4.10 Klimawandel: Funktionalität der Fließgewässer in Gefahr

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From:Warnsignal Klima: Gesundheitsrisiken - Gefahren für Pflanzen, Tiere & Menschen (2008, 384 pages)
www1.uni-hamburg.de/Gesundheit - ISBN: 978-3980966849 - Orders & Information: [email protected]
4.10
Klimawandel: Funktionalität der Fließgewässer in Gefahr
HEIKE ZIMMERMANN-TIMM & FRIEDRICH SCHIEMER
Climate change – a danger to the functionality of rivers: Climatic changes may be regarded as disturbances
which influence structure and function of running water ecosystems either directly or indirectly. The frequency
and amplitude of these disturbances is critical in determining whether a river changes permanently or returns to
its original state. The likelihood of a considerable change increases with the number of other stress factors. The
combination of climate change with other drivers (e.g. land-use change, pollution, overexploitation of resources)
poses a significant danger to riverine ecosystems. Therefore, measures to adapt rivers to climate change must be
well considered.
er Klimawandel wird auf den durch den Menschen
verursachten Treibhauseffekt der Erde zurückgeführt
und spiegelt sich vor allem in der Veränderung der Temperatur, des Meeresspiegels und des Niederschlags wieder
(IPCC 2007).
Die Fließgewässer sind einerseits durch die physikalischen und chemischen Eigenschaften des Wassers geprägt;
andererseits bestimmen Faktoren, wie Licht, Temperatur,
Sauerstoff, Abfluss und Strömung deren Charakter
(SCHWOERBEL & BRENDELBERGER 2005). Die Organismen
der Fließgewässer sind durch vier wesentliche Faktoren
ihres Lebensraumes geprägt: der Dichte des Wassers und
dem damit zusammenhängenden Auftrieb, der Salzarmut
des Wassers, den Eigenschaften von Wasser als Lösungsmittel und der Änderung der physikalischen und chemischen Parameter. Hinzu kommen die vielfältigen biotischen Interaktionen (SCHWOERBEL & BRENDELBERGER 2005).
Vielfach ist es der Koeffizient der Veränderung (z.B. Temperaturerhöhung, frostfreier Zeitraum) der die Organismen
prägt, aber es kann auch ein als Anreiz wirkender
Proximatfaktor sein, der ein bestimmtes Verhalten induziert (BEGON et al. 2002).
Der Klimawandel verändert direkt oder indirekt die
Stärke der genannten abiotischen Umweltfaktoren, die wiederum die von Organismen ausgehenden Faktoren beeinflussen. Die wichtigsten Parameter werden hier vorgestellt:
D
Einfluss der Temperatur
Für die nächsten zwei Jahrzehnte wird vom IPCC eine Erwärmung von 0,2 oC pro Jahrzehnt projiziert, wobei Unterschiede im Grad der Erwärmung zwischen Regionen
und Jahreszeiten bestehen. Selbst wenn die Konzentration
aller Treibhausgase und Aerosole auf dem Niveau des Jahres 2000 konstant gehalten würden, wäre eine weitere Erwärmung von 0,1 oC pro Jahrzehnt zu erwarten (IPCC
2007). Dies würde massive Auswirkungen auch im Bereich unserer Fließgewässer haben.
Während die Temperatur der Quellen, die sich aus der
mittleren Jahrestemperatur der Umgebung ableitet, das
ganze Jahr über relativ konstant bleibt, ändert sie sich im
restlichen Fließverlauf jahreszeitlich bedingt mehr oder
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weniger deutlich. Die wichtigste Wärmequelle ist die direkte Sonneneinstrahlung, die den Wasserkörper umso
mehr erwärmen kann, je geringer die Wassertiefe, der Austausch mit dem Grundwasserkörper (Infiltration und
Exfiltration) und die Beschattung sind. Als ein sehr guter
Wärmespeicher gibt das Wasser nur wenig Wärme an seine Umgebung ab, sodass die tageszeitlichen Temperaturschwankungen relativ gering bleiben. Diese Eigenschaft
bringt es auch mit sich, dass ein Fließgewässer in seinem
Längsverlauf immer wärmer wird (natürlicher Temperaturgradient). Temperaturaufzeichnungen in Schweizer Fließgewässern zeigen, dass durchschnittliche Wassertemperaturen gegenüber 1900 um rund 2 oC angestiegen sind (s.
