Merkblatt für die Praxis Der Schweizer Wald im Klimawandel

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ISSN 2296-4428
Merkblatt
für die Praxis
Eidg. Forschungs­anstalt WSL
CH-8903 Birmensdorf
© WSL Birmensdorf, 2017
WSL, Zürcherstrasse 111
CH-8903 Birmensdorf
www.wsl.ch/publikationen
59
August
2017
Der Schweizer Wald im Klimawandel:
Welche Entwicklungen kommen auf uns zu?
Barbara Allgaier Leuch, Kathrin Streit und Peter Brang
Es wird in der Schweiz wärmer und im Sommer trockener. Grund dafür
ist der vom Menschen verursachte Klimawandel. Die sommerliche
­Trockenheit dürfte auf jenen Waldstandorten am stärksten zunehmen,
die bereits heute relativ trocken sind. Als Folge des Klimawandels ver­
ändern sich die Wachstumsbedingungen und die Konkurrenzverhält­
nisse der Waldbäume, und langfristig ändert sich so auch die Baum­
artenzusammensetzung. Entsprechend wichtig ist es, dass die
Waldverantwortlichen die Anpassung des Waldes unterstützen, denn
der Klimawandel dürfte so stark sein und so rasch ablaufen, dass der
Wald ohne gezielte Anpassungsmassnahmen wichtige Leistungen nicht
mehr im geforderten Mass zu erbringen vermag.
Abb. 1. Ein Steilhang in den Voralpen veranschaulicht die mögliche Klimaerwärmung.
Steigt man in diesem Hang 600 Höhenmeter ab, erfährt man eine Temperaturer­hö­
hung von 3,6 Grad und gelangt dabei von den Nadelwäldern der obermontanen in
die Laubwälder der submontanen Stufe.
In der Schweiz ist es in den vergangenen
Jahren und Jahrzehnten laufend wärmer
geworden (Abb. 1). Dies zeigen die
Aufzeichnungen von MeteoSchweiz
­
(Abb. 2), nach denen die Jahresmittel­
temperaturen seit 1986 immer über
dem Durchschnitt der Jahre 1961–1990
liegen. Insgesamt hat sich die Jahres­
mitteltemperatur in der Schweiz seit
Beginn der Aufzeichnungen im Jahr
1864 um etwa 1,8 Grad erhöht. Dies ist
rund ­doppelt so viel wie im weltweiten
Durchschnitt, wo eine Erwärmung um
0,85 Grad zu verzeichnen war (IPCC
2014). Dass die Erwärmung in der
Schweiz deutlich stärker ist, hat ver­
schiedene Ursachen. Eine Rolle spielen
unter an­derem die meerferne Lage, die
Berge, die durch ihre Masse mehr
Wärme a
­ufnehmen können als das
Flachland ­(Massenerhebungseffekt)
und die abnehmende Reflexion der
Sonneneinstrahlung durch die schwin­
denden Gletscher- und Schneeflächen
(Albedoeffekt).
Es ist mittlerweile eindeutig belegt,
dass sich das Klima auf der Erde er­
wärmt, und das seit Mitte des 20. Jahr­
hunderts in einem rasanten Tempo (IPCC
2014). Ebenso erwiesen ist, dass der
Mensch dafür der Hauptverantwortliche
ist (siehe Box «Der UNO-Weltklimarat
IPCC»). Der Anstieg der Treibhausgas­
konzentration in der Atmosphäre führt
dazu, dass weniger Energie in den Welt­
raum abstrahlt und sich die Erde wie ein
Treibhaus aufheizt. Das mit Abstand
wichtigste Treibhausgas ist Kohlendioxid
(CO2). Dieses wird bei der Verbrennung
von Kohle, Erdöl und Erdgas sowie durch
die Abholzung vor allem in den Tropen
2,5
2,0
Abweichung vom Durchschnitt
1961–1990 [°C]
freigesetzt. Dass die Treibhausgasent­
wicklung aussergewöhnlich ist, erkennt
man beispielsweise daran, dass die CO2Konzentration in der Atmosphäre in den
letzten 800 000 Jahren kaum je höher
als 280 parts per million (ppm) war,
aber im Rahmen des aktuellen Anstiegs
im April 2014 erstmals die Marke von
400 ppm überschritten hat und somit
über 40 Prozent höher liegt als in den
Jahrtausenden zuvor (SCNAT 2016).
Der Zusammenhang zwischen Treib­
hausgaskonzentration in der Atmo­
sphäre und Temperatur wird genutzt,
um die künftige Entwicklung der globa­
len Erwärmung und weiterer damit ver­
bundener klimatischer Veränderungen
abzuschätzen. Allerdings ist die Vorher­
sage der Treibhausgasentwicklung mit
grossen Unsicherheiten verbunden, weil
sie von den gesellschaftlichen, techno­
logischen, wirtschaftlichen und politi­
schen Entwicklungen auf der ganzen
Welt abhängig ist. Um dennoch Aus­
sagen zur Klimaentwicklung machen zu
können, beruhen die Modellierungen
auf sogenannten Emissionsszenarien.
Ein Emissionsszenario beschreibt einen
bestimmten Entwicklungspfad bei den
Treibhausgasemissionen. Die eigentliche
Modellierung erfolgt dann mit kom­
plexen Klimamodellen, welche die kli­
marelevanten physikalischen Vorgänge
auf der Erde nachbilden.
1,5
1,0
0,5
0,0
−0,5
−1,0
−1,5
−2,0
1880
1900
1920
1960
1980
2000
2020
Jahre über dem Durchschnitt 1961−1990
Jahre unter dem Durchschnitt 1961−1990
20-jähriges gewichtetes Mittel (Gauss-Tiefpassfilter)
Abb. 2. Abweichung der Jahresmitteltemperatur von 1864 bis 2015 vom langjährigen Durchschnitt
(Jahre 1961–1990). Quelle: MeteoSchweiz (2016).
