& Ökonomie Praxis Ökonomie & Praxis Medikamente Fakten · Kosten · Trends Informationen für Vertragsärzte der Kärntner Gebietskrankenkasse Chronische Wunden – modernes Wundmanagement Seite 2–4 Realversorgung des Diabetes mellitus Typ 2 mit oralen Antidiabetika (OAD Seite 5 – 7 Antiarrhythmische Therapie Seite 8 – 9 Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) zum klinischen Einsatz der tragbaren DefibrillatorWeste (WCD) Oktober Seite 10 – 2015 12 www.kgkk.at Jahrgang 26 Oktober 2015 1 94. Ausgabe Ökonomie & Praxis 2 94. Ausgabe Ökonomie & Praxis Chronische Wunden Modernes Wundmanagement | Priv.-Doz. Dr. Barbara Binder Eine Wunde wird als chronisch definiert, wenn sie trotz kausaler und fachgerechter Therapie innerhalb von 8 Wochen keine Heilungstendenz zeigt beziehungsweise nach 12 Wochen nicht spontan abgeheilt ist. Mögliche Ursachen für die Entstehung chronischer Wunden sind unter anderem die chronisch venöse Insuffizienz (CVI), die periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK), Diabetes mellitus oder eine chronische Druckeinwirkung sowie Spätfolgen nach Verbrennungen. Die feuchte Wundbehandlung hat heute eine feste Stellung in der Therapie von chronischen Wunden; ausgenommen davon ist die trockene Gangrän. Ein physiologisches, feuchtes Wundmilieu unterstützt die Heilung, indem es ein ideales Mikroklima für die überlappend ablaufenden Wundheilungsphasen ermöglicht. Zusätzlich sorgen atraumatische Verbandswechsel für anhaltende Wundruhe und beschleunigen somit die Heilung. Die Wundheilungsphasen gliedern sich in: Reinigungs-, Granulationsund Epithelialisierungsphase, wobei die einzelnen Phasen fließend ineinander übergehen. Die Lokaltherapie muss daher diesen Wundstadien immer wieder angepasst werden. Vor Beginn der Therapie ist es unabdingbar, eine Abklärung der Ursache durchzuführen, damit auch eine mögliche kausale Intervention (zum Beispiel Varizenoperation, Rekanalisierung bei PAVK etc.) bereits am Beginn im Therapieplan berücksichtigt wird. Oktober 2015 Bestimmung der Stoffwechsellage, Medikamenten- und Allergieanamnese, sowie Beurteilung des Allgemeinund Ernährungszustandes runden das Bild ab. Für die Behandlung der chronischen Wunde sind derzeit verschiedene Produkte im Handel, in diesem Artikel wird auf die am häufigsten verwendeten Verbandsstoffe eingegangen. Am Behandlungsbeginn ist es notwendig, nekrotisches Material zu entfernen, da Nekroseareale die Heilung hintanhalten. Die Nekrektomie erfolgt mechanisch mittels Skalpell oder scharfem Löffel; unterstützt im Intervall durch Enzymexterna, wie Streptokinase und Streptodornase, oder Kollagenasen. Kurzfristige Umschläge mit Antiseptika oder Ringerlösung im Rahmen der regelmäßigen Verbandswechsel führen ebenso zu einer Reinigung des Ulcus. In hartnäckigen, ausgewählten Fällen führt die Madentherapie zu einem guten Erfolg. Für die Granulations- und Epithelialisierungsphase stehen verschiedene Wundauflagen mit speziellen Wirkungs- und Funktionsmechanismen zur Verfügung. Wichtig ist v.a. ein entsprechendes Exsudatmanagement; eine stark sezernierende Wunde verlangt nach Verbandstoffen, die das überschüssige Sekret in sich aufnehmen, eine Mazeration des Wundrandes verhindern und trotzdem ein feuchtes Wundmilieu aufrechterhalten. Bei sehr starker Sekretion unterstützen sogenannte Superabsorber das Exsudatmanagement; eine solche Wundauflage darf nicht zerschnitten werden, da sich ansonsten die aufquellenden Polymere in der Wunde verteilen. ·A lginate (wirkstofffreie Kalzium-Alginat-Fasern) sind gekennzeichnet durch eine vertikale und horizontale Absorption; daher ist ein Wundrandschutz