Grundlagen der maschinellen Beatmung - Beck-Shop

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Grundlagen der maschinellen Beatmung
Einführung in die Beatmung für Ärzte und Pflegekräfte
Bearbeitet von
Jörg Rathgeber
2., aktual. Aufl. 2010. Buch. 456 S. Hardcover
ISBN 978 3 13 148792 6
Format (B x L): 17 x 24 cm
Weitere Fachgebiete > Medizin > Pflege > Fachpflege (chirurgisch, intensivisch,
psychiatrisch, etc.)
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3
Beatmungsformen
1
Jörg Rathgeber
Während die Einstellparameter sowie die zeitlichen Verläufe von Druck, Volumen und Flow innerhalb eines Beatmungszyklus durch das Beatmungsmuster gekennzeichnet werden, beschreibt
die Beatmungsform die Wechselbeziehung zwischen Patient und Beatmungsgerät. Sie bestimmt,
nach welchen Kriterien die einzelnen Beatmungszyklen ausgelöst werden, ihre zeitliche Abfolge sowie die Anteile von Respirator und Patient an der
Gesamtventilation.
Die ersten Intensivrespiratoren in den 50er
Jahren waren aufgrund technischer Unzulänglichkeiten ausschließlich für kontrollierte Formen der maschinellen Überdruckbeatmung geeignet. Spontanatmungsaktivitäten des Patienten
konnten vom Respirator nicht erkannt und umgesetzt werden und mussten durch tiefe Sedierung bis hin zur Relaxierung unterdrückt werden.
Moderne Respiratoren ermöglichen dagegen die
­bedarfsgerechte Anpassung der maschinellen Unterstützung an die aktuellen ventilatorischen Erfordernisse des Patienten. Durch Kombinationen
verschiedener Beatmungsformen ist neben der totalen Übernahme der Ventilation auch die partielle Unterstützung der Eigenatmung des Patienten
durch intermittierende maschinelle Beatmungszüge und/oder ­maschinelle Unterstützung der
einzelnen Spontanatemzüge möglich („augmentierte“ Spontanatmung). Der maschinelle Support
und damit auch die ­ventilatorische Eigenleistung
des Patienten sind hierbei variabel. Ein intaktes
Atemzentrum ist allerdings bei allen Formen der
­unterstützenden Spontanatmung absolute Voraussetzung. Um Missverständnissen vorzubeugen,
sollte der Begriff „Spontanatmung“ generell nur
dann verwendet werden, wenn die Gesamtventilation vom Patienten (z. B. bei CPAP-Atmung) erbracht wird. ­Ansonsten sollte besser von „maschinell ­unterstützter Spontanatmung“ gesprochen
werden.
Die maschinell unterstützte Spontanatmung
ist in Deutschland heute die bei Weitem vorherrschende Beatmung in der Intensivmedizin.
Merke
Die Beatmungsform bestimmt die Kommunika­
tion zwischen Patient und Respirator.
3
3
3
3.1
Terminologie
Neue medizinische Erkenntnisse, technische Weiterentwicklungen und veränderte Beatmungsstrategien haben in den letzten Jahre zur klinischen
Einführung zahlreicher neuer Beatmungsmodes
geführt, die mehr oder weniger von den „klassischen“ Beatmungsformen abweichen und sich
auch von Hersteller zu Hersteller unterscheiden.
Deren Klassifizierung ist außerordentlich schwierig, zumal sich die Unterschiede aus patentrechtlichen Gründen häufig lediglich auf technische Details beziehen, deren klinische Relevanz oftmals
fraglich ist.
Neben der Einteilung anhand technischer Spezifikationen und Steuerungsgrößen kann im Wesentlichen zwischen 3 Grundformen der Beatmung unterschieden werden, die sich am Anteil
der Maschine bzw. des Patienten an der Atemarbeit orientieren:
1. Kontrollierte oder mandatorische Beatmung
(Continuous Mandatory Ventilation, CMV):
Die Maschine übernimmt die ­gesamte Ventilation der Lungen, vom Patienten wird, solange er nicht „gegen die Maschine atmet“,
­keine Atemarbeit erbracht: „Der Patient macht
nichts, die Maschine macht alles“ (total ventilatory support). Der Begriff „mandatorisch“
bedeutet, dass die Vorgabe der notwendi-
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
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3 Beatmungsformen
gen Parameter im Mandat des Bedieners liegt.
Maschinelle Beatmungshübe werden der Zielgröße entsprechend entweder volumenkontrolliert (Volume Controlled Ventilation, VCV)
oder druckkontrolliert (Pressure Controlled
Ventilation, PCV) verabreicht. Zur exakten Beschreibung des eingestellten ­Beatmungsmodus
hat es sich bewährt, die Art der maschinellen
Volumenlieferung durch einen entsprechenden Zusatz eindeutig zu kennzeichnen, z. B. als
­VC-CMV (volumenkontrollierte maschinelle
Beatmung), PC-CMV (druckkontrollierte Beatmung), PC-S-IMV (S-IMV mit druckkontrollierten
maschinellen Beatmungshüben), PC-IRV (druckkontrollierte Inverse Ratio Ventilation) usw.
Obwohl PCV im eigentlichen Sinne die
­Applikation des einzelnen Beatmungshubs
charakterisiert, wird der Begriff im klinischen
­Sprachgebrauch meist als Synonym für PC-CMV
verwendet.
2. Maschinell unterstützte Spontanatmung: Die
Ventilation und damit die Atemarbeit wird nur
teilweise von der Maschine übernommen, ein
(variabler) Teil wird vom Patienten ­geleistet
(partial ventilatory support). Die ­maschinelle
Unterstützung der Atmung kann entweder
durch Unterstützung jedes einzelnen Atemzuges oder durch intermittierende mandatorische Beatmungshübe oder beides erfolgen,
wobei unterschiedliche Steuerungsprinzipien
(Druck-, Flow-, Zeit-, Volumensteuerung) zur
Anwendung kommen. Klassischer Vertreter dieser Gruppe ist die druckunterstützte Spontanatmung (Pressure Support Ventilation, PSV).
Technische Weiterentwicklungen erlauben dem
Patienten nicht nur eine ungehinderte Spontanatmung, sondern gleichzeitig eine automatische
Anpassung des maschinellen Supports an seine
aktuelle ventilatorische Eigenleistung. Derartige rückkoppelnde Systeme zeigen neue Wege
nicht nur im Rahmen der ▶ lungenprotektiven
Beatmung auf, sondern vor allem auch bei der
▶ Entwöhnung vom Respirator.
3. Spontanatmung (Spontaneous Ventilation,
SV): Die in- und exspiratorische Atemarbeit
wird allein vom Patienten erbracht: „Der Patient macht alles, die Maschine macht nichts“.
Im Folgenden werden die Grundlagen der wichtigsten Beatmungsverfahren erläutert, wobei
­bewusst auf die Beschreibung technischer Spezi-
fikationen und herstellerspezifischer Unterschiede
verzichtet wird.
3.2
Kontrollierte
­Beatmungsverfahren
3.2.1
Volumenkontrollierte Beatmung,
VC-CMV
VC-CMV, Volume Controlled Continuous Mandatory
Ventilation
CMV, Continuous Mandatory Ventilation
IPPV, Intermittent Positive Pressure Ventilation
CPPV, Continuous Positive Pressure Ventilation
(IPPV mit PEEP)
Definition. Bei der volumenkontrollierten Beatmung werden sämtliche Beatmungsparameter
vorgegeben. Ziel- und Steuerungsparameter ist
das Tidalvolumen (Atemzugvolumen). Die resultierenden Atemwegsdrücke sind abhängig von
den eingestellten Volumina sowie den pulmonalen
Gegebenheiten des Patienten (Abb. 3.1). Die Beeinflussung des inspiratorischen Beatmungsmusters
durch den Patienten ist nicht möglich.
Atemminutenvolumen. Die primäre Einstellung
des Atemminutenvolumens orientiert sich am
Körpergewicht des Patienten, wobei ein Ventilationsbedarf von ca. 100 ml Atemluft pro (idealem!)
kg KG und Minute zugrunde gelegt wird. Die initialen Beatmungsfrequenzen werden auf ca. 15
pro Minute eingestellt. Das Atemminutenvolumen
(AMV) resultiert aus der Höhe des eingestellten Tidalvolumens und der Beatmungsfrequenz.
Hinweis
Da immer die gleichen Tidalvolumina appli­
ziert werden, wird die ­volumenkontrollierte
­Beatmung auch als volumenkonstante Beat­
mung bezeichnet.
Inspirationsflow. Die Höhe des Inspirationsflows
ist zumeist direkt wählbar oder resultiert aus der
Einstellung der aktiven Inspirationsdauer. Der beatmete Patient ist nicht in der Lage, diesen mandatorischen Flow zu beeinflussen. Je nach den
vorliegenden pulmonalen Gegebenheiten und der
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.2 Kontrollierte B
­ eatmungsverfahren
inspiratorischer
Spitzendruck
inspiratorisches
Plateau
Druck
PEEPNiveau
Flowphase
Flow
Pausenphase
Inspiration
Volumen
Inspiration
Exspiration
Zeit
I
E
I
E
Abb. 3.1 Volumenkontrollierte Beatmung mit
PEEP. Zielparameter ist die Volumenkonstanz, Ein­
stellparameter sind Flow, Beatmungsfrequenz und
PEEP. Änderungen von Compliance und/oder Resis­
tance verursachen entsprechende Veränderungen
der Beatmungsdrücke.
Vigilanz des Patienten werden bei volumenkon­
trollierten Beatmungsformen üblicherweise Flows
zwischen 15 und 40 l/min eingestellt. Nach Öffnung des Inspirationsventils wird bis zum Ende
der Flowphase ein konstanter Flow definierter
Höhe abgegeben. Andere Flowmuster, wie dezelerierender, akzelerierender oder sinusförmiger
Flow (siehe auch Abb. 2.5, S. 64), werden bei volumenkontrollierter Beatmung praktisch nicht mehr
verwendet, da sie keine erkennbaren Vorteile bieten.
Beatmungsdruck. Je niedriger die ▶ Compliance
der beatmeten Lunge ist, z. B. bei schweren Erkran-
kungen des Lungenparenchyms im Rahmen des
▶ ARDS, desto größer sind die erforderlichen maschinellen Beatmungsdrücke, um die gewünschten
Volumina zu applizieren. Anstiege der ▶ Resistance
der Atemwege wie beim Status asthmaticus führen ebenfalls zur Zunahme der Beatmungsdrücke.
Inspiratorische Druckbegrenzung. Bei der Einstellung der Tidalvolumina unter volumenkonstanter
Beatmung muss unbedingt auf die resultierenden
Beatmungsdrücke geachtet werden. Hohe Tidalvolumina verursachen hohe Atemwegsdrücke,
die insbesondere bei pulmonal vorgeschädigten
Patienten zur weiteren Schädigung von intaktem
Lungenparenchym (▶ Volutrauma) beitragen können. Generell sollten beim Erwachsenen inspiratorische Beatmungsdrücke über 30 mbar dauerhaft nicht überschritten werden. Zur Vermeidung
unerwünschter Druckspitzen in den Atemwegen
wird die Einstellung einer inspiratorischen Druckbegrenzung dringend empfohlen. Nach Überschreiten dieses Grenzwertes wird die Inspiration
automatisch abgebrochen.
Hinweis
Als Anhaltswert sollte der Begrenzungsdruck ca.
10 mbar oberhalb des Spitzendrucks eines nor­
malen Beatmungshubs eingestellt werden (Abb.
3.2).
■■ Drucklimitierte Beatmung, PLV
PLV, Pressure Limited Ventilation
Definition. Die drucklimitierte Beatmung (Pressure
Limited Ventilation, PLV) ist eine Sonderform der
volumenkontrollierten Beatmung. Das Überschreiten des eingestellten Begrenzungsdrucks führt
­jedoch nicht zum Abbruch der Inspirationsphase,
sondern zur Abnahme des Flows (Flowdezeleration). Zielgröße bleibt das Volumen. Unabhängig
vom geräteseitig eingestellten Inspirationsflow
kann die gesamte Inspirationsphase für die aktive
Volumenlieferung ausgenutzt werden (Abb. 3.3).
Der Inspirationsflow wird erst dann abgebrochen,
wenn das eingestellte Tidalvolumen vollständig
appliziert (Volumensteuerung) oder die Inspirationszeit abgelaufen ist (Zeitsteuerung).
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3 Beatmungsformen
b
inspiratorische
Druckbegrenzung
a
Druck
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b
a
10 mbar
Druck
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Flowabbruch
Null-Flow
Begrenzungsdruck
Plateaudruck
Flow
Flow
3
Tidalvolumen nicht erreicht
Volumen
3
Volumen
3
Zeit
3
3
3
3
3
3
3
Abb. 3.2 Inspiratorische Druckbegrenzung. Die
inspiratorische Druckbegrenzung sollte etwa 10
mbar oberhalb des Spitzendrucks eines normalen
Beatmungshubs eingestellt werden.
aDie inspiratorische Druckbegrenzung wird nicht er­
reicht, das eingestellte Tidalvolumen wird appliziert.
bDie inspiratorische Druckbegrenzung wird über­
schritten (rote Markierung). Die Inspirationsphase
wird durch Flowabbruch vorzeitig beendet. Die
Exspiration wird eingeleitet, ohne dass das einge­
stellte Tidalvolumen verabreicht wurde.
Beachte
Das Atemvolumen bleibt konstant, solange in
der Druckkurve ein Druckplateau oder in der
Flowkurve eine No-Flow-Phase zwischen Inspira­
tion und Exspiration erkennbar ist.
Erst wenn die Inspirationsphase zur Applikation
des Volumens nicht ausreicht, kommt es zu Volumeninkonstanz und entsprechender Alarmierung.
Dies kann z. B. der Fall sein bei akuter Erhöhung
der Atemwegswiderstände durch Sekretobstruktion, Pressen des Patienten usw. Vorübergehende Veränderungen von pulmonaler Compliance
oder Resistance können somit durch PLV besser
Zeit
Abb. 3.3 Drucklimitierte Beatmung. Das Erreichen
des Begrenzungsdrucks führt nicht zum Abbruch der
Inspiration, sondern zur Flowreduktion und Verlänge­
rung der aktiven Inspirationszeit.
a Die Inspirationsphase reicht zur Applikation des Volu­
mens aus, ein Druckplateau bzw. eine No-Flow-Phase
ist erkennbar: drucklimitiert – volumenkonstant.
bDie Inspirationsphase reicht zur Applikation des
Volumens nicht aus (rote Markierung). Es ist kein
Druckplateau bzw. keine inspiratorische No-FlowPhase mehr erkennbar: drucklimitiert – volumen­
inkonstant.
kompensiert werden als durch die herkömmliche
­starre Druckbegrenzung.
Hinweis
Die drucklimitierte Beatmung steht meistens
nicht als eigenständige Beatmungsform zur Ver­
fügung, sondern wird als Zusatzfunktion an­
geboten, z. B. in Verbindung mit ▶ VC-CMV
oder ▶ S-IMV. Sofern der Respirator über eine
­entsprechende Funktion verfügt, sollten volu­
menkontrollierte Beatmungszüge, unabhängig
vom eingestellten Beatmungsmodus, generell
drucklimitiert appliziert werden.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.2 Kontrollierte B
­ eatmungsverfahren
3.2.2
Assistierte Beatmung, A/C
A/C, Assist-Control Ventilation
IPPV/Assist
CPPV/Assist
S-CMV, Synchronized Continuous Mandatory
­Ventilation
S-IPPV, Synchronized Intermittent Positive ­Pressure
Ventilation
Definition. Zur kontrollierten Beatmung im weiteren Sinne gehört auch die früher weit verbreitete
assistierte Beatmung. Im Unterschied zur vollständig kontrollierten Beatmung kann der Patient den Beginn der Inspirationsphase durch seine
Atemanstrengungen selbst auslösen.
Steuerung. Inspirationsbemühungen des Patienten
folgen „getriggerte“ ▶ volumenkontrollierte maschinelle – „mandatorische“ – Atemzugvolumina,
die der Patient jedoch nicht selbst beenden kann.
Werden vom Gerät keine Inspirationsbemühungen
erkannt, wird der maschinelle Beatmungszug zeit-
Druck
Flow
Volumenkontrollierte/-konstante Beatmungsfor­
men haben in den letzten Jahren ihre ­frühere
Vorrangstellung in der Intensivmedizin verloren. ­Ursächlich war unter anderem die Befürchtung, die gelegentlich am Respirator gemessenen
­hohen ▶ Spitzendrücke könnten sich bis in die
­Alveolarregionen fortsetzen und dort zu Schädigungen führen. Dabei wurde jedoch außer Acht
­gelassen, dass diese vor allem durch die Atemwegsresistance hervorgerufen werden und sich
kaum bis in die Alveolen fortsetzen. Von untergeordneter Bedeutung ist dabei, ob das Volumen mit
akzelerierendem, dezelerierendem oder konstantem Flow appliziert wird.
In jüngster Zeit erfährt die volumenkontrollierte
Beatmung mit niedrigen Tidalvolumina als ein Verfahren im Rahmen der maschinell unterstützten
Spontanatmung (▶ BiLevel-VG, ▶ druckregulierte
volumenkonstante Beatmung, ▶ Volume Support,
▶ AutoFlow) unter dem Aspekt der ▶ Lungenprotektion eine unerwartete Renaissance.
1
3
Volumen
■■ Klinische Bedeutung
volumenkontrollierter
Beatmungsverfahren
107
Zeit
3
Abb. 3.4 Assistierte Beatmung, Assist-Control
(A/C). Mandatorische Beatmungszüge können ge­
triggert werden (Pfeile), eine weitere Beeinflussung
des Beatmungsmusters durch den Patienten ist nicht
möglich.
3
gesteuert abgegeben (Assist-Control Ventilation,
A/C, Abb. 3.4).
3
Atemarbeit. Sie ist durch die Höhe der Triggerschwelle vorgegeben und damit bei korrekter
Einstellung gering. Da jede erfolgreiche Triggerung des Patienten einen vollständigen maschinellen Atemhub auslöst, kann – insbesondere bei
Patienten mit gesteigertem Atemantrieb – eine
­unbeabsichtigte Hyperventilation mit Hypokapnie resultieren. Wird die Exspirationszeit zu kurz,
kann es besonders bei Patienten mit obstruktiven
Ventilationsstörungen (COPD, Asthma bronchiale)
zur unbemerkten Lungenüberblähung durch ▶ AirTrapping-Phänomene kommen.
Hinweis
Der Begriff „assistierte Beatmung“ wird
gele­gent­lich auch im Zusammenhang mit
Beatmungs­strategien verwendet, die dem Pati­
enten ein hohes – und variables – Maß an venti­
latorischer Eigenleistung ermöglichen, wie z. B.
▶ PSV oder ▶ BIPAP. Im Gegensatz zu diesen
sog. augmentierten (unterstützenden) Spontan­
atmungsmodes ist die assistierte Beatmung je­
doch lediglich eine vom Patienten gesteuerte –
getriggerte – kontrollierte Beatmung, wobei der
Patient nur die maschinelle Beatmungsfrequenz
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
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Merke
Keine Indikation für S-CMV in der Intensiv­
medizin.
3.2.3
Druckkontrollierte Beatmung,
PC-CMV
■■ Klinische Bedeutung einfacher
kontrollierter/assistierter
Beatmungsverfahren
PC-CMV, Pressure Controlled Continuous ­Mandatory
Ventilation
PCV, Pressure Controlled Ventilation
Die assistierte volumenkontrollierte Beatmung
(S-CMV, A/C) gehörte früher zu den Standardverfahren in Anästhesie und Intensivmedizin, da sie
durch die Möglichkeit der Patiententriggerung
eine bessere Synchronisation zwischen ­Patient
und Respirator ermöglichte. Eine ­Muskelrelaxation
war dadurch nicht mehr zwangsläufig erforderlich
und der Sedierungsbedarf war geringer. Technische Weiterentwicklungen und neue Beatmungsstrategien haben in den letzten Jahren die ­früher
üblichen, einfachen „Assist/Con­troler“ praktisch
vollständig vom Markt verdrängt. Aufgrund der
zahlreichen Nachteile starrer Beatmungsmuster
sollten kontrollierte bzw. assistierte Beatmungsverfahren ohne die Möglichkeit zur intermittierenden und ungehinderten Spontanatmung –
wenn überhaupt – nur noch in Ausnahmefällen
angewendet werden. Dazu gehören:
●● Patienten mit erhöhtem intrakraniellem Druck,
●● schwere Störung der Atemregulation,
●● Muskelrelaxierung, Paralyse (Narkose!),
●● Versagen der Atemmuskulatur (z. B. bei der
­dekompensierten ▶ COPD).
Definition. Bei der druckkontrollierten Beatmung
(Pressure Controlled Ventilation, PC-CMV) dezeleriert der initial hohe Flow nach Erreichen des
eingestellten inspiratorischen Druckniveaus, so
dass während der Inspirationszeit ein konstanter
Druck in den Atemwegen aufrechterhalten wird
(Abb. 3.5). Zielparameter und Kontrollvariable ist
Allerdings ist auch bei diesen Erkrankungen der
Einsatz moderner druck- oder volumenkontrollierter Beatmungsverfahren empfehlenswert, die
dem Patienten zumindest die Möglichkeit zur (zusätzlichen) ungehinderten Eigenatmung erlauben.
Da alle modernen Intensivrespiratoren zumindest
über die Möglichkeit zur S-IMV-Beatmung verfügen, ist S-CMV als eigenständige Beatmungsform
entbehrlich. Da sie keine Vorteile bietet, aber nahezu immer die medikamentöse Anpassung des
Patienten an den Respirator erfordert, sollte sie generell nicht mehr angewendet werden.
Plateau-Druck
Druck
3
und damit das Atemminutenvolumen mit be­
einflussen kann. Da der ventilatorische Eigen­
anteil des Patienten vernachlässigbar ist, wird
die Spontanatmung durch die klassische „assis­
tierte“ Beatmung weder unterstützt noch ge­
fördert.
Trigger
Flow
1
3 Beatmungsformen
Volumen
108
inkonstante Volumina
Zeit
Abb. 3.5 Druckkontrollierte Beatmung. Zielpara­
meter ist der Druck: Nach Erreichen des eingestellten
Plateaudrucks dezeleriert der Inspirationsflow. Die ap­
plizierten Tidalvolumina hängen von Compliance und
Resistance der beatmeten Lunge ab. Die mandatori­
schen Beatmungszüge können patientengetriggert
verabreicht werden, sofern die Triggerung innerhalb
des Erwartungszeitfensters erfolgt.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
Atemvolumina. Das effektiv verabreichte Tidalvolumen hängt von der Höhe des inspiratorischen
Druckniveaus, der aktiven Inspirationszeit sowie
den atemmechanischen Eigenschaften der beatmeten Lunge ab. Druckkontrollierte Beatmungsformen sind daher grundsätzlich volumeninkon­
stant und erfordern immer das engmaschige ▶ Monitoring der Atemvolumina. Bei Undichtigkeiten
im System, z. B. durch Leckagen im Beatmungsteil
oder bronchopleurale Fisteln, kann die Ventilation
der Lungen durch Erhöhung des Flows innerhalb
gewisser Grenzen aufrechterhalten werden.
Steuerung. Die Umschaltung in die Exspiration
erfolgt im Gegensatz zur druckgesteuerten Beatmung zeitgesteuert. Die Zeitsteuerung bezieht
sich jedoch lediglich auf die Inspirationsphase:
Inspirationsbemühungen des Patienten während
der Exspirationsphase können einen neuerlichen
druckkontrollierten Beatmungszug auslösen. In
der Inspirationsphase führen Spontanatmungsbemühungen des Patienten zwar aus der Flowdezeleration heraus zu erneutem Flowanstieg, die
freie Exspiration ist jedoch nicht vor Ablauf der
zeitgesteuerten Inspirationsphase möglich, da das
Exspirationsventil während des mandatorischen
Inspirationshubes geschlossen ist. Damit ist eine
ungehinderte Spontanatmung ausgeschlossen. Bei
forcierter Gegenatmung oder Hustenstößen öffnet
das Exspirationsventil oberhalb des eingestellten
Druckniveaus und bricht die Inspiration ab: ▶ in­
spiratorische Druckbegrenzung (Abb. 3.6).
Merke
Freie Spontanatmung ist bei VC-PCV ausge­
schlossen.
Flow
Hinweis
Ob sich durch den dezelerierenden Flowverlauf
tatsächlich eine bessere intrapulmonale Gasver­
teilung in den Lungen erzielen lässt als durch vo­
lumenkontrollierte Beatmung mit konstantem
Flow, wird seit Jahren kontrovers diskutiert.
109
1
Atemanstrengungen
3
3
Volumen
also der Druck. Floweinstellungen am Gerät sind
nicht möglich.
Druck
3.2 Kontrollierte B
­ eatmungsverfahren
Zeit
Abb. 3.6 Druckkontrollierte Beatmung: „Gegenatmung“. Inspirationsbemühungen auf dem unteren
Druckniveau können vorzeitige maschinelle Beat­
mungszüge auslösen, Inspirationsbemühungen auf
dem oberen Druckniveau führen zu vermehrter Flowund Volumenlieferung (rote Markierungen). Freie
Exspiration auf dem oberen Druckniveau ist nicht
möglich, da das Exspirationsventil bis zum Ablauf
der zeitgesteuerten Inspirationsphase verschlossen
bleibt, reduziert jedoch die Flow- und Volumenliefe­
rung. Gepunktete Linie: Theoretischer Druck-FlowVolumen-Verlauf ohne Gegenatmung.
Hinweis
Druckbedingte Schädigungen einer oder bei­
der Lungen, z. B. durch versehentliche Fehllage
des Tubus, werden verhindert, da ­unerwünschte
oder unbemerkte dauerhafte Anstiege der
­Beatmungsdrücke über das vorgewählte Niveau
­sicher vermieden werden können.
■■ Klinische Bedeutung druckkontrollierter
Beatmungsverfahren
Druckkontrollierte Beatmungsformen werden
heute von vielen Intensivmedizinern gerade bei
schweren Lungenerkrankungen bevorzugt. Der
bislang herausragende Stellenwert der druckkontrollierten Beatmung im Rahmen der ▶ lungenprotektiven Beatmung wird derzeit allerdings in Frage
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3
3.2.4
Beatmung mit umgekehrtem
Atemzeitverhältnis, IRV
a
b
c
Druck
gestellt, da die Begrenzung der Beatmungsdrücke
allein keineswegs eine Garantie für eine Beatmung
mit „unkritischen“ Tidalvolumina darstellt. So wurde bei Untersuchungen zur Frage der ­Umsetzung
lungenprotektiver Beatmungsverfahren festgestellt, dass Patienten mit schweren Lungenerkrankungen unbemerkt zu einem hohem Prozentsatz
und über längere Zeiträume mit inadäquat hohen
Tidalvolumina beatmet wurden – trotz Begrenzung der Beatmungsdrücke. Die ­druckkontrollierte
Beatmung ist also nur dann lungenprotektiv, wenn
sie engmaschig an Veränderungen der Compliance
und Resistance angepasst wird.
Flow
1
3 Beatmungsformen
Volumen
110
IRV, Inverse Ratio Ventilation
Definition. Bei der Beatmung mit umgekehrtem
Atemzeitverhältnis (Inverse Ratio Ventilation,
IRV) handelt es sich um keine eigenständige Beatmungsform, sondern lediglich um eine Variante
der kontrollierten Beatmung, bei der die Inspirationsdauer länger gewählt wird als die Exspirationsdauer: I/E > 1.
IRV kann sowohl im volumenkontrollierten Modus (VC - IRV) als auch druckkontrolliert (PC - IRV)
durchgeführt werden. Bei VC - IRV kann die Inspirationsphase entweder durch Ausdehnung der inspiratorischen Plateauphase oder durch Reduktion
der Flowgeschwindigkeit verlängert werden (Abb.
3.7). Bei gleichen Tidalvolumina sind die endin­
spiratorischen Drücke bei beiden Verfahren gleich.
Niedrigere Flussgeschwindigkeiten sind jedoch
turbulenzärmer und bewirken damit möglicherweise eine gleichmäßigere Verteilung der Atemgase in den Luftwegen.
Die im Display des Respirators angezeigten Kurvenverläufe für Druck, Flow und Volumen erlauben wichtige Rückschlüsse auf die pulmonale Situation, wie z. B. die Erkennung von intrinsic PEEPPhänomenen (Abb. 3.8).
Zeit
I
E
I
E
I
E
Abb. 3.7 Inverse Ratio Ventilation, IRV.
IRV bei volumenkontrollierter Beatmung: VC - IRV
(rote Markierungen)
adurch Verlängerung des Plateaus oder
bReduktion des Inspirationsflows mit Verlängerung
der aktiven Inspirationsphase.
IRV bei druckkontrollierter Beatmung: PC - IRV
c durch Verlängerung der inspiratorischen Plateau­
phase.