Das 2-Grad-Ziel
Die Staatengemeinschaft bemüht sich
seit Längerem um eine Begrenzung der
globalen Erwärmung. So wurde bereits
1992 in Rio de Janeiro die UN-Klimarah­
menkonvention verabschiedet, mit dem
Ziel, «eine gefährliche Störung des Kli­
masystems durch den Menschen zu ver­
hindern». An der Klimakonferenz in
Der UNO-Weltklimarat IPCC
Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), im deutschsprachigen
Raum oft als Weltklimarat bezeichnet, ist ein internationales Gremium, das von
der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) und vom Umweltprogramm der
Vereinten Nationen (UNEP) im Jahr 1988 ins Leben gerufen wurde, um für die
politischen Entscheidungsträger den Stand der Forschung zum Klimawandel
zusammenzufassen und zu bewerten. Der Weltklimarat veröffentlicht in regel­
mässigen Abständen Sachstandsberichte, an deren Verfassung jeweils Hunderte
von Wissenschaftern beteiligt sind. Dazu gehören auch Forscher aus der
Schweiz, beispielsweise die Klimawissenschafter Prof. Dr. Thomas Stocker von
der Universität Bern, Prof. Dr. Reto Knutti von der ETH Zürich und Prof. Dr. Kon­
rad Steffen von der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL. Die Kurzfassungen
der Sachstandsberichte (Summary for Policymakers) werden von den Regierun­
gen der UNO-Mitgliedsländer verabschiedet. Durch diesen Akt anerkennen die
Regierungen «die Rechtmässigkeit der wissenschaftlichen Inhalte».
In der Zusammenfassung des 5. Sachstandsberichts vom November 2014
(IPCC 2014) heisst es:
1.Die Erwärmung des Klimas ist eindeutig.
2.Der Einfluss des Menschen auf das Klima ist klar.
3.Die Beschränkung des Klimawandels erfordert grosse und lang anhaltende
Reduktionen der Treibhausgasemissionen.
2
1940
Jahr
Cancún von 2010 wurde das soge­
nannte «2-Grad-Ziel» beschlossen. Die­
ses Ziel bedeutet, dass die Erwärmung
gegenüber vorindustrieller Zeit global
gesehen nicht mehr als 2 Grad betragen
soll. Seit der Klimakonferenz im Jahr
2015 in Paris soll die Erwärmung auf
deutlich unter 2 Grad und möglichst auf
1,5 Grad begrenzt werden. Damit dies
gelingt, müssen die Treibhausgasemis­
sionen rasch und markant gesenkt wer­
den. «Rasch und markant» bedeutet,
dass die Treibhausgasemissionen bis ins
Jahr 2050 im Vergleich zu 1990 global
um mindestens die Hälfte und in den
Industrieländern um 80 bis 95 Prozent
reduziert werden müssten (Manser et al.
2015). Dies entspricht der Entwicklung
der Treibhausgasemissionen, wie sie mit
dem Emissionsszenario RCP3PD, dem
sog. «Verminderungs­szenario» (Abb. 3,
links), skizziert ist. Selbst wenn wir das
schaffen, wird die Erwärmung gegen­
über vorindustrieller Zeit in der Schweiz
zwei Grad übersteigen (Abb. 3, rechts,
rechte Skala). Trotz aller Klimaschutzbe­
mühungen sind wir derzeit von einer
Stabilisierung, geschweige denn von
einer Verminderung der Treibhausgas­
emissionen weit entfernt – diese n
­ ehmen
weiter zu und liegen heute sogar ober­
halb des Entwicklungspfads des A2Szenarios, eines Emissionsszenarios
ohne explizite Massnahmen zum Kli­
maschutz (SCNAT 2016). Beim in der
Abbildung 3 ebenfalls dargestellten
Merkbl. Prax. 59 (2017)
Merkblattserie für die Forstpraxis
Das vorliegende Merkblatt bildet den Auftakt der Merkblattserie «Der Schwei­
zer Wald im Klimawandel», die sich speziell an die Waldverantwortlichen rich­
tet und sie darin ­unterstützt, die mit dem Klimawandel verbundenen Risiken
einzuschätzen und die Waldbewirtschaftung entsprechend anzupassen.
West» bis Ende des Jahrhunderts ein
Anstieg der Sommertemperatur um
etwa 4,5 Grad im Vergleich zur Refe­
renzperiode 1980–2009 erwartet.
Niederschläge zeigen eine wesentlich
höhere Variabilität als Lufttemperaturen,
weshalb ihre Entwicklung schwieriger
abschätzbar ist. Grundsätzlich führt die
globale Erwärmung dazu, dass sich der
Wasserkreislauf beschleunigt. Global
140
120
Globale Treibhausgasemissionen
[GtCO2-eq /Jahr]
A1B-Szenario gehen die Treibhausgas­
emissionen zwar zurück. Im Vergleich
zum «Verminderungsszenario» RCP3PD
setzt die Reduktion der Treibhausgas­
emissionen jedoch später ein, und sie ist
weniger stark. Entsprechend wird bei
diesem Szenario auch über das Jahr
2100 hinaus eine Erwärmung zu ver­
zeichnen sein. Auf diesem «mittleren»
Szenario bauen die folgenden Ab­
schnitte dieses Merkblatts auf, wohl
wissend, dass in Abhängigkeit der Ent­
wicklungen weltweit auch andere «Kli­
mazukünfte» – mit weniger starker oder
noch stärkerer Erwärmung – möglich
sind.