erforderlich. · Hydrofaserverbände bestehen aus einer stark vertikal absorbierenden Natriumcarboxycellulose; die Wundumgebung wird vor Feuchtigkeit geschützt. Beide Produktgruppen nehmen das Sekret, Bakterien und den Wunddetritus in sich auf, und es entsteht eine gelartige Wundabdeckung. Durch die Verformbarkeit der Wundauflage kann man auch tiefe Defekte austamponieren. Der Verbandswechsel sollte anfangs alle ein bis zwei Tage erfolgen; Kombinationen mit verschiedenen Sekundärverbänden sind möglich. Eine weitere große Gruppe stellen die · Polyurethanschaumstoffverbände dar, die das Sekret in sich aufnehmen und speichern; diese Verbände sind atmungsaktiv und es wird kein Sekret nach außen abgegeben. Einige Produkte sind noch zusätzlich an der Wundseite mit Silikon beschichtet, damit ein Verkleben mit der Wunde verhindert wird. Indikation ist die mäßig bis stark sezernierende Wunde. Der Verband kann abhängig von der Sekretion bis zu 7 Tage lang belassen werden und der Verbandswechsel erfolgt atraumatisch. 3 Ökonomie & Praxis · Hydrokolloidverbände in verschiedenen Stärken quellen durch Aufnahme von Wundsekret und bilden ein visköses Gel, das in die Wunde expandiert und diese feucht hält. Der Verband ist zu wechseln, wenn sich eine Blasenbildung in Größe der Wunde zeigt; kann aber abhängig von der Exsudatmenge bis zu 7 Tage belassen werden. Diese Wundauflagen können bis zur vollständigen Epithelialisierung verwendet werden. Man sollte beachten, dass die Wundumgebung nicht traumatisiert ist, ansonsten kann es beim Verbandswechsel zu einer zusätzlichen Schädigung der Epidermis kommen. ·E ine spezielle Form stellen Aktivkohlekompressen dar. Sie sind in der Lage, sehr effektiv Geruchsmoleküle in die Materialstruktur einzuschließen. ·W undtherapeutika mit Silber sind die erste Wahl bei lokalen Infektionen. Diese antimikrobielle Eigenschaft von Silber wird in Verbandsstoffen mit Aktivkohle, Alginaten, Hydrofasern, Schaumstoffen oder Hydrokolloiden kombiniert, sodass eine synergistische Wirkung der einzelnen Komponenten entsteht. Die lokale Antibotikatherapie ist eher obsolet, da sie keine Wirkung auf die Infektion ausübt und ein hohes kontaktsensibilisierendes Potential aufweist. Systemische antibiotische Therapie ist nur bei ausgeprägter Infektion mit Fieber/Systemzeichen zielführend. Unterstützt wird eine 4 Behandlung von Infektionen durch die Verwendung von Antiseptika zur Reinigung. · Hyaluronsäure oder auch Kollagene vermögen eine chronisch Wunde aus der Stagnation zu befreien, und stellen eine gute Alternative zur Förderung der Wundheilung dar. · Medizinischer Honig – u.a. der neuseeländische Manuka- Honig, slowenische Kastanienhonig oder niederländische Blütenhonig – ist in verschiedenen Formen – als Gel, Balsam, beschichtete Gaze, Alginatund Polyacrylatverbände – auf dem Markt erhältlich. Eine bedeutende Rolle spielt die antiinfektiöse Komponente sowohl gegen grampositive und – negative Bakterien, Viren als auch Pilze. Bisher wurden noch keine Resistenzen beschrieben. Es kommt zur Entzündungs- und Ödemreduktion, Nekrektomie, Geruchshemmung sowie Förderung der körpereigenen Immunantwort. Die Angiogenese und die Bildung von Granulations- und Epithelgewebe werden angeregt. Bei der Anwendung bedeutend ist, dass der Sekundärverband dem Exsudationsgrad angepasst wird. Täglicher bis zu einwöchiger Verbandswechsel ist notwendig. Medizinischer Honig kann in allen Phasen der Wundheilung angewandt werden und hat seine Indikation bei akuten (Verbrennungen, Strahlendermatitiden) als auch bei infizierten und chronischen Wunden unterschiedlicher Genese. Unabhängig von der Wundauflage