Beachte
Bei extremer VC-IRV mit Atemzeitverhältnissen
von 3:1 oder mehr besteht immer die Gefahr
des ▶ Air-Trapping, d. h. einer allmählichen (und
häufig unbemerkten) Überblähung der Lunge
durch sich addierende exspiratorische Restvo­
lumina. Bei druckkontrollierter PC-IRV ist das Ri­
siko der dynamischen Überblähung der Lunge
geringer, da eine progrediente Zunahme der
pulmonalen Gasvolumina durch den eingestell­
ten inspiratorischen Beatmungsdruck begrenzt
ist. Allerdings nehmen die Tidalvolumina ab, je
ausgeprägter das Air-Trapping und je höher der
▶ intrinsic PEEP werden (Abb. 3.8). Daher ist in
diesem Fall eine engmaschige Überwachung
der Tidalvolumina erforderlich.
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Druck
3.2 Kontrollierte B
­ eatmungsverfahren
VC-IRV
PC-IRV
Volumen
Flow
exspiratorischer Restflow
endexspiratorische Restvolumina
konstante Tidalvolumina
Abb. 3.8 Air-Trapping durch intrinsic PEEP. Exspiratorische Restflows
im Flow-Zeit-Diagramm weisen auf
intrinsic PEEP–Phänomene hin.
VC - IRV: Hohes Überblähungsrisiko
der Lunge durch Applikation volu­
menkonstanter Tidalvolumina.
PC-IRV: Geringeres Überblähungs­
risiko der Lunge, aber konsekutive
Abnahme der applizierten Tidal­
volumina.
Zeit
Abnahme der Tidalvolumina
In der Flowkurve sind die Auswirkungen des intrinsic PEEP als endexspiratorischer Restflow gut
zu erkennen (Abb. 3.8). Seine Höhe ist jedoch am
Druckmanometer des Respirators nicht direkt ablesbar. Bei älteren Respiratoren, die über keine Online-Darstellung von Druck- und Flowkurven verfügen, werden intrinsic PEEP-Phänomene daher
oft übersehen. Quantitativ lässt sich der intrinsic
PEEP nur durch ein endexspiratorisches ▶ Okklusionsmanöver messen. Dazu werden am Ende der
Exspirationsphase sowohl das In- als auch das Exspirationsventil verschlossen. Im Verlauf der wenige Sekunden dauernden Verschlusszeit findet
ein Druckausgleich zwischen den Atemwegen und
dem Beatmungssystem statt, an dessen Ende der
Restdruck in den Atemwegen am Druckmanometer als Summe aus dem am Respirator einstellbaren PEEP und dem intrinsic PEEP abgelesen werden kann (siehe Abb. 2.14, S. 74). Der Gesamt-PEEP
setzt sich somit zusammen aus externem PEEP
und intrinsic PEEP.
Hinweis
Auch hohe exspiratorische Atemwegswiderstän­
de (Atemwegsobstruktion, Tubusobstruktion),
hohe Atemfrequenzen (Tachypnoe) und große
Hubvolumina können zur Ausbildung von intrin­
sic PEEP beitragen.
■■ Klinische Bedeutung der Inverse
Ratio Ventilation (IRV)
Verlängerte Inspirationszeiten, PEEP sowie
­intrinsic PEEP-Phänomene erhöhen den mittleren
Atemwegsdruck, der eine entscheidende Determinante bei der Verbesserung der Oxigenierung
ist. Hauptindikation für IRV ist somit die schwere,
therapie­refraktäre ▶ respiratorische Insuffizienz
im ­Rahmen des ▶ akuten Lungenversagens (ARDS).
In Studien konnte allerdings ein klinischer Nutzen nicht nachgewiesen werden, zudem besteht
das Risiko der dynamischen Überblähung der Lunge (▶ Volu­trauma). Die Gefahr ist bei druckkontrollierter IRV zwar geringer als bei volumenkontrollierter IRV, dennoch sollte die Indikation zur
Durchführung von IRV streng gestellt werden.
Merke
Hohes Risiko der Lungenüberblähung und frag­
licher klinischer Nutzen verbieten den unkriti­
schen Einsatz von IRV.
3.2.5
111
1
3
3
3
3
3
3
3
3
„Fighting the respirator“
Definition. Bei allen volumenkontrollierten/assistierten Beatmungsformen sowie auch der klassischen druckkontrollierten Beatmung verursachen
Atemanstrengungen des Patienten innerhalb der
Inspirationsphase frustrane Atemexkursionen, da
sie nicht durch entsprechende Anpassungen der
maschinellen Flow-/Volumenlieferung beantwortet
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
3
112
1
3
3
3
3 Beatmungsformen
werden, sondern lediglich zu Druckschwankungen
im Schlauchsystem führen (Abb. 3.6 und Abb. 3.9).
Bei wachen Patienten mit intaktem Atemantrieb,
z. B. in der postoperativen Phase, sind die Nachteile der starren Beatmung besonders deutlich. Sie
zeigen sich u. a. in Dyspnoe, Stressreaktionen und
unerwünschten kardiovaskulären Wirkungen. Forcierte Atemanstrengungen (Gegenatmen, „fighting
the respirator“) mit Ausbildung hoher und höchster
Atemwegsdrücke können beim Versuch, die Lungen
gegen geschlossene Exspirationsventile zu entleeren, zum ▶ Barotrauma führen. Dagegen kann der
Unterdruck in den Atemwegen durch forcierte Inspirationsbemühungen gegen geschlossene Ventile
– ähnlich wie bei geschlossener Glottis durch einen
Laryngospasmus – ein Lungenödem verursachen.
Die Möglichkeit zur Triggerung der maschinellen Beatmungszüge schafft bei wachen und/
oder agitierten Patienten keine Abhilfe: Durch die
schnell aufeinander folgenden maschinellen Beatmungszüge kann es zur intermittierenden pulmonalen Hyperinflation durch sich addierende exspi-
Atemanstrengungen
Begrenzungsdruck
Merke
„Gegenatmen“ gegen den Respirator gefährdet
den Patienten.
3.2.6
Wechseldruckbeatmung, PNPV
PNPV, Positive Negative Pressure Ventilation
Definition. Die Wechseldruckbeatmung oder Positiv-Negativ-Beatmung ist ebenfalls definitionsgemäß eine Überdruckbeatmung; die Exspiration erfolgt jedoch nicht passiv, sondern wird aktiv durch
einen vom Respirator ausgeübten Sog von –6 bis
–10 mbar unterstützt (Abb. 3.10). Dadurch wird
Druck
3
Druck
3
ratorische Restvolumina (▶ Air-Trapping) und damit zur Aggravierung der Situation kommen. Zur
Vermeidung zusätzlicher alveolärer Gasaustauschstörungen sowie kardiovaskulärer (Hypertonie, Tachykardie) und pulmonaler Komplikationen ist die
Verabreichung von Sedativa und Analgetika zur
Unterdrückung des Atemantriebs und Anpassung
des Patienten an den Respirator in der Regel unumgänglich.
Flow
3
3
Volumen
Flow
3
3
3
Abb. 3.9 Volumenkontrollierte Beatmung VCCMV: „Gegenatmung“. Atemanstrengungen des
Patienten führen zu erhöhten Atemwegsdrücken,
Volumeninkonstanz durch Überschreiten des in­
sp­iratorischen Begrenzungsdrucks und vorzeitiger
Triggerung maschineller Beatmungszüge (rote Mar­
kierungen). Gepunktete Linie: Theoretischer DruckFlow-Volumen-Verlauf ohne Gegenatmung.
Volumen
Zeit
Zeit
Abb. 3.10 Wechseldruckbeatmung. Erläuterungen
im Text.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.2 Kontrollierte B
­ eatmungsverfahren
ein niedrigerer intrapulmonaler (alveolärer) Mitteldruck als bei IPPV (Intermittent Positive Pressure Ventilation) erreicht. Der venöse Rückstrom
zum Herzen wird verbessert, die ungünstigen Auswirkungen der Überdruckbeatmung auf die HerzKreislauf-Funktion sind entsprechend geringer.
■■ Klinische Bedeutung der
Wechseldruckbeatmung
Die PNPV begünstigt die Atelektasenbildung und
verschlechtert damit den pulmonalen Gasaustausch, so dass diese Beatmungsform – trotz gewisser Vorzüge hinsichtlich der Hämodynamik –
heute in der klinischen Routine nicht mehr angewendet wird.
a
b
■■ Externe Wechseldruckbeatmung mit
dem Tankrespirator (Eiserne Lunge)
Wechseldruckbeatmung war auch die vorherrschende Form bei der Behandlung atemgelähmter
Patienten mithilfe des sog. Tankrespirators (Abb.
3.11). Dabei liegt der Körper des Patienten bis zum
Hals komplett im Inneren eines Hohlzylinders,
der Kopf bleibt außen. Das Gerät schließt am Hals
luftdicht ab und erzeugt einen Unterdruck von
–15 mbar oder mehr, wodurch Außenluft durch
Mund oder Nase des Patienten in die Lungen eingesaugt wird. Die Ausatmung wird durch Ein­leiten
eines Überdrucks von ca. 5 mbar in die Patientenkammer erleichtert. Die Beatmungsfrequenzen
liegen zwischen 10 und 20 Druckwechseln pro Minute.
Die „Eiserne Lunge“ wurde um 1920 vom USamerikanischen Ingenieur Philip Drinker zur Beatmung lungenkranker Patienten entwickelt. Durch
die Imitation der intrathorakalen Druckverhältnisse, wie sie unter normaler Spontanatmung vorliegen, erhoffte man sich eine möglichst „physiologische“ Beatmung. Diese Hoffnungen haben sich nicht
erfüllt. Während der Polio-Epidemien Anfang der
50er Jahre zeigte sich die Überlegenheit der maschinellen Überdruckbeatmung via Endotrachealtubus.
Hinweis
Bis heute gibt es in der ganzen Welt zahlreiche
Patienten, die auf die teilweise oder vollständige
Unterstützung ihrer Atmung durch einen Tankre­
spirator angewiesen sind. Erst kürzlich starb eine
Amerikanerin im Alter von 72 Jahren, die über
60 Jahre lang in einer eisernen Lunge verbracht
hatte. Als Elfjährige erkrankte sie an Poliomye­
litis und war seitdem auf den 400 Kilogramm
schweren Apparat angewiesen.
113
1
3
3
3
3
3
3
3
3
Abb. 3.11 Tankrespirator.
aTankrespirator E 52 von Dräger aus den 50er Jahren
des letzten Jahrhunderts. Durch Verschließen des
durchsichtigen sog. Doms am Kopfende war bei
geöffnetem Tank die Durchführung einer nichtinva­
siven Positivdruckbeatmung – ähnlich wie bei der
modernen Helmbeatmung! – möglich.
bDas Schema veranschaulicht das Prinzip des Tank­
respirators.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
3
114
1
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3 Beatmungsformen
3.3
Maschinell unterstützte
Spontanatmung
3.3.1
Druckunterstützte
Spontanatmung, PSV
PSV, Pressure Support Ventilation
ASB, Assisted Spontaneous Breathing
IPS, Inspiratory Pressure Support
IFA, Inspiratory Flow Assistance
IA, Inspiratory Assist
PS, Pressure Support
inspiratorische Druckunterstützung
inspiratorischer Hilfsdruck
Definition. Die druckunterstützte Beatmung ist
eine Mischform aus Spontanatmung und maschineller Beatmung, die bereits 1981 in die Klinik eingeführt wurde und heute in jedem modernen Respirator verfügbar ist. Ursprünglich als Mode zur
Entwöhnung vom Respirator eingeführt, wird PSV
heute neben anderen Spontanatmungsverfahren
bei allen Erkrankungsbildern eingesetzt, die eine
partielle Übernahme der Atemarbeit durch den
Respirator erfordern.
■■ Funktionsprinzip
PSV ist ein druckkontrollierter, patientengetriggerter und -gesteuerter Beatmungsmodus. Jede
Inspirationsbemühung des Patienten verursacht
nach Überwindung der ▶ Triggerschwelle einen
sprunghaften Anstieg des Beatmungsdrucks auf
das eingestellte inspiratorische Druckniveau. Diese Druckdifferenz löst einen dezelerierenden Flow
aus, der vom initialen Maximum exponentiell abnimmt. Erfolgt keine Patiententriggerung, wird
auch kein Volumen verabreicht.
Die ▶ Flowdezeleration wird wesentlich durch
die ▶ Zeitkonstanten der Lungen bestimmt. Das
resultierende Tidalvolumen ist somit nicht nur abhängig von der Höhe des eingestellten Differenzdrucks sowie der Intensität und Dauer der Inspirationsbemühung, sondern auch von der Compliance
und Resistance der Patientenlungen (Abb. 3.12).
Merke
Der maschinelle Support ist abhängig vom Un­
terstützungsdruck sowie der Compliance und
Resistance der Lunge.
Die Exspiration wird eingeleitet,
●● sobald der Flow auf einen vorgegebenen oder
einzustellenden Prozentsatz des inspiratorischen Spitzenflows (z. B. 25 % bei Erwachsenen,
6 % in der Pädiatrie) abgesunken ist (▶ Flowsteuerung, Abb. 3.12), oder alternativ
●● wenn ein definierter, nicht veränderbarer absoluter Flow (meist zwischen 2 und 6 l/min) unterschritten wird, oder
●● Exspirationsbemühungen des Patienten als
Druckanstieg (z. B. 1 – 3 mbar oberhalb des eingestellten inspiratorischen Unterstützungsdrucks)
erkannt werden (▶ Drucksteuerung, Abb 3.12).
Bei älteren Beatmungsgeräten sind die Umschaltkriterien meist fest vorgegeben. Einige neuere
­Respiratoren erlauben dagegen die Modifikation
einzelner Variablen, z. B. des Spitzenflowprozentsatzes: Je höher dieser Wert eingestellt wird (z. B.
auf 30 %), desto stärker wird die Inspirationszeit verkürzt. Aus Sicherheitsgründen wird bei manchen
Geräten zusätzlich nach Ablauf einer bestimmten
Zeit (z. B. 5 s) in die Exspiration geschaltet.
Merke
Im Idealfall bestimmt der Patient Beginn, Ver­
lauf und Volumen des maschinell unterstützten
Atemzuges.
Beachte
Die Umschaltung in die Exspiration korreliert
nicht notwendigerweise auch mit dem Ende
der Inspirationsbemühungen des Patienten. Ins­
besondere bei hoher inspiratorischer Druckun­
terstützung wird über die vollständige Relaxa­
tion der Atemmuskulatur hinaus weiter Volu­
men appliziert (Abb. 3.13). Diese maschinel­
le Volumenlieferung erfolgt unabhängig von
den In­spirationsbemühungen des Patienten!
Der Anteil der von der Maschine übernomme­
nen Atem­arbeit hängt somit ganz erheblich von
der Höhe der eingestellten Druckunterstützung
­sowie auch den Umschaltkriterien ab.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.3 Maschinell unterstützte Spontanatmung
Abb. 3.12 Druckunterstützte Spontanatmung. Der
Patient löst jeden Atemhub durch Triggerung aus, die
Höhe der Flow-/Volumenlieferung wird durch die Höhe
der Druckunterstützung (mit inspiratorischer Rampe)
vorgegeben. Die Exspiration wird eingeleitet durch
Unterschreiten eines definierten Prozentsatzes vom
inspiratorischen Spitzenflow (a und c) oder durch akti­
ve Exspiration des Patienten (b) (rote Markierungen).
Weitere Erläuterungen im Text.
b
c
eingestellte Druckunterstützung
1
3
Flow
Druck
a
115
Volumen
3
unterschiedliche Volumina
3
Zeit
PMuskel
3
Abb. 3.13 PSV: Atemmechanik
und maschinelle Volumenlieferung. Die Flow- und Volumenliefe­
rung nimmt trotz gleichbleibender
Druckunterstützung mit zuneh­
menden Inspirationsbemühungen
(pMuskel ≅ Pleuradruck) des Patienten
zu. Die Volumenlieferung erfolgt
über die vollständige Relaxation der
Atemmuskulatur hinaus (rote Mar­
kierungen), da die Exspirationsphase
erst nach Abfall des Spitzenflows
unter 25 % (Umschaltkriterium)
eingeleitet wird. Dieser Anteil der
Druckunterstützung entspricht
maschineller Beatmung.
Beginn
Relaxation der Atemmuskulatur
Ende
Druck
inspiratorischer Sog
Flow
Umschaltkriterium
3
3
3
3
Volumen
3
3
Zeit
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
116
1
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3 Beatmungsformen
■■ Geräteeinstellung
Die Einstellung der inspiratorischen Druckunterstützung variiert meist zwischen 3 und 15 mbar.
Niedrige Druckunterstützungen können bei intubierten und spontan atmenden Patienten sinnvoll
sein, um die zusätzliche inspiratorische Resistance
durch Tubus, Beatmungsfilter und Demand-FlowSystem zumindest teilweise zu kompensieren. Die
bessere Alternative ist jedoch die Aktivierung der
automatischen ▶ Tubuskompensation (ATC), die
als zusätzliche Option in neueren Beatmungsgeräten verfügbar ist.
Leitparameter bei der Einstellung der Druckunterstützung in der klinischen Praxis ist das Tidalvolumen: Es sollte im Mittel ∼4 ml/kg KG (ideales
KG) nicht unterschreiten. Andernfalls können die
Atemfrequenzen ebenso wie der Anteil der Tot­
raumventilation an der Gesamtventilation überproportional zunehmen. Umgekehrt nimmt der
Anteil der Atemarbeit des Patienten ab, je höher
die Druckunterstützung gewählt wird. Bei Druckunterstützungen von 10 mbar über PEEP und mehr
ist von einer völligen Entlastung der Atemarbeit
des Patienten auszugehen. Im Einzelfall muss die
Höhe der inspiratorischen Druckunterstützung
den individuellen pulmonalen und atemmechanischen Gegebenheiten des Patienten angepasst
werden.
Hinweis
Bei korrekter Einstellung der Druckunterstüt­
zung sollten inspiratorische Kontraktionen des
M. sternocleidomastoideus unter Ruheatmung
gerade nicht mehr erkennbar sein (Abb. 3.14),
die Spontanatmungsfrequenzen sollten unter 30
pro Minute liegen. Der wache Patient sollte kei­
ne Atemnot verspüren.
Beachte
Bei einigen Respiratoren wird die Druckunter­
stützung in mbar über PEEP-Niveau angegeben,
bei anderen wird das tatsächliche inspiratori­
sche Druckniveau unabhängig vom PEEP ein­
gestellt. Der absolute PSV-Druck errechnet sich
hierbei aus dem eingestellten PSV-Druckniveau
minus dem PEEP-Druck.
Merke
Individuelle Einstellung der Druckunterstützung
unter Berücksichtigung von Atemfrequenzen
und Tidalvolumina.
■■ PSV und Atemarbeit
Insgesamt wird die druckunterstützte Spontanatmung von den meisten Patienten als sehr komfortabel empfunden, da sie neben der Atemfrequenz
nicht nur den Beginn, sondern auch den Verlauf
und das verabreichte Volumen des maschinell unterstützten Atemzuges mitbestimmen können.
Im Vergleich zur reinen Spontanatmung mit
oder ohne PEEP vermindert PSV signifikant die
Atemarbeit und den O2-Verbrauch der Atemmuskulatur, wobei der Patient weitgehend die Kontrolle über das Atemmuster behält. Dadurch wird der
ventilatorischen Erschöpfung entgegengewirkt.
Gleichzeitig kann schnelle und flache Atmung oftmals vermieden werden, wodurch sich die alveoläre Ventilation verbessert. Die Höhe des Unterstützungsdrucks muss allerdings individuell ermittelt
werden; sie orientiert sich an Tidalvolumina und
Atemfrequenzen. Hohe inspiratorische Druckunterstützungen entsprechen druckkontrollierter
Beatmung, der ventilatorische Eigenanteil des Patienten ist nur marginal.
Beachte
Vor allem Patienten mit insuffizienter Funkti­
on der Atempumpe verhalten sich bei hoher
Druckunterstützung so, als wären sie ▶ „as­
sistiert“ beatmet. Das heißt, ihre Muskelkraft
reicht gerade aus, um die Inspiration zu trig­
gern, danach lassen sie sich passiv beatmen
(Abb. 3.14). Die Übergänge zwischen Spontan­
atmung und maschineller Beatmung sind so­
mit fließend.
Da der intubierte Patient zusätzliche tubusbedingte Atemarbeit leisten muss, kann bei CPAP-Spontanatmung die Einstellung einer Druckunterstützung von 3 – 5 mbar oberhalb des PEEP-Niveaus
sinnvoll sein, sofern der Respirator nicht mit einer
▶ automatischen Tubuskompensation (ATC) ausgestattet ist.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.3 Maschinell unterstützte Spontanatmung
b
1
p
di
E
di
E
sm
a
117
10
3
0
p
AW
10
0
3
VT
0
-1
Zeit
Abb. 3.14 Reduktion der inspiratorischen Atemarbeit durch inspiratorische Druckunterstützung.
aSpontanatmung ohne inspiratorische Druckunterstützung. Deutliche elektrische Aktivitäten in Diaphragma
(Edi) und Atemhilfsmuskulatur (hier: M. sternocleidomastoideus, Esm). Überlagerung durch EKG.
bSpontanatmung mit inspiratorischer Druckunterstützung von 10 mbar. Reduzierte elektrische Aktivitäten in
der Atemmuskulatur (weiterhin Überlagerung durch EKG), deutliche Abnahme der Atemfrequenzen. Beachte
die Veränderungen der intrathorakalen Druckverhältnisse (Atemwegsdrücke pAW und transdiaphragmale Drü­
cke pdi). Die Tidalvolumina (V T) bleiben nahezu unverändert (nach einer Originalregistrierung von Brochard
et al. 1989).
3
3
3
Merke
Hohe Druckunterstützung entspricht de facto
maschineller Beatmung.
Hohe Spontanatmungsfrequenzen, wie sie z. B. bei
agitierten Patienten auftreten, können zu Synchronisationsproblemen zwischen Patient und Respirator führen, Patient und Maschine geraten „außer
Phase“ (Abb. 3.15). Die Folge ist, dass nicht mehr
alle Inspirationsbemühungen des Patienten vom
Respirator erkannt werden und der Patient gegen
den Respirator atmet. Ursächlich sind neben den
unvermeidlichen ▶ Triggerlatenzzeiten gelegentlich auch ▶ Intrinsic-PEEP-Effekte, die vor allem
bei Patienten mit exspiratorischer Flowlimitierung
(COPD, Asthma) gesehen werden. Abhilfe kann
eine schrittweise Erhöhung der Druckunterstützung bringen. Intrinsic-PEEP-Phänomene lassen
sich teilweise durch eine Anhebung des externen
PEEP kompensieren. Häufig ist jedoch die medikamentöse Dämpfung des Atemantriebs notwendig.
Hinweis
Desynchronisationsphänomene treten auch bei
Verwendung von Beatmungshelmen im Rah­
men der ▶ nichtinvasiven Beatmung auf. Ursäch­
lich ist meist das große kompressible Volumen
des Helms, was zur erheblichen Zunahme der
Triggerlatenz führt. In diesen Fällen sollte der
Wechsel des Equipments zur Vollgesichtsmaske,
Mund-Nasen-Maske oder Nasenmaske erfolgen.
■■ Inspiratorische Rampe
Hohe geräteseitige Inspirationsflows bewirken
schnelle Druckanstiege in den Atemwegen, wodurch dem ventilatorischen Bedarf des Patienten
am ehesten entsprochen wird. Bei Patienten mit
restriktiven Lungenveränderungen oder mit hoher
Resistance in den Atemwegen kommt es jedoch
zum vorzeitigen Abbruch der Inspirationsphase,
da das Umschaltkriterium (Unterschreiten von z. B.
25 % des inspiratorischen Spitzenflows bzw. Erreichen der Druckgrenze) zu früh erreicht wird. Da-
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
3
3
3
3
1
3 Beatmungsformen
frustran
PAW
Druck
118
PAlveol
Beginn
Inspiration
3
Flow
3
Ppleuv
Ende
Inspiration
Restflow
3
Volumen
3
Abb. 3.15 Isometrische Atemarbeit durch Phasenverschiebung.
Dynamische Hyperinflation führt zu
verzögerter Entleerung der Alveolen
(PAlveol) und endexspiratorischem
Restflow, der den initialen Inspirati­
onsbemühungen (PPleu) des Patien­
ten zuwiderläuft (rote Markierun­
gen). Der Triggerimpuls (Δt) erreicht
den Respirator daher zeitversetzt,
die maschinelle Druckunterstützung
(PAW) wird zeitverzögert appliziert
(rote Markierungen). Bei Patienten
mit eingeschränkter ventilatorischer
Reserve können Gerät und Patient
dadurch intermittierend außer Pha­
se geraten, d. h., es wird nicht mehr
jede Atemanstrengung maschinell
unterstützt: frustrane Atemexkursi­
onen. Durch den Abbau des intrinsic
PEEP folgt der nächste Atemzug
nach kürzerer Triggerlatenz mit
höherem Tidalvolumen.
PPleu = Pleuradruck, PAW = Atemweg­
sdruck, PAlveol = Alveolardruck.
Zeit
3
3
3
3
3
3
Δt
Δt
Δt
durch werden nur vergleichsweise niedrige Volumina verabreicht. Bei manchen Beatmungsgeräten kann daher die Steilheit des inspiratorischen
Druckanstiegs, d. h. die Zeit bis zum Erreichen des
Druckplateaus, variiert werden. Dies wird durch
die Reduktion der initialen Flowgeschwindigkeit
erreicht. Durch den geringeren Spitzenflow („in­
spiratorische Rampe“) wird das ­Umschaltkriterium
später erreicht, die Flowphase wird länger (Abb.
3.16). Trotz des niedrigeren Initialflows nehmen
die Atemvolumina zu. Gleichzeitig kann häufig
eine bessere Anpassung der Druckunterstützung
an die Spontanatmung des Patienten erreicht werden. Wird die Druckanstiegsgeschwindigkeit allerdings zu niedrig eingestellt (z. B. 2 s), resultieren
unter Umständen Luftnot und vorzeitige Exspirationsbemühungen des Patienten. Hierdurch sinkt
die Akzeptanz der Atemhilfe, gleichzeitig steigt
die Atemarbeit des Patienten an. Letztlich kann
die Rampe nur anhand klinischer Parameter, d. h.
der Beobachtung der Interaktion zwischen Patient
und Maschine, eingestellt werden.
Faustregel
Die Rampe sollte umso steiler eingestellt wer­
den, je höher der Atemantrieb (hohes Atemmi­
nutenvolumen, Tachypnoe) des Patienten ist.
Bei wachen und kooperativen Patienten kann
die optimale Einstellung durch den direkten Di­
alog zwischen Patient und Therapeut erleichtert
werden.
Merke
Die inspiratorische Rampe dient der besseren
Anpassung der PSV an die pulmonalen Verhält­
nisse und die Bedürfnisse des Patienten.
■■ Apnoefunktion
Da PSV einen intakten Atemantrieb des Patienten zwingend voraussetzt, können Störungen des
Atemantriebs, z. B. durch Sedativa oder opioid-
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.3 Maschinell unterstützte Spontanatmung
a
Druck
Abb. 3.16 PSV: Inspiratorische
Rampe.
a Hoher Inspirationsflow, keine
Rampe: Das 25 %-Kriterium (rote
Markierung) wird früh erreicht.
b Niedriger Inspirationsflow, inspi­
ratorische Rampe: Das 25 %-Kri­
terium wird später erreicht, die
Flowphase ist länger.
b
Flowphase
Rampe
Umschaltpunkt
25% des Spitzenflows Umschaltpunkt
119
1
Flow
3
Volumen
3
Zeit
I
E
I
E
I
E
I
3
E
3
haltige Analgetika, zur Hypoventilation bis hin
zur Apnoe führen. Diese Gefahr kann bei einigen
­Respiratoren durch Einstellen einer Sicherheitsfunktion, der sog. „Apnoeventilation“, vermieden
werden. Dieser Back-up-Mechanismus wechselt
automatisch in eine kontrollierte Beatmungsform
über, sobald ein vorher definiertes Minutenvolumen oder eine Mindest-Atemfrequenz unterschritten wurden. Verfügt das Gerät über keine derartige Funktion, ist die engmaschige Überwachung
der Atemvolumina, z. B. durch ▶ Kapnometrie,
­unerlässlich.
Merke
Die Aktivierung der Apnoeventilation erhöht
die Sicherheit des Patienten.
■■ Klinische Bedeutung der druck­
unterstützten Spontanatmung (PSV)
Die PSV besitzt heute einen festen Stellenwert bei
der maschinellen Beatmung respiratorisch insuffizienter Patienten, entweder als eigenständige Beatmungsform oder in Verbindung mit ▶ S-IMV,
▶ MMV oder ▶ BIPAP. Selbst Patienten mit schwe-
ren Oxigenierungsstörungen können mit PSV,
kombiniert mit hohem PEEP, erfolgreich behandelt
werden, sofern der Atemantrieb intakt ist. Bei der
schwierigen Entwöhnung langzeitbeatmeter Patienten ist PSV in vielen Zentren der Beatmungsmodus der Wahl.
3.3.2
Intermittierende mandatorische
Beatmung, IMV
S-IMV, Synchronized Intermittent Mandatory Ventilation
VC-S-IMV, Volume Controlled S-IMV (volumenkontrollierte S-IMV)
PC-S-IMV, Pressure Controlled S-IMV (druckkontrollierte S-IMV)
Definition. Die intermittierende mandatorische
Beatmung ist seit 1973 in der klinischen Routine
etabliert. IMV kombiniert Spontanatmung und
volumen- oder druckkontrollierte, zeitgesteuerte
maschinelle Beatmung bei Patienten, deren Eigenventilation zur Sicherstellung adäquater Atemminutenvolumina nicht ausreicht.
