SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero – Forum Medical Svizzer Swiss Medical Forum 1058 C. A. Burkart, A. Arnoux, C. Bourgau Kuckucksei in scheinbar banalem Befund einer medianen Halszyste 1055 J. Everts-Graber, S. Wirz, F. Martius Eine hämodynamisch relevante Diät With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly” 45 4. 11. 2015 1050 K. Nirgianakis, U. Novak, M. D. Mueller Interdisziplinäre Behandlung des Endometriumkarzinoms 1044 M. C. Claussen, S. M. Ewers, U. Schnyder, et al. Psychische Probleme und Erkrankungen im Leistungssport Offizielles Fortbildungsorgan der FMH Organe officiel de la FMH pour la formation continue Bollettino ufficiale per la formazione della FMH Organ da perfecziunament uffizial da la FMH www.medicalforum.ch 1041 INHALTSVERZEICHNIS Redaktion Beratende Redaktoren Prof. Dr. Nicolas Rodondi, Bern (Chefredaktor); Dr. Nadja Pecinska, Prof. Dr. Reto Krapf, Luzern; Prof. Dr. Ludwig T. Heuss, Zollikerberg; Basel (Managing editor); Prof. Dr. David Conen, Basel; Dr. Pierre Périat, Basel Prof. Dr. Martin Krause, Münsterlingen; Prof. Dr. Klaus Neftel, Bern; Prof. Dr. Rolf A. Streuli, Langenthal; Prof. Dr. Antoine de Torrenté, La Chaux-de-Fonds; Prof. Dr. Gérard Waeber, Lausanne; Dr. Maria Monika Wertli, Bern Advisory Board Dr. Sebastian Carballo, Genève; Dr. Daniel Franzen, Zürich; Dr. Francine Glassey Perrenoud, La Chaux-de-Fonds; Dr. Markus Gnädinger, Steinach; Dr. Matteo Monti, Lausanne; Dr. Sven Streit, Bern; PD Dr. Ryan Tandjung, Zürich Und anderswo …? A. de Torrenté 1043 Ischämische Präkonditionierung: die Technik der Zukunft? Übersichtsartikel M. C. Claussen, S. M. Ewers, U. Schnyder, W. Frey, C. Schmied, G. Milos 1044 Psychische Probleme und Erkrankungen im Leistungssport Lange Zeit wurde eine geringere Häufigkeit psychischer Probleme und Erkrankungen bei Leistungs-/Spitzensportlerinnen und -sportlern angenommen. Dies ist mit ein Grund für die Unterentwicklung spezialisierter psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlungsangebote und -einrichtungen. Betroffene Sportler werden im Allgemeinen selten oder häufig erst verspätet zur psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung zugewiesen. K. Nirgianakis, U. Novak, M. D. Mueller 1050 Interdisziplinäre Behandlung des Endometriumkarzinoms ­ Das Endometriumkarzinom ist der häufigste gynäkologische Tumor und weltweit die sechsthäu figste maligne Erkrankung. Die jährliche Inzidenz in Westeuropa beträgt 21,6 pro 100 000. Die Erkrankung wird meist in frühen, auf den Uterus beschränkten Stadien und bei der postmenopausalen Frau aufgrund vaginaler Blutungen diagnostiziert. In der Prämenopause kann sich die Erkrankung durch Veränderungen in Intensität und Frequenz der Regelblutung manifestieren. Fallberichte Eine hämodynamisch relevante Diät J. Everts-Graber, S. Wirz, F. Martius 1055 Ein Mann mit einem grossen Hämatom am rechten Oberschenkel, welches ohne Trauma aufgetreten sei und an Grösse zugenommen habe, sowie ebenfalls spontan entstandenen punktförmigen Hautveränderungen stellte sich auf der Notfallstation vor. 1042 INHALTSVERZEICHNIS Fallberichte Kuckucksei in scheinbar banalem Befund einer medianen Halszyste C. A. Burkart, A. Arnoux, C. Bourgau 1058 Ein Patient stellte sich zur Beurteilung einer zervikalen Schwellung vor. Bis auf die Schwellung gab er keinerlei Beschwerden an. Malignes Peritoneales Mesotheliom P. Baumann, M. Precup, M. Gugger, H.-M. Hoogewoud, D. C. Betticher 1061 Ein älterer Mann wird wegen eines rechtsseitigen persistierenden Pleuraergusses und zunehmender Dyspnoe zur weiteren Abklärung zugewiesen. Compendium 1064 compendium update Extended abstracts from SMW New articles from the online journal “Swiss Medical Weekly” are presented after page 1064. Impressum Manuskripteinreichung online: http://www.edmgr.com/smf ­ Verlag: EMH Schweizerischer Ärzte verlag AG, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 55, Fax +41 (0)61 467 85 56, www.emh.ch Hinweis: Alle in dieser Zeitschrift publizierten Angaben wurden mit der grössten Sorgfalt überprüft. Die mit Verfassernamen gezeichneten Ver öffentlichungen geben in erster Linie die Auffassung der Autoren und nicht zwangsläufig die Meinung der SMFRedaktion wieder. Die angegebenen Dosierungen, Indikationen und Applikationsformen, vor allem von Neuzulassungen, sollten in jedem Fall mit den Fachinformationen der verwendeten Medikamente verglichen werden. ­ ­ ­ ­ ­ © EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG (EMH), 2015. Das Swiss Medical Forum ist eine Open-Access-Publikation von EMH. Entsprechend gewährt EMH allen Nutzern auf der Basis der CreativeCommons-Lizenz «Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbei tungen 4.0 International» das zeitlich unbeschränkte Recht, das Werk zu ver vielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen unter den Bedingungen, dass (1) der Name des Autors genannt wird, (2) das Werk nicht für kommerzielle Zwecke verwendet wird und (3) das Werk in keiner Weise bearbeitet oder in anderer Weise verändert wird. 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Porto (kürzere Abonnementsdauern: siehe www.medicalforum.ch) ­ Redaktionsadresse: Ruth Schindler, Redaktionsassistentin SMF, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 58, Fax +41 (0)61 467 85 56, [email protected], www.medicalforum.ch ISSN: Printversion: 1424-3784 / elektronische Ausgabe: 1424-4020 Erscheint jeden Mittwoch ­ Marketing EMH / Inserate: Dr. phil. II Karin Würz, Leiterin Marketing und Kommunikation, Tel. +41 (0)61 467 85 49, Fax +41 (0)61 467 85 56, [email protected] ­ Swiss Medical Forum – Schweizerisches Medizin-Forum Offizielles Fortbildungsorgan der FMH und der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin Herstellung: Schwabe AG, Muttenz, www.schwabe.ch Titelbild: © Marcogovel | Dreamstime.com 1043 UND ANDERSWO …? Und anderswo …? Antoine de Torrenté Migräne: Hoffnung? Das Calcitonin-Gene-Related Peptide (CGRP) ist ein aus 37 Aminosäuren bestehendes Peptid, das durch dasselbe Gen wie Calcitonin codiert wird (daher sein Name). Dieses Peptid, das als Schmerzmediator fungiert, steht seit langem in Verdacht, eine Rolle bei Migräne zu spielen. 218 Migränepatienten mit einer ­ ­ und litten weniger häufig an Lobärpneumonie. Möglicherweise ist dieses Resultat auf die immunmodulierenden Eigenschaften der Ma krolide zurückzuführen … Physician’s First Watch. 2015; June 12. ­ ­ ­ ­ durchschnittlichen Häufigkeit von 7 Anfällen pro Monat wurden untersucht. 108 erhielten alle 2 Wochen s.c. einen CGRP-Antagonisten und 110 ein Plazebo. Nach 3 Monaten wiesen die Patienten unter Verumbehandlung eine signifikante Verringerung der Anfallstage pro Monat (–4,2 vs. –3) auf. Eine Phase-3-Studie steht noch aus, aber Migränepatienten können zu hoffen wagen, da echte Migräne die Lebensqualität stark beeinträchtigt … Dodick, David W, et al. The Lancet Neurology, Volume 13, Issue 9, 885–892. ­ Digoxin: sicher? Die Patienten der ROCKET-AF-Studie (n = 14 171), in der Rivaroxaban mit Vitamin-K-Antagonisten bei Patienten mit VHF verglichen wurde, dienten als Grundlage für diese retrospektive Studie. 37% davon erhielten Digoxin. Nach der Bereinigung um Störfaktoren war die Gesamt sterblichkeit der Patienten unter Digoxin pro 100 Patientenjahre um den Faktor 5,4 erhöht, gegenüber 4,3. Die HR betrug 1,17. Die Zahl der vaskulär bedingten Todesfälle war um den Faktor 3,55 vs. 2,69, HR 1,19 und die der plötzlichen Herztodfälle um 1,68 vs. 1,12 erhöht, HR 1,36. Diese Zahlen widersprechen den Resultaten der DIG-Studie über Patienten mit Herzinsuffizienz im Sinusrhythmus, die keine Zunahme der kardiovaskulären Ereignisse im Vergleich zu Pa tienten ohne Digoxinbehandlung gezeigt hatte. Es fehlt eine grosse prospektive Studie über die Anwendung von Digoxin bei Patienten mit VHF (die wahrscheinlich nie durchgeführt wird …). Washam JB, et al. Lancet. 2015;385:2363. Ambulant erworbene Pneumonie (CAP): Makrolide 20–60% der CAP werden durch Pneumokokken verursacht, die Resistenz des Keims gegen Makrolide kann jedoch bis zu 35% betragen. Dennoch werden diese weiterhin als Monooder Kombinationstherapie empfohlen. Von 2000–2013 wurde eine retrospektive Studie über Pneumokokken-bedingte CAP mit 643 Patienten durchgeführt. 139 davon wiesen gegen Makrolide resistente Keime auf. 68% dieser Patienten erhielten eine Kombinationsbehandlung mit und 32% ohne Makrolide. Die Patienten unter Makroliden mussten seltener auf der Intensivstation aufgenommen werden SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(45):1043 ­ ­ Appendizitis: Antibiotika oder Operation? Die finnische Studie untersuchte 530 Patienten mit akuter unkomplizierter Appendizitis, die durch ein CT bestätigt worden war. Eine Gruppe wurde operiert und eine zunächst intravenös mit Ertapenem sowie anschliessend eine Woche lang oral mit Levofloxacin und Metronidazol behandelt. Ausser bei einem Patienten verlief die OP bei allen erfolgreich. In der Antibiotikagruppe wurden 27% im Jahr nach der AB-Therapie operiert. Es gab keine Todesfälle. Für Patienten mit unkomplizierter Appendizitis ist die AB-Therapie eine Option, wobei die hohe Interventionsrate im Jahr nach der Behandlung zu bedenken ist. Letztlich müssen die Patienten nach entsprechender Aufklärung selbst entscheiden. Salminen P, et al. JAMA. 2015;313(23):2340–8. Probleme und Kommentar Die pathophysiologischen Schutzmechanismen einer ischämischen «Fern»-Präkonditionierung sind bis dato unklar. Den Erfahrungen nach zu urteilen, scheint die Methode bei Lungen-, Leber-, Darm- und Herzoperationen zu funktionieren. Anscheinend werden bei einer IP die Zellen des jeweiligen Organs unter dem Einfluss der ausgeschütteten Moleküle zeitweise abgeschaltet und sind somit unempfindlicher gegen Läsionen, insbesondere längere Ischämiephasen. Diese Studie ist eine der bedeutendsten über IP an Patienten. Sollten sich die Resultate bestätigen, könnte die extrem simple Methode die Behandlung von Risikopatienten revolutionieren. Die Idealdauer der IP bei den verschiedenen Eingriffen sowie mögliche Nebenwirkungen sind noch unbekannt, das Konzept ist jedoch faszinierend! Zarbock A, et al. JAMA. 2015;313:2133. ­­ Methode Die randomisierte, verblindete Studie fand in Deutschland statt. Mittels Cleveland-Score wurden die Patienten mit hohem Risiko für Resultate In der IP-Gruppe erlitten 45 der 120 Patienten eine Niereninsuffizienz gegenüber 63/120 in der Scheineingriffsgruppe. Dies bedeutet eine absolute Risikoreduktion von 15%, p = 0,02. Ferner wurde mit der IP eine absolute Risikoreduktion der Patienten mit Dialysebedarf (7 vs. 19 Patienten) sowie eine Verringerung der Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation um einen Tag erzielt, p = 0,001 bzw. 0,04. Zudem wurde in der IP-Gruppe ein signifikanter Rückgang der Marker für tubuläre Läsionen im Urin beobachtet. ­ ­ Fragestellung Akute Niereninsuffizienz ist eine bekannte Komplikation nach Herzoperationen. Etwa 30% der Patienten leiden nach dem Eingriff an einer eingeschränkten Nierenfunktion. Glücklicherweise kommt es nur selten zum Einsatz einer Dialyse, aber wenn, mit sehr schlechter Prognose. Selbst ein leichter Anstieg des Kreatininwerts ist jedoch mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität assoziiert. Der Grund für die gestörte Nierenfunktion ist eine Zerstörung der Zellen der Nierenkanälchen. Durch die ischämische Präkonditionierung (IP, siehe unten) werden zahlreiche Moleküle ins Blut ausgeschüttet, die von den Glomeruli gefiltert werden und zelluläre Abwehrreaktionen bewirken, welche die Inzidenz einer Niereninsuffizienz nach der OP verringern können. Welche Wirkung hat die IP auf die Häufigkeit von Niereninsuffizienz nach Herzoperationen? akute Niereninsuffizienz ermittelt. Nach Einleitung der Anästhesie erhielten 120 Patienten eine IP durch das 3-malige Aufpumpen einer Blutdruckmanschette auf 200 mm Hg oder mindestens 50 mm Hg unterhalb des systo lischen BD-Werts während 5 Minuten mit einer 3× 5-minütigen Pause in unaufgepumptem Zustand. 