muss beim Ulcus cruris venosum, (eine arterielle Minderdurchblutung wurde im Vorfeld ausgeschlossen), eine exakte Kompressionstherapie durchgeführt werden. Beim diabetischen Fußsyndrom, sowie bei Decubitalgeschwüren ist eine konsequente Druckentlastung unverzichtbar. Zusammenfassung: Die Auswahl eines Produktes sollte entsprechend Infektionsgrad, Exsudatmenge und Wundheilungsphase erfolgen. Wichtig bei der Wahl ist auch die Überlegung, wie die Machbarkeit vor Allem im extramuralen Raum gegeben ist und ob eine entsprechende Patientencompliance erwartet werden kann. Nicht zuletzt sollte die Kosteneffizienz berücksichtigt werden. Ulcera jeglicher Genese stellen eine interdisziplinäre Herausforderung dar. Eine ausführliche primäre Diagnostik, die kausale Therapie, phasengerechte Wundbehandlung, entsprechende Schmerztherapie wie auch Ernährungsumstellung führen zu einer positiven Beeinflussung der Wundheilung. Korrespondenzadresse: Priv.-Doz. Dr. Barbara Binder Univ.-Klinik für Dermatologie und Venerologie Medizinische Universität, Graz Auenbruggerplatz 8, A-8036 Graz E-Mail: [email protected] 94. Ausgabe Ökonomie & Praxis Therapieziele und Daten Realversorgung des Diabetes mellitus Typ 2 mit oralen Antidiabetika (OAD) OAD sollen laut den Leitlinien der österreichischen (ÖDG) und deutschen (DDG) Diabetes-Gesellschaft erst in der Stufe 2 zum Einsatz kommen, wenn grundlegende Basismaßnahmen (Ernährung, Bewegung, Lebensstiländerung) trotz konsequenter Einhaltung über drei bis sechs Monate keine entsprechende HbA1c Senkung in den Zielbereich bewirkt haben (1, 2). Der HbA1c Zielkorridor wird mit 6,5 % bis 7,5 % bemessen, wobei umso niedrigere Zielwerte gefordert werden, je jünger der Patient ist, hingegen höhere Zielwerte von 8 % bis Oktober 2015 sogar 9 % (ÖDG) bei älteren Patienten und solchen mit eingeschränkter Lebenserwartung durch Komorbiditäten zu akzeptieren sind. Die Antihyperglykämie-Therapie läuft nach einem algorithmischen Stufenplan ab, Regeltextvorgaben bestimmen Initialtherapien und neben wünschenswerten und zu vermeidenden Pharmaka-Kombinationen auch den Einbezug von Insulinpräparaten. Eine evidenzgesicherte günstige Beeinflussung klinischer Enddaten (diabetische Spätkomplikationen, Tod) liegt derzeit nur für Metformin und Sulfonylharnstoffe vor (2), wobei letztere aufgrund ihres Nebenwirkungsprofils nicht mehr als „FirstLine-Therapy“ empfohlen werden. Keine Evidenz für klinische Enddaten trotz guter HbA1c Senkung haben die Substanzklassen α–GlucosidaseHemmer, Glinide sowie die neueren (vorbewilligungspflichtigen) Substanzklassen Gliptine, Glitazone, SGLT2–Inhibitoren und Inkretinmimetika (2). Der vielfach nicht belegbare zusätzliche Patientennutzen 5 Ökonomie & Praxis hinsichtlich klinischer Enddaten lässt deren Einsatz in vielen Fällen hinterfragen, zumal nicht unbeachtliche Nebenwirkungen (z.B. bei Nieren-, Leber-, Herzinsuffizienz, diskutiertes onkogenes Potential) und die hohen Therapiekosten in Kauf genommen werden. Ein Teil dieser Präparate sind als „Second-Line-Therapie“ bei Versagen bisheriger („Grün-Box“-) Pharmaka mit einem Ausgangs HbA1c > 7 % im EKO angeführt. HbA1c in der Realversorgung bei vorbewilligungspflichtigen oralen Antidiabetika Fragestellung für Versorgungsforschung Bei welchem HbA1c werden Typ2-Diabetiker auf ein vorbewilligungspflichtiges Antidiabetikum eingestellt/umgestellt. Methodik und Rahmenbedingungen Auf Basis der Abrechnungsdaten der BGKK im Analysenzeitraum Jänner 2013 bis Mai 2014 wird die Einstellung/Umstellung von Typ-2-Diabetikern auf ein vorbewilligungspflichtiges Antidiabetikum in Abhängigkeit vom HbA1c erhoben. Es