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120
1
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3
3 Beatmungsformen
■■ Funktionsprinzip und Geräteeinstellung
Frequenz, Hubvolumen und Beatmungsmuster
sind geräteseitig einstellbar, wobei die mandatorischen Beatmungshübe volumen- oder druckkontrolliert appliziert werden können. Zwischen den
intermittierenden Beatmungszügen kann der Patient ungehindert spontan atmen (Abb. 3.17).
Merke
Die IMV erlaubt ungehinderte Spontanatmung
zwischen den maschinellen Beatmungshüben.
Bei volumenkontrollierter IMV-Beatmung resultiert das maschinelle Mindest-Atemminutenvolumen aus dem Produkt aus eingestelltem mandatorischem Tidalvolumen V T und IMV-Frequenz fIMV:
AMV = V T × fIMV
Bei druckkontrollierter IMV ist die Höhe der applizierten Tidalvolumina abhängig von der ▶ Compliance und ▶ Resistance und damit inkonstant. Die
Möglichkeiten des Patienten zur Beeinflussung der
Ventilation sind durch die Einstellung der IMV-Parameter limitiert. Eine inadäquate Geräteeinstellung kann die Spontanatmung sogar behindern,
z. B. wenn das spontane Atemzugvolumen größer
3
3
Erwartungszeitfenster. Werden die vorgegebenen
maschinellen Beatmungszüge – wie heute üblich – patientengetriggert zur Verfügung gestellt,
spricht man von S-IMV (Synchronized Intermittent Mandatory Ventilation). Die maschinellen Beatmungszüge können jedoch nur innerhalb eines
bestimmten Zeitintervalls, des Erwartungszeitfensters, durch Flow- oder Drucktrigger ausgelöst
werden, damit die freie Spontanatmung zwischen
den Beatmungen nicht behindert wird. Wird vom
Respirator innerhalb dieser definierten Zeiteinheit
keine Spontanatmungsbemühung des Patienten
registriert, wird der mandatorische Beatmungshub unsynchronisiert verabreicht (Abb. 3.17).
Hinweis
S-IMV ist nicht gleichbedeutend mit ▶ assistier­
ter Beatmung. Der entscheidende Unterschied
zur klassischen assistierten Beatmung (▶ S-CMV,
▶ A/C) liegt darin, dass effektive Spontanatmung
zwischen den maschinellen Beatmungshüben
möglich ist, da nicht jede Inspirationsbemühung
mit einem maschinellen Beatmungszug beant­
wortet wird. Die eingestellte IMV-Frequenz und
die Höhe der maschinellen Tidalvolumina ent-
Abb. 3.17 S-IMV: Korrekte Einstellung ermöglicht Spontanatmung.
Spontanatmungsbemühungen
innerhalb des Erwartungszeitfens­
ters lösen (volumen-)kontrollierte
Beatmungshübe aus (rote Markie­
rungen). Wird keine Inspirations­
bemühung detektiert, wird der
maschinelle Beatmungshub unsyn­
chronisiert abgegeben.
Druck
Erwartungszeitfenster
Flow
3
als das eingestellte IMV-Volumen ist oder der Patient während des maschinellen Beatmungszuges
atmet (siehe auch Abb. 5.10, S. 204).
3
Volumen
3
Zeit
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.3 Maschinell unterstützte Spontanatmung
scheiden somit über den effektiven ventilatori­
schen Support des Respirators. Sie bestimmen
damit auch den Anteil des Respirators an der
Atemarbeit des Patienten.
Merke
Bei S-IMV können maschinelle Beatmungszüge
nur innerhalb des Erwartungszeitfensters ausge­
löst werden.
Da Spontanatmung ausschließlich zwischen den
intermittierenden maschinellen Beatmungshüben
und innerhalb der Erwartungszeitfenster möglich
ist, schließen hohe IMV-Frequenzen oder auch volumenkontrollierte Beatmungshübe mit niedrigem Inspirationsflow eine effektive Spontanatmung nahezu aus. Die Spontanatmungsaktivitäten
des Patienten reduzieren sich dann auf die Triggerung der IMV-Beatmungszüge (Abb. 3.18).
dass sie zur alveolären Ventilation nur wenig beitragen. Dies führt nicht nur zu ineffektiver und unökonomischer Atemarbeit, insbesondere bei niedrigen PEEP-Niveaus kann es auch zum vorwiegend
exspiratorischen Verschluss der kleinen Atemwege durch intermittierenden FRC-Abfall („shunt in
time“) kommen, wodurch die Atemarbeit weiter
erhöht wird. Bei eingeschränkter muskulärer Reserve, eingeschränkter FRC und/oder erhöhtem
Ventilationsbedarf des Patienten erscheint daher die Unterstützung jedes einzelnen Atemzuges
durch eine angemessene ▶ inspiratorische Druckunterstützung sinnvoll, zumal die in- und exspiratorische Atemarbeit durch zusätzliche Atemwegswiderstände wie Tubus, Demand-Ventile
usw. ohnehin erhöht ist.
Merke
Hohe IMV-Frequenzen und niedrige Inspirations­
flows verhindern eine effektive Spontanatmung.
Andererseits können die spontan geatmeten Tidalvolumina zwischen den maschinellen Hüben
bei insuffizienter Atemmechanik so niedrig sein,
Beachte
Notwendig ist die engmaschige Nachfüh­
rung der maschinellen Parameter an die aktu­
ellen ventilatorischen Bedürfnisse des Patien­
ten. Nachteilig ist auch, dass die maschinellen
­Beatmungszüge nach einem fest v­ orgegebenen
Zeitraster appliziert werden – unabhängig da­
von, wie hoch die ventilatorische Eigenleistung
des Patienten zu diesem Zeitpunkt ist. Das be-
Abb. 3.18 S-IMV: Fehlerhafte
Einstellung verhindert Spontanatmung (SV). Die effektive
Spontanatmungszeit zwischen den
maschinellen Beatmungszügen
wird bei Einstellung niedriger Flows
reduziert. Nahezu jede Inspira­
tionsbemühung (SV) fällt in das
Erwartungszeitfenster und wird mit
einem maschinellen Beatmungs­
zug beantwortet. Häufig ist die
frustrane Zwischenatmung (SV) in
die maschinellen Beatmungshübe
(Pfeile) ohne effektive Volumenver­
schiebung.
Druck
SV
SV triggert
Flow
SV triggert
1
3
3
3
3
3
Erwartungszeitfenster
SV SV
121
3
3
3
Volumen
3
3
Zeit
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
3
3
3
3
3
3
Merke
S-IMV erfordert das ständige Nachführen der
maschinellen Parameter an die aktuellen ventila­
torischen Bedürfnisse des Patienten.
■■ Klinische Bedeutung der
synchronisierten intermittierende
mandatorische Beatmung (S-IMV)
S-IMV galt lange Zeit als Standardverfahren bei
nahezu allen respiratorischen Störungen in der Intensivmedizin. Am meisten verbreitet war die volumenkontrollierte S-IMV, was allerdings im Wesentlichen durch die technischen Möglichkeiten
der gängigen Respiratoren bedingt war. S-IMV
wurde insbesondere zur Entwöhnung von der Beatmung eingesetzt, indem die Frequenzen der maschinellen Beatmungshübe schrittweise reduziert
wurden. In klinischen Studien konnte jedoch gezeigt werden, dass das ▶ Weaning schneller und
erfolgreicher mit anderen Beatmungsformen wie
▶ PSV oder ▶ BIPAP durchgeführt werden kann, so
dass die Bedeutung von S-IMV in den letzten Jahren stark abgenommen hat.
3.3.3
3
3
3
Airway Pressure Release
Ventilation, APRV
Definition. Airway Pressure Release Ventilation
(APRV) bedeutet Spontanatmung auf einem hohen
PEEP-Niveau von 20 – 30 mbar, wobei das PEEPNiveau zur CO2-Abatmung in regelmäßigen Abständen kurzzeitig auf 0 – 5 mbar entlastet wird
(„pressure release“) (Abb. 3.19). Während der
kurzen Zeit der Systementlastung können schnelle Alveolen exspirieren, während langsame durch
Aufrechterhaltung des intrinsic PEEP wie bei der
▶ Inverse Ratio Ventilation gebläht bleiben.
Druck
deutet, dass bei „zu viel“ maschineller Unter­
stützung die Spontanatmungskapazität des
­Patienten und damit die Fähigkeit zur teilwei­
sen Übernahme der Atemarbeit behindert wird.
Bei „zu wenig“ maschineller Hilfe bzw. zu gro­
ßem Spontanatmungsanteil kann sich der Pati­
ent demgegenüber erschöpfen und in eine aku­
te ventilatorische Insuffizienz geraten.
Flow
1
3 Beatmungsformen
Volumen
122
Zeit
Abb. 3.19 APRV mit Spontanatmung. Kurzzeitige
Entlastung der Atemwegsdrücke (Pressure Release)
mit entsprechenden Flow- und Volumenverschiebun­
gen bei einem spontan atmenden Patienten.
■■ Funktionsprinzip
Entlastung und Aufbau des PEEP-Niveaus bewirken Volumenverschiebungen, die im weitesten
Sinne als druckkontrollierte zeitgesteuerte maschinelle Beatmungshübe angesehen werden können. Demnach ergibt sich die ventilatorische Unterstützung aus der „Release“-Frequenz und der
Druckdifferenz zwischen eingestelltem PEEP und
Entlastungsniveau. Ziel der APRV-Atmung ist die
Vergrößerung der gasaustauschenden Oberfläche
durch alveoläres Rekruitment bei gleichzeitiger Erhaltung der Spontanatmungsmöglichkeit.
Hinweis
APRV ohne Spontanatmung ist identisch mit
zeitgesteuerter, druckkontrollierter ▶ IRV-Be­
atmung mit extremem Atemzeitverhältnis
­(PC - IRV).
Merke
APRV ermöglicht Spontanatmung auf hohem
PEEP-Niveau mit kurzdauernder PEEP-Entlastung.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.3 Maschinell unterstützte Spontanatmung
■■ Geräteeinstellung
■■ Klinische Bedeutung der Airway
Pressure Release Ventilation (APRV)
Druck
Phigh
1
Plow
Flow
Tlow
3
3
Volumen
Die Einstellung der Druckniveaus ist abhängig von
der Ausprägung der Erkrankung. Je nach Schwere
wird die Höhe des oberen Druckniveaus anfangs
zwischen 25 und 30 mbar liegen mit einer Dauer von 2,5 – 4 s. Die Drucknachlasszeiten (Pressure Release) betragen zumeist 0,5 – 1 s. Nach einiger
Zeit kann das obere Druckniveau schrittweise gesenkt werden, sofern sich die Oxigenierung darunter nicht verschlechtert.
Thigh
Beim akuten ▶ Lungenversagen konnten unter
APRV – gegenüber konventionellen Beatmungsmodi wie ▶ PC-CMV – eine Verbesserung der
Lungen­funktion sowie ein geringere Beeinträchti­
gung der Hämodynamik nachgewiesen werden.
APRV verbessert jedoch nur dann den Gasaustausch und die Perfusion, wenn ein ausreichender
Spontanatmungsanteil vorhanden ist. APRV hat als
­eigenständige Beatmungsform keine klinische Bedeutung, zumal das Konzept der Beatmung mit
­inversem Atemzeitverhältnis weitgehend verlassen wurde (siehe Abschnitt ▶ IRV-Beatmung).
Spontanatmung auf beiden (CPAP-)Druckniveaus
und damit zu jedem Zeitpunkt innerhalb des Beatmungszyklus (Abb. 3.20).
3.3.4
■■ Funktionsprinzip
Biphasische positive
Druckbeatmung, BIPAP
BIPAP, Biphasic Positive Airway Pressure
BiLevel Pressure Controlled Ventilation
BiPhase Ventilation
BiVent
Definition. Als Variante von APRV hat sich mittlerweile BIPAP (Biphasic Positive Airway Pressure) in der klinischen Routine etabliert. Hierbei
handelt es sich ebenfalls um eine druckorientierte
Beatmungsform, bei der Höhe und Dauer beider
Druckniveaus variabel und unabhängig voneinander eingestellt werden können. Die Wechsel der
Druckniveaus erfolgen zeitgesteuert; sie können
aber durch die Vorgabe eines entsprechenden
▶ Erwartungszeitfensters auch patientengetriggert
ausgelöst werden. Im Unterschied zur herkömmlichen ▶ druckkontrollierten Beatmung erlaubt
­BIPAP darüber hinaus dem Patienten ungehinderte
123
Zeit
Abb. 3.20 BIPAP. Wechsel zwischen zwei Druckni­
veaus (Phigh und Plow), deren Dauer (Thigh und Tlow)
zeitgesteuert ist. Freie Spontanatmung ist während
des gesamten Atemzyklus möglich.
Anders als bei der konventionellen druckkon­
trollierten Beatmung, bei der das Exspirationsventil während des mandatorischen Atemhubes
geschlossen bleibt, sind die In- und Exspirationsventile bei BIPAP während des gesamten Atemzyklus virtuell offen. Bei Spontanatmungsbemühungen des Patienten regelt der Respirator die
Gasflüsse kontinuierlich nach, so dass die eingestellten oberen und unteren Atemwegsdrücke konstant bleiben. Die Wechsel der Druckniveaus erfolgen prinzipiell zeitgesteuert: anders
als bei der herkömmlichen druckkontrollierten
Beatmung (siehe Abb. 3.5, S. 108) lösen Inspirationsbemühungen des Patienten auf dem unteren
Druckniveau keine vorzeitigen Beatmungszüge
aus. Der maschinelle Beatmungszug kann zwar
auch ­patientengetriggert (▶ Erwartungszeitfenster) ausgelöst werden, jedoch erst nach Ablauf
der Phasendauer.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
3
3
3
3
3
3
3
124
1
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3 Beatmungsformen
Merke
BIPAP erlaubt freie Spontanatmung auf zwei
­alternierenden CPAP-Niveaus.
Hinweis
BIPAP darf nicht mit BiPAP verwechselt werden.
Bei beiden Bezeichnungen handelt es sich um
eingetragene Warenzeichen der Fa. Respironics
Inc. Die Fa. Dräger darf allerdings die in der In­
tensivmedizin mittlerweile etablierte Bezeich­
nung BIPAP für ihre Intensivrespiratoren nutzen,
solange sie in einer Fußnote auf diesen Umstand
hinweist. Die Fa. Respironics Inc. verwendet die
Bezeichnung BiPAP für die ▶ nichtinvasive Beat­
mung im Heimbeatmungsbereich (▶ BiPAP S/T- D
Ventilatory Support System). Im Gegensatz zum
BIPAP der Fa. Dräger und zu entsprechenden
Modes anderer Hersteller erfolgt die Umschaltung
zwischen den beiden inspiratorischen Druck­
niveaus bei BiPAP jedoch flowgesteuert. De fac­
to handelt es sich bei BiPAP also um eine Form
der druckunterstützten Beatmung (▶ PSV) mit
dem Ziel, die Eigenatmung des Patienten zu aug­
mentieren.
■■ Geräteeinstellung
Da die Wechsel zwischen den Druckniveaus wie
bei der druckkontrollierten Beatmung durch ­aktive
maschinelle Volumenlieferung bzw. Entlastung des
Systems erfolgen, wird der Anteil der ­maschinellen
Unterstützung an der Gesamt­ventilation durch die
Einstellung von Höhe und Zeitdauer der Druckniveaus definiert: Je größer die Differenz zwischen
oberem und unterem Druckniveau ist und je kürzer die Phasenzeiten sind, desto größer ist der maschinelle Ventilationsanteil (Abb. 3.21). Bei der Einstellung der BIPAP-Parameter gelten ­prinzipiell die
gleichen Kriterien wie bei der ▶ druckkontrollierten Beatmung (PC-CMV). Unabhängig voneinander
können Inspirationsdruck und -dauer (Phigh und
Thigh) sowie Exspirationsdruck und -dauer (Plow
und Tlow) eingestellt werden. Damit ergibt sich
eine breite Palette von druckkontrollierten Beatmungsverfahren, die sich von der Beatmung mit
normalem Atemzeitverhältnis über die Beatmung
mit umgekehrtem Atemzeitverhältnis (IRV-BIPAP
oder APRV) bis hin zur Spontanatmung (CPAP) mit
und ohne inspiratorische Druckunterstützung erstreckt (siehe Abb. 3.22, S. 127).
Inspiratorische „Rampe“. Wie bei der ▶ druckkontrollierten Beatmung (PC-CMV) ist der Initialflow
bis zum Erreichen des vorgewählten oberen Druckniveaus hoch, danach nimmt er rasch ab (▶ dezelerierender Flow). Die Steilheit des Druckanstiegs
zwischen dem unteren und dem oberen Druckniveau kann bei einigen Geräten – ähnlich wie bei der
druckunterstützten Spontanatmung – variiert werden: inspiratorische „Rampe“ (Abb. 3.22). Hiermit
wird bei manchen Patienten eine bessere Toleranz
gegenüber den hohen Initialflüssen erreicht.
Vorteile. Zusätzlicher Ventilationsbedarf des Patienten, z. B. durch Wachheit, Stress, Schmerz usw.,
kann durch die freie Spontanatmungsmöglichkeit
jederzeit und bedarfsgerecht auf beiden Druckniveaus gedeckt werden: Aus „Gegenatmen“ wird
„Mitatmen“. Die Übergänge zwischen Teilsubstitution und vollständiger Substitution der Ventilation – und damit der Anteil an der Gesamtatemarbeit – sind fließend.
Merke
„Mitatmen statt Gegenatmen“ unter BIPAP.
Die zusätzliche Spontanatmung fördert einerseits den venösen Rückfluss, wodurch die Perfusion und damit auch der Sauerstofftransport verbessert werden. Andererseits wirkt sie sich günstig
auf die ventilatorische Gasverteilung in den Lungen aus. ­Offenbar kann hierdurch der pulmonale
Gasaustausch wesentlich verbessert werden. Ein
­weiterer und sehr wichtiger Vorteil ist, dass der
▶ Sedierungsbedarf unter BIPAP aufgrund der ungehinderten Spontanatmung geringer ist als unter
­S-IMV oder erst recht unter herkömmlicher PCVBeatmung. Typische Nebenwirkungen der Sedierung, wie z. B. Kreislaufdepression, Störung der
Darmmotilität etc. können dadurch vermindert
werden.
Nachteile. Die applizierten Tidalvolumina hängen
nicht nur von der Druckdifferenz zwischen den
beiden eingestellten Druckniveaus, sondern ganz
wesentlich auch von der Compliance und der Resistance der beatmeten Lunge ab und sind damit per
se volumeninkonstant. Verändern sich diese lun-
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.3 Maschinell unterstützte Spontanatmung
a1
125
Druck
1
Druck
Zeit
I
E
Zeit
E
I
3
a2
E
Druck
I
E
I
Zeit
I
E
I
3
E
3
Druck
b1
3
Druck
Zeit
I
E
Zeit
E
I
E
E
3
b2
Druck
I
I
3
Zeit
I
E
I
E
Abb. 3.21 Einstellung der BIPAP-Parameter.
aErhöhung der Atemwegsmitteldrücke durch Anhebung beider Druckniveaus (a1) oder Verlängerung der
oberen Plateauphase (IRV-BIPAP) (a2) bei Oxigenierungsstörungen.
bErhöhung der Druckdifferenz zwischen den Plateaus (b1) oder Erhöhung der Druckwechselfrequenz durch
Verkürzung einer oder beider Plateauzeiten (b2) bei Ventilationsstörungen.
genmechanischen Parameter, z. B. durch Rekrutierung zuvor verschlossener Lungenareale oder auch
durch passagere oder dauerhafte Vigilanzänderungen des Patienten, verändern sich in entsprechender Weise auch die applizierten Volumina. Hieraus
können unbemerkte, teilweise dramatische und
langdauernde Veränderungen der applizierten
Tidalvolumina resultieren (▶ lungenprotektive
Beatmung). Während kurzfristige Schwankungen
der Tidalvolumina unproblematisch sein dürften,
kann eine längerfristige unbemerkte Hyperinflation zur Überdehnung primär intakter Lungenareale
und damit zu zusätzlichen Lungenschädigungen
führen. Ebenso unerwünscht sind inadäquat nied-
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
3
3
3
126
1
3 Beatmungsformen
rige Tidalvolumina, da sie dem Ziel des alveolären
Rekruitments entgegenwirken.
Merke
Die Beatmung mit BIPAP ist nicht gleichbedeu­
tend mit lungenprotektiver Beatmung!
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3
■■ BIPAP – ein Name für unterschiedliche
Beatmungsformen
Hinter der Bezeichnung „BIPAP“ verbergen sich
mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlicher
­Beatmungsformen und -muster, die von der vollständigen maschinellen Beatmung bis hin zur
Spontan­atmung nahezu alle Formen der maschinellen Unterstützung umfassen. Die von den Geräteherstellern zur besseren Charakterisierung
des Beatmungsmodus eingeführten zusätzlichen
­Bezeichnungen, wie z. B. IMV-BIPAP, sind leider
missverständlich und daher wenig hilfreich. Der
Vollständigkeit halber werden sie dennoch im
­Folgenden beschrieben. Aus klinischer Sicht ist in
jedem Fall eine nähere Differenzierung des eingestellten Beatmungsmodus unumgänglich, wobei
die aktuellen Atmungsaktivitäten des Patienten
mit berücksichtigt werden müssen.
Hinweis
Die geräteseitige Aktivierung des BIPAP-Modus
bedeutet zunächst nichts weiter als die Wahl ei­
ner druckkontrollierten Beatmungsform, die dem
Patienten zusätzliche spontane Atmung erlaubt.
Ob und wie viel der Patient tatsächlich spontan
atmet, hängt von der Tiefe der Analgosedierung
sowie der Einstellung der Geräteparameter ab.
PCV-BIPAP
Atmet der Patient nicht spontan, ist BIPAP identisch mit der herkömmlichen zeitgesteuerten,
druckkontrollierten Beatmung (PC-CMV) (Abb.
3.22a, siehe auch Abb. 3.5, S. 108). Dementsprechend sind hinsichtlich Gasaustausch oder Hämodynamik keine Vorteile gegenüber PC-CMV zu
erwarten. Indikationen sind z. B. der tief ­sedierte
oder sogar relaxierte Patient, bei dem Spontan­
atmung nicht möglich oder sinnvoll ist (z. B. tiefe Sedierung beim ▶ Schädel-Hirn-Trauma). Sind
dagegen zusätzliche Spontanatmungsaktivitäten
­ rwünscht, z. B. zur Verbesserung des pulmonalen
e
Gasaustauschs oder zur Einleitung der WeaningPhase, muss entweder die Analgosedierung reduziert und/oder die maschinelle Unterstützung vermindert werden (Reduktion der Tidalvolumina
und/oder der Beatmungsfrequenzen). Damit geht
die Beatmungsform definitionsgemäß in einen anderen Modus über, z. B. in das eigentliche, „originäre“ BIPAP.
Merke
BIPAP ohne Spontanatmung = druck­kontrollierte
Beatmung.
Originäres BIPAP
Thigh und Tlow sind etwa gleich lang, so dass der Patient auf beiden Druckniveaus ungehindert spontan atmen kann (Abb. 3.22b). Typische Einstellungen sind z. B. Thigh 3 – 6 s, Tlow 3 – 6 s, woraus sich
BIPAP-Frequenzen zwischen 5 und 10/min ergeben. Die einzelnen Spontanatmungszüge selbst
werden nicht unterstützt. Die maschinelle Unterstützung wird ausschließlich durch die Druckdifferenz zwischen den einzelnen Niveaus sowie deren
Zeitdauer bestimmt (= maschinelle Beatmungsfrequenz). Die Wahl der Druckniveaus (Phigh und
Plow) hängt ganz wesentlich von der Eigenventilation des Patienten ab. Übliche Einstellungen sind 5
– 10 mbar für das untere und 10 – 20 mbar für das
obere Niveau, abhängig vom resultierenden mandatorischen Tidalvolumen. Durch Absenken von
Phigh und/oder Verkürzen der Plateauzeiten wird
der Spontanatmungsanteil erhöht, durch Anheben von Phigh und/oder Verlängern der Plateauzeiten erniedrigt.
BIPAP + PSV
Die Spontanatmung kann im BIPAP-Mode auf dem
unteren Druckniveau zusätzlich durch eine ▶ in­
spiratorische Druckunterstützung unterstützt
­werden (Abb. 3.2c). Hierdurch lässt sich die Atem­
arbeit des Patienten reduzieren. Allerdings ­besteht
die Gefahr, dass die Spontanatmungsaktivitäten durch eine zu hohe Einstellung der Druckunterstützung eingeschränkt werden, wodurch der
positive Effekt von BIPAP auf die Atemmechanik und den pulmonalen Gasaustausch vermindert wird. Besonders unübersichtlich wird die Situation, wenn BIPAP mit ▶ PSV und ▶ ATC kombiniert wird, da eine Abschätzung der effekti-
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.3 Maschinell unterstützte Spontanatmung
Das obere CPAP-Niveau (Phigh) ist länger als das
untere (Plow) (Abb. 3.22e). Wird Plow sehr kurz gewählt, z. B. 0,5 – 1,5 s, spricht man statt IRV-BIPAP
auch von APRV (s. o.). In diesem Fall ist Spontanatmung nur auf dem oberen Druckniveau zu registrieren, da die Dauer von Plow zu kurz ist. Aber auch
hier wird der Wechsel von Plow zu Phigh meist von
einer spontanen Inspiration verstärkt. Eine typische Einstellung für BIPAP/APRV ist z. B. Thigh 2 –
6 s, Tlow 0,5 – 1,5 s (= APRV-Frequenz zwischen 8
und 24/min); Phigh 15 – 25 mbar, Plow 5 mbar. In der
Regel kommt es hierbei zum Auftreten eines (erwünschten) ▶ intrisic PEEP.
CPAP
Bei dieser „extremen“ Einstellung von BIPAP sind
Plow und Phigh identisch. Daher spielen die entsprechenden Zeiten (Tlow und Thigh) keine Rolle mehr
(Abb. 3.22g). Die Spontanatmung kann mit inspiratorischer Druckunterstützung augmentiert werden.
Druck
Druck
b
Druck
3
3
Druck
c
3
d
Druck
IRV-BIPAP und APRV
a
3
e
3
Druck
Hinweis
Bei der IMPRV (Intermittent Mandatory P
­ ressure
Release Ventilation) handelt es sich um eine her­
stellerspezifische Abwandlung des BIPAP, bei
der jeder spontane Atemzug auf beiden Druck­
niveaus mit zusätzlicher, leichter Druckunter­
stützung augmentiert wird. Diese Form von
­BIPAP ist derzeit nur im Cesar-Ventilator verfüg­
bar.
1
f
3
Druck
ven maschinellen Atem­unterstützung bzw. des
Spontan­atmungsanteils des Patienten kaum noch
möglich ist. Besser ist es, sich für ein Konzept
zu entscheiden: entweder Unterstützung jedes
­Atemzugs durch ­maschinellen Support wie bei der
▶ inspiratorischen Druckunterstützung oder Sicherstellung der alveolären Ventilation durch Unterstützung des Atemminutenvolumens mit ungehinderter Spontanatmung wie bei BIPAP, ggf. mit
ATC.
127
g
Zeit
Abb. 3.22 BIPAP – ein vielseitiges Beatmungs­
verfahren.
aPCV-BIPAP: druckkontrollierte Beatmung (PC-CMV)
ohne Spontanatmung (s. auch Abb. 3.32),
boriginäres BIPAP: druckkontrollierte Beatmung mit
ungehinderter Spontanatmung,
c IMV-BIPAP mit Variation der inspiratorischen Druck­
anstiegsgeschwindigkeit (Rampe),
dPSV-BIPAP: inspiratorische Druckunterstützung
(PSV) der Spontanatmung,
eIRV-BIPAP: Verlängerung des Atemzeitverhältnisses,
f BIPAP/APRV: Extreme Inverse Ratio Ventilation,
gCPAP: Angleichung beider Druckniveaus (mit und
ohne inspiratorische Druckunterstützung).
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
3
3
3
128
1
3
3
3
3 Beatmungsformen
Hinweis
Bei Oxigenierungsstörungen: Erhöhung der
▶ FRC und alveoläres ▶ Rekruitment durch Erhö­
hung des pulmonalen Mitteldrucks, z. B. durch
●● gleichgerichtete Veränderung der unteren
und oberen Druckniveaus, und/oder
●● Verlängerung der oberen Druckniveaus: IRVBIPAP (Abb. 3.22e,f).
Bei Ventilationsstörungen und Hyperkapnie:
Erhöhung der Druckdifferenz zwischen den
beiden Druckniveaus durch Erhöhung des
oberen und/oder Senkung des unteren
Drucks, oder
●● Verkürzung der Niveauzeiten durch Zunah­
me der Beatmungsfrequenzen und Augmen­
tierung der Spontanatmung durch inspiratori­
sche Druckunterstützung, z. B. als IMV-BIPAP
bzw. PSV-BIPAP (Abb. 3.22c,d).
●●
3
Merke
Hohe Druckunterstützung schränkt die effektive
Spontanatmung ein.
