Swiss Medical Forum 45/2015

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SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero – Forum Medical Svizzer
Swiss
Medical Forum
1058 C. A. Burkart, A. Arnoux,
C. Bourgau
Kuckucksei in scheinbar
banalem Befund
einer medianen Halszyste
1055 J. Everts-Graber, S. Wirz,
F. Martius
Eine hämodynamisch
relevante Diät
With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly”
45 4. 11. 2015
1050 K. Nirgianakis, U. Novak,
M. D. Mueller
Interdisziplinäre Behandlung
des Endometriumkarzinoms
1044 M. C. Claussen,
S. M. Ewers, U. Schnyder, et al.
Psychische Probleme
und Erkrankungen
im Leistungssport
Offizielles Fortbildungsorgan der FMH
Organe officiel de la FMH pour la formation continue
Bollettino ufficiale per la formazione della FMH
Organ da perfecziunament uffizial da la FMH
www.medicalforum.ch
1041
INHALTSVERZEICHNIS
Redaktion
Beratende Redaktoren
Prof. Dr. Nicolas Rodondi, Bern (Chefredaktor); Dr. Nadja Pecinska,
Prof. Dr. Reto Krapf, Luzern; Prof. Dr. Ludwig T. Heuss, Zollikerberg;
Basel (Managing editor); Prof. Dr. David Conen, Basel;
Dr. Pierre Périat, Basel
Prof. Dr. Martin Krause, Münsterlingen; Prof. Dr. Klaus Neftel, Bern;
Prof. Dr. Rolf A. Streuli, Langenthal; Prof. Dr. Antoine de Torrenté,
La Chaux-de-Fonds; Prof. Dr. Gérard Waeber, Lausanne;
Dr. Maria Monika Wertli, Bern
Advisory Board
Dr. Sebastian Carballo, Genève; Dr. Daniel Franzen, Zürich;
Dr. Francine Glassey Perrenoud, La Chaux-de-Fonds;
Dr. Markus Gnädinger, Steinach; Dr. Matteo Monti, Lausanne;
Dr. Sven Streit, Bern; PD Dr. Ryan Tandjung, Zürich
Und anderswo …?
A. de Torrenté
1043 Ischämische Präkonditionierung: die Technik der Zukunft?
Übersichtsartikel
M. C. Claussen, S. M. Ewers, U. Schnyder, W. Frey, C. Schmied, G. Milos
1044
Psychische Probleme und Erkrankungen im Leistungssport
Lange Zeit wurde eine geringere Häufigkeit psychischer Probleme und Erkrankungen bei
Leistungs-/Spitzensportlerinnen und -sportlern angenommen. Dies ist mit ein Grund für die
Unterentwicklung spezialisierter psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlungsangebote
und -einrichtungen. Betroffene Sportler werden im Allgemeinen selten oder häufig erst verspätet
zur psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung zugewiesen.
K. Nirgianakis, U. Novak, M. D. Mueller
1050
Interdisziplinäre Behandlung des Endometriumkarzinoms
­
Das Endometriumkarzinom ist der häufigste gynäkologische Tumor und weltweit die sechsthäu figste maligne Erkrankung. Die jährliche Inzidenz in Westeuropa beträgt 21,6 pro 100 000.
Die Erkrankung wird meist in frühen, auf den Uterus beschränkten Stadien und bei der postmenopausalen Frau aufgrund vaginaler Blutungen diagnostiziert. In der Prämenopause kann sich die
Erkrankung durch Veränderungen in Intensität und Frequenz der Regelblutung manifestieren.
Fallberichte
Eine hämodynamisch relevante Diät
J. Everts-Graber, S. Wirz, F. Martius
1055
Ein Mann mit einem grossen Hämatom am rechten Oberschenkel, welches ohne Trauma aufgetreten
sei und an Grösse zugenommen habe, sowie ebenfalls spontan entstandenen punktförmigen
Hautveränderungen stellte sich auf der Notfallstation vor.
1042
INHALTSVERZEICHNIS
Fallberichte
Kuckucksei in scheinbar banalem Befund einer medianen Halszyste
C. A. Burkart, A. Arnoux, C. Bourgau
1058
Ein Patient stellte sich zur Beurteilung einer zervikalen Schwellung vor. Bis auf die Schwellung
gab er keinerlei Beschwerden an.
Malignes Peritoneales Mesotheliom
P. Baumann, M. Precup, M. Gugger, H.-M. Hoogewoud, D. C. Betticher
1061
Ein älterer Mann wird wegen eines rechtsseitigen persistierenden Pleuraergusses
und zunehmender Dyspnoe zur weiteren Abklärung zugewiesen.
Compendium
1064 compendium update
Extended abstracts from SMW
New articles from the online journal “Swiss Medical Weekly” are presented after page 1064.
Impressum
Manuskripteinreichung online:
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Verlag: EMH Schweizerischer Ärzte
verlag AG, Farnsburgerstrasse 8,
4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 55,
Fax +41 (0)61 467 85 56, www.emh.ch
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publizierten Angaben wurden mit der
grössten Sorgfalt überprüft. Die mit
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öffentlichungen geben in erster Linie
die Auffassung der Autoren und nicht
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Dosierungen, Indikationen und Applikationsformen, vor allem von Neuzulassungen, sollten in jedem Fall mit
den Fachinformationen der verwendeten Medikamente verglichen werden.
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(EMH), 2015. Das Swiss Medical Forum
ist eine Open-Access-Publikation
von EMH. Entsprechend gewährt EMH
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Swiss Medical Forum –
Schweizerisches Medizin-Forum
Offizielles Fortbildungsorgan der FMH
und der Schweizerischen Gesellschaft
für Innere Medizin
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Titelbild:
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1043
UND ANDERSWO …?
Und anderswo …?
Antoine de Torrenté
Migräne: Hoffnung?
Das Calcitonin-Gene-Related Peptide (CGRP)
ist ein aus 37 Aminosäuren bestehendes Peptid, das durch dasselbe Gen wie Calcitonin
codiert wird (daher sein Name). Dieses Peptid,
das als Schmerzmediator fungiert, steht seit
langem in Verdacht, eine Rolle bei Migräne
zu spielen. 218 Migränepatienten mit einer
­
­
und litten weniger häufig an Lobärpneumonie.
Möglicherweise ist dieses Resultat auf die
immunmodulierenden Eigenschaften der Ma
krolide zurückzuführen …
Physician’s First Watch. 2015; June 12.
­
­
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­
durchschnittlichen Häufigkeit von 7 Anfällen
pro Monat wurden untersucht. 108 erhielten
alle 2 Wochen s.c. einen CGRP-Antagonisten
und 110 ein Plazebo. Nach 3 Monaten wiesen
die Patienten unter Verumbehandlung eine
signifikante Verringerung der Anfallstage pro
Monat (–4,2 vs. –3) auf. Eine Phase-3-Studie
steht noch aus, aber Migränepatienten können
zu hoffen wagen, da echte Migräne die Lebensqualität stark beeinträchtigt …
Dodick, David W, et al. The Lancet Neurology,
Volume 13, Issue 9, 885–892.
­
Digoxin: sicher?
Die Patienten der ROCKET-AF-Studie (n = 14 171),
in der Rivaroxaban mit Vitamin-K-Antagonisten bei Patienten mit VHF verglichen wurde,
dienten als Grundlage für diese retrospektive
Studie. 37% davon erhielten Digoxin. Nach der
Bereinigung um Störfaktoren war die Gesamt
sterblichkeit der Patienten unter Digoxin pro
100 Patientenjahre um den Faktor 5,4 erhöht,
gegenüber 4,3. Die HR betrug 1,17. Die Zahl der
vaskulär bedingten Todesfälle war um den Faktor 3,55 vs. 2,69, HR 1,19 und die der plötzlichen
Herztodfälle um 1,68 vs. 1,12 erhöht, HR 1,36.
Diese Zahlen widersprechen den Resultaten der
DIG-Studie über Patienten mit Herzinsuffizienz
im Sinusrhythmus, die keine Zunahme der kardiovaskulären Ereignisse im Vergleich zu Pa
tienten ohne Digoxinbehandlung gezeigt hatte.
Es fehlt eine grosse prospektive Studie über die
Anwendung von Digoxin bei Patienten mit VHF
(die wahrscheinlich nie durchgeführt wird …).
Washam JB, et al. Lancet. 2015;385:2363.
Ambulant erworbene Pneumonie (CAP):
Makrolide
20–60% der CAP werden durch Pneumokokken verursacht, die Resistenz des Keims gegen
Makrolide kann jedoch bis zu 35% betragen.
Dennoch werden diese weiterhin als Monooder Kombinationstherapie empfohlen. Von
2000–2013 wurde eine retrospektive Studie
über Pneumokokken-bedingte CAP mit 643 Patienten durchgeführt. 139 davon wiesen gegen
Makrolide resistente Keime auf. 68% dieser
Patienten erhielten eine Kombinationsbehandlung mit und 32% ohne Makrolide. Die
Patienten unter Makroliden mussten seltener
auf der Intensivstation aufgenommen werden
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(45):1043
­
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Appendizitis: Antibiotika oder Operation?
Die finnische Studie untersuchte 530 Patienten mit akuter unkomplizierter Appendizitis,
die durch ein CT bestätigt worden war. Eine
Gruppe wurde operiert und eine zunächst intravenös mit Ertapenem sowie anschliessend
eine Woche lang oral mit Levofloxacin und
Metronidazol behandelt. Ausser bei einem Patienten verlief die OP bei allen erfolgreich. In
der Antibiotikagruppe wurden 27% im Jahr
nach der AB-Therapie operiert. Es gab keine
Todesfälle. Für Patienten mit unkomplizierter
Appendizitis ist die AB-Therapie eine Option,
wobei die hohe Interventionsrate im Jahr
nach der Behandlung zu bedenken ist. Letztlich müssen die Patienten nach entsprechender Aufklärung selbst entscheiden.
Salminen P, et al. JAMA. 2015;313(23):2340–8.
Probleme und Kommentar
Die pathophysiologischen Schutzmechanismen einer ischämischen «Fern»-Präkonditionierung sind bis dato unklar. Den Erfahrungen nach zu urteilen, scheint die Methode bei
Lungen-, Leber-, Darm- und Herzoperationen
zu funktionieren. Anscheinend werden bei
einer IP die Zellen des jeweiligen Organs unter
dem Einfluss der ausgeschütteten Moleküle
zeitweise abgeschaltet und sind somit unempfindlicher gegen Läsionen, insbesondere
längere Ischämiephasen. Diese Studie ist eine
der bedeutendsten über IP an Patienten. Sollten sich die Resultate bestätigen, könnte die extrem simple Methode die Behandlung von Risikopatienten revolutionieren. Die Idealdauer der
IP bei den verschiedenen Eingriffen sowie mögliche Nebenwirkungen sind noch unbekannt,
das Konzept ist jedoch faszinierend!
Zarbock A, et al. JAMA. 2015;313:2133.
­­
Methode
Die randomisierte, verblindete Studie fand in
Deutschland statt. Mittels Cleveland-Score
wurden die Patienten mit hohem Risiko für
Resultate
In der IP-Gruppe erlitten 45 der 120 Patienten
eine Niereninsuffizienz gegenüber 63/120 in
der Scheineingriffsgruppe. Dies bedeutet eine
absolute Risikoreduktion von 15%, p = 0,02.
Ferner wurde mit der IP eine absolute Risikoreduktion der Patienten mit Dialysebedarf
(7 vs. 19 Patienten) sowie eine Verringerung
der Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation
um einen Tag erzielt, p = 0,001 bzw. 0,04. Zudem wurde in der IP-Gruppe ein signifikanter
Rückgang der Marker für tubuläre Läsionen
im Urin beobachtet.
­
­
Fragestellung
Akute Niereninsuffizienz ist eine bekannte
Komplikation nach Herzoperationen. Etwa
30% der Patienten leiden nach dem Eingriff
an einer eingeschränkten Nierenfunktion.
Glücklicherweise kommt es nur selten zum
Einsatz einer Dialyse, aber wenn, mit sehr
schlechter Prognose. Selbst ein leichter Anstieg
des Kreatininwerts ist jedoch mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität assoziiert.