120 weitere Patienten erhielten eine Schein-IP mit einem Druck von 20 mm Hg. Anästhesisten, Operateure und Pflegepersonal wussten nicht, welcher Gruppe die Patienten angehörten. Eine Niereninsuffizienz war de finiert als ein um das 2- bis 3-Fache erhöhter Kreatininwert oder eine Abnahme der glomerulären Filtrationsrate um >50 ml/min. Anhand von Blut- und Urinproben wurden zahlreiche am Zellschutz beteiligte oder als Lä sionsmarker fungierende Moleküle bestimmt (HMGB, IGFBP7, NGAL, TIMP-2). Primärer Endpunkt war eine Niereninsuffizienz innerhalb von 72 Stunden nach der Operation. Ischämische Präkonditionierung: die Technik der Zukunft? 1044 ÜBERSICHTSARTIKEL Sportpsychiatrie und Sportpsychotherapie Psychische Probleme und Erkrankungen im Leistungssport Malte Christian Claussen a , Simon Manuel Ewers a , Ulrich Schnyder a , Walter Frey b , Christian Schmied c , Gabriella Milos a a b c Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, UniversitätsSpital, Universität Zürich balgrist move>med, Swiss Olympic Medical Center, Uniklinik Balgrist, Universität Zürich Sportmedizin/Sportkardiologie «approved by Swiss Olympic» und «FIFA Medical Centre of Excellence», Kardiologisches Ambulatorium, Universitäres Herzzentrum Zürich, UniversitätsSpital, Universität Zürich Lange Zeit wurde eine geringere Prävalenz psychischer Probleme und Erkrankungen bei Leistungs-/Spitzensportlerinnen und -sportlern angenommen. Dies ist mit ein Grund für die Unterentwicklung spezialisierter psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlungsangebote und -einrichtungen. Betroffene Sportler werden häufig nicht oder wenn, dann erst verspätet der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung zugewiesen. Einführung Definition Elite-Athlet (Spitzensportler): An athlete with potential for competing in the Olympics or as a professional athlete; elite athletes are at increased risk for injuries, given the amount of training, for psychological abuse by coaches and parents, and self-abuse. McGraw-Hill, «Concise Dictionary of Modern Medicine» Zur Häufigkeit psychischer Probleme und Erkrankungen im Leistungssport liegen noch nicht ausreichende und teils widersprüchliche Daten vor. Trotzdem ist davon auszugehen, dass psychische Probleme und Erkrankungen im Leistungssport mindestens so häufig vorhinaus gibt es deutliche Hinweise auf eine Sportspe ­ kommen wie in der Allgemeinbevölkerung [1]. Darüber zifität psychischer Probleme und Erkrankungen wie auch geschlechts- und sportartenspezifische Häufungen [2–4]. Eine gründliche Exploration des Sportlers ist der erste unverzichtbare Schritt und die Grundlage einer erfolgreichen Behandlung. Eine Verleugnung psychischer rungen, aber auch in der Persönlichkeit des Sportlers ist aber häufig, so dass die Exploration oft nicht nur des und seines spezifischen Umfelds begründet liegt, muss Sportlers selbst, sondern auch von Familienmitglie- berücksichtigt werden. Eine weitere, sehr gute Erklärung dern, Trainern und Betreuern angezeigt ist. Die teil- bzw. Vertiefung des Einflusses der Persönlichkeit, des weise spezifische klinische Präsentation psychischer Wettkampfdrucks, aber auch des Umfeldes, findet sich Erkrankungen, die in der wechselseitigen Beziehung bei Glick und Kollegen [5]. Oftmals bedarf es durch sportspezifischer körperlicher und seelischer Anforde- Training und Wettkämpfe einer hohen Flexibilität des SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM Malte Christian Claussen Probleme, die ein eigentliches Tabuthema darstellen, 2015;15(45):1044–1049 1045 ÜBERSICHTSARTIKEL zuerhalten [10]. Dopingregularien beachtet werden. In Europa gelangten psychische Erkrankungen im Leis- Mit dem folgenden Artikel soll der Begriff der Sport- tungssport jüngst in den Fokus nationalen Interesses psychiatrie und -psychotherapie eingeführt und eine nach Berichten von Depressionen und Suiziden, vor Übersicht über die im Leistungssport auftretenden allem im Fussball. An dieser Stelle ist insbesondere der psychischen Probleme und Erkrankungen mit ihren Suizid des deutschen Fussballnationaltorhüters Robert sportspezifischen Besonderheiten gegeben werden. Enke im November 2009 zu nennen, in dessen Folge es Hinsichtlich einer weiteren, vertiefenden Betrachtung 2010 zur Gründung des Referats «Sportpsychiatrie und der Entwicklung der Sportpsychiatrie und der spezi -psychotherapie» der Deutschen Gesellschaft für Psych­ ­ ­ Sportlers mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit aufrecht- Medikamenten Training und Wettkämpfe und die ­ Behandlers, auch müssen bei einer etwaigen Gabe von fischen psychischen Probleme und Erkrankungen im iatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nerven­ Leistungssport, aber auch ihrer Behandlung, wird auf heilkunde (DGPPN) kam [1]. Die Zielsetzung des Referates die am Ende angegebene Literatur verwiesen. besteht in der Prävention, Behandlung und Erhaltung der seelischen Gesundheit im Leistungssport sowie in der Erforschung und besseren Integration der Sport- Sportpsychiatrie und -psychotherapie ­ und Bewegungstherapie in die Behandlung psychischer Erkrankungen. In den «DGPPN-Zentren für seelische Die Sportpsychiatrie und -psychotherapie ist eine junge Gesundheit im Sport», an mittlerweile neun deutschen Spezialisierung innerhalb der Psychiatrie, die sich in psychiatrischen Universitätskliniken wird ein sportgebot bereitgestellt. auf die Steigerung der Leistung konzentriert, zielt die Ein erstes spezialisiertes Angebot für Leistungssportle- Sportpsychiatrie auf die Diagnostik und Behandlung rinnen und -sportler mit psychischen Problemen und psychischer Erkrankungen. Ihren Ursprung in der medi Erkrankungen in der Schweiz wird seit 2014 an der Klinik zinischen Literatur nimmt sie Anfang der 90er Jahre, für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitäts- Begel beschrieb die Sportpsychiatrie als Anwendung Spitals Zürich aufgebaut. Mit der Einbindung in das Zen- der Grundsätze der Praxis der Psychiatrie in der Welt trum für Essstörungen liegt ein wesentlicher Schwer des Sports [6]. Aber im Grunde muss man deutlich punkt im Bereich der Essstörungen und der Sportsucht weiter zurückgehen; so lautete bereits der Titel der bzw. des Sportzwangs, aber auch die Beratung und Be- Eröffnungsvorlesung des 1. deutschen Sportärztekon- handlung bei anderen psychischen Problemen und Er- gresses 1912 in Oberhof «Sportübertreibungen» [7], krankungen von Leistungssportlern soll dieses neue ­ ­ ­ psychiatrisch-psychotherapeutisches klinisches An Gegensatz zur Sportpsychologie, die sich hauptsächlich ­ den letzten Jahren kontinuierlich entwickelt hat. Im Angebot ermöglichen. Die Sportpsychiatrie zielt auf die Diagnostik und Behandlung psychischer Erkrankungen aber auch die von Jokl und Guttmann 1932 beschriebe- Psychische Probleme und Erkrankungen bei Leistungssportlerinnen und -sportlern ­ nen neurologisch-psychiatrischen Symptome eines BoPsychische Probleme und Erkrankungen kommen im Sportpsychiatrie betrachtet werden [8]. Leistungssport wenigstens genauso häufig vor wie in Nach Glick und Horsfall gibt es drei Hauptgründe für der Allgemeinbevölkerung [1]. Insgesamt sind sie aber die Notwendigkeit der Sportpsychiatrie. Erstens hat bisher, mit Ausnahme der Essstörungen, nur wenig der Gemütszustand des Athleten einen signifikanten untersucht. Sie präsentieren sich häufig als klinisches Einfluss auf die Leistung. Zweitens beeinflusst die Teil- Bild, das spezifisch ist für die Population der Sportler. habe an Sport Stimmung, Denken, Persönlichkeit und Beispiele für die Sportspezifität bzw. sportspezifische Gesundheit der Teilnehmer in spezifischer Weise. Drit- psychische Erkrankungen sind die Sportsucht und An- tens muss die psychiatrische Versorgung des Athleten orexia athletica und für die Geschlechts- und Sport an den athletischen Kontext angepasst werden, um artenspezifität die Essstörungen. So finden sich diese wirksam bzw. erfolgreich zu sein [9]. Weiter beschreiben mehrheitlich in den sogenannten Leanness Sports (Ma- Glick und Kollegen als primäre Ziele der Spezialisie- gerkeitssportarten wie z.B. Langstreckenlauf, Kunst- ­ ­ xers könnten als erste Schritte in der Entwicklung der turnen und Eiskunstlauf) und wie unter Nicht-Sportlern der Leistungsfähigkeit des Athleten durch Förderung häufiger bei weiblichen als männlichen Sportlern. Die psychischer Stärken, aber auch den Umgang mit psych folgende Reihenfolge psychischer Probleme und Erkran ­ ­ rung die Optimierung der körperlichen Gesundheit, SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM iatrischen Symptomen während der Lebenszeit des 2015;15(45):1044–1049 kungen orientiert sich am ICD-10. 1046 ÜBERSICHTSARTIKEL Doping / Schizophrenie und bipolar affektive Störung über hinaus ein signifikanter Zusammenhang zwischen Psychotische Störungen wie die Schizophrenie und psychiatrischen Symptomen. Auch unterscheidet sich Manie finden sich insgesamt sehr selten bei Leistungs- der Konsum unter den einzelnen Sportarten. So wiesen sportlern und manifestieren sich gewöhnlich nach der Fussballspieler, Schwimmer und Baseballspieler einen Einnahme anaboler Steroide. Pope und Katz berichte- höheren Konsum auf als Basketball- oder Volleyball- ten in einer Untersuchung an Sportlern, die anabole spieler. Auch das sogenannte binge drinking findet sich Steroide einnahmen, bei 12% Symptome psychotischer mit 25–50% unter Sportlern häufiger als unter Nicht- Störungen und bei 23% Symptome der bipolaren Stö- Sportlern (16–43%) [15]. Ford konnte zudem eine Sport- rung [11]. arten- und Geschlechtsspezifität nachweisen. Mit 46,9% Neben anabolen Steroiden werden auch weitere Doping- weisen Frauen im Fussball die höchste Rate an binge substanzen wie Wachstumshormone und Erythropoe- drinking-Verhalten auf, mit 75,4% sind es die Männer tin, aber auch Amphetamine, Ephedrin und Pseudo im Eishockey. Allgemein finden sich höhere Prävalenz- ­ - ­ der Alkoholmenge und Depressionen sowie generell ephedrin im Leistungssport konsumiert und sind raten in Teamsportarten als in Einzelsportarten [17]. diesbezüglich von grosser Relevanz. In einer von Breuer McDuff und Baron berichteten, dass der Ephedrinkon- und Hallmann 2013 veröffentlichen Studie des Deutschen sum unter Leistungssportlerinnen häufiger ist, während Bundesinstituts für Sportwissenschaft gaben 5,9% von Amphetamine häufiger von Männern im Leistungssport 