3
■■ Klinische Bedeutung der biphasischen
positiven Druckbeatmung (BIPAP)
3
3
3
3
3
BIPAP in seinen unterschiedlichen Varianten ermöglicht dem Patienten additive Spontanatmung
innerhalb des gesamten Beatmungszyklus. Durch
Verknüpfung mit druckkontrollierter zeitgesteuerter Beatmung kann damit praktisch das gesamte Spektrum der maschinellen Beatmung bis hin
zur vollständigen Spontanatmung realisiert werden, ohne dass der Beatmungsmodus gewechselt werden muss. Daraus resultieren im Vergleich
zu anderen Beatmungsstrategien eine leichtere
­Bedienbarkeit sowie eine einfachere ­Anpassung
an die aktuellen ventilatorischen Bedürfnisse des
­Patienten. Die Möglichkeit zur ungehinderten
Spontanatmung verbessert den Komfort für den
Patienten, gleichzeitig wird der pulmonale Gasaustausch optimiert. BIPAP ist damit nicht nur zur
▶ Entwöhnung vom Respirator geeignet, ­sondern
auch zur ▶ postoperativen Nachbeatmung sowie
zur Behandlung von Patienten mit ▶ ARDS. In vielen Kliniken wird BIPAP daher mittlerweile als
Standardbeatmungsmodus bei nahezu allen Formen der respiratorischen Insuffizienz eingesetzt.
3.3.5
Proportional Assist Ventilation,
PAV
PPS, Proportional Pressure Support
Definition. Proportional Assist Ventilation ist eine
Modifikation der seit Jahren in der klinischen Praxis eingesetzten inspiratorischen Druckunterstützung. Wie diese augmentiert PAV jeden einzelnen
Spontanatemzug des Patienten. Voraussetzung ist
also auch hier ein intakter Atemantrieb des Patienten.
■■ Funktionsprinzip
Anders als bei der klassischen inspiratorischen
Druckunterstützung, bei der das Druckniveau fest
vorgegeben ist und durch unterschiedlich starke Atemanstrengungen des Patienten nicht beeinflusst werden kann, orientiert sich der Unterstützungsdruck an der Muskelkraft des Patienten. Die
aktuelle ventilatorische Unterstützung ändert sich
von Atemzug zu Atemzug proportional zur aufgebrachten inspiratorischen Arbeit des Patienten (=
Inspirationssog). Sie unterliegt damit direkt der
Kontrolle des Atemantriebs.
Im Gegensatz zu PSV endet die maschinelle
Flow-/Volumenlieferung jedoch mit dem Ende der
aktiven Inspiration (Abb. 3.23), da das von ▶ PSV
bekannte 25 %-Umschaltkriterium entfällt (siehe
Abb. 3.13). Durch diesen Feed-back-­Mechanismus
soll sich der maschinelle Support den wechselnden
ventilatorischen Bedürfnissen des Patienten besser
und „physiologischer“ anpassen als die herkömmliche inspiratorische Druckunterstützung. Dabei soll
gleichzeitig die Atemmuskulatur effektiver entlastet werden. Dies ist von besonderer Bedeutung bei
lungenkranken Patienten, die aufgrund von erhöhter Resistance und/oder erniedrigter Compliance
erhöhte Atemarbeit leisten müssen.
Merke
Die maschinelle Unterstützung ändert sich
­proportional zur inspiratorischen Atemarbeit.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
PMuskel
3.3 Maschinell unterstützte Spontanatmung
Abb. 3.23 Proportional Assist Ventilation. Im Gegensatz zu PSV (siehe
Abb. 3.13) nimmt die maschinelle
Druckunterstützung mit zuneh­
menden Inspirationsbemühungen
(pMuskel ≅ Pleuradruck) ebenfalls
zu. Mit Beginn der Relaxation der
Atemmuskulatur reduziert sich auch
die maschinelle Flowlieferung (rote
Markierungen) und endet gleichzei­
tig mit dem vollständigen Ende der
Inspirationsbemühung.
Beginn
Relaxation der Atemmuskulatur
Ende
Druck
inspiratorischer Sog
129
1
3
Flow
3
Volumen
3
3
Zeit
■■ Steuergrößen und Einstellung
der Parameter
Die Steuergröße der Druckunterstützung, der
Pleuradruck als Äquivalent der Muskelkraft PMuskel,
ist unter klinischen Bedingungen nicht oder nur
ungenau messbar. Stattdessen werden als Kon­
trollvariablen der maschinellen Unterstützung
die ▶ Compliance C und die ▶ Resistance R der
­Lunge eingesetzt, da die vom Patienten zu leistende Atem­arbeit ganz wesentlich von diesen Größen
abhängt.
R × V� + 1
PMuskel =
C × Volumen
Zur teilweisen oder vollständigen Kompensation
der Muskelarbeit ist somit bei der primären Einstellung von PAV zumindest näherungsweise die
Kenntnis von Resistance und Compliance der Lunge erforderlich. Der Grad der maschinellen Unterstützung ist einstellbar, getrennt nach resistivem
und elastischem Anteil. Bei fehlerhafter Einstellung sind Instabilitäten des Feed-back-Mechanis-
mus möglich, die zu Unter- oder Überkompensation führen.
Die exakte Bestimmung von Compliance und
Resistance ist nur bei volumenkontrollierter Beatmung ohne Spontanatmungsaktivitäten möglich.
Spontan atmende Patienten müssen hierfür entweder kurzfristig tief sediert oder bis zum Sistieren der Spontanatmung hyperventiliert werden.
Für die tägliche klinische Routine ist dieses Vorgehen jedoch zu aufwändig und invasiv, zumal
sich die atemmechanischen Parameter des wachen, spontan atmenden Patienten durch Stress,
Schmerz oder Sedierung schnell ändern können.
Stattdessen werden Compliance und Resistance
zumeist anhand klinischer Parameter abgeschätzt.
Hierdurch besteht jedoch das Risiko der Über- oder
Unterkompensation durch fehlerhafte Anpassung
der Geräteparameter.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
3
3
3
3
3
130
1
3
3
3
3
3
3
3 Beatmungsformen
Hinweis
Zur Vermeidung einer Überkompensation
­sollte primär nur eine etwa 80 %ige Kompensa­
tion der Atemarbeit angestrebt werden. Den­
noch sind sog. „Runaway“-Phänomene nicht
­auszuschließen, z. B. durch Verbesserung der
Lungencompliance im Verlauf und/oder unzu­
reichende Nachführung der Geräteparameter.
­Zeichen der Überkompensation können inad­
äquat hohe Tidalvolumina sein, Aktivierung der
Exspirationsmuskulatur („Pressen“) oder auch
Unruhe des Patienten („zuviel Luft“).
■■ Klinische Bedeutung der Proportional
Assist Ventilation (PAV)
Obwohl PAV bereits vor vielen Jahren in die intensivmedizinische Praxis eingeführt wurde, liegen aussagefähige kontrollierte Untersuchungen
bei definierten Krankheitsbildern bisher nicht vor.
Nur in wenigen Zentren wird PAV bisher in der klinischen Routine eingesetzt. Die bisherigen Ergebnisse weisen darauf hin, dass PAV nicht nur bei restriktiven Lungenerkrankungen, sondern auch bei
Patienten mit Insuffizienz der Atempumpe, z. B. bei
chronischer ventilatorischer Insuffizienz (COPD,
neuromuskulären Erkrankungen), Vorteile gegenüber PSV aufweisen könnte. In der klinischen Praxis problematisch ist die korrekte Einstellung und
Anpassung der Steuergrößen anhand von Resistance und Compliance, die eine breite Anwendung
der Methode bisher verhindert hat.
3
3.4
3
3
3
Spontanatmung
SV, Spontaneous Ventilation
Definition. Bei reiner Spontanatmung muss die
in- und exspiratorische Atemarbeit allein und ausschließlich vom Patienten erbracht werden.
Atemarbeit. Da die Atemarbeit beim intubierten
Patienten durch die Widerstände von oralen oder
nasalen Endotrachealtuben, Ventilen, Atemgasfiltern usw. zusätzlich erhöht ist, sollte Spontanatmung ohne zusätzliche maschinelle Atemhilfe
über längere Zeiträume vermieden werden.
Merke
Keine Spontanatmung durch den Tubus ohne
adäquaten maschinellen Support!
In der Klinik wird zur Reduktion der tubusbedingten Atemarbeit häufig die Einstellung ­einer geringen inspiratorischen ▶ Druckunterstützung, z. B.
5 mbar, empfohlen. Nachteilig ist hierbei jedoch,
dass – unabhängig von den Inspirationsbemühungen des Patienten – immer nur ein fest eingestellter
Unterstützungsdruck zur Verfügung steht. Eine ideale Kompensation der tubusbedingten Widerstände
kann dadurch nur in einem engen Flowbereich erreicht ­werden (Abb. 3.24). Erzeugt der ­Patient durch
­seine Inspirationsbemühung ­höhere Flüsse, z. B. zu
Beginn der Inspiration, ist die zu überwindende
Druckdifferenz über den Tubus erheblich höher als
der eingestellte PSV-Druck und die tubusbedingten Widerstände werden unvollständig kompensiert. Bei niedrigen Gasflüssen, wie sie zum Inspirationsende auftreten, werden dagegen die inspiratorischen Tubuswiderstände überkompensiert.
Der zur Tubuskompensation erforderliche PSVDruck kann also nur abgeschätzt und als Mittelwert eingestellt werden.
Merke
PSV ist zur Kompensation der tubusbedingten
zusätzlichen Atemarbeit nur bedingt geeignet.
3.4.1
Automatische
Tubuskompensation, ATC
ATC, Automatic Tube Compensation
ARC, Airway Resistance Compensation
Definition. Die Zusatzfunktion ATC kompensiert
den zusätzlichen tubusbedingten Atemwegswiderstand, so dass der Tubuswiderstand für den
spontan atmenden Patient im Idealfall nicht mehr
spürbar ist.
Während der kontrollierten Beatmung ist die
Verengung der Atemwege durch den Endotrachealtubus vernachlässigbar, da das Beatmungsgerät
die zusätzlichen, tubusbedingten Atemwegswiderstände problemlos überwindet. Unter Spontan­
atmungsbedingungen dagegen, z. B. im Rahmen
der Entwöhnung vom Respirator, erschwert ­dieser
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.4 Spontanatmung
Druckabfall Tubuskonnektor – Tubusspitze
(Tubus-ID 7,5mm) bei SV mit PSV
Druck (mbar)
25
20
15
10
5
Unterkompensation
PSV-Druck
Abb. 3.24 Kompensation der
Tubuswiderstände mit PSV. Bei
Spontanatmung mit inspiratorischer
Druckunterstützung von 5 mbar
durch einen Tubus (7,5 mm ID) wird
eine optimale Tubuskompensation
lediglich bei Flüssen im Bereich von
ca. 45 l/min erreicht. Höhere Atem­
gasflüsse führen zur Unterkompensa­
tion der tubusbedingten Atemarbeit,
niedrigere zur Überkompensation.
131
1
3
Überkompensation
10
20
30
40
50
60
70
zusätzliche Widerstand die Atmung und erhöht
die Atemarbeit im Vergleich zum nicht ­intubierten
Patienten. Die Beziehung zwischen Tubusresistance und Atemgasflow ist dabei wegen der auftretenden Turbulenzen nichtlinear: Je höher der
Flow, desto höher ist der tubusbedingte Atemwegswiderstand und desto höher ist die zusätzliche Atem­arbeit für den Patienten.
■■ Funktionsprinzip
Erreicht wird die sog. „elektronische ­Extubation“
durch eine auf mathematischen Algorithmen
­basierende automatische Anpassung der inspiratorischen Druckunterstützung an die Tubusgeometrie
und damit dessen Widerstand bei wechselnden In­
spirationsflows. Die Höhe der zur Kompensation der
inspiratorischen Tubuswiderstände erforderlichen
Druckunterstützung resultiert aus dem durch die
Atemanstrengungen des Patienten erzeugten Unterdruck in der Lunge. Dieser ist in erster Linie abhängig
vom Tubusdurchmesser und führt zur Druckdifferenz (ΔPTubus) zwischen Anfang und Ende des Tubus,
die umso höher ist, je mehr Flow vom Patienten angefordert wird. Die daraus resultierende zusätzliche
Atemarbeit kann kompensiert werden, indem der
Druck vor dem Tubus genau um den Betrag dieser
Druckdifferenz erhöht wird. Da sich die Druckdifferenz über dem Tubus nach dem ▶ Hagen-PoiseuilleGesetz annähernd quadratisch zum Gasfluss ändert,
lässt sich die aktuelle Druckdifferenz und damit
auch der zur Kompensation notwendige Unterstüt-
80
90
Flow (l/min)
zungsdruck bei bekanntem Flow und ­bekanntem
Tubusdurchmesser kontinuierlich errechnen. Die
direkte Messung des Druckes an der Tubusspitze ist
dazu nicht erforderlich. Aus den kontinuierlich ermittelten Daten stellt der Respirator die für den jeweiligen Flow benötigte Druck­unterstützung bereit
(Abb. 3.25), so dass ein ­spontan atmender Patient
von der Atemanstrengung her idealerweise das Gefühl hat, er sei nicht intubiert.
3
3
3
3
■■ Geräteeinstellung
Die einzige Variable, die vom Anwender festgelegt
und am Beatmungsgerät eingestellt wird, ist die
Art und Größe des verwendeten Tubus.
3
Hinweis
Die technische Umsetzung von ATC ist nicht
­unproblematisch. Idealerweise erfordert die
­korrekte Tubuskompensation nämlich nicht nur
die kontinuierliche Abtastung des ­Flowsignals,
sondern gleichzeitig auch die Ermittlung und
verzögerungsfreie Lieferung der ermittelten
Druckunterstützung. Dieser Prozess funktio­
niert optimal bisher nur in Beatmungsgerätepro­
totypen für Forschungszwecke. Dagegen ist die
­Tubuskompensation in kommerziell erhältlichen
Respiratoren bislang nicht immer zufriedenstel­
lend. Pro­bleme in der täglichen Praxis ergeben
sich hauptsächlich durch partielle Einengungen
des Tubus durch Sekret oder Abknickung oder
3
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
3
3
132
1
3 Beatmungsformen
a
b
∆PTubus
3
3
3
3
3
3
3
3
3
Ventilator
Ventilator
3
∆PTubus
Abb. 3.25 Tubuskompensation.
aohne ATC: zusätzliche muskuläre Atemarbeit zur Überwindung der tubusbedingten Druckdifferenz ΔPTubus.
bmit ATC: Reduktion der zusätzlichen muskulären Atemarbeit durch maschinelle Kompensation der tubus­
bedingten Druckdifferenz ΔPTubus mit einer bedarfsorientierten Druckunterstützung.
auch den Kontakt der Tubusspitze mit Trache­
alschleimhaut, die zu einer mangelhaften Kom­
pensation der tatsächlichen Widerstände führt.
Merke
ATC ist zur Kompensation der zusätzlichen Tu­
buswiderstände bei Spontanatmung besser ge­
eignet als PSV.
■■ Klinische Bedeutung der automatischen
Tubuskompensation (ATC)
Zahlreiche Untersuchungen sowie die klinische
­Erfahrung deuten darauf hin, dass die Verwendung von ATC trotz nach wie vor bestehender technischer Unzulänglichkeiten Vorteile gegenüber der
Einstellung einer fixen inspiratorischen Druckunterstützung und erst recht im Vergleich zur Spontanatmung ohne jede Tubuskompensation bietet.
Da die Mehrzahl der Patienten zudem einen deutlich besseren Spontanatmungskomfort nach Aktivierung von ATC angibt, sollte zumindest in der
Entwöhnungsphase ATC gegenüber der alternativen Tubuskompensation durch eine niedrige inspiratorische Druckunterstützung bevorzugt werden.
3.4.2
Continuous Positive Airway
Pressure, CPAP
Spontanatmung mit PEEP
Definition. In Verbindung mit der Applikation eines kontinuierlichen positiven Atemwegsdrucks
spricht man von Spontanatmung mit ▶ PEEP (Positive End-Expiratory Pressure) oder CPAP-Atmung.
Ziel ist die Verbesserung des pulmonalen Gasaustauschs bei Oxigenierungsstörungen.
Hinweis
Diese Form der CPAP-Atmung wird in der Regel
nur in der Intensivmedizin oder vergleichbaren
Einrichtungen durchgeführt. Davon abzugrenzen
ist die CPAP-Therapie im Rahmen der Behand­
lung des ▶ Schlafapnoe-Syndroms. Ziel der Be­
handlung ist die Stabilisierung der oberen Luft­
wege durch leichten Überdruck („pneumatische
Schienung“). Hierzu werden spezielle, leicht be­
dienbare und technisch recht einfache CPAP-Ge­
räte eingesetzt. Die Einspeisung von Sauerstoff
in den Atemgasstrom ist bei diesen Geräten –
wenn überhaupt – meist nur optional möglich.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
■■ Demand-Flow-CPAP
Die in moderne Respiratoren integrierten Demand-Flow-CPAP-Systeme arbeiten mit Bedarfsflow. Nach ▶ Triggerung des Inspirationsventils erfolgt die Flowlieferung, wobei der vom Respirator
bereitgestellte Flow von der Höhe der Inspirationsbemühung (Inspirationssog) des Patienten abhängt. Maximaler inspiratorischer Sog öffnet das
Inspirationsventil vollständig, so dass – gerätespezifisch unterschiedlich – Gasflows bis 180 l/min
zur Verfügung gestellt werden können. Allerdings
kann die Bereitstellung der Atemgase nur mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung (Latenzzeit)
erfolgen (Abb. 3.26).
Die Steuerung des Ventils entscheidet über die
Konstanz des Druckniveaus und die Latenzzeit
zwischen Triggerimpuls und Öffnung des Ventils.
Die vom Patienten zur Triggerung der DemandVentile zusätzlich zu leistende Atemarbeit ist bei
modernen Respiratoren nur gering, da diese meist
mit ▶ Biasflows (siehe Abb. 3.31) arbeiten. Sinnvollerweise sollte CPAP mit ▶ ATC oder einer geringen
▶ inspiratorischen Druckunterstützung zur Tubuskompensation kombiniert werden. Der Übergang
zur ▶ nichtinvasiven Beatmung ist damit fließend.
3.4 Spontanatmung
133
Von Vorteil sind der im Vergleich zu ContinuousFlow-Geräten (s. u.) geringere Gasverbrauch sowie
die problemlose Überwachung der Atmungsparameter.
1
Merke
Die zusätzliche Atemarbeit durch die DemandFlow-Systeme moderner Respiratoren ist ver­
nachlässigbar.
3
■■ Continuous-Flow-CPAP
Der kontinuierlich fließende Atemgasstrom erzeugt in Verbindung mit einem PEEP-Ventil den
positiven Atemwegsdruck, ohne dass der Patient
zusätzliche Atemarbeit zur Triggerung von Demand-Ventilen aufbringen muss (Abb. 3.26). Zur
Reduzierung des Gasverbrauchs und Glättung von
in- und exspiratorischen Druckschwankungen im
System verfügen die meisten kommerziell erhältlichen Geräte über ein Reservoir mit hoher Compliance im Inspirationsschenkel. Einfache Continuous-Flow-CPAP verfügen zumeist über keinerlei
atemmechanisches Monitoring. Sie werden – über
3
3
3
3
Demand-Flow-CPAP
Abb. 3.26 Flowlieferung bei Spontanatmung mit CPAP. Die Höhe der
Flowlieferung hängt von den Inspira­
tionsbemühungen des Patienten ab.
Demand-Flow: Die Flowlieferung
erfordert die Triggerung des In­
spirationsventils und erfolgt daher
zeitverzögert (Lupe).
Continuous Flow: unmittelbare
Bereitstellung des Inspirationsflows
ohne Ventil-bedingte Zeitverzöge­
rung (Lupe).
Continuous-Flow-CPAP
PEEP
Beginn der
Atemgaslieferung
Flow
Druck
Beginn Inspirationsbemühung
3
3
3
Volumen
3
3
Zeit
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
134
3 Beatmungsformen
1
Maske oder Tubus – vor allem bei Patienten mit
Gasaustauschstörungen verwendet, bei denen keine zusätzliche Ventilationsassistenz nötig ist.
3.5
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3
Rückkoppelnde Systeme:
Hybridverfahren
Servokontrolierte Systeme
Weiterentwicklungen von Hard- und Software ermöglichen mittlerweile vielfältige Kombinationen
von druck- und volumenkontrollierter Beatmung,
wodurch die spezifischen Nachteile beider Verfahren teilweise eliminiert werden können. Diese sog.
servokontrollierten Systeme sind keine eigenständigen Beatmungsformen. Es handelt sich vielmehr
um rückkoppelnde oder auch Feed-Back-Systeme,
die bei definierten Beatmungs-/Atmungssituationen innerhalb bestimmter Grenzen definierte Prozeduren ausführen, um ein vorher festgelegtes Ziel
mit einer vorgegebenen Strategie zu erreichen.
Vorteile. Vorteilhaft ist, dass die mikroprozessorgesteuerte Anpassung einer oder mehrerer Variablen
selbsttätig und teilweise ohne Alarmierung erfolgt,
wodurch sowohl Patient als auch Pflegepersonal
entlastet werden. Ein Beispiel ist der „Volumengarantie-Modus“ druckkontrollierter Beatmungsverfahren. Im Gegensatz zur klassischen PC-CMV ist
das Tidalvolumen Ziel- und Messgröße. Einige Modes berücksichtigen zusätzlich die ventilatorische
Kapazität des Patienten. Durch die Vermeidung
der Volumeninkonstanz bei druckkontrollierter
Beatmung wird auch ▶ lungenprotektiven Aspekte
der Beatmung Rechnung getragen.
Nachteile. Die maschinelle Unterstützung (Flow,
Inspirationsdruck) wird bei den unterschiedlichen
Verfahren zwar grundsätzlich den atemmechanischen Eigenschaften der beatmeten Lunge bzw.
den Bedürfnissen des Patienten angepasst, jedoch
immer auf der Basis vorangegangener Atemzüge.
Hinweis
Aus streng technischer Sicht gehören auch PSV
und ATC zu den rückkoppelnden Systemen.
3.5.1
Mandatorische
Mindest-Ventilation, MMV
MMV, Mandatory Minute Ventilation
MMV, Minimal Minute Volume
AMV, Augmented Minute Volume
EMMV, Extended Mandatory Minute Volume
Definition. Dieses bereits seit vielen Jahren in die
klinische Routine eingeführte Feed-back-System
beschreibt eine IMV-Variante, bei der das spontan geatmete Minutenvolumen kontinuierlich mit
dem vorgegebenen Zielparameter „Atemminutenvolumen“ verglichen und ggf. durch Applikation
volumenkontrollierter maschineller Beatmungen
angepasst wird.
■■ Funktionsprinzip
Maschinelle Beatmungszüge werden vom Respirator nur dann abgegeben, wenn in einem definierten Zeitfenster das vorgewählte Mindest-Spontan­
atemminutenvolumen nicht erreicht wurde (Abb.
3.27). Bei ausreichender Spontanatmung dagegen,
die auch durch ▶ inspiratorische Druckunterstützung (PSV) unterstützt werden kann, unterbleiben
die maschinellen Beatmungshübe.
■■ Vor- und Nachteile
Vorteile. MMV erlaubt dem Patienten mehr ventilatorischen Spielraum als die konventionelle,
vergleichsweise starre zeitgesteuerte, volumenkontrollierte ▶ S-IMV-Beatmung. Bei ausreichender Spontanatmung wird der maschinelle Support
automatisch und schrittweise vollständig zurück
genommen, bei unzureichender ventilatorischer
Eigenleistung entsprechend hoch gefahren.
Nachteile. Die bedarfsgesteuerte maschinelle Volumensubstitution orientiert sich nicht am Spontanatmungsmuster des Patienten, sondern allein am
verschobenen ventilatorischen Minutenvolumen.
Eine beginnende ventilatorische Insuffizienz mit
einem hohen Anteil an Totraumventilation durch
niedrige Atemzugvolumina und hohe Atemfrequenzen kann auf diese Weise verschleiert werden. Nachteilig ist die MMV-Steuerung auch bei
steigendem Ventilationsbedarf des Patienten, z. B.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.5 Rückkoppelnde Systeme: Hybridverfahren
Druck
PSV-Druck
Minutenvolumen Tidalvolumen
Minutenvolumen Tidalvolumen
Beatmungshübe
Mindestminutenvolumen
Zeit
1
Erhöhung der Druckunterstützung
3
3
Mindestminutenvolumen
Zeit
Abb. 3.27 MMV durch intermittierende mandatorische Beatmungshübe. Aufrechterhaltung des
Minutenvolumens durch intermittierende maschi­
nelle Beatmung: Insuffiziente Spontanatmung führt
zur Abgabe von druck- oder volumenkontrollierten
maschinellen Beatmungszügen, bis das vorgewählte
Minutenvolumen wieder erreicht ist.
Abb. 3.28 Volume Support durch variable inspiratorische Druckunterstützung. Aufrechterhaltung
des Minutenvolumens durch Variation der inspira­
torischen Druckunterstützung: PSV-Erhöhung bei
Unterschreiten, PSV-Reduktion bei Überschreiten des
vorgewählten Minutenvolumens.
durch Stress oder Schmerz: Der sich zunehmend
anstrengende Patient wird mit einer Reduktion
des maschinellen Supports bestraft.
maximale Druckunterstützung wird durch eine
manuell eingestellte obere Druckgrenze ­begrenzt.
Durch die Voreinstellung der gewünschten Atemfrequenz zusammen mit dem Ziel-Tidalvolumen
gleicht der Regelalgorithmus selbständig ein Absinken der Atemfrequenz unter den Zielwert mit
einer entsprechenden Erhöhung des Tidalvolumens über den Zielwert aus, so dass eine konstante Minutenventilation resultiert. Werden vom
Re­spirator keine Atemanstrengungen registriert,
wird Alarm ausgelöst und die Tidalvolumina werden unsynchronisiert entsprechend der voreingestellten Frequenz abgegeben.
3.5.2
Volume Support, VS
VPS, Variable Pressure Support
Definition. Druckkontrollierte, volumenorientierte, obligat patientengetriggerte MMV-Variante
auf der Basis von ▶ PSV, erweitert durch die Voreinstellung weiterer Zielparameter (Atemzugvolumen, Atemfrequenz).
■■ Funktionsprinzip
Wird das voreingestellte Mindest-Atemminutenvolumen vom Patienten nicht spontan erbracht,
erhöht das Gerät unter Berücksichtigung der aktuellen Compliance stufenweise die ▶ inspiratorische Druckunterstützung jedes Atemzuges, bis das
Atemminutenvolumen erreicht ist (Abb. 3.28). Die
135
3
3
3
3
3
3
■■ Vor- und Nachteile
Vorteile. Konstanz von Tidal- und Minutenvolumina über einen weiten Bereich, unabhängig z. B. von
Veränderungen der Compliance oder Resistance
oder wechselndem Atemantrieb des Patienten. Die
Orientierung der Mindest-Ventilation am Atemzugvolumen verhindert Tachypnoe und vermindert das Risiko der progredienten ventilatorischen
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
3
136
1
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3 Beatmungsformen
Erschöpfung, so dass dieses Konzept eine gute
Alternative zum oben beschriebenen IMV-MMVModus darstellt. Bei ausreichender Eigenatmung
entspricht die Atmung praktisch einer Spontan-/
CPAP-Atmung mit inspiratorischer Druckunterstützung. Bei spontan atmenden Patienten bietet
der Modus eine gute Alternative zur ▶ Apnoeventilation.
Nachteile. Die Kompensation einer zu niedrigen
Atemfrequenz durch konsekutive Anstiege der
Tidalvolumina ist nicht unproblematisch (siehe
auch ▶ lungenprotektive Beatmung). Ein weiterer
Nachteil resultiert aus dem Feed-back-Prinzip:
Verstärkt der Patient seine Atemanstrengungen
und damit sein Atemzugvolumen, hat dies immer
eine Reduktion des maschinellen Supports zur Folge. Sie ist im Sinne einer automatischen Entwöhnung vom Respirator auch erwünscht, sofern die
intensivierte Eigenatmung Folge einer zunehmend
kräftigeren Atemmuskulatur ist. Erfolgt sie jedoch
aufgrund eines erhöhten Ventilationsbedarfs, wäre
die Reduktion der Druckunterstützung dagegen
kontraproduktiv (siehe auch ▶ MMV).
■■ Klinische Bedeutung von MMV und VS
Obwohl MMV nahezu das gesamte Spektrum der
maschinellen Beatmung von der kontrollierten Beatmung bis zur Spontanatmung umfasst, konnten
sich dieser Modus und seine Varianten in der klinischen Routine bisher nicht durchsetzen. Unter Beachtung der o. g. Einschränkungen kann jedoch vor
allem die PSV-Variante mit gutem Erfolg bei zahlreichen Formen der respiratorischen Insuffizienz
sowie zur Entwöhnung eingesetzt werden.