Der Grund für die gestörte Nierenfunktion ist
eine Zerstörung der Zellen der Nierenkanälchen. Durch die ischämische Präkonditionierung (IP, siehe unten) werden zahlreiche
Moleküle ins Blut ausgeschüttet, die von den
Glomeruli gefiltert werden und zelluläre Abwehrreaktionen bewirken, welche die Inzidenz
einer Niereninsuffizienz nach der OP verringern können. Welche Wirkung hat die IP auf
die Häufigkeit von Niereninsuffizienz nach
Herzoperationen?
akute Niereninsuffizienz ermittelt. Nach Einleitung der Anästhesie erhielten 120 Patienten
eine IP durch das 3-malige Aufpumpen einer
Blutdruckmanschette auf 200 mm Hg oder
mindestens 50 mm Hg unterhalb des systo
lischen BD-Werts während 5 Minuten mit einer
3× 5-minütigen Pause in unaufgepumptem
Zustand. 120 weitere Patienten erhielten eine
Schein-IP mit einem Druck von 20 mm Hg.
Anästhesisten, Operateure und Pflegepersonal
wussten nicht, welcher Gruppe die Patienten
angehörten. Eine Niereninsuffizienz war de
finiert als ein um das 2- bis 3-Fache erhöhter
Kreatininwert oder eine Abnahme der glomerulären Filtrationsrate um >50 ml/min. Anhand von Blut- und Urinproben wurden zahlreiche am Zellschutz beteiligte oder als Lä
sionsmarker fungierende Moleküle bestimmt
(HMGB, IGFBP7, NGAL, TIMP-2). Primärer Endpunkt war eine Niereninsuffizienz innerhalb
von 72 Stunden nach der Operation.
Ischämische Präkonditionierung:
die Technik der Zukunft?
1044
ÜBERSICHTSARTIKEL
Sportpsychiatrie und Sportpsychotherapie
Psychische Probleme und
Erkrankungen im Leistungssport
Malte Christian Claussen a , Simon Manuel Ewers a , Ulrich Schnyder a , Walter Frey b , Christian Schmied c ,
Gabriella Milos a
a
b
c
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, UniversitätsSpital, Universität Zürich
balgrist move>med, Swiss Olympic Medical Center, Uniklinik Balgrist, Universität Zürich
Sportmedizin/Sportkardiologie «approved by Swiss Olympic» und «FIFA Medical Centre of Excellence», Kardiologisches Ambulatorium,
Universitäres Herzzentrum Zürich, UniversitätsSpital, Universität Zürich
Lange Zeit wurde eine geringere Prävalenz psychischer Probleme und Erkrankungen
bei Leistungs-/Spitzensportlerinnen und -sportlern angenommen. Dies ist mit ein
Grund für die Unterentwicklung spezialisierter psychiatrisch-psychotherapeutischer
Behandlungsangebote und -einrichtungen. Betroffene Sportler werden häufig nicht
oder wenn, dann erst verspätet der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung zugewiesen.
Einführung
Definition Elite-Athlet (Spitzensportler):
An athlete with potential for competing in the Olympics or
as a professional athlete; elite athletes are at increased risk
for injuries, given the amount of training, for psychological
abuse by coaches and parents, and self-abuse.
McGraw-Hill, «Concise Dictionary of Modern Medicine»
Zur Häufigkeit psychischer Probleme und Erkrankungen
im Leistungssport liegen noch nicht ausreichende und
teils widersprüchliche Daten vor. Trotzdem ist davon
auszugehen, dass psychische Probleme und Erkrankungen im Leistungssport mindestens so häufig vorhinaus gibt es deutliche Hinweise auf eine Sportspe
­
kommen wie in der Allgemeinbevölkerung [1]. Darüber
zifität psychischer Probleme und Erkrankungen wie
auch geschlechts- und sportartenspezifische Häufungen
[2–4].
Eine gründliche Exploration des Sportlers ist der erste
unverzichtbare Schritt und die Grundlage einer erfolgreichen Behandlung. Eine Verleugnung psychischer
rungen, aber auch in der Persönlichkeit des Sportlers
ist aber häufig, so dass die Exploration oft nicht nur des
und seines spezifischen Umfelds begründet liegt, muss
Sportlers selbst, sondern auch von Familienmitglie-
berücksichtigt werden. Eine weitere, sehr gute Erklärung
dern, Trainern und Betreuern angezeigt ist. Die teil-
bzw. Vertiefung des Einflusses der Persönlichkeit, des
weise spezifische klinische Präsentation psychischer
Wettkampfdrucks, aber auch des Umfeldes, findet sich
Erkrankungen, die in der wechselseitigen Beziehung
bei Glick und Kollegen [5]. Oftmals bedarf es durch
sportspezifischer körperlicher und seelischer Anforde-
Training und Wettkämpfe einer hohen Flexibilität des
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
Malte Christian Claussen
Probleme, die ein eigentliches Tabuthema darstellen,
2015;15(45):1044–1049
1045
ÜBERSICHTSARTIKEL
zuerhalten [10].
Dopingregularien beachtet werden.
In Europa gelangten psychische Erkrankungen im Leis-
Mit dem folgenden Artikel soll der Begriff der Sport-
tungssport jüngst in den Fokus nationalen Interesses
psychiatrie und -psychotherapie eingeführt und eine
nach Berichten von Depressionen und Suiziden, vor
Übersicht über die im Leistungssport auftretenden
allem im Fussball. An dieser Stelle ist insbesondere der
psychischen Probleme und Erkrankungen mit ihren
Suizid des deutschen Fussballnationaltorhüters Robert
sportspezifischen Besonderheiten gegeben werden.
Enke im November 2009 zu nennen, in dessen Folge es
Hinsichtlich einer weiteren, vertiefenden Betrachtung
2010 zur Gründung des Referats «Sportpsychiatrie und
der Entwicklung der Sportpsychiatrie und der spezi
-psychotherapie» der Deutschen Gesellschaft für Psych­
­
­
Sportlers mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit aufrecht-
Medikamenten Training und Wettkämpfe und die
­
Behandlers, auch müssen bei einer etwaigen Gabe von
fischen psychischen Probleme und Erkrankungen im
iatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nerven­
Leistungssport, aber auch ihrer Behandlung, wird auf
heilkunde (DGPPN) kam [1]. Die Zielsetzung des Referates
die am Ende angegebene Literatur verwiesen.
besteht in der Prävention, Behandlung und Erhaltung
der seelischen Gesundheit im Leistungssport sowie in
der Erforschung und besseren Integration der Sport-
Sportpsychiatrie und -psychotherapie
­
und Bewegungstherapie in die Behandlung psychischer
Erkrankungen. In den «DGPPN-Zentren für seelische
Die Sportpsychiatrie und -psychotherapie ist eine junge
Gesundheit im Sport», an mittlerweile neun deutschen
Spezialisierung innerhalb der Psychiatrie, die sich in
psychiatrischen Universitätskliniken wird ein sportgebot bereitgestellt.
auf die Steigerung der Leistung konzentriert, zielt die
Ein erstes spezialisiertes Angebot für Leistungssportle-
Sportpsychiatrie auf die Diagnostik und Behandlung
rinnen und -sportler mit psychischen Problemen und
psychischer Erkrankungen. Ihren Ursprung in der medi
Erkrankungen in der Schweiz wird seit 2014 an der Klinik
zinischen Literatur nimmt sie Anfang der 90er Jahre,
für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitäts-
Begel beschrieb die Sportpsychiatrie als Anwendung
Spitals Zürich aufgebaut. Mit der Einbindung in das Zen-
der Grundsätze der Praxis der Psychiatrie in der Welt
trum für Essstörungen liegt ein wesentlicher Schwer
des Sports [6]. Aber im Grunde muss man deutlich
punkt im Bereich der Essstörungen und der Sportsucht
weiter zurückgehen; so lautete bereits der Titel der
bzw. des Sportzwangs, aber auch die Beratung und Be-
Eröffnungsvorlesung des 1. deutschen Sportärztekon-
handlung bei anderen psychischen Problemen und Er-
gresses 1912 in Oberhof «Sportübertreibungen» [7],
krankungen von Leistungssportlern soll dieses neue
­
­
­
psychiatrisch-psychotherapeutisches klinisches An
Gegensatz zur Sportpsychologie, die sich hauptsächlich
­
den letzten Jahren kontinuierlich entwickelt hat. Im
Angebot ermöglichen.
Die Sportpsychiatrie zielt auf die Diagnostik
und Behandlung psychischer Erkrankungen
aber auch die von Jokl und Guttmann 1932 beschriebe-
Psychische Probleme und Erkrankungen
bei Leistungssportlerinnen und -sportlern
­
nen neurologisch-psychiatrischen Symptome eines BoPsychische Probleme und Erkrankungen kommen im
Sportpsychiatrie betrachtet werden [8].
Leistungssport wenigstens genauso häufig vor wie in
Nach Glick und Horsfall gibt es drei Hauptgründe für
der Allgemeinbevölkerung [1]. Insgesamt sind sie aber
die Notwendigkeit der Sportpsychiatrie. Erstens hat
bisher, mit Ausnahme der Essstörungen, nur wenig
der Gemütszustand des Athleten einen signifikanten
untersucht. Sie präsentieren sich häufig als klinisches
Einfluss auf die Leistung. Zweitens beeinflusst die Teil-
Bild, das spezifisch ist für die Population der Sportler.
habe an Sport Stimmung, Denken, Persönlichkeit und
Beispiele für die Sportspezifität bzw. sportspezifische
Gesundheit der Teilnehmer in spezifischer Weise. Drit-
psychische Erkrankungen sind die Sportsucht und An-
tens muss die psychiatrische Versorgung des Athleten
orexia athletica und für die Geschlechts- und Sport
an den athletischen Kontext angepasst werden, um
artenspezifität die Essstörungen. So finden sich diese
wirksam bzw. erfolgreich zu sein [9]. Weiter beschreiben
mehrheitlich in den sogenannten Leanness Sports (Ma-
Glick und Kollegen als primäre Ziele der Spezialisie-
gerkeitssportarten wie z.B. Langstreckenlauf, Kunst-
­
­
xers könnten als erste Schritte in der Entwicklung der
turnen und Eiskunstlauf) und wie unter Nicht-Sportlern
der Leistungsfähigkeit des Athleten durch Förderung
häufiger bei weiblichen als männlichen Sportlern. Die
psychischer Stärken, aber auch den Umgang mit psych
folgende Reihenfolge psychischer Probleme und Erkran
­
­
rung die Optimierung der körperlichen Gesundheit,
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
iatrischen Symptomen während der Lebenszeit des
2015;15(45):1044–1049
kungen orientiert sich am ICD-10.
1046
ÜBERSICHTSARTIKEL
Doping / Schizophrenie und bipolar affektive
Störung
über hinaus ein signifikanter Zusammenhang zwischen
Psychotische Störungen wie die Schizophrenie und
psychiatrischen Symptomen. Auch unterscheidet sich
Manie finden sich insgesamt sehr selten bei Leistungs-
der Konsum unter den einzelnen Sportarten. So wiesen
sportlern und manifestieren sich gewöhnlich nach der
Fussballspieler, Schwimmer und Baseballspieler einen
Einnahme anaboler Steroide. Pope und Katz berichte-
höheren Konsum auf als Basketball- oder Volleyball-
ten in einer Untersuchung an Sportlern, die anabole
spieler. Auch das sogenannte binge drinking findet sich
Steroide einnahmen, bei 12% Symptome psychotischer
mit 25–50% unter Sportlern häufiger als unter Nicht-
Störungen und bei 23% Symptome der bipolaren Stö-
Sportlern (16–43%) [15]. Ford konnte zudem eine Sport-
rung [11].
arten- und Geschlechtsspezifität nachweisen. Mit 46,9%
Neben anabolen Steroiden werden auch weitere Doping-
weisen Frauen im Fussball die höchste Rate an binge
substanzen wie Wachstumshormone und Erythropoe-
drinking-Verhalten auf, mit 75,4% sind es die Männer
tin, aber auch Amphetamine, Ephedrin und Pseudo
im Eishockey. Allgemein finden sich höhere Prävalenz-
­
-
­
der Alkoholmenge und Depressionen sowie generell
ephedrin im Leistungssport konsumiert und sind
raten in Teamsportarten als in Einzelsportarten [17].
diesbezüglich von grosser Relevanz. In einer von Breuer
McDuff und Baron berichteten, dass der Ephedrinkon-
und Hallmann 2013 veröffentlichen Studie des Deutschen
sum unter Leistungssportlerinnen häufiger ist, während
Bundesinstituts für Sportwissenschaft gaben 5,9% von
Amphetamine häufiger von Männern im Leistungssport
1100 befragten deutschen Spitzensportlern an, regel-
konsumiert werden. Bei Männern ist der Missbrauch
mässig zu «dopen», während 40% der Befragten zu der
von Amphetaminen weiter verbreitet in Kraftsportarten
Frage keine Angaben machten [12]. Diese Tatsache lässt
wie American Football, Lacross und Wrestling und in
eine hohe Dunkelziffer vermuten. In einer Befragung
Sportarten, die eine erhöhte Konzentration erfordern,
von Pitsch und Kollegen 2005 lag der Anteil deutscher
wie etwa Fechten und Schiesssport. Bei Frauen ist der
Leistungssportler, die Dopingmittel im Verlauf ihrer
Missbrauch von Amphetaminen im Eishockey, Turnen
Karriere eingenommen haben, zwischen 26 und 48%
und Feldsportarten wie Fussball und Feldhockey weiter
[13]. In einer weiteren Untersuchung der Gruppe um
verbreitet [16].
denselben Autor bejahten 35% den Konsum wissentlich
Kau- und Schnupftabak ist eine weitere häufig konsu-
eingenommener illegaler leistungssteigender Substan-
mierte Substanz unter Sportlern. Reardon und Creado
fassen in ihrer Metaanalyse zusammen, dass 23% der
College-Sportler, 35–40% der professionellen Football-
Soziale Aspekte und eine Verbesserung der
Regeneration werden als Hauptgründe für
sportbezogenen Substanzkonsum angegeben,
gefolgt von Stimmungsaufhellung, Stress
reduktion und Leistungssteigerung
­
Entspannung vor und nach dem Spiel sowie zur Er
­
spieler und 20–30% der Baseballspieler angaben, zur
höhung der Konzentration und Leistungssteigerung
­
­
während des Spiels, Tabak zu konsumieren [18].