1100 befragten deutschen Spitzensportlern an, regel- konsumiert werden. Bei Männern ist der Missbrauch mässig zu «dopen», während 40% der Befragten zu der von Amphetaminen weiter verbreitet in Kraftsportarten Frage keine Angaben machten [12]. Diese Tatsache lässt wie American Football, Lacross und Wrestling und in eine hohe Dunkelziffer vermuten. In einer Befragung Sportarten, die eine erhöhte Konzentration erfordern, von Pitsch und Kollegen 2005 lag der Anteil deutscher wie etwa Fechten und Schiesssport. Bei Frauen ist der Leistungssportler, die Dopingmittel im Verlauf ihrer Missbrauch von Amphetaminen im Eishockey, Turnen Karriere eingenommen haben, zwischen 26 und 48% und Feldsportarten wie Fussball und Feldhockey weiter [13]. In einer weiteren Untersuchung der Gruppe um verbreitet [16]. denselben Autor bejahten 35% den Konsum wissentlich Kau- und Schnupftabak ist eine weitere häufig konsu- eingenommener illegaler leistungssteigender Substan- mierte Substanz unter Sportlern. Reardon und Creado fassen in ihrer Metaanalyse zusammen, dass 23% der College-Sportler, 35–40% der professionellen Football- Soziale Aspekte und eine Verbesserung der Regeneration werden als Hauptgründe für sportbezogenen Substanzkonsum angegeben, gefolgt von Stimmungsaufhellung, Stress reduktion und Leistungssteigerung ­ Entspannung vor und nach dem Spiel sowie zur Er ­ spieler und 20–30% der Baseballspieler angaben, zur höhung der Konzentration und Leistungssteigerung ­ ­ während des Spiels, Tabak zu konsumieren [18]. Übertrainingssyndrom / Depression bare Häufigkeit und Geschlechterverteilung der Depres- tion werden als Hauptgründe für sportbezogenen Sub- sion wie unter Nicht-Sportlern [2, 4]. Einzelne Studien stanzkonsum angegeben, gefolgt von Stimmungsauf- berichten aber auch über ein häufigeres Vorkommen hellung, Stressreduktion und Leistungssteigerung [15]. bei Sportlern. So wurde zum Beispiel bei ungarischen ­ ­ ­ ­ ­ Athleten die Inzidenz der Depression mit 37,5% ange ­ Die meisten Untersuchungen belegen eine vergleich- Soziale Aspekte und eine Verbesserung der Regenera- ­ zen wenigstens einmal während ihrer Karriere [14]. läufer und 50% der Basketballspieler mindestens koholkonsum bzw. -missbrauch hier deutlich im Vorder- einmal während ihrer Sportkarriere eine Erschöp- grund steht [4]. Aber auch zahlreiche andere Substanzen fungsdepression erleiden. Sportspezifischer Auslöser werden von Sportlern häufiger konsumiert als von für Depressionen können neben Verletzung, Miss Nicht-Sportlern. erfolg bzw. ungenügender Leistung und Rücktritt von In einer Untersuchung unter nordamerikanischen der aktiven Laufbahn auch ein zu intensives Training College-Sportlern fand sich ein häufigerer Alkohol und wiederholte Gewalteinwirkungen auf den Kopf ­ ­ kenswerte Zahlen, so sollen 60% der Langstrecken schen Probleme bei Leistungssportlern, wobei der Al- ­ Substanzmissbrauch ist eines der häufigsten psychi- ­ geben [19]. In der Literatur finden sich weitere bemer- ­ Substanzmissbrauch: Alkohol-und Tabakkonsum erschütterungen erlitten haben, ein 1,5-fach erhöhtes bzw. 71 und 93% (Sportlerinnen) [16]. Es findet sich dar- Risiko auf, an einer Depression zu erkranken. Dieses SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(45):1044–1049 ­ sein. So weisen Sportler, die ein oder zwei Gehirn tiven Kollegen und lag zwischen 75 und 93% (Sportler) ­ konsum als bei ihren nicht regelmässig sportlich ak 1047 ÜBERSICHTSARTIKEL in der Bewältigung beruflicher und sozialer Aktivitäten auf das 3-Fache an [20]. sowie Unfähigkeit, die sportliche Tätigkeit einzustellen, Während der protektive Effekt von regelmässiger körper sind charakteristisch. In einer Untersuchung von licher Aktivität gut untersucht wurde und die Sym Resch und Haász wurde die Prävalenz der Sportsucht ­ ­ Risiko steigt bei drei oder mehr Gehirnerschütterungen wobei der angegebene Wert zu hoch erscheint, da in als eine psychische Antwort auf körperlichen Stress Untersuchungen unter Sportlern der Anteil derer mit verstanden werden. Das Übertrainingssyndrom ist einer Sportsucht oder Sportsuchtgefährdung mit 3 definiert als Verlust der Leistungsfähigkeit und fort- bzw. 4,5% berichtet wurde [26, 27]. ­ ­ in der Gesamtbevölkerung mit 3–4% angegeben [25], nen auf der anderen Seite Depressionen aber auch ­ ptome der Depression positiv beeinflussen kann, kön- dauerndes Gefühl von Erschöpfung, verbunden mit zität des Sportlers zur Erholung ist extrem reduziert. Essstörungen: Anorexia athletica, Female & Male Athlete Triad, Adipositas athletica Eine Vielzahl von Autoren postuliert, dass wie bei der Sportler in Ausdauersportarten oder Disziplinen, in Depression Serotonin eine entscheidende Rolle in der denen das individuelle Gewicht von grosser Bedeu- Ätiologie zukommt. Diese Bedingungen sind mitunter tung ist, weisen ein signifikant höheres Risiko auf, an Ursache dafür, dass eine Unterscheidung zwischen einer Essstörung zu erkranken [4]. Die Inzidenz der Depression und Übertrainingssyndrom in der akuten Essstörungen wird unter Kunstturnerinnen mit bis zu Phase schwierig sein kann. Dennoch ist es wichtig, 60% angegeben. Eine Untersuchung berichtete eine beide differentialdiagnostischen Überlegungen bei Prävalenz der Essstörungen von 15% unter Sportle einem Leistungssportler mit entsprechender Sympto- rinnen in den Leanness Sports, verglichen mit 2% in matik miteinzubeziehen. anderen Sportarten und 1% unter Nicht-Sportlerinnen, ­ ­ ­ ­ ­ ­ ­ ­ ­ exzessivem und andauerndem Training [2]. Die Kapa- während in den Leanness Sports bei 5% der Sportler eine Essstörung gefunden wurde [28]. In einer weiteren Unter den neurotischen Störungen sind insbesondere Untersuchung unter norwegischen Leistungssportlern die Angststörungen zu nennen, die sich häufig bei bei- wiesen 20,1% der weiblichen und 7,7% der männlichen den Geschlechtern finden. In einer französischen epi- Sportler eine Essstörung auf [29]. ­ Angsterkrankungen demiologischen Studie von Schaal und Kollegen Sportler in Disziplinen, in denen das individuelle Gewicht von grosser Bedeutung ist, weisen ein signifikant höheres Risiko auf, an einer Essstörung zu erkranken wurden Angststörungen vor allem bei weiblichen ­ Sportlerinnen in ästhetischen Sportarten wie Kunstturnen und Eiskunstlauf berichtet [21]. In ­ ­ einer Studie mit australischen Leistungssportlern berichteten Gulliver und Kollegen von Symptomen Neben den klassischen Essstörungen müssen bei Sport- Angststörung bei 7,1% und der Panikstörung bei 4,5%. lern vor allem aber die atypischen und subklinischen Verletzte Sportler wiesen in der australischen Studie Essstörungen beachtet werden. So können Sportler Ess- zudem eine höhere Symptomausprägung der generali- muster oder Aktivitätslevels zeigen, welche an anorek- sierten Angststörung auf [22]. tisches Verhalten erinnern, aber technisch nicht die ­ ­ der sozialen Phobie bei 14,7%, der generalisierten ­ diagnostischen Kriterien der Anorexia nervosa erfüllen. Sportsucht, Sportzwang / nicht stoffgebundene Süchte Pugliese und Kollegen prägten 1983 den Begriff der An- Unter den nicht stoffgebundenen Süchten ist vor allem Essstörung beschreibt und in der Folge durch Sundgot- die Spielsucht zu nennen. Kerber fand bei einer Befra- Borgen weiter modifiziert wurde [30–32]. Die Female ­ gung von über 600 College-Sportlern bei 15% ein pro orexia athletica, der eine sportassoziierte, subklinische Athlete Triad ist eine weitere sportspezifische Störung, die durch ein gestörtes Essverhalten, eine anstren lich häufiger bei Männern als bei Frauen [23]. gungsassoziierte Amenorrhoe (Amenorrhoe athletica, Als weitere sportspezifische Erkrankung ist hier aber hypothalamische Genese) und Osteoporose charakte- auch vor allem die Sportsucht oder der Sportzwang risiert ist und gewöhnlich bei Sportlerinnen, die die ­ ­ ­ blematisches bis pathologisches Spielverhalten, deut- rend die Prävalenz aller drei Komponenten in Kombi- häufiger und tritt gemeinsam mit weiteren Erkran- nation zwar insgesamt eher gering zu sein scheint und kungen wie zum Beispiel einer Essstörung auf [2]. Ge- mit 0–16% beziffert wird, finden sich eine oder zwei fühle von Euphorie nach intensivem Training, Not- Komponenten bei 50–60% der Sportlerinnen [34]. Die wendigkeit, die Sportdosis zu steigern, Schwierigkeiten Male Athlete Triad ist bisher im Vergleich zur Female SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(45):1044–1049 ­ Leanness Sports betreiben, beobachtet wird [33]. Wäh- primärer und ein sekundärer [24]. Letztgenannter ist ­ zu nennen. Veale beschrieb 1995 zwei Subtypen, ein 1048 ÜBERSICHTSARTIKEL siert ist, während sich kognitive Beeinträchtigungen erst im späteren Verlauf manifestieren [38, 39]. Auch erniedrigte Testosteron nicht erkannt werden. Wie bei neuropathologisch finden sich Unterscheide der bei- der Female Athlete Triad gehören zu der Symptomtrias den Formen. ­ ­ ­ Athlete Triad wenig untersucht, auch wird sie häufig nicht beachtet, weil meist die Konsequenzen durch das auch ein gestörtes Essverhalten und die Osteoporose. Hyponatriämie, Hyperthermie oder Hitzschlag können geführt wurde und Athleten mit grosser Fettmasse Ursachen für ein akutes Delir sein, das bei Ausdauer- beschreibt [35]. Beispiele finden sich im Sumo-Ringen sportlern wie Langstreckenläufern, Radsportlern und oder Freiwasser- und Langstreckenschwimmen. Triathleten auftreten kann. Aufmerksamkeitsdefizit-HyperaktivitätsSyndrom, ADHS Ausblick Die Diagnostik, Betreuung und Therapie von Leistungs übrigen genannten psychischen Problemen – Menschen drücken. Berger und Kollegen konnten zeigen, dass Personen mit ADHS-Symptomen in der Kindheit im sportlern mit psychischen Erkrankungen und Problemen ist dringend verbesserungsbedürftig, dies betrifft insbesondere auch die Prävention und Rehabilitation. Während in Deutschland seit Ende 2012 ein universi täres Netzwerk von mittlerweile neun «DGPPN-Zentren Erwachsenenalter eine signifikant höhere Frequenz ex- für seelische Gesundheit im Sport» existiert, fehlen in zessiven Trainings aufwiesen als Personen ohne ADHSSymptome in der Kindheit [36]. Eine der wenigen Studien zu ADHS im Leistungssport stammt von Solo- der Schweiz bisher weitere entsprechende klinische Angebote und ein Netzwerk von in Sportpsychiatrie ­ und -psychotherapie spezialisierten Psych iatern/ ­ mon und Haase, die bei 9% von 159 befragten Spielern ­ -innen und Psychotherapeuten/-innen. Es bedarf daher der National Football League entweder ein ADHS oder weiterer Anstrengungen und Initiative, mehr spezia eine Lernschwäche fand [37]. ­ Karriere einschlagen, um ihre Symptome zu unter ­ mit bereits bestehendem ADHS mitunter eine sportliche ­ ­ Es wird angenommen, dass – im Gegensatz zu den ­ Delir ein Begriff, der von Berglund und Kolleginnen 2011 ein- ­ Ergänzend ist noch die Adipositas athletica zu nennen, lisierte Behandlungsangebote und -einrichtungen sowie ein solches Netzwerk aufzubauen. Zusätzlich braucht es die Integration der Thematik in die Ausbildung von Die Folgen für die psychische Gesundheit von Sport Berufen wie Sportärzten, Sportpsychologen und Physio- arten, in denen Sportler einer hohen und wiederholten therapeuten, aber auch eine Sensibilisierung der in die