvorschriften des innerstaatlichen Rechts die Möglichkeit geben, gehört zu werden, Beweismittel vorzulegen und ihre Ansichten, Bedürfnisse und Sorgen unmittelbar oder über eine Vermittlerin beziehungsweise einen Vermittler vorzutragen und prüfen zu lassen; e) den Opfern geeignete Hilfsdienste zur Verfügung stellen, damit ihre Rechte und Interessen in gebührender Weise vorgetragen und berücksichtigt werden; f) sicherstellen, dass Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre und des Bildes des Opfers getroffen werden können; g) sicherstellen, dass ein Kontakt zwischen Opfern und Tätern beziehungsweise Täterinnen in den Räumlichkeiten der Gerichte und der Strafverfolgungsbehörden soweit möglich vermieden wird; h) den Opfern unabhängige und fähige Dolmetscherinnen und Dolmetscher zur Verfügung stellen, wenn die Opfer im Verfahren als Partei auftreten oder Beweismittel vorlegen; i) es den Opfern ermöglichen, in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht vor Gericht auszusagen, ohne dass sie im Gerichtssaal anwesend sein müssen oder zumindest ohne dass der mutmaßliche Täter beziehungsweise die mutmaßliche Täterin anwesend ist, insbesondere durch den Einsatz geeigneter Kommunikationstechnologien, soweit diese verfügbar sind. (2) Für Kinder, die Opfer oder Zeuginnen beziehungsweise Zeugen von Gewalt gegen Frauen und von häuslicher Gewalt geworden sind, werden gegebenenfalls besondere Schutzmaßnahmen unter Berücksichtigung des Wohles des Kindes getroffen. Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten vom 25.10.2012 Richtlinie 2012/29/EU, Amtsblatt der Europäischen Union vom 14.11.2012, L 315/57 Die in 2012 in Kraft gesetzte Richtlinie über Mindeststandards für den Opferschutz löst den Rahmenbeschluss aus 2001 ab. Sie sieht u.a. vor, dass Opfer respektvoll behandelt werden und Polizei, Staatsanwaltschaft sowie Richterschaft bezüglich des richtigen Umgangs mit Opfern speziell geschult werden. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 7 Opfer sollen in einer für sie verständlichen Form über ihre Rechte aufgeklärt und während des gesamten Verfahrens informiert werden. Zudem soll ihnen die Möglichkeit gegeben werden, kostenfreien Zugang zu Opferhilfsdiensten zu erhalten. Bei einer Verfahrensbeteiligung der Opfer soll Prozesskostenhilfe zur Verfügung stehen. Zu nennen sind etwa: Artikel 1 Ziele Ziel dieser Richtlinie ist es sicherzustellen, dass Opfer von Straftaten angemessene Informationen, angemessene Unterstützung und angemessenen Schutz erhalten und sich am Strafverfahren beteiligen können. Artikel 16 Recht auf Entscheidung über Entschädigung durch den Straftäter im Rahmen des Strafverfahrens (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Opfer einer Straftat das Recht haben, im Rahmen des Strafverfahrens innerhalb einer angemessenen Frist eine Entscheidung über die Entschädigung durch den Straftäter zu erwirken, es sei denn, dass diese Entscheidung nach einzelstaatlichem Recht im Rahmen eines anderen gerichtlichen Verfahrens ergehen muss. (2) Die Mitgliedstaaten unterstützen Maßnahmen, um die angemessene Entschädigung der Opfer durch die Straftäter zu fördern Artikel 18 Schutzanspruch Unbeschadet der Verteidigungsrechte stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Maßnahmen zum Schutz der Opfer und ihrer Familienangehörigen vor sekundärer und wiederholter Viktimisierung, vor Einschüchterung und vor Vergeltung, insbesondere vor der Gefahr einer emotionalen oder psychologischen Schädigung, und zum Schutz der Würde der Opfer bei der Vernehmung oder bei Zeugenaussagen zur Verfügung stehen. Erforderlichenfalls umfassen die Maßnahmen auch Verfahren, die im einzelstaatlichen Recht im Hinblick auf den physischen Schutz der Opfer und ihrer Familienangehörigen vorgesehen sind. Artikel 19 Recht des Opfers auf Vermeidung des Zusammentreffens mit dem Straftäter (1) Die Mitgliedstaaten schaffen die notwendigen Voraussetzungen dafür, dass in Gebäuden, in denen das Strafverfahren verhandelt wird, das Zusammentreffen der Opfer und erforderlichenfalls ihrer Familienangehörigen mit dem Täter vermieden werden kann, es sei denn, dass das Strafverfahren ein solches Zusammentreffen erfordert. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass neue Gerichtsräumlichkeiten über gesonderte Wartebereiche für Opfer verfügen. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 8 Artikel 20 Recht auf Schutz der Opfer während der strafrechtlichen Ermittlungen Unbeschadet der Verteidigungsrechte und im Einklang mit dem jeweiligen gerichtlichen Ermessensspielraum stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass während der strafrechtlichen Ermittlungen a) Opfer unverzüglich nach Anzeige der Straftat bei der zuständigen Behörde vernommen werden; b) sich die Anzahl der Vernehmungen der Opfer auf ein Mindestmaß beschränken und Vernehmungen nur dann erfolgen, wenn sie für die Zwecke der strafrechtlichen Ermittlungen unbedingt erforderlich sind; c) Opfer von ihrem rechtlichen Vertreter und einer Person ihrer Wahl begleitet werden können, es sei denn, dass eine begründete gegenteilige Entscheidung getroffen wurde; d) medizinische Untersuchungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden und nur durchgeführt werden, wenn sie für die Zwecke der strafrechtlichen Ermittlungen unbedingt erforderlich sind. Die Regelungen solcher Rahmenbeschlüsse oder Richtlinien sind als Auslegungsmaßstab bei der Interpretation des nationalen Rechts durchaus bindend (EuGH NJW 2012, 595 ff; 2005, 2839). Gerichte sind also verpflichtet, bei ihren Entscheidungen - etwa über den Umfang der Beweisaufnahme - Opferschutzinteressen in ihre Erwägungen einzubeziehen (BGH BGH 1 StR 465/12 Tz 38 f.; NStZ 2007, 21 f). Allerdings gilt ein europarechtlicher Opferbegriff. Erfasst sind nur natürliche Personen (EuGH NJW 2007, 2835 ff), z.B. Kind als Opfer von sexuellem Missbrauch Prostituierte, etwa als Opfer von Zuhälterei Betrugsopfer (u.U. Existenzgefährdung bei Mietnomaden) „Abgezogener“ Drogendealer, Opfer von Streitigkeiten im „Milieu“ Zeuge eines schweren Unfalls Unbekanntes Opfer, das den Gang zur Polizei scheut Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 9 Nationaler Rahmen „Zeugenschutzgesetz“ vom 30.04.1998 Damalige Änderungen der StPO z.B.: § 58 a i.V.m. § 255 a (Vernehmungsersetzende Videoaufzeichnung) § 68 b (Zeugenbeistand) §§ 397 a, 406 g (Beistand im Ermittlungsverfahren) OpferRRG vom 24.06.2004 Ziel: Mehr Rechte, bessere Information, persönliche Entlastung. Maßgebliche Änderungen: Mehr Rechte: Erweiterung des Nebenklagekatalogs (§ 395 StPO) auf Opfer von: - Förderung der Prostitution i.S.d. § 180 a StGB (insbes. Ausbeutung von Prostituierten) - Zuhälterei i.S.d. § 181 a StGB - Taten i.S.d. § 4 Gewaltschutzgesetz (GewSchG) Geltung des § 397 a StPO auch für nahe Angehörige Getöteter Anspruch des Nebenklageberechtigten (unabhängig vom Anschluss) auf Stellung eines Dolmetschers, § 187 GVG Akteneinsicht über Rechtsanwalt, § 406 e StPO Anspruch des Opfers auf Anwesenheit einer Vertrauensperson bei Vernehmungen, § 406 f Abs. 3 StPO (sofern der Untersuchungszweck nicht gefährdet wird) Vertretung durch Rechtsanwalt unabhängig vom Anschluss als Nebenkläger, § 406 g Abs. 1 StPO Anwesenheitsrecht des nebenklagebefugten Verletzten in der Hauptverhandlung, § 406 g StPO (unabhängig vom Anschluss) Bestellung eines Beistands vor Erhebung der Anklage, § 406 g Abs. 3 StPO Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 10 Neuregelung des Adhäsionsverfahrens, §§ 403 ff StPO. In der Regel besteht Pflicht zur Entscheidung über begründeten Adhäsionsantrag, § 406 Abs. 1 StPO Regelung des Einsichtsrechts für Videoaufzeichnungen mit (eingeschränktem) Widerspruchsrecht des Zeugen, § 58 a Abs. 3 StPO Entlastung: Möglichkeit der Erhebung einer Anklage zum Landgericht auch bei „besonderer Schutzbedürftigkeit“ von Opferzeugen § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG (Instanzenzug!). In Jugendschutzsachen (also insbes. bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger) kann zudem gem. § 26 Abs. 2 GVG Anklage zum Jugendgericht erfolgen. Das macht freilich allenfalls dann Sinn, wenn – etwa wegen eines Geständnisses – Mehrfachvernehmungen nicht zu erwarten sind und die Strafgewalt ausreicht. Aufnahme der Vernehmung auf Tonträger beim Amtsgericht, § 273 Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 323 Abs. 2, 325 StPO. Pflicht zur gestaffelten Zeugenladung, § 214 Abs. 2 StPO Information: Pflicht zum Hinweis auf die Zeugen- und Verletztenrechte, § 406 h StPO. Anspruch auf Terminsmitteilungen, § 214 StPO, soweit beantragt - zwingend an nebenklagebefugte Verletzte i.S.d. § 395 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StPO, fakultativ bei den übrigen zur Nebenklage Berechtigten. Pflicht zur Information über Entscheidungen auf Antrag, § 406 d StPO - Auskunft über Einstellung des Verfahrens und Ausgang des gerichtlichen Verfahrens, Abs. 1 Information über freiheitsentziehende Maßnahmen, Abs. 2. Hinweis auf die Zeugenrechte und vorhandene Möglichkeiten der Zeugenbetreuung, § 48 StPO Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 11 Zweites OpferRRG vom 29.07.2009, in Kraft getreten am 01.10.2009 Maßgebliche Änderungen: Verbesserung der Vernehmungssituation, §§ 68, 68a, 68b StPO (z.B. bzgl. Offenbarung personenbezogene Daten; Beistand) Erweiterung des Nebenklagekatalogs (z.B. auf Raubopfer) Erweiterung der Informationspflichten (z.B. bzgl. Opferhilfeeinrichtungen, § 406 h StPO) StORMG „Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs“ u.a. mit Änderungen des § 58a Absatz 1 Satz 2 StPO (mehr richterliche Videovernehmungen) § 69 Abs. 2 (Befragung von Opferzeugen zum Schaden) § 397a StPO (Erweiterung des Katalogs, Beschwerdemöglichkeit gegen ablehnende PKH-Entscheidung durch Streichung der Unanfechtbarkeit in Abs. 3) § 24 GVG (weitere Erleichterung der Anklage zum LG wegen Schutzbedürftigkeit des Opfers). 