Übertrainingssyndrom / Depression
bare Häufigkeit und Geschlechterverteilung der Depres-
tion werden als Hauptgründe für sportbezogenen Sub-
sion wie unter Nicht-Sportlern [2, 4]. Einzelne Studien
stanzkonsum angegeben, gefolgt von Stimmungsauf-
berichten aber auch über ein häufigeres Vorkommen
hellung, Stressreduktion und Leistungssteigerung [15].
bei Sportlern. So wurde zum Beispiel bei ungarischen
­
­
­
­
­
Athleten die Inzidenz der Depression mit 37,5% ange
­
Die meisten Untersuchungen belegen eine vergleich-
Soziale Aspekte und eine Verbesserung der Regenera-
­
zen wenigstens einmal während ihrer Karriere [14].
läufer und 50% der Basketballspieler mindestens
koholkonsum bzw. -missbrauch hier deutlich im Vorder-
einmal während ihrer Sportkarriere eine Erschöp-
grund steht [4]. Aber auch zahlreiche andere Substanzen
fungsdepression erleiden. Sportspezifischer Auslöser
werden von Sportlern häufiger konsumiert als von
für Depressionen können neben Verletzung, Miss
Nicht-Sportlern.
erfolg bzw. ungenügender Leistung und Rücktritt von
In einer Untersuchung unter nordamerikanischen
der aktiven Laufbahn auch ein zu intensives Training
College-Sportlern fand sich ein häufigerer Alkohol
und wiederholte Gewalteinwirkungen auf den Kopf
­
­
kenswerte Zahlen, so sollen 60% der Langstrecken
schen Probleme bei Leistungssportlern, wobei der Al-
­
Substanzmissbrauch ist eines der häufigsten psychi-
­
geben [19]. In der Literatur finden sich weitere bemer-
­
Substanzmissbrauch: Alkohol-und Tabakkonsum
erschütterungen erlitten haben, ein 1,5-fach erhöhtes
bzw. 71 und 93% (Sportlerinnen) [16]. Es findet sich dar-
Risiko auf, an einer Depression zu erkranken. Dieses
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(45):1044–1049
­
sein. So weisen Sportler, die ein oder zwei Gehirn
tiven Kollegen und lag zwischen 75 und 93% (Sportler)
­
konsum als bei ihren nicht regelmässig sportlich ak
1047
ÜBERSICHTSARTIKEL
in der Bewältigung beruflicher und sozialer Aktivitäten
auf das 3-Fache an [20].
sowie Unfähigkeit, die sportliche Tätigkeit einzustellen,
Während der protektive Effekt von regelmässiger körper
sind charakteristisch. In einer Untersuchung von
licher Aktivität gut untersucht wurde und die Sym
Resch und Haász wurde die Prävalenz der Sportsucht
­
­
Risiko steigt bei drei oder mehr Gehirnerschütterungen
wobei der angegebene Wert zu hoch erscheint, da in
als eine psychische Antwort auf körperlichen Stress
Untersuchungen unter Sportlern der Anteil derer mit
verstanden werden. Das Übertrainingssyndrom ist
einer Sportsucht oder Sportsuchtgefährdung mit 3
definiert als Verlust der Leistungsfähigkeit und fort-
bzw. 4,5% berichtet wurde [26, 27].
­
­
in der Gesamtbevölkerung mit 3–4% angegeben [25],
nen auf der anderen Seite Depressionen aber auch
­
ptome der Depression positiv beeinflussen kann, kön-
dauerndes Gefühl von Erschöpfung, verbunden mit
zität des Sportlers zur Erholung ist extrem reduziert.
Essstörungen: Anorexia athletica, Female &
Male Athlete Triad, Adipositas athletica
Eine Vielzahl von Autoren postuliert, dass wie bei der
Sportler in Ausdauersportarten oder Disziplinen, in
Depression Serotonin eine entscheidende Rolle in der
denen das individuelle Gewicht von grosser Bedeu-
Ätiologie zukommt. Diese Bedingungen sind mitunter
tung ist, weisen ein signifikant höheres Risiko auf, an
Ursache dafür, dass eine Unterscheidung zwischen
einer Essstörung zu erkranken [4]. Die Inzidenz der
Depression und Übertrainingssyndrom in der akuten
Essstörungen wird unter Kunstturnerinnen mit bis zu
Phase schwierig sein kann. Dennoch ist es wichtig,
60% angegeben. Eine Untersuchung berichtete eine
beide differentialdiagnostischen Überlegungen bei
Prävalenz der Essstörungen von 15% unter Sportle
einem Leistungssportler mit entsprechender Sympto-
rinnen in den Leanness Sports, verglichen mit 2% in
matik miteinzubeziehen.
anderen Sportarten und 1% unter Nicht-Sportlerinnen,
­
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­
­
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exzessivem und andauerndem Training [2]. Die Kapa-
während in den Leanness Sports bei 5% der Sportler
eine Essstörung gefunden wurde [28]. In einer weiteren
Unter den neurotischen Störungen sind insbesondere
Untersuchung unter norwegischen Leistungssportlern
die Angststörungen zu nennen, die sich häufig bei bei-
wiesen 20,1% der weiblichen und 7,7% der männlichen
den Geschlechtern finden. In einer französischen epi-
Sportler eine Essstörung auf [29].
­
Angsterkrankungen
demiologischen Studie von Schaal und Kollegen
Sportler in Disziplinen, in denen das individuelle Gewicht von grosser Bedeutung ist, weisen
ein signifikant höheres Risiko auf, an einer
Essstörung zu erkranken
wurden Angststörungen vor allem bei weiblichen
­
Sportlerinnen in ästhetischen Sportarten wie
Kunstturnen und Eiskunstlauf berichtet [21]. In
­
­
einer Studie mit australischen Leistungssportlern
berichteten Gulliver und Kollegen von Symptomen
Neben den klassischen Essstörungen müssen bei Sport-
Angststörung bei 7,1% und der Panikstörung bei 4,5%.
lern vor allem aber die atypischen und subklinischen
Verletzte Sportler wiesen in der australischen Studie
Essstörungen beachtet werden. So können Sportler Ess-
zudem eine höhere Symptomausprägung der generali-
muster oder Aktivitätslevels zeigen, welche an anorek-
sierten Angststörung auf [22].
tisches Verhalten erinnern, aber technisch nicht die
­
­
der sozialen Phobie bei 14,7%, der generalisierten
­
diagnostischen Kriterien der Anorexia nervosa erfüllen.
Sportsucht, Sportzwang / nicht stoffgebundene
Süchte
Pugliese und Kollegen prägten 1983 den Begriff der An-
Unter den nicht stoffgebundenen Süchten ist vor allem
Essstörung beschreibt und in der Folge durch Sundgot-
die Spielsucht zu nennen. Kerber fand bei einer Befra-
Borgen weiter modifiziert wurde [30–32]. Die Female
­
gung von über 600 College-Sportlern bei 15% ein pro
orexia athletica, der eine sportassoziierte, subklinische
Athlete Triad ist eine weitere sportspezifische Störung,
die durch ein gestörtes Essverhalten, eine anstren
lich häufiger bei Männern als bei Frauen [23].
gungsassoziierte Amenorrhoe (Amenorrhoe athletica,
Als weitere sportspezifische Erkrankung ist hier aber
hypothalamische Genese) und Osteoporose charakte-
auch vor allem die Sportsucht oder der Sportzwang
risiert ist und gewöhnlich bei Sportlerinnen, die die
­
­
­
blematisches bis pathologisches Spielverhalten, deut-
rend die Prävalenz aller drei Komponenten in Kombi-
häufiger und tritt gemeinsam mit weiteren Erkran-
nation zwar insgesamt eher gering zu sein scheint und
kungen wie zum Beispiel einer Essstörung auf [2]. Ge-
mit 0–16% beziffert wird, finden sich eine oder zwei
fühle von Euphorie nach intensivem Training, Not-
Komponenten bei 50–60% der Sportlerinnen [34]. Die
wendigkeit, die Sportdosis zu steigern, Schwierigkeiten
Male Athlete Triad ist bisher im Vergleich zur Female
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(45):1044–1049
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Leanness Sports betreiben, beobachtet wird [33]. Wäh-
primärer und ein sekundärer [24]. Letztgenannter ist
­
zu nennen. Veale beschrieb 1995 zwei Subtypen, ein
1048
ÜBERSICHTSARTIKEL
siert ist, während sich kognitive Beeinträchtigungen
erst im späteren Verlauf manifestieren [38, 39]. Auch
erniedrigte Testosteron nicht erkannt werden. Wie bei
neuropathologisch finden sich Unterscheide der bei-
der Female Athlete Triad gehören zu der Symptomtrias
den Formen.
­
­
­
Athlete Triad wenig untersucht, auch wird sie häufig
nicht beachtet, weil meist die Konsequenzen durch das
auch ein gestörtes Essverhalten und die Osteoporose.
Hyponatriämie, Hyperthermie oder Hitzschlag können
geführt wurde und Athleten mit grosser Fettmasse
Ursachen für ein akutes Delir sein, das bei Ausdauer-
beschreibt [35]. Beispiele finden sich im Sumo-Ringen
sportlern wie Langstreckenläufern, Radsportlern und
oder Freiwasser- und Langstreckenschwimmen.
Triathleten auftreten kann.
Aufmerksamkeitsdefizit-HyperaktivitätsSyndrom, ADHS
Ausblick
Die Diagnostik, Betreuung und Therapie von Leistungs
übrigen genannten psychischen Problemen – Menschen
drücken. Berger und Kollegen konnten zeigen, dass
Personen mit ADHS-Symptomen in der Kindheit im
sportlern mit psychischen Erkrankungen und Problemen ist dringend verbesserungsbedürftig, dies betrifft
insbesondere auch die Prävention und Rehabilitation.
Während in Deutschland seit Ende 2012 ein universi
täres Netzwerk von mittlerweile neun «DGPPN-Zentren
Erwachsenenalter eine signifikant höhere Frequenz ex-
für seelische Gesundheit im Sport» existiert, fehlen in
zessiven Trainings aufwiesen als Personen ohne ADHSSymptome in der Kindheit [36]. Eine der wenigen
Studien zu ADHS im Leistungssport stammt von Solo-
der Schweiz bisher weitere entsprechende klinische
Angebote und ein Netzwerk von in Sportpsychiatrie
­
und -psychotherapie spezialisierten Psych iatern/
­
mon und Haase, die bei 9% von 159 befragten Spielern
­
-innen und Psychotherapeuten/-innen. Es bedarf daher
der National Football League entweder ein ADHS oder
weiterer Anstrengungen und Initiative, mehr spezia
eine Lernschwäche fand [37].