Gefahr von Gewalteinwirkungen auf den Kopf aus medizinische Behandlung integrierten Kollegen wie ­ Kopfverletzungen: Dementia pugilistica / chronische traumatische Enzephalopathie, CTE ­ ­ ­ Trainern, Betreuern und anderen Sport-assoziierten gesetzt sind, wie etwa in Kampf-, Hochgeschwindig- zum Beispiel der Hausärzte. Letztendlich braucht es keits- oder kampfbezogenen Mannschaftssportarten aber eine Aufklärung der Sportler und ihres sozialen (Football, Rugby und Eishockey), sind bisher nicht aus- Umfelds wie auch der Gesellschaft, um ein früheres reichend verstanden [1]. Untersuchungen zeigen, dass das Risiko für eine Depression in Abhängigkeit der Zahl der Gehirnerschütterungen steigt [20]. Unklar ist, in welchem Ausmass wiederholte ­ ­ ­ Gewalteinwirkungen unterhalb der Stärke einer Es braucht eine Aufklärung der Sportler und ihres sozialen Umfelds, aber auch der Gesellschaft, um ein früheres Erkennen psychischer Probleme und Erkrankungen zu ermöglichen ­ Gehirnerschütterung ein Risikofaktor für eine ermöglichen. Dies mit dem Ziel einer frühen Zuwei- pugilistica), von dem schätzungsweise 20% der Boxer sung zu in der klinischen Versorgung tätigen Psychia- nach Karriereende betroffen sind, sind dagegen recht tern und Psychotherapeuten, die die sportspezifischen gut bekannt. Die klassische Definition beschreibt Besonderheiten und klinischen Unterschiede des Leis- Dr. med. hauptsächlich Störungen von Gang, Sprache und Kog- tungssportlers im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung Malte Christian Claussen nition sowie der Persönlichkeit und des Verhaltens, aber kennen. Klinik für Psychiatrie und auch extrapyramidale Symptome. Jüngste Studien zur Neben dem Genannten bedarf es darüber hinaus aber Psychotherapie CTE beschreiben eine moderne Variante, die durch ein noch einer Forschungsinitiative. In einem ersten Schritt frühes Auftreten affektiver Störungen, vor allem Depres- ist es wichtig, zunächst Studien über die Prävalenz sionen, Paranoia, Agitation und Aggression, charakteri- psychiatrischer Probleme und Erkrankungen im Leis- Culmannstrasse 8 CH-8091 Zürich malte.claussen[at]usz.ch SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(45):1044–1049 ­ ­ ­ UniversitätsSpital Zürich Korrespondenz: ­ Erkennen psychischer Probleme und Erkrankungen zu drome bei Boxern und das Boxersyndrom (Dementia ­ Depression sind. Parkinsonoide und dementielle Syn- 1049 ÜBERSICHTSARTIKEL tungssport, im Speziellen auch für die Schweiz, zu ent- Das Wichtigste für die Praxis wickeln. Es ist die Hoffnung der Autoren, dass hierdurch • Eine geringere Häufigkeit psychischer Erkrankungen bei Leistungssportlern im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung wurde lange Zeit angenommen. Dies hat mit zu einer Unterentwicklung spezialisierter, psychiatrisch langfristig Präventions- und Behandlungsstrategien erarbeitet werden können. Disclosure statement und psychotherapeutischer Behandlungsangebote und -einrichtungen Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. geführt. Titelbild © Marcogovel | Dreamstime.com • Psychische Probleme und Erkrankungen kommen im Leistungssport über hinaus gibt es deutliche Hinweise auf eine Sportspezifität psychischer Erkrankungen wie auch geschlechts- und sportartenspezifische – – Häufungen. Empfohlene Literatur ­ mindestens genauso häufig vor wie in der Allgemeinbevölkerung. Dar • In der Intervention bei Leistungssportlern sind Anpassungen der psych– iatrisch-psychotherapeutischen Diagnostik und Behandlung nötig. So bedarf es mitunter, bedingt durch Training und Wettkämpfe, einer hohen – Flexibilität des Behandlers, auch müssen bei der Gabe von Medikamenten zusätzlich die Dopingregularien beachtet werden. – • Die Sportpsychiatrie und -psychotherapie ist eine junge Spezialisierung innerhalb der Psychiatrie, die unter anderem Forschung, Diagnostik, ­ Behandlung und Prävention psychischer Erkrankungen im Leistungs- Bar KJ, Markser VZ. Sport specificity of mental disorders: the issue of sport psychiatry. European archives of psychiatry and clinical neuroscience. 2013;263 Suppl 2:S205–10. Psychische Erkrankungen bei Leistungssportlern. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Referat «Sportpsychiatrie und -psychotherapie», Positionspapier. 2013. Glick ID, Stillman MA, Reardon CL, Ritvo EC. 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In der Prämenopause kann sich die Erkrankung durch Veränderungen in Intensität und Frequenz der Regelblutung manifestieren. Das Endometriumkarzinom wird in zwei Kategorien unterteilt: das mit 80% häufigere, von atypischen - - ­ endometrialen Hyperplasien ausgehende Typ I Endo­ ­ ­ metrium karzinom entspricht histologisch endome­ - - trialen Adenokarzinomen. Typ II Karzinome verlaufen aggressiver und umfassen klarzellige und seröse Karzi­ zum Zeitpunkt der Diagnose wurde bislang in den Typ - nome sowie Karzinosarkome. Das Durchschnittsalter - II Karzinomen als höher betrachtet. Eine prospektive Studie mit mehr als einer Million Norwegerinnen, die Faktoren sind das hohe Alter bei der letzen Geburt sowie pen 65 Jahre). Kaffee und Teekonsum. - - Östrogenmetabolismus zu erklären. Andere protektive - 992 Typ II Karzinome einschloss, zeigte allerdings kei­ nen Unterschied (Durchschnittsalter in beiden Grup­ Aufgrund ihrer Östrogenabhängigkeit gelten Langzeit­ einnahmen von Östrogenen ohne Gestagenschutz, das metabolische Syndrom mit Adipositas, die frühe Men­ teilung nach FIGO (Tab. 1). zystischen Ovar Syndrom) als Risikofaktoren für die Gegenüber der früheren Einteilung von 1988, auf der Typ I Karzinome. Arterielle Hypertonie und Diabetes die derzeitige Behandlungsevidenz weitestgehend ba­ mellitus zählen ebenfalls zu den Risikofaktoren. Adi­ siert, entfällt die positive intraperitoneale Zytologie, positas scheint zusätzlich ein Risikofaktor für die Typ II die Unterteilungen des Stadiums I wurden reduziert, Karzinome zu sein. Ausserdem tritt ein Endome­ und im Stadium III ist die Unterscheidung eines Befalls triumkarzinom bei 40–60% der Patientinnen mit der pelvinen bzw. paraaortalen Lymphknoten neu. Lynch Syndrom und bei 5–10% der Patientinnen mit Durch diese Anpassungen wurde die prognostische Cowden Syndrom auf. Aussagekraft der neuen Stadieneinteilung verbessert: Hormonelle Kontrazeption dagegen senkt das Risiko für Das 5 Jahres Überleben im Stadium IA beträgt ~90%, Endometriumkarzinom um ca. 50%. Rauchen scheint 78% für das Stadium IB, und sinkt auf 57% für das ebenfalls ein protektiver Faktor zu sein. Sein protek­ Stadium IIIC1 resp. 49% bei paraaortalem Lymphkno­ tiver Effekt ist durch die Stimulation des hepatischen tenbefall (IIIC2). 2015;15(45):1050–1054 - - ­ - - - - - SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM ­ Seit 2009 gilt die aktualisierte Version der Stadienein­ oxifen sowie hohe Östrogenspiegel (z.B. beim poly­ - arche, die späte Menopause, Behandlungen mit Tam­ - Konstantinos Nirgianakis Staging und Risikoabschätzung 1051 Im Stadium I werden je nach histologischem Ausrei­ Eine 2013 publizierte, umfassende, molekulare Analyse fungsgrad (G1–3) und Histologie (endometrioider Typ vs. von 373 Endometriumkarzinomen identifizierte vier nicht endometrioider Typ) drei Risikogruppen definiert prognostisch unterschiedliche Subtypen. Das könnte (Tab. 2). künftig zu einer neuen Klassifikation führen, die even­ - bersichtsartikel Ü tuell die Therapie des Endometriumkarzinoms ändern Tabelle 1: Stadieneinteilung des Endometriumkarzinoms nach FIGO 2009. würde. Stadium I Tumor auf den Uterus beschränkt IA Keine oder <50% Infiltration des Myome triums IB >50% Infiltration des Myometriums Stadium II Befall des Zervixstromas Stadium III Ausbreitung jenseits des Uterus Bei dringendem Kinderwunsch und gut differenzier­ IIIA Uterusserosa und/oder Adnexe tem, endometrioidem Karzinom im Stadium T1a kann IIIB Vagina und/oder Parametrien eine fertilitätserhaltende Therapie erwogen werden, IIIC Pelvine und/oder paraaortale Lymphknoten wenn hysteroskopisch sichergestellt wurde, dass kein IIIC1 Pelvin Restkarzinom in utero verblieben ist. Eine Myome­ IIIC2 Paraaortal mit oder ohne Befall der pelvinen Lymphknoten triuminfiltration sowie eine Ovarialmetastasierung Stadium IV Befall nicht-genitaler Organe und/oder Fernmetastasen MRT und eine Laparoskopie ausgeschlossen werden. IVA Infiltration in die Schleimhaut von Blase und/oder Darm Die Patientinnen müssen über die höhere Rezidivwahr­ IVB Ausbreitung in die Bauchhöhle, inguinale Lymphknoten oder Fernmetastasen Notwendigkeit eines engmaschigen Follow ups infor­ ­ Chirurgie Kinderwunsch müssen durch einen transvaginalen Ultraschall, ein - scheinlichkeit, die Möglichkeit der Progression und die miert werden. Eine kontinuierliche orale Gestagen­ applikation mit Medroxyprogesteronacetat 200 mg/d Niedrig FIGO 1A, G1 und G2, endometrioider Typ Intermediär FIGO 1A, G3, endometrioider Typ FIGO 1B, G1 und G2, endometrioider Typ Hoch FIGO 1B, G3, endometrioider Typ FIGO 1A oder 1B, nicht-endometrioider Typ ist Therapie der Wahl. Dreimonatlich erfolgt eine Kon­ trolle mit transvaginalem Ultraschall, Hysteroskopie und Endometriumbiopsie. Eine Schwangerschaft ist erst nach unauffälligem Re Staging anzustreben, gege­ - Tabelle 2: Risikogruppen im Stadium I. benenfalls mit assistierter Reproduktion, um die Zeit­ dauer bis zur Schwangerschaft möglichst gering zu SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM Abbildung 1: Anatomische Strukturen nach laparoskopischer pelviner Lymphonodektomie. 2015;15(45):1050–1054 1052 bersichtsartikel Ü Abbildung 2: Indocyanine-green-(ICG-)markierter Sentinel-Lymphknoten iliakal rechts. halten. Nach erfülltem Kinderwunsch ist, aufgrund der keinen Überlebensvorteil für die alleinige pelvine hohen Rezidivgefahr, eine stadiengerechte chirurgische Lymphonodektomie nachweisen. Die Datenlage zur Therapie nötig. Bedeutung der systematischen pelvinen und para­ aortalen Lymphonodektomie ist spärlich; es gibt keine tive Kohortenstudie zeigte, dass Patientinnen mit mitt­ situation mit eingeschränkter Operabilität wird primär lerem oder hohem Rezidivrisiko, bei denen eine pel­ eine operative Therapie durchgeführt. Das systema­ vine und paraaortale Lymphonodektomie durchgeführt tische operative Staging besteht aus einer Hysterek­ wurde, eine längere Lebenserwartung hatten, als wenn tomie, bilateralen Adnexektomie und, je nach Stadium nur eine pelvine Lymphonodektomie durchgeführt und/oder Histologie, pelvinen und paraaortalen Lym­ wurde. Dieser Vorteil konnte bei niedrigem Risiko phonodektomie. In seltenen Fällen ist eine Omentek­ nicht festgestellt werden. tomie ebenfalls indiziert. Traditionellerweise wurde Auch wenn der direkte therapeutische Effekt der das Staging beim Endometriumkarzinom per Laparo­ Lymphonodektomie umstritten bleibt, wird generell tomie durchgeführt. In den letzten Jahren haben ver­ akzeptiert, dass sie zur Prognoseabschätzung und zur schiedene Studien jedoch das Staging via Laparotomie Entscheidung der adjuvanten Therapie dient. Wenn die mit dem via Laparoskopie verglichen. Da die eindeu­ Lymphknoten unauffällig sind, kann auf eine adju­ tigen Vorteile des laparoskopischen Vorgehens (weniger vante Therapie verzichtet werden, wodurch unnötige Komplikationen und kürzere Hospitalisation) im Ver­ Toxizität vermieden werden kann. gleich zur klassischen offenen Operation bei gleicher Da eine Lymphonodektomie sowohl die operative und Rezidivhäufigkeit und 5 Jahres Überlebensrate in rando­ postoperative Morbidität erhöht, sollte diese nur bei misierten Studien und Metaanalysen nachgewiesen hoher Wahrscheinlichkeit karzinombefallener Lymph­ wurden, sollte die Operation heutzutage standard­ knoten durchgeführt werden. Eine prospektive Kohor­ mässig laparoskopisch durchgeführt werden (Abb. 1). tenstudie zeigte, dass bei Patientinnen mit mittlerem Bezüglich Roboter assistierter Chirurgie wurden bis und hohem Rezidivrisiko in 17% die pelvinen und in 12% anhin keine Studien publiziert, die bei der operativen die paraaortalen Lymphknoten positiv waren. 