A2
100
Klimaszenarien für die
Schweiz
Für das «mittlere» A1B-Szenario wird für
die Schweiz bis Ende des Jahrhunderts
eine Erwärmung von 3,3 Grad im Ver­
gleich zur Referenzperiode 1980–2009
respektive um 4,8 Grad im Vergleich zu
vorindustrieller Zeit erwartet (Abb. 3,
rechts). Dabei dürfte die Temperatur im
Sommer stärker ansteigen als in den
­übrigen Jahreszeiten (Abb. 4). Die regi­
onalen Unterschiede dürften hingegen
vergleichsweise gering sein. Die Modelle
deuten aber auf eine etwas stärkere
Erwärmung in höheren Lagen sowie in
der Südschweiz hin (SCNAT 2016). So
wird beispielsweise in der Region «Alpen
Merkbl. Prax. 59 (2017)
80
A1B
60
40
RCP3PD
20
0
1900
1940
1980
2020
2060
2100
6
7
5
6
4
5
3
4
2
3
1
2
0
RCP3PD
A1B
T-Änderung gegenüber vorindustrieller Zeit [°C]
Das Forschungsprogramm «Wald und Klimawandel» (2009–2017) wurde vom
Bundesamt für Umwelt und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald,
Schnee und Landschaft unter Einbezug der Kantone lanciert. Sein Ziel war,
Grundlagenwissen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf den Wald zu
erarbeiten, damit die Akteure die mit dem Klimawandel verbundenen Risiken
im Wald und die Anpassungsfähigkeit des Waldes einschätzen und entspre­
chende Anpassungsmassnahmen treffen können. Die Ergebnisse der 42 For­
schungsprojekte wurden im Rahmen der wissenschaftlichen Synthese des For­
schungsprogramms miteinander verknüpft, mit der internationalen Forschung
abgestimmt und Ende 2016 in Buchform veröffentlicht: «Wald im Klimawandel.
Grundlagen für Adaptationsstrategien» (Pluess et al. 2016).
Temperaturänderung gegenüber 1980–2009 [°C]
Das BAFU/WSL-Forschungsprogramm «Wald und Klimawandel»
gesehen nehmen die Niederschläge
denn auch zu. In der Schweiz dürfte sich
die jährliche Niederschlagsmenge nur
wenig ändern. Hingegen ändert sich die
Saisonalität der Niederschläge. Im Som­
mer dürfte die Schweiz nämlich zuneh­
mend in den Einflussbereich der sehr
trockenen mediterranen Klimazone ge­
raten, weshalb eine Abnahme der
­sommerlichen Niederschläge bis Ende
des Jahrhunderts zu erwarten ist. Am
ausgeprägtesten dürften die Nieder­
schläge in der Nordwestschweiz und in
der Südschweiz abnehmen mit Rück­
gängen im «mittleren» A1B-Szenario
um 24 respektive 23 Prozent (Abb. 5).
Die sommerliche Niederschlagsabnahme
über der Schweiz ist dabei im Wesentli­
chen durch einen Rückgang der Anzahl
Regentage bestimmt. Dadurch werden
längere Trockenperioden häufiger. In
den anderen Jahreszeiten ist für Teile der
Schweiz, insbesondere die Südschweiz,
mit mehr Niederschlag zu rechnen
(SCNAT 2016).
Nicht nur die mittleren Temperaturen
und Niederschläge dürften sich ändern.
Veränderungen sind auch bei klimati­
schen Extremereignissen zu erwarten.
Wetterphänomene wie der Hitzesom­
mer 2003 oder der Jahrhundertnieder­
schlag vom August 2005 dürften zu­
künftig häufiger auftreten. Bereits heute
ist in der Schweiz ein Trend zu mehr und
A2
Jahr
Abb. 3. Links: Globale Treibhausgasemissionen bisher (schwarz) sowie mit den Emissionsszenarien
RCP3PD (Verminderungsszenario), A1B («mittleres» Szenario) und A2 (Szenario ohne explizite Mass­
nahmen zum Klimaschutz) modellierte künftige Entwicklung. Rechts: Daraus abgeleitete Zunahme der
Jahresmitteltemperatur in der Schweiz bis Ende des 21. Jahrhundert (Periode 2070–2099) im V
­ ergleich
zur Periode 1980–2009 (linke Achse) und gegenüber vorindustrieller Zeit (rechte Achse), wobei Median
(Balken) sowie der Bereich zwischen dem 2,5. und dem 97,5. Perzentil (Box) dargestellt sind.
Quelle: C2SM (2011), verändert.
3
6,0
intensiveren Hitzetagen und weniger
Kältetagen zu beobachten. Dieser Trend
dürfte sich in Zukunft verstärken. Som­
merliche Hitzewellen, die mit Trocken­
heit verbunden sind, dürften Ende des
Jahrhunderts deutlich öfter vorkommen
als heute. Weiter werden auch häufigere
und intensivere Stark­niederschläge er­
wartet. Bei den Winterstürmen hinge­
gen ist die künftige Entwicklung unklar.
So zeigen nur einzelne Modelle eine
Veränderung im Vergleich zur heutigen
Situation, und in der Vergangenheit war
kein robuster Trend erkennbar (SCNAT
2016).
Temperaturänderung
2070–2099 gegenüber 1980–2009 [°C]
5,5
5,0
4,5
4,0
3,5
3,0
2,5
2,0
1,5
1,0
0,5
0,0
a) Nordostschweiz
b) Nordwestschweiz
Winter (Dezember, Januar, Februar)
Frühling (März, April, Mai)
c) Alpen Ost
d) Alpen West
e) Südschweiz
Sommer (Juni, Juli, August)
Herbst (September, Oktober, November)
Abb. 4. Temperaturänderung in der Schweiz nach Region und Jahreszeit bis Ende des 21. Jahrhun­
derts (2070–2099) im Vergleich zur Periode 1980–2009 für das «mittlere» Emissionsszenario A1B.
Dargestellt sind Median (Balken) sowie Bereich zwischen dem 2,5. und 97,5. Perzentil (Box). Quellen:
C2SM (2011; Grafiken a, b, e) und Fischer et al. (2015; Grafiken c und d), verändert.