­
Karriere einschlagen, um ihre Symptome zu unter
­
mit bereits bestehendem ADHS mitunter eine sportliche
­
­
Es wird angenommen, dass – im Gegensatz zu den
­
Delir
ein Begriff, der von Berglund und Kolleginnen 2011 ein-
­
Ergänzend ist noch die Adipositas athletica zu nennen,
lisierte Behandlungsangebote und -einrichtungen sowie
ein solches Netzwerk aufzubauen. Zusätzlich braucht
es die Integration der Thematik in die Ausbildung von
Die Folgen für die psychische Gesundheit von Sport
Berufen wie Sportärzten, Sportpsychologen und Physio-
arten, in denen Sportler einer hohen und wiederholten
therapeuten, aber auch eine Sensibilisierung der in die
Gefahr von Gewalteinwirkungen auf den Kopf aus
medizinische Behandlung integrierten Kollegen wie
­
Kopfverletzungen: Dementia pugilistica /
chronische traumatische Enzephalopathie, CTE
­
­
­
Trainern, Betreuern und anderen Sport-assoziierten
gesetzt sind, wie etwa in Kampf-, Hochgeschwindig-
zum Beispiel der Hausärzte. Letztendlich braucht es
keits- oder kampfbezogenen Mannschaftssportarten
aber eine Aufklärung der Sportler und ihres sozialen
(Football, Rugby und Eishockey), sind bisher nicht aus-
Umfelds wie auch der Gesellschaft, um ein früheres
reichend verstanden [1]. Untersuchungen zeigen,
dass das Risiko für eine Depression in Abhängigkeit der Zahl der Gehirnerschütterungen steigt
[20]. Unklar ist, in welchem Ausmass wiederholte
­
­
­
Gewalteinwirkungen unterhalb der Stärke einer
Es braucht eine Aufklärung der Sportler und
ihres sozialen Umfelds, aber auch der Gesellschaft, um ein früheres Erkennen psychischer
Probleme und Erkrankungen zu ermöglichen
­
Gehirnerschütterung ein Risikofaktor für eine
ermöglichen. Dies mit dem Ziel einer frühen Zuwei-
pugilistica), von dem schätzungsweise 20% der Boxer
sung zu in der klinischen Versorgung tätigen Psychia-
nach Karriereende betroffen sind, sind dagegen recht
tern und Psychotherapeuten, die die sportspezifischen
gut bekannt. Die klassische Definition beschreibt
Besonderheiten und klinischen Unterschiede des Leis-
Dr. med.
hauptsächlich Störungen von Gang, Sprache und Kog-
tungssportlers im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung
Malte Christian Claussen
nition sowie der Persönlichkeit und des Verhaltens, aber
kennen.
Klinik für Psychiatrie und
auch extrapyramidale Symptome. Jüngste Studien zur
Neben dem Genannten bedarf es darüber hinaus aber
Psychotherapie
CTE beschreiben eine moderne Variante, die durch ein
noch einer Forschungsinitiative. In einem ersten Schritt
frühes Auftreten affektiver Störungen, vor allem Depres-
ist es wichtig, zunächst Studien über die Prävalenz
sionen, Paranoia, Agitation und Aggression, charakteri-
psychiatrischer Probleme und Erkrankungen im Leis-
Culmannstrasse 8
CH-8091 Zürich
malte.claussen[at]usz.ch
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(45):1044–1049
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UniversitätsSpital Zürich
Korrespondenz:
­
Erkennen psychischer Probleme und Erkrankungen zu
drome bei Boxern und das Boxersyndrom (Dementia
­
Depression sind. Parkinsonoide und dementielle Syn-
1049
ÜBERSICHTSARTIKEL
tungssport, im Speziellen auch für die Schweiz, zu ent-
Das Wichtigste für die Praxis
wickeln. Es ist die Hoffnung der Autoren, dass hierdurch
• Eine geringere Häufigkeit psychischer Erkrankungen bei Leistungssportlern im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung wurde lange Zeit angenommen. Dies hat mit zu einer Unterentwicklung spezialisierter, psychiatrisch
langfristig Präventions- und Behandlungsstrategien
erarbeitet werden können.
Disclosure statement
und psychotherapeutischer Behandlungsangebote und -einrichtungen
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
geführt.
Titelbild
© Marcogovel | Dreamstime.com
• Psychische Probleme und Erkrankungen kommen im Leistungssport
über hinaus gibt es deutliche Hinweise auf eine Sportspezifität psychischer Erkrankungen wie auch geschlechts- und sportartenspezifische
–
–
Häufungen.
Empfohlene Literatur
­
mindestens genauso häufig vor wie in der Allgemeinbevölkerung. Dar
• In der Intervention bei Leistungssportlern sind Anpassungen der psych–
iatrisch-psychotherapeutischen Diagnostik und Behandlung nötig. So
bedarf es mitunter, bedingt durch Training und Wettkämpfe, einer hohen
–
Flexibilität des Behandlers, auch müssen bei der Gabe von Medikamenten zusätzlich die Dopingregularien beachtet werden.
–
• Die Sportpsychiatrie und -psychotherapie ist eine junge Spezialisierung
innerhalb der Psychiatrie, die unter anderem Forschung, Diagnostik,
­
Behandlung und Prävention psychischer Erkrankungen im Leistungs-
Bar KJ, Markser VZ. Sport specificity of mental disorders: the issue
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sport adressiert. Sie zielt aber auch darauf, die psychische Gesundheit zu
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
fördern und dadurch die Leistungsfähigkeit der Sportler zu steigern.
2015;15(45):1044–1049
Literatur
Die vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie als Anhang
des Online-Artikels unter www.medicalforum.ch.
LITERATUR / RÉFÉRENCES Online-Appendix
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1050
ÜBERSICHTSARTIKEL
Gesichtertes und Kontroverses
Interdisziplinäre Behandlung
des Endometriumkarzinoms
Konstantinos Nirgianakis b , Urban Novak a,c , Michael D. Mueller b,c
a
c
Klinik und Poliklinik für Medizinische Onkologie, Inselspital, Bern; b Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Inselspital, Bern;
Brust und Gynäkologisches Tumorzentrum, Inselspital, Bern
Einleitung
Das Endometriumkarzinom ist der häufigste gynäko­
logische Tumor und weltweit die sechsthäufigste mali­
gne Erkrankung. Die jährliche Inzidenz in Westeuropa
beträgt 21,6 pro 100 000. Die Erkrankung wird meist in
frühen, auf den Uterus beschränkten Stadien und bei
der postmenopausalen Frau aufgrund vaginaler Blu­
tungen diagnostiziert. In der Prämenopause kann sich
die Erkrankung durch Veränderungen in Intensität
und Frequenz der Regelblutung manifestieren.
Das Endometriumkarzinom wird in zwei Kategorien
unterteilt: das mit 80% häufigere, von atypischen
-
-
­
endometrialen Hyperplasien ausgehende Typ I Endo­
­
­
metrium karzinom entspricht histologisch endome­
-
-
trialen Adenokarzinomen. Typ II Karzinome verlaufen
aggressiver und umfassen klarzellige und seröse Karzi­
zum Zeitpunkt der Diagnose wurde bislang in den Typ
-
nome sowie Karzinosarkome. Das Durchschnittsalter
-
II Karzinomen als höher betrachtet. Eine prospektive
Studie mit mehr als einer Million Norwegerinnen, die
Faktoren sind das hohe Alter bei der letzen Geburt sowie
pen 65 Jahre).
Kaffee und Teekonsum.
-
-
Östrogenmetabolismus zu erklären. Andere protektive
-
992 Typ II Karzinome einschloss, zeigte allerdings kei­
nen Unterschied (Durchschnittsalter in beiden Grup­
Aufgrund ihrer Östrogenabhängigkeit gelten Langzeit­
einnahmen von Östrogenen ohne Gestagenschutz, das
metabolische Syndrom mit Adipositas, die frühe Men­
teilung nach FIGO (Tab. 1).
zystischen Ovar Syndrom) als Risikofaktoren für die
Gegenüber der früheren Einteilung von 1988, auf der
Typ I Karzinome. Arterielle Hypertonie und Diabetes
die derzeitige Behandlungsevidenz weitestgehend ba­
mellitus zählen ebenfalls zu den Risikofaktoren. Adi­
siert, entfällt die positive intraperitoneale Zytologie,
positas scheint zusätzlich ein Risikofaktor für die Typ II
die Unterteilungen des Stadiums I wurden reduziert,
Karzinome zu sein. Ausserdem tritt ein Endome­
und im Stadium III ist die Unterscheidung eines Befalls
triumkarzinom bei 40–60% der Patientinnen mit
der pelvinen bzw. paraaortalen Lymphknoten neu.
Lynch Syndrom und bei 5–10% der Patientinnen mit
Durch diese Anpassungen wurde die prognostische
Cowden Syndrom auf.
Aussagekraft der neuen Stadieneinteilung verbessert:
Hormonelle Kontrazeption dagegen senkt das Risiko für
Das 5 Jahres Überleben im Stadium IA beträgt ~90%,
Endometriumkarzinom um ca. 50%. Rauchen scheint
78% für das Stadium IB, und sinkt auf 57% für das
ebenfalls ein protektiver Faktor zu sein. Sein protek­
Stadium IIIC1 resp. 49% bei paraaortalem Lymphkno­
tiver Effekt ist durch die Stimulation des hepatischen
tenbefall (IIIC2).
2015;15(45):1050–1054
-
-
­
-
-
-
-
-
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
­
Seit 2009 gilt die aktualisierte Version der Stadienein­
oxifen sowie hohe Östrogenspiegel (z.B. beim poly­
-
arche, die späte Menopause, Behandlungen mit Tam­
-
Konstantinos Nirgianakis
Staging und Risikoabschätzung
1051
Im Stadium I werden je nach histologischem Ausrei­
Eine 2013 publizierte, umfassende, molekulare Analyse
fungsgrad (G1–3) und Histologie (endometrioider Typ vs.
von 373 Endometriumkarzinomen identifizierte vier
nicht endometrioider Typ) drei Risikogruppen definiert
prognostisch unterschiedliche Subtypen. Das könnte
(Tab. 2).
künftig zu einer neuen Klassifikation führen, die even­
-
bersichtsartikel
Ü
tuell die Therapie des Endometriumkarzinoms ändern
Tabelle 1: Stadieneinteilung des Endometriumkarzinoms
nach FIGO 2009.
würde.
Stadium I
Tumor auf den Uterus beschränkt
IA
Keine oder <50% Infiltration des Myome triums
IB
>50% Infiltration des Myometriums
Stadium II
Befall des Zervixstromas
Stadium III
Ausbreitung jenseits des Uterus
Bei dringendem Kinderwunsch und gut differenzier­
IIIA
Uterusserosa und/oder Adnexe
tem, endometrioidem Karzinom im Stadium T1a kann
IIIB
Vagina und/oder Parametrien
eine fertilitätserhaltende Therapie erwogen werden,
IIIC
Pelvine und/oder paraaortale Lymphknoten
wenn hysteroskopisch sichergestellt wurde, dass kein
IIIC1
Pelvin
Restkarzinom in utero verblieben ist. Eine Myome­
IIIC2
Paraaortal mit oder ohne Befall der pelvinen
Lymphknoten
triuminfiltration sowie eine Ovarialmetastasierung
Stadium IV
Befall nicht-genitaler Organe und/oder
Fernmetastasen
MRT und eine Laparoskopie ausgeschlossen werden.
IVA
Infiltration in die Schleimhaut von Blase
und/oder Darm
Die Patientinnen müssen über die höhere Rezidivwahr­
IVB
Ausbreitung in die Bauchhöhle, inguinale
Lymphknoten oder Fernmetastasen
Notwendigkeit eines engmaschigen Follow ups infor­
­
Chirurgie
Kinderwunsch
müssen durch einen transvaginalen Ultraschall, ein
-
scheinlichkeit, die Möglichkeit der Progression und die
miert werden. Eine kontinuierliche orale Gestagen­
applikation mit Medroxyprogesteronacetat 200 mg/d
Niedrig
FIGO 1A, G1 und G2, endometrioider Typ
Intermediär
FIGO 1A, G3, endometrioider Typ
FIGO 1B, G1 und G2, endometrioider Typ
Hoch
FIGO 1B, G3, endometrioider Typ
FIGO 1A oder 1B, nicht-endometrioider Typ
ist Therapie der Wahl. Dreimonatlich erfolgt eine Kon­
trolle mit transvaginalem Ultraschall, Hysteroskopie
und Endometriumbiopsie. Eine Schwangerschaft ist
erst nach unauffälligem Re Staging anzustreben, gege­
-
Tabelle 2: Risikogruppen im Stadium I.
benenfalls mit assistierter Reproduktion, um die Zeit­
dauer bis zur Schwangerschaft möglichst gering zu
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
Abbildung 1: Anatomische Strukturen nach laparoskopischer pelviner Lymphonodektomie.
2015;15(45):1050–1054
1052
bersichtsartikel
Ü
Abbildung 2: Indocyanine-green-(ICG-)markierter Sentinel-Lymphknoten iliakal rechts.
halten. Nach erfülltem Kinderwunsch ist, aufgrund der
keinen Überlebensvorteil für die alleinige pelvine
hohen Rezidivgefahr, eine stadiengerechte chirurgische
Lymphonodektomie nachweisen. Die Datenlage zur
Therapie nötig.