werden dabei folgende Antidiabetika inkludiert: Glitazone Mono- und Kombinationspräparate, Gliptine Mono- und Kombinationspräparate, Dapagliflozin und Inkretinmimetika. Erhoben wird der HbA1c Wert im Umfeld der Ersteinstellung auf ein vorbewilligungspflichtiges Antidiabetikum, und bei fakultativem Wechsel auf ein anderes vorbewilligungspflichtiges Antidiabetikum. en, 52 % Männer. Der durchschnittliche HbA1c Wert bei Einstellung auf ein vorbewilligungspflichtiges Antidiabetikum betrug 8,6 % und 50 % der Patienten lagen im Bereich von 7,4 % bis 8,6 %. Anzumerken ist, dass der Großteil aller Patienten (74 %) bei Nichterreichen der HbA1c Zielwerte im Bereich 7,0 % – 9,9 % völlig regelkonform eine Therapieeskalation mit RE1-Präparaten erfuhr. Ein Teil der Patienten erhält eine Therapieeskalation, obwohl der HbA1c Ausgangswert schon sehr niedrig ist. Verteilung der HbA1c Werte bei Ersteinstellung: HbA1c PatienAnteil ten < 6,5 % 41 3% Ergebnisse und Diskussion 6,5 % bis 6,9 % 55 5% Erhoben wurde der HbA1c Wert im Zeitraum Jänner 2013 bis Mai 2014 bei Ersteinstellung auf ein vorbewilligungspflichtiges orales Antidiabetikum aus A10B für Anspruchsberechtigte der BGKK. Das Analysenkollektiv umfasst 1.175 Diabetiker, 48 % Frau- 7,0 % bis 7,9 % 411 35 % 8,0 % bis 8,9 % 291 25 % 9,0 % bis 9,9 % 169 14 % 10,0 % bis 10,9 % 107 9% 11,0 % bis 11,9 % 52 4% 12,0 % bis 12,9 % 31 3% > =13,0 % 18 2% 1.175 100 % 6 94. Ausgabe Ökonomie & Praxis Altersstruktur in Abhängigkeit vom HbA1c Wert bei Einstellung auf ein vorbewilligungspflichtiges Präparat: HbA1c Alter in Jahren 1. Quartile Median 3. Quartile Mittelwert 63,8 73,9 81,2 71,7 6,5 % bis 6,9 % 60,1 71,6 77,9 67,3 7,0 % bis 7,9 % 60,8 67,5 75,7 67,6 8,0 % bis 8,9 % 57,6 65,5 74,7 65,3 9,0 % bis 9,9 % 56,8 64,4 73,3 65,2 10,0 % bis 10,9 % 56,5 64,3 69,1 63,2 11,0 % bis 11,9 % 51,2 58,7 65,0 58,4 12,0 % bis 12,9 % 51,1 58,0 68,2 60,2 > =13,0 % 55,6 61,0 69,9 61,0 < 6,5 % Hierbei fällt auf, dass selbst bei älteren Patienten eine Therapieeskalation auch dann noch durchgeführt wird, obwohl der HbA1c Zielwert mit Altersbezug bereits erreicht wurde. HbA1c nach Altersgruppe: Anzahl HbA1c bei von Einstellung Patienten < 70 Jahre 705 8,8 % Altersgruppe > 70 Jahre 470 8,2 % Die Hypothese, dass eine scharfe Einstellung vor allem bei jüngeren Diabetikern angestrebt wird, kann mit den Abrechnungsdaten nicht bestätigt werden. Oktober 2015 > Der Typ-2-Diabetes ist ein komplexes Krankheitsgeschehen, wobei Fettstoffwechselstörungen und Hypertonie essentielle Krankheitskomponenten sind und eine morbiditäts- und prognoseweisende Bedeutung haben. Gerade deren Behandlung (mit Statinen, ACE-Hemmern usw.) hat hohe Evidenz in der Vermeidung von Spätkomplikationen und sollte daher Vorrang gegenüber jeglicher Therapieeskalation mit RE1-Präparaten zur bloßen Blutzuckersenkung haben. Zusammenfassend lässt sich aus den Leitlinien und der Stichprobe aus den Abrechnungsdaten festhalten: > Bei 92% der Patienten erfolgte die Ein- und Umstellung der vorbewilligungspflichtigen OAD leitlinienkonform ab einem HbA1c > 7 %. > Der altersmäßig nach oben korrigierte HbA1c Zielkorridor mit vorgesehenen HbA1c Zielwerten bis 8 % und darüber könnte noch mehr Beachtung bei der Umsetzung finden. > Weitgehend offen ist noch die Frage, welche RE1-Präparate in welchen Kombinationsvarianten man wie lange ausprobieren sollte, ehe man auf ein entsprechend geeignetes Insulinpräparat umstellt. Zitierte Leitlinien 1Clodi M et al: Diabetes Mellitus – Anleitungen für die Praxis. Wien Klin Wochenschr (2012) 124 [Suppl 2]: 1–128. http://www.oedg.org/pdf/1302_ OEDG_Leitlinien.pdf, Zugang am 9.4.2015 2Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale Versorgungsleitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes – Langfassung, 1. Auflage. Version 4. 