3.5.3
Druckregulierte,
volumenkontrollierte Beatmung,
PRVC
PRVC, Pressure Regulated Volume Controlled Ventilation (Siemens)
VC+ (Puritan Bennett)
■■ Funktionsprinzip
Grundlage ist ein volumengeregeltes Verfahren auf
der Basis von VC-CMV, bei dem der Inspirationsflow
automatisch so geregelt wird, dass ein möglichst
geringer Atemwegsdruck resultiert. Mithilfe eines komplexen Regelalgorithmus wird die aktuelle
Compliance des respiratorischen Systems Atemzug
für Atemzug ermittelt, woraus sich für den nachfolgenden Atemzug der minimale inspiratorische
Druck zum Erreichen des vorgewählten Tidalvolumens ergibt. Dementsprechend resultiert die Höhe
des Inspirationsdrucks – neben dem eingestellten
Atemhubvolumen – aus den atemmechanischen
Eigenschaften der Lunge. Ändert sich z. B. die Compliance, verändert sich auch der Plateaudruck. Die
Anpassung des inspiratorischen Drucks erfolgt dabei in 3-mbar-Schritten bis zu einem einstellbaren
Drucklimit, so dass das gewählte Zielvolumen annähernd konstant bleibt (Abb. 3.29).
■■ Geräteeinstellung
Statt der starren Einstellung eines oberen und unteren Druckniveaus wie bei ▶ VC-CMV gibt der Anwender für die maschinellen Atemhübe ein mandatorisches Ziel-Atemhubvolumen vor, das auf die
individuellen Erfordernisse der Patientenlunge zugeschnitten ist.
Hinweis
Um ein unkontrolliertes Ansteigen der Atem­
wegsdrücke bei einem Abfall der Compliance zu
vermeiden, muss bei diesem sowie auch den im
Folgenden beschriebenen Systemen immer eine
obere Druckbegrenzung eingestellt werden.
3
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.5 Rückkoppelnde Systeme: Hybridverfahren
3.5.4
■■ Vor- und Nachteile
Vorteile. Unbemerkte bzw. unerwünschte Schwankungen der Tidalvolumina aufgrund von Änderungen der Compliance/Resistance der Lunge werden
sicher verhindert.
Nachteile. Der Modus erlaubt zwar eine patientengetriggerte Beatmung, jedoch keine freie Spontanatmung, der klinische Nutzen dürfte daher
insgesamt eher gering sein. Sinnvoll nur in Kombination mit ▶ AutoMode, in dem der Respirator bei
ausreichender Spontanatmung in den ▶ VS-Mode
wechselt.
Kontrolliert adaptive Beatmung,
APV
■■ Funktionsprinzip
APV wird als optionale druckkontrollierte zeitgesteuerte/patientengetriggerte volumengeregelte
Beatmung mit PC-CMV und PC-S-IMV angeboten.
Die Beatmungshübe werden entweder zeit­ge­
steuert unsynchronisiert abgegeben oder patientengetriggert im druckkontrollierten S-IMV-Modus (PC-S-IMV oder P-SIMV). Im P-SIMV-­Modus
können die Spontanatmungszüge mit PSV assistiert werden (Abb. 3.30). Die Anpassung des in­
spiratorischen Drucks für die mandatorischen
Beatmungshübe beginnt oberhalb von 5 mbar
über PEEP und erfolgt in 3-mbar-Schritten bis zu
3
3
3
3
Druck
3
3
Flow
Flow
Druck
3 mbar
1
APV, Adaptive Pressure Ventilation (Hamilton)
Druckanpassung
3 mbar
137
Volumenkonstanz
Volumen
Volumen
3
Zeit
Abb. 3.29 Druckregulierte, volumenkontrollierte Beatmung, PRVC. Wird das gewünschte ZielAtemhubvolumen nicht erreicht, passt der Respirator
den Plateaudruck für den nächsten Atemhub ent­
sprechend an, z. B. durch schrittweise Erhöhung des
Plateaudrucks.
Volumenkonstanz
3
Zeit
Abb. 3.30 Adaptive Pressure Ventilation, APV,
mit S-IMV. Bei dem dargestellten Modus handelt es
sich funktionell um eine S-IMV-Variante. Sie basiert
auf druckkontrollierter S-IMV, wobei der Respirator
den inspiratorischen Druck der mandatorischen
Beatmungshübe in definierten Schritten so anpasst,
dass das voreingestellte Atemhubvolumen nahezu
konstant bleibt.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
3
3 Beatmungsformen
1
einem einstellbaren Drucklimit, das 10 mbar unterhalb der oberen einstellbaren Druckbegrenzung liegt.
Druck
138
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3.5.5
AutoFlow
Definition. Variante der druckregulierten volumenkonstanten Beatmung, die von Dräger als Zusatzoption für alle druck- und volumenkontrollierten Beatmungsformen inklusive BIPAP angeboten
wird.
■■ Funktionsprinzip
Beim Zuschalten der Option wechselt das Gerät
von manueller auf automatische Steuerung von
­Inspirationsflow und -druck. So führt das Zuschalten von AutoFlow in volumenkontrollierten Beatmungsformen zur automatischen Flowanpassung
mit dem Ziel, das eingestellte Tidalvolumen bei
niedrigst möglichem Atemwegsdruck zu applizieren (Abb. 3.31). Der für volumenorientierte Beatmungsverfahren typische Konstantflow wird ­dabei
in eine dezelerierende Flowform umgewandelt.
Das Tidalvolumen bleibt auch bei sich ­ändernder
Compliance der Patientenlunge konstant.
In allen Beatmungsmodi besteht die Möglichkeit zur ungehinderten Spontanatmung wie bei
▶ ­BIPAP.
■■ Vor- und Nachteile
Vorteile. Atmet der Patient während der mandatorischen Inspiration ein oder aus, passt sich der
Inspirations- und Exspirationsflow dem Bedarf
des Patienten an. Der Plateaudruck bleibt dagegen
Volumen
3
Die Umschaltung in die Exspirationsphase kann
zwischen 10 und 40 % des inspiratorischen Spitzenflusses (statt der sonst üblichen 25 %) eingestellt werden. Der Modus ist Grundlage des automatisierten Beatmungs- und Weaning-Verfahrens
▶ ASV. Die patientennahe Messung von Flow und
Atemwegsdruck erlaubt eine sensitive und schnelle Triggerung der Spontanatmungsaktivitäten.
Flow
■■ Geräteeinstellung
Volumenkonstanz
Zeit
Abb. 3.31 AutoFlow in Verbindung mit S-IMV.
AutoFlow passt den Inspirationsflow automatisch so
an, dass die eingestellten Tidalvolumina trotz Ver­
änderungen der Atemmechanik appliziert werden.
Gleichzeitig werden durch Strömungswiderstände
bedingte Druckspitzen vermieden. Ähnlich wie im
BIPAP-Modus kann der Patient auch während des
kontrollierten Beatmungshubes frei atmen.
unverändert. Dadurch kann das individuell applizierte Atemvolumen vom geräteseitig eingestellten Atemhubvolumen abweichen; im zeitlichen
Verlauf werden jedoch konstante Atemvolumina
verabreicht. Die Spontanatmung kann durch PSV
unterstützt werden. AutoFlow vereint somit lungenprotektive Aspekte der Beatmung und ungehinderte Spontanatmung. Durch die Bewertung
des Spontanatmungsanteils wird die wechselnde
ventilatorische Kapazität des Patienten berücksichtigt, wodurch AutoFlow auch als Weaning-Mode einsetzbar ist.
Nachteile. Wie bereits bei ▶ MMV und ▶ VS beschrieben, ist das Feed-back-Prinzip nicht unproblematisch: Verstärkt der Patient seine
Atemanstrengungen, hat dies eine Reduktion des
maschinellen Supports zur Folge. Sie ist im Sinne
einer automatischen Entwöhnung vom Respirator
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.5 Rückkoppelnde Systeme: Hybridverfahren
3.5.6
Druckregulierte
volumenkonstante Beatmung:
BiLevel-VG
Druck
1
3
Flow
jedoch nur dann erwünscht, wenn die Zunahme
der Eigenatmung mit einer Erholung und Kräftigung des Patienten einhergeht. Resultiert sie dagegen aufgrund eines erhöhten Ventilationsbedarfs,
z. B. durch Schmerz, Stress oder Luftnot, wäre die
Reduktion des maschinellen Supports kontraproduktiv (siehe auch ▶ MMV und ▶ VS).
BiLevel-VG, Pressure Controlled Ventilation-Volume
Guarantee
Dynamic BiLevel
3
Volumen
Definition. Vergleichbar dem AutoFlow (s. o.),
­jedoch auf den BIPAP-Modus beschränkt.
139
Zielvolumen
3
■■ Funktionsprinzip
Die Messung der Tidalvolumina erfolgt Atemzug
für Atemzug in 3-mbar-Schritten, wobei sowohl
die mandatorischen Atemzüge als auch die Spontanatemzüge des Patienten gleichermaßen erfasst und bewertet werden. Nehmen die spontan
geatmeten Tidalvolumina zu, wird das mandatorische Druckniveau schrittweise abgesenkt, bis
das ­CPAP-Niveau erreicht ist. Umgekehrt wird das
mandatorische Druckniveau bei unzureichender
Spontanatmung bis auf den eingestellten maximalen Beatmungsdruck angehoben (Abb. 3.32).
■■ Geräteeinstellung
Wie bei volumenkontrollierter Beatmung wird als
Zielparameter lediglich das gewünschte Tidalvolumen eingestellt, zusätzlich die üblichen Parameter
wie FiO2, Atemzeitverhältnis und Beatmungsfrequenz. Die beim herkömmlichen BIPAP notwendige Titrierung der Druckniveaus bis zum Erreichen
des gewünschten Tidalvolumens entfällt.
■■ Vor- und Nachteile
Vorteile. Neben den Vorteilen der druckkontrollierten volumenkonstanten Beatmung ermöglicht
Zeit
Abb. 3.32 BiLevel-VG. Bei der Bewertung der ein­
gestellten Ziel-Tidalvolumina werden die spontan
geatmeten Atemzüge mit bewertet. Erreichen sie
beispielsweise das Ziel-Tidalvolumen, wird das man­
datorische Druckniveau schrittweise abgesenkt, bis
das CPAP-Niveau erreicht ist (Abbildung nach einer
Originalregistrierung am Patienten, aufgezeichnet
mit einem Pneumotachographen).
3
3
3
BiLevel-VG nicht nur eine volumenorientierte
▶ lungenprotektive Beatmung bei gleichzeitiger
Möglichkeit zur ungehinderten Spontanatmung.
Durch die kontinuierliche Bewertung des Spontan­
atmungsanteils berücksichtigt BiLevel-VG gleichzeitig die wechselnde ventilatorische Kapazität
des Patienten und ist damit auch als WeaningMode einsetzbar.
Nachteile. Es gelten grundsätzlich die gleichen
Nachteile wie bei anderen Feed-back-Modes (▶ AutoMode, ▶ MMV, ▶ VS), da der Respirator zwar eine
verstärkte Eigenatmung erkennen kann, jedoch
nicht zwischen einer tatsächlichen Erholung der
Atemmuskulatur und einer passageren Verstärkung
der Atemanstrengungen aufgrund eines erhöhten
Ventilationsbedarfs unterscheiden kann. Zusätzliche Features, wie z. B. die grafische/numerische
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
3
3
3
3 Beatmungsformen
1
Darstellung der Beatmungshistorie im Display, sind
hilfreich bei der Bewertung des ventilatorischen
Kapazität und der Entscheidung zur Extubation.
3.5.7
Druck
140
3 mbar
Adaptive Support Ventilation,
ASV
3
3
3
3
3
3
3
3
3
Definition. Weiterentwicklung des MMV-Modus zu
einem komplexen rückkoppelnden Beatmungsverfahren, das auf dem druckkontrollierten volumengeregelten ▶ APV-Modus basiert. Durch kontinuierliche Erfassung relevanter lungenmechanischer
Parameter wird das Konzept eines weitgehend
automatisierten Beatmungs- und Weaning-Verfahrens unter Berücksichtigung minimaler Atemarbeit realisiert, wobei Anwender-Interaktionen
und Alarmmeldungen auf ein absolut notwendiges
Minimum reduziert sind.
■■ Funktionsprinzip
Aus dem Körpergewicht errechnet der Respirator den anatomischen Totraum, der für die Berechnung der optimalen Atemfrequenz und des
optimalen maschinellen Tidalvolumens nach der
Otis-Formel ebenso benötigt wird wie die exspiratorische Zeitkonstante, die sich aus der Compliance und Resistance des jeweils vorangegangenen
Atemzug ergibt. Spontane und kontrollierte Atemzüge werden synchronisiert und variabel druckunterstützt abgegeben, wobei sich der ­notwendige
Inspirationsdruck analog zum ▶ APV-Verfahren
aus der aktuellen Compliance und dem Ziel-Minutenvolumen ergibt und in 3-mbar-Schritten nachgeregelt wird. Sobald der Patient einen größeren
Anteil an der Atemarbeit erbringt, reduziert ASV
automatisch die maschinelle Unterstützung. Wird
das gewünschte Atemminutenvolumen passager
unterschritten, werden Druckunterstützung und/
oder Frequenz der maschinellen Atemhübe so angehoben, dass Tidalvolumen, Atemfrequenz und
Atemminutenvolumen wieder den nach der OtisFormel gewünschten Zielwert erreichen. Rückschritte im ▶ Weaning, die durch eine erhöhte Atemfrequenz sowie niedrigere Tidalvolumina
charakterisiert sind, werden dadurch kompensiert
(Abb. 3.33).
Volumen
3
Flow
ALV, Adaptive Lung Ventilation
Zeit
Abb. 3.33 Adaptive Support Ventilation, ASV. Die
kontrollierten und spontanen Atemzüge werden
auf der Basis eines druckkontrollierten S-IMV-Modus
variabel druckunterstützt, so dass das voreingestellte
Ziel-Minutenvolumen erreicht wird. Weitere Erläute­
rungen im Text.
■■ Geräteeinstellung
Einstellbare Parameter sind neben der FiO2 und
dem PEEP lediglich das (ideale) Körpergewicht des
Patienten, das gewünschte Atemminutenvolumen
sowie die obere Druckbegrenzung.
■■ Vor- und Nachteile
Vorteile. ASV ermöglicht ein an die atemmechanischen Eigenschaften der beatmeten Lunge optimal
angepasstes Beatmungsregime vom Beginn der
Beatmung bis zur Extubation. Lungenprotektive
Aspekte werden berücksichtigt. Bei der Entwöhnung vom Respirator kann ASV hilfreich sein, da
der Zielparameter „minimale Atemarbeit“ nach
der Otis-Formel in den zugrunde liegenden Regelalgorithmen verankert ist.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.5 Rückkoppelnde Systeme: Hybridverfahren
Nachteile. Wie bei den anderen Feed-back-Verfahren (▶ AutoMode, ▶ MMV, ▶ VS, ▶ BiLevel-VG)
kann der Respirator nicht zwischen zunehmendem
Ventilationsbedarf und Verbesserung der ventilatorischen Kapazität des Patienten durch muskuläre ­Erholung differenzieren. In jedem Fall kommt
es zur Reduktion des maschinellen Supports, was
jedoch im ersten Fall keineswegs wünschenswert
wäre. Nachteilig ist auch, dass die maschinelle
Unterstützung der Spontanatmung – wie bei den
anderen Verfahren auch – immer nur aus der Basis
des vorangegangenen Atemzuges erfolgen kann,
was insbesondere bei vigilanten Patienten mit
starker Varianz ihres Atemmusters zu Desynchronisationsphänomenen und Atemnot führen kann.
3.5.8
AutoMode
■■ Funktionsprinzip
AutoMode (Maquet servo-i, Siemens Servo 300) ermöglicht den automatisierten ­Wechsel zwischen
einem kontrollierten Beatmungsmode wie z. B.
▶ PRVC und druckunterstützter Spontanatmung
wie ▶ VS bei definierten Beatmungs-/Atmungssituationen. Möglich sind auch die Kombinationen
zwischen herkömmlicher volumenkontrollierter
Beatmung (▶ VC-CMV) und ▶ VS sowie herkömmlicher druckkontrollierter Beatmung ▶ PC-CMV und
▶ PSV. Der Steueralgorithmus hinter diesen Prozeduren ist einfach: Erkennt der Respirator 2 aufeinander folgende patientengetriggerte Atemzüge,
wird automatisch von kontrollierter zu druckunterstützter Beatmung gewechselt. Umgekehrt erfolgt ein Wechsel zurück in den kon­trollierten Modus, falls der Respirator im druckunterstützten Modus eine Apnoephase von mehr als 12 s Dauer (bei
Kindern von mehr als 8 s) detektiert. Beim Wechsel
in die eine oder andere Richtung werden die jeweiligen inspiratorischen Drücke übernommen.
■■ Vor- und Nachteile
Vorteile. Durch die Delegation einfacher Prozeduren an den Respirator werden die Reaktionsgeschwindigkeiten auf akute Veränderungen der
ventilatorischen Gegebenheiten des Patienten, z. B.
in der postoperativen Phase, erhöht, wodurch das
Personal entlastet wird.
Nachteile. Die postoperative Nachbeatmungsdauer
kann durch den automatisierten Übergang auf ein
Spontanatmungsverfahren zwar u. U. geringfügig
verkürzt werden, für die Entwöhnung vom Re­
spirator nach Langzeitbeatmung dürfte das System
dagegen nicht geeignet sein.
3.5.9
141
1
SmartCare/PS
Definition. SmartCare/PS ist kein neuer Beatmungsmode, sondern ermöglicht eine wissensbasierte,
automatisierte Steuerung des Beatmungsmodus
PSV zur Entwöhnung von Patienten vom Respirator anhand eines klinisch erprobten Protokolls.
3
3
■■ Funktionsprinzip
SmartCare/PS ist eine zusätzliche Option von Dräger-Respiratoren, die zur Entwöhnung von Patienten auf der Basis von druckunterstützter Spontanatmung ent­wickelt wurde. Die automatisierte
Überprüfung der ­Parameter Atemfrequenz, Tidalvolumen und endtidales CO2 in 10-Sekunden-Intervallen erlaubt die Einschätzung der ventilatorischen Kapazität des Patienten und damit seines
aktuellen Entwöhnungsstadiums. Eine Analyse der
erhobenen Daten wird alle 2 Minuten bzw. 5 Minuten nach Verstellung der Druckunterstützung
vorgenommen. Bei Detektion einer unzureichenden Spontan­atmung wird die Druckunterstützung
verändert, um den Patienten mit seiner Spontanatmung in einen stabilen Zustand (sog. respiratorische Komfortzone) zu führen. Wird z. B. die Spontanatmung als nicht ausreichend erkannt (z. B. Tidalvolumen akzeptabel, aber etCO2 zu hoch und
Atemfrequenz zu ­niedrig), so wird der maschinelle Anteil der Atem­arbeit ­erhöht, indem die inspiratorische Druckunterstützung vergrößert wird.
Sobald sich der Patient hinreichend lange stabil in
der respiratorischen Komfortzone befindet, wird
mit der Entwöhnung begonnen. Dabei wird die
Druckunterstützung alle 15, 30 oder 60 Minuten
um einen festgelegten Wert bis zu einem definierten Endpunkt reduziert. Verlässt der Patient nach
einem Trainingsschritt die Komfortzone, so wird
er erst wieder in die Komfortzone zurückgeholt,
bevor die Entwöhnung fortgesetzt wird.
Nach erfolgreicher Verringerung der Druckunterstützung wird automatisch ein Spontan­
atemversuch (▶ SBT, Spontaneous Breathing ­Trial)
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
3
3
3
3
3
3
3
142
1
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3 Beatmungsformen
durchgeführt. Wird dieser Spontanatemversuch
erfolgreich absolviert, meldet SmartCare/PS den
erfolgreichen Abschluss der Entwöhnung. ­Anhand
der angezeigten Parameter kann das klinische
Personal nun entscheiden, ob der Patient extubiert werden sollte. Wird die Extubation nicht
durchgeführt, so stabilisiert SmartCare/PS weiterhin auf einem niedrigen Unterstützungsniveau
und ­toleriert Unregelmäßigkeiten wie ­kurzfristige
unzureichende Spontanatmung. Wird jedoch auf
nachhaltig unzureichende Spontanatmung erkannt, wird die maschinelle Unterstützung bis
zum Erreichen der respiratorischen Komfortzone
erhöht. Danach beginnt die Entwöhnungsprozedur von Neuem.
■■ Vor- und Nachteile
Vorteile. Bei der Bewertung der ventilatorischen
Eigenleistung wird auch das endtidale CO2 neben
den Parametern Atemfrequenz und Tidalvolumen
mit berücksichtigt. Dadurch kann der Respirator
besser zwischen zunehmendem Ventilationsbedarf
und Verbesserung der ventilatorischen Kapazität
des Patienten durch muskuläre Erholung differenzieren. Eine progrediente muskuläre ­Erschöpfung
durch inadäquate Reduktion des maschinellen
Supports wird hierdurch verhindert.
Nachteile. Die automatisierte Interpretation
kapnometrischer Daten ist nicht unproblematisch
und birgt eine Reihe von Gefahren. So führt z. B.
die häufige falsch niedrige Messung des endtidalen CO2 zur Fehlinterpretation der ventilatorischen
Eigenleistung und damit zu einer inadäquaten Absenkung des maschinellen Supports.
■■ Klinische Bedeutung druckregulierter
volumenkonstanter Hybridverfahren
Die klinische Bedeutung druckregulierter volumenkonstanter Beatmungsverfahren, insbesondere mit ungehinderter Spontanatmungsmöglichkeit
für den Patienten, dürfte in Zukunft eher zunehmen, zumal der Aspekt der lungenprotektiven Beatmung immer mehr an Bedeutung gewinnt. Herkömmliche druckkontrollierte Verfahren – auch BIPAP – können die unbemerkte und pathogenetisch
unerwünschte Volumenüberdehnung der Lungen
nicht sicher verhindern. Weiter e
­ ntwickelte Regelalgorithmen, die die Spontanatmung und Aspekte
der Atemarbeit angemessen berücksichtigen, eröffnen zusätzliche Optionen bei der schwierigen
Entwöhnung vom Respirator.
Die klinische Bedeutung spezieller WeaningModes ist derzeit gering, zumal die Konzepte nicht
in allen Respiratoren verfügbar sind. Am meisten
ausgereift ist zweifellos das SmartCare/PS-Konzept
als eines der wenigen bisher kommerziell verfügbaren medizinischen Expertensysteme. Mittlerweile wurde es erfolgreich in größeren, multizentrischen, klinischen Studien evaluiert.
3.6
Neurally Adjusted
­Ventilatory Assist, NAVA
Definition. Hierbei handelt es sich um eine neuartige Form der ▶ druckunterstützten Beatmung, PSV,
durch Steuerung des Beatmungsgerätes proportional zur elektrischen Aktivierung des Zwerchfells.
Ziel ist die bessere Synchronisation zwischen Patient und Beatmungsgerät sowie ein bedarfsadaptierter maschineller Support.
■■ Funktionsprinzip
Die Ableitung des Zwerchfellelektromyogramms
erfolgt durch eine mit einer Ringelektrode versehene Magensonde, die auch zur enteralen Ernährung
verwendet werden kann. Die abgeleiteten elektrischen Signale detektieren den Beginn und auch das
Ende der Inspirationsbemühungen des Patienten
und ermöglichen damit nach elektronischer Aufbereitung eine annähernd verzögerungsfreie Synchronisation zwischen Spontanatmungsbemühungen des Patienten und Gasfluss des Respirators.
Die Höhe der inspiratorischen Druckunterstützung resultiert aus der kontinuierlich registrierten elektrischen Aktivität des Zwerchfells (Electrical ­Activation of Diaphragm, EAdi), die über einen
einstellbaren Verstärkungsfaktor (NAVA-Pegel) im
Sinne eines zentral regulierten Regelkreises modifiziert werden kann: Eine Erhöhung des ­Faktors
über den aktuellen Bedarf hinaus führt zur Reduktion, eine Verminderung zum Anstieg der elektrischen Aktivität des Zwerchfells (Gegenregulation des Patienten). Die Exspiration wird eingeleitet,
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.6 Neurally Adjusted V
­ entilatory Assist, NAVA
wenn die elektrische Aktivität unter 70 % des Spitzenwertes (peak EAdi) abfällt. Bei Verlust des EAdiSignals (Dislokation der Ringelektrode, Störungen
in der Signalerkennung und -verarbeitung) erfolgt
die Applikation der Druckunterstüzung konventionell flow- oder druckgetriggert. Beim Sistieren der
Spontanatmung wechselt des Respirator in einen
druckkontrollierten Back-up-Modus (Abb. 3.34).
■■ Vor- und Nachteile
Vorteile. Die Steuerung der Beatmung erfolgt direkt über ein zentral reguliertes Organ und ist
damit unabhängig von der neuromuskulären
Kopplung, die bei beatmeten Patienten beeinträchtigt sein kann. Die Probleme konventioneller
Trigger- und Abschaltkriterien – mit mangelnder
143
1
3
PSV
Eadi (μV)
30
20
10
10
Atemwegsdruck
(cmH2O)
0
60
40
20
Eadi (μV)
3
8
0
10
0
60
Zeit (s)
PSV
NAVA
3
120
3
NAVA
20
600
10
Atemzugvolumen
(ml)
3
500
0
60
40
120
400
3
300
200
30
100
20
0
10
0
3
6
30
30
Atemwegsdruck
(cmH2O)
120
mittlerer
Atemwegsdruck
(cmH2O)
0
60
Zeit (s)
PSV
NAVA
3
120
Abb. 3.34 Neurally Adjusted Ventilatory Assist, NAVA. Elektrische Aktivität, Atemwegsdrücke sowie resul­
tierende Atemzugvolumina und mittlere Atemwegsdrücke während druckunterstützter Beatmung (PSV) und
NAVA bei einem Patienten mit akutem respiratorischem Versagen. Während PSV (obere Abbildung) wird kon­
tinuierlich eine gleich bleibende Druckunterstützung appliziert, unabhängig von der inspiratorischen Aktivität
und damit den Bedürfnissen des Patienten. Im Vergleich dazu kommt es unter NAVA (untere Abbildung) zu
einer Druckunterstützung, die proportional zur „electrical activation of diaphragm“ (EAdi) des Patienten ist.
Hinsichtlich der Atemzugvolumina und der mittleren Atemwegsdrücke resultiert eine höhere Variabilität der
Atmung (rechte Abbildungen) (Quelle: Moerer et al. 2008).
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
3
144
1
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3 Beatmungsformen
Synchronisation zu den Atembemühungen des Patienten – werden dadurch reduziert. Darüber hinaus folgt die assistierende Druckunterstützung zu
jeder Zeit proportional zur elektrischen Aktivität
des Zwerchfells und damit zum aktuellen Bedarf
des Patienten. Anders als bei den vorher beschriebenen rückkoppelnden Systemen wie MMV oder
VS wird ein hoher ventilatorischer Bedarf mit einer hohen Unterstützung beantwortet und umgekehrt. Die Variabilität der Atmung bleibt erhalten,
der Patient bestimmt sowohl Atemfrequenz als
auch die Höhe des applizierten Drucks und damit des Tidalvolumens. Durch entsprechende Regelung des NAVA-Pegels kann die inspiratorische
Druckunterstützung soweit erhöht werden, dass
die Atemmuskulatur zusätzlich entlastet werden
kann. Zusätzliche lungenprotektive Aspekte sind
durch die enge Kopplung an die physiologische
Atemmechanik denkbar.
Nachteile. Derzeit wird NAVA nur von einem Hersteller (Servo-i, Fa. Maquet, Rastatt) angeboten
und ist als zusätzlicher Triggermechanismus nur
in Zusammenhang mit PSV verfügbar. Die Platzierung der Sonde bereitet in der Regel keine besonderen Probleme, klinische Untersuchungen haben
allerdings gezeigt, dass die Signalerkennung relativ
störanfällig ist und eine Triggerung nur in ca. 80 %
über das EAdi-Signal erfolgt.
■■ Klinische Bedeutung von Neurally
Adjusted Ventilatory Assist (NAVA)
Mögliche Einsatzbereiche für NAVA sind derzeit
noch nicht klar definiert. Vorteile werden vor allem
bei Patienten mit chronischer ventilatorischer Insuffizienz, wie z. B. Patienten mit COPD, sowie bei
schwierig zu entwöhnenden Patienten nach Langzeitbeatmung gesehen. Aber auch beim akuten
Lungenversagen könnte NAVA unter dem Aspekt
der Lungenprotektion zukünftig eine Rolle spielen. Vorteile sind vor allem auch bei der nichtinvasiven Beatmung mittels Beatmungshelm denkbar,
da ­gerade hier aufgrund des großen kompressiblen
Gasvolumens im Helms erhebliche Synchronisationsproblematiken zwischen Patient und Maschine
bestehen, die den Einsatz konventioneller druckunterstützter Beatmungsformen erheblich limitieren.
3.7
Biologically Variable
­Ventilation, BVV
Fractal Ventilation
Naturally Noisy Mechanical Ventilation
Definition. Als variable (oder fraktale) Beatmung
(Biologically Variable Ventilation, BVV) wird ein
neuartiger kontrollierter Beatmungsmode bezeichnet, der sich hinsichtlich der verabreichten
Atemvolumina und -frequenzen an der physiologischen Variabilität der Spontanatmung orientiert.