45
40
35
30
Niederschlagsänderung
2070–2099 gegenüber 1980–2009 [°C]
25
20
Die Standortfaktoren Klima, Boden und
Topografie bestimmen massgeblich,
welche Baumarten und Waldgesell­
schaften an einem Ort überhaupt vor­
kommen und wie gut die Bäume dort
wachsen können. Mit dem Klimawandel
verändert sich einer der Standortfak­
toren stark. Wie gross die Standortver­
änderungen bis Ende des Jahrhunderts
sein könnten, stellen wir im Folgenden
mithilfe von drei waldbezogenen Merk­
malen dar:
1.der Wasserverfügbarkeit,
2.den Vegetationshöhenstufen und
3.der Habitateignung für ausgewählte
Baumarten.
15
10
5
0
–5
–10
–15
–20
–25
–30
–35
–40
a) Nordostschweiz
b) Nordwestschweiz
Winter (Dezember, Januar, Februar)
Frühling (März, April, Mai)
c) Alpen Ost
d) Alpen West
e) Südschweiz
Sommer (Juni, Juli, August)
Herbst (September, Oktober, November)
Abb. 5. Niederschlagsänderung in der Schweiz nach Region und Jahreszeit bis Ende des 21. Jahrhun­
derts (2070–2099) im Vergleich zur Periode 1980–2009 für das «mittlere» A1B-Emissionsszenario.
Dargestellt sind Median (Balken) sowie Bereich zwischen dem 2,5. und 97,5. Perzentil (Box). Quellen:
C2SM (2011; Grafiken a, b, e) und Fischer et al. (2015; Grafiken c und d), verändert.
4
Auswirkungen auf die
Waldstandorte
Weniger Wasser während der
Vegetationszeit verfügbar
Durch den Klimawandel dürfte den Bäu­
men bis Ende des Jahrhunderts während
der Vegetationszeit weniger Wasser zur
Verfügung stehen, dann also, wenn sie
am meisten Wasser benötigen. Dazu
trägt neben dem Rückgang der Som­
merniederschläge auch die steigende
Verdunstung im Zuge der Erwärmung
bei.
Ein Mass für die Wasserverfügbarkeit
ist das Verhältnis von aktueller zu poten­
zieller Evapotranspiration (ETa/ETp-Ver­
hältnis). Die Evapotranspiration ist die
Summe aus Evaporation (Wasserver­
dunstung von unbewachsenen Flächen)
und Transpiration (Wasserverdunstung
über die Blätter von Pflanzen). Das ETa/
ETp-Verhältnis bezieht neben dem Bo­
denwasser auch die Temperatur und die
Strahlung in die Berechnung ein. Es zeigt
Merkbl. Prax. 59 (2017)
Merkbl. Prax. 59 (2017)
Heute
Wasserverfügbarkeit
keine Daten
≤ 0,40
0,41–0,50
0,51–0,60
0,61–0,70
0,71–0,80
0,81–0,90
0,91–1,00
in diesem Merkblatt behandelte
Beispiele Jaun und Jolimont
CLM-Modell
Ende des 21. Jahrhunderts
RegCM3-Modell
50 km
Abb. 6. Wasserverfügbarkeit, ausgedrückt als durchschnittliches ETa/ETp-Verhältnis während der Vege­
tationszeit (April–August): heute (oben; Durchschnitt 1981–2010) und Ende des Jahrhunderts (unten;
2070–2099) modelliert mit dem «weniger trockenen» RegCM3- (links) und dem «trockeneren» CLMModell (rechts) für das «mittlere» A1B-Emissionsszenario. Quelle: Remund et al. (2016), verändert.
Höhenstufen
Heute
hyperinsubrisch
kollin
kollin mit Buche (nur Tessin)
submontan
untermontan
obermontan
unter- und obermontan
hochmontan
subalpin
in diesem Merkblatt behandelte
Beispiele Jaun und Jolimont
RegCM3-Modell
CLM-Modell
Ende des 21. Jahrhunderts
an, ob die Bäume das für die Transpira­
tion benötigte Wasser tatsächlich aus
dem Boden beziehen können. Ist dies
nicht der Fall, sparen sie Wasser, indem
sie die Spaltöffnungen der Blätter
schlies­sen. Sie können dann aber auch
keine Fotosynthese mehr betreiben. Fällt
das ETa / ETp-Verhältnis unter 0,8, ist
­zu­nehmend mit trockenheitsbedingten
Beeinträchtigungen zu rechnen.
Wie sich das ETa / ETp-Verhältnis
­während der Vegetationszeit bis Ende
des Jahrhunderts entwickeln könnte,
wurde mithilfe von zwei unterschied­
lichen regionalen Klimamodellen abge­
schätzt, die die Bandbreite der mögli­
chen klimatischen Entwicklungen für
das «mittlere» A1B-Szenario abstecken
(Remund et al. 2016). Den unteren Rand
des Bandes bildet das RegCM3-Modell,
das im Schweizer Durchschnitt im Som­
merhalbjahr (April bis September) zwei
Prozent weniger Niederschlag und eine
Erwärmung um 3,1 Grad bis Ende des
Jahrhunderts prognostiziert. Den obe­
ren Rand bildet das CLM-Modell mit
einer Niederschlagsabnahme um 19 Pro-­
zent und einem Temperaturanstieg um
4,3 Grad.
In den meisten Regionen der Schweiz
liegt das ETa / ETp-Verhältnis im Durch­
schnitt der Vegetationszeit heute über
0,8. Doch der Trend ist abnehmend, und
bis zum Ende des Jahrhunderts dürfte
sich die Situation je nach Region und
unterlegter «Klimazukunft» (RegCM3
oder CLM) deutlich verschlechtern
(Abb. 6). Von Wassermangel dürften in
Zukunft also nicht nur die bereits heute
als trocken bekannten Lagen im Wallis
oder im Genferseegebiet betroffen sein.
Eine starke Abnahme der Wasserverfüg­
barkeit, insbesondere im Mittelland und
im Tessin, zeigt sich beim «trockeneren»
CLM-Modell. Trifft diese «Klimazukunft»
ein, wird die Wasserverfügbarkeit auf
den meisten heutigen Buchenmisch­
wald-Standorten (submontan) und
­Buchenwald-Standorten (untermontan)
Ende des Jahrhunderts derjenigen von
heutigen Föhren- oder gar Eichenwald­
standorten entsprechen (Scherler et al.