55% der Therapie des Endometriumkarzinoms einen Vorteil im Patientinnen mit positiven pelvinen Lymphknoten Vergleich zur Laparoskopie demonstrieren würde. hatten auch positive paraaortale Lymphknoten. Zudem - - - ­ ­ ­ ­ prospektiven randomisierten Studien. Eine retrospek­ Ausser bei dringendem Kinderwunsch und Hochrisiko­ ­ Laparotomie vs. Laparoskopie hatten 3% der Patientinnen mit negativen pelvinen Interessanterweise zeigte die Mehrzahl der Patientin­ ektomie durchgeführt werden soll, und in welchem Aus­ nen mit positiven paraaortalen Lymphknoten einen mass. Zwei randomisierte Multizenterstudien, die beide Befall zwischen Nierengefässen und A. mesenterica in­ leider schwere formale Mängel aufweisen, konnten ferior (IMA). Bei mittlerem und höherem Rezidivrisiko SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(45):1050–1054 ­ Lymphknoten positive paraaortale Lymphknoten. Eine kontroverse Kernfrage ist, wann eine Lymphonod­ Lymphonodektomie: Ja oder Nein? 1053 bersichtsartikel (pT1b, pT1a G3 und alle nicht endometrioide Histo­ triumkarzinom im FIGO Stadium I mit niedrigem Ri­ logien) wird somit allgemein eine pelvine und para­ siko kein Zusatznutzen bringt. Auch wenn die externe, aortale Lymphonodektomie empfohlen. Bei geringem das heisst perkutane Bestrahlung die lokale Tumor­ Risiko dagegen (pT1a G1–2) bleibt die Wahrscheinlich­ kontrolle beim intermediären und hohen Risiko ver­ keit karzinombefallener Lymphknoten so gering (3– bessert, kann das Überleben dadurch nicht verlängert 5%), dass auf eine Lymphonodektomie verzichtet wer­ werden. Aufgrund der geringeren Toxizität bei gleicher den kann. Wirksamkeit ist die postoperative vaginale Brachythe­ - Ü rapie zur Therapie des frühen Endometriumkarzinoms Sentinel-Lymphknoten mit intermediärem bis hohem Risiko einer externen Wie bereits erwähnt ist eine Lymphonodektomie mit Bestrahlung vorzuziehen. - einer intra und postoperativen Morbidität verbunden. zwischen 5 und 38% angegeben. Zur Umgehung wird Adjuvante Chemotherapie in Kombination mit perkutaner Strahlentherapie das Konzept des Sentinel Lymphknotens auch beim In der Hochrisikosituation des frühen Endometrium­ Endometriumkarzinom zurzeit in verschiedenen lau­ karzinoms haben zwei Studien keinen Unterschied im fenden Studien evaluiert. Eine Metaanalyse von 26 Stu­ Überleben zwischen der postoperativen perkutanen Be­ dien mit 1101 Sentinel Lymphknotenoperationen zeigte strahlung im Vergleich zu einer Chemotherapie mit Cis­ platin, Cyclophosphamid und Doxorubicin gezeigt. Bei fortgeschrittenen Tumorstadien (FIGO III und operativ - gut behandelten Patientinnen mit FIGO IV Erkrankung) ist hingegen die Kombinationschemotherapie mit Doxo­ ­ ­ Das Konzept des Sentinel-Lymphknotens wird zurzeit auch beim Endometriumkarzinom in verschiedenen laufenden Studien evaluiert - - ­ - ­ Das Risiko für ein Lymphödem wird je nach Studie klar überlegen und verbessert das Überleben um 25%. insbesondere mittels ICG (indocyanine green-)Technik Die gepoolten Daten von 540 Patientinnen haben eine (Abb. 2), wird sich in Zukunft möglicherweise auch Reduktion des Rückfall und Todesrisikos und ein ver­ beim Endometriumkarzinom etablieren. Aktuell sollte bessertes krankheitsspezifisches Überleben gezeigt, sie allerdings nur unter Studienbedingungen durch­ wenn Hochrisiko Patientinnen eine kombinierte Radio geführt werden. Chemotherapie (perkutane Bestrahlung gefolgt von - - ­ - ­ - knotenmetastasen. Die Sentinel Lymphonodektomie, ­ rubicin und Cisplatin einer Ganzabdomenbestrahlung - eine Sensitivität von 93% für den Nachweis von Lymph­ Doxorubin/Cisplatin, oder Paclitaxel, Carboplatin mit lung vs. Radio Chemotherapie (perkutane Bestrahlung aktuelle Datenlage nicht bestätigt wird. Es scheint, dass + Cisplatin gefolgt von 4 Zyklen Carboplatin und Pacli­ die lymphovaskuläre Invasion ein besserer Indikator taxel). Die kombinierte Radio Chemotherapie, die wir für parametriane Ausbreitung ist als der Befall des aktuell unseren Patientinnen ab Stadium IB mit Hoch­ Zervixstromas. Somit wird bei FIGO II Endometrium­ risikokonstellation vorschlagen, ist somit aktuell nicht karzinomen nicht zwingend eine radikale Hysterek­ durch Studien abgestützt und basiert auf retrospektiven tomie empfohlen. Bei Tumorausbreitung in die Vagina Extrapolationen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass in - - - hoch ist wie beim Zervixkarzinom, was aber durch die - TEC 3 Studie prüft randomisiert die perkutane Bestrah­ - halten. Die erst in einigen Jahren abgeschlossene POR­ men, dass das Risiko für Parametrienbefall ähnlich - oder ohne Doxorubicin) vs. perkutane Bestrahlung er­ Bei Befall des Zervixstromas (FIGO II) wird angenom­ ­ Radikale Hysterektomie und palliative Situation den hier zitierten Studien (inkl. PORTEC 3) keine sys­ terte radikale Hysterektomie mit Resektion der Para­ tematische Lymphonodektomie durchgeführt wurde, metrien, wenn notwendig mit Kolpektomie, durchge­ was Aussagekraft und Umsetzung beeinträchtigt. - und/oder die Parametrien (FIGO IIIB) wird eine erwei­ führt. Bei inkurablen, fortgeschrittenen Stadien kann eine operative Intervention (Hysterektomie zur Blu­ tungsprophylaxe, Debulking von grossen Tumormas­ sen) in einem palliativen Setting erwogen werden. Rezidive und palliative Therapien Rückfälle treten meist innerhalb von drei Jahren auf. Das Spektrum ist breit und umfasst isolierte, erneut Adjuvante Behandlungen durch Lokaltherapien kurativ angehbare vaginale Rezi­ dive bis hin zu disseminierten Manifestationen. Gut differenzierte Tumoren, späte Rückfälle und Lungen­ metastasen können besser behandelt werden, wohin­ Die neueste Cochrane Metaanalyse zeigte, dass die post­ gegen Rückfälle nach adjuvanter Chemotherapie pro­ operative perkutane Strahlentherapie beim Endome­ gnostisch ungünstig sind. Für diese Situation gibt es SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM - Strahlentherapie 2015;15(45):1050–1054 1054 bersichtsartikel Ü eine chemosensible Entität. Die bereits kommunizier­ Dr. med. so zum Beispiel für Temsirolimus oder Bevacizumab. ten Resultate der GOG 209 Studie zeigen, dass die Konstantinos Nirgianakis Bei zuvor unbehandelten Patientinnen lassen sich mit Zweierkombination von Carboplatin und Paclitaxel bei platinhaltigen Chemotherapien Ansprechraten von gleicher Wirksam keit das oft eingesetzte, aber toxi­ 50% erreichen; entgegen dem landläufigen Eindruck schere TAP Regimen (Cisplatin, Doxorubicin und Pacli­ handelt es sich beim Endometriumkarzinom also um taxel) ersetzen wird. Inselspital Bern - CH 3010 Bern kw.nirgianakis[at]gmail.com - - ­ ­ Frauenheilkunde - Universitätsklinik für ­ im Vergleich zu anderen Tumoren nur wenige Daten, Korrespondenz: Palliative Hormontherapien sind bei gut differenzierten, - Hormonrezeptor positiven Tumoren eine oft einge­ setzte und gut verträgliche Alternative bei oligosympto­ matischen Patientinnen. Die Ansprechraten erreichen • Die Inzidenz des Endometriumkarzinoms ist steigend. werden Medroxyprogesteronacetat (Farlutal®), Tamoxifen Das Wichtigste für die Praxis • Bei postmenopausalen Frauen macht es sich meist schon früh durch • Mehr als 70% der Patientinnen befinden sich bei der Diagnose im FIGOStadium I, was ein 5-Jahres-Überleben von ca. 90% bedeutet. • Die chirurgische Therapie besteht aus einer Hysterektomie, einer bilateralen Adnexektomie und, je nach Stadium und/oder Histologie, einer pelvinen und paraaortalen Lymphonodektomie. • Die adjuvante Therapie richtet sich nach der Stadieneinteilung und dem Rezidivrisiko. Tamoxifen ist etwas weniger wirksam, aber klar besser als die Aromatasehemmer. Disclosure statement Authors Nirgianakis, Novak, Mueller have no conflicts of interest or financial ties to disclose. Titelbild © Guniita | Dreamstime.com SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM und die Aromatasehemmer Letrozol und Anastrozol. ­ ­ vaginale Blutungen bemerkbar. ~30% und sind nicht selten von langer Dauer. Eingesetzt 2015;15(45):1050–1054 1055 FALLBERICHTE Eine fast vergessene Erkrankung Eine hämodynamisch relevante Diät Judith Everts-Graber a , Sebastian Wirz b , Ferdinand Martius b Institut Cochin, INSERM U1016, Paris, Frankreich Kantonsspital Baselland, Bruderholz, Schweiz Noch vor dieser geplanten Kontrolle wurde der Patient Fallbericht aufgrund eines Kollapses beim Duschen von der Sanitätspolizei bestehenden, circa 10 × 10 cm grossen Hämatom am 60/40 mm Hg) und tachykard (Sinusrhythmus) mit rechten Oberschenkel stellte sich auf unserer Notfall- grossflächigen Suffusionen an beiden Beinen und prä- station vor. Dieses sei ohne Trauma aufgetreten und tibialen Petechien (Abb. 1), so dass formal die Diagnose habe im Verlauf stets an Grösse zugenommen. Des eines hämorrhagischen Schocks gestellt wurde. Hin- Weiteren bemerkte er punktförmige Hautveränderun- weise für ein Kompartmentsyndrom lagen klinisch gen an den unteren Extremitäten, die ebenfalls spontan nicht vor. Im Blutbild zeigte sich nun eine normo- entstanden sind und weder jucken noch schmerzen chrome, normozytäre Anämie mit einem Hämoglobin würden. von 101 g/l und erhöhter Retikulopoese, die Thrombo- Die persönliche Anamnese war bis auf eine behandelte zytenzahl lag im Normbereich. In den globalen Gerin- arterielle Hypertonie unauffällig, Noxen und Alkohol- nungstests fanden sich keine Auffälligkeiten (INR 1,0, konsum verneinte der Patient glaubhaft. Die System aPTT nicht verlängert und Fibrinogen im Rahmen der ­ Ein 49-jähriger Mann mit einem seit zwei Wochen vor- eingewiesen. Er war hypoton (BD ­ anamnese ergab keine weiteren Hinweise, insbesondere Blutung reaktiv leicht erhöht). keine erhöhte Blutungsneigung oder B-Symptomatik. Der Blutdruck konnte mittels Kristalloiden und ins In der körperlichen Untersuchung waren das Häma- gesamt sieben Erythrozytenkonzentraten stabilisiert tom am rechten Oberschenkel sowie Petechien an bei- werden, zusätzlich wurden bei unklarer Diagnose und den Unterschenkeln ersichtlich, der restliche Status grössenprogredienten Hämatomen mehrere FFP (fresh gestaltete sich unauffällig. frozen plasma) verabreicht. Der Nadir des Hämoglo- Die Blutuntersuchungen waren durchwegs normal, bins betrug 76 g/l. das Hämoglobin betrug 149 g/l, die Thrombozytenzahl Die anschliessenden diagnostischen Abklärungen konn- 204 × 10⁹/l und der INR 1,0. Die Duplex-sonographische ten keine Ursache der Blutung erfassen: In der notfall- Untersuchung der unteren Extremitäten war normal mässig durchgeführten CT-Angiographie des Beines und der Patient wurde nach Vereinbarung einer ambu- fand sich kein Kontrastmittelaustritt im Sinne eines lanten hämatologischen Konsultation wieder nach Gefässlecks, auch Duplex-sonographisch wurde keine Hause entlassen. arterielle oder venöse Gefässläsion noch eine sonstige ­ b a Auffälligkeit gesehen. Die Gerinnungsabklärungen ­ fielen unauffällig aus, insbesondere ergab sich kein Hinweis für ein erworbenes Von-Willebrand-Syndrom, das sowohl die Petechien als auch die Hämatome hätte erklären können. Der Von-Willebrand-Faktor und der Faktor VIII waren im Rahmen der Blutung sogar deutlich erhöht. Die normale PFA-Kollagen/ADP-Blutungszeit sprach gegen eine Störung der primären Epi-Zeit konnte nicht durch plättchenaktive Medi ­ ­ Hämostase. Die leichte Verlängerung der PFA-Kollagen/ kamente erklärt werden, weshalb noch ausgedehnte Thrombozytenaggregationstests veranlasst wurden, die alle normal ausfielen. Eine Feinnadelangiographie der rechten Femoralarterie zeigte weder ein Gefässleck noch eine arteriovenöse Fistel, jedoch wurde ein unspezifisches kapilläres Pooling beschrieben, wie man es bei einer KleingefässVaskulitis sehen kann. Eine Stanzbiopsie der Haut am linken Unterschenkel konnte diesen Verdacht jedoch SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM Abbildung 1: Oberschenkelhämatom. 