3. Opferrechtsreformgesetz ist auf dem Weg u.a. Einführung einer psychosozialen Prozessbegleitung, § 406g neu weitergehende Belehrungen, §§ 406i, 406j neu Es gibt also keine Wahrheitsermittlung um jeden Preis, sondern die oftmals gegenläufigen Belange sind gegeneinander abzuwägen. Dabei gilt der Grundsatz: „victim first“. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 12 Neben den genannten Vorschriften sind schon wegen der umfassenden Belehrungspflicht folgende weiteren opferrelevanten Gesetze zu nennen: OEG, Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten Es regelt die finanzielle Versorgung der Geschädigten eines – dort näher definierten – „tätlichen Angriffs“ und enthält Regelungen zu den Kosten der Heilbehandlung, Rente, Hinterbliebenenversorgung etc.. Zuständig sind nach Auflösung der bewährten Versorgungsämter seit dem 01.07.2007 die Kommunen. Es bedarf stets eines entsprechenden Antrages, der in Form eines „Kurzantrages“ auch schon bei der Anzeigenerstattung gestellt und von der Polizei weitergeleitet werden kann. In der Regel fordert die zuständige Behörde nach Antragseingang die Akten zwecks Einsichtnahme an. OAG, Opferanspruchssicherungsgesetz Es regelt insbesondere ein Pfandrecht an Forderungen, die der Täter oder Teilnehmer im Hinblick auf die öffentliche Darstellung der Tat erlangt, also etwa an Honoraransprüchen aus Veröffentlichungen oder Auftritten in den Medien. GewSchG, Gewaltschutzgesetz, i.V.m. z.B. §§ 34a, 35 PolGNW Es gewährt einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz gegen gewalttätige Dritte, etwa indem dem Täter verboten wird, die Wohnung des Verletzten zu betreten oder mit diesem Kontakt aufzunehmen. Materielle Grundlage ist § 1004 BGB, der eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit verlangt (vgl. BGH XII ZB 373/11) Eng verzahnt sind die Regelungen des GewSchG insbesondere im Bereich häuslicher Gewalt mit der polizeirechtlichen Möglichkeit, eine Person zur Gefahrenabwehr – also präventiv – aus einer Wohnung zu verweisen und ein Rückkehrverbot auszusprechen. Bei Zuwiderhandlung kann auch eine Ingewahrsamnahme erfolgen. Die Polizei muss nach § 34 a PolG das Opfer zivilrechtlich belehren und die Einhaltung des Rückkehrverbots überwachen (Abs. 7); das Gericht hat Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 13 umgekehrt die Polizei über den Erlass einer einstweiligen Verfügung zu unterrichten (Abs. 6). Diese in der Praxis bewährte Verzahnung staatlichen Handelns belegt, dass mit dem engen und informationellen Zusammenwirken der unterschiedlichen Beteiligten ein Höchstmaß an Effizienz zu erzielen ist. Wer einer bestimmten vollstreckbaren Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 3, jeweils auch in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1, zuwiderhandelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Das setzt allerdings auf der Vorsatzebene voraus, dass er von der Anordnung Kenntnis hat. Regelmäßig ist dem Betroffenen also der entsprechende Beschluss zuzustellen, was in der Praxis auf Schwierigkeiten stoßen kann. Das Strafgericht hat zudem die materielle Rechtsmäßigkeit der familiengerichtlichen Entscheidung eigenständig zu überprüfen; insoweit besteht keinerlei Bindung (vgl. BGH 3 StR 40/13). Wesentliche nationale Regelungen im Überblick GG: Art. 2 allgemeines Persönlichkeitsrecht Art. 3 Anspruch auf Gleichbehandlung StPO: § 48 Hinweis auf die Zeugenrechte und Zeugenbetreuung § 58a Videoaufzeichnung gegen Mehrfachvernehmungen § 68 Schutz persönlicher Daten § 68a eingeschränktes Fragerecht zum Privat- und Intimleben § 69, 136a Anspruch auf zusammenhängenden Bericht und angemessene Behandlung; opferbezogene Tataufklärung §§ 68 b, 397a, 406g Zeugenbeistand Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 14 § 71 Entschädigung § 200 Abs. 1, S. 3 + 4 Beschränkungen für Angaben zu Zeugen in der Anklageschrift (Anlage eines von der Akteneinsicht ausgeschlossenen Sonderheftes mit Anschriften der Opferzeugen ist ohnehin möglich) § 214 Terminnachricht/gestaffelte Zeugenladung § 238 Abs. 1 Unterbindung von Konfliktverteidigung § 241 Unzulässige, ungeeignete, nicht zur Sache gehörende Fragen sind zurückzuweisen § 241a Befragung von Minderjährigen nur durch Vorsitzenden § 247 Ausschluss des Angeklagten § 247a Videovernehmung § 244 Abs.3 und 4 Opferbezogene Beweisanträge (ggfls. Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit) §§ 395, 397a Nebenklage §§ 403 ff Adhäsionsverfahren § 406e Akteneinsicht für Verletztenbeistand § 406f Begleitung durch Vertrauensperson § 406d Information über Ausgang des Verfahrens sowie über Weisungen und freiheitsentziehende Maßnahmen § 406h Belehrungspflicht GVG: § 24 Anklage zum Landgericht (i.V.m. § 269 StPO) § 187 Anspruch auf Stellung eines Dolmetschers § 171 b Anspruch auf Ausschluss der Öffentlichkeit Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 15 Adressaten der gesetzlichen Vorschriften Verpflichtet zum Opferschutz sind alle Behörden, die mit potentiellen Opfern zu tun haben. Dazu gehört neben den Gerichten insbesondere auch die Staatsanwaltschaft. Sie ist ein zur Objektivität verpflichtetes unabhängiges Organ der Rechtspflege (vgl. § 150 GVG), welches als „Garantin“ aktiv die Gesetzmäßigkeit des gesamten Verfahrens sicherzustellen hat (BVerfG NJW 2013,1066). Daraus folgen einige Verpflichtungen: Aktive Rolle in der Hauptverhandlung (Nr. 127 RiStBV): Pflichten des Staatsanwalts in der Hauptverhandlung (1) Der Staatsanwalt wirkt darauf hin, dass das Gesetz beachtet wird. Er sorgt durch geeignete Anträge, Fragen oder Anregungen dafür, dass nicht nur die Tat in ihren Einzelheiten, sondern auch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und alle Umstände erörtert werden, die für die Strafbemessung, die Strafaussetzung zur Bewährung, die Verwarnung mit Strafvorbehalt, das Absehen von Strafe, die Nebenstrafe und Nebenfolgen oder die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung, des Verfalls oder sonstiger Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) bedeutsam sein können. Nr. 4 c ist zu beachten. (2) Der Staatsanwalt soll darauf hinwirken, dass ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen zurückgewiesen werden. Dies gilt namentlich dann, wenn sie lediglich auf eine Ausforschung von Privat-, Geschäfts- oder Dienstgeheimnissen hinzielen. Belehrungen über Zeugen- und Verletztenrechte (Nrn. 173, 174a RiStBV): 173 Unterrichtung des Verletzten über das Entschädigungsverfahren Der Staatsanwalt hat den Verletzten oder dessen Erben in der Regel und so früh wie möglich auf die Möglichkeit, einen Entschädigungsanspruch nach den §§ 403 ff. StPO geltend zu machen, hinzuweisen. Dabei wird der Verletzte über die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe (§ 404 Abs. 5 StPO), Form und Inhalt des Antrags (§ 404 Abs. 1 StPO) und über das Recht auf Teilnahme an der Hauptverhandlung (§ 404 Abs. 3 StPO) zu belehren sein. Auch wird er darauf hinzuweisen sein, dass es sich in der Regel empfiehlt, den Antrag möglichst frühzeitig zu stellen, dass er seinen Anspruch, soweit er ihm nicht zuerkannt wird, noch im Zivilrechtsweg verfolgen kann (§ 406 Abs. 3 StPO) und dass das Gericht aus bestimmten Gründen von der Entscheidung über den Antrag absehen kann (§ 406 Abs. 1 StPO). Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 16 174a Unterrichtung des Verletzten Sobald der Staatsanwalt mit den Ermittlungen selbst befasst ist, prüft er, ob der Verletzte bereits gemäß § 406h StPO belehrt worden ist. Falls erforderlich, holt er diese Belehrung nach. Dazu kann er das übliche Formblatt verwenden. Förderung des Adhäsionsverfahrens (Nr. 174 RiStBV): Stellung des Staatsanwalts im Entschädigungsverfahren (1) Der Staatsanwalt soll zur Eignung des Entschädigungsantrages für eine Erledigung im Strafverfahren Stellung nehmen (§ 406 Abs. 1 Satz 4 und 5 StPO). Im Übrigen äußert er sich, wenn dies nötig ist, um die Tat strafrechtlich zutreffend zu würdigen. (2) Der Staatsanwalt hat den bei ihm eingegangenen Entschädigungsantrag dem Gericht beschleunigt zuzuleiten, weil die Rechtswirkungen des Antrags (§ 404 Abs. 2 StPO) erst eintreten, wenn dieser bei Gericht eingegangen ist. Verfahrensbeschleunigung bei kindlichen Zeugen (Nr. 221 RiStBV): Beschleunigung in Verfahren mit kindlichen Opfern (1) Das Verfahren ist zu beschleunigen, vor allem deswegen, weil das Erinnerungsvermögen der Kinder rasch verblasst und weil sie besonders leicht zu beeinflussen sind. (2) Wird ein Beschuldigter, der in häuslicher Gemeinschaft mit dem Geschädigten lebt oder der auf diesen in anderer Weise unmittelbar einwirken kann, freigelassen, so ist das Jugendamt unverzüglich zu benachrichtigen, damit die erforderlichen Maßnahmen zum Schutze des Geschädigten ergriffen werden können. Die Benachrichtigung obliegt derjenigen Stelle, welche die Freilassung veranlasst hat. Verfolgung bei Antragsdelikten im Nahbereich (Nr. 234 RiStBV): Besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung (§ 230 Abs. 1 StGB) Ein besonderes öffentliches Interesse an der Verfolgung von Körperverletzungen (§ 230 Abs. 1 Satz 1 StGB) wird namentlich dann anzunehmen sein, wenn der Täter einschlägig vorbestraft ist, roh oder besonders leichtfertig gehandelt hat, durch die Tat eine erhebliche Verletzung verursacht wurde oder dem Opfer wegen seiner persönlichen Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann, Strafantrag zu stellen, und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist. Nr. 235 Abs. 3 gilt entsprechend. Andererseits kann auch der Umstand beachtlich sein, dass der Verletzte auf Bestrafung keinen Wert legt. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 17 Einzelne Opferschutzinstrumente Rascher und adäquater Abschluss des Ermittlungsverfahrens Schon im Hinblick auf die Erinnerungsleistung, aber auch wegen der psychischen Belastung ist in allen Verfahrensstadien Beschleunigung geboten. Auch der jeweilige Abschluss muss „richtig“ sein. Als Mittel kommen in Betracht: - Anlage von Zweitakten (für Sachverständige, Verteidiger, SV) - Vermeidung pensentaktisch motivierter Austrennungen - Beachtung der Opferinteressen bei Auflagen (etwa nach § 153 a StPO) - konsequente Verfolgung von Gewaltdelikten - besondere Beachtung von Adhäsionsanträgen: § 406 Abs. 1 StPO knüpft das Adhäsionsverfahren nach wie vor an ein Urteil. Das muss StA bei Erwägung eines Strafbefehls bedenken. - Anklage zum „richtigen“ Gericht, bei welchem die Opferinteressen mutmaßlich am ehesten gewahrt werden (§ 269 StPO). Gem. § 269 StPO wird der Angeklagte durch die Verhandlung vor einem Gericht höherer Ordnung (etwa wenn die Verhandlung vor der Strafkammer statt dem Schöffengericht stattgefunden hat) nicht benachteiligt (BGH NStZ 2009, 579 ff). Er kann nur geltend machen, das Gericht habe seine Zuständigkeit willkürlich angenommen (BGH NStZ 1999, 578). Willkür wiederum ist i.d.R nur anzunehmen, wenn die Entscheidung auf einer groben Missachtung oder Fehlanwendung des Rechts, also auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar erscheint (vgl. BGH 1 StR 6/12 Tz 11 m.w.N.; NStZ 2009, 579 f; BVerfG NJW 2009, 3293). Streitige Sexualstrafsachen gehören i.d.R. nicht an das Amtsgericht! - Hinweise in der Anklageschrift auf Anträge des Tatopfers und Erfordernisse des Opferschutzes Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 18 Einsatz der Gerichtshilfe Staatsanwaltschaft (§ 160 Abs. 3 S. 2 StPO) und Gericht können sich der Gerichtshilfe bedienen, welche als unselbständiges Ermittlungsorgan gem. Art. 294 EGStGB zum Geschäftsbereich der jeweiligen Landesjustizverwaltung gehört und folglich unterschiedlich organisiert sein kann. Dort sind Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen tätig, mit deren Hilfe etwa die Lebensumstände des Beschuldigten, aber auch die Tatfolgen für das Opfer aufgeklärt werden können. Wenn es das Gericht - nach Maßgabe der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) - für geboten hält, den Gerichtshilfebericht in die Hauptverhandlung einzuführen, so kann dies zunächst im Wege des Vorhalts an den Angeklagten oder an Zeugen aus seinem sozialen Umfeld geschehen. Soll der Gerichtshelfer (etwa zu Tatschilderungen des Angeklagten ihm gegenüber oder zu Tatfolgen auf Opferseite) persönlich gehört werden, dann ist er - ebenso wie ein Bewährungshelfer - regelmäßig als Zeuge, im Ausnahmefall auch als Sachverständiger zu vernehmen (BGH NStZ 2008, 709 f.). Er kann in diesem Fall auf seinen schriftlichen Bericht zurückgreifen. Dieser kann zudem nach § 251 Abs. 1 StPO als Urkunde verlesen werden. Anders als die in § 38 JGG geregelte, bei den Jugendämtern angesiedelte Jugendgerichtshilfe ist die Erwachsenengerichtshilfe nicht Verfahrensbeteiligte. In Jugendsachen muss die Gerichtshilfe dagegen zur Hauptverhandlung hinzugezogen werden, § 50 Abs. 3 JGG. Ihr steht dort auch ein eigenes Äußerungsrecht zu, denn mit ihrer Hilfe soll ein möglichst vollständiges Bild von der Persönlichkeit des Angeklagten erstellt werden. In Haftsachen hat der Vertreter der Jugendgerichtshilfe zudem dasselbe Zugangsrecht zu dem inhaftierten Beschuldigten, wie der Verteidiger (§ 72 b JGG). Information Stets ist das Tatopfer auf Antrag auch über den Ausgang des Verfahrens zu Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 19 unterrichten, § 406d StPO. Bei berechtigtem Interesse gilt das auch für Weisungen, freiheitsentziehende Maßnahmen oder Vollzugslockerungen. Über all seine Rechte ist der Verletzte als drittbezogene Amtspflicht frühzeitig (also etwa anlässlich einer polizeilichen Vernehmung), i.d.R. schriftlich und in verständlicher Form, zu belehren (§ 406h StPO). § 406 h StPO: „Verletzte sind möglichst frühzeitig, regelmäßig schriftlich und soweit möglich in einer für sie verständlichen Sprache auf ihre aus den §§ 406d bis 406g folgenden Befugnisse und insbesondere auch darauf hinzuweisen, dass sie 1. sich unter den Voraussetzungen der §§ 395 und 396 dieses Gesetzes oder des § 80 Absatz 3 des Jugendgerichtsgesetzes der erhobenen öffentlichen Klage mit der Nebenklage anschließen und dabei nach § 397a beantragen können, dass ihnen ein anwaltlicher Beistand bestellt oder für dessen Hinzuziehung Prozesskostenhilfe bewilligt wird, 2. nach Maßgabe der §§ 403 bis 406c dieses Gesetzes und des § 81 des Jugendgerichtsgesetzes einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch im Strafverfahren geltend machen können, 3. nach Maßgabe des Opferentschädigungsgesetzes einen Versorgungsanspruch geltend machen können, 4. nach Maßgabe des Gewaltschutzgesetzes den Erlass von Anordnungen gegen den Beschuldigten beantragen können sowie 5. Unterstützung und Hilfe durch Opferhilfeeinrichtungen erhalten können, etwa in Form einer Beratung oder einer psychosozialen Prozessbegleitung. Liegen die Voraussetzungen einer bestimmten Befugnis im Einzelfall offensichtlich nicht vor, kann der betreffende Hinweis unterbleiben. Gegenüber Verletzten, die keine zustellungsfähige Anschrift angegeben haben, besteht keine Hinweispflicht. Die Sätze 1 und 3 gelten auch für Angehörige und Erben von Verletzten, soweit ihnen die entsprechenden Befugnisse zustehen.“ Schutz der Person Möglichkeiten der gerichtlichen Fürsorge sind vielfältig: - Terminabsprachen auch mit dem Nebenklagevertreter - Bei Bedarf: Initiative für polizeilichen Zeugenschutz Sicherstellung einer Begleitung Organisation eines „Zeugenzimmers“. Die RiStBV sagt hierzu in Nr. 135: Über das Erforderliche hinausgehende Begegnungen von Zeugen, insbesondere von Opfern, mit dem Angeklagten sollen vermieden, spezielle Warteräume für Zeugen genutzt werden. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 20 - unbefangenen Erstkontakt mit Gericht und Räumlichkeiten ermöglichen. - Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171 b GVG - Ausschluss des Angeklagten gem. § 247 StPO - Videovernehmung, § 247a StPO - Unterbindung von Konfliktverteidigung, insbesondere Unterbindung einer sachfremden Zeugenbefragung - sachgerechter Umgang mit opferbezogenen Beweisanträgen Schweigerechte §§ 52, 53, 55 StPO Verweigert ein Zeuge berechtigterweise das Zeugnis bzw. die Auskunft, so ist seine Vernehmung unzulässig (vgl. §§ 244 Abs. 3 S. 1, 245 Abs. 2 S. 2 StPO). Eine frühere Aussage darf bei Geltendmachung des § 52 StPO nach § 252 StPO i.d.R. nicht mehr verwertet werden, Zwangsmittel nach § 70 StPO sind nicht statthaft. Neben den gesetzlich geregelten Schweigerechten kann sich eine Begrenzung des Zeugniszwangs aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG dann ergeben, wenn – die Vernehmung einen Eingriff in die Intimsphäre des Zeugen darstellen würde und das öffentliche Interesse an einer Aufklärung der Straftat nicht überwiegt oder – durch eine Vernehmung der Zeuge in Lebensgefahr gebracht bzw. eine erhebliche Gefahr für Leib oder Freiheit entstehen würde (vgl. BGH StV 1993, 233). Diese Beschränkung entfällt, wenn der Schutz des Zeugen anderweitig sichergestellt werden kann (OLG Köln, 2 Ws 87/09, unter Verweis auf die Möglichkeiten des Zeugenschutzes). Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 21 Eingeschränkte Angaben zur Person, § 68 Abs. 2 und 3 StPO Die Vorschriften erlauben es dem Zeugen, unter den dort genannten Voraussetzungen nur eingeschränkte oder gar keine Angaben zu seinem Wohnort und seiner Person zu machen. Unterlagen über seine Identität werden in diesem Fall gesondert geführt. Sie werden, solange die Gefährdung andauert, nicht zur Akte genommen und unterliegen daher auch nicht der Akteneinsicht (vgl. § 68 Abs. 4 StPO). Eine Revision des Angeklagten kann hierauf regelmäßig nicht gestützt werden (vgl. BGH 5 StR 292/11 Tz 6.). Unter Umständen ist seine Vernehmung auch optisch und/oder akustisch abgeschirmt durchzuführen (siehe BGH NJW 2003, 74 f.). Möglich ist also die Anlage eines von der Akteneinsicht ausgeschlossenen Sonderheftes mit den Anschriften der Opferzeugen. Hier gilt auch eine Beschränkung für die Anklageschrift, § 200 Abs. 1 S. 3, 4 und 5 StPO. Daneben existieren Richtlinien der Justizminister der Länder, welche die Grundlage für sog. polizeiliche Zeugenschutzprogramme bilden und so u.a. die Möglichkeiten zur Verschleierung der Identität (z.B. durch Ausstellung von Tarnpapieren oder Identitätsänderung) oder der Geheimhaltung des Wohnortes bieten. Soweit es für das Verfahren bedeutsam ist, muss der geschützte Zeuge allerdings in der Hauptverhandlung Auskunft über Art und Umfang der polizeilichen Maßnahmen geben (vgl. BGH NJW 2006, 785 ff.). Derartige Schutzmaßnahmen können auch Auswirkungen auf die örtliche Zuständigkeit des Ermittlungsrichters haben (LG Karlsruhe NJW 1997, 3184). zusammenhängender Bericht, § 69 Abs. 1 StPO Der Zeuge soll und darf zunächst einmal das Geschehen aus seiner Sicht ohne große Unterbrechungen durch das Gericht schildern. Offen gebliebene Fragen können anschließend im Gespräch geklärt werden. Dabei müssen die Frageinhalte den intellektuellen Verhältnissen des Zeugen Rechnung tragen Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 22 angemessene Behandlung, §§ 68a, 69 Abs. 3, 136a StPO Opferbezogene Tataufklärung, § 69 Abs. 2 StPO: „Zeugen, die durch die Straftat verletzt sind, ist insbesondere Gelegenheit zu geben, sich zu den Auswirkungen, die die Tat auf sie hatte, zu äußern“. Feststellungen zum „Schadensbild“ sind wichtig für Strafzumessung und Adhäsionsentscheidung. Entschädigung, §§ 71 StPO, 19 ff JVEG. Zeugenbeistand Zeugen können sich generell eines anwaltlichen Beistands bedienen, dem auch die Anwesenheit bei der Vernehmung gestattet ist, § 68 b Abs. 1 StPO. Ein solcher Zeugenbeistand darf nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen zurückgewiesen werden, wenn nämlich seine Anwesenheit eine geordnete und effektive Beweiserhebung erschweren würde (siehe hierzu BVerfG StraFo 2010, 243 f.). Unter den Voraussetzungen des § 68b Abs. 2 StPO muss das zuständige Gericht durch unanfechtbaren Beschluss solchen Zeugen, die ihre Interessen nicht selbst wahrnehmen können - also vor allem Kindern oder Jugendlichen - (nur) für die Dauer ihrer Vernehmung sogar einen anwaltlichen Zeugenbeistand bestellen, wenn ihre schutzwürdigen Interessen nicht anders gewahrt werden können. Der Begriff der „Dauer der Vernehmung“ ist im Sinne des Zeugenschutzes weit auszulegen. Er umfasst daher auch die Vor- und Nachbereitung der Aussage. Die Beiordnung wird vor allem bei Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung in Betracht kommen. Die §§ 397a, 406g StPO erweitern diese Möglichkeit für bestimmte nebenklageberechtigte Verletzte (§ 395 StPO) auch über die Dauer der Vernehmung hinaus. Ohnehin kann sich der Verletzte im gesamten Verfahren des Beistands eines Rechtsanwalts bedienen. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 23 Die Rechtsstellung des Beistands entspricht prinzipiell derjenigen des Zeugen; er hat keine eigenen Rechte als Verfahrensbeteiligter und damit auch insbesondere keinen allgemeinen Anspruch auf Akteneinsicht (BGH NStZ-RR 2010, 246 f; OLG Düsseldorf NJW 2002, 2806). Diese ist für Dritte abschließend in den §§ 475 ff StPO geregelt und von einem berechtigten Interesse abhängig, welches gegen die schutzwürdigen Belange der Beteiligten abzuwägen ist (siehe hierzu BVerfG NJW 2009, 2876 f). Anders verhält es sich allerdings bei dem Beistand des Verletzten, der insbesondere gem. § 406e StPO unter den dort geregelten Voraussetzungen Akteneinsicht nehmen, bei Vernehmungen seines Mandanten zugegen sein und an der Hauptverhandlung teilnehmen darf (vgl. im Einzelnen §§ 406f Abs. 1, 406g Abs. 2 StPO). Person des Vertrauens Auch einer (nicht anwaltlichen) Person des Vertrauens ist unter den Voraussetzungen des § 406f Abs. 2 StPO die Anwesenheit bei Vernehmungen des Verletzten zu gestatten. Dolmetscher Ist der Zeuge i.S.d. § 395 StPO nebenklagebefugt, so hat er - im erforderlichen Umfang (OLG Hamburg NJW 2005, 1135 ff.) - auch Anspruch auf die unentgeltliche Stellung eines Dolmetschers, wenn dies zur Ausübung seiner prozessualen Rechte erforderlich ist, § 187 Abs. 2 GVG. Bedeutung erlangt dies insbesondere für Gespräche mit dem anwaltlichen Beistand. Nebenklage Wird eine Person Opfer einer Straftat, so kann sie ihr Interesse an einer Genugtuung im gewöhnlichen Strafverfahren oftmals im Wege der Nebenklage verfolgen, die in den §§ 395 bis 402 StPO geregelt ist. Im Verfahren gegen Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 24 Jugendliche ist die Nebenklage (leider) nur sehr eingeschränkt zulässig, § 80 Abs. 3 JGG, wohl aber unbeschränkt in einem sog. verbundenen Verfahren i.S.d. § 103 JGG, dass sich gegen einen Erwachsenen oder Heranwachsenden, zugleich aber auch gegen einen Jugendlichen richtet (BGH NJW 2003, 152). Auch im Sicherungsverfahren ist die Nebenklage zulässig (BGH NJW 2002, 692). Die Nebenklage setzt nach § 395 Abs. 1 S. 1 StPO eine erhobene öffentliche Klage voraus, ist dieser also akzessorisch. Vor Anklageerhebung stehen dem nebenklageberechtigten Verletzten jedoch schon die Rechte aus § 406g StPO zur Seite. Anschlussbefugt sind nur – die Verletzten der in § 395 Abs. 1 StPO genannten schwerwiegenden Straftaten; – der (erfolgreiche) Antragsteller eines Klageerzwingungsverfahrens (§ 395 Abs. 2 Nr. 2 StPO); – die in § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO abschließend genannten privilegierten Personen, also insbesondere nahe Verwandte eines getöteten Tatopfers; – unter den in § 395 Abs. 3 StPO genannten Voraussetzungen das Opfer weiterer Straftaten von sehr unterschiedlichem Gewicht (z.B. einer fahrlässigen Körperverletzung oder eines Raubes), wenn dies aus "besonderen Gründen" (insbesondere schwere Verletzungsfolgen) zur Interessenwahrnehmung geboten erscheint. Der genannte Katalog ist nicht abschließend, so dass im Falle einer (besonderen) prozessualen Schutzbedürftigkeit des Geschädigten prinzipiell alle rechtswidrigen Taten anschlussfähig sind (BGH 5 StR 523/11 ). Dabei hat es der Gesetzgeber auch an dieser Stelle unterlassen, den Begriff des "Verletzten" näher zu definieren. Im Rahmen des § 395 StPO erfasst er nur das Tatopfer. Die Verurteilung des Angeklagten wegen eines Nebenkla- Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 25 gedelikts muss demgegenüber nicht feststehen. Die Nebenklagebefugnis besteht schon dann, wenn nach der Sachlage die Verurteilung wegen eines Delikts i.S.d. § 395 StPO materiell-rechtlich möglich erscheint (BGH 4 StR 126/11; NStZ-RR 2008, 352 f.). Die schriftliche (vgl. § 396 Abs. 1 S. 1 StPO) Anschlusserklärung ist in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft der abschließenden Entscheidung möglich. Selbst nach der Verkündung des Urteils kann der Anschluss noch mit dem alleinigen Ziel der Urteilsanfechtung erfolgen, § 395 Abs. 4 StPO. Liegt die Anschlusserklärung vor, so prüft das Gericht die formelle Anschlussbefugnis und entscheidet dann — nach Anhörung der in § 396 Abs. 2 StPO genannten Beteiligten — durch Beschluss. Die Entscheidung hat regelmäßig nur deklaratorischen Charakter, kann aber von der Staatsanwaltschaft mit der Beschwerde angefochten werden, § 304 Abs. 1 StPO. Wird der Verletzte als Nebenkläger zugelassen, so kann dies auch der Angeklagte, im Falle einer Nichtzulassung der Antragsteller. Anders liegen die Dinge bei der – konstitutiven – Entscheidung über das Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des § 395 Abs. 3 StPO. Diese ist stets unanfechtbar, § 396 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 StPO, und bindet auch die Rechtsmittelinstanz (BGH 5 StR 523/11; OLG Düsseldorf JMBl. NW 1996, 129 f.). Rechte des Nebenklägers: Die prozessualen Rechte des Nebenklägers sind im Wesentlichen in § 397 StPO aufgeführt. Hervorzuheben sind – Anspruch auf Übersendung einer Anklageschrift (soweit zuvor beantragt), § 201 Abs. 1 S. 2 StPO; – Anspruch, mit seinem Beistand zur Hauptverhandlung geladen und gehört zu werden (vgl. auch § 214 Abs. 1 StPO); Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 26 – Befugnis, an der Hauptverhandlung auch dann teilzunehmen, wenn er als Zeuge vernommen werden soll. Das gilt auch für nebenklagebefugte Verletzte, die sich nicht dem Verfahren angeschlossen haben, § 406g Abs. 1 S. 1 StPO. Dessen anwaltlicher Beistand hat allerdings kein eigenes Fragerecht, vgl. § 406g Abs. 2 StPO (BGH NJW 2005, 377). – Möglichkeit, durch die Abgabe von Erklärungen und das Stellen von Fragen an der Verhandlung aktiv teilzunehmen; – Recht, Beweisanträge zu stellen und einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Seine Anhörungsrechte (umgekehrt also die Beteiligungspflichten des Gerichts) entsprechen generell denjenigen der Staatsanwaltschaft, § 397 Abs. 1 S. 4 StPO. Haben Dritte – auch wegen des damit verbundenen Eingriffs in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Angeklagten – grundsätzlich keinen Anspruch auf Einsicht in die Verfahrensakten, so gewährt § 406e StPO dem Nebenkläger – wie jedem Verletzten – über seinen anwaltlichen Vertreter ein eigenes Akteneinsichtsrecht bzw. einen Anspruch auf Erteilung von Auskünften und Abschriften. Hierdurch werden auch die Möglichkeiten zur Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche verbessert. Darüber hinaus kann der Nebenkläger zuungunsten des Angeklagten gegen gerichtliche Entscheidungen Rechtsmittel einlegen, §§ 400, 401 StPO. Allerdings ist sein Recht der Urteilsanfechtung durch Berufung und Revision beschränkt. Er kann Rechtsmittel nur im Zusammenhang mit Nebenklagedelikten einlegen, also insbesondere mit der Begründung, der Angeklagte sei zu Unrecht vom Vorwurf eines solchen Deliktes freigesprochen worden oder die Verurteilung wegen eines tateinheitlichen Nebenklagedelikts sei rechtsfehlerhaft unterblieben. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 27 Nach § 400 Abs. 1 StPO kann er ein Urteil dagegen nicht mit dem Ziel anfechten, eine andere Rechtsfolge (z.B. höhere Strafe, Anordnung einer Maßregel nach §§ 63, 64, 66 StGB) oder die Verurteilung wegen eines Delikts zu erreichen, das nicht zum Katalog des § 395 StPO gehört. Seine Stellung als Verletzter ermöglicht es ihm mangels eigener Beschwer auch nicht, ein Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten einzulegen (BGHSt 37, 136). Dem Vorbringen in der Rechtsmittelschrift muss daher ein Ziel zu entnehmen sein, welches diesen Einschränkungen entspricht (vgl. BGH 3 StR 46/11; 2 StR 146/10; NStZ 2000, 218 f.). Unter bestimmten Voraussetzungen – namentlich bei schwieriger Sach- und Rechtslage oder wenn er nicht in der Lage ist, seine Rechte selbst wahrzunehmen – kann dem Nebenkläger Prozesskostenhilfe gewährt werden, § 397a Abs. 2 StPO. Diese ist näher geregelt in den auch hier geltenden §§ 114 ff. ZPO. Ihre Bewilligung wirkt – anders als die Beiordnung eines Beistands – nur für die jeweilige Instanz, § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO i. V. m. § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Sie umfasst zudem nicht automatisch ein im Rahmen der Nebenklage geführtes Adhäsionsverfahren. Insoweit bedarf es folglich ggfls. eines eigenen PKH-Antrages (BGH 1 StR 171/13; 5 StR 179/10; 2 StR 103/09). Ist der Verletzte das Opfer bestimmter schwerwiegender Delikte – insbesondere einer Sexualstraftat, eines Raubdelikts oder eines versuchten Mordes bzw. Totschlags –, so muss ihm auf Antrag bzw. von Amts wegen ein Rechtsanwalt als Beistand bestellt werden, § 397a Abs. 1 StPO. Unter den Voraussetzungen des § 406g Abs. 3 StPO stehen diese Ansprüche auch dem nebenklagebefugten Verletzten zu, der sich (noch) nicht dem Verfahren angeschlossen hat. Das Verfahren richtet sich nach denselben Vorschriften wie bei der Bestellung eines Pflichtverteidigers. Die Entscheidung trifft also – wie auch hinsichtlich der Bewilligung von Prozesskostenhilfe – der Vorsitzende, § 397a Abs. 3 Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 28 StPO. Die Bestellung als Beistand wirkt über die