MANAGEMENT RISIKOMANAGEMENT Klinische Behandlungspfade helfen Risiken verringern Zwischenfälle ereignen sich in Krankenhäusern vor allem dann, wenn Kompetenzen zwischen Berufsgruppen oder Abteilungen nicht eindeutig geregelt sind und dadurch Versorgungslücken für den Patienten entstehen. Risikomanager und Juristen fordern deshalb immer wieder schriftliche Vereinbarungen, deren großer Vorteil darin besteht, dass Klarheit und Transparenz für alle – auch für neu hinzukommende – Mitarbeiter geschaffen wird. Die gemeinsame Erarbeitung von Behandlungspfaden durch sämtliche an der Patientenversorgung beteiligten Personen kommt diesen Forderungen entgegen und bietet eine große Chance zur Überwindung von Schnittstellenproblemen. M it der Einführung und Anwendung von Behandlungspfaden steuern Krankenhäuser drei Hauptziele an: die Herstellung der Transparenz der Abläufe des Gesamtprozesses und der Kosten, die Verbesserung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität durch definierte Qualitäts- und Behandlungsziele sowie die Berücksichtigung von Patientenerwartungen beispielsweise durch umfassende Information und Aufklärung. Als Nebenziele werden die Verkürzung der Verweildauer und der Abbau unnötiger Leistungen angestrebt. Nicht zuletzt leisten die festgelegten Standards und Absprachen aber auch einen entscheidenden Beitrag zum Risikomanagement von Kliniken. Risikomanagement soll die risikoinduzierte Beeinträchtigung der Krankenhausqualität verhindern, und zwar auch in solchen Fällen, in denen eine 44 Prozessoptimierung selbst neue Risiken hervorruft. Im Mittelpunkt stehen dabei die Schwachstellen im Krankenhaussystem, aus denen sich Gefahren oder haftungsrechtliche Konsequenzen für Patienten oder Mitarbeiter ergeben können. Das Risikomanagement orientiert sich nicht an einzelnen Aspekten ärztlicher oder pflegerischer Tätigkeit, sondern bezieht alle Mitarbeiter eines Krankenhauses und alle Prozesse mit ein. Denn Gefahren und Risiken entstehen vor allem dort, wo verschiedene Berufsgruppen oder Abteilungen zusammenarbeiten, an den sogenannten Schnittstellen. Die Rechtsprechung und die Auswertung von Schadenfällen haben mehrfach belegt, dass nicht der klassische Behandlungsfehler das größte Risiko darstellt, sondern die Koordinations- bzw. Organisationsmängel. So lässt sich z.B. auch ein falsch am- putiertes Bein letztlich immer auf eine Aneinanderreihung organisatorischer Mängel zurückführen. Abschied vom segmentierten Behandlungsablauf Derzeit existieren sehr viele Schnittstellen im Behandlungssystem, die Reibungsverluste erzeugen und potenzielle Risiken in sich bergen, vor allem die Übergänge zwischen den behandelnden Institutionen Prävention, ambulante und stationäre Behandlung sowie Nachsorge. Der segmentierte Behandlungsablauf erhöht durch oft unnötige Doppeluntersuchungen und -behandlungen die Kosten im Gesundheitswesen und für die Patienten die Gefahr, nicht zum richtigen Zeitpunkt die richtige Behandlung zu erhalten. Unter DRG-Bedingungen rückt die komplette Behandlung eines Krankheitsbildes in den Mittelpunkt der KMA 10/2003 Risikomanagement in der Geburtshilfe: Kontrollpunkte von der Aufnahme bis zu Entlassung Betrachtung. Das bedeutet, dass in Zukunft eine gemeinsame, sektorenübergreifende Patientenbehandlung die Übergänge im System fließender machen und die Schnittstellen harmonisieren wird. Für den stationären Bereich folgt daraus, dass in absehbarer Zeit starre abteilungs- und