2015;15(45):1055–1057 Abbildung 2: Gingivahyperplasie. Abbildung 3: Korkenzieherhaare. nicht bestätigen. Die Blutuntersuchungen zur «Vasku- einem Stillstand der Blutung und zu einer raschen kli- litis-Suche» (ANA, ANCA, C3, C4 und Kryoglobuline) nischen Besserung. Der Patient erhielt nach der Dia sowie die Antiphospholipid-Antikörper waren unauf- gnosestellung eine umfassende Ernährungsberatung fällig. und hat seither Fruchtsäfte in seinen Speiseplan aufge- Richtungsweisend war schliesslich die ausgeprägte nommen. Fehlernährung, die uns während der Hospitalisation In der ambulanten Nachkontrolle einen Monat später aufgefallen ist. Auf gezieltes Nachfragen gab der Patient betrug der Hämoglobin-Wert 148 g/l und die Häma- an, dass er seit Jahren nur noch Weissbrot, Schokoriegel tome waren fast vollständig resorbiert. ­ fallberichte 1056 und Teigwaren ohne Sauce esse, jedoch keinerlei Früchte oder Gemüse – dies, weil es ihm einfach nicht schmecke. Er wohnte bei seiner Mutter, welche die Ernäh- Diskussion Skorbut ist eine der am längsten bekannten Vitamin- gen Jahren nahm unser Patient ein Vitaminpräparat mangel-Erkrankungen. Bereits im 2. Jahrhundert v. Chr. ein, diese Supplementation wurde im Verlauf jedoch wurde die Krankheit in Ägypten beschrieben, «be- gestoppt. rühmt» wurde die Mangelerscheinung im 16. Jahrhun- Bei den nutritiven Laborparameter wurde ein leichter dert bei den Seefahrern. Erst im 18. Jahrhundert fand Vitamin-B₁₂-Mangel, ein Vitamin-B₁- und ein leichter der englische Schiffsarzt James Lind heraus, dass die Albuminmangel gesehen, in Vordergrund stand je- Symptome durch das Essen von Zitrusfrüchten verhin- doch der ausgeprägte Vitamin-C-Mangel (4,0 µmol/l, dert werden können. Im Jahr 1932 wurde schliesslich Referenzbereich 11,4–113,6 μmol/l). die Molekularstruktur der Ascorbinsäure (Vitamin C) Zusammenfassend interpretierten wir die Symptoma- durch Szent-György aufgeklärt [1]. tik im Rahmen eines Skorbuts. Der Patient hatte zwar Heutzutage ist der Skorbut in Industrieländern eine keine relevanten Zahnfleischblutungen, jedoch eine seltene Erscheinung, da die Ascorbinsäure nicht nur in angedeutete Gingivahyperplasie (Abb. 2). Die petechia- zahlreichen Früchte- und Gemüsesorten vorkommt, len Hautveränderungen stellten sich bei genauerem sondern auch vielen industriell hergestellten Lebens- Betrachten als perifollikuläre Hämorrhagien dar, wo- mitteln als Konservierungsmittel hinzugefügt wird. bei allerdings die Haare häufig ausgefallen waren. Die Die in der Literatur beschriebenen Fälle von Skorbut in verbleibenden Haare zeigten einen für den Skorbut ty- industrialisierten Ländern betreffen hauptsächlich al- pischen Korkenzieher-Aspekt (Abb. 3). koholkranke Personen [2]. Umso mehr erstaunt der Unter Vitaminsubstitution und Spitalkost kam es zu vorliegende Fall, in dem der Nährstoffmangel nicht im SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(45):1055–1057 ­ Historische und epidemiologische Aspekte seit langem zur Kenntnis genommen hatte. Bis vor eini- rungsgewohnheiten ihres erwachsenen Sohnes schon Korrespondenz: Dr. med. Judith Everts-Graber Rahmen einer Suchterkrankung, sondern aufgrund Diagnostik einer extrem einseitigen Ernährung aufgetreten ist. Die Diagnose wird anhand der typischen Klinik und ­ fallberichte 1057 einer anamnestisch verminderten Vitamin-C-Einnahme ­ Inserm U1061, Institut Cochin 27, rue du Faubourg St-Jacques F-75014 Paris judith[at]everts.ch Pathogenese gestellt. Ein tiefer Vitamin-C-Spiegel muss nicht zwin- Neben der bekannten antioxidativen Wirkung ist die gend vorhanden sein. Das Vorliegen einer Anämie er- Ascorbinsäure als Co-Enzym der Hydroxylierung der härtet die Diagnosestellung. Bildgebende Verfahren Aminosäuren Prolin und Lysin auch ein wichtiger Fak- sind unspezifisch und dienen vor allem zum Aus- tor in der Kollagensynthese. Ist diese gestört, treten schluss anderer Ätiologien. Das womöglich wichtigste Zahnfleischblutungen und Gingivahyperplasien sowie Kriterium ist eine rasche klinische Besserung nach Be- diverse Hautprobleme wie Petechien, Ekchymosen, ginn der Substitutionstherapie [4, 5]. ­ perifollikuläre Hämorrhagien und Haarbildungsstörungen (sog. Korkenzieher-Haare) auf. Des Weiteren Therapie wird eine erhöhte Infektanfälligkeit und eine gestörte Bei vermutetem Vitamin-C-Mangel sollte unverzüglich Wundheilung beobachtet, und es können subperiostale mit der peroralen Substitution begonnen werden. Blutungen und Hämarthros auftreten. Typischerweise Empfohlen wird eine Tagesdosis von 300 mg für min- wird auch eine normochrome, normozytäre Anämie, destens einen Monat bis die Speicher wieder aufgefüllt oft verbunden mit einem Eisenmangel, gesehen. Dieser sind, danach beträgt die Erhaltungsdosis 60–100 mg ist meist durch die Blutungen verursacht, zudem ist die pro Tag. Ältere Personen, Raucher und schwangere/ Eisenaufnahme im Darm Vitamin-C-abhängig [2, 3]. stillende Frauen haben einen höheren Bedarf [5]. Die Symptomatik sollte sich innerhalb weniger Tage bessern. In unserem Fall zeigte der Patient bereits nach 24 Stunden eine beginnende Resorption der Hämatome und einen ansteigenden Hämoglobinwert. Schlussfolgerungen für die Praxis Disclosure statement • Ein Vitamin-C-Mangel wird in westlichen Ländern vor allem bei alkoholkranken Personen gesehen, kann aber auch bei anderen Mangel-/Fehlernährungszuständen beobachtet werden. Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Literatur 1 • Als klinische Zeichen werden unter anderem Ekchymosen, perifollikuläre subperiostale Blutungen und Hämarthros beobachtet. 2 3 Hämorrhagien, Zahnfleischblutungen und Haarbildungsstörungen sowie • Die Ernährungsanamnese (auch bei einer normalgewichtigen und vorder4 5 sestellung eines Skorbuts und ein rasches Ansprechen auf die Therapie gründig wohlgenährten Person) ist das wegweisende Element zur Diagno- SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM (Vitamin-C-Supplementation) ein wichtiges diagnostisches Kriterium. 2015;15(45):1055–1057 Carpenter KJ. The discovery of vitamin C. Ann Nutr Metab. 2012;61(3):259–64. doi: 10.1159/000343121. Epub 2012 Nov 26. Olmedo JM, Yiannias JA, Windgassen EB, Gornet MK. Scurvy: a disease almost forgotten. Int J Dermatol. 2006;45:909–13. De Luna RH, Colley BJ 3rd, Smith K, Divers SG, Rinehart J, Marques MB. Scurvy: an often forgotten cause of bleeding. Am J Hematol. 2003;74:85–7. Hirschmann JV, Raugi GJ. Adult scurvy. J Am Acad Dermatol. 1999;41: 895–906. Smith A, Di Primio G, Humphrey-Murto S. Scurvy in the developed world. CMAJ. 2011;183:E752–5. 1058 FALLBERICHTE Fehler in der ontogenetischen Entwicklung Kuckucksei in scheinbar banalem Befund einer medianen Halszyste Christof Andres Burkart, André Arnoux, Caroline Bourgau Klinik für HNO, Hals- und Gesichtschirurgie, Kantonsspital Aarau Fallbericht Befunde Sonographisch stellte sich die Raumforderung mit einem Durchmesser von 3 cm im Vergleich zur Umge- Ein 44-jähriger Patient stellte sich zur Beurteilung bung hypoechogen und mit scharfer Begrenzung dar. einer drei bis vier Wochen vor Erstkonsultation aufge- Des Weiteren zeigte sich linksseitig inhomogen struk- tretenen zervikalen Schwellung in unserem Hals-Na- turiertes Schilddrüsengewebe ohne abgrenzbare fokale sen-Ohren-Ambulatorium vor. Bis auf die Schwellung Pathologie. Der übrige zervikale Ultraschallbefund war gab er keinerlei Beschwerden an. In der persönlichen bland. Bei Verdacht auf eine mediane Halszyste wurde Anamnese wurden eine arterielle Hypertonie sowie eine Feinnadelpunktion der Raumforderung durch ein Status nach Nikotinkonsum von kumulativ fünf geführt. Das Feinnadelaspirat war zu vereinbaren mit Pack years mit Stopp vor fünf Monaten erhoben. einer Halszyste, zeigte aber auch Hinweise auf ein pa- ­ ­ ­ ­ Anamnese pilläres Schilddrüsenkarzinom. T3, T4 und das TSH wa- Status ren normwertig. Die klinische Untersuchung zeigte eine ungefähr In der Magnetresonanztomographie (Abb. 1) des Halses 2 bis 3 cm grosse, weiche, bei Palpation indolente, zur zeigte sich eine zystisch-solide Raumforderung para- Unterlage hin leicht verschiebliche Schwellung para- median links anterior des Os hyoideum. median links auf Höhe des Kehlkopfs. Der übrige Hals- Das weitere Staging mittels PET-CT (Abb. 2) ergab bis Nasen-Ohren-Status war unauffällig. auf die malignomsuspekte Läsion paramedian links keine weiteren auffälligen Befunde, insbesondere zeigte sich keine FDG-Positivität in der Schilddrüse. Diagnose Es wurde die Diagnose einer medianen Halszyste mit dem zytologischen Verdacht auf eine Metastase eines papillären Schilddrüsenkarzinoms gestellt. Therapie Zur histologischen Diagnosesicherung erfolgte die Zysten- und Hyoidkörperresektion. Wie zytologisch vermutet, konnten histologisch in der medianen Halszyste Anteile eines papillären Schilddrüsenkarzinoms nachgewiesen werden. Trotz des unauffälligen PET-CT und der blanden Schilddrüsenparameter konnte ein Mikrokarzinom der Schilddrüse nicht ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund wurden zeitnah eine totale des zentralen Kompartiments durchgeführt. Histo ­ Thyreoidektomie und eine selektive Neck-Dissection logisch zeigten sich im Thyreoidektomiepräparat ein papilläres Schilddrüsenkarzinom von 0,25 cm Grösse nom von 0,5 cm Grösse im rechten Schilddrüsen SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM Abbildung 1: Magnetresonanztomographie: T1-gewichtetes, fettunterdrücktes, kontrastmittelverstärktes Bild mit zystischsolider Raumforderung links paramedian. 