jeweilige Instanz hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Sie erstreckt sich also auch auf die Revisionsinstanz. In entsprechender Anwendung von § 143 StPO kann auch ein Wechsel in der Person des Beistands erfolgen. Siehe zu alldem BGH 3 StR 255/11; 5 StR 158/11; 3 StR 156/10; 2 StR 103/09; 4 StR 354/08. Vermeidung von Mehrfachvernehmungen Die aktuelle Fassung des § 58a StPO lautet: (1) Die Vernehmung eines Zeugen kann auf Bild-Ton-Träger aufgezeichnet werden. Sie soll nach Würdigung der dafür jeweils maßgeblichen Umstände aufgezeichnet werden und als richterliche Vernehmung erfolgen, wenn 1. damit die schutzwürdigen Interessen von Personen unter 18 Jahren sowie von Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch eine der in § 255a Absatz 2 genannten Straftaten verletzt worden sind, besser gewahrt werden können oder 2. zu besorgen ist, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. (2) Die Verwendung der Bild-Ton-Aufzeichnung ist nur für Zwecke der Strafverfolgung und nur insoweit zulässig, als dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. § 101 Abs. 8 gilt entsprechend. Die §§ 147, 406e sind entsprechend anzuwenden, mit der Maßgabe, dass den zur Akteneinsicht Berechtigten Kopien der Aufzeichnung überlassen werden können. Die Kopien dürfen weder vervielfältigt noch weitergegeben werden. Sie sind an die Staatsanwaltschaft herauszugeben, sobald kein berechtigtes Interesse an der weiteren Verwendung besteht. Die Überlassung der Aufzeichnung oder die Herausgabe von Kopien an andere als die vorbezeichneten Stellen bedarf der Einwilligung des Zeugen. (3) Widerspricht der Zeuge der Überlassung einer Kopie der Aufzeichnung seiner Vernehmung nach Absatz 2 Satz 3, so tritt an deren Stelle die Überlassung einer Übertragung der Aufzeichnung in ein schriftliches Protokoll an die zur Akteneinsicht Berechtigten nach Maßgabe der §§ 147, 406e. Wer die Übertragung hergestellt hat, versieht die eigene Unterschrift mit dem Zusatz, dass die Richtigkeit der Übertragung bestätigt wird. Das Recht zur Besichtigung der Aufzeichnung nach Maßgabe der §§ 147, 406e bleibt unberührt. Der Zeuge ist auf sein Widerspruchsrecht nach Satz 1 hinzuweisen. Nach § 58a Abs. 1 S. 1 StPO kann jede Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren insgesamt unter Videoaufzeichnung erfolgen. Ausdrücklich gilt diese Regelung zwar nur für Vernehmungen durch den Richter oder die Staatsanwaltschaft (vgl. § 161a Abs. 1 S. 2 StPO, Nr. 19 Abs. 2 und 3 RiStBV). Die Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 29 Vorschrift gilt aber für alle „Ermittlungsbehörden“, also auch für polizeiliche Zeugenvernehmungen (vgl. BGH 1 StR 273/04). Ausgestaltet ist § 58a StPO zwar als „Sollvorschrift“, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (wenn also der Opferschutz es nahelegt), ist die Videoaufzeichnung allerdings zwingend. Der BGH (1 StR 273/04) hat hierzu ausgeführt: „ Wird … wegen des Verdachts ermittelt, ein Kind sei Opfer schwerwiegender Sexualstraftaten geworden, so begründet die "Sollvorschrift" des § 58a Abs. 1 Satz 2 StPO eine grundsätzliche Verpflichtung der Ermittlungsbehörden, die Aussagen des Kindes aufzuzeichnen (Rieß in Löwe/ Rosenberg StPO 25. Aufl., Nachtrag, § 58a Rdn. 17 m.w.N.; vgl. auch Trück, NStZ 2004, 129). Durch das Festhalten der Aussage in Bild und Ton wird es vielfach ermöglicht, Mehrfachvernehmungen zu immer demselben psychisch belastenden Thema zu vermeiden. Damit soll den Belangen besonders schutzbedürftiger Zeugen bereits im Ermittlungsverfahren Rechnung getragen werden.“ Der Zeuge muss nach h.M. die Aufzeichnung dulden. Auf seine Belange ist aber natürlich Rücksicht zu nehmen; die erzwungene Aufnahme wäre wohl wenig sinnvoll. Generell nötig ist die Aufzeichnung der dann (unsinnigerweise) regelmäßig richterlichen Vernehmung bei Verletzten unter 18 Jahren – insbesondere Missbrauchsopfern – zur Wahrung der schutzwürdigen Belange (also insbes. zur Vermeidung von Mehrfachvernehmungen), und ferner dann, wenn zu besorgen ist, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann – etwa weil er gebrechlich oder mit seinem Untertauchen zu rechnen ist, § 58a Abs. 1 S. 2 StPO. Bei kindlichen Zeugen bietet es sich an, zeitnah zur Tatbegehung bzw. Anzeigenerstattung eine ausführliche Videovernehmung unter Beteiligung eines aussagepsychologischen Sachverständigen durchzuführen (vgl. auch Nr. 222 RiStBV). Wenngleich im Hinblick auf die Gesprächsatmosphäre regelmäßig wenig sinnvoll, kann die Vernehmung auch so durchgeführt werden, dass sich der Zeuge in einem anderen Raum aufhält als der Vernehmende, § 58b StPO. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 30 Die Videoaufzeichnung kann später regelmäßig (soweit nicht die Voraussetzungen des § 252 StPO vorliegen) neben der Zeugenaussage als Augenscheinsobjekt durch Abspielen als Beweismittel in die Hauptverhandlung eingeführt werden (BGH 1 StR 350/07). Sie ist daher ein wirksames Instrument des Opferschutzes. Probleme ranken um das Einsichtsrecht: Nach § 147 StPO hat jeder Verteidiger als Konkretisierung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ein Recht auf unbeschränkte Einsicht in die dem Gericht bezüglich der verfahrensgegenständlichen Tat und seinem Mandanten tatsächlich vorliegenden Akten. Er darf zudem solche Unterlagen einsehen, die zwar bei den Ermittlungsbehörden verblieben sind, gemäß § 199 Abs. 2 Satz 2 StPO dem Gericht aber hätten vorgelegt werden müssen. Erfasst sind - sog. Spurenakten, soweit sie bedeutsam sind; - von Sachverständigen angefertigten Untersuchungsunterlagen und Untersuchungsergebnisse, die zur Akte gelangt sind (BGH NJW 1996, 3108); - das gesamte vom ersten Zugriff der Polizei (§ 163 StPO) an gesammelte Beweismaterial, einschließlich etwaiger Bild- und Tonaufnahmen (BGH 1 StR 355/13 Tz 23; 3 StR 89/09; siehe hierzu auch Trück, NStZ 2004, 129 ff.). Solches darf der Verteidiger allerdings nur bei Gericht einsehen, wie sich aus dem Verweis in § 58a Abs. 2 StPO auf § 147 Abs. 4 StPO ergibt (vgl. hierzu BGH 1 StR 355/13 Tz 24; OLG Stuttgart, NStZ-RR 2013, 217, OLG Karlsruhe NJW 2012, 2742 ff.). Solches Beweismaterial gehört in gesonderte Verwahrung! Völlig unverständlich normiert § 58a StPO ein Akteneinsichtsrecht in Kopien, die zwar – insbesondere an den Angeklagten – nicht weitergegeben werden dürfen, deren Existenz das Tatopfer aber nachvollziehbar beunruhigen kann (z.B. wegen YouTube). Der Zeuge kann gem. § 58a Abs. 3 S. 1 StPO der Überlassung einer Kopie widersprechen und ist insoweit auch zu belehren, Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 31 Abs. 3 S. 4. Dann beschränkt sich das Überlassungsrecht auf ein entsprechendes schriftliches Protokoll. Der Zeugenschutz setzt hier im Tatsächlichen also voraus, dass die Kommunikation überhaupt stattfindet und auch funktioniert. Kopien, über deren tatsächliche Verwendung die Justiz letztlich keine Kontrolle hat, sollten aus Gründen des Opferschutzes folglich gar nicht erst angefertigt werden. Schließlich sind Entscheidungen über die Art und Weise, in der das Recht zur Besichtigung von Beweisstücken gewährt wird, gem. § 147 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht anfechtbar (OLG Stuttgart, NStZ-RR 2013, 217). § 255 a StPO: § 255a StPO regelt die mit § 58a StPO korrespondierenden Möglichkeiten, eine Zeugenvernehmung durch Vorspielen einer aus dem Ermittlungsverfahren stammenden sog. Bild-Ton-Aufzeichnung zu ersetzen. Der systematische Standort der dem Opferschutz dienenden Vorschrift ist damit zu erklären, dass sie in Abs. 1 u.a. auf § 251 StPO Bezug nimmt. § 255a Abs. 1 StPO beinhaltet zunächst eine weitgehende Gleichstellung der genannten Aufzeichnungen mit Vernehmungsniederschriften. Ein Vorspielen der Aufzeichnung unter Verzicht auf eine persönliche Anhörung des Zeugen setzt also – abgesehen von den sonstigen Anwendungsfällen der § 251, 253 StPO – i.d.R. die Zustimmung der Verfahrensbeteiligten voraus. Wurde der Zeuge dagegen in der Hauptverhandlung vernommen, so dürfen ihn betreffende Vernehmungsniederschriften und Bild-Ton-Aufzeichnungen ohne weiteres verlesen bzw. vorgeführt werden. In diesem Fall wird seine Vernehmung ja nicht durch ein Surrogat ersetzt, sondern ergänzt (BGH 1 StR 350/07 m.w.N.). Keiner Zustimmung bedarf die Vorführung der Aufzeichnung auch in den Fällen des § 255a Abs. 2 StPO. So sollen insbesondere minderjährigen Zeugen oder Opferzeugen, die zum Zeitpunkt der Tat minderjährig waren, Mehrfach- Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 32 vernehmungen erspart werden. Den Grund für die Vorführung hat das Gericht bekannt zu geben. Allerdings setzt die vernehmungsersetzende Vorführung der Videoaufnahme ausdrücklich voraus, dass der Angeklagte und sein Verteidiger Gelegenheit hatten, an der aufgezeichneten Vernehmung mitzuwirken. Die Einschränkung des § 168c StPO gilt hier nicht. Liegt eine entsprechende Videoaufzeichnung vor, so obliegt die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung – anders als im Rahmen des Absatzes 1 – dem Vorsitzenden (BGH 1 StR 327/11). Die Einführung in das Verfahren erfolgt im Wege der Augenscheinseinnahme. Der Inhalt der früheren Vernehmung ist dann so zu behandeln, als sei sie in der Hauptverhandlung erfolgt. Auch im Falle einer die Aussage ersetzenden Beweiserhebung nach § 255a StPO bleibt die ergänzende Vernehmung des Zeugen im Rahmen der Hauptverhandlung nicht nur zulässig, sie kann sich im Rahmen der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) sogar als zwingend darstellen. Das kommt insbesondere in Betracht, wenn – was zulässig ist (BGH NJW 2003, 2761 ff.) – dem Verteidiger vor der aufgezeichneten Vernehmung keine Akteneinsicht gewährt wurde und daher maßgebliche Fragen und Vorhalte unterblieben sind. Auch können nach der Aufzeichnung weitere Beweisergebnisse angefallen sein, mit denen der Zeuge zu konfrontieren ist. Eine erneute Befragung des Zeugen beschränkt sich dann auf die ergänzend klärungsbedürftigen Gesichtspunkte (BGH 1 StR 327/11; NJW 2003, 2763.). Ohnehin sollte aus Gründen des Opferschutzes von der Möglichkeit ergänzender Befragung nur im Ausnahmefall Gebrauch gemacht werden (BGH NStZ-RR 2005, 45.). Statt des Weges über § 255a StPO kann das Gericht aber auch den Zeugen vernehmen und – ergänzend – die Aufzeichnung in Augenschein nehmen, etwa um die Konstanz der Bekundungen zu überprüfen (vgl. BGH NJW 2004, 1468 f.). In diesem Fall wird ja die Aussage nicht durch ein Surrogat ersetzt. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 33 Beinhaltet die Aufzeichnung die frühere Vernehmung eines zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen und macht dieser in der Hauptverhandlung von diesem Recht Gebrauch, so unterliegt angesichts des ausdrücklichen Hinweises auf § 252 StPO (vgl. § 255a Abs. 1 StPO) auch die Aufzeichnung einem Verwertungsverbot. Das gilt selbst dann, wenn eine richterliche Vernehmung i.S.d. § 255a Abs. 2 StPO aufgezeichnet wurde. Das § 252 StPO einschränkende "Richterprivileg" greift für die Aufzeichnung – schwerlich nachvollziehbar – nicht (siehe hierzu BGH NJW 2004, 1605 ff.). Allerdings kann der Ermittlungsrichter selbst als Zeuge vom Hörensagen vernommen werden. Zu dessen Pflichten gehört es, vor seiner Vernehmung die eigenen Vernehmungsniederschriften einzusehen, um sein Gedächtnis aufzufrischen (BGH 1 StR 43/12 Tz 15). Ablauf der Vernehmung, Umfang und Prozessuales Sinnvoll ist es, vor der anstehenden Vernehmung einen unbefangenen Erstkontakt mit Gericht und den Räumlichkeiten zu ermöglichen. Das nimmt Stress. Die eigentliche Zeugenvernehmung muss in ihrer Chronologie den prozessualen Rechten entsprechen. In jedem Fall sind Zeugen vor jeder Vernehmung über eventuelle Zeugnis- bzw. Auskunftsverweigerungsrechte zu belehren, was aktenkundig zu machen ist (§§ 163 Abs. 3, 161a Abs. 1 S. 2 StPO, Nr. 65 RiStBV). Der Verzicht auf ein Zeugnis- bzw. Auskunftsverweigerungsrecht kann jederzeit – also auch während der Vernehmung – widerrufen werden. Kommt der Wille des Zeugen nicht eindeutig zum Ausdruck, so ist der Vernehmende gehalten, diesen durch Nachfragen zu ergründen. Es folgt sodann die eigentliche Vernehmung, gegliedert in diejenige zur Person (§ 68 StPO) und die zur Sache (§ 69 StPO). Selbstverständlich sind auch gegenüber Zeugen die in § 136a StPO erwähnten Vernehmungsmethoden verboten. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 34 Zudem ist sicherzustellen, dass dessen Befragung seinem Anspruch auf angemessene Behandlung und Ehrschutz entspricht. Gerichte sind verpflichtet, bei einer Entscheidung über den Umfang der Beweisaufnahme Opferschutzinteressen in die Erwägungen einzubeziehen (BGH NJW 2005, 1519). Fragen oder sonstige Beweiserhebungen zum Privat- und/ oder Intimleben sind also nur statthaft, soweit sie für die Entscheidungsfindung unerlässlich sind, § 68a Abs. 1 StPO (so auch schon BGH 1 StR 209/09). Unzulässige, ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen Dritter sind daher zurückzuweisen, § 241 StPO. Schließlich besteht die Rechtspflicht, das Tatopfer vor einer rechtsstaatswidrigen Verteidigung des Angeklagten zu schützen (BGH NStZ-RR 2007, 21 f mit einem plastischen Beispiel; BGH 1 StR 152/05). Im Anschluss an seine Vernehmung ist der Zeuge im Rahmen einer Hauptverhandlung zu vereidigen, wenn es das Gericht wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage für erforderlich hält, § 59 Abs. 1 StPO. Über die Frage der Entlassung und Vereidigung entscheidet zunächst allein der Vorsitzende aufgrund seiner Prozessleitungsbefugnis (BGH 1 StR 268/09). Ggfls. ist an §§ 247, 247a StPO, 171b GVG zu denken. Videovernehmung In bestimmten Situationen bietet die dem Schutz und der Schonung von Zeugen dienende Vorschrift des § 247a Abs. 1 StPO eine Alternative zur Entfernung des Angeklagten. Droht dem Wohl eines (auch erwachsenen) Zeugen ein über die normale Belastung hinausgehender schwerwiegender Nachteil, so ist es zulässig, den nicht im Sitzungssaal anwesenden Zeugen unter Einsatz technischer Mittel so anzuhören, dass diese Vernehmung – u.U. bei gleichzeitiger Aufzeichnung – zeitgleich in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen wird. Bei einem im Aus- Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 35 land befindlichen Zeugen kann dies so geschehen, dass in den Räumen der dortigen deutschen konsularischen Vertretung der Konsularbeamte - unter Delegation des Fragerechts an die Verfahrensbeteiligten - formell die Vernehmung durchführt und den Zeugen ggfls. vereidigt, wobei der gesamte Vorgang per Videoleitung in den Gerichtssaal übertragen wird. Dieses Vorgehen erübrigt ein Rechtshilfeersuchen, da es sich um einen Fall innerdeutscher Rechtshilfe handelt. Die Möglichkeit der Videovernehmung steht selbständig neben § 247 StPO. Das Gericht muss also im Einzelfall prüfen, wie das Spannungsverhältnis zwischen Aufklärungspflicht, Schutz des Zeugen und Verteidigungsinteressen zu lösen ist. Hierbei sind die persönlichen Belange des Zeugen zu berücksichtigen, so dass insbesondere bei der Vernehmung kindlicher Opferzeugen einer Entfernung des Angeklagten der Vorzug zu geben sein dürfte (so auch die Begründung des Gesetzesentwurfs, BT-Drucks. 15/1976, S. 12). Denn § 247a StPO erlaubt es dem Vorsitzenden nicht, während der Vernehmung bei dem – in einem anderen Raum befindlichen – Kind zu sein und so eine angstfreie und persönliche Gesprächssituation aufzubauen. Ohnehin sind die Gerichte gehalten, bei Auslegung und Anwendung des § 247a StPO – wie bei anderen Vorschriften auch – die Vorgaben des Rahmenbeschlusses bzw. der Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte von Tatopfern zu beachten, wonach Opferzeugen Anspruch auf größtmöglichen Schutz haben (EuGH NJW 2012, 595 ff; 2005, 2839 ff. Vgl. auch BGH 1 StR 465/12 Tz 38 f.). Im Übrigen ist auch zu bedenken, dass der Videovernehmung infolge der damit verbundenen Einschränkungen der Vernehmungssituation ein nur reduzierter Beweiswert zukommen kann. Sie kann daher die Wahrheitsfindung beeinträchtigen. Ob das Gericht von § 247a StPO Gebrauch macht, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Die durch Beschluss – der wegen der nötigen technischen Vorbereitungen außerhalb der Hauptverhandlung (also ohne Schöffen) gefasst werden kann (vgl. BGH 5 StR 315/11) – zu treffende Entscheidung ist gem. § 247a Abs. 1 S. 2 Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 36 StPO nicht anfechtbar und mithin auch der Revision entzogen, § 336 StPO. Das BVerfG deutet allerdings die Möglichkeit an, dass § 247a Abs. 1 S. 2 StPO verfassungskonform dahingehend auszulegen sein könnte, die Unanfechtbarkeit nur für die Anordnung der Videovernehmung und nicht etwa für deren Ablehnung anzunehmen, vgl. 2 BvR 261/14. Ohnehin kann dem Tatopfer aus Art. 2 GG ein klagbarer verfassungsrechtlicher Anspruch auf eine Videovernehmung (und konsequenterweise wohl alternativ auch auf die Anwendung des § 247 StPO) zustehen. Dieser ist mit der Verfassungsbeschwerde (ggfls. einstweilig) durchsetzbar. Auch auf eine mangelnde technische Ausstattung darf sich das Gericht nicht berufen (siehe hierzu BVerfG, Beschluss vom 27.02.2014, 2 BvR 261/14). Ausschluss der Öffentlichkeit Revision: § 338 Nr. 6 StPO Das Gesetz kennt verschiedene Ausschließungsgründe, nämlich: – § 171a GVG sofern sich das Verfahren mit der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt befasst. – § 171b GVG Normzweck ist ein Schutz der Intimsphäre von Prozessbeteiligten, Zeugen oder Verletzten, soweit nicht das Interesse an der öffentlichen Erörterung überwiegt. Besonders Opfer von Sexualstraftaten und Minderjährige sollen geschützt werden. Betroffene haben hierauf einen Anspruch, § 171b Abs. 3 GVG wobei der entsprechende Antrag auch schon vor der Hauptverhandlung gestellt werden darf (BGH 4 StR 389/13). Ein Ausschluss der Öffentlichkeit ist für sämtliche Abschnitte der Hauptverhandlung möglich, also auch schon für die Verlesung der Anklage (BGH 4 StR 623/11 Tz 9). Für die Schlussanträge ist die Öffentlichkeit unter den Voraussetzungen des § 171b Abs. 3 S. 2 GVG sogar von Amts wegen auszuschließen. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 37 Die Staatsanwaltschaft hat auch hier eine Wächterfunktion (vgl. Nr. 131 RiStBV): Ausschluss der Öffentlichkeit Allgemeines Unabhängig vom Gericht hat auch der Staatsanwalt zu prüfen, ob es geboten ist, die Öffentlichkeit für die ganze Hauptverhandlung oder für einen Teil auszuschließen. Stellt er einen solchen Antrag, so hat er ihn zu begründen. All die entsprechenden Gerichtsentscheidungen sind inhaltlich unanfechtbar, § 171b Abs. 5 GVG, seine – formal richtige (!) – Anwendung ist damit i.d.R. ebenfalls der Revision entzogen, § 336 StPO. – § 172 GVG bei Gefährdung der Staatssicherheit, von Privatgeheimnissen etc. sowie bei Vernehmung einer Person unter 18 Jahren. – § 175 GVG bzgl. einzelner Personen, welche "unerwachsen" sind oder die Würde des Gerichts nicht wahren. – § 177 GVG für "ungehorsame", störende Personen, gegen die neben einer Entfernung aus dem Sitzungszimmer auch sonstige Ordnungsmittel (vgl. § 178 GVG) angewandt werden können. – § 48 Abs. 1 JGG zwingend für das gesamte Jugendstrafverfahren (einschließlich der Verkündung der Entscheidung), da hier der Gedanke der Erziehung und des Schutzes Vorrang vor dem Prinzip der Öffentlichkeit genießt. Im Verfahren gegen Heranwachsende kann in demselben Umfang die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, wenn dies in deren Interesse geboten ist, § 109 Abs. 1 S. 4 JGG. Ausschluss der Öffentlichkeit erfordert: begründeten Gerichtsbeschluss, § 174 Abs. 1 S. 2 GVG dessen öffentliche Verkündung (zu Ausnahmen vgl. § 174 Abs. 1 S. 2 GVG). Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 38 Opferbezogene „Beweisanträge“ Unter Beachtung der BGH-Rechtsprechung ist zunächst (wie immer!) zu prüfen, ob ein als "Beweisantrag" bezeichnetes Gesuch sich überhaupt als ein solcher im Rechtssinne darstellt. Ist dies nicht der Fall und gebietet es auch die Aufklärungspflicht nicht, dem Antrag nachzugehen, so bedarf es i.d.R. auch keiner (ablehnenden) Gerichtsentscheidung. Aus Sicherheitsgründen sollte aber jeder „Beweisantrag“ auch beschieden werden. Bei opferbezogenen Beweisanträgen ist letztlich die Bedeutungslosigkeit (Abs. 3 Satz 2, Alt. 2) maßgebend: aus Rechtsgründen (z.B. wenn eine Verurteilung schon mangels Strafantrages oder wegen Verjährung ausscheidet) aus tatsächlichen Gründen, wenn zwischen der gedanklich als voll bewiesen zu unterstellenden (vgl. BGH 5 StR 143/13 Tz 6) Beweistatsache und der Tat kein Zusammenhang besteht oder trotz eines solchen Zusammenhanges eine Beeinflussung der Entscheidung ausgeschlossen erscheint, weil das Gericht aus der Beweistatsache auch dann keine relevanten Schlüsse ziehen würde, wenn sie erwiesen wäre (BGH 3 StR 154/13 Tz 9; 3 StR 135/13 Tz 8; NJW 2004, 3056). Das Gericht ist verpflichtet, bei seiner Entscheidung über den Umfang der Beweisaufnahme Opferschutzinteressen in seine Erwägungen einzubeziehen (BGH 1 StR 209/09; NStZ 2007, 21 f). Erörterungen und Beweiserhebungen zum Privat- und insbesondere auch Intimleben eines Zeugen sind also nur nach sorgfältiger Prüfung ihrer Unerlässlichkeit statthaft. BGH 1 StR 209/09: „Auch im Rahmen seiner vorrangigen Verpflichtung zur Wahrheitsermittlung hat das Gericht auf die Achtung der menschlichen Würde eines Zeugen, wie sie sich letztlich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt, Bedacht zu nehmen Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 39 (BGH NJW 2005, 1519, 1520 m.w.N., namentlich unter Bezugnahme auf den Rahmenbeschluss der Europäischen Union über die Stellung des Opfers im Strafverfahren vom 15. März 2001). Hierauf hat auch die Staatsanwaltschaft - auch in der Hauptverhandlung - hinzuwirken (vgl. Nrn. 19a Abs. 2, 127 Abs. 2, 130a Abs. 3 RiStBV). Hieran gemessen waren im vorliegenden Fall Fragen an die vergewaltigte Zeugin, der die Angeklagten bis kurz vor der Tat unbekannt waren, über ihr Eheleben mit ihrem tatunbeteiligten Mann, etwa nach dem letzten ehelichen Geschlechtsverkehr vor der Tat, abwegig. Denn es ist nicht ersichtlich, inwiefern sich die Aufklärung dieser Umstände auf die Entscheidung hätte auswirken können.“ Es gibt keine allgemeine, personale „Glaubwürdigkeit“, insbes. bei Sexualstraftaten. Der „Leumund“ ist für das Strafverfahren nicht von Belang. Entscheidend ist allein, ob sich die Verlässlichkeit der Angaben zu der Tat erweisen lässt (vgl. auch § 68a Abs. 2 StPO: Fragen sind zu stellen, die sich auf die „Glaubwürdigkeit in vorliegender Sache“ beziehen). Es bedarf regelmäßig auch keiner „Glaubwürdigkeitsgutachten“, da das Gericht über die eigene Sachkunde verfügt, § 244 Abs. 4 S. 1 StPO: In der Tatsacheninstanz entscheidet der Richter selbst, ob er über die nötige eigene Sachkunde verfügt. Ggfls. ist im Urteil darzulegen, woher die eigene Sachkunde stammt (vgl. BGH NStZ 2008, 645 f). Vorsicht bei Kapitalsachen (BGH 5 StR 230/11), Brandstiftung (BGH NStZ 2008, 644) und sexueller Devianz im Alter. Insbesondere hinsichtlich der Einschätzung der "Glaubwürdigkeit" verfügt das Gericht in der Regel über die notwendige Sachkunde, so dass es eines entsprechenden Sachverständigengutachtens nicht bedarf (BGH 1 StR 602/12; 1 StR 509/10; 1 StR 155/09; 3 StR 364/08; BVerfG NJW 2004, 211). BGH: „Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass Berufsrichter über diejenige Sachkunde bei der Anwendung aussagepsychologischer Glaubwürdigkeitskriterien verfügen, die für die Beurteilung von Aussagen auch bei schwieriger Beweislage erforderlich ist, und dass sie diese Sachkunde den beteiligten Laienrichtern vermitteln können.“ Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 40 Etwas anderes muss naturgemäß gelten, wenn besondere Umstände in der Person des Zeugen hinzutreten. Hierbei kann es sich z.B. um psychische Erkrankungen, wie etwa Persönlichkeitsstörungen oder Psychosen, handeln (siehe BGH 5 StR 39/13 Tz 8; 5 StR 428/12 Tz 14 - partielle Amnesie der Zeugin -; 5 StR 174/12; 2 StR 185/10; 5 StR 419/09). Auch bei kindlichen oder jugendlichen Zeugen kann die Einschaltung eines Sachverständigen angezeigt sein, etwa um die Aussagetüchtigkeit zu überprüfen. Allerdings benötigt das Gericht auch hier in der Regel einen Sachverständigen nicht (BGH NStZ 2005, 394 m.w.N.). Selbstverständlich setzt eine aussagepsychologische Exploration stets die Zustimmung des Betroffenen voraus (BGH 1 StR 602/12). Nichts anders gilt, wenn beantragt wird, die „Glaubwürdigkeit“ des Angeklagten, also die Belastbarkeit seiner Einlassung, sachverständig untersuchen zu lassen. Das ist allenfalls nötig, wenn es ausnahmsweise einer außergewöhnlichen Sachkunde bedarf (BGH 4 StR 344/12). Opfergerechte Entscheidung Opferschutz bedeutet in letzter Konsequenz natürlich auch einen adäquaten Verfahrensausgang bei Gericht: - „Richtige“ Aussagebewertung - Kein Deal - Schuldangemessene Strafe (z.B. richtige Anwendung von § 21 StGB) - Adhäsionsentscheidung - Bei Bewährung: Auflagen zur Schadenswiedergutmachung - Revisionssichere Urteilsabfassung (ca. 20 % der angefochtenen Urteile werden vom BGH ganz oder teilweise aufgehoben/abgeändert). - Information des Opfers und relevanter Stellen (z.B. Jugendamt) über Ausgang des Verfahrens Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 41 Beachtung der Kognitionspflicht § 264 StPO: Gegenstand der Anklage und des Urteils ist die in der Anklage be- zeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt. „Tat“ ist der von der Anklage umrissene, „nach der Auffassung des Lebens eine Einheit bildende geschichtliche Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte ein Delikt verwirklicht haben soll“. Zur „Tat“ gehört alles, was nach "natürlicher Auffassung" mit dem in der Anklage bezeichneten und vom erkennbaren Verfolgungswillen der Staatsanwaltschaft erfassten (maßgeblich ist also im Zweifel das „wesentliche Ergebnis der Ermittlungen“, BGH 5 StR 462/12 Tz 7; 1 StR 412/11 Tz 12 f; NStZ-RR 2009, 289 f.) geschichtlichen Geschehen einen einheitlichen Lebensvorgang bildet, also was in einem solch engen sachlichen, räumlichen und zeitlichen Zusammenhang steht, dass die getrennte Würdigung der Geschehnisse als „unnatürliche Aufspaltung“ eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde (st. Rspr. BGH 1 StR 374/13 Tz 15; 5 StR 462/12 Tz 5; 3 StR 255/11). In diesem Rahmen muss der Tatrichter seine Untersuchung auch auf Teile der Tat erstrecken, die erst in der Hauptverhandlung bekannt werden, sog. Kognitionspflicht (BGH 2 StR 308/13 Tz 20; 3 StR 113/13 Tz 3 f; 1 StR 263/12 Tz 13; 3 StR 255/11). Das Gericht darf nach § 264 StPO also den Schuld- oder den Freispruch nicht auf solche Lebensvorgänge erstrecken, die nicht (formal korrekt) angeklagt sind. Andererseits muss es den angeklagten Lebenssachverhalt umfassend aufklären und rechtlich würdigen. Ein Freispruch ist nur dann gerechtfertigt, wenn der in Bezug auf die angeklagte Tat (als historischer Lebenssachverhalt) festgestellte Sachverhalt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Schuldspruch trägt (vgl. BGH 3 StR 113/13 Tz 3 f; 1 StR 648/11 Tz 9 f; 4 StR 518/09). Besonderheiten gelten für Serienstraftaten im Bereich der Sexualdelikte. Hier genügt für Anklage und Urteil Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 42 – Bezeichnung des Tatopfers – der Anzahl (bzw. Höchstzahl) der Straftaten, ggfls. mit einem „Sicherheitsabschlag“ (so BGH 2 StR 316/13) – der Grundstruktur der Tatbegehung – die Eingrenzung des Tatzeitraumes (siehe hierzu auch BGH 5 StR 297/13 Tz 3; 4 StR 7/11; NStZ 2011, 47; BGH 4 StR 7/11; 3 StR 255/11; 3 StR 375/08). BGH 3 StR 375/08: „Wie bei jeder Verurteilung muss der Tatrichter auch bei Serienstraftaten, wie sie in länger andauernden Missbrauchsbeziehungen vorkommen, von jeder einzelnen individuellen Straftat überzeugt sein (BGHSt 42, 107, 109). Zur Vermeidung unvertretbarer Strafbarkeitslücken dürfen aufgrund der Feststellungsschwierigkeiten solcher oft gleichförmig verlaufenden Taten über einen langen Zeitraum zum Nachteil von Kindern und/oder Schutzbefohlenen, die in der Regel allein als Beweismittel zur Verfügung stehen, zwar keine überzogenen Anforderungen an die Individualisierbarkeit der einzelnen Taten im Urteil gestellt werden (BGH NStZ 1994, 502). Der Tatrichter muss sich aber in objektiv nachvollziehbarer Weise zumindest die Überzeugung verschaffen, dass es in einem gewissen Zeitraum zu einer bestimmten Mindestzahl von Straftaten gekommen ist (BGH StV 2002, 523). Dabei steht nicht in erster Linie die Ermittlung einer Tatfrequenz, sondern die des konkreten Lebenssachverhalts im Vordergrund; dieser ist ausgehend vom Beginn der Tatserie mit den unterschiedlichen Details etwa zu Tatausführung und Tatort der einzelnen Straftaten in dem gegebenen Tatzeitraum - notfalls auch ohne genaue zeitliche Einordnung und lediglich unter Festlegung einer Mindestzahl der begangenen Delikte nach dem Zweifelssatz - festzustellen und abzuurteilen.