2016). Beim «weniger trockenen»
RegCM3-Modell nimmt die Wasser­
verfügbarkeit dagegen nur in wenigen
Teilen der Schweiz ab, und die Abnahme
ist weniger stark.
Grundsätzlich wird erwartet, dass die
Trockenheit auf jenen Waldstandorten
am stärksten zunehmen wird, die bereits
50 km
Abb. 7. Verteilung der Vegetationshöhenstufen heute in der Schweiz (oben) und Modellierung für
Ende des 21. Jahrhunderts (2070–2099; unten) mit dem «weniger trockenen» RegCM3-Modell
(links) und dem «trockeneren» CLM-Modell (rechts) für das «mittlere» A1B-Emissionsszenario inner­
halb des heutigen Waldareals. Die obersubalpine Stufe wurde nicht modelliert. Quelle: Frehner et al.
(in Bearbeitung; Stand: Januar 2017). Karten: Abenis AG.
5
Klima heute
Klima in der 2. Hälfte des Jahrhunderts
Fichte
Tanne
Buche
Traubeneiche
50 km
Habitateignung wahrscheinlich hoch
Habitateignung wahrscheinlich gering Situation unklar
Abb. 8. Habitateignung für Fichte, Tanne, Buche und Traubeneiche heute (1981–2010) und in Zukunft (2051–2080) für das «mittlere» A1B-Emissionssze­
nario. In den Grafiken links sind mit schwarzen Punkten die heutigen, effektiven Vorkommen der jeweiligen Art gemäss Landesforstinventar dargestellt.
Quelle und Details zur Berechnungsweise: Zimmermann et al. (2016). Darstellung verändert.
6
Merkbl. Prax. 59 (2017)
heute relativ trocken sind. Von Wasser­
mangel hingegen nur wenig betroffen
sein dürften Waldstandorte in heute
sehr niederschlagsreichen und kühlen
Lagen auf tiefgründigen oder grund­
wasserbeeinflussten respektive vergley­
ten Böden, wie sie entlang des Alpen­
nordhangs häufig anzutreffen sind
(Scherler et al. 2016).
Kolline und submontane Stufe
breiten sich aus
Getrieben durch die Temperatur weisen
unsere Baumarten und Waldgesellschaf­
ten entlang des Höhengradienten eine
typische Abfolge auf. Diese wird zur
Abgrenzung der Vegetationshöhenstu­
fen genutzt (z. B. Frehner et al. 2005/09).
Modelliert man die Verbreitungsgrenzen
dieser Stufen für die klimatischen Bedin­
gungen von heute und für diejenigen
Ende des Jahrhunderts im «mittleren»
A1B-Szenario, zeigen sich grosse Ver­
änderungen (Abb. 7): Die kolline Stufe,
die heute fast nur im Raum Genf–Lau­
sanne und in Tieflagen des Rhonetals
anzutreffen ist und in der Trockenheit
ertragende Baumarten dominieren, ge­
winnt vorab im Mittelland an Fläche,
beim «trockeneren» CLM-Modell mehr,
beim «weniger trockenen» RegCM3Modell weniger. Stark ausdehnen dürfte
sich vor allem die submontane Stufe, die
bis Ende des Jahrhunderts weit ins Vor­
alpengebiet vorstossen und die Bergket­
ten des Jura fast ganz überspannen
könnte. Dafür werden Arealverluste für
die untermontane, die obermontane,
die hochmontane und die subalpine
Stufe erwartet.
Habitateignung für Fichte und
Buche nimmt ab
Starke Veränderungen werden auch be­
züglich der Habitateignung («Potenzial­
gebiete»; Zimmermann et al. 2016) er­
wartet. Im Gegensatz zu den auf Basis
der potenziellen natürlichen Vegetation
modellierten Vegetationshöhenstufen
wurden für die Abschätzung der Habitat­
eignung die heutigen, effektiven Baum­
artenvorkommen verwendet. Kon­
kret
wurde für insgesamt 30 Baumarten un­
tersucht, wo für die jeweilige Art unter
dem «mittleren» A1B-Emissionsszenario
in Zukunft diejenigen Bedingungen an­
zutreffen sind, unter welchen sie heute
vorkommt. Dargestellt in diesem Kapitel
Merkbl. Prax. 59 (2017)
sind die Ergebnisse für die Fichte, die
Buche und die Tanne – die drei häufigs­
ten Arten in der Schweiz – sowie für die
Traubeneiche. Die Ergebnisse für die
restlichen Baumarten sind im Internet
verfügbar (www.wsl.ch/lud/portree/
download.ehtml; Datum der Abfrage:
7.7.2017).
Während sich für die Fichte heute fast
die ganze (waldfähige) Schweiz als
­Habitat eignet, findet diese Art beim
«mittleren» A1B-Emissionsszenario in
der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nur
noch in den höheren Lagen der Alpen
und Voralpen, des Juras und des Tessins
günstige klimatische Bedingungen
(Abb. 8). Grosse Verschiebungen in der
Habitateignung werden auch für die
Buche erwartet. Gerade für das Mittel­
land wird ein Klima vorausgesagt, in
welchem die Buche wie auch die Fichte
heute in der Schweiz und im nahen Aus­
land nirgends wachsen. Die Trauben­
eiche hingegen dürfte vom Klimawandel
profitieren (mehr dazu in Bonfils et al.
2015). Bei der Tanne wird ähnlich wie
bei der Buche im Mittelland eine ge­
ringe Habitateignung vorausgesagt. Es
könnte aber auch sein, dass bei ihr die
Modellierung zu pessimistisch ist – die
Tanne wuchs vor einigen Tausend
­Jahren durchaus unter wärmeren und
trockeneren Bedingungen und dürfte
bei uns unter anderem wegen durch
Menschen verursachter Feuer aus vielen
Wäldern verschwunden sein (Conedera
und ­Tinner 2010).