Zielparameter ist das voreingestellte Minutenvolumen, die Variation der Beatmungsfrequenzen
und Tidalvolumina erfolgt anhand dieser Vorgabe
computergesteuert, wobei Daten gesunder Probanden als Vorlage dienen. Die dem Konzept zugrunde liegende Rationale basiert – ähnlich wie
die ▶ Seufzer-Beatmung – auf der Vorstellung, der
Neigung zur Atelektasenbildung im Rahmen der
lungenprotektiven Beatmung mit kleinen Tidalvolumina durch die physiologische (unregelmäßige)
Applikation von Tidalvolumina mit wechselnden
– auch höheren – Tidalvolumina entgegenwirken
zu können.
■■ Pathophysiologischer Hintergrund
Gleichförmige, insbesondere volumenkontrollierte Beatmung mit niedrigen Tidalvolumina (▶ lungenprotektive Beatmung) kann bei Patienten mit
schwerem ALI/ARDS zur Entwicklung bzw. Persistenz von Atelektasen führen, die auch durch
die Einstellung hoher PEEP-Werte allein nicht
kompensiert werden kann und häufig zur Durchführung von intermittierenden alveolären ▶ Re­
kruitmentmanövern zwingt. Deren klinischer Stellenwert wird jedoch, vor allem auch hinsichtlich
möglicher Schädigungen, kontrovers diskutiert.
Als theoretische Alternative wird das kontinuierliche alveoläre Rekruitment durch computergesteuerte Variation des maschinellen Beatmungsmusters anhand physiologischer Daten angesehen.
Dabei wird postuliert, dass die Aufrechterhaltung
der physiologischen Variabilität von Atemfrequenz
und -volumen innerhalb definierter Bereiche nicht
nur zur Verbesserung des pulmonalen Gasaustauschs beiträgt, sondern auch die Compliance der
Lunge verbessert, ohne den Atemwegsmitteldruck
zu erhöhen. Theoretische Vorteile werden nicht
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.8 Nichtinvasive Beatmung, NIV
nur bei vorgeschädigten Lungen gesehen, sondern
auch bei der Beatmung lungengesunder Patienten
sowie während der Narkosebeatmung.
■■ Klinische Bedeutung der Biologically
Variable Ventilation (BVV)
In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass BVV
im Vergleich zu herkömmlicher ­kontrollierter
Beatmung zu einer signifikanten Verbesserung
der Oxigenierung führte, die mit vergleichsweise niedrigen Konzentrationen proinflammatorischer Zytokine im Trachealaspirat und einem
­verringerten Shuntanteil einherging. Dieser Effekt
konnte sowohl während der Narkosebeatmung gesunder Tiere als auch im ARDS-Modell nachgewiesen werden und war unabhängig von den verwendeten PEEP-Niveaus. Im Vergleich zur Beatmung
mit interponierten Seufzern mit ähnlich hohen Tidalvolumina und Frequenzen erwies sich BVV in
­einigen Untersuchungen als überlegen hinsichtlich
der Oxigenierung und der atemmechanischen Parameter. Allerdings konnten diese Effekte in anderen Tiermodellen nicht bestätigt werden.
Klinische Untersuchungen am Menschen liegen
derzeit nicht vor, so dass die künftige Bedeutung
von BVV – trotz des theoretisch interessanten Ansatzes – völlig unklar ist.
3.8
Nichtinvasive Beatmung,
NIV
NIV, Non-Invasive Ventilation
Über viele Jahrzehnte war der Begriff „­maschinelle
Beatmung“ zur Therapie der akuten oder chronischen Ateminsuffizienz ausschließlich mit der invasiven Beatmung über einen Endotrachealtubus
oder über eine Trachealkanüle verbunden. Erst in
der jüngsten Vergangenheit hat auf diesem Gebiet
ein Paradigmenwechsel stattgefunden, so dass die
nichtinvasive Beatmung NIV heute bei zahlreichen
Indikationen eine mögliche Alternative zur klassischen Beatmung darstellt. Sie erweitert somit
nicht nur das Spektrum der Beatmungsmedizin,
sondern wird zunehmend auch als eine eigenständige Therapieform angesehen.
■■ Pathophysiologischer Hintergrund
Obwohl die maschinelle Beatmung über einen
­Endotrachealtubus für eine Vielzahl von Patienten lebensrettend ist, kann sie doch zu schwerwiegenden, im Einzelfall sogar lebensbedrohlichen Nebenwirkungen und Komplikationen führen. Ein Teil
dieser Nebenwirkungen ist jedoch nicht eine Folge
der Beatmung an sich, sondern wird durch den Endotrachealtubus hervorgerufen, wie z. B. Schleimhautschäden in Mund, Rachen und Trachea sowie
Kehlkopf- und Trachealverletzungen. Aber auch
die Entstehung von Pneumonien kann unter bestimmten Voraussetzungen ­begünstigt werden, da
der Endotrachealtubus eine ideale Leitschiene für
Keime aus dem Oropharynxbereich in die unteren
Luftwege darstellt (siehe auch Abb. 8.1, S. 264). Da
der Tubus zudem die oberen Luftwege überbrückt,
wird deren wichtige Funktion bei der Infektabwehr
und ▶ Klimatisierung der Atemluft ausgeschaltet.
Der Verzicht auf die Intubation trotz der ▶ Indikation zur maschinellen Beatmung und die Durchführung einer nichtinvasiven Beatmung kann zur
Abnahme der hohen Inzidenz nosokomialer Pneumonien beitragen. Dieser Aspekt ist besonders relevant bei immunsupprimierten Patienten (Patienten mit Chemotherapie, ­Immunsuppression nach
Organtransplantation, AIDS oder Neutropenie anderer Genese), so dass bei akuter hypoxämischer
Insuffizienz immer ein initialer ­Therapieversuch
mit NIV gerechtfertigt ist.
Bei Patienten mit chronischen Erkrankungen des
respiratorischen Systems wird NIV vor allem zur
passageren Entlastung der Atemmuskulatur eingesetzt. Hierdurch soll die Erschöpfung der Atempumpe mit Hypoventilation und ­daraus resultierender
Hypoxämie vermieden ­werden. ­Gleichzeitig soll der
ermüdeten ­Atemmuskulatur die Möglichkeit zur Erholung gegeben werden. Häufig können die muskulären Energiespeicher durch nächtliche Beatmung
soweit aufgefüllt werden, dass tagsüber eine ausreichende Spontan­atmung ermöglicht wird.
Durch Verwendung spezieller Beatmungsmasken und neuerdings auch Beatmungshelme ist bei
manchen Erkrankungen, die früher die Intubation
und Beatmung erforderten, heute eine assistierende oder sogar kontrollierte Beatmung ohne Beatmungstubus möglich. Unabhängig von der Art des
verwendeten Interfaces spricht man in diesen Fällen von nichtinvasiver Beatmung (NIV). Ihre Vorteile sind in Tab. 3.1 zusammengefasst.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
145
1
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3
146
1
3
3
3 Beatmungsformen
Tabelle 3.1 Vorteile der nichtinvasiven Beatmung.
keine tubusbedingte Erhöhung der Atemarbeit
keine Verletzungsgefahr für Trachea, Kehlkopf,
Stimmbänder
●● weniger Analgosedierung nötig
●● bessere Sekretelimination durch ungehindertes
Abhusten
●● weniger beatmungsassoziierte Pneumonien
●● erhaltene Kommunikationsfähigkeit
●● ungehinderte orale Nahrungsaufnahme
●● verbesserter Patientenkomfort
●● deutliche Verbesserung der subjektiven
­Lebensqualität
●●
●●
3.8.1
Indikationen
■■ Ventilatorische Insuffizienz
3
3
3
3
3
3
3
3
NIV eignet sich besonders für die Behandlung von
Erkrankungsbildern, die nur eine intermittierende
ventilatorische Unterstützung benötigen. In erster
Linie sind dies Patienten mit chronisch ventilatorischer Insuffizienz, wobei chronisch obstruktive
Lungenerkrankungen (COPD) und neuromuskuläre Erkrankungen (z. B. Myastenia gravis, critical illness polyneuropathy, Guillain-Barré-Syndrom) im
Vordergrund stehen.
Oftmals reicht eine stundenweise intermittierende Beatmung am Tag und während der Nacht
zur Erholung der Atempumpe aus, die mit einfachen Respiratoren auch als „Heimbeatmung“
durchgeführt werden kann. Das Ziel ist somit
­zumeist nicht die Verbesserung des pulmonalen
Gasaustausches, sondern die Entlastung der Atemmuskulatur durch partielle Übertragung der Atem­
arbeit auf den Respirator.
Merke
Schwerpunkt der NIV ist die Entlastung der
Atemmuskulatur bei ventilatorischer Insuffizienz.
■■ Oxigenierungsstörungen
Daneben wird NIV zunehmend auch bei Erkrankungen des Lungenparenchyms eingesetzt, die in
erster Linie durch ▶ Oxigenierungsstörungen gekennzeichnet sind (Lungenödem, Pneumonie, Inhalationstraumata, Aspirationspneumonie, ARI
etc.). Allerdings liegt die Erfolgsrate bei Patien-
ten mit ▶ ARI/ARDS deutlich unter 50 %. Eine Ausnahme bilden Patienten mit einem akuten kardial bedingten Lungenödem, die sehr erfolgreich mit
NIV behandelt werden können. Erstens reduziert
die Erhöhung des intrathorakalen Drucks sowohl
die kardiale Vorlast als auch die linksventrikuläre Nachlast und begünstigt dadurch eine schnelle
Rekompensation. Zweitens kann durch die begleitende medikamentöse Reduktion der Vorlast (Nitrate in Kombination mit Diuretika) das Lungenödem in der Regel so schnell zur Rückbildung gebracht werden, dass NIV nur für wenige Stunden
erforderlich ist.
Hinweis
Obwohl die Intubationsrate beim kardialen Lun­
genödem durch NIV gesenkt und die kardia­
le Rekompensation beschleunigt wird, wird die
Prognose dieser Patienten durch NIV offenbar
nicht verbessert. Da es bei der akuten hypoxämi­
schen Insuffizienz pathophysiologisch in erster
Linie auf die Applikation eines PEEP und weniger
auf den ventilatorischen Support ankommt, ist
▶ CPAP-Atmung über Maske oder Helm vermut­
lich genauso wirksam.
Merke
Mäßige Erfolgsrate für NIV bei akuter hypoxämi­
scher Insuffizienz mit Ausnahme des kardialen
Lungenödems.
■■ Weaning-Versagen
Über den Nutzen des Einsatzes von NIV nach Extubation und neuerlicher respiratorischer Insuffizienz liegen widersprüchliche Ergebnisse vor. Ist
der Therapieversuch mit NIV letztlich nicht erfolgreich, kann die verzögerte Re-Intubation sogar zu einer Zunahme der Mortalität führen. Andererseits konnte in zahlreichen Untersuchungen
gezeigt werden, dass sich der pulmonale Gasaustausch beim ▶ Postextubationsversagen in vielen
Fällen durch NIV, ja sogar allein durch ▶ MaskenCPAP, nachhaltig verbessern lässt. Vor allem bei
Patienten mit einem hohen Risiko für das Auftreten eines Postextubationsversagens (multimorbide und alte Patienten sowie Patienten mit schweren kardialen und pulmonalen Vorerkrankungen)
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.8 Nichtinvasive Beatmung, NIV
scheint die frühzeitige, prophylaktische nichtinvasive Beatmung vorteilhaft zu sein.
Hinweis
Bei der schwierigen Entwöhnung von der Beat­
mung kann NIV zusätzliche Vorteile bieten. Da
der Endotrachealtubus zu einer erheblichen Zu­
nahme des Atemwegswiderstands führt, profi­
tieren insbesondere Patienten mit eingeschränk­
ter ventilatorischer Reserve von einer frühzeiti­
gen Extubation mit anschließender Fortführung
des ventilatorischen Supports über NIV.
Merke
Prophylaktische Anwendung von NIV bei Patien­
ten mit hohem Risiko für ein Postextubations­
versagen.
Die intensivmedizinischen Fachgesellschaften in
Deutschland haben jüngst eine S3-Leitlinie „nichtinvasive Beatmung als Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz“ (Tab. 3.2) vorgelegt, in dem das
mögliche Spektrum für die nichtinvasive Beatmung
dezidiert aufgeführt ist (AWMF-online).
3.8.2
Kontraindikationen
Generell sollten bei der Anwendung von NIV die
Kontraindikationen, Erfolgs- und Abbruchkriterien, wie sie von einer Arbeitsgruppe der DIVI erarbeitet wurden, beachtet werden, damit Patienten durch NIV nicht zu Schaden kommen und eine
wertvolle Methode nicht in Misskredit gerät. Als
gesicherte Kontraindikationen für die nichtinvasive Beatmung gelten danach:
●● akute lebensbedrohliche Hypoxie,
●● bronchoskopisch nicht korrigierbare Sekretretention,
●● Koma oder nicht beherrschbarer Verwirrtheitszustand, der nicht durch eine Hyperkapnie bedingt ist,
●● mangelnde Kooperationsbereitschaft,
●● insuffiziente Spontanatmung,
●● akuter Atem- oder Kreislaufstillstand,
●● hämodynamische Instabilität,
●● undrainierte große Pleuraergüsse,
●● mangelnde Schutzreflexe, erhöhtes Aspirationsrisiko (gastrointestinale Blutungen, Ileus etc.),
Tabelle 3.2 Auszug aus der S3-Leitlinie „nicht­
invasive Beatmung als Therapie der akuten respi­
ratorischen Insuffizienz“ der Leitlinienkommission
der intensivmedizinischen Fachgesellschaften
­(AWMF-online).
wenn möglich, Einsatz der NIV bei der akuten
respiratorischen Insuffizienz zur Vermeidung von
Komplikationen der invasiven Beatmung (Emp­
fehlungsgrad A*)
●● frühzeitiger Einsatz von NIV bei milder bis mittel­
gradiger akuter exazerbierter COPD mit pH 7,30
– 7,35 (Empfehlungsgrad A*)
●● primärer Einsatz von CPAP bei Patienten mit hyp­
oxämischer akuter respiratorischer Insuffizienz
bei kardiogenem Lungenödem nach unzureichen­
der initialer nasaler Sauerstoffgabe (Empfehlungs­
grad A*)
●● Einsatz von CPAP bzw. NIV zur Vermeidung der
Intubation und Verbesserung der Oxigenierung
bei (hämato-)onkologischen, immunsupprimier­
ten Patienten und bei Patienten mit AIDS und
Pneumocystis-Pneumonie (Empfehlungsgrad A*)
●● möglichst frühzeitige Extubation von invasiv be­
atmeten Patienten mit COPD und Umstellung auf
NIV (Empfehlungsgrad A*)
●● prophylaktische Weiterbehandlung mit NIV in der
Postextubationsphase nach länger dauernder in­
vasiver Beatmung (> 48 h) von Patienten mit hy­
perkapnischer akuter respiratorischer Insuffizienz
und Risikofaktoren für ein Extubationsversagen
(Empfehlungsgrad A*)
147
1
●●
* Evidenzlevel I „randomisierte Studien“
●●
●●
●●
drohende Verlegung der oberen Atemwege
(Glottisödem/-obstruktion),
Status epilepticus, intrazerebrale Blutungen, offenes Schädel-Hirn-Trauma,
fehlendes oder unzureichend geschultes Personal.
Hinweis
Die Einstufung des Aspirationsrisikos ist im Ein­
zelfall schwierig und kann nur individuell erfol­
gen.
3.8.3
Durchführung
3
3
3
3
3
3
3
3
3
■■ Technische Voraussetzungen
Die Durchführung der nichtinvasiven Beatmung ist
nicht mit jedem Beatmungsgerät problemlos möglich, sondern erfordert vielmehr das Vorhanden-
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
148
1
3
3
3
3
3
3
3 Beatmungsformen
sein bestimmter gerätetechnischer Vorgaben. Da
Gesichts- und Nasenmasken immer eine mehr oder
weniger große Leckage aufweisen, sollte der Intensivrespirator über einen NIV-Modus verfügen, der
eine großzügige Einstellung bzw. Deaktivierung der
gängigen Alarme und Sicherheitsfeatures (Leckage, Beatmungsdruck, Atemzugvolumen, Atemminutenvolumen, Apnoeventilation) erlaubt. So kann
verhindert werden, dass Patient und Personal – gerade in kritischen Phasen der Anpassung an den
maschinellen Support – durch akustische Alarme,
automatische und unerwünschte Wechsel in einen
Back-up-Beatmungsmode und dergleichen unnötig
strapaziert werden. Folgerichtig sollte der NIV-Mode über eine Leckagekompensation verfügen und
ausreichend hohe inspiratorische Flows (mindestens 100 l/min) liefern. Die aktuelle Leckagerate
sollte gemessen und angezeigt werden, beim Überschreiten von Grenzwerten sollte optisch und/oder
akustisch alarmiert werden.
Vermehrt werden auch auf Intensivstationen für
die NIV-Beatmung einfache Respiratoren eingesetzt, die speziell für den Homecare-Bereich konzipiert wurden. Die Atemgaslieferung erfolgt meist
ohne Ventile durch schnell reagierende Turbinen,
wodurch der eingestellte Beatmungsdruck auch
bei größeren Leckagen gehalten werden kann. Viele dieser Beatmungsgeräte sind so konzipiert, dass
nur ein Inspirationsschlauch verwendet wird. Die
Exspiration erfolgt über ein Ausatemventil, das patientennah im bzw. am Interface angebracht ist.
■■ Personelle Voraussetzungen
3
3
3
Eine wichtige Voraussetzung für den erfolgreichen
Einsatz von NIV ist der Einsatz geschulter Pflegekräfte, die gerade in der Initialphase der Therapie
ausreichend Zeit für die individuelle Patientenversorgung und -beobachtung haben müssen. Die ersten Stunden der NIV-Adaptation stellen eine besonders kritische Phase dar, die oft für den Erfolg
oder Misserfolg der Therapie entscheidend ist. Oft
ist deshalb zu Beginn der Behandlung ein 1:1-Betreuungsverhältnis erforderlich.
■■ Beatmungsformen
Im Vordergrund steht die ▶ ­druckunterstützte
Spontanatmung mit PEEP, da sie dem üblicher­
weise wachen und kooperativen Patienten ein
­hohes Maß an ventilatorischem Komfort bietet.
Aber auch ▶ BIPAP wird von vielen Patienten gut
toleriert. Vorteile werden auch für ▶ NAVA gesehen, vor allem bei nichtinvasiver Beatmung ­mittels
­Beatmungshelm. Weil das große kompressible Gasvolumen des Helms erhebliche ­Probleme beim Triggern des Demand-Flows verursacht, kann die über
die Zwerchfellaktivität des Patienten gesteuerte
Variante der inspiratorischen Druckunterstützung
die Synchronisation zwischen Patient und Maschine erheblich verbessern und eine annähernd verzögerungsfreie Gaslieferung bereitstellen. Da die
Stärke des Zwerchfell-EMGs ­proportional zu der
Einatmungsbemühung des ­Patienten ist, kann dieses Signal außerdem dazu benutzt werden, die inspiratorische Druckunterstützung den aktiven Einatmungsbemühungen des Patienten anzupassen.
■■ Einstellung der Beatmung
Bei der Maskenbeatmung hat sich die initiale Einstellung einer inspiratorischen Druckunterstützung von ca. 10 – 15 mbar bewährt, die bei unzureichenden Atemzugvolumina langsam bis auf
25 – 30 mbar gesteigert werden kann. Hohe Beatmungsdrücke (> 20 mbar) führen jedoch häufig zu
Aerophagie, wodurch sich u. a. auch die Aspirationsgefahr erhöht. Ob eine Magensonde unter diesem Aspekt indiziert ist, wird kontrovers diskutiert: Sie führt zur zusätzlichen Belastung für den
Patienten und ist häufig der Grund für die mangelnde Dichtigkeit des Interfaces. Das Legen einer
Magensonde nur aufgrund der Anwendung einer
NIV ist jedenfalls nicht erforderlich.
Während der Adaptationsphase sollte der PEEP
zunächst eher niedrig (ca. 3 mbar) gewählt werden, danach kann er – je nach zugrunde liegender
Problematik – langsam auf 6 – 8 mbar angehoben
werden.
3
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.8 Nichtinvasive Beatmung, NIV
■■ Welche Maske?
Nasen- und Gesichtsmasken werden für die
nichtinvasive Beatmung am häufigsten eingesetzt.
Aus der Vielfalt der heute von der Industrie angebotenen Modelle ist es in der Regel möglich, eine
geeignete Maske mit guter Passform auszuwählen,
die den individuellen Gegebenheiten des Patienten ausreichend gerecht wird. Aufgrund der zahlreichen anatomischen Besonderheiten erscheint
es durchaus sinnvoll, in der Intensivmedizin unterschiedliche Modelle verschiedener Hersteller
vorzuhalten. Nur so kann ein guter Kompromiss
zwischen hohem Tragekomfort, geringem Totraum
und minimaler Leckage gefunden werden – eine
wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz der
nichtinvasiven Beatmung. Silikonstrips und -stege in unterschiedlichen Stärken können zusätzlich
verwendet werden, um die Dichtigkeit an der Nasenwurzel verbessern.
Für die nichtinvasive Langzeitbeatmung, z. B. im
Rahmen der Heimbeatmung, sind nach wie vor
individuell angefertigte Masken unübertroffen,
da sie einen optimalen Komfort durch exzellente
Passform mit minimaler Leckage und minimalem
Totraum gewährleisten.
Das Fixierungssystem sollte vom Patient „im
Notfall“ schnell zu öffnen sein, um das Interface
rasch zu entfernen. Hierdurch können klaustrophobische Ängste von Patienten – vor allem in der
Initialphase – gemindert werden. Fixiersysteme,
die mit Druckknöpfen oder Magnetverschlüssen
arbeiten, erscheinen hier vorteilhaft, lösen sich
aber relativ leicht bei mobileren Patienten. Auch
kann hierdurch die Therapie bei mangelnder Compliance häufig unterbrochen werden.
Mund-Nase-Masken
Sie sind vor allem bei Patienten mit ausgeprägter Dyspnoe indiziert, da diese vorwiegend durch
den Mund atmen (Abb. 3.35). Die kommerziell erhältlichen Modelle unterscheiden sich vor allem
hinsichtlich ihres Totraums und ihrer Materialbeschaffenheit. Silikonmasken erzielen ihre Dichtigkeit zum Teil durch Beatmungsdruck, wodurch die
Fixierungsintensität geringer ist als bei Masken
mit luftgefülltem Auflagepolster. Gelmasken zeichnen sich dagegen durch ihre Flexibilität und damit
ihre gute Passform aus.
149
1
3
Abb. 3.35 Mund-Nasen-Maske. Erläuterungen im
Text.
Beachte
Patienten mit erheblicher Luftnot empfinden
das Anpassen der Maske oftmals als zusätzliche
Bedrohung, gegen die sie sich wehren. Behutsa­
mes Vorgehen ist daher unbedingt notwendig,
um Stressreaktionen und eine unüberbrückbare
Abwehrhaltung des Patienten zu vermeiden. So
kann es hilfreich sein, die Maske zunächst mit
der Hand zu halten oder vom Patienten halten
zu lassen, bevor diese fixiert wird. Bei extremer
Intoleranz gegenüber der Maske kann eine mil­
de Sedierung verabreicht werden.
Nasenmasken
Kooperative Patienten mit vorwiegender Nasenatmung profitieren von der Nasenmaske (Abb. 3.36).
Sie wird von den meisten Patienten als komfortabler empfunden, da sie die Kommunikation erleichtert und das Abhusten problemloser ist. Ein wesentliches Problem bei Nasenmasken bleibt das
Entweichen der Luft über den Mund bis hin zur
völligen Ineffektivität der Beatmung. Kinnbinden
können hier gelegentlich Abhilfe schaffen. Passgenaue Anfertigungen sind bei Patienten indiziert, die über den stationären Verlauf hinaus einer
Heimbeatmung bedürfen.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
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3 Beatmungsformen
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Abb. 3.36 Nasenmaske. Erläuterungen im Text.
Beachte
Schlecht sitzende Masken können leicht verrut­
schen und die Augen direkt schädigen! Auch
das ständig an den Augen vorbei strömende
Atemgas kann zu indirekten Läsionen führen:
16 – 17 % der Patienten weisen innerhalb von
2 – 3 Stunden die Zeichen einer schweren Kon­
junktivitis auf. 3 – 20 % der Patienten leiden
unter einer Austrocknung der nasalen/oralen
Schleimhäute.
Abb. 3.37 Vollgesichtsmaske. Erläuterungen im
Text.
Vollgesichtsmasken
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3
Die sog. Tellermasken (full-face-mask, total-facemask) kommen besonders bei schwierigen anatomischen Verhältnissen zum Einsatz oder wenn
­bereits Hautläsionen vorliegen, die eine ­weitere
Verwendung von Mund-Nasen-Masken ­verbieten.
Der transparente Maskenkörper liegt mit einer
breiten Silikonlippe auf der Haut des Patienten auf
und erreicht eine hohe Dichtigkeit (Abb. 3.37). Dadurch bildet sich allerdings im Inneren der Maske Kondenswasser, wodurch die Sicht des Patienten beeinträchtigt wird.
Nasal Prongs
3
3
Nasal Prongs schließen die Nasenlöcher luftdicht
ab, so dass die Atemluft direkt in die Nasenlöcher
insuffliert wird (Abb. 3.38). Die Atemunterstützung
ist bis zu mittelhohen Drücken möglich, sofern
dem Patienten ein ausreichender Mundschluss gelingt. Vorteilhaft ist die geringe Auflagefläche auf
der Haut. Gerade Patienten mit Klaus­trophobie
können von diesem Interface profitieren. Eine re-
Abb. 3.38 Nasal Prongs. Erläuterungen im Text.
gelmäßige Nasenschleimhautpflege mit entsprechenden Salben ist bei der Verwendung von Nasal
Prongs empfehlenswert.
Beatmungshelm
Beatmungshelme (Abb. 3.39) werden relativ gut toleriert, so dass die NIV über viele Stunden, manchmal auch über Nacht, ohne Unterbrechung durchgeführt werden kann. Druckulzerationen im Gesicht und Konjunktivitiden treten nicht auf. Die
Aspirationsgefahr ist deutlich geringer, was u. a.
auf die verminderte Aerophagie zurück geführt
werden kann. Außerdem bleibt die Kommunikationsfähigkeit erhalten.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.8 Nichtinvasive Beatmung, NIV
Abb. 3.39 Beatmungshelm. Erläuterungen im Text.
Allerdings stellt der Beatmungshelm besondere Anforderungen an das Beatmungsgerät und den
Anwender. Bedingt durch das hohe Innenvolumen
des Helms (8 – 15 l) und seine große Compliance
nimmt die ▶ Triggerlatenz von Demand-Flow-Respiratoren erheblich zu, wodurch eine Desynchronisation zwischen Patient und Beatmungsgerät –
vor allem bei hohen Atemfrequenzen – ­begünstigt
wird. Modelluntersuchungen haben zudem gezeigt, dass die Triggerempfindlichkeit unterhalb
eines PEEP von 6 mbar stark abnimmt. Da eine Differenzierung zwischen der Beatmung der Lungen
des Patienten und der Beatmung des kompressiblen Volumen zwischen Kopf und Helm nicht möglich ist, kann die alveoläre Ventilation nur anhand
indirekter Parameter, wie z. B. der Thoraxexkursionen, abgeschätzt werden. Ähnlich wie die Messung
von ▶ Atemvolumina ist auch die geräteseitige exspiratorische ▶ CO2-Messung zur Überwachung
der alveolären Ventilation ungeeignet.
Beachte
Bei unzureichendem Inspirationsflow kann es
im Helm zu erheblicher CO2-Akkumulation
kommen. Die daraus resultierende CO2-Rückat­
mung kann den Ventilationsbedarf des Patien­
ten erheblich vergrößern, wobei Patienten mit
hochgradig eingeschränkter ventilatorischer Re­
serve besonders gefährdet sind. Diese Patien­
tengruppe (z. B. Patienten mit COPD) ist häufig für eine nichtinvasive Beatmung via Gesichtsoder Nasenmaske besser geeignet, da sie hin-
sichtlich Totraum, CO2-Retention und Trigger­
problematik Vorteile aufweist. Zudem erlaubt
sie ein zuverlässiges Monitoring der ventilato­
rischen Parameter inklusive der ▶ exspiratori­
schen CO2-Messung. Dagegen stellt der Helm
für Patienten mit einem akuten hypoxämischen
Lungenversagen (schwere Pneumonie, Lungen­
ödem, Aspiration) eine interessante Alternative
dar, da diese Patienten hauptsächlich vom PEEP
und weniger von der inspiratorischen Druck­
unterstützung profitieren und den Beatmungs­
helm meist länger tolerieren. Gelegentlich ist
die Kombination mit einem High-flow CPAP-Ge­
rät mit hohen Flüssen vorteilhaft, womit gleich­
zeitig eine kontinuierliche Auswaschung von
CO2 aus dem Helm erreicht wird.
Merke
Beatmungshelm vor allem bei Patienten mit Oxi­
genierungsstörungen,
Masken bei Patienten mit ventilatorischer Insuf­
fizienz.
Die Größe des Helmes lässt sich durch das Abmessen des Halsumfangs ermitteln, wobei in ­Anbetracht
des hohen kompressiblen Volumens immer der
kleinstmögliche Helm ausgewählt werden sollte.