später) und dass auch die im Tagesgang gemessenen Maximalwerte zunahmen (www/Ch/riverwatch)
In schwach durchströmten oder nur zeitweise angebundenen Gewässerabschnitten, beispielsweise Altarmen
und Stauwurzeln (s. später) kann es im Sommer auf Grund
der eintreffenden Sonneneinstrahlung zu einer deutlichen
Erwärmung der oberen Wasserschichten kommen, was
schließlich zur Ausbildung einer thermischen Schichtung
führt. Die Stabilität der ausgebildeten Schichtung kann
dann die für Fließgewässer typischen Turbulenzen unterbinden, die normalerweise Sediment-Freiwasser-Interaktionen fördern (ZIMMERMANN-TIMM 2002).
Eine Temperaturerhöhung wird sich in einer veränderten Zusammensetzung des Artgefüges und Änderungen bei
Soffumsatzprozessen widerspiegeln, und das wiederum hat
Auswirkungen auf sämtliche zwischenartliche Beziehungen im System und auch zwischen unterschiedlichen Systemen (z.B. Wasser-Land). Zeitliche Verschiebungen in
der saisonalen Dynamik und des Nahrungsgefüges sind
bereits heute schon zu beobachten.
Mit zunehmender Temperatur steigt die Aktivität von
Organismen exponentiell an – es kommt zu einer Erhöhung von Produktion und Verbrauch organischer Stoffe
und Sauerstoff. In nährstoffreichen Gewässern kommt es
bei hohen Temperaturen auf Grund der Abnahme der Löslichkeit des Sauerstoffs im Wasser und der Zunahme des
Sauerstoffverbrauchs durch Abbauprozesse häufig in
Warmwasserperioden zu Sauerstoffdefiziten. Dies ist z.B.
die Ursache des sogenannten Sauerstofflochs, das in den
SOZIO-ÖKONOMISCHE ASPEKTE: GEWINNER UND VERLIERER
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Bis zur Mitte des Jahrhunderts werden der mittlere
Jahresabfluss in Flüssen und die Wasserverfügbarkeit in
hohen Breiten und einigen feuchten Tropengebieten nach
Aussagen des IPCC möglicherweise einen Anstieg von
10–40% aufweisen. Für einige trockene Gebiete in mittleren Breiten sowie für trockene Tropengebiete, die derzeit
unter Wassermangel leiden, ist eine Abnahme des Niederschlags um 10–30% zu erwarten. Ensprechend werden sich
die von Dürre betroffenen Gebiete flächenmäßig ausdehnen. Ferner ist zu erwarten, dass die Häufigkeit schwerer
Niederschlagsereignisse zunehmen wird, und damit das
Risiko von Überschwemmungen (IPCC 2007).
eignen. Trendanalysen zeigen eine Zunahme der Jahresabflüsse, die vornehmlich durch Anstiege der Abflüsse im
Winter und Frühjahr verursacht werden. Dies lässt sich
zumindest zu einem großen Teil durch eine Zunahme intensiver Winterniederschläge erklären.
Im Hochgebirge wird im Winter keine signifikante
Beeinflussung der Hochwasser erwartet, da Winterniederschläge wegen des Schneeanteils hier weiterhin weniger direkt Hochwasser bildend wirken. Im Frühjahr dagegen wird eine Intensivierung (BIRSAN et al. 2004) der
Schneeschmelze erwartet. Dies könnte zum Anstieg der
Hochwassergefährdung führen, insbesondere wenn es zur
Überlagerung von Schmelz- und Regenereignissen kommt.
Niederschlagsextreme bedingen Hochwasserereignisse und tragen damit auch zu einer Intensivierung
von Gewässer-Umland-Beziehung bei. Im Zuge von Überschwemmungen werden anorganische und organische
Nährstoffe aber auch Problemstoffe aus dem Fluss in das
Umland abgegeben und umgekehrt versorgt das Umland
den Fluss mit anorganischen und organischen Materialien
(Flood Pulse Konzept, JUNK et al. 1989, TOCKNER et al.