Bedeutung der systematischen pelvinen und para­
aortalen Lymphonodektomie ist spärlich; es gibt keine
tive Kohortenstudie zeigte, dass Patientinnen mit mitt­
situation mit eingeschränkter Operabilität wird primär
lerem oder hohem Rezidivrisiko, bei denen eine pel­
eine operative Therapie durchgeführt. Das systema­
vine und paraaortale Lymphonodektomie durchgeführt
tische operative Staging besteht aus einer Hysterek­
wurde, eine längere Lebenserwartung hatten, als wenn
tomie, bilateralen Adnexektomie und, je nach Stadium
nur eine pelvine Lymphonodektomie durchgeführt
und/oder Histologie, pelvinen und paraaortalen Lym­
wurde. Dieser Vorteil konnte bei niedrigem Risiko
phonodektomie. In seltenen Fällen ist eine Omentek­
nicht festgestellt werden.
tomie ebenfalls indiziert. Traditionellerweise wurde
Auch wenn der direkte therapeutische Effekt der
das Staging beim Endometriumkarzinom per Laparo­
Lymphonodektomie umstritten bleibt, wird generell
tomie durchgeführt. In den letzten Jahren haben ver­
akzeptiert, dass sie zur Prognoseabschätzung und zur
schiedene Studien jedoch das Staging via Laparotomie
Entscheidung der adjuvanten Therapie dient. Wenn die
mit dem via Laparoskopie verglichen. Da die eindeu­
Lymphknoten unauffällig sind, kann auf eine adju­
tigen Vorteile des laparoskopischen Vorgehens (weniger
vante Therapie verzichtet werden, wodurch unnötige
Komplikationen und kürzere Hospitalisation) im Ver­
Toxizität vermieden werden kann.
gleich zur klassischen offenen Operation bei gleicher
Da eine Lymphonodektomie sowohl die operative und
Rezidivhäufigkeit und 5 Jahres Überlebensrate in rando­
postoperative Morbidität erhöht, sollte diese nur bei
misierten Studien und Metaanalysen nachgewiesen
hoher Wahrscheinlichkeit karzinombefallener Lymph­
wurden, sollte die Operation heutzutage standard­
knoten durchgeführt werden. Eine prospektive Kohor­
mässig laparoskopisch durchgeführt werden (Abb. 1).
tenstudie zeigte, dass bei Patientinnen mit mittlerem
Bezüglich Roboter assistierter Chirurgie wurden bis
und hohem Rezidivrisiko in 17% die pelvinen und in 12%
anhin keine Studien publiziert, die bei der operativen
die paraaortalen Lymphknoten positiv waren. 55% der
Therapie des Endometriumkarzinoms einen Vorteil im
Patientinnen mit positiven pelvinen Lymphknoten
Vergleich zur Laparoskopie demonstrieren würde.
hatten auch positive paraaortale Lymphknoten. Zudem
-
-
-
­
­
­
­
prospektiven randomisierten Studien. Eine retrospek­
Ausser bei dringendem Kinderwunsch und Hochrisiko­
­
Laparotomie vs. Laparoskopie
hatten 3% der Patientinnen mit negativen pelvinen
Interessanterweise zeigte die Mehrzahl der Patientin­
ektomie durchgeführt werden soll, und in welchem Aus­
nen mit positiven paraaortalen Lymphknoten einen
mass. Zwei randomisierte Multizenterstudien, die beide
Befall zwischen Nierengefässen und A. mesenterica in­
leider schwere formale Mängel aufweisen, konnten
ferior (IMA). Bei mittlerem und höherem Rezidivrisiko
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(45):1050–1054
­
Lymphknoten positive paraaortale Lymphknoten.
Eine kontroverse Kernfrage ist, wann eine Lymphonod­
Lymphonodektomie: Ja oder Nein?
1053
bersichtsartikel
(pT1b, pT1a G3 und alle nicht endometrioide Histo­
triumkarzinom im FIGO Stadium I mit niedrigem Ri­
logien) wird somit allgemein eine pelvine und para­
siko kein Zusatznutzen bringt. Auch wenn die externe,
aortale Lymphonodektomie empfohlen. Bei geringem
das heisst perkutane Bestrahlung die lokale Tumor­
Risiko dagegen (pT1a G1–2) bleibt die Wahrscheinlich­
kontrolle beim intermediären und hohen Risiko ver­
keit karzinombefallener Lymphknoten so gering (3–
bessert, kann das Überleben dadurch nicht verlängert
5%), dass auf eine Lymphonodektomie verzichtet wer­
werden. Aufgrund der geringeren Toxizität bei gleicher
den kann.
Wirksamkeit ist die postoperative vaginale Brachythe­
-
Ü
rapie zur Therapie des frühen Endometriumkarzinoms
Sentinel-Lymphknoten
mit intermediärem bis hohem Risiko einer externen
Wie bereits erwähnt ist eine Lymphonodektomie mit
Bestrahlung vorzuziehen.
-
einer intra und postoperativen Morbidität verbunden.
zwischen 5 und 38% angegeben. Zur Umgehung wird
Adjuvante Chemotherapie in Kombination
mit perkutaner Strahlentherapie
das Konzept des Sentinel Lymphknotens auch beim
In der Hochrisikosituation des frühen Endometrium­
Endometriumkarzinom zurzeit in verschiedenen lau­
karzinoms haben zwei Studien keinen Unterschied im
fenden Studien evaluiert. Eine Metaanalyse von 26 Stu­
Überleben zwischen der postoperativen perkutanen Be­
dien mit 1101 Sentinel Lymphknotenoperationen zeigte
strahlung im Vergleich zu einer Chemotherapie mit Cis­
platin, Cyclophosphamid und Doxorubicin gezeigt. Bei
fortgeschrittenen Tumorstadien (FIGO III und operativ
-
gut behandelten Patientinnen mit FIGO IV Erkrankung)
ist hingegen die Kombinationschemotherapie mit Doxo­
­
­
Das Konzept des Sentinel-Lymphknotens wird
zurzeit auch beim Endometriumkarzinom
in verschiedenen laufenden Studien evaluiert
-
-
­
-
­
Das Risiko für ein Lymphödem wird je nach Studie
klar überlegen und verbessert das Überleben um 25%.
insbesondere mittels ICG (indocyanine green-)Technik
Die gepoolten Daten von 540 Patientinnen haben eine
(Abb. 2), wird sich in Zukunft möglicherweise auch
Reduktion des Rückfall und Todesrisikos und ein ver­
beim Endometriumkarzinom etablieren. Aktuell sollte
bessertes krankheitsspezifisches Überleben gezeigt,
sie allerdings nur unter Studienbedingungen durch­
wenn Hochrisiko Patientinnen eine kombinierte Radio
geführt werden.
Chemotherapie (perkutane Bestrahlung gefolgt von
-
-
­
-
­
-
knotenmetastasen. Die Sentinel Lymphonodektomie,
­
rubicin und Cisplatin einer Ganzabdomenbestrahlung
-
eine Sensitivität von 93% für den Nachweis von Lymph­
Doxorubin/Cisplatin, oder Paclitaxel, Carboplatin mit
lung vs. Radio Chemotherapie (perkutane Bestrahlung
aktuelle Datenlage nicht bestätigt wird. Es scheint, dass
+ Cisplatin gefolgt von 4 Zyklen Carboplatin und Pacli­
die lymphovaskuläre Invasion ein besserer Indikator
taxel). Die kombinierte Radio Chemotherapie, die wir
für parametriane Ausbreitung ist als der Befall des
aktuell unseren Patientinnen ab Stadium IB mit Hoch­
Zervixstromas. Somit wird bei FIGO II Endometrium­
risikokonstellation vorschlagen, ist somit aktuell nicht
karzinomen nicht zwingend eine radikale Hysterek­
durch Studien abgestützt und basiert auf retrospektiven
tomie empfohlen. Bei Tumorausbreitung in die Vagina
Extrapolationen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass in
-
-
-
hoch ist wie beim Zervixkarzinom, was aber durch die
-
TEC 3 Studie prüft randomisiert die perkutane Bestrah­
-
halten. Die erst in einigen Jahren abgeschlossene POR­
men, dass das Risiko für Parametrienbefall ähnlich
-
oder ohne Doxorubicin) vs. perkutane Bestrahlung er­
Bei Befall des Zervixstromas (FIGO II) wird angenom­
­
Radikale Hysterektomie und palliative Situation
den hier zitierten Studien (inkl. PORTEC 3) keine sys­
terte radikale Hysterektomie mit Resektion der Para­
tematische Lymphonodektomie durchgeführt wurde,
metrien, wenn notwendig mit Kolpektomie, durchge­
was Aussagekraft und Umsetzung beeinträchtigt.
-
und/oder die Parametrien (FIGO IIIB) wird eine erwei­
führt. Bei inkurablen, fortgeschrittenen Stadien kann
eine operative Intervention (Hysterektomie zur Blu­
tungsprophylaxe, Debulking von grossen Tumormas­
sen) in einem palliativen Setting erwogen werden.
Rezidive und palliative Therapien
Rückfälle treten meist innerhalb von drei Jahren auf.
Das Spektrum ist breit und umfasst isolierte, erneut
Adjuvante Behandlungen
durch Lokaltherapien kurativ angehbare vaginale Rezi­
dive bis hin zu disseminierten Manifestationen. Gut
differenzierte Tumoren, späte Rückfälle und Lungen­
metastasen können besser behandelt werden, wohin­
Die neueste Cochrane Metaanalyse zeigte, dass die post­
gegen Rückfälle nach adjuvanter Chemotherapie pro­
operative perkutane Strahlentherapie beim Endome­
gnostisch ungünstig sind. Für diese Situation gibt es
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
-
Strahlentherapie
2015;15(45):1050–1054
1054
bersichtsartikel
Ü
eine chemosensible Entität. Die bereits kommunizier­
Dr. med.
so zum Beispiel für Temsirolimus oder Bevacizumab.
ten Resultate der GOG 209 Studie zeigen, dass die
Konstantinos Nirgianakis
Bei zuvor unbehandelten Patientinnen lassen sich mit
Zweierkombination von Carboplatin und Paclitaxel bei
platinhaltigen Chemotherapien Ansprechraten von
gleicher Wirksam keit das oft eingesetzte, aber toxi­
50% erreichen; entgegen dem landläufigen Eindruck
schere TAP Regimen (Cisplatin, Doxorubicin und Pacli­
handelt es sich beim Endometriumkarzinom also um
taxel) ersetzen wird.
Inselspital Bern
-
CH 3010 Bern
kw.nirgianakis[at]gmail.com
-
-
­
­
Frauenheilkunde
-
Universitätsklinik für
­
im Vergleich zu anderen Tumoren nur wenige Daten,
Korrespondenz:
Palliative Hormontherapien sind bei gut differenzierten,
-
Hormonrezeptor positiven Tumoren eine oft einge­
setzte und gut verträgliche Alternative bei oligosympto­
matischen Patientinnen. Die Ansprechraten erreichen
• Die Inzidenz des Endometriumkarzinoms ist steigend.
werden Medroxyprogesteronacetat (Farlutal®), Tamoxifen
Das Wichtigste für die Praxis
• Bei postmenopausalen Frauen macht es sich meist schon früh durch
• Mehr als 70% der Patientinnen befinden sich bei der Diagnose im FIGOStadium I, was ein 5-Jahres-Überleben von ca. 90% bedeutet.
• Die chirurgische Therapie besteht aus einer Hysterektomie, einer bilateralen
Adnexektomie und, je nach Stadium und/oder Histologie, einer pelvinen
und paraaortalen Lymphonodektomie.
• Die adjuvante Therapie richtet sich nach der Stadieneinteilung und dem
Rezidivrisiko.
Tamoxifen ist etwas weniger wirksam, aber klar besser
als die Aromatasehemmer.
Disclosure statement
Authors Nirgianakis, Novak, Mueller have no conflicts of interest
or financial ties to disclose.
Titelbild
© Guniita | Dreamstime.com
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
und die Aromatasehemmer Letrozol und Anastrozol.
­
­
vaginale Blutungen bemerkbar.