Das kompressible Volumen der kommerziell erhältlichen Helme ist unterschiedlich hoch und kann bei
einigen Modellen durch das Aufblasen von Luftkissen reduziert werden. Von Nachteil ist jedoch, dass
sich der Helm in Gefahrensituationen ­schwieriger
entfernen lässt. Umgekehrt verursacht die Anlage
des Helms bei manchen Patienten Erstickungsängste, insbesondere dann, wenn nicht unverzüglich mit
der Luftinsufflation begonnen wird.
Viele Patienten klagen über die hohe Geräuschbelästigung durch den Luftstrom im Helminneren.
Abhilfe schaffen ▶ HME, die als „Schalldämpfer“ vor
den Konnektor der In- und Exspirationsanschlüsse
platziert werden, sowie Ohrstöpsel. Die kontinuierliche Druckbelastung während der Helmbeatmung verursacht darüber hinaus ein Druckgefühl
in den Ohren, das von den Patienten oft als unangenehm und zum Teil schmerzhaft empfunden
wird, insbesondere bei Beatmungsdrücken oberhalb von 20 mbar.
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3 Beatmungsformen
■■ Atemgasklimatisierung
Bei der NIV ist eine ▶ Klimatisierung der Atemgase aus pathophysiologischer Sicht nicht notwendig, da diese durch den Nasen-Rachen-Raum des
Patienten erfolgt und eine Gefährdung des em­p­
findlichen respiratorischen Epithels somit nicht
zu befürchten ist. Die dauerhafte Atmung kalter
und trockener Luft aus der zentralen ▶ Gasversorgungsanlage führt jedoch zur Austrocknung der
Schleimhäute in den oberen Atemwegen, was von
den Patienten als unangenehm empfunden wird.
Bei dicht sitzenden Masken können zur Anfeuchtung der Atemluft ▶ HME eingesetzt werden,
die direkt auf der Maske platziert werden. Beachtet
werden muss jedoch, dass HME die Atemwegswiderstände sowie das Totraumvolumen erhöhen,
wodurch die in- und exspiratorische Atemarbeit
zunimmt. Es sollten daher nur HME mit geringen
Durchflusswiderständen und kleinem Innenvolumen verwendet werden, was allerdings in der Regel zu Lasten der Anfeuchtungsleistung geht. Die
geringere Befeuchtungsleistung ist aus pathophysiologischer Sicht jedoch akzeptabel, da die Funktion der oberen Luftwege des Patienten – anders
als beim intubierten Patienten – nicht ausgeschaltet ist.
Alternativ ist auch die aktive Anfeuchtung
und Erwärmung der Atemluft möglich, wobei die ­Temperatur- und Feuchteeinstellung mit
dem ­Patienten abgestimmt werden sollte. Bei der
Helmbeatmung ist die aktive Klimatisierung da
­Atemluft dagegen nicht möglich. Die warme und
feuchte Luft wird von den meisten Patienten als
unangenehm empfunden, zudem kommt es zum
Kondenswasserniederschlag im Helm.
Hinweis
Das Anbringen von HME bei der Helmbeatmung
dient nicht der Atemgasklimatisierung, sondern
der Geräuschdämpfung der laut einfließenden
Atemgase (s. o.).
■■ Ernährung
Bei ausreichender Vigilanz des Patienten und erhaltenen Schutzreflexen kann und sollte die orale
Nahrungsaufnahme beibehalten werden. Dies gilt
insbesondere für die Aufnahme von Flüssigkeiten,
wobei hochkalorischen Trinklösungen eine besondere Bedeutung zukommt. Auch die Zufuhr leichtverdaulicher fester Speisen kann im Einzelfall, z. B.
bei moderater Unterstützung der Atmung, ­gestattet
werden. Allerdings sollte darauf geachtet werden,
dass die Nahrungszufuhr in kleinen Portionen erfolgt. Flüssigkeiten sollten keine Kohlensäure enthalten und ebenfalls nur in kleinen ­Mengen verabreicht werden. Bei länger dauernder NIV-Beatmung
kann eine Ernährungssonde hilfreich sein, wobei
die kontinuierliche Verabreichung der Sondennahrung der Bolusgabe vorzuziehen ist.
■■ Patientenlagerung
Bewährt hat sich die halb sitzende Position. Sie erleichtert die Zwerchfellatmung, insbesondere bei
adipösen Patienten, und hat damit einen p
­ ositiven
Einfluss auf die funktionelle ▶ Residualkapazität.
Zudem trägt sie zur verbesserten Sekretelimination durch erleichtertes Abhusten bei. Bei sichtbarem Einsatz der Atemhilfsmuskulatur kann eine
Entlastung des Schultergürtels durch Lagerungsmittel sinnvoll sein.
■■ Monitoring
Die Überwachung des Patienten richtet sich nach
dem Schweregrad seiner Erkrankung. Engmaschig
überwacht werden müssen
●● Atemexkursionen, Atemmuster und Atemfrequenz,
●● Einsatz der Atemhilfsmuskulatur,
●● Synchronisation der Atemexkursionen mit dem
Gerät,
●● Bewusstseinslage, psychischer Zustand,
●● Umfang und Effizienz der Sekretelimination.
Neben dem Monitoring der Herz-Kreislauf-Situation (EKG, RR-Messung) ist die kontinuierliche Überwachung des arteriellen Sauerstoffstatus mittels
▶ Pulsoximetrie unabdingbar. Aufgrund der oben
beschriebenen Probleme bei der Überwachung der
Atemvolumina empfiehlt sich das Monitoring des
pCO2 durch ▶ transkutane Messung, da die Messung des endexspiratorischen petCO2 bei der Maskenbeatmung und erst recht der Helmbeatmung
nicht verwertbar ist (s. o.). Liegen beim Patienten
schwere respiratorische, metabolische und/oder
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.8 Nichtinvasive Beatmung, NIV
hämodynamische Beeinträchtigungen vor, muss
das Monitoring ggf. erweitert werden, z. B. durch
regelmäßige arterielle Blutgasanalysen. Wichtig
ist, dass der Patient die Möglichkeit hat, sich jederzeit bemerkbar zu machen, z. B. durch eine Klingel, ohne das Interface entfernen zu müssen. Eine
Kommunikationshilfe
(Wort-/Buchstabentafel)
kann während der NIV sehr hilfreich sein.
Beachte
Eine initiale Verbesserung der pulmonalen Si­
tuation darf nicht zum Anlass genommen wer­
den, die Überwachung des Patienten zu ver­
nachlässigen, da sich die pulmonale Situation
des Patienten auch noch nach Stunden erneut
verschlechtern kann.
■■ Erfolgskriterien
Unter NIV muss eine zügige Besserung der klinischen Symptomatik mit Abnahme der Dyspnoe
eintreten. Patienten mit NIV müssen vor allem in
der Anfangsphase engmaschig überwacht werden.
Eine Fortsetzung von NIV ist gerechtfertigt bei
●● subjektiver Zustandsverbesserung,
●● Zunahme der alveolären Ventilation (Abnahme
des paCO2),
●● Entlastung der Atempumpe, erkennbar an der
Abnahme der Herz- und Atemfrequenz sowie
Sistieren des Einsatzes der Atemhilfsmuskulatur,
●● Verbesserung der Oxigenierung (SaO > 90 %).
2
Hinweis
Bei massiver Sekretproduktion und zunehmen­
der Sekretretention ist zur Verbesserung der
Bronchialtoilette die passagere Intubation zu er­
wägen.
■■ Abbruchkriterien
In Abhängigkeit vom klinischen Zustand des Patienten und der Erfahrung des behandelnden Teams
wird die Rate des Therapieversagens auf 25 – 40 %
geschätzt. Durch eine engmaschige Überwachung
des Patienten und konsequente Beachtung der Abbruchkriterien können solche Patienten frühzeitig
erkannt und umgehend intubiert werden, bevor es
zu einer vitalen Gefährdung des Patienten kommt.
Zu den Abbruchkriterien gehören:
●● unzureichende Ventilation durch p
­ ersistierende
Leckage (häufigste Ursache für die vorzeitige
Beendigung der NIV),
●● keine Verbesserung der O -Sättigung unter ho2
her O2-Zufuhr in den ersten 15 Minuten,
●● persistierende Hypoxämie nach 2 Stunden
(SaO2 < 85 % trotz FiO2 > 0,5),
●● hypoxiebedingte hämodynamische Instabilität/
Arrhythmien,
●● Anstieg des paCO über den Ausgangswert mit
2
Abfall des pH-Wertes,
●● keine Besserung des klinischen Status (Zunahme der Atemfrequenz und Dyspnoe, Abnahme des Tidalvolumens, sichtbare Steigerung der
Atemanstrengung, Verschlechterung der Vigilanz),
●● mangelnde Kooperation und zunehmende Intoleranz mit aktiver Gegenwehr, Agitiertheit,
●● progrediente Bewusstseinsverschlechterung,
●● nicht beherrschbare Aerophagie,
●● Sekretretention,
●● nicht beherrschbare Maskenprobleme
(Druckulzerationen),
●● schwere Aspiration.
Hinweis
Bei mutmaßlich Hyperkapnie-bedingter Be­
wusstseinsstörung muss der Patient unter NIV
zügig aufklaren. Ist dies nicht der Fall, sollte die
NIV sofort beendet und der Patient intubiert
werden.
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■■ Klinische Bedeutung
Der Stellenwert der nichtinvasiven Beatmung hat
in den vergangenen Jahren bei allen Formen der
respiratorischen Insuffizienz zugenommen. Klinische Schwerpunkte liegen vor allem bei der intermittierenden Behandlung der ventilatorischen Insuffizienz durch Versagen der Atempumpe sowie beim kardial bedingten Lungenversagen. ­Deutlich schlechter sind die Erfolgsaussichten
bei der Behandlung der akuten hypoxämischen
Atem­insuffizienz, wenngleich ein Therapieversuch
­insbesondere bei Risikopatienten immer gerechtfertigt erscheint. Eine weitere Einsatzmöglich-
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3 Beatmungsformen
keit ist die Stabilisierung der Lungenfunktion nach
dem ▶ Weaning vom Respirator. Unbedingte Voraussetzung für einen erfolgreichen Einsatz der NIV
ist speziell geschultes ärztliches und pflegerisches
Personal, damit sich die unbestreitbaren Vorteile
der NIV nicht zu einem unkalkulierbaren Sicherheitsrisiko für den Patienten entwickeln. Vor dem
routinemäßigen Einsatz der NIV ist daher die Erarbeitung eines therapeutischen Konzepts ­inklusive
der Indikationen und Kontraindikationen erforderlich, das alle am Patienten tätigen Berufsgruppen einschließt. Ein äußerst wichtiger Faktor für
den erfolgreichen Einsatz der nichtinvasiven Beatmung ist neben den technischen Voraussetzungen
vor allem die Erfahrung und Motivation der Mitarbeiter.
3.9
CPAP-Therapie bei
Schlafapnoe-Syndrom
Nichtinvasive Beatmung (NIV) ist nicht gleichbedeutend mit der „CPAP-Therapie“, wie sie im Rahmen der Heimtherapie zur Behandlung vorübergehender Atemstillstände während des Schlafens,
der sog. Schlafapnoe, angewendet wird. Dabei
wird dem Schlafenden – in der Regel via Nasenmaske (nCPAP-Maske, n = nasal) – durch ein technisch einfaches, spezielles CPAP-Gerät kontinuierlich Atemluft (meist Umgebungsluft) mit leichtem
Überdruck zugeführt. Je nach Anamnese und vorliegenden Beeinträchtigungen der Lungenfunktion
kann die zugeführte Luft auch erwärmt und angefeuchtet werden. Das im Schlaf entspannte ­Gewebe
im Nasen- und Rachenraum des ­Schlafenden wird
durch den leichten Überdruck stabilisiert und offen gehalten („pneumatische Schienung“). Dadurch können Apnoen und Hypopnoen bei den
meisten Patienten verhindert werden. Als Begleiteffekt wird auch das Schnarchen weitgehend unterdrückt. Die Diagnose wird meist in einem Schlaflabor gestellt, wo Anzahl und Dauer der
Atemstillstände sowie die O2-Sättigung kontinuierlich gemessen werden. Nach Diagnosestellung
erfolgt die schrittweise Annäherung an den individuellen therapeutischen Druck. Zu hoher Druck
bewirkt ein störendes Ausströmen der Druckluft
durch den Mund, führt zu Aerophagie (Luftschlucken) und kann im schlimmsten Fall die Spontanatmung stören.
3.9.1
Heimbeatmung mit
BiLevel und BiPAP
Hierbei handelt es sich um weitere, vor allem aus
der Heimtherapie bekannte Modifikationen der
CPAP-Atmung, die nicht mit den aus der Intensivbeatmung bekannten druckkontrollierten zeitgesteuerten Beatmungsmodes (▶ BiLevel, ▶ BIPAP)
verwechselt werden dürfen. Sie werden mit speziellen Geräten für die nichtinvasive Heimbeatmung
durchgeführt und offerieren dem CPAP-atmenden
Patienten einen zusätzlichen ventilatorischen Support via Maske im Sinne einer ▶ druckunterstützten Beatmung. Der Inspirationsdruck ist hierbei
innerhalb definierter Grenzen variabel und passt
sich bei jedem Atemzug den Bedürfnissen des Patienten an. Darüber hinaus verfügen einige Geräte
über eine Komfortfunktion, die bei hohen Exspirationsdrücken eine endexspiratorische Druckabsenkung durchführt und damit ein Druck- oder gar
Atemnotgefühl beim Ausatmen vermindert.
Der weitverbreitete BiPAP-Ventilator der Fa. Respironics Inc. ist ein Beatmungsunterstützungssystem speziell für die nichtinvasive Heimbeatmung.
Die Unterstützung der Eigenatmung des Patienten
erfolgt auf der Basis der ▶ druckunterstützten Beatmung, wobei 3 Optionen zur Auswahl stehen:
●● S-mode: Einstellung von inspiratorischer
Druckunterstützung und PEEP/CPAP,
●● T-mode: kontrollierter Beatmungsmodus durch
Einstellung von inspiratorischer Druckunterstützung Atemfrequenz und I/E-Verhältnis,
●● ST-mode: Kombination aus S-mode und T-mode. Bei Unterschreiten einer definierten Sicherheits-Atemfrequenz setzt Apnoe-Ventilation (Tmode) mit einstellbaren Parametern ein.
3.10 Alternative Beatmungs­
verfahren: Hochfrequenzbeatmung, HFV
HFV, High Frequency Ventilation
Definition. Unter dem Begriff Hochfrequenzbeatmung (HF-Beatmung) wird eine Vielzahl oftmals
sehr unterschiedlicher Beatmungsverfahren zusammengefasst, die durch hohe Atemfrequenzen,
minimierte Tidalvolumina sowie unkonventionelle
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.10 Alternative Beatmungs­verfahren: Hochfrequenzbeatmung, HFV
Gastransportmechanismen charakterisiert sind.
Letztere grenzen hochfrequente Techniken gegenüber konventionellen Beatmungstechniken ab: Bei
intermittierender Überdruckbeatmung füllen und
verlassen die Atemgasportionen die Alveolarkompartimente in periodischen Abständen, was eine
zwingende Voraussetzung für den Gasaustausch
in den Alveolen ist. Bei Beatmung mit hohen
­Frequenzen kommt es demgegenüber nicht zur periodischen Expansion und Reduktion der Alveolarräume. Stattdessen verläuft der Gasaustausch aufgrund von Diffusions- und Auswaschphänomenen
ohne Verschiebung nennenswerter Tidalvolumina,
die oftmals wesentlich kleiner sind als der anatomische Totraum. Sie liegen bei 1 – 3 ml/kg KG.
■■ Funktionsprinzip
Üblicherweise werden die Atemgasportionen
durch Jet-Technik verabreicht. Unter dem Begriff
„Jet“ versteht man die gerichtete Verabreichung
eines komprimierten Gasvolumens mit hoher Geschwindigkeit durch eine Düse. Ist das System
­offen, treten dabei am Ende der Düse sog. Venturi-Effekte auf, die nach dem Prinzip der Wasserstrahlpumpe zur Erhöhung des Volumens durch
Sogwirkungen führen. Das hierbei aus der Umgebung angesaugte zusätzliche Gasvolumen wird als
Entrainment bezeichnet.
Bei der Hochfrequenzbeatmung wird die Beatmungsfrequenz in Hertz [Hz] angegeben: 1 Hz = 1
Schwingung/Sekunde.
■■ Lungenmechanik
HF-Beatmung führt zum Anstieg der Lungenvolumina, da die Zeitkonstanten der Lungen meist
deutlich länger sind als die Zeit zwischen den JetImpulsen, die für die Exspiration zur Verfügung
steht. Dabei bildet sich ein intrinsic PEEP aus,
dessen Höhe zwar durch die Jet-Frequenz vorgegeben wird, jedoch kaum abgeschätzt werden
kann. In gleichem Maße steigen dabei die Atemwegs- und Alveolardrücke an, wodurch – gerätespezifisch unterschiedlich – u. U. ausgeprägte Ventilations-Perfusions-Störungen entstehen
bzw. unterhalten werden können. Vorteile bietet hier das biphasische Injektor/Ejektor-Prinzip
wie bei HFJO, das ebenso wie mechanische Mem-
branoszillatoren zur exspiratorischen Entlastung
der Lungenvolumina beiträgt. Allerdings besteht
hierbei die Gefahr, dass die resultierenden Unterdrücke zum exspiratorischen Kollaps der Atemwege führen.
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1
■■ Monitoring
Im Gegensatz zur konventionellen Beatmung sind
Monitoring und Alarmstrategien bei allen Formen
der HF-Ventilation wesentlich weniger ausgereift.
Die sonst üblichen Messsysteme zur Messung von
Drücken, Volumina und Atemgaskonzentration
sind unter HF-Beatmung nicht ohne weiteres einsetzbar. So sind Druckmessungen am proximalen
Tubus nicht aussagekräftig, da sie die Atemwegs­
drücke bei Abstrahlung der Jet-Impulse am dis­ta­
len Tubus nicht ausreichend repräsentieren. Zur
Kontrolle der Atemwegsdrücke muss daher ein
zweiter Katheter in der Trachea platziert werden,
dessen Öffnung allerdings nicht in unmittelbarer Nähe der Düsenöffnungen liegen darf. Spezielle Tuben für die Jet-Beatmung verfügen über einen
eigenen Kanal für die Atemwegsdruckmessung,
der mindestens 5 cm unterhalb der HF-Injektionsstelle endet.
Aufgrund des Entrainments ist die genaue Bestimmung der applizierten Tidal- und Minutenvolumina schwierig. Wird die Jet-Ventilation im offenen System durchgeführt, wie beispielsweise bei
der Bronchoskopie oder unter Verwendung des
Jet-Laryngoskops, ist die Bestimmung der Tidalvolumina überhaupt nicht möglich. Die klinische Beobachtung der Thoraxexkursionen sowie die regelmäßige Palpation der Thoraxvibrationen und
die Auskultation der Lungen sind daher obligat.
Die Oxigenierung des Patienten kann durch die
▶ Pulsoximetrie überwacht werden. Ein weitaus
größeres Problem ist die Überwachung der Ventilation. Die ▶ Kapnometrie zur Messung des end­
exspiratorischen CO2 ist nur bedingt geeignet,
da sich bei hochfrequenter Jet-Ventilation keine
end­exspiratorischen Plateaus ausbilden und zudem die Ansprechgeschwindigkeit der Methode
zu niedrig ist. Bei länger dauerndem Einsatz ist
daher die engmaschige Kontrolle des CO2 im Blut
notwendig.
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3 Beatmungsformen
■■ Atemgasklimatisierung
Nach wie vor ungelöst ist das Problem der Atemgasbefeuchtung bei der Jet-Ventilation. Für den
kurzzeitigen Einsatz in der Anästhesie ist dieses
Problem von untergeordneter Bedeutung, nicht jedoch bei länger dauernder Beatmung. Hier kann es
durch die trockenen Atemgase zu schwersten Veränderungen der Tracheal- und Bronchialschleimhäute bis hin zu tiefen Schleimhautnekrosen kommen. Steht kein adäquates und für den Einsatz
bei Jet-Ventilation konzipiertes Befeuchtersystem
zur Verfügung, darf die Jet-Ventilation zur Langzeitbeatmung nicht eingesetzt werden. Dagegen
ist bei der HF-Oszillation (HFO) eine ausreichende ▶ Atemgasklimatisierung durch HME (Heat and
Moisture Exchanger) auch bei Langzeitbeatmung
zu erzielen.
Die meisten der im Folgenden vorgestellten HFTechniken werden vorwiegend in der Anästhesie
bei kurzzeitigen diagnostischen und operativen
Eingriffen im Larynxbereich eingesetzt. Statt eines
Tubus werden hier häufig spezielle Jet-Broncho­
skope und -Laryngoskope verwendet.
Inspiration
Exspiration
Abb. 3.40 HFPPV (High Frequency Positive Pressure Ventilation). Erläuterungen im Text.
3.10.1 HF-Überdruckbeatmung, HFPPV
(High Frequency Positive
Pressure Ventilation)
Das Jet-Gas wird über ein Y-Stück am proximalen
Tubusende eingespeist, gleichzeitig wird das tubusnahe pneumatische Ventil verschlossen. Ein Entrainment findet daher nicht statt. Die applizierten
Volumina betragen 2 – 4 ml/kg KG, die Beatmungsfrequenzen 1 – 2 Hz. Während der Exspiration öffnet das pneumatische Ventil, so dass das Exspirationsgas passiv abströmen kann (Abb. 3.40).
Jet-Katheter
Entrainment
3.10.2 HF-Jetbeatmung, HFJV
(High Frequency Jet Ventilation)
In das Lumen des offenen Trachealtubus wird eine
Injektorkanüle eingebracht, über die das Jet-Gas mit
Beatmungsfrequenzen von 1–5 Hz und Volumina
von 2–4 ml/kg KG eingespeist wird. Während der
Jet-Phasen wird zusätzlich Gas angesaugt (Entrainment). Die Exspiration erfolgt passiv in der Pause
zwischen den Druckgasimpulsen (Abb. 3.41).
Abb. 3.41 HFJV (High Frequency Jet Ventilation).
Erläuterungen im Text.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.10 Alternative Beatmungs­verfahren: Hochfrequenzbeatmung, HFV
3.10.3 Hochfrequenzpulsation, HFP
(High Frequency Pulsation)
In ähnlicher Weise wie bei HFJV werden die Jet-Impulse über einen Injektor am proximalen Tubusende direkt in den Trachealtubus appliziert. Durch
das Patientensystem wird ein Biasflow geleitet,
aus dem das Volumen für das Entrainment gezogen wird. Die Sauerstoffkonzentrationen von Biasflow und Jet-Gas sind gleich. Die Volumina betragen 1 – 2 ml/kg KG, die Beatmungsfrequenzen 4 –
10 Hz. Die Exspiration erfolgt passiv (Abb. 3.42).
3.10.4 Hochfrequenz-Jet-Oszillation,
HFJO (High Frequency Jet
Oscillation)
Das System arbeitet mit 2 Jet-Düsen. Über die Injektordüse werden Volumina von 1 – 2 ml/kg KG
mit Frequenzen von 5 – 12 Hz verabreicht. Das Entrainment wird aus dem Biasflow bezogen, der die
gleiche Sauerstoffkonzentration aufweist wie der
Jet-Flow. Distal der Injektordüse befindet sich die
Ejektordüse, über die Jet-Gas während der Exspirationsphase appliziert wird. Da die Spitze der Ejektordüse aus den Atemwegen heraus in Richtung
Tubuseingang weist, wird das Entrainment aus
den Atemwegen bezogen. Dadurch wird die Exspiration forciert. Zur Unterstützung der Venturi-Effekte ist das Venturi-Rohr mit einer zusätzlichen
sog. Venturi-Taille ausgestattet. Durch die Kombination von Injektor- und Ejektordüse können höhere Frequenzen bei niedrigeren Volumenportionen appliziert werden (Abb. 3.43).
3.10.5 Forcierte Diffusionsventilation,
FDV (Forced Diffusion Ventilation)
Die Druckgasimpulse werden über 2 Leitungen appliziert, die in die Wand eines speziellen Jet-Tubus
integriert sind. Die Ausgänge der Jet-Leitungen enden an der distalen Tubusspitze. Das System ist offen, so dass es während der Inspiration zu einem
Entrainment kommt. Idealerweise sitzen die Düsen kurz oberhalb der Karina, so dass die beiden
Gasstrahlen direkt in die Hauptbronchien geleitet
werden. Die FDV erlaubt die Applikation sehr kleiner Volumenportionen (0,2 und 0,4 ml/kg KG) mit
hohen Frequenzen (2,5 – 33 Hz) (Abb. 3.44).
1
3
3
3
3
3
Exspiration
Inspiration
Jet-Düse
Entrainment
Bias-Flow
157
aktive
Jet-Düse
aktive
Jet-Düse
Entrainment
3
3
Entrainment
3
3
Abb. 3.42 HFP (High Frequency Pulsation). Erläute­
rungen im Text.
Abb. 3.43 HFJO (High Frequency Jet Oszillation).
Erläuterungen im Text.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
158
1
3 Beatmungsformen
Membran-Oszillator
Exspiration
Jet-Katheter
Jet-Katheter
Bias-Flow
3
3
3
Abb. 3.44 FDV (Forced Diffusion Ventilation).
Erläuterungen im Text.
3
3
3
3
3
3
3
Abb. 3.45 HFOV (High Frequency Oscillation Ventilation). Erläuterungen im Text.
3.10.6 HF-Oszillation, HFOV (High
Frequency Oscillation
Ventilation)
3.10.7 Kombinierte HF-Systeme, CHFV
(Combined High Frequency
Ventilation)
Eine mechanische Kolbenpumpe erzeugt sinusoidale Schwingungen mit Frequenzen von 2 – 100
Hz, die über eine Membran auf den Atemgasflow
übertragen werden. Die verschobenen Volumina sind durch die mechanischen Membranauslenkungen definiert und daher volumenkonstant. Die
Rückwärtsbewegungen der Membran bewirken
eine aktive Exspiration. Hierdurch wird eine bessere CO2-Elimination erreicht als durch die anderen Verfahren (Abb. 3.45).
Diese Technik verknüpft die Vorteile der konventionellen Beatmung mit den Vorteilen der
Hochfrequenzoszillation. Durch Einführen eines
­Jet-Schlauches in den Trachealtubus können die
unterschiedlichsten volumen- und druckkontrollierten Beatmungsformen mit hohen Jet-Frequenzen überlagert werden. Auch die Überlagerung von
partieller und vollständiger Spontanatmung, z. B.
im S-IMV oder CPAP-Modus, ist möglich. Die JetAnteile können mit Frequenzen von 1 – 50 Hz appliziert werden (Abb. 3.46).
Hinweis
Dieses Beatmungsprinzip wird seit Jahren mit
­Erfolg in der ▶ Neonatologie eingesetzt.
3.10.8 Superponierte Jet-Ventilation,
SHFJV (Superimposed High
Frequency Jet Ventilation)
Der CHFV vergleichbar ist diese Technik, bei der 2
Jet-Ventilationsformen mit unterschiedlichen Frequenzen miteinander kombiniert werden. Bei-
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.10 Alternative Beatmungs­verfahren: Hochfrequenzbeatmung, HFV
3.10.9 Technische Bewertung der
HF-Beatmung
konventioneller
Respirator
Jet-Katheter
Abb. 3.46 CHFV (Combined High Frequency Ventilation). Erläuterungen im Text.
Jet-Katheter
Bias-Flow
Entrainment
Abb. 3.47 SHFJV (Superimposed High Frequency
Jet Ventilation). Erläuterungen im Text.
de Jet-Schläuche liegen in unterschiedlicher Höhe
im Lumen des Trachealtubus. Der niederfrequente
­Jet-Anteil wird – ähnlich wie bei konventioneller
Beatmung – mit Frequenzen bis 40/min, der überlagerte hochfrequente Anteil mit Frequenzen zwischen 1 und 15 Hz verabreicht (Abb. 3.47).
Trotz technischer Unterschiede handelt es sich bei
der HF-Beatmung grundsätzlich um eine ­Beatmung
im offenen System. Damit erfüllt die Technologie
bereits von der Konzeption her eine wesentliche
Anforderung an ein modernes Beatmungsverfahren, nämlich die Möglichkeit der jederzeitigen und
freien Spontanatmung für den Patienten, unabhängig von der maschinellen Unterstützung.
Von Nachteil ist jedoch, dass das Druck-FlowVerhalten und damit auch die Höhe der applizierten Volumina ganz wesentlich von der Charakteristik des Injektors abhängen. Dies ist besonders
ausgeprägt bei Systemen, deren Injektoren innerhalb des Tubus liegen. Hier hängt das zugeführte
Gasvolumen pro Jet-Impuls (Impulsvolumen) vom
Durchmesser des Jet-Katheters und des Trachealtubus sowie von der Position der Gaseintrittsstelle innerhalb des Tubus ab und ist deshalb schwer
abschätzbar und noch schwieriger zu messen. Das
Gleiche gilt für die Höhe des Entrainments.
Etwas günstiger sind Anordnungen wie bei HFP
und HFJO, bei denen die Injektoren in das Tubusansatzstück integriert sind. Generell gilt jedoch, dass
druckgasbetriebene HF-Formen wie HFPPV, HFJV,
HFP oder FDV druck- und volumeninkonstant sind.