Nicht abzubilden vermag die Modellie­
rung der Habitateignung – wie auch die
der Vegetationshöhenstufen und der
Wasserverfügbarkeit – die Standortun­
terschiede, wie sie in der Schweiz an
sehr vielen Orten auf kleinem Raum
­anzutreffen sind. So dürften Fichten und
Buchen auch unter dem «mittleren»
A1B-Emissionsszenario Ende des Jahr­
hunderts im Schweizer Mittelland noch
günstige Standorte vorfinden, allerdings
vor allem in gut wasserversorgten und
schattigen Lagen. Auch wird der Baum­
artenwechsel nicht so rasch ablaufen,
wie die Modellierungen von Habitateig­
nung und Vegetationshöhenstufen dies
suggerieren. Die Modellierungen besa­
gen lediglich, inwiefern sich das Klima
für eine Art respektive eine Stufe verän­
dert, und zeigen damit Regionen mit
höheren beziehungsweise geringeren
Risiken für die Baumarten an.
Störungen beschleunigen
Veränderungen
Der Klimawandel hat auch Einfluss auf
Störungen, beispielsweise Waldbrände
(Abb. 9) oder Schädlingskalamitäten
(Abb. 10). In der Schweiz treten jedes
Jahr etwa ­
hundert Waldbrände auf,
hauptsächlich in den Alpen. In Zukunft
ist für den Sommer eine Zunahme der
Waldbrandgefahr in allen Landesteilen
zu erwarten, wobei die Süd- und Zent­
ralalpen am stärksten und die Nordalpen
Abb. 9. Die Wald­
brandgefahr wird als
Folge des Klimawan­
dels in allen Landes­
teilen zunehmen. Im
Bild: Waldbrand von
Visp, April 2011.
7
am wenigsten betroffen sind. Die durch­
schnittliche Anzahl Tage mit «extremer
Waldbrandgefahr» dürfte Ende des Jahr­
hunderts bei Eintreten der Klimazukunft
des «trockeneren» CLM-Modells meist
höher sein als im Hitzesommer 2003
(Pezzatti et al. 2016).
Auch die Entwicklung des Buch­dru­
ckers, des heute wichtigsten ­Schadinsekts
im Wald, wird durch den Klimawandel
begünstigt. Ende des Jahrhunderts
dürfte wegen der steigenden Tempera­
turen im Mittelland häufig mit drei, in
den Vor­
alpen und im Jura mit zwei
Käfergene­rationen pro Jahr zu rechnen
sein, was bisher nur unter den extremen
Bedin­gungen des Hitzesommers 2003
zu ­beobachten war (Jakoby et al. 2016).
Trockenperioden und insbesondere
Sturmschä­den in Fichten­beständen wer­
den die Vermehrung des Buchdruckers
zusätzlich fördern und den Druck auf die
überlebenden Fichten verstärken. Aller­
dings ist unklar, wie sich die Sturmhäu­
figkeit in Zukunft verändert (SCNAT
2016).
Ganz allgemein gilt, dass die klima­
tischen Einflüsse und Störungen wie
Waldbrände und Schädlingskalamitäten
zusammenwirken und die Störungen die
klimawandelbedingten Veränderungen
im Wald stark beschleunigen.
Auswirkungen auf die
Waldbestände
Klimawandel prägt Wachstum und
Mortalität der Bäume …
Grundsätzlich wachsen Bäume schnel­
ler, wenn es wärmer wird – aber nur,
solange es genügend feucht bleibt.
Durch die sinkende Wasserverfügbarkeit
(siehe Abb. 6) wird das Baumwachstum
in den tieferen Lagen der Schweiz zu­
nehmend eingeschränkt. Das bedeutet,
dass Zuwächse und Vorräte längerfristig
zurückgehen dürften. In den höheren
Lagen ist mit stärkerem Baumwachstum
zu rechnen, weil die Wasserverfügbar­
keit meist gut bleiben dürfte. Ein solch
gegenläufiges Verhalten war bereits im
«Jahrhundertsommer» 2003 feststellbar
(Dobbertin 2005). Ausgeprägte Trocken­
heit kann auch zum Baumtod führen.
Bislang wurde für die meisten Baum­
arten eine geringe trockenheitsbedingte
Mortalität festgestellt – Ausnahmen
sind die Edelkastanie im Tessin und die
Waldföhre in den Walliser und Bündner
Trockentälern (Etzold et al. 2016). In
Zukunft ist von zunehmender Mortalität
auszugehen, weil lang anhaltende
Trockenperioden deutlich öfter auf­
­
treten dürften (SCNAT 2016) und viele
Schadorganismen, zum Beispiel der
Buchdrucker, von den steigenden Tem­
peraturen profitieren.
Abb. 10. Der Klima­
wandel begünstigt
die Buchdrucker­
entwicklung. Im
Bild: Befallsherd im
Diemtigtal, aufge­
nommen im Okto­
ber 2005.
8
… und damit die Baumartenzusam­
mensetzung
Wie Bäume auf steigende Temperaturen
und zunehmende Sommertrockenheit
reagieren, ist artspezifisch. «Verlierer»
unter den Baumarten wachsen langsa­
mer oder sterben gar ab, «Gewinner»
profitieren. Die Konkurrenzverhältnisse
verschieben sich, und langfristig ändert
sich so die Baumartenzusammensetzung.
Fichten und Buchen, die zwei häufigs­
ten Baumarten im Schweizer Wald, zei­
gen bereits heute in den tieferen Lagen
ein rückläufiges Bestandeswachstum
(Bircher et al. 2016). Die weitere Ent­
wicklung des ETa / ETp-Verhältnisses lässt
vermuten, dass ihr Wachstum dort auch
in Zukunft zurückgehen wird. Dies
konnte bereits im Hitzesommer 2003
beobachtet werden (Braun et al. 2015).