2013, zuletzt geändert: November 2014. www.dm-therapie.versorgungsleitlinien.de, Zugang am 9.4.2015 7 Ökonomie & Praxis Antiarrhythmische Therapie: Unverzichtbare Medikamente im Zeitalter der Katheter Ablation Herzrhythmusstörungen werden von den Betroffenen als unangenehme bis bedrohliche Ereignisse empfunden und wurden medizin-historisch häufig als Ausdruck eines schweren Herzleidens bis zum Vorboten des Herztodes eingeschätzt. Seit langem wurden Medikamente auf pflanzlicher Basis eingesetzt (z.B. Fingerhut – Digitalis, Chinarinde – Chinidin, Schlangenwurzel – Ajmalin u.a.m.), die Palette an Pharmaka hat sich mittlerweile enorm erweitert. Der große Paradigmenwechsel mit Ende des bis dahin steigenden Medikamenten-Booms erfolgte in den 90er Jahren durch die · Erkenntnis, dass medikamentöse Antiarrhythmika (AAD) den plötzlichen Herztod (SCD) weniger verhindern sondern ob ihres „proarrhythmischen Effekts“ sogar begünstigen können (CAST-Studie, Klasse Ia AAD). Dieser Effekt beruht neben genetisch bedingten Störungen u.a. auch auf einer Verlängerung der QT- Dauer bei Ia, Ic und III – AAD (siehe Tab.2) · standardmäßige Implantation eines Herzschrittmachers (PM) bei bestimmten Bradyarrhythmien (z.B. Sick Sinus Syndrom, AV-Block Mobitz II und III) · Implantation des ICD als sicheres Mittel gegen den SCD · H ochf requenz-Katheterablation (KAB) als kausale und damit endgültige Arrhythmie Behandlung. Während die Erwartungen, Ziele und Indikationen einer antiarrhythmischen Therapie gleichgeblieben sind, haben sich deren Behandlungsoptionen deutlich erweitert, siehe Tab. 1. Die Ursachen von Herzrhythmusstörungen liegen teils in Anomalien im 8 Reizleitungssystem (akzessorische Bahnen, Kanalerkrankungen - z.B. Brugada-Syndrom, Wolff-ParkinsonWhite [WPW]-Syndrom, Long-QTSyndrom), in erster Linie aber bei organischen kausal zu behandelnden Herzerkrankungen (Myokarditis, KHK, Kardiomyopathie). Zu den wichtigsten Indikationen für die Katheter Ablation (KAB) zählen: · Reentry-Tachykardien durch Vorhof und Ventrikel (AVRT), insbesondere durch den AV-Knoten (AVNRT) · Präexzitation / akzessorische Bahnen (z.B. WPW) · fokale (supra-) ventrikuläre und junktionale Tachykardien · Vorhofflattern · Vorhofflimmern Die KAB sollte stets als kausale Therapieoption, auch wenn nur beschränkt verfügbar, bei obigen Diagnosen erwogen werden. AAD wurden 1970 von E.M. Vaughan Williams nach deren elektrophysiologischer Wirkung klassifiziert, siehe Tab.2. Nicht enthalten sind wichtige Substanzen wie Adenosin, Digitalis, Ma- gnesium, Ivabradin und solche zur Beeinflussung des vegetativen Nervensystems (z.B. synthetische Katecholamine, Atropin). Auffallend ist, dass in den letzten 15 Jahren vor allem AAD der Klasse-I die Zulassung entzogen wurde und Neuentwicklungen in erster Linie Klasse-III - Substanzen betrafen. Die Domäne der AAD liegt in der i.v. Akuttherapie und seltener (nach Ausschluss einer KAB und individueller Festlegung) bei der chronischen p.o. Langzeitanwendung. In der Akuttherapie unentbehrlich sind die „3 A-s“: Adrenalin: 1 mg i.v. zur Behebung von totalem AV-Block und Asystolie, eventuell nach vorangegangenem Therapieversuch mit Atropin („4. A“ als klassisches „Vagolytikum“). Bedingt durch die kurze Wirkungsdauer von Adrenalin sind Wiederholung und Dosissteigerung oft erforderlich. Adenosin: wirkt nur als Bolus Applikation i.v. (über venöse Leitung rasch nachfolgend 10-20 ml Bolus physiologische NaCl, Ringer oder Glucose