“ Täter-Opfer-Ausgleich, § 46a StGB: Der Täter-Opfer-Ausgleich setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – neben einem Geständnis (BGH NStZ 2008, 452 f) – einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer (bei mehreren Geschädigten: allen Opfern, BGH 2 StR 131/13 Tz 8) voraus, der auf einen umfassenden friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt sein muss. Dafür ist eine von beiden Seiten akzeptierte, ernsthaft mitgetragene Regelung Voraussetzung. Wenngleich ein "Wiedergut-machungserfolg" nicht zwingende Voraussetzung Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 43 ist, so muss sich doch das Opfer auf freiwilliger Grundlage zu einem Ausgleich bereitfinden und sich auf ihn einlassen (BGH NStZ 2006, 275). Bei einem schwerwiegenden Sexualdelikt wird eine entsprechende, zumindest annähernd gelungene Konfliktlösung in der Regel aus tatsächlichen Gründen nur schwer erreichbar sein (BGH NStZ 2008, 452 f). Allein die Annahme eines Schmerzensgeldangebots ist regelmäßig noch kein ausreichendes Indiz dafür, das Opfer wolle sich damit auch auf den nach § 46a Nr. 1 StGB erforderlichen kommunikativen, auf umfassenden friedensstiftenden Ausgleich der Tatfolgen angelegten Prozess mit dem Täter einlassen (BGH 4 StR 51/12 Tz 16; 3 StR 267/11). Regelmäßig sind tatrichterliche Feststellungen dazu erforderlich, wie sich das Opfer zu den Anstrengungen des Täters gestellt hat, wie sicher die Erfüllung einer etwaigen Schmerzensgeldzahlungsverpflichtung ist und welche Folgen diese Verpflichtung für den Täter haben wird (BGH 4 StR 51/12 Tz 16; 4 StR 290/11 Tz 13). Auch die tatsächliche Erfüllung von Schadensersatzansprüchen allein genügt nicht (BGH 1 StR 634/09). Vielmehr muss der Täter-Opfer-Ausgleich immer Zeichen der Übernahme von Verantwortung für die Tat sein. Hieran fehlt es, wenn der Täter die Opfer-Rolle des Geschädigten bestreitet, sich z.B. auf Notwehr beruft, und zwar selbst dann, wenn zugleich Zahlungen erfolgen oder angeboten werden (BGH 4 StR 109/13 Tz 11; 1 StR 393/10; 2 StR 391/09; NStZ-RR 2008, 304). Es kann aber genügen, wenn das Opfer Leistungen des Täters (insbesondere auf Grundlage eines Vergleichs) als friedensstiftenden Ausgleich endgültig akzeptiert (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 304). Schließlich wird verlangt, dass das Verhalten des Täters im Verfahren Ausdruck der Übernahme von Verantwortung ist und erkennbar wird, dass er die Opferrolle respektiert, so dass der Konflikt über die Rollenverteilung von Täter und Opfer beendet ist (BGH 2 StR 344/11; 1 StR 297/09). Bei mehreren Tatopfern muss hinsichtlich jedes Geschädigten jedenfalls eine Alternative des § 46 a StGB erfüllt sein (BGH 4 StR 290/11 Tz 10). Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 44 Das Adhäsionsverfahren Das Tatopfer hat oftmals nur das Adhäsionsverfahren, um seine zivilrechtlichen Ansprüche durchzusetzen. Es ist daher beschwert, wenn es grundlos auf ein zeit- und kostenintensives Verfahren vor den Zivilgerichten verwiesen wird. Dies kann sogar (abgesehen von Amtshaftungsansprüchen) dazu berechtigen, den Strafrichter wegen einer Besorgnis der Befangenheit abzulehnen (BVerfG NJW 2007, 1670 ff). Das Adhäsionsverfahren soll seit 2004 den Regelfall der materiellen Kompensation bei Straftaten darstellen. Rechtswirklichkeit: Prozentualer Anteil der Adhäsionsverfahren an den durch Urteil entschiedenen Verfahren (einschließlich gerichtlich protokollierter Vergleiche) bei einem theoretischen Potential von rund 53 %: 9 8 7 6 5 AG 4 LG 3 2 1 0 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Die Zahlen in NRW liegen für 2013 bei den Amtsgerichten bei nur 1,5 % und bei den Landgerichten mit 6,4 % ebenfalls unter dem Bundesdurchschnitt. Vorteile des Adhäsionsverfahrens Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 45 Keine Bindung an zivilprozessuale Streitwertgrenzen, d.h. auch das Amtsgericht kann die im Einzelfall angemessene Kompensation zusprechen; kein Anwaltszwang für Geschädigte; Mit der Rechtskraft der strafgerichtlichen Entscheidung ist auch über die zivilrechtlichen Ansprüche des Geschädigten – zumindest im Wege des Grundurteils – entschieden; Adhäsionsverfahren vollzieht sich nach der StPO. Das Strafgericht ist zur Amtsermittlung verpflichtet. Diese bezieht sich auch auf den durch die Tat verursachten Schaden. Eine Mehrbelastung ist mit dem Adhäsionsverfahren also i.d.R. nicht verbunden; Wer über den Schuldspruch entscheidet, muss in der Lage sein, zugleich auch über Schmerzensgeldansprüche zu befinden bzw. ein Grundurteil zu fällen; Eine Adhäsionsentscheidung im Strafverfahren steht einem zivilrechtlichen Titel gleich, § 406 Abs. 3 StPO. Ein (etwa bei Verkehrsunfällen) hinter dem Schädiger stehender Haftpflichtversicherer wird hierdurch jedoch weder verpflichtet, noch das in einem Folgeprozess zur Entscheidung berufene Gericht insoweit gebunden, vgl. BGH NJW 2013, 1163 ff. Der Geschädigte kann weitergehende Ansprüche – wie auch im Falle eines Grundurteils – vor dem Zivilgericht geltend machen, vgl. § 406 Abs. 3 S. 3 und 4 StPO Pflichten des Gerichts: Der Verletzte ist - als Amtspflicht - über seine Befugnisse zu belehren, § 406 h Abs. 1 und 2 StPO. „Verletzter“ ist hier jeder, dem aus der Tat materiell-rechtliche Ansprüche erwachsen sind. Antrag ist dem Angeklagten von Amts wegen zuzustellen, wenn er nicht – was möglich ist – innerhalb der Hauptverhandlung gestellt wird, § 404 Abs. 1 StPO. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 46 Auf Antrag des Verletzten und des Angeklagten ist ein Vergleichsvorschlag zu unterbreiten und ggfls. ein Vergleich zu protokollieren, § 405 Abs. 1 StPO. Entsteht später Streit über die Wirksamkeit oder den Inhalt des Vergleichs, so kommt dieser vor das Zivilgericht, § 405 Abs. 2 StPO. Vereinbarung materieller Kompensation muss ggfls. für die Strafzumessung nach § 46 a StGB beachtet werden Ggfls. ist Anerkenntnisurteil zu erlassen, § 406 Abs. 2 StPO, und zwar unabhängig von einer Verurteilung, vgl. AG Berlin-Tiergarten NStZ-RR 2011, 383. Pflicht zur Entscheidung über einen begründeten Adhäsionsantrag, und zwar zumindest in Form eines Grund- oder Teilurteils, § 406 Abs. 1 StPO Ausnahmen: - der Antrag ist unzulässig - er ist inhaltlich unbegründet - Entscheidung würde zu einer „erheblichen“ Verzögerung führen, was bei der Geltendmachung von Schmerzensgeld jedoch ausgeschlossen ist (§ 406 Abs. 1 a.E.). Die Beschränkung kann aber im Einzelfall bei einer besonderen Vielzahl von Geschädigten (so BGH 5 StR 96/10 für den Fall von mehr als 800 Geschädigten in einem Betrugsverfahren) oder dann zum Tragen kommen, wenn bei mehreren Tätern schwierige zivilrechtliche Zurechnungsfragen zu klären sind oder komplizierte medizinische Probleme der Kausalität zwischen Verletzungshandlungen und -folgen auftreten (BGH 3 StR 468/12 Tz 6 ff für den Fall eines Mittäterexzesses). Auch ein Grundurteil kann im Falle eines Schuldspruchs regelmäßig nicht zur Verzögerung führen. Soll von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen werden, so besteht eine Hinweispflicht, § 406 Abs. 2 StPO. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 47 Bei Beleidigungen kommt Schmerzensgeld nur für schwere Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht in Betracht (BGH 2 StR 525/12; OLG Stuttgart NStZ-RR 2014, 285 f zur Beleidigung von Polizeibeamten, die i.d.R. einen Schmerzensgeldanspruch nicht begründen soll). Der Feststellungstitel setzt – neben einem Feststellungsinteresse i.S.d. § 256 ZPO – natürlich voraus, dass im Urteil Umstände beschrieben werden, die einen Daueroder Zukunftsschaden (wie etwa bei schweren Verletzungen) wahrscheinlich machen, vgl. BGH 4 StR 471/13 Tz 5; 2 StR 306/13 Tz 12. Wird einem bezifferten Adhäsionsantrag teilweise nicht entsprochen, so ist im Hinblick auf § 406 Abs. 3 Satz 3 StPO zur Verdeutlichung ausdrücklich zu tenorieren, dass „im Übrigen von einer Entscheidung abgesehen“ wird (BGH 3 StR 276/14 Tz 6). Es wird also nichts „abgewiesen“ oder „zurückgewiesen“. Über den entscheidungsfreien Teil ist bei der Kosten- und Auslagenentscheidung gemäß § 472a StPO nach billigem Ermessen zu entscheiden. Die (ggfls. teilweise) Kostenüberbürdung auf den Adhäsionskläger sollte auf (eher seltene) Fälle des Missbrauchs beschränkt werden (vgl. Meyer-Goßner, 56. Auflg., § 472a Rn 9). Soweit das Strafgericht bezüglich des entstanden Schadens ein Mitverschulden annehmen will, muss es dies entweder – ggfls. als Quote – tenorieren oder zumindest in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck bringen. Enthält die Entscheidung keine entsprechende Einschränkung, so ist der Angeklagte im Zivilverfahren mit dem Einwand des Mitverschuldens ausgeschlossen. Entbehrlich ist eine solche ausdrückliche Quote allerdings beim Grundurteil zum Schmerzensgeldanspruch, da bei dessen Bemessung ein Mitverschulden ohnehin berücksichtigt wird (vgl. zu alldem BGH 4 StR 572/13 Tz 10; OLG Karlsruhe MDR 2011, 979 f m.w.N.). Die Adhäsionsentscheidung steht einem zivilrechtlichen Titel gleich, § 406 Abs. 3 StPO. Aus ihr kann also mit den Erleichterungen des § 850f Abs. 2 ZPO unmittelbar vollstreckt werden. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn 48 Begründung der Adhäsionsentscheidung Die Verurteilung zu Schmerzensgeld erfordert regelmäßig auch die Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Schädiger und Geschädigtem (vgl. BGH 3 StR 388/13 Tz 5; 3 StR 372/13 Tz 5; 2 StR 206/12 Tz 20 f). Bei mittäterschaftlicher Begehung sind zudem die möglicherweise unterschiedlichen Tatbeiträge in ihrer Intensität und Wirkung für das Tatopfer zu gewichten (siehe BGH 3 StR 372/13 Tz 3 f). Urteilsverkündung und Urteil Die mündliche Erläuterung dient der vorläufigen Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten über das Beratungsergebnis, also über dasjenige, was in der schriftlichen Urteilsbegründung zu erwarten ist (BGH 1 StR 534/11 Tz 3). Dabei sollen die schutzwürdigen Interessen insbesondere von Opferzeugen berücksichtigt werden, § 268 Abs. 2 S. 3 StPO. Insbesondere bei Sexualstrafsachen ist daher – jedenfalls bei einer Anwesenheit von Zuschauern – eine detaillierte Tatschilderung oder Namensnennung betreffend der Opfer nicht angezeigt. Im schriftlichen Urteil ist die Tat natürlich in den Einzelheiten darzustellen. Vorsicht ist beim Einfügen von Fotos geboten. Ob Abbildungen (mangels Verlesbarkeit) überhaupt in ein Urteil aufgenommen werden dürfen, ist unklar. Bei Fotos sind zudem die Belange des Abgebildeten zu beachten. So haben insbesondere solche des Tatopfers oder solche mit pornographischem Inhalt aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes in den Urteilsgründen nichts zu suchen, BGH 3 StR 50/13; 4 StR 328/09 m.w.N. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes Mainz, 04.11.2014 Dr. Klaus Haller, LG Bonn