~30% und sind nicht selten von langer Dauer. Eingesetzt
2015;15(45):1050–1054
1055
FALLBERICHTE
Eine fast vergessene Erkrankung
Eine hämodynamisch relevante Diät
Judith Everts-Graber a , Sebastian Wirz b , Ferdinand Martius b
Institut Cochin, INSERM U1016, Paris, Frankreich
Kantonsspital Baselland, Bruderholz, Schweiz
Noch vor dieser geplanten Kontrolle wurde der Patient
Fallbericht
aufgrund eines Kollapses beim Duschen von der Sanitätspolizei
bestehenden, circa 10 × 10 cm grossen Hämatom am
60/40 mm Hg) und tachykard (Sinusrhythmus) mit
rechten Oberschenkel stellte sich auf unserer Notfall-
grossflächigen Suffusionen an beiden Beinen und prä-
station vor. Dieses sei ohne Trauma aufgetreten und
tibialen Petechien (Abb. 1), so dass formal die Diagnose
habe im Verlauf stets an Grösse zugenommen. Des
eines hämorrhagischen Schocks gestellt wurde. Hin-
Weiteren bemerkte er punktförmige Hautveränderun-
weise für ein Kompartmentsyndrom lagen klinisch
gen an den unteren Extremitäten, die ebenfalls spontan
nicht vor. Im Blutbild zeigte sich nun eine normo-
entstanden sind und weder jucken noch schmerzen
chrome, normozytäre Anämie mit einem Hämoglobin
würden.
von 101 g/l und erhöhter Retikulopoese, die Thrombo-
Die persönliche Anamnese war bis auf eine behandelte
zytenzahl lag im Normbereich. In den globalen Gerin-
arterielle Hypertonie unauffällig, Noxen und Alkohol-
nungstests fanden sich keine Auffälligkeiten (INR 1,0,
konsum verneinte der Patient glaubhaft. Die System
aPTT nicht verlängert und Fibrinogen im Rahmen der
­
Ein 49-jähriger Mann mit einem seit zwei Wochen vor-
eingewiesen.
Er
war
hypoton
(BD
­
 
anamnese ergab keine weiteren Hinweise, insbesondere
Blutung reaktiv leicht erhöht).
keine erhöhte Blutungsneigung oder B-Symptomatik.
Der Blutdruck konnte mittels Kristalloiden und ins
In der körperlichen Untersuchung waren das Häma-
gesamt sieben Erythrozytenkonzentraten stabilisiert
tom am rechten Oberschenkel sowie Petechien an bei-
werden, zusätzlich wurden bei unklarer Diagnose und
den Unterschenkeln ersichtlich, der restliche Status
grössenprogredienten Hämatomen mehrere FFP (fresh
gestaltete sich unauffällig.
frozen plasma) verabreicht. Der Nadir des Hämoglo-
Die Blutuntersuchungen waren durchwegs normal,
bins betrug 76 g/l.
das Hämoglobin betrug 149 g/l, die Thrombozytenzahl
Die anschliessenden diagnostischen Abklärungen konn-
204 × 10⁹/l und der INR 1,0. Die Duplex-sonographische
ten keine Ursache der Blutung erfassen: In der notfall-
Untersuchung der unteren Extremitäten war normal
mässig durchgeführten CT-Angiographie des Beines
und der Patient wurde nach Vereinbarung einer ambu-
fand sich kein Kontrastmittelaustritt im Sinne eines
lanten hämatologischen Konsultation wieder nach
Gefässlecks, auch Duplex-sonographisch wurde keine
Hause entlassen.
arterielle oder venöse Gefässläsion noch eine sonstige
­
b
 
a
Auffälligkeit gesehen. Die Gerinnungsabklärungen
­
fielen unauffällig aus, insbesondere ergab sich kein
Hinweis für ein erworbenes Von-Willebrand-Syndrom,
das sowohl die Petechien als auch die Hämatome hätte
erklären können. Der Von-Willebrand-Faktor und der
Faktor VIII waren im Rahmen der Blutung sogar deutlich erhöht. Die normale PFA-Kollagen/ADP-Blutungszeit sprach gegen eine Störung der primären
Epi-Zeit konnte nicht durch plättchenaktive Medi
­
­
Hämostase. Die leichte Verlängerung der PFA-Kollagen/
kamente erklärt werden, weshalb noch ausgedehnte
Thrombozytenaggregationstests veranlasst wurden,
die alle normal ausfielen.
Eine Feinnadelangiographie der rechten Femoralarterie zeigte weder ein Gefässleck noch eine arteriovenöse Fistel, jedoch wurde ein unspezifisches kapilläres
Pooling beschrieben, wie man es bei einer KleingefässVaskulitis sehen kann. Eine Stanzbiopsie der Haut am
linken Unterschenkel konnte diesen Verdacht jedoch
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
Abbildung 1: Oberschenkelhämatom.
2015;15(45):1055–1057
Abbildung 2: Gingivahyperplasie.
Abbildung 3: Korkenzieherhaare.
nicht bestätigen. Die Blutuntersuchungen zur «Vasku-
einem Stillstand der Blutung und zu einer raschen kli-
litis-Suche» (ANA, ANCA, C3, C4 und Kryoglobuline)
nischen Besserung. Der Patient erhielt nach der Dia
sowie die Antiphospholipid-Antikörper waren unauf-
gnosestellung eine umfassende Ernährungsberatung
fällig.
und hat seither Fruchtsäfte in seinen Speiseplan aufge-
Richtungsweisend war schliesslich die ausgeprägte
nommen.
Fehlernährung, die uns während der Hospitalisation
In der ambulanten Nachkontrolle einen Monat später
aufgefallen ist. Auf gezieltes Nachfragen gab der Patient
betrug der Hämoglobin-Wert 148 g/l und die Häma-
an, dass er seit Jahren nur noch Weissbrot, Schokoriegel
tome waren fast vollständig resorbiert.
­
fallberichte
1056
und Teigwaren ohne Sauce esse, jedoch keinerlei Früchte
oder Gemüse – dies, weil es ihm einfach nicht schmecke. Er wohnte bei seiner Mutter, welche die Ernäh-
Diskussion
Skorbut ist eine der am längsten bekannten Vitamin-
gen Jahren nahm unser Patient ein Vitaminpräparat
mangel-Erkrankungen. Bereits im 2. Jahrhundert v. Chr.
ein, diese Supplementation wurde im Verlauf jedoch
wurde die Krankheit in Ägypten beschrieben, «be-
gestoppt.
rühmt» wurde die Mangelerscheinung im 16. Jahrhun-
Bei den nutritiven Laborparameter wurde ein leichter
dert bei den Seefahrern. Erst im 18. Jahrhundert fand
Vitamin-B₁₂-Mangel, ein Vitamin-B₁- und ein leichter
der englische Schiffsarzt James Lind heraus, dass die
Albuminmangel gesehen, in Vordergrund stand je-
Symptome durch das Essen von Zitrusfrüchten verhin-
doch der ausgeprägte Vitamin-C-Mangel (4,0 µmol/l,
dert werden können. Im Jahr 1932 wurde schliesslich
Referenzbereich 11,4–113,6 μmol/l).
die Molekularstruktur der Ascorbinsäure (Vitamin C)
Zusammenfassend interpretierten wir die Symptoma-
durch Szent-György aufgeklärt [1].
tik im Rahmen eines Skorbuts. Der Patient hatte zwar
Heutzutage ist der Skorbut in Industrieländern eine
keine relevanten Zahnfleischblutungen, jedoch eine
seltene Erscheinung, da die Ascorbinsäure nicht nur in
angedeutete Gingivahyperplasie (Abb. 2). Die petechia-
zahlreichen Früchte- und Gemüsesorten vorkommt,
len Hautveränderungen stellten sich bei genauerem
sondern auch vielen industriell hergestellten Lebens-
Betrachten als perifollikuläre Hämorrhagien dar, wo-
mitteln als Konservierungsmittel hinzugefügt wird.
bei allerdings die Haare häufig ausgefallen waren. Die
Die in der Literatur beschriebenen Fälle von Skorbut in
verbleibenden Haare zeigten einen für den Skorbut ty-
industrialisierten Ländern betreffen hauptsächlich al-
pischen Korkenzieher-Aspekt (Abb. 3).
koholkranke Personen [2]. Umso mehr erstaunt der
Unter Vitaminsubstitution und Spitalkost kam es zu
vorliegende Fall, in dem der Nährstoffmangel nicht im
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(45):1055–1057
­
Historische und epidemiologische Aspekte
seit langem zur Kenntnis genommen hatte. Bis vor eini-
rungsgewohnheiten ihres erwachsenen Sohnes schon
Korrespondenz:
Dr. med. Judith Everts-Graber
Rahmen einer Suchterkrankung, sondern aufgrund
Diagnostik
einer extrem einseitigen Ernährung aufgetreten ist.
Die Diagnose wird anhand der typischen Klinik und
­
fallberichte
1057
einer anamnestisch verminderten Vitamin-C-Einnahme
­
Inserm U1061, Institut Cochin
27, rue du Faubourg St-Jacques
F-75014 Paris
judith[at]everts.ch
Pathogenese
gestellt. Ein tiefer Vitamin-C-Spiegel muss nicht zwin-
Neben der bekannten antioxidativen Wirkung ist die
gend vorhanden sein. Das Vorliegen einer Anämie er-
Ascorbinsäure als Co-Enzym der Hydroxylierung der
härtet die Diagnosestellung. Bildgebende Verfahren
Aminosäuren Prolin und Lysin auch ein wichtiger Fak-
sind unspezifisch und dienen vor allem zum Aus-
tor in der Kollagensynthese. Ist diese gestört, treten
schluss anderer Ätiologien. Das womöglich wichtigste
Zahnfleischblutungen und Gingivahyperplasien sowie
Kriterium ist eine rasche klinische Besserung nach Be-
diverse Hautprobleme wie Petechien, Ekchymosen,
ginn der Substitutionstherapie [4, 5].
­
perifollikuläre Hämorrhagien und Haarbildungsstörungen (sog. Korkenzieher-Haare) auf. Des Weiteren
Therapie
wird eine erhöhte Infektanfälligkeit und eine gestörte
Bei vermutetem Vitamin-C-Mangel sollte unverzüglich
Wundheilung beobachtet, und es können subperiostale
mit der peroralen Substitution begonnen werden.
Blutungen und Hämarthros auftreten. Typischerweise
Empfohlen wird eine Tagesdosis von 300 mg für min-
wird auch eine normochrome, normozytäre Anämie,
destens einen Monat bis die Speicher wieder aufgefüllt
oft verbunden mit einem Eisenmangel, gesehen. Dieser
sind, danach beträgt die Erhaltungsdosis 60–100 mg
ist meist durch die Blutungen verursacht, zudem ist die
pro Tag. Ältere Personen, Raucher und schwangere/
Eisenaufnahme im Darm Vitamin-C-abhängig [2, 3].
stillende Frauen haben einen höheren Bedarf [5].
Die Symptomatik sollte sich innerhalb weniger Tage
bessern. In unserem Fall zeigte der Patient bereits nach
24 Stunden eine beginnende Resorption der Hämatome
und einen ansteigenden Hämoglobinwert.
Schlussfolgerungen für die Praxis
Disclosure statement
• Ein Vitamin-C-Mangel wird in westlichen Ländern vor allem bei alkoholkranken Personen gesehen, kann aber auch bei anderen Mangel-/Fehlernährungszuständen beobachtet werden.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Literatur
1
• Als klinische Zeichen werden unter anderem Ekchymosen, perifollikuläre
subperiostale Blutungen und Hämarthros beobachtet.
2
3
Hämorrhagien, Zahnfleischblutungen und Haarbildungsstörungen sowie
• Die Ernährungsanamnese (auch bei einer normalgewichtigen und vorder4
5
sestellung eines Skorbuts und ein rasches Ansprechen auf die Therapie
gründig wohlgenährten Person) ist das wegweisende Element zur Diagno-
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
(Vitamin-C-Supplementation) ein wichtiges diagnostisches Kriterium.
2015;15(45):1055–1057
Carpenter KJ. The discovery of vitamin C. Ann Nutr Metab.
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Smith A, Di Primio G, Humphrey-Murto S. Scurvy in the developed
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1058
FALLBERICHTE
Fehler in der ontogenetischen Entwicklung
Kuckucksei in scheinbar banalem
Befund einer medianen Halszyste
Christof Andres Burkart, André Arnoux, Caroline Bourgau
Klinik für HNO, Hals- und Gesichtschirurgie, Kantonsspital Aarau
Fallbericht
Befunde
Sonographisch stellte sich die Raumforderung mit
einem Durchmesser von 3 cm im Vergleich zur Umge-
Ein 44-jähriger Patient stellte sich zur Beurteilung
bung hypoechogen und mit scharfer Begrenzung dar.
einer drei bis vier Wochen vor Erstkonsultation aufge-
Des Weiteren zeigte sich linksseitig inhomogen struk-
tretenen zervikalen Schwellung in unserem Hals-Na-
turiertes Schilddrüsengewebe ohne abgrenzbare fokale
sen-Ohren-Ambulatorium vor. Bis auf die Schwellung
Pathologie. Der übrige zervikale Ultraschallbefund war
gab er keinerlei Beschwerden an. In der persönlichen
bland. Bei Verdacht auf eine mediane Halszyste wurde
Anamnese wurden eine arterielle Hypertonie sowie
eine Feinnadelpunktion der Raumforderung durch
ein Status nach Nikotinkonsum von kumulativ fünf
geführt. Das Feinnadelaspirat war zu vereinbaren mit
Pack years mit Stopp vor fünf Monaten erhoben.
einer Halszyste, zeigte aber auch Hinweise auf ein pa-
­
­
­
­
Anamnese
pilläres Schilddrüsenkarzinom. T3, T4 und das TSH wa-
Status
ren normwertig.