berufsgruppenorientierte Behandlungsabläufe von einer kooperativen Patientenbehandlung abgelöst werden müssen. Abteilungen, die einen Behandlungspfad erarbeiten, müssen – selbst wenn sie idealtypische Behandlungsabläufe definieren – ihre eigenen Prozesse überprüfen, neu festlegen und fixieren, sei es auf Papier oder EDV-unterstützt. Das bedeutet, dass alle an der Patientenbetreuung beteiligten Personen in diese Aufgabe eingebunden werden müssen und auf diese Weise ein gewisser Zwang zur Überprüfung und zum Hinterfragen des eigenen Handelns entsteht. Die einzelnen Schritte im Behandlungsablauf müssen unter wissenschaftlichen und organisatorischen Gesichtspunkten ana- 10/2003 KMA lysiert, das Vorgehen muss abgestimmt und geklärt werden. Dabei entstehen oft erstaunliche Einsichten über den Klärungsbedarf vermeintlich feststehender Vorgehensweisen. Nehmen wir als Beispiel eine Geburt, so beginnt der Pfad für das Krankenhaus mit der Aufnahme der Schwangeren und endet mit der Entlassung von Mutter und Kind. Innerhalb dieses Gesamtpfades ist es sinnvoll, für jedes einzelne Modul zu definieren, welche administrativen Schritte nötig sind, welche medizinischen Maßnahmen eingeleitet werden müssen und welcher Personenkreis welche Verantwortung übernimmt. Um die Rechtssicherheit klinischer Behandlungspfade zu gewährleisten, müssen anhand festgelegter Kriterien die Erfordernisse und Vorgaben der Rechtsprechung, der Gesetzgebung und der Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften in die Pfade integriert und über sogenannte Risikokontrollpunkte überwacht werden. Modul „Prästationäre Risikoselektion“ Auch wenn der Behandlungspfad Geburt mit der Aufnahme der Schwangeren im Krankenhaus beginnt, so können doch gewisse Risiken bereits im Vorfeld minimiert werden. Mit „prästationärer Risikoselektion“ ist gemeint, dass Krankenhausträger von Kliniken mit geburtshilflicher Abteilung klären sollten, welchen Umfang an medizinischer Versorgung in der Geburtshilfe sie personell und logistisch zu leisten in der Lage sind. In Zusammenarbeit mit den einweisenden Gynäkologen und der örtlichen Rettungsleitstelle kann auf dieser Grundlage ein Kriterienkatalog für Risikoschwangere (z.B. drohende Frühgeburt, schwere EPH-Gestose, Mehrlingsschwangerschaft) aufgestellt werden, die sich besser antenatal in ein Krankenhaus mit neonatologischer Betreuung begeben. Auf diese Weise kann die Möglichkeit, dass ein Notfallmanagement mit seinen immanenten Gefahren nötig wird, zumindest reduziert werden. Die Risiko- 45 MANAGEMENT Alles im Griff: Bei Komplikationen müssen die Abläufe geklärt sein kontrollpunkte sind hier: Definition des geburtshilflichen Leistungsspektrums, Kriterienkatalog für antenatale Verlegung von Risikoschwangerschaften. Modul „Aufnahme einer Schwangeren zur Geburt“ Unabhängig davon, ob es sich bei der geburtshilflichen Abteilung um eine Haupt- oder Belegabteilung handelt, ist es in vielen Kliniken üblich, dass die Gebärende von einer Hebamme aufgenommen und der Geburtshelfer erst zu einem späteren Zeitpunkt zur Geburt hinzugerufen wird. Aus Risikomanagement-Sicht ist die Aufnahme der Gebärenden durch den Geburtshelfer, der die Aufnahmeuntersuchung vornimmt und sofort nach Eintreffen der Frau ein CTG schreibt und interpretiert, der Idealfall. Sollte dies aus organisatorischen Gründen nicht möglich sein, so muss der Arzt zumindest sofort über das Eintreffen der Schwangeren informiert und müssen die