2000). Damit ist diese Interaktion für den Stoff- und Energiehaushalt der Biosphäre von großer Wichtigkeit.
Hochwasser können dazu führen, dass erhebliche Anteile (mehr als 75%) der Flora und Fauna entfernt werden.
Eine Wiederbesiedlung ist zeitnah möglich, wenn entsprechende Refugien vorhanden sind, beispielsweise im
Lückensystem des Gewässerbodens (Interstitial), in
Nebengewässern und bei Wasserinsekten auch im Bestand
an flugfähigen und reproduktionsreifen Individuen. Sind
diese Refugien nicht gegeben (s. später), weil beispielsweise das Bodenlückensystem der Flüsse mit feinpartikulären Material zusedimentiert, Nebengewässer nicht
strukturell angebunden oder nicht intakt sind, kann sich
ein solcher Fluss nach solch einem Störfall nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung regenerieren. Gemäß SCHÖNBORN (1992) sind Störungen, wie Hochwasserereignisse,
im intakten System durchaus auch als Regelungsmechanismen zu betrachten, die die Heterogenität des Flusses
fördern.
Nach der Überschwemmung im Zuge eines Hochwassers bleibt schließlich ein wassergesättigter Boden mit zahlreichen ephemeren Kleingewässern. Diese wiederum bieten Habitate für zahlreiche Organismen und können, kombiniert mit dem zu erwartenden Anstieg der Temperatur,
auch als eine Brutstätte von Mücken ein Gesundheitsrisiko
darstellen (z.B. bei der Verbreitung von Malaria).
Hochwasser
Trockenheit
In der Vergangenheit gab es sowohl Perioden mit vielen
Hochwassern als auch solche mit wenigen. Im Vergleich
zu früheren Jahrzehnten des 20. Jahrhundert scheinen sich
seit ungefähr 20 Jahren häufiger große Hochwasser zu er-
Warme niederschlagsfreie Zeiten können dazu führen, dass
Fließgewässer trocken fallen, ein Phänomen das zumindest ansatzweise bereits in den vergangenen Sommern
beobachtet wurde. Entsprechend ist im Zuge der Klima-
letzten Jahren immer wieder im Sommer im Elbe-Ästuar
unterhalb Hamburgs gemessen wurde. Bei diesem Beispiel
kommt hinzu, dass die Verweilzeit des Wasserkörpers im
Ästuar tidebedingt relativ groß ist (www.ARGE-Elbe.de).
Eine Erwärmung der Fließgewässer hat Auswirkungen auf die Verbreitung von Organismen. Als Folge der
Erwärmung um 0,4–1,6 oC hat sich die Forellenregion in
der Schweiz in den letzten 25 Jahren um 100–200 m in
der Höhe verschoben (HARI et al. 2006). Bei einer Erwärmung um 2 oC bis 2050 würden die Lebensräume der
Salmoniden in der Schweiz um 1/5 bis 1/4 gegenüber
heute schrumpfen. Eine ähnliche Entwicklung wurde in
Nordamerika beobachte: In den Rocky Mountains verringerten sich die als Habitat für Forellen geeigneten
Gewässerstrecken bei einer Erwärmung des Wassers im
Juli um 1 oC um 17% (KELEHER & RAHEL 1995). Vielfach
ist es nicht der Faktor Temperatur der direkt die Verbreitung bestimmt, sondern die Quantität und Qualität von
Nahrung, Laichhabitaten u.a. Faktoren. Manchmal bedarf
es aber auch eines als auslösendem Reiz wirkenden
Temperaturfaktors; Welse beispielsweise laichen erst ab,
wenn die Wassertemperatur unter einen bestimmten Wert
sinkt.
Eine Zunahme der mittleren Jahrestemperatur kann das
Einwandern von sogenannten aktiv oder passiv verbreiteten Neuankömmlingen (Neozoen/Neophyten) aus wärmeren Gebieten auch in Fließgewässern fördern und auch die
Ausbreitung von Fischkrankheiten wie die Parasiteninfektion PKD (Proliferative Kidney Disease) bei Forellen (BURKHARDT-HOLM et al. 2005). Jeder Neuankömmling
kann die Struktur und Funktion des gesamten Nahrungsgefüges verändern.