Die klinische Untersuchung zeigte eine ungefähr
In der Magnetresonanztomographie (Abb. 1) des Halses
2 bis 3 cm grosse, weiche, bei Palpation indolente, zur
zeigte sich eine zystisch-solide Raumforderung para-
Unterlage hin leicht verschiebliche Schwellung para-
median links anterior des Os hyoideum.
median links auf Höhe des Kehlkopfs. Der übrige Hals-
Das weitere Staging mittels PET-CT (Abb. 2) ergab bis
Nasen-Ohren-Status war unauffällig.
auf die malignomsuspekte Läsion paramedian links
keine weiteren auffälligen Befunde, insbesondere zeigte
sich keine FDG-Positivität in der Schilddrüse.
Diagnose
Es wurde die Diagnose einer medianen Halszyste mit
dem zytologischen Verdacht auf eine Metastase eines
papillären Schilddrüsenkarzinoms gestellt.
Therapie
Zur histologischen Diagnosesicherung erfolgte die
Zysten- und Hyoidkörperresektion. Wie zytologisch vermutet, konnten histologisch in der medianen Halszyste Anteile eines papillären Schilddrüsenkarzinoms
nachgewiesen werden. Trotz des unauffälligen PET-CT
und der blanden Schilddrüsenparameter konnte ein
Mikrokarzinom der Schilddrüse nicht ausgeschlossen
werden. Aus diesem Grund wurden zeitnah eine totale
des zentralen Kompartiments durchgeführt. Histo
­
Thyreoidektomie und eine selektive Neck-Dissection
logisch zeigten sich im Thyreoidektomiepräparat ein
papilläres Schilddrüsenkarzinom von 0,25 cm Grösse
nom von 0,5 cm Grösse im rechten Schilddrüsen
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
Abbildung 1: Magnetresonanztomographie: T1-gewichtetes,
fettunterdrücktes, kontrastmittelverstärktes Bild mit zystischsolider Raumforderung links paramedian.
2015;15(45):1058–1060
­
am linken Oberpol sowie ein mikrofollikuläres Adelappen. Die mitresezierten Lymphknoten waren alle
tumorfrei. Als Hormonersatz wurde eine Therapie mit
Levothyroxin 0,1 mg begonnen.
fallberichte
1059
Mediane Halszysten (= Thyreoglossuszysten) stellen die
häufigste Entwicklungsstörung der Schilddrüse dar und
bilden 75% der medianen Halstumoren bei Kindern sowie 7% bei Erwachsenen. In weniger als 1% kommt es zu
einer Karzinomentwicklung, wobei die Patienten im
Schnitt zwischen 20 und 50 Jahren alt sind. Frauen
sind häufiger betroffen als Männer [1]. Bei den von Patel
et al. untersuchten 62 Patienten zeigte sich bei einfacher
Resektion der Zyste eine 75%ige, und bei Mitresektion
des Hyoidkörpers eine 100%ige 10-Jahres-Überlebensrate [2].
artung der Thyreoglossuszyste wird kontrovers dis
­
Die Entstehung des Karzinoms bzw. der malignen Entkutiert. Die einen gehen von einem Primärtumor in
ektopem Schilddrüsengewebe einer medianen Halszyste aus, die anderen von einer Metastase eines okkulten Primärkarzinoms der Schilddrüse.
Für die erste Theorie spricht, dass sich in 62% der His[3]. Des Weiteren fehlen in ektopem Schilddrüsen
­
tologien ektopes Schilddrüsengewebe nachweisen lässt
gewebe parafollikuläre Zellen (C-Zellen), da diese onto-
Abbildung 2: Positronen-Emissions-Tomographie: FDGAnreicherung der sich im Low-dose-CT manifestierenden,
ca. 3,0 × 1,6 cm grossen, zentral leicht hypodensen Raum
forderung paramedian links anterior des Os hyoideum
sowie des Larynx.
­
genetisch nicht mit der Schilddrüse, sondern zusam-
­
men mit den kranialen Nebenschilddrüsen aus der
­
4. Schlundtasche entstehen. Dies bestätigt sich darin,
dass kein Fall eines medullären Schilddrüsenkarzinoms
(entstehend aus den parafollikulären Zellen) in einer
medianen Halszyste nachgewiesen wurde.
Für die These der Metastase spricht, dass bei 11–33% der
Im interdisziplinären Tumorboard wurde beschlossen,
Patienten mit einem Malignom in einer Thyreoglos
den Patienten im Anschluss einer Radiojod-Therapie
suszyste ein okkultes Schilddrüsenkarzinom nachge-
zuzuführen.
wiesen wurde [4]. Aus diesen beiden unterschiedlichen
Ein Jahr postoperativ zeigten sich sowohl sonographisch
Theorien lassen sich auch die verschiedenen Therapie-
als auch szintigraphisch und laborchemisch (Thyreo-
strategien ableiten.
globulin) keine Hinweise für ein Rezidiv oder für Meta-
Wenn man von einem Primärtumor in einer media-
stasen. Die nächste Tumorszintigraphie ist für Dezem-
nen Halszyste ausgeht, dann ist die klassische Ope
ber 2015 (zwei Jahre postoperativ) vorgesehen.
ration nach Sistrunk, das heisst die Entfernung der me-
­
­
Verlauf
dianen Halszyste inklusive Hyoidkörperresektion
ausreichend.
Diskussion
Geht man aber von einer Metastasierung eines
nalwoche atrophiert. Bei Ausbleiben der Wanderung
graphisch und szintigraphisch unauffälligen Schild-
der medialen Schilddrüsenanlage oder bei inkomplet-
drüse eine totale Thyreoidektomie durchzuführen [1].
tem Verschluss des Ductus thyreoglossus kann es mit
Kontrovers wird auch das Ausmass der elektiven
einer Prävalenz von 1 : 10 000 zur Bildung von ektopem
Lymphknotenentfernung bei klinisch fehlender Hals-
Schilddrüsengewebe kommen, das dieselben Eigen-
lymphknotenmetastasierung diskutiert. In der Literatur
schaften und Pathologien wie eutopes Schilddrüsen
kommt es bei 7–15% der papillären Schilddrüsenkarzi-
­
­
ten Autoren empfehlen auch bei einer klinisch, sono-
noch eine totale Thyreoidektomie erfolgen. Die meis-
dung des Ductus thyreoglossus, der in der 7. Embryo-
okkulten Schilddrüsenkarzinoms aus, muss zusätzlich
Wanderung vom Zungengrund nach kaudal unter Bil-
In der Ontogenese durchläuft die Schilddrüse eine
nome zu einer lymphogenen zervikalen Metastasie-
Tumoren). Die Entwicklung eines malignen Tumors in
rung [1]. Eine Studie mit 53 Patienten konnte allerdings
diesem Gewebe ist mit 1% äusserst selten. In 80% der
keinen Überlebensvorteil bei zusätzlicher lateraler
Fälle handelt es sich dabei um papilläre Schilddrüsen-
Halslymphknotenentfernung zeigen [2]. Demgegen-
karzinome [1].
über konnte auch in klinisch präoperativ unauffälligen
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gewebe mit sich bringt (Entzündungen, Hyperplasie,
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fallberichte
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werden, weshalb wir eine totale Thyreoidektomie
Dr. med. Christof Burkart
gewiesen werden, weshalb einige Autoren die beidsei-
durchführten. Histologisch zeigte sich dann prompt
Facharzt für Hals-, Nasen-
tige laterale Halslymphknotenentfernung empfehlen.
ein Mikrokarzinom.
Plaza et al. haben für das papilläre Schilddrüsenkarzi-
Die ablative Radiojod-Therapie wird mit adjuvanter
nom in einer medianen Halszyste folgenden Behand-
Zielsetzung zur vollständigen Entfernung des postope-
lungsalgorithmus vorgeschlagen: Bei Patienten bis zu
rativ verbliebenen Schilddrüsenrests durchgeführt.
CH-8700 Küsnacht
einem Alter von 45 Jahren, einem Tumor kleiner als
Ein standardisiertes Nachsorgeschema ist in der Litera-
Kreuzstrasse 10
1,5 cm, normaler Schilddrüsensonographie sowie sono-
tur nicht zu finden. Am häufigsten werden eine T4-Sup-
graphisch fehlendem Hinweis auf Lymphknotenmeta-
pressionstherapie mit periodischem Monitoring des
stasen ist die Zystenentfernung inklusive Hyoidkör-
Tumormarkers Thyreoglobulin sowie eine Ganzkör-
perresektion ausreichend. Für die Patienten, die diese
perszintigraphie durchgeführt.
Spez. Hals- und Gesichts
­
und Ohrenheilkunde
­
Halslymphknoten in der Histologie Metastasen nach-
Korrespondenz:
chirurgie FMH
ORL-Praxen
Seestrasse 29
CH-8635 Dürnten
burkart[at]orlpraxen.com
Kriterien nicht erfüllen, werden zusätzlich eine totale
Thyreoidektomie und anschliessende Radiojod-Therapie empfohlen. Eine Halslymphknotenentfernung soll
nur bei sonographisch auffälligen Lymphknoten erfolgen [5].
Im Fall unseres Patienten konnten die Kriterien auf-
Wir danken Dr. med. L. Wick, Institutsleiter, Röntgeninstitut Rothrist
AG, für die zur Verfügung gestellten Bilder.
Disclosure statement
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
­
grund des sonographisch etwas inhomogen struk
Danksagung
Literatur
1
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Management of well-differentiated thyroglossal duct remnant
thyroid carcinoma: time to close the debate? Report of five cases
and proposal of a definitive algorithm for treatment.
Ann Surg Oncol. 2006;13:745–52.
­
turierten Schilddrüsengewebes nicht komplett erfüllt
2
Schlussfolgerung für die Praxis
3
Bei einer medianen zervikalen Schwellung sollte differentialdiagnostisch
aufgrund der ontogenetischen Entwicklung immer an das Vorhandensein
4
von ektopem Schilddrüsengewebe gedacht werden. Zur weiteren Abklärung ist eine Halssonographie indiziert. Zeigt sich die Schwellung hier zys-
5
tisch, ist in erster Linie an eine mediane Halszyste zu denken. Weist die
Schilddrüse sonographisch ebenfalls Auffälligkeiten auf, ist als seltene
­
Diagnose auch an das Vorliegen einer Metastase aus einem Schilddrüsen-
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karzinom zu denken.
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FALLBERICHTE
Erwarteter Inzidenz-Gipfel asbestbedingter Erkrankungen in der Schweiz: 2020
Malignes Peritoneales Mesotheliom
Philippe Baumann a , Mihaela Precup a , Mathias Gugger b , Henri-Marcel Hoogewoud c , Daniel C. Betticher a
Klinik für Innere Medizin und Onkologie, Kantonsspital, Fribourg; b Promed Medizinisches Labor, Marly; c Klinik für Radiologie, Kantonsspital, Fribourg
Hintergrund
Status
Das Maligne Peritoneale Mesotheliom (MPM) ist ein
seltener Tumor, welcher wegen seiner unspezifischen
Klinik oft spät diagnostiziert wird und bei dem neue
Therapiemodalitäten entwickelt werden [1].
Die klinische Untersuchung zeigt einen afebrilen, hypertensiven (153/84 mm Hg), normokarden, asthenischen
und kachektischen Patienten. Die Atemfrequenz ist mit
20/min grenzwertig erhöht, die Sauerstoffsättigung mit
94% normal. Das Atemgeräusch fehlt rechtsbasal, mit
perkutorischer Dämpfung. Klinisch fällt eine diffuse
Fallbericht
Verhärtung der vorderen Bauchwand sowie Aszites auf.