2015;15(45):1058–1060 ­ am linken Oberpol sowie ein mikrofollikuläres Adelappen. Die mitresezierten Lymphknoten waren alle tumorfrei. Als Hormonersatz wurde eine Therapie mit Levothyroxin 0,1 mg begonnen. fallberichte 1059 Mediane Halszysten (= Thyreoglossuszysten) stellen die häufigste Entwicklungsstörung der Schilddrüse dar und bilden 75% der medianen Halstumoren bei Kindern sowie 7% bei Erwachsenen. In weniger als 1% kommt es zu einer Karzinomentwicklung, wobei die Patienten im Schnitt zwischen 20 und 50 Jahren alt sind. Frauen sind häufiger betroffen als Männer [1]. Bei den von Patel et al. untersuchten 62 Patienten zeigte sich bei einfacher Resektion der Zyste eine 75%ige, und bei Mitresektion des Hyoidkörpers eine 100%ige 10-Jahres-Überlebensrate [2]. artung der Thyreoglossuszyste wird kontrovers dis ­ Die Entstehung des Karzinoms bzw. der malignen Entkutiert. Die einen gehen von einem Primärtumor in ektopem Schilddrüsengewebe einer medianen Halszyste aus, die anderen von einer Metastase eines okkulten Primärkarzinoms der Schilddrüse. Für die erste Theorie spricht, dass sich in 62% der His[3]. Des Weiteren fehlen in ektopem Schilddrüsen ­ tologien ektopes Schilddrüsengewebe nachweisen lässt gewebe parafollikuläre Zellen (C-Zellen), da diese onto- Abbildung 2: Positronen-Emissions-Tomographie: FDGAnreicherung der sich im Low-dose-CT manifestierenden, ca. 3,0 × 1,6 cm grossen, zentral leicht hypodensen Raum forderung paramedian links anterior des Os hyoideum sowie des Larynx. ­ genetisch nicht mit der Schilddrüse, sondern zusam- ­ men mit den kranialen Nebenschilddrüsen aus der ­ 4. Schlundtasche entstehen. Dies bestätigt sich darin, dass kein Fall eines medullären Schilddrüsenkarzinoms (entstehend aus den parafollikulären Zellen) in einer medianen Halszyste nachgewiesen wurde. Für die These der Metastase spricht, dass bei 11–33% der Im interdisziplinären Tumorboard wurde beschlossen, Patienten mit einem Malignom in einer Thyreoglos den Patienten im Anschluss einer Radiojod-Therapie suszyste ein okkultes Schilddrüsenkarzinom nachge- zuzuführen. wiesen wurde [4]. Aus diesen beiden unterschiedlichen Ein Jahr postoperativ zeigten sich sowohl sonographisch Theorien lassen sich auch die verschiedenen Therapie- als auch szintigraphisch und laborchemisch (Thyreo- strategien ableiten. globulin) keine Hinweise für ein Rezidiv oder für Meta- Wenn man von einem Primärtumor in einer media- stasen. Die nächste Tumorszintigraphie ist für Dezem- nen Halszyste ausgeht, dann ist die klassische Ope ber 2015 (zwei Jahre postoperativ) vorgesehen. ration nach Sistrunk, das heisst die Entfernung der me- ­ ­ Verlauf dianen Halszyste inklusive Hyoidkörperresektion ausreichend. Diskussion Geht man aber von einer Metastasierung eines nalwoche atrophiert. Bei Ausbleiben der Wanderung graphisch und szintigraphisch unauffälligen Schild- der medialen Schilddrüsenanlage oder bei inkomplet- drüse eine totale Thyreoidektomie durchzuführen [1]. tem Verschluss des Ductus thyreoglossus kann es mit Kontrovers wird auch das Ausmass der elektiven einer Prävalenz von 1 : 10 000 zur Bildung von ektopem Lymphknotenentfernung bei klinisch fehlender Hals- Schilddrüsengewebe kommen, das dieselben Eigen- lymphknotenmetastasierung diskutiert. In der Literatur schaften und Pathologien wie eutopes Schilddrüsen kommt es bei 7–15% der papillären Schilddrüsenkarzi- ­ ­ ten Autoren empfehlen auch bei einer klinisch, sono- noch eine totale Thyreoidektomie erfolgen. Die meis- dung des Ductus thyreoglossus, der in der 7. Embryo- okkulten Schilddrüsenkarzinoms aus, muss zusätzlich Wanderung vom Zungengrund nach kaudal unter Bil- In der Ontogenese durchläuft die Schilddrüse eine nome zu einer lymphogenen zervikalen Metastasie- Tumoren). Die Entwicklung eines malignen Tumors in rung [1]. Eine Studie mit 53 Patienten konnte allerdings diesem Gewebe ist mit 1% äusserst selten. In 80% der keinen Überlebensvorteil bei zusätzlicher lateraler Fälle handelt es sich dabei um papilläre Schilddrüsen- Halslymphknotenentfernung zeigen [2]. Demgegen- karzinome [1]. über konnte auch in klinisch präoperativ unauffälligen SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM gewebe mit sich bringt (Entzündungen, Hyperplasie, 2015;15(45):1058–1060 fallberichte 1060 werden, weshalb wir eine totale Thyreoidektomie Dr. med. Christof Burkart gewiesen werden, weshalb einige Autoren die beidsei- durchführten. Histologisch zeigte sich dann prompt Facharzt für Hals-, Nasen- tige laterale Halslymphknotenentfernung empfehlen. ein Mikrokarzinom. Plaza et al. haben für das papilläre Schilddrüsenkarzi- Die ablative Radiojod-Therapie wird mit adjuvanter nom in einer medianen Halszyste folgenden Behand- Zielsetzung zur vollständigen Entfernung des postope- lungsalgorithmus vorgeschlagen: Bei Patienten bis zu rativ verbliebenen Schilddrüsenrests durchgeführt. CH-8700 Küsnacht einem Alter von 45 Jahren, einem Tumor kleiner als Ein standardisiertes Nachsorgeschema ist in der Litera- Kreuzstrasse 10 1,5 cm, normaler Schilddrüsensonographie sowie sono- tur nicht zu finden. Am häufigsten werden eine T4-Sup- graphisch fehlendem Hinweis auf Lymphknotenmeta- pressionstherapie mit periodischem Monitoring des stasen ist die Zystenentfernung inklusive Hyoidkör- Tumormarkers Thyreoglobulin sowie eine Ganzkör- perresektion ausreichend. Für die Patienten, die diese perszintigraphie durchgeführt. Spez. Hals- und Gesichts ­ und Ohrenheilkunde ­ Halslymphknoten in der Histologie Metastasen nach- Korrespondenz: chirurgie FMH ORL-Praxen Seestrasse 29 CH-8635 Dürnten burkart[at]orlpraxen.com Kriterien nicht erfüllen, werden zusätzlich eine totale Thyreoidektomie und anschliessende Radiojod-Therapie empfohlen. Eine Halslymphknotenentfernung soll nur bei sonographisch auffälligen Lymphknoten erfolgen [5]. Im Fall unseres Patienten konnten die Kriterien auf- Wir danken Dr. med. L. Wick, Institutsleiter, Röntgeninstitut Rothrist AG, für die zur Verfügung gestellten Bilder. Disclosure statement Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. ­ grund des sonographisch etwas inhomogen struk Danksagung Literatur 1 Klubo-Gwiezdzinska J, et al. Ectopic cervical thyroid carcinoma – review of the literature with illustrative case series. J Clin Endo crinol Metab. 2011;96(9):2684–91. Patel SG, Escrig M, Shaha AR, Singh B, Shah JP. Management of well-differentiated thyroid carcinoma presenting within a thyroglossal duct cyst. J Surg Oncol. 2002;79:134–9. Hilger AW, Thompson SD, Smallman LA, Watkinson JC. Papillary carcinoma arising in a thyreoglossal duct cyst: a case report and literature review. J Laryngol Otol. 1995;109:1124–7. Heshmati HM, Fatourechi V, van Heerden JA, Hay ID, Goellner JR. Thyroglossal duct carcinoma: report of 12 cases. Mayo Clin Proc. 1997;72:315–9. Plaza CP, López ME, Carrasco CE, Meseguer LM, Perucho Ade L. Management of well-differentiated thyroglossal duct remnant thyroid carcinoma: time to close the debate? Report of five cases and proposal of a definitive algorithm for treatment. Ann Surg Oncol. 2006;13:745–52. ­ turierten Schilddrüsengewebes nicht komplett erfüllt 2 Schlussfolgerung für die Praxis 3 Bei einer medianen zervikalen Schwellung sollte differentialdiagnostisch aufgrund der ontogenetischen Entwicklung immer an das Vorhandensein 4 von ektopem Schilddrüsengewebe gedacht werden. Zur weiteren Abklärung ist eine Halssonographie indiziert. Zeigt sich die Schwellung hier zys- 5 tisch, ist in erster Linie an eine mediane Halszyste zu denken. Weist die Schilddrüse sonographisch ebenfalls Auffälligkeiten auf, ist als seltene ­ Diagnose auch an das Vorliegen einer Metastase aus einem Schilddrüsen- SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM karzinom zu denken. 2015;15(45):1058–1060 1061 FALLBERICHTE Erwarteter Inzidenz-Gipfel asbestbedingter Erkrankungen in der Schweiz: 2020 Malignes Peritoneales Mesotheliom Philippe Baumann a , Mihaela Precup a , Mathias Gugger b , Henri-Marcel Hoogewoud c , Daniel C. Betticher a Klinik für Innere Medizin und Onkologie, Kantonsspital, Fribourg; b Promed Medizinisches Labor, Marly; c Klinik für Radiologie, Kantonsspital, Fribourg Hintergrund Status Das Maligne Peritoneale Mesotheliom (MPM) ist ein seltener Tumor, welcher wegen seiner unspezifischen Klinik oft spät diagnostiziert wird und bei dem neue Therapiemodalitäten entwickelt werden [1]. Die klinische Untersuchung zeigt einen afebrilen, hypertensiven (153/84 mm Hg), normokarden, asthenischen und kachektischen Patienten. Die Atemfrequenz ist mit 20/min grenzwertig erhöht, die Sauerstoffsättigung mit 94% normal. Das Atemgeräusch fehlt rechtsbasal, mit perkutorischer Dämpfung. Klinisch fällt eine diffuse Fallbericht Verhärtung der vorderen Bauchwand sowie Aszites auf. Befunde Ein 78-jähriger Mann wird uns von seinem Hausarzt Das Eintrittslabor zeigt bis auf eine Hypoalbuminämie wegen eines rechtsseitigen persistierenden Pleura von 23,9 g/l und eine respiratorische Alkalose (pH 7,47) ­ Anamnese den hausärztlichen Befund sowie die Klinik eines rechts- hat eine bekannte hypertensive und ischämische Kar- seitigen Pleuraergusses (Abb. 1). Die zytologische Unter- diopathie und war in der Kindheit an einer Tuberkulose suchung des Exsudates ergibt Zellen mit Verdacht auf erkrankt. Die Dyspnoe bestünde seit etwa fünf Monaten, ein malignes Mesotheliom. Ein Abdomenultraschall mit einer deutlichen Progredienz in den vergangenen zeigt eine heteroechogene, diffuse intraperitoneale drei Wochen. Neben der Dyspnoe besteht eine Asthenie, Masse (Abb. 2). Die am Folgetag veranlasste thorako- ein Appetitverlust, vermehrter Nachtschweiss sowie abdominale CT bestätigt den Schallbefund als ein infil- ein Gewichtsverlust von ca. 10 kg in den vergangenen triertes Omentum majus. Dieselbe Untersuchung zeigte Monaten. Trotz der Gewichtsabnahme wurde eine asym zudem abdominal eine diffuse Verdickung des Perito- ptomatische Zunahme des Bauchumfangs beobachtet. neums und Mesenteriums sowie vergrösserte para- Der Patient arbeitete als Elektriker auf dem Bau mit aortal gelegene Lymphknoten (Abb. 3). Thorakal fallen, Asbestexposition. neben dem rechtsseitigen Pleuraerguss, eine markante Abbildung 1: Rechtsseitiger Pleuraerguss und Verdickung der rechtsseitigen Pleura (Pfeile) im konventionellen ThoraxRöntgenbild. Abbildung 2: Hyperechogene, frei bewegliche intraperito neale Masse im Abdomenultraschall (Omentum majus durch Pfeil dargestellt). ­ SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(45):1061–1063 ­ keine Auffälligkeiten. Das Thoraxröntgenbild bestätigt klärung auf die Notfallstation zugewiesen. Der Patient ­ ergusses und zunehmender Dyspnoe zur weiteren Ab- ­ a fallberichte 1062 Diskussion Das MPM ist ein seltener Tumor. Meistens sind Mesotheliome in der Pleura lokalisiert. Nur 10–30% haben einen peritonealen Ursprung. Noch seltener sind die Tunica vaginalis testis sowie das Perikard betroffen. Für das MPM besteht eine jährliche Inzidenz von 0,5–3 bei Männern und 0,2–2 bei Frauen (pro 1 000 000) [2]. Es besteht somit eine männliche Prädominanz, wenngleich diese weniger markant ist als beim Malignen Pleuramesotheliom (MPlM). Das durchschnittliche ­ ­ Manifestationsalter beträgt 47 bis 60 Jahre. Obwohl weniger deutlich als beim MPlM, ist die Exposition zur Asbestfaser der bedeutendste Risikofaktor des MPM. Die Wahrscheinlichkeit, an einem MPM zu erkranken, nimmt exponentiell zur Asbestexposition zu, wohingegen beim MPlM eine lineare Korrelation beschrieben wird. Dies