Hinzu kommen Verjüngungsprobleme in
tieferen Lagen (Wohlgemuth et al.
2016). Andere, trockenheitstolerantere
Arten wie zum Beispiel die Eichen
­werden sich dafür ausbreiten können
(Zimmermann et al. 2016). Zudem kön­
nen kältelimitierte Baumarten – zum
Beispiel Eichen oder Kirschbäume – bei
ansteigenden Temperaturen in grössere
Höhen vorstossen. So lässt die Modellie­
rung der Vegetationshöhenstufen wie
auch der Habitateignung erwarten
(siehe Abb. 7 und 8), dass sich im Zuge
des Klimawandels das Verbreitungs­
gebiet montaner (z. B. Buche, Tanne)
und subalpiner Arten (z. B. Fichte) ver­
ringert, dasjenige kolliner Arten (z. B. der
Eichen) oder des im Jurabogen vorkom­
menden schneeballblättrigen Ahorns
(Acer opalus) jedoch vergrössert.
Was bedeuten all diese als Folge des
Klimawandels gleichzeitig ablaufenden
Veränderungen für einen spezifischen
Waldstandort? Die zwei folgenden Bei­
spiele liefern Hinweise dazu:
Beispiel 1: feuchter FichtenTannenwald bei Jaun (FR)
Dieser Standort befindet sich in den
nördlichen Randalpen oberhalb von Jaun
(FR). Er liegt heute in der hochmontanen
Stufe (Abb. 11, links), wobei es sich um
einen «Alpendost-Fichten-Tannenwald
mit gelbem Eisenhut» handelt (50f;
Frehner et al. 2005/09). Der Waldbe­
stand setzt sich zusammen aus Fichten
(75 %), Tannen (25 %) und wenigen
Laubbäumen (Abb. 12, links). Gegen
Ende des Jahrhunderts wird mit dem
Merkbl. Prax. 59 (2017)
«mittleren» A1B-Emissionsszenario für
diesen Standort ein Klima prognosti­
ziert, wie es heute in der untermontanen
Stufe anzutreffen ist (Abb. 11, Mitte und
rechts). Dort kommt unter vergleich­
baren Bodenbedingungen ein «feuchter
Waldhirsen-Buchenwald» vor (Abb. 12,
rechts). Dies bedeutet, dass im Zuge des
Klimawandels die Buche am hoch­
montanen Standort in Jaun an Konkur­
renzkraft gewinnen dürfte. Für die
Fichte und die Tanne ist zu erwarten,
dass sie dank den höheren Temperatu­
ren und der weiterhin guten Wasser­
verfügbarkeit in diesem Gebiet (siehe
Abb. 6) gar ihr Wachstum steigern.
­Allerdings wird sich auch das Risiko für
Borkenkäfer­befall erhöhen. Längerfris­
Heute
Ende des 21. Jahrhunderts
RegCM3-Modell CLM-Modell
Abb. 11. Verteilung der Vegetationshöhenstufen heute im Raum Jaun (FR; links) und Modellierung für Ende des 21. Jahrhunderts (2070–2099) mit dem
«weniger trockenen» RegCM3-Modell (Mitte) und dem «trockeneren» CLM-Modell (rechts) für das «mittlere» A1B-Emissionsszenario. Der rote Punkt be­
zeichnet den im Text behandelten Standort. Quelle: Frehner et al. (in Bearbeitung; Stand: Januar 2017). Karten: Abenis AG.
Abb. 12. Waldhabitus für den heutigen (50f; links) und den mit dem «mittleren» A1B-Emissionsszenario modellierten zukünftigen Waldstandorttyp
(8S; rechts) im Fallbeispiel 1 (Jaun, FR).
Merkbl. Prax. 59 (2017)
9
tig sollte daher eine risikoärmere Baum­
artenmischung angestrebt werden – die
heutigen kantonalen Empfehlungen
raten zu einem Laubholzanteil von min­
destens 50 Prozent für den Standorttyp
8S (Mittelwert aus neun kantonalen
Empfehlungen).
Beispiel 2: trockener Buchenwald
auf dem Jolimont (BE)
Deutlich stärker dürften die Auswir­
kungen des Klimawandels beim in der
submontanen Stufe liegenden Standort
auf dem Jolimont, Kanton Bern, sein.
Heute ist der «Seggen-Buchenwald mit
Bergsegge» (Nr. 15) mit Buchen (60 %),
Waldföhren (25 %) und Traubeneichen
(15 %) bestockt (Abb. 14, links). Für die
Zukunft wird mit dem «mittleren» A1BEmissionsszenario ein kollines Klima
prognostiziert (Abb. 13, Mitte und­
rechts). In der kollinen Stufe steht auf
Heute
Ende des 21. Jahrhunderts
RegCM3-Modell
CLM-Modell
Abb. 13. Verteilung der Vegetationshöhenstufen heute auf dem Jolimont (BE; links) und Modellierung für Ende des 21. Jahrhunderts (2070–2099) mit
dem «weniger trockenen» RegCM3-Modell (Mitte) und dem «trockeneren» CLM-Modell (rechts) für das «mittlere» A1B-Emissionsszenario. Der rote Punkt
bezeichnet den im Text behandelten Standort. Quelle: Frehner et al. (in Bearbeitung; Stand Januar 2017). Karten: Abenis AG.
Abb. 14. Waldhabitus für den heutigen (Nr. 15) und den mit dem «mittleren» A1B-Emissionsszenario modellierten zukünftigen Waldstandorttyp (Nr. 41)
im Fallbeispiel 2 (Jolimont, BE).
10
Merkbl. Prax. 59 (2017)
vergleichbarem Boden ein «PlatterbsenEichenmischwald» (Nr. 41; Abb. 14,
rechts). Die heute vorhandenen Baumar­
ten dürften auf diesem Standort auch in
Zukunft gedeihen. Im Zuge der abneh­
menden Wasserverfügbarkeit ist jedoch
zu erwarten, dass die Buche deutlich an
­Konkurrenzkraft verliert und dass das
Bestandeswachstum zurückgeht. Damit
würde der Bestand auch lückiger und
die Bäume würden nur noch eine Höhe
von etwa 10 bis 15 m erreichen (heute:
15 bis 25 m).