Befunde
Ein 78-jähriger Mann wird uns von seinem Hausarzt
Das Eintrittslabor zeigt bis auf eine Hypoalbuminämie
wegen eines rechtsseitigen persistierenden Pleura
von 23,9 g/l und eine respiratorische Alkalose (pH 7,47)
­
Anamnese
den hausärztlichen Befund sowie die Klinik eines rechts-
hat eine bekannte hypertensive und ischämische Kar-
seitigen Pleuraergusses (Abb. 1). Die zytologische Unter-
diopathie und war in der Kindheit an einer Tuberkulose
suchung des Exsudates ergibt Zellen mit Verdacht auf
erkrankt. Die Dyspnoe bestünde seit etwa fünf Monaten,
ein malignes Mesotheliom. Ein Abdomenultraschall
mit einer deutlichen Progredienz in den vergangenen
zeigt eine heteroechogene, diffuse intraperitoneale
drei Wochen. Neben der Dyspnoe besteht eine Asthenie,
Masse (Abb. 2). Die am Folgetag veranlasste thorako-
ein Appetitverlust, vermehrter Nachtschweiss sowie
abdominale CT bestätigt den Schallbefund als ein infil-
ein Gewichtsverlust von ca. 10 kg in den vergangenen
triertes Omentum majus. Dieselbe Untersuchung zeigte
Monaten. Trotz der Gewichtsabnahme wurde eine asym
zudem abdominal eine diffuse Verdickung des Perito-
ptomatische Zunahme des Bauchumfangs beobachtet.
neums und Mesenteriums sowie vergrösserte para-
Der Patient arbeitete als Elektriker auf dem Bau mit
aortal gelegene Lymphknoten (Abb. 3). Thorakal fallen,
Asbestexposition.
neben dem rechtsseitigen Pleuraerguss, eine markante
Abbildung 1: Rechtsseitiger Pleuraerguss und Verdickung
der rechtsseitigen Pleura (Pfeile) im konventionellen ThoraxRöntgenbild.
Abbildung 2: Hyperechogene, frei bewegliche intraperito
neale Masse im Abdomenultraschall (Omentum majus durch
Pfeil dargestellt).
­
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­
keine Auffälligkeiten. Das Thoraxröntgenbild bestätigt
klärung auf die Notfallstation zugewiesen. Der Patient
­
ergusses und zunehmender Dyspnoe zur weiteren Ab-
­
a
fallberichte
1062
Diskussion
Das MPM ist ein seltener Tumor. Meistens sind Mesotheliome in der Pleura lokalisiert. Nur 10–30% haben
einen peritonealen Ursprung. Noch seltener sind die
Tunica vaginalis testis sowie das Perikard betroffen.
Für das MPM besteht eine jährliche Inzidenz von 0,5–3
bei Männern und 0,2–2 bei Frauen (pro 1 000 000) [2].
Es besteht somit eine männliche Prädominanz, wenngleich diese weniger markant ist als beim Malignen
Pleuramesotheliom (MPlM). Das durchschnittliche
­
­
Manifestationsalter beträgt 47 bis 60 Jahre.
Obwohl weniger deutlich als beim MPlM, ist die Exposition zur Asbestfaser der bedeutendste Risikofaktor
des MPM. Die Wahrscheinlichkeit, an einem MPM zu
erkranken, nimmt exponentiell zur Asbestexposition
zu, wohingegen beim MPlM eine lineare Korrelation
beschrieben wird. Dies hat zur Folge, dass beim MPM
Abbildung 3: Massiv verdicktes Omentum majus (Pfeile) im Abdomen-CT
(Hauptanteil liegt im kleinen Becken).
bei vorhandenem Schwellenwert eine höhere Asbestexposition nötig ist.
Die Verwendung von Asbest wurde 1990 schweizweit
verboten. Da Asbest jedoch seit Beginn des zwanzigsten
Jahrhunderts ubiquitär eingesetzt wurde, muss gerade
­
in Gebäuden, die vor 1990 erbaut wurden, mit Asbest
­
produkten gerechnet werden. Dies ist insbesondere für
Arbeiter, welche Renovationen, Ab- und Umbauten dieser Gebäude tätigen, von Bedeutung. Wir verweisen an
dieser Stelle auf die Webseite vom Forum Asbest
Schweiz (www.forum-asbest.ch), wo unter anderem Risiken, Schutzvorschriften und Versicherungsleistungen aufgelistet sind. Zwischen Asbestexposition und
Auftreten von asbestbedingten Erkrankungen besteht
eine Latenz von ungefähr dreissig Jahren. Daraus resultiert ein erwarteter Inzidenz-Gipfel asbestbedingter
Erkrankungen in der Schweiz um das Jahr 2020.
Histologisch werden MPM in drei grosse Gruppen
­
unter teilt: epitheloides Mesotheliom (mit ca. 50% das
Abbildung 4: Rechtsseitig verdickte und knotige Pleura (dicke weisse Pfeile),
thorakale vergrösserte Lymphknoten (feine graue Pfeile) im Thorax-CT.
häufigste MPM), sarkomatoides Mesotheliom (ca. 25%)
und biphasisches Mesotheliom (sowohl epitheloide
theloide Mesotheliom geht mit einer besseren Pro
­
­
wie sarkomatoide Anteile zu mindestens 10%). Das epiVerdickung der rechtsseitigen Pleura sowie media
des mediastinalen Fettgewebes auf (Abb. 4).
Wie in unserem beschriebenen Fallbericht präsentieren
Die pathologische und immunozytochemische Unter-
sich die meisten Patienten mit einem MPM relativ spät
suchung der unter Ultraschallkontrolle biopsierten ab-
mit unspezifischer Klinik. Abdominalschmerzen mit
dominalen Masse führt zur Diagnose eines Malignen
Zunahme des Bauchumfangs, Anorexie, Aszites und
Peritonealen Mesothelioms (MPM) vom tubulo-papil-
Gewichtsabnahme sind die häufigsten Symptome.
lären epitheloiden Typ.
Diagnostisch genügt eine Zytologie von Aszites nicht,
Nach ausführlicher Aufklärung beginnt der Patient eine
da histologisch ein invasives Wachstum der Meso
ambulante palliative Chemotherapie mit Carboplatin.
the lialzellen beschrieben werden muss (Abb. 5). Die
Der Allgemeinzustand konnte dadurch nicht verbessert
Diagnose beruht auf einer Biopsie zur Gewebedo
werden. Nach rascher Verschlechterung verstirbt der
kumentation des invasiven Wachstums, und einer im
Patient acht Wochen später auf unserer Palliativstation.
munohistochemischen Analyse zur Bestimmung des
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­
­
­
­
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­
gnose einher.
stinale Lymphknotenvergrösserungen mit Infiltration
fallberichte
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Hyperthermie, eine signifikante verlängerte Über
­
nealer Chemotherapie mit Platin (PIC), mit oder ohne
zeit: unbehandelt 6 Monate; systemische Chemothe
­
lebenszeit dokumentiert werden (mediane Überlebensrapie mit Platin 12 Monate; CRS und PIC 31–92 Monate)
[4]. Diese Therapiemodalität wird jedoch nur für Patienten mit einem epitheloiden MPM, gutem Allgemeinzustand und ohne extraperitoneale Beteiligung empfohlen [3]. Es handelt sich somit um hochselektionierte
Patienten nach grossem chirurgischem Eingriff. Eine Selektion, die sicher einen Teil des besseren Verlaufes erklären könnte. Eine weitere neue Therapieoption stellt
die pressurised intraperitoneal aerosol chemotherapy
(PIPAC) dar, die bei Patienten mit peritonealer Karzinomatose erfolgversprechende Resultate aufzeigen
konnte [5]. Momentan laufen klinische Studien, die
diese Therapiemodalität weiter entwickeln.
­
Abbildung 5: Histologische Dokumentation der Infiltration von Fettgewebe durch das
maligne Mesotheliom: rechte Bildhälfte mit Verbänden atypischer mittelgrosser Zellen
ohne Zwischensubstanz gegenüber von Fettgewebe in der linken Bildhälfte.
­
Bei Patienten mit extraperitonealer Beteiligung, Komor
toider oder biphasischer Histologie wird eine syste
­
biditäten, nicht resezierbarem Tumor sowie sarkoma-
Oben rechts: Umschliessung eines Adipozyten (Pfeil) durch atypische Zellen
(Hämalaun- und Eosin-Färbung, 20 ×).
mische, palliative Chemotherapie mit Pemetrexed und
Platin empfohlen [3]. Diese eben beschriebenen Faktoren
sowie das Alter (>60), männliches Geschlecht und
fischen Marker für das MPM gibt, werden mit verschie-
Gewichtsverlust gelten als schlechte prognostische
Prof. Dr. med.
denen positiven und negativen Markern mögliche Diffe-
Faktoren. Bei unserem Patienten haben wir eine Carbo-
Chefarzt Innere Medizin
rentialdiagnosen ausgeschlossen. Hier zu erwähnen sind
platin-Therapie versucht, mit dem Ziel der Verbesserung
Chemin des Pensionnats 2
vor allem Peritonealkarzinosen gynäkologischen (Ova-
der Lebensqualität. Diese Behandlung führte nicht zu
rien, Tubus), intestinalen (Kolon, Rektum, Magen, Pank-
zusätzlichen Beschwerden, inwieweit sie das Leiden
reas) oder thorakalen (Lunge, Brust) Ursprungs [2].
lindern konnte, ist offen.
Ein validiertes Staging-System für MPM existiert nicht.
Es bleibt schlussendlich zu erwähnen, dass keine ab-
Der Peritoneal Cancer Index (PCI) wird als solches ge-
schliessende Sicherheit besteht, ob es sich in unserem
braucht. Dieser wird aufgrund der Verteilung der Tu-
beschriebenen Fall um eine MPM mit pleuraler Meta
morknoten und deren Grössen in verschiedenen Bauch
stasierung oder um ein MPlM mit abdominaler Meta
regionen erstellt [3].
stasierung handelte. Die empfohlene Behandlung, eine
Aufgrund der geringen Inzidenz fehlen weltweit rando-
palliative Chemotherapie, ist in beiden Fällen identisch.
­
philippe.baumann[at]jhas.ch
misierte Studien zur Behandlung des MPM. Die Therapien beruhen auf Erfahrungen von Expertengruppen
und Analogien zum MPlM. In den vergangenen fünf
Jahren konnte durch Anwendung zytoreduktiver Chir-
Disclosure statement
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Literatur
1
urgie (CRS) kombiniert mit perioperativer intraperito-
2
3
Bei zunehmendem abdominalem Bauchumfang, gleichzeitiger Gewichts-
4
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gnostik veranlasst werden.
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5
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differentialdiagnostisch an ein MPM gedacht und weiterführende Dia
Schlussfolgerung für die Praxis
abnahme, B-Symptomatik und anamnestischer Asbestexposition sollte
­
CH-1708 Fribourg
­
Daniel Betticher
­
Zelltyps. Da es bis zum heutigen Zeitpunkt keinen spezi-
Dr. med. Philippe Baumann
Korrespondenz:
Ahmed I, et al. Malignant Mesothelioma. Pak J Med Sci. 2013;29(6):
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Mery E, et al. Mésothéliome malin péritonéal: mise au point et
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Solass W, et al. Intraperitoneal chemotherapy of peritoneal carcinomatosis using pressurized aerosol as an alternative to liquid
solution: first evidence for efficacy. Ann Surg Oncol. 2014;21:553–9.
1064
COMPENDIUM
compendium update
November 2015
Die inhaltliche Verantwortung für die Rubrik «compendium update» liegt bei der Documed AG.
Dieses Bulletin ist ein Auszug aus unseren aktuellen Arzneimittelinformationen. Vollständige Informationen finden Sie unter
I
II
II
II
(III = hohe, II = mittlere, I = geringe Relevanz)
Arzneimittelsicherheit
Champix® (Vareniclin)
Progressive Aufgabe des Rauchens
Eine schrittweise Aufgabe des Rauchens mithilfe von Champix sollte für Patienten in Betracht gezogen werden, die das Rauchen nicht abrupt
aufgeben können oder wollen. Diese Patienten sollten das Rauchen während der ersten 12 Wochen der Behandlung reduzieren und es nach
dieser Behandlungsphase vollständig aufgeben. Die Patienten sollten Champix anschliessend für weitere 12 Wochen einnehmen, was einer
gesamten Behandlungsdauer von 24 Wochen entspricht.
Clarithromycin
Neue Kontraindikation
Die gleichzeitige Anwendung mit Colchicin ist neu bei allen Patienten kontraindiziert (früher nur bei Patienten mit eingeschränkter Nierenund Leberfunktion).
Olmesartan
Neue unerwünschte Wirkung
In sehr seltenen Fällen wurden bei Patienten, die Olmesartan einnahmen, einige Monate bis Jahre nach Therapiebeginn schwere, chronische
Diarrhöen mit erheblichem Gewichtsverlust berichtet, die möglicherweise auf eine lokale, verzögerte Überempfindlichkeitsreaktion zurückzuführen sind. Intestinale Biopsien bei diesen Patienten