Einfluss vom Niederschlag
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erwärmung in naher Zukunft mit einer zunehmenden Anzahl von ephemeren Fließgewässern zu rechnen, bei denen es wichtig sein wird, dass Refugien vorhanden sind,
aus denen nach Trockenperioden eine Wiederbesiedlung
erfolgen kann.
Die Mittel- und Unterläufe sind entsprechend des hydrologischen Regimes zumindest zeitweise noch mit Altarmen oder anderen Stillgewässern verbunden (Inshore
Retention Concept, SCHIEMER et al. 2001). Diese Verbindung ist für viele Organismen von großer Bedeutung, beispielsweise als Laichplatz für Fische oder zum Animpfen
des Hauptstroms mit Plankton (ZIMMERMANN-TIMM et al.
2007). Häufen sich jedoch die Niedrigwasserphasen, so
gehen diese Anbindungen und damit auch für manche Organismen ein wichtiger Lebensraum verloren und der
Fluss verliert an Heterogenität.
Ein weiteres Problem ist, dass in Flusssystemen mit
langen Niedrigwasserphasen Nährstoffdefizite auftreten
können.
Neuere Studien zeigen, dass insbesondere in kontinentalen Regionen nicht nur Änderungen in den Niederschlägen von Bedeutung sind, sondern insbesondere auch
Änderungen in der Evaporation bzw. Evapotranspiration,
d.h. der Verdunstung von Wasser aus Gewässern, feuchten Böden und der Vegetation. Für das Elbeeinzugsgebiet
konnten HATTERMANN et al. (eingereicht) zeigen, dass die
Verdunstung eine dominierende Einflußgröße ist. Überhöhter Wasserentzug verändert das Temperaturregime
und zusätzlich geht im Gewässer die Vielfalt der Strukturen, Strömungsmuster und Wassertiefen verloren.
ser. Besondere Probleme bestehen in anthropogen überformten und in mit Problemstoffen belasteten Gewässern. Viele Flüsse sind verbaut und begradigt wodurch
die Hochwassergefahr vor allem im Unterlauf der Flüsse verschärft wird. Dies wird u.a. am Beipiel des Rheins
deutlich (LAWA 1995). Hier erscheint die Wiederherstellung ausreichend großer Retentionsflächen im Einzugsgebiet angeraten, durch die die extremen Hochwasserstände bei Köln um ca. 1 m verringert werden
könnten (IKSR 1998). Belastungen mit Nährstoffen und
toxischen Substanzen aus unterschiedlichen Einträgen
können bei hohen Temperaturen und geringen Wasserführungen verstärkt wirken, was extreme Auswirkungen auf die Funktionalität der Fließgewässer für die
Deckung des Wasserbedarfs bei der Trinkwasserversorgung und der Landwirtschaft haben kann, in besonderem Maße wenn es längs der Gewässer zu einer Absenkung des Grundwasserspiegels und damit der Wasserverfügbarkeit kommt.
Fazit
Klimaänderungen sind Störungen, die direkt oder indirekt auf die Struktur und Funktion der Fließgewässer
Einfluss nehmen. Die Frequenz und Amplitude der Störungen entscheidet darüber, ob sich ein Fließgewässer
stark verändert oder ob es nach dieser Störung, beispielsweise nach einem Hochwasserereignis, wieder in den
Ursprungszustand zurückkehrt. Erhebliche Veränderungen sind vor allem dann zu erwarten, wenn eine größere
Anzahl an Stressoren zusammen auftritt. Das heißt, dass
letztendlich die Kombination von Klimaänderung und
Wechselwirkungen der Effekte
anderen globalen Antriebselementen (z.B. Landnutzungsdes Klimawandels mit weiteren
änderung, Verschmutzung, Übernutzung von RessourVeränderungen im Fluss
cen), eine große Gefahr für die Ökosysteme birgt. DarDer Globale Wandel ist eine nicht zu unterschätzende um sollten die Maßnahmen für die Flüsse zur Anpassung
Einflussgröße für die Funktionalität unserer Fließgewäs- an den Klimawandel gut überlegt sein.
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