hat zur Folge, dass beim MPM Abbildung 3: Massiv verdicktes Omentum majus (Pfeile) im Abdomen-CT (Hauptanteil liegt im kleinen Becken). bei vorhandenem Schwellenwert eine höhere Asbestexposition nötig ist. Die Verwendung von Asbest wurde 1990 schweizweit verboten. Da Asbest jedoch seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ubiquitär eingesetzt wurde, muss gerade ­ in Gebäuden, die vor 1990 erbaut wurden, mit Asbest ­ produkten gerechnet werden. Dies ist insbesondere für Arbeiter, welche Renovationen, Ab- und Umbauten dieser Gebäude tätigen, von Bedeutung. Wir verweisen an dieser Stelle auf die Webseite vom Forum Asbest Schweiz (www.forum-asbest.ch), wo unter anderem Risiken, Schutzvorschriften und Versicherungsleistungen aufgelistet sind. Zwischen Asbestexposition und Auftreten von asbestbedingten Erkrankungen besteht eine Latenz von ungefähr dreissig Jahren. Daraus resultiert ein erwarteter Inzidenz-Gipfel asbestbedingter Erkrankungen in der Schweiz um das Jahr 2020. Histologisch werden MPM in drei grosse Gruppen ­ unter teilt: epitheloides Mesotheliom (mit ca. 50% das Abbildung 4: Rechtsseitig verdickte und knotige Pleura (dicke weisse Pfeile), thorakale vergrösserte Lymphknoten (feine graue Pfeile) im Thorax-CT. häufigste MPM), sarkomatoides Mesotheliom (ca. 25%) und biphasisches Mesotheliom (sowohl epitheloide theloide Mesotheliom geht mit einer besseren Pro ­ ­ wie sarkomatoide Anteile zu mindestens 10%). Das epiVerdickung der rechtsseitigen Pleura sowie media des mediastinalen Fettgewebes auf (Abb. 4). Wie in unserem beschriebenen Fallbericht präsentieren Die pathologische und immunozytochemische Unter- sich die meisten Patienten mit einem MPM relativ spät suchung der unter Ultraschallkontrolle biopsierten ab- mit unspezifischer Klinik. Abdominalschmerzen mit dominalen Masse führt zur Diagnose eines Malignen Zunahme des Bauchumfangs, Anorexie, Aszites und Peritonealen Mesothelioms (MPM) vom tubulo-papil- Gewichtsabnahme sind die häufigsten Symptome. lären epitheloiden Typ. Diagnostisch genügt eine Zytologie von Aszites nicht, Nach ausführlicher Aufklärung beginnt der Patient eine da histologisch ein invasives Wachstum der Meso ambulante palliative Chemotherapie mit Carboplatin. the lialzellen beschrieben werden muss (Abb. 5). Die Der Allgemeinzustand konnte dadurch nicht verbessert Diagnose beruht auf einer Biopsie zur Gewebedo werden. Nach rascher Verschlechterung verstirbt der kumentation des invasiven Wachstums, und einer im Patient acht Wochen später auf unserer Palliativstation. munohistochemischen Analyse zur Bestimmung des SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(45):1061–1063 ­ ­ ­ ­ ­ ­ ­ gnose einher. stinale Lymphknotenvergrösserungen mit Infiltration fallberichte 1063 Hyperthermie, eine signifikante verlängerte Über ­ nealer Chemotherapie mit Platin (PIC), mit oder ohne zeit: unbehandelt 6 Monate; systemische Chemothe ­ lebenszeit dokumentiert werden (mediane Überlebensrapie mit Platin 12 Monate; CRS und PIC 31–92 Monate) [4]. Diese Therapiemodalität wird jedoch nur für Patienten mit einem epitheloiden MPM, gutem Allgemeinzustand und ohne extraperitoneale Beteiligung empfohlen [3]. Es handelt sich somit um hochselektionierte Patienten nach grossem chirurgischem Eingriff. Eine Selektion, die sicher einen Teil des besseren Verlaufes erklären könnte. Eine weitere neue Therapieoption stellt die pressurised intraperitoneal aerosol chemotherapy (PIPAC) dar, die bei Patienten mit peritonealer Karzinomatose erfolgversprechende Resultate aufzeigen konnte [5]. Momentan laufen klinische Studien, die diese Therapiemodalität weiter entwickeln. ­ Abbildung 5: Histologische Dokumentation der Infiltration von Fettgewebe durch das maligne Mesotheliom: rechte Bildhälfte mit Verbänden atypischer mittelgrosser Zellen ohne Zwischensubstanz gegenüber von Fettgewebe in der linken Bildhälfte. ­ Bei Patienten mit extraperitonealer Beteiligung, Komor toider oder biphasischer Histologie wird eine syste ­ biditäten, nicht resezierbarem Tumor sowie sarkoma- Oben rechts: Umschliessung eines Adipozyten (Pfeil) durch atypische Zellen (Hämalaun- und Eosin-Färbung, 20 ×). mische, palliative Chemotherapie mit Pemetrexed und Platin empfohlen [3]. Diese eben beschriebenen Faktoren sowie das Alter (>60), männliches Geschlecht und fischen Marker für das MPM gibt, werden mit verschie- Gewichtsverlust gelten als schlechte prognostische Prof. Dr. med. denen positiven und negativen Markern mögliche Diffe- Faktoren. Bei unserem Patienten haben wir eine Carbo- Chefarzt Innere Medizin rentialdiagnosen ausgeschlossen. Hier zu erwähnen sind platin-Therapie versucht, mit dem Ziel der Verbesserung Chemin des Pensionnats 2 vor allem Peritonealkarzinosen gynäkologischen (Ova- der Lebensqualität. Diese Behandlung führte nicht zu rien, Tubus), intestinalen (Kolon, Rektum, Magen, Pank- zusätzlichen Beschwerden, inwieweit sie das Leiden reas) oder thorakalen (Lunge, Brust) Ursprungs [2]. lindern konnte, ist offen. Ein validiertes Staging-System für MPM existiert nicht. Es bleibt schlussendlich zu erwähnen, dass keine ab- Der Peritoneal Cancer Index (PCI) wird als solches ge- schliessende Sicherheit besteht, ob es sich in unserem braucht. Dieser wird aufgrund der Verteilung der Tu- beschriebenen Fall um eine MPM mit pleuraler Meta morknoten und deren Grössen in verschiedenen Bauch stasierung oder um ein MPlM mit abdominaler Meta regionen erstellt [3]. stasierung handelte. Die empfohlene Behandlung, eine Aufgrund der geringen Inzidenz fehlen weltweit rando- palliative Chemotherapie, ist in beiden Fällen identisch. ­ philippe.baumann[at]jhas.ch misierte Studien zur Behandlung des MPM. Die Therapien beruhen auf Erfahrungen von Expertengruppen und Analogien zum MPlM. In den vergangenen fünf Jahren konnte durch Anwendung zytoreduktiver Chir- Disclosure statement Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Literatur 1 urgie (CRS) kombiniert mit perioperativer intraperito- 2 3 Bei zunehmendem abdominalem Bauchumfang, gleichzeitiger Gewichts- 4 SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM gnostik veranlasst werden. 2015;15(45):1061–1063 5 ­ differentialdiagnostisch an ein MPM gedacht und weiterführende Dia Schlussfolgerung für die Praxis abnahme, B-Symptomatik und anamnestischer Asbestexposition sollte ­ CH-1708 Fribourg ­ Daniel Betticher ­ Zelltyps. Da es bis zum heutigen Zeitpunkt keinen spezi- Dr. med. Philippe Baumann Korrespondenz: Ahmed I, et al. Malignant Mesothelioma. Pak J Med Sci. 2013;29(6): 1433–8. Mery E, et al. Mésothéliome malin péritonéal: mise au point et données actuelles. Annales de pathologie. 2014;34:26–33. Hesdorffer E, Chabot J, DeRosa C, Taub R. Peritoneal mesothelioma. Curr Treat Options Oncol. 2008;9:180–90. Kulu Y, et al. Surgical treatment of peritoneal carcinomatosis: current treatment modalities. Langenbecks Arch Surg. 2014;399:41–53. Solass W, et al. Intraperitoneal chemotherapy of peritoneal carcinomatosis using pressurized aerosol as an alternative to liquid solution: first evidence for efficacy. Ann Surg Oncol. 2014;21:553–9. 1064 COMPENDIUM compendium update November 2015 Die inhaltliche Verantwortung für die Rubrik «compendium update» liegt bei der Documed AG. Dieses Bulletin ist ein Auszug aus unseren aktuellen Arzneimittelinformationen. Vollständige Informationen finden Sie unter I II II II (III = hohe, II = mittlere, I = geringe Relevanz) Arzneimittelsicherheit Champix® (Vareniclin) Progressive Aufgabe des Rauchens Eine schrittweise Aufgabe des Rauchens mithilfe von Champix sollte für Patienten in Betracht gezogen werden, die das Rauchen nicht abrupt aufgeben können oder wollen. Diese Patienten sollten das Rauchen während der ersten 12 Wochen der Behandlung reduzieren und es nach dieser Behandlungsphase vollständig aufgeben. Die Patienten sollten Champix anschliessend für weitere 12 Wochen einnehmen, was einer gesamten Behandlungsdauer von 24 Wochen entspricht. Clarithromycin Neue Kontraindikation Die gleichzeitige Anwendung mit Colchicin ist neu bei allen Patienten kontraindiziert (früher nur bei Patienten mit eingeschränkter Nierenund Leberfunktion). Olmesartan Neue unerwünschte Wirkung In sehr seltenen Fällen wurden bei Patienten, die Olmesartan einnahmen, einige Monate bis Jahre nach Therapiebeginn schwere, chronische Diarrhöen mit erheblichem Gewichtsverlust berichtet, die möglicherweise auf eine lokale, verzögerte Überempfindlichkeitsreaktion zurückzuführen sind. Intestinale Biopsien bei diesen Patienten wiesen häufig eine Zottenatrophie auf. Falls ein Patient während der Behandlung mit Olmesartan die beschriebenen Symptome entwickelt, sind andere Ätiologien auszuschliessen. Ein Abbruch der Behandlung mit Olmesartan ist in Betracht zu ziehen, wenn keine andere Ätiologie nachgewiesen werden kann. Falls dann die Symptome verschwinden und eine Sprueähnliche Enteropathie durch Biopsie nachgewiesen wird, sollte die Behandlung mit Olmesartan nicht wieder begonnen werden. Linagliptin Neue unerwünschte Wirkung Nach Markteinführung wurde über Mundulzerationen berichtet. Innovationen ­ ­ ­ Esbriet® (Pirfenidon) ROCHE Neue Therapieoption bei idiopathischer Lungenfibrose Mit Pirfenidon (Esbriet Hartkapseln 267 mg) hat Swissmedic einen weiteren Wirkstoff zur Behandlung der idiopathischen Lungenfibrose bei Erwachsenen zugelassen. Der Wirkstoff hat seit Dezember 2009 den Orphan-Drug-Status. Der Wirkmechanismus ist noch nicht vollständig geklärt. Pirfenidon zeigte in verschiedenen In-vitro-Systemen und Tiermodellen antifibrotische und antiinflammatorische Eigenschaften, was die Verschlechterung der Lungenfunktion verlangsamt. Das Arzneimittel wird dreimal täglich zu den Mahlzeiten eingenommen, wobei die Dosis wöchentlich bis auf dreimal täglich drei Kapseln ab der dritten Woche erhöht wird. ­ Plegridy® (Peginterferon beta-1a) BIOGEN Pegyliertes Interferon bei multipler Sklerose In der Schweiz wurde ein neues pegyliertes Interferon (Peginterferon beta-1a, Plegridy) zugelassen. Plegridy wird zur Behandlung von Erwachsenen mit schubförmig remittierender multipler Sklerose eingesetzt und ist als Fertigspritze bzw. Fertigpen erhältlich. In der Schweiz ist vorerst nur der Fertigpen verfügbar. Die Pegylierung verlängert die Halbwertszeit von Interferonen und somit auch die Injektionsintervalle. Plegridy muss nur alle zwei Wochen subkutan injiziert werden. Die Behandlung wird mit zwei tieferen Dosierungen eingeleitet (Tag 0: 63 µg, Tag 14: 94 µg). Erst ab Tag 28 wird die volle Dosis (125 µg) verwendet. Im Vergleich zu Placebo konnte im zweiwöchentlichen Intervall die jährliche Schubrate um 36% reduziert werden. Da keine direkten Vergleichsstudien vorliegen, kann die Wirksamkeit von Plegridy nicht mit anderen Interferonpräparaten verglichen werden. Dies sollte insbesondere bei einem Wechsel zwischen pegylierten und nicht-pegylierten Interferonen berücksichtigt werden. Markt Pregabalin Sandoz® SANDOZ Neu im Handel Es sind Kapseln zu 25 mg, 50 mg, 75 mg, 100 mg, 150 mg, 200 mg und 300 mg Pregabalin erhältlich. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM Lenvima® EISAI Neues Onkologikum Es sind Kapseln zu 4 mg und 10 mg Lenvatinib erhältlich. 2015;15(45):1064