Fazit
Wie stark sich der Klimawandel auf den
Schweizer Wald auswirken wird, hängt
in erster Linie von der Entwicklung der
Treibhausgasemissionen ab. Wie die
­vorangehenden Darstellungen zeigen,
hat die klimatische Entwicklung, wie sie
aus dem «mittleren» A1B-Emissions­
szenario resultiert, deutliche Folgen für
den Schweizer Wald und dessen Leis­
tungserbringung. Ob dieses Emissions­
szenario oder eines mit geringeren oder
höheren Treibhausgasemissionen Rea­
lität werden wird, wird die Zukunft
­weisen. Auf jeden Fall werden sich die
heutigen Treibhausgasemissionen noch
sehr lange auswirken.
Die Auswirkungen des Klimawandels
sind aber auch vom Waldstandort und
von der gegenwärtigen Bestockung
­abhängig. So werden die grössten Än­
derungen dort erwartet, wo es schon
heute trocken ist, und dort, wo Baumar­
ten bereits heute Schwächesymptome
in trockenen Sommern zeigen. Die
Wanderung der Baumarten wird der
klimatischen Entwicklung hinterher­
hinken, denn Bäume können auch noch
auf Standorten ausharren, auf denen
sie sich nicht mehr verjüngen können,
und die spontane Besiedlung neuen
Terrains braucht Zeit. Störungen werden
den Wechsel beschleunigen, und Ex­
tremereignisse wie zum Beispiel som­
merliche Hitzewellen dürften dabei eine
grosse Rolle spielen.
Zum heutigen Zeitpunkt ist davon
­auszugehen, dass der Klimawandel so
stark ist und so rasch abläuft, dass sich
der Wald ohne menschliche Hilfe nicht
genügend rasch anpassen kann, um die
von ihm geforderten Leistungen im bis­
herigen Umfang weiterhin zu erbringen.
Entsprechend wichtig ist es, dass die
Merkbl. Prax. 59 (2017)
Waldverantwortlichen die Anpassung
des Waldes gezielt unterstützen und
rechtzeitig eingreifen, um die Baum­
artenzusammensetzung sanft und suk­
zessive anzupassen. Weitere Merkblät­
ter aus dem Forschungsprogramm und
insbesondere die angepassten standort­
kundlichen Grundlagen (Frehner et al.,
in Bearbeitung) werden dazu Hilfestel­
lungen bieten.
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Kontakt
Fotos
Peter Brang
Eidg. Forschungsanstalt WSL
Zürcherstrasse 111
CH-8903 Birmensdorf
[email protected]
Peter Brang (Abb. 1, Abb. 10), Ulrich
Wasem (Abb. 9), Geri Kaufmann (Abb. 12
links und rechts), Barbara Allgaier Leuch
(Abb. 14 links) und Peter Schmider
(Abb. 14 rechts)
Weiterführende Informationen
Zitierung
www.wsl.ch/wald_klima
Allgaier Leuch, B.; Streit, K.; Brang, P.,
2017: Der Schweizer Wald im Klimawandel:
Welche Entwicklungen kommen auf uns
zu? Merkbl. Prax. 59. 12 S.
Merkblatt für die Praxis ISSN 1422-2876
Konzept
Managing Editor
Im Merkblatt für die Praxis werden Forschungsergebnisse zu Wissenskonzen­
traten und Handlungsanleitungen für Praktikerinnen und Praktiker aufbereitet. Die
Reihe richtet sich an Forst- und Naturschutzkreise, Behörden, Schulen und interes­
sierte Laien.
Martin Moritzi
Eidg. Forschungs­anstalt WSL
Zürcherstrasse 111
CH-8903 Birmensdorf
[email protected]
www.wsl.ch/merkblatt
Französische Ausgaben erscheinen in der Schriftenreihe Notice pour le praticien
(ISSN 1012-6554). Italienische Ausgaben erscheinen in loser Folge in der Schriften­
reihe Notizie per la pratica (ISSN 1422-2914).
Die neuesten Ausgaben (siehe www.wsl.ch/merkblatt)
Nr. 58:Kupferstecher und Furchenflügeliger Fichtenborkenkäfer. B. Forster 2017.
8 S.
Nr. 57:Das Eschentriebsterben. Biologie, Krankheits­symptome und Handlungs­
empfehlungen. D. Rigling et al. 2016. 8 S.
Nr. 56:Siedlungs- und Landschaftsentwicklung in ag­glo­merationsnahen Räumen.
Raumansprüche von Mensch und Natur. S. Tobias et al. 2016. 16 S.
Nr. 55:Die Eiche im Klimawandel. Zukunftschancen einer Baumart. P. Bonfils
et al. 2015. 12 S.
Nr. 54:Der Kastanienrindenkrebs. Schadsymptome, Biologie und Gegenmass­
nahmen. D. Rigling et al. 2014. 8 S.
Nr. 53:Lebensraumvernetzung in der Agrarlandschaft. Chancen und Risiken.
D. Csencsics et al. 2014. 8 S.
Nr. 52: Totholz im Wald. Entstehung, Bedeutung und Förderung. T. Lachat et al. 2013.
12 S.
Nr. 51:Naherholung räumlich erfassen. M. Buchecker et al. 2013. 8 S.
Nr. 50:Laubholz-Bockkäfer aus Asien – Ökologie und Management. 2. überarb. Aufl.
B. Wermelinger et al. 2013. 16 S.
12
Die WSL ist ein Forschungsinstitut des
ETH-Bereichs.
Layout: Jacqueline Annen, WSL
Druck: Rüegg Media AG
Merkbl. Prax. 59 (2017)
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