Bei gleichbleibender Lungenmechanik führt eine
Erhöhung der Frequenz stets zu einer Abnahme
der einzelnen Volumenportionen, während das
Atemminutenvolumen dabei annähernd konstant
bleibt. Veränderungen der Lungenmechanik führen dagegen zu Veränderungen der Ventilationsparameter, deren Größe und Richtung sowie Konsequenz für den pulmonalen Gasaustausch im Einzelfall kaum abzuschätzen sind.
Merke
Druckgasbetriebene HF-Beatmung ist druck- und
volumeninkonstant.
Mechanisch betriebene Oszillatoren sind in ihrem
Druck-Flow-Verhalten besser definiert. Die applizierten Volumenportionen bei HFO entsprechen
den Membranauslenkungen der Pumpe; sie sind
daher konstant und weitgehend unabhängig von
der Lungenmechanik. Dementsprechend führt die
Erhöhung der Oszillationsfrequenz zur Zunahme
des Atemminutenvolumens.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
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1
3
3
3
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160
1
3 Beatmungsformen
Merke
Mechanisch betriebene Oszillatoren arbeiten vo­
lumenkonstant.
3.10.10Indikationen für HF-Beatmung
■■ Indikationen in der Intensivmedizin
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3
Entgegen den Erwartungen nach ihrer Einführung
in den 80er Jahren konnte sich die HF-Beatmung
in der Intensivmedizin bisher nicht durchsetzen.
Die durch die Minimierung der zur Beatmung notwendigen Einzelgasportionen theoretisch zu erwartenden Vorteile – Verringerung der Lungenbewegungen, Minimierung der Druckbelastung
der Lunge, verbesserte Sekretmobilisation, verringerte Auswirkungen der Beatmung auf andere
Organsysteme – konnten in der klinischen Praxis
nicht eindeutig bestätigt werden. Bei der Behandlung des schweren akuten Lungenversagens wird
dennoch in einigen Zentren die HFO mit dem Ziel
angewendet, die Oxigenierung zu verbessern und
gleichzeitig beatmungsassoziierte Lungenschäden
(VALI = Ventilator Associated Lung Injury) zu reduzieren. In der Tat kann durch den im Vergleich
zur konventionellen Beatmung höheren mittleren
Beatmungsdruck während der HFO bei der Mehrzahl der Patienten eine klinisch relevante Verbesserung der Oxigenierung erreicht werden. Dabei
ist in aller Regel auch die CO2-Elimination gut oder
zumindest soweit ausreichend, dass eine schwere respiratorische Azidose vermieden werde kann.
Zahlreiche Fragen bleiben dennoch ungelöst, wie
z. B. die Ermittlung des optimalen kontinuierlichen
alveolären Distensionsdrucks (CADP = Continuous
Alveoar Distension Pressure) oder der optimale
Zeitpunkt des Übergangs von konventioneller Beatmung auf HFO und umgekehrt. Problematisch ist
weiterhin, dass ein direktes Monitoring der alveolären Ventilation nicht möglich ist. So kann z. B.
eine komplette Tubusokklusion zunächst unbemerkt bleiben und erst durch Hyperkapnie und
ggf. Abfall der O2-Sättigung evident werden.
Zusammenfassend handelt es sich bei der HFO
nach wie vor um ein experimentelles Verfahren,
das nur in wenigen spezialisierten Zentren am Patienten angewendet werden kann. Neben ungelösten technischen Problemen verhindern fehlende Leitparameter bei der Systemeinstellung sowie
kaum vorhersehbare funktionelle Auswirkungen
bei der Variation der Einstellgrößen (Impulsfrequenz, Antriebsdruck, Impuls-Pause-Verhältnis)
einen breiteren Einsatz dieser Methoden. Obgleich
die Ergebnisse bei der Behandlung des schweren
ARDS mancherorts ermutigend sind, konnte der
wissenschaftliche Beweis, dass diese Beatmungsform auch zu einer Verbesserung der Prognose
beim schweren Lungenversagen führt, bisher nicht
erbracht werden.
Anwendungsbereiche der HF-Beatmung werden dagegen im Rahmen der ▶ seitengetrennten Beatmung
(ILV) gesehen, z. B. zur Behandlung bronchopleuraler
Fisteln. Hierbei wird die betroffene Lunge mit HFV beatmet, die gesunde dagegen konventionell.
Auch bei der Behandlung des schweren ▶ Atemnotsyndroms des Neugeborenen (RDS, Respiratory
Distress Syndrome) hat sich die Hochfrequenzoszillation (HFO) vielerorts als Alternative zu konventionellen Beatmungsformen etabliert.
■■ Indikationen in der Anästhesie
Im Gegensatz zur Intensivmedizin bestehen gesicherte Indikationen für die HF-Beatmung in der
Anästhesie, z. B. bei diagnostischen und therapeutischen laryngoskopischen Eingriffen. Da der Chirurg einen möglichst ungehinderten Zugang zum
Larynx benötigt, stellt die Jet-Beatmung eine Alternative zur üblichen endotrachealen Intubation
dar. Bei der niederfrequenten Jet-Beatmung wird
das Atemgas mit Frequenzen zwischen 8 und 20/
min infra- oder subglottisch über einen Spezialtubus appliziert. Die Exspiration erfolgt passiv durch
die offenen Stimmbänder. Alternativ ­können die
Atemgase über einen speziellen dünnlumigen
­Jet-Katheter zugeführt werden, der translaryngeal
eingebracht wird. Eine weitere Alternative ist die
Applikation der Atemgase über einen oder mehrere Injektoren im Arbeitskanal des Endoskopierohrs. Diese Techniken sind besonders geeignet für
laserchirurgische Eingriffe, da keine Tuben oder
Beatmungskatheter notwendig sind und dadurch
die Gefahr eines Tubusbrandes oder einer Explosion geringer wird.
Für die Jet-Beatmung über einen Katheter gilt
generell, dass die applizierten Tidalvolumina mindestens 1,2-mal so groß sein müssen wie der anatomische Totraum. Die Compliance der Lunge beeinflusst sowohl den intrapulmonalen Druckauf-
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.11 Ein-Lungen-Ventilation und seitengetrennte Beatmung
bau als auch den Gasreflux während der In- und
Exspiration. Durch das Entrainment von Raumluft
reduziert sich die FiO2 der verabreichten Atemgasportionen. Bei Behinderung der Exspiration
kommt es zum Ansteigen der Atemwegsdrücke.
Bei Kindern und Patienten mit laryngealer Ob­
struktion sollte daher die Inspirationszeit 50 % des
Atemzyklus nicht überschreiten.
Bei der transtrachealen Technik erfolgt die Applikation der Jet-Gase durch eine Spezialnadel, die
in Lokal- oder Allgemeinanästhesie perkutan durch
das Ligamentum cricoideum eingeführt wird. Über
diese Kanüle kann eine HFPPV durchgeführt werden. Indikationen für diese Beatmungsform sind
ausgedehnte Tumoren im Larynxbereich, Operationen im Bereich der Stimmbänder u. ä. Beachtet werden muss, dass das Entrainment bei dieser Methode
nur gering ist. In jedem Fall muss der freie Abfluss
der Exspirationsgase durch den Larynx gesichert
sein, da sonst das Risiko eines ▶ Barotraumas droht.
Hinweis
Bei der Unmöglichkeit der endotrachealen Intu­
bation kann diese Technik in Notfällen die pul­
monale Ventilation sicherstellen. Nach der Plat­
zierung der Jet-Nadel kann ein ausreichender
Gasaustausch bis zur Durchführung einer Tra­
cheotomie oder fiberoptischen Intubation auf­
rechterhalten werden.
3.11 Ein-Lungen-Ventilation und
seitengetrennte Beatmung
Differenzierte Operationsverfahren in der Thoraxchirurgie erfordern häufig die Durchführung
der Ein-Lungen-Ventilation (One-lung ventilation). Notwendig sind die absolute Seitentrennung
der Beatmung und die sichere Ruhigstellung der
zu operierenden Lunge z. B. bei der offenen Versorgung von Thoraxtraumen mit schweren Lungenparenchymverletzungen, bei Lungensegmentresektionen im Rahmen der Tumorchirurgie oder auch
bei der videoassistierten Thorakoskopie (VAT) bzw.
Thoraxchirurgie (VATS). Auch die operative Sanierung von schweren einseitigen Lungenerkrankungen kann gelegentlich die Ein-Lungen-Ventilation
erfordern, um z. B. den Übertritt von Blut oder entzündlichem Sekret aus Abszessen oder Bronchi-
Tabelle 3.3 Indikationen für Ein-Lungen-Ventilation
und seitengetrennte Beatmung.
Thoraxchirurgische Eingriffe:
●● videoassistierte Thorakoskopie (VATS)
●● minimal invasive intrathorakale kardiochirurgi­
sche Operationen
●● Lungentransplantation
●● thorakale Aortenchirurgie
●● onkologische Lungen-/Thoraxchirurgie
●● Versorgung tracheobronchialer Verletzungen
●● Versorgung bronchopleuraler Fisteln
●● Versorgung von Lungenabszessen, Bronchiekta­
sen, Pleuraempyem
●● Versorgung traumatischer Lungenparenchym­
verletzungen
Maschinelle Beatmung bei:
●● persistierender bronchopleuraler Fistel
●● persistierender Bronchusstumpfinsuffizienz
●● massiven Hämoptysen
●● raumfordernden Zysten
●● großen Emphysembullae
161
1
3
3
3
ektasen von einer Lunge in die andere zu vermindern oder sogar ganz zu verhindern (Tab. 3.3). Zur
Vermeidung einer alveolo-pulmonalvenösen und
dadurch systemarteriellen Luftembolie kann bei
Thoraxtraumen mit schweren Zerreißungen des
Lungenparenchams gelegentlich die sofortige EinLungen-Ventilation indiziert sein.
3
3.11.1 Ein-Lungen-Ventilation
3
3
ELV, Ein-Lungen-Ventilation (One lung Ventilation)
■■ Material und Durchführung
3
Tuben
Alle derzeit gebräuchlichen Doppellumentuben besitzen eine proximale und eine distale Blockmanschette. Während sich die proximale Manschette
immer in der Trachea befindet, wird die distale im
linken oder rechten Hauptbronchus ­positioniert.
Aufgrund der anatomischen Besonderheiten des
Tracheobronchialsystems wird zwischen linksund rechtsschwingenden ­Doppellumentuben
­unterschieden: Beim klassischen, linksschwingenden Carlens-Tubus aus wiederverwendbarem
­Gummimaterial wird der Tubus im linken Hauptbronchus platziert, wobei ein Karinasporn die Einlage erleichtern soll. Der rechtsschwingende White-
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
3
3
162
1
3
3 Beatmungsformen
Nach Intubation und Positionierung des Doppellumentubus sollte als erstes die tracheale Manschette geblockt und auskultatorisch die seitengleiche Belüftung beider Lungen überprüft werden. Nach Blockung der bronchialen Manschette
sollte die Prozedur wiederholt werden, um eine
Herniation (Verlegung der Tubusöffnung durch
die Manschette) sofort zu erkennen. Üblicherweise benötigt die bronchiale Manschette nicht mehr
als 2 ml Luft für eine suffiziente Abdichtung. Anschließend kann die richtige Platzierung des Tubus im rechten oder linken Hauptbronchus durch
Abklemmen des trachealen Lumens überprüft
werden. Bei korrekter Position ist nur noch die betreffende Lungenseite ventiliert. Sind auskultatorisch weiterhin beide Lungen belüftet, liegt das
bronchiale Lumen des Tubus noch oberhalb der
Karina. Weist die Beatmung der rechten und linken Lunge deutliche Druckunterschiede auf, verschließt der bronchiale Schenkel vermutlich einen
Oberlappen, so dass der Tubus entblockt und in
5-mm-Schritten so weit zurück gezogen werden
muss, bis die Beatmungsdrücke in beiden Lungen
vergleichbar hoch sind.
Trotz aller Sorgfalt besteht intraoperativ und erst
recht auf der Intensivstation ein hohes Risiko der
Fehlpositionierung mit partieller Verlegung der
Atemwege (Abb. 3.49), was unter Umständen zu einem erheblichen intrapulmonalen ▶ Rechts-LinksShunt führt. Häufige fiberoptische Lagekontrollen
sind daher – zumindest nach jeder Lageveränderung des Patienten – unerlässlich, zumal die Auskultation bei einseitigen Lungenschädigungen keine zuverlässigen Hinweise über die korrekte Tubuslage bietet.
a
a
Tubus zur Intubation des rechten ­Hauptbronchus
­besitzt eine zusätzliche Besonderheit: Da der rechte Oberlappenbronchus nur etwa 2,5 cm distal von
der Karina abgeht, verfügt der Tubus über ein sog.
Murphy-Auge zur Belüftung des rechten Oberlappenbronchus (Abb. 3.48).
Heutige Doppellumentuben wie der RobertshawTubus werden ausschließlich ohne Karinasporn angeboten, um das tracheobronchiale Verletzungsrisiko zu reduzieren. Sie bestehen aus flexiblem
Kunststoff und sind in der Regel aus Einmalmaterial. Es gibt sie in Größen von Ch 26 – Ch 41.
Hinweis
In der Intensivmedizin wird die längerfristige sei­
tengetrennte Beatmung der Lungen in der Regel
über doppellumige Trachealkanülen durchge­
führt. Sie erlauben eine sicherere Positionierung
der Tubuslumina im Tracheobronchialsystem als
die routinemäßig bei lungenchirurgischen Ein­
griffen verwendeten, oral eingeführten Doppel­
lumentuben.
3
3
3
Überprüfung der korrekten Tubuslage
3
3
b
b
3
3
3
3
Abb. 3.48 Prinzip des Doppellumentubus.
aCarlens-Tubus zur Intubation des linken Hauptbron­
chus. Der Tubus ist der Anatomie der Luftwege
angepasst.
bWhite-Tubus zur rechtsseitigen Intubation mit
schlitzförmiger Öffnung im Bereich der Manschette
zur Beatmung des rechten Oberlappens.
Abb. 3.49 Störungen der Ventilation durch Dislokation des Doppellumentubus.
a Obstruktion des rechten Hauptbronchus durch zu
weit vorgeschobenen linksseitigen Doppelumen­
tubus.
b Obstruktion des linken Hauptbronchus durch zu
weit vorgeschobenen rechtsseitigen Doppelumen­
tubus.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.11 Ein-Lungen-Ventilation und seitengetrennte Beatmung
Beachte
Gelegentlich sind zur Abdichtung des trachealen
oder bronchialen Cuffs hohe Drücke erforderlich,
insbesondere bei niedriger Compliance und/
oder hoher Resistance der geschädigten Lunge.
Dementsprechend hoch ist das Risiko der Druck­
nekrose oder Perforation im Cuffbereich.
Intraoperativ auftretende Tubusdislokationen
oder Verlegungen durch Sekret sind häufig. Kli­
nisch können sich Tubusdislokationen und Se­
kretverlegungen frühzeitig durch das ­Auftreten
eines erhöhten Atemwegdrucks und/oder die
Ausbildung eines intrinsischen PEEP manifes­
tieren. Da die Bronchialtoilette tubusbedingt
deutlich eingeschränkt ist, werden u. U. sekun­
däre pulmonale Komplikationen begünstigt.
Merke
Sofortige Überprüfung der Tubuslage bei jeder
Verschlechterung der Oxigenierung!
■■ Pathophysiologische Auswirkungen
der Ein-Lungen-Ventilation
Durch den Kollaps einer Lunge werden 30 – 70 %
des gesamten Lungengewebes von der Ventilation ausgeschaltet. Innerhalb von Sekunden wird
Blut aus regional schlecht belüfteten Lungenbezirken in besser ventilierte Areale umgeleitet, wodurch sich die Durchblutung der nicht ventilierten Lunge auf etwa ein Drittel reduziert. Diese hypoxische pulmonale Vasokonstriktion (HPV) verbessert das Ventilations-Perfusions-Verhältnis,
­wodurch die Folgen des ▶ Rechts-Links-Shunts
gemindert ­werden (▶ Euler-Liljestrand-Reflex).
Ein kritischer Abfall des paO2 kann dadurch häufig verhindert werden. Seitenlage des Patienten
führt zu ­einer zusätzlichen, gravitationsbedingten Umverteilung des Blutflusses in die unten liegende beatmete Lunge. Dadurch ist die Oxigenierung bei der ELV in Seitenlagerung wesentlich
weniger beeinträchtigt als in Rückenlage, obwohl
die FRC der ventilierten, unten liegenden Lunge
in Seitenlage durch die zusätzliche mechanische
Kompression durch das Media­stinum weiter reduziert ist.
163
Hinweis
Theoretisch dürfte der Rechts-Links-Shunt bei
der Ein-Lungen-Ventilation unter Berücksichti­
gung aller Gegenregulationsmechanismen und
unter der Annahme einer maximal ausgeprägten
HPV kaum mehr als 20 % betragen. In klinischen
Studien wurden jedoch teilweise erheblich höhe­
re Shuntfraktionen bestimmt. Ursächlich hierfür
ist u. a. die Beeinflussung der HVP durch kreis­
laufwirksame Substanzen sowie Narkosemittel:
Während intravenöse Anästhetika und Opioide
offenbar keinen direkten Einfluss auf die HPV zu
haben scheinen, ließen sich vor allem für die äl­
teren Inhalationsanästhetika wie Halothan und
Enfluran dosisabhängige inhibitorische Effekte
nachweisen. Unklar ist allerdings die klinischer
Relevanz dieser Befunde, so dass hieraus keine
Empfehlung zum Verzicht auf Inhalationsanäs­
thetika während der Ein-Lungen-Ventilation ab­
geleitet werden kann.
1
Merke
Die hypoxische pulmonale Vasokonstriktion
(HPV) verbessert das Ventilations-Perfusions-Ver­
hältnis und vermindert den Rechts-Links-Shunt.
3
■■ Beatmungsstrategie
bei Ein-Lungen-Ventilation
Generell sollte die ▶ druckkontrollierte Beatmung
bevorzugt werden, da sie unerwünschte Druckerhöhungen in der Lunge sicher vermeidet. Eine gute
oder sogar die bessere Alternative sind druckkontrollierte volumenkonstante Beatmungsverfahren
wie ▶ AutoFlow oder ▶ BiLevel-VG.
Merke
Lungenprotektive Strategien auch bei der EinLungen-Ventilation.
Die Einstellung der Beatmungsparameter sollte
sich auch bei der Ein-Lungen-Ventilation an den
Grundsätzen der lungenprotektiven Beatmung orientieren. Da gerade bei vorgeschädigten Lungen
ein hohes Risiko für die Entwicklung eines Baround/oder Volutraumas besteht, sollte der inspiratorische Spitzendruck angesichts der halbierten
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3
3
3
3
3
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1
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3
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3
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3
3
3 Beatmungsformen
FRC auf maximal 30 mbar begrenzt werden. Ebenso wichtig ist die Reduktion der Atemzugvolumina (< 5 ml/kg KG), da ja nur eine Lunge beatmet
wird. Selbstverständlich wird die Einstellung des
Tidalvolumens auf das ideale Körpergewicht bezogen. Auf eine ausreichende Exspirationszeit ist
zu achten, da bei der Ein-Lungen-Ventilation häufig intrinsic-PEEP-Phänomene beobachtet werden.
Wenn möglich, sollte der intrinsische PEEP daher
engmaschig gemessen werden. Die Beatmungsfrequenz sollte so gewählt werden, dass das resultierende Atemminutenvolumen eine ­ausreichende
CO2-Elimination gewährleistet. Da eine Hypokapnie eine Vasodilatation in der nicht ventilierten Lunge verursacht, sollte sie nach Möglichkeit
ebenso vermieden werden wie eine Hyperkapnie,
die zur Vasokonstriktion in der ventilierten Lunge
führt: Beides bewirkt eine Zunahme des RechtsLinks-Shunts. Dennoch sollte, wenn die Normoventilation nur durch eine Steigerung der Ventilation unter Vernachlässigung lungenprotektiver
Grundsätze zu erreichen ist, eher die Hyperkapnie
in Kauf genommen werden. Trotz der pathophysiologischen Nachteile wird sie meist gut toleriert
und normalisiert sich postoperativ schnell wieder.
Beachte
Wegen des gestörten Ventilations-PerfusionsVerhältnisses bei der Ein-Lungen-Ventilation
kann der arterielle paCO2 anhand der endex­
spiratorisch gemessenen CO2-Konzentration in
der Atemluft (petCO2) nur unzureichend abge­
schätzt werden.
Merke
Engmaschige Überwachung des intrinsischen
PEEP.
Beatmung mit PEEP?
Die Beatmung mit PEEP kann die Oxigenierung sowohl positiv als auch negativ beeinflussen. Der Effekt hängt im Wesentlichen davon ab, ob die FRC
der ventilierten Lunge optimierbar ist. In jedem
Fall muss eine Überblähung der Lunge durch einen
inadäquat hohen PEEP vermieden werden, da sie
zur Kompression kleinerer Lungengefäße mit Blut­
umverteilung in die nichtventilierte Lunge führt.
Liegt dagegen eine Reduktion der FRC durch Atel­
ektasen/Dystelektasen vor, kann die Applikation
eines PEEP zwischen 5 und 10 mbar zur Optimierung der funktionellen Residualkapazität und damit zur Verbesserung der Oxigenierung beitragen.
Allgemein wird empfohlen, die ventilierte Lunge
generell mit einem niedrigen PEEP von 5 mbar bis
maximal 10 mbar zu beatmen.
Merke
Die Entscheidung zum Einsatz und zur Höhe des
PEEP muss individuell erfolgen.
Die Beaufschlagung der nicht ventilierten Lunge
mit einem niedrigen PEEP über ein separates, einfaches CPAP-System kann ebenfalls zu einer deutlichen Verbesserung der Oxigenierung (siehe auch
Kapitel „Seitengetrennte Beatmung“, S. 165) beitragen. Der PEEP verhindert den Totalkollaps der
nichtventilierten Lunge und ermöglicht eine zusätzliche Sauerstoffaufnahme über die nichtventilierte Lunge (apnoische Oxigenierung).
Hinweis
Von einigen Autoren wird empfohlen, bei unzu­
reichender Oxigenierung zunächst die nicht ven­
tilierte Lunge und erst in einem zweiten Schritt
auch die ventilierte Lunge mit einem PEEP von
5 mbar zu beaufschlagen. Ist der Effekt immer
noch unzureichend, soll dann eine Anhebung
des PEEP-Niveaus auf 10 mbar in beiden Lungen
erfolgen. Dabei muss allerdings beachtet wer­
den, dass die Beaufschlagung der nichtventilier­
ten Lunge mit einem höheren PEEP die Operati­
onsbedingungen erheblich verschlechtern kann.
Die einfachste und effektivste Methode zur Aufrechterhaltung einer suffizienten Oxigenierung
ist die Ventilation der beatmeten Lunge mit 100 %
Sauerstoff. Sie gewährleistet in der Regel nicht nur
eine ausreichende arterielle Oxigenierung, sondern bewirkt über die Vasodilatation der Pulmonalgefäße auch eine Zunahme der Perfusion der
ventilierten Lunge. Allerdings wird gleichzeitig die
Entstehung von ▶ Resorptionsatelektasen begünstigt, wodurch möglicherweise die Shuntfraktion
wieder erhöht wird.
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.11 Ein-Lungen-Ventilation und seitengetrennte Beatmung
Merke
Sicherstellung der Oxigenierung durch Beat­
mung mit einer FiO2 von 1,0.
Ventilator I
MASTER
165
1
Ventilator II
SLAVE
3.11.2 Seitengetrennte Beatmung
ILV, Independent Lung Ventilation
Die seitengetrennte Beatmung der Lungen mit 2
separaten Respiratoren (Independent Lung Ventilation, ILV) ist das intensivmedizinische Äqivalent
zur ▶ Ein-Lungen-Ventilation während der Narkose. Durch die sparate Beatmung beider Lungen soll
den spezifischen atemmechanischen Eigenschaften der erkrankten Lungen besser Rechnung getragen werden als durch die gemeinsame Beatmung
beider Lungen mit einem Respirator (Abb. 3.50). Indikationen für die seitengetrennte Beatmung werden daher bei unilateralen oder ausgeprägt seitenbetonten bilateralen Lungenschädigungen gesehen, bei denen eine unterschiedliche Compliance
beider Lungen vorliegt. Durch ILV und angepasste Beatmung beider Lungen soll die Umverteilung
der Beatmungsvolumina von der „steiferen“ Lunge
mit geringerer Compliance zugunsten der gesunderen Lunge mit besserer Compliance verhindert
werden. Dadurch soll die volumenbedingte, alveoläre Überdehnung und damit die iatrogene Schädigung noch intakter Lungenbezirke (▶ Volutrauma)
vermieden werden.
Indikationen bestehen daher bei (vorwiegend)
einseitigem Auftreten von
●● schwerer Lungenkontusion,
●● schwerer Aspiration,
●● ausgedehnten Atelektasen.
Hinweis
In Anbetracht der Schwierigkeiten bei der tech­
nischen Umsetzung sowie der Tubusproblema­
tik werden außer bei den o. g. Krankheitsbildern
heute kaum noch als Indikationen für die ILV ge­
sehen. Auch die Ausdehnung einer einseitigen
Pneumonie auf die gesamte Lunge bei langzeit­
beatmeten Patienten kann durch ILV dauerhaft
nicht verhindert werden. Dagegen kann die zeit­
lich begrenzte ILV bei schweren einseitigen –
z. B. traumatischen – Lungenblutungen durch­
aus vorteilhaft sein.
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Abb. 3.50 Seitengetrennte Beatmung. Synchro­
nisation zweier Respiratoren nach dem „Slave and
master“-Prinzip.
Zu den wichtigsten Indikationen für die ILV zählen heute die Behandlung großer bronchopulmonaler Fisteln sowie die persistierende postoperative Bronchusstumpfinsuffizienz nach Trauma oder
Operation (Tab. 3.3). Meist wird die Lunge mit der
Leckage mit deutlich geringeren Drücken/Volumina oder auch nur mit CPAP beaufschlagt, um einen
totalen Kollaps der Lunge zu verhindern. Idealerweise wird in diesen Fällen der CPAP knapp unterhalb des Öffnungsdrucks der Fistel eingestellt.
Hierdurch wird die Heilung der Fistel unterstützt,
ohne die Ventilation der anderen Lunge wesentlich
zu beeinträchtigen.
■■ Beatmungsstrategien
Die Applikation der Tidalvolumina sowie die Einstellung von I/E-Verhältnis und selektivem PEEP
mit 2 Respiratoren kann synchron oder asynchron
durchgeführt werden. Bei der synchronen Ventilation werden die Respiratoren nach dem „Master and slave“-Prinzip elektronisch gekoppelt.
Dabei steuert der Inspirationsimpuls des einen
­Respirators den anderen. Voraussetzung sind zwei
­typengleiche Respiratoren. Bei der asynchronen
Ventilation können zusätzlich die Beatmungsfrequenzen beider Respiratoren, die nicht typengleich sein müssen, unabhängig voneinander variiert werden. Von den meisten Klinikern wird
die synchronisierte Form bevorzugt, obgleich diese offenbar keine wesentlichen Vorteile aufweist.
Wichtiger als die Art der technischen Realisierung
der ILV scheint die Verteilung der Tidalvolumina
aus: Rathgeber, Grundlagen der maschinellen Beatmung (ISBN 9783131487926) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
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auf die Lungen sowie die Einstellung des selektiven PEEP zu sein. Beide Parameter müssen individuell an die unterschiedlichen pulmonalen Gegebenheiten der Lungen angepasst werden, wobei
generell die druckkontrollierte Beatmung bevorzugt werden sollte.
Eine weitere Variante ist die alternierende Ventilation. Hierunter versteht man eine synchronisierte Beatmung nach dem „Slave and master“Prinzip, bei der die beiden Ventilatoren zeitversetzt
arbeiten. Durch die elektronische Verbindung der
Respiratoren lässt sich jede beliebige Phasenverschiebung erreichen. Im Einzelfall kann durch die
niedrigeren intrathorakalen Drücke eine geringere
Beeinträchtigung der Hämodynamik resultieren.
■■ Klinische Bedeutung
Trotz einiger theoretischen Vorteile lässt sich die
Prognose einseitiger Lungenerkrankungen durch
ILV in der Regel nicht positiv beeinflussen. Dies
gilt insbesondere für den Einsatz von ILV bei der
schweren respiratorischen Insuffizienz. Zusätzlich
muss berücksichtigt werden, dass die Intubation
mit einem Doppellumentubus sowie die Betreuung und Überwachung des Patienten erhebliche
Erfahrung beim ärztlichen und pflegerischen Personal voraussetzen. Ein wesentlicher Nachteil ist
die erschwerte Bronchialtoilette aufgrund der kleinen Tubuslumina. Da die akzidentelle Dislokation
des Tubus in kürzester Zeit zur vitalen Bedrohung
für den Patienten werden kann, müssen die Patienten immer tief sediert, ggf. sogar relaxiert werden.
Diese methodenspezifischen Nachteile müssen im
Einzelfall den zu erwartenden Vorteilen kritisch
gegenübergestellt werden. Die schwere einseitige
Pneumonie und das ARDS sind daher keine Indikation für die seitengetrennte Beatmung.
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3.12 Weiterführende Literatur
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