Indikationen über die Information und Hinzuziehung des Arztes durch die Hebamme formuliert werden. Risikokontrollpunkte hier: CTG, CTGInterpretation, Aufnahmeuntersuchung, Information des Geburtshelfers. Modul „Entbindung“ Bei einem normalen Geburtsverlauf kommt es in erster Linie darauf an zu 46 klären, in welcher Phase der Geburt der Geburtshelfer hinzugezogen werden muss, und Indikatoren für einen abweichenden Geburtsverlauf festzulegen. Risikokontrollpunkt: Absprache über die Hinzuziehung des Arztes durch die Hebamme. In jeder Phase des Geburtsverlaufs kann eine operative Entbindung notwendig werden. Deshalb muss zu jedem Zeitpunkt sichergestellt sein, dass ein Notkaiserschnitt innerhalb von 20 Minuten durchgeführt werden kann. Man spricht in diesem Zusammenhang von der sog. E-E-Zeit (Entscheidungs-EntwicklungsZeit). Die Umsetzung dieser Vorgabe setzt eine Reihe von organisatorischen Maßnahmen voraus. So muss beispielsweise die Anästhesieabteilung personell so ausgestattet sein, dass während des laufenden Betriebs ein Anästhesist sofort für eine Notsectio abgestellt werden kann, möglichst ohne dass im OP das Risiko einer Parallelnarkose entsteht. Der Bereitschaftsdienst muss so organisiert sein, dass sich ein Anästhesist entweder im Haus befindet oder zumindest die Klinik innerhalb von zehn Minuten erreichen kann. Dasselbe gilt für das Anästhesie-Pflegepersonal. Risikokontrollpunkt: Einhaltung der E-E-Zeit. Besonders in Kliniken ohne eigene pädiatrische Abteilung muss festgelegt werden, wer das gesunde Neugebo- rene nach der Geburt untersucht und versorgt und wann ein Pädiater hinzugezogen wird. Hier sind verschiedene Lösungen, die sich auf die vorhandenen Absprachen der Geburtshelfer mit den Pädiatern beziehen sollten, denkbar. So ziehen manche Kliniken zu jedem Kaiserschnitt einen Kinderarzt hinzu, während andere wiederum dies erst bei auftretenden Problemen tun. Treten Komplikationen auf, so muss die rasche Verlegung in eine Kinderklinik möglich sein. Ist es erforderlich, ein Neugeborenes zu reanimieren, so muss gewährleistet sein, dass Geburtshelfer oder Anästhesist in der Lage sind, eine Reanimation und Intubation an Neugeborenen vorzunehmen. Vor allem aber muss klar sein, wer im Notfall dafür zuständig ist. Risikokontrollpunkte hier: Hinzuziehung des Pädiaters, Neugeborenen-Intubation und -Reanimation. Modul „Entlassung“ Bei der Entlassung von Mutter und Kind aus der Klinik gibt es keine Schnittstellenprobleme im eigentlichen Sinn. Als Risikokontrollpunkt kann in diesem Modul die Abschlussuntersuchung beider festgelegt werden. So muss das erklärte Ziel sein, dass keine Frau und kein Neugeborenes das Krankenhaus ohne Abschlussuntersuchung und -beratung verlassen. Es ist unerheblich, ob für die Erarbeitung von Klinischen Behandlungspfaden ein EDV-Tool eingesetzt wird oder nicht. Wichtig ist in erster Linie, dass Prozesse, Strukturen und Schnittstellen analysiert, wenn erforderlich möglichst reorganisiert und die getroffenen Entscheidungen schriftlich fixiert werden. Dabei hat es sich bewährt, zusätzliche Aktivitäten oder Arbeitsschritte zu beschreiben und Entscheidungsstrukturen zu definieren, z.B. Pflegestandards, Arbeitsanweisungen, Stellenbeschreibungen, Einarbeitungskonzepte, Kommunikationskonzept (Wer muss wann benachrichtigt werden?) und Kompetenzabsprachen. Manche EDV-Systeme ermöglichen sogar die Erstellung eines kompletten Handbuchs per Knopfdruck. Christine Trengler KMA 10/2003