geben!) selektiv zur AV-Knoten- Tab. 1: Indikationen und Therapie von Arrhythmien: Indikationen 1 Akuttherapie von Arrhythmien 2 Verhinderung des SCD 3 Rhythmus Ersatz 4 dauerhafte Unterdrückung von Arrhythmien 5 Reduktion subjektiv störender Rhythmusstörungen AAD PM ICD KAB ++ - + (+) (+) - ++ (+) - ++ - - (+) - - ++ ? - - ? ++ Therapie der Wahl | + Therapie geeignet | (+) Therapie bedingt geeignet | - Therapie ungeeignet | ? Therapie fragwürdig bzw. nicht allgemein anerkannt 94. Ausgabe Ökonomie & Praxis Blockade über Sekunden – es kann AVNRT nicht nur (differenzial)diagnostizieren, sondern auch sofort beenden. Adenosin ist aber kontraindiziert bei akzessorischen schnell leitenden AV-Bahnen, wenn die physiologische AV-Knoten Verzögerung unentbehrlich ist (z.B. WPW mit tachykardem Vorhofflimmern) Amiodaron: ist der Allrounder bei (supra-)ventrikulären Tachykardien bzw. Vorhofflimmern insbesondere bei Herzinsuffizienz. Amiodaron soll auch bei erfolgloser Defibrillation eines Kammerflimmern vor dem nächsten Defibrillationsversuch gegeben werden. Ajmalin i.v. ist gut geeignet bei Arrhythmien im Zuge bekannter akzessorischer Bahnen/Präexzitation, solange eine elektrische Kardioversion noch vermeidbar ist bzw. AVKnoten modulierende Pharmaka (wie β-Blocker und Ca-Antagonisten) kontraindiziert sind. Die „Pill-in-the-Pocket“ Therapie ist wenigen vordiagnostizierten und aus- getesteten Indikationen vorbehalten; es handelt sich hierbei meist um herzgesunde Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern und erfolgreichem Ansprechen auf eine einmalige Gabe von 150-300 mg Propafenon p.o. bzw. 200-300 mg Flecainid p.o. Magnesium (nur langsam i.v. wie Ca, niemals p.o.) ist Therapie der Wahl bei Torsades de pointes und Rhythmusstörungen auf Basis einer verlängerten QT-Dauer. Zur Behandlung des akuten neu aufgetretenen Vorhofflimmern eignen sich besonders die neuen Substanzen Vernakalant i.v., bzw. bei Vorhofflattern insbesondere Ibutilid i.v. Bei gleichzeitig bestehender Herzinsuffizienz ist Amiodaron zu bevorzugen. Lidocain i.v. hat seine traditionelle Indikation zur Behandlung von Kammertachykardien beim akuten Koronarsyndrom beibehalten. tonie und KHK. Sotalol als Klasse II+III Substanz sollte aber keineswegs als „β-Blocker-Ersatz“ zur alleinigen Hypertonie- oder KHK- Behandlung eingesetzt werden. Primär sind vom Arzt für Allgemeinmedizin eine genaue Rhythmus Anamnese zu erheben und Rhythmusstörungen im Anfall zu dokumentieren. Aus dem 12-Kanal-Anfalls-EKG können meist schon der Mechanismus der Arrhythmie und die weiteren Behandlungsoptionen abgeleitet werden, insbesondere was die Erfolgsaussichten einer KAB betreff Literatur: Vaughan Williams E.M.: Classification of anti-arrhythmic drugs. Symposium on cardiac Arrhythmias, Södertälje,Sweden. 1970; 449-472 AHA/ACC/ESC: 2006 Guidelines for the management of patients with ventricular arrhythmias and the prevention of sudden cardiac death – executive summary. Circulation 114: 1088-1132. „Guideline for the management of atrial fibrillation“. EHJ (2010) 31: 2369-2429. AHA: 2010 Guidelines for CPR and ECC. Circulation 122: 640-946. Dr. Hartwig Bailer, MBA Facharzt für Innere Medizin (Kardiologie) P. o. – Langzeit Klasse II und IV - Antiarrhythmika behandeln gleichzeitig auch die Grunderkrankungen Hyper- Tab.2: Klassifizierung der Antiarrhythmika (nach Vaughan Williams) Klasse Subgruppe Wirkungsweise I Ia Ib Na-Kanal-Blocker Ic in Österreich zugelassen in A nicht (mehr) zugelassen Ajmalin Chinidin, Disopyramid, Procainamid Lidocain Mexiletin, Phenytoin Flecainid, Propafenon II β-Blocker Atenolol, Metoprolol, Bisoprolol, Esmolol, Nebivolol, Sotalol u.a. III K-Kanal-Blocker Amiodaron, Dronedaron, Ibutilid, Sotalol, Vernakalant Bretylium IV Ca-Kanal-Blocker Verapamil, Diltiazem Gallopamil Oktober 2015 9 Ökonomie & Praxis Life Vest®: Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) zum klinischen Einsatz der tragbaren Defibrillator-Weste (WCD) Die Prävention des plötzlichen Herztodes (SCD) durch den implantierbaren Cardioverter und Defibrillator (ICD) ist Gegenstand der gemeinsamen Leitlinien von AHA/ACC und ESC 20061. WCDs („wearable cardioverter defibrillator“) sind seit 2006 mit dem Produkt „Life Vest®“ der Firma Zoll / Asahi Kasei in Verwendung2. Die Defibrillatorweste ist keineswegs als „atraumatisches“, patientenkomfortables Konkurrenzprodukt zum ICD zu sehen, der der Patient sein Leben anvertrauen oder sie einfach ablegen kann, zumal ihr doch wesentliche Funktionen eines ICDs fehlen. Die Life Vest® ist ein bequem anwendbares 700 Gramm schweres Gerät, das an einer mit 4 thorakal anliegenden Elektroden ausgestatteten Weste getragen wird mit nahezu uneingeschränkter Bewegungsfreiheit. Das Software-Programm ist mit der zentralen Life-Vest® -Datenbank verbunden, aus der über PC jederzeit Ereignisse und Gerätereaktionen abrufbar sind. Zum Unterschied zum ICD fehlt der Life Vest® die antitachykarde Stimulations- und antibradykarde Schrittmacherfunktion. Kammertachykardien und Kammerflimmern werden mit bis zu 5 biphasischen Elektroschocks je Ereignis mit je 150 Joule terminisiert, was aber 10 im Gegensatz zum ICD mangels antitachykarder Stimulationsfunktion jedes Mal zu einem „Schockerlebnis“ führt, das der Patient allerdings nach vorheriger akustischer Warnankündigung unterdrücken kann. 2012 nahm die „Heart Rhythm Society“ (HRS) erstmals die WCDs in ihr Konzept zur Primärprävention des SCD auf 3 und erstellte eine Indikationsliste zur klinischen Anwendung. Trotz weltweit mehr als 100.000 Patientenanwendungen fehlen randomisierte klinische Studien und schlüssige Daten zur Evidenz, weshalb ihre Einsatzberechtigung bei Experten, Anwendern und Kostenträgern auf Kritik, Bedenken und Ablehnung stößt nicht zuletzt auch wegen der hohen Therapiekosten. Ende Februar 2015 nahm die DGK zum Einsatz und medizinischen Nutzen der WCDs offiziell Stellung4: Bemerkenswerterweise liegen abgesehen von klaren Absagen (Klasse III) nur Klasse II – Indikationen zwar mit überwiegendem Nutzen – Risiko und angemessen vertretbarer (II a) bis erwägenswerter (II b) Empfehlung vor, allerdings nur auf Evidenzlevel C - also auf Experten- und Konsensusmeinung basierend ohne (nicht-) randomisierte Studien. Klasse IIa – C – Indikationen die DGK gibt Empfehlungen zu folgenden Indikationen: ·Bridging nach Explantation bis zur Neuimplantation eines ICDs, wenn eine solche nicht sofort (z.B. wegen einer Infektion des ICD-Systems) möglich ist: damit wird eine wochenlange Hospitalisierung unter permanentem Rhythmus - Monitoring überbrückt – dies hebt die Lebensqualität des Betroffenen und mindert das Risiko für nosokomiale Infekte. Diese Indikation ist für WCDs exklusiv. · Patient auf der Warteliste zur Herztransplantation ohne ICD – Implantation: verhindert einen invasiven Eingriff mit nur temporärem Nutzen (ICD wird im Zuge der Herztransplantation wieder explantiert) In den amerikanischen Guidelines 20061 und 20125 besteht dafür ebenfalls eine IIa – C Empfehlung für eine ICD – Implantation. Klasse IIb – C – Indikationen: Eine vorübergehende Einschränkung der LVEF < 35% während oder kurz nach akuter Herzerkrankung kann ein erhöhtes Risiko für SCD bedeuten und somit eine Indikation für einen WCD, während eine permanent reduzierte LVEF meist einen ICD er94. Ausgabe Ökonomie & Praxis Oktober 2015 11 Ökonomie & Praxis fordert1,5. Da vielfach Daten fehlen, inwieweit eine Besserung der LVEF nach wie langer Zeit zu erwarten bzw. wie hoch das SCD- Risiko tatsächlich einzuschätzen ist, ist diese Indikationsgruppe zweifelsohne umstritten. Laut DGK ist der Einsatz von WCDs allenfalls zu prüfen und individuell zu entscheiden bei · zu erwartende Besserung einer LVEF < 35% bei akuter Myokarditis, dilatativer Kardiomyopathie, Taku Tsubo Syndrom und dergleichen in einer Phase bis zu 3 Monaten · S chwangerschafts-Kardiomyopathie (in der Regel 1 Monat prä bis 6 Monate post partum) · KHK mit vorgesehener Revaskularisierung: bis 4 Wochen nach Ballondilatation und 9 Wochen nach aortokoronarer Bypass-Operation – mangels ausreichender Evidenz beschränkt sich die DGK auf EinzelfallEmpfehlungen. · z ur Sekundärprophylaxe solange die Diagnostik (z.B. genetische Untersuchungen, Myokardbiopsie) noch nicht abgeschlossen ist. · rezenter (<40 Tage) Myokardinfarkt: wenn sich aus den WCD-Aufzeichnungen (Monitor- + Therapiefunktion!) Hinweise für maligne Arrhythmien mit ICD-Indikation ergeben. Die ICD - Guidelines 20061 und 20125 gehen auf diese IIb – C – Indikationen gar nicht ein, hingegen wird ein Zustand nach Myokardinfarkt mit anhaltend erniedrigter LVEF < 35% (bzw. 30%) im Stadium NYHA II – III (resp. I) bereits als Klasse I – A - Indikation angesehen, es bleibt allerdings offen ob solche Patienten in den ersten 40 Tagen außer einer optimierten medikamentösen Therapie noch einen „elektrischen SCD – Schutz“ erhalten sollen. Klasse III – Indikationen: · keine Indikation zur WCD-Versorgung ergibt sich laut DGK konform mit den ICD - Empfehlungen für Patienten mit · terminaler nicht-kardialer Erkrankung mit einer Lebenserwartung unter 1 Jahr · Ablehnung einer ICD-Implantation durch den Patienten aus ethischen, religiösen oder persönlichen Gründen. Zusammenfassend ergibt sich für die Life Vest® außer der exklusiven Indikation bis zur Reimplantation eines neuen ICDs keine durch Evidenzdaten gesicherte Indikation als Alternative zum ICD. Literatur: 1Ventricular Arrhythmias and the Prevention of Sudden Cardiac Death (ACC / AHA / ESC 2006 Guidelines). EHJ 2006;27: 2099-2140 2www.zollmedical.de (letzter Aufruf: 15.6.2015) 3www.hrsonline.org (letzter Aufruf: 15.6.2015) 4Schwab J.O., Bänsch D., Israel C., Nowak B.: Stellungnahme zum Einsatz des tragbaren Kardioverter/ Defibrillators. Kardiologe 2015·9: 165-170. 5Tracy CM, Epstein AE, Darbar D et al.: 2012 ACCF/ AHA/ HRS Focused Update of the 2008 Guidelines for deviced-based Therapy of Cardiac Rhythm Abnormities. JACC 2012;60 (14): 1297-1313. Dr. med. Hartwig Bailer, MBA Facharzt für Innere Medizin (Kardiologie) www.kgkk.at Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an: Dr. Christian Sturm Gesundheitsökonomie Kärntner Gebietskrankenkasse A-9021 Klagenfurt am Wörthersee, Kempfstraße 8 Tel.: 050 5855-4891, Fax: 050 5855-4895 E-Mail: [email protected] Impressum: Offenlegung (§ 25 Mediengesetz), Internet: www.kgkk.at/impressum/offenlegung. Medieninhaber und Herausgeber: Kärntner Gebietskrankenkasse, 9021 Klagenfurt am Wörthersee, Kempfstraße 8. Grundlegende Richtung des periodischen Mediums: Fach- und Informationsblatt für die Vertragsärzte der Kärntner Gebietskrankenkasse über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln und andere mit dem Vertragsverhältnis zwischen der Kärntner Gebietskrankenkasse und den Vertragsärzten im Zusammenhang stehenden Belange. Grafik und Druck: Satz- und Druckteam | www.sdt.at | Fotos: fotolia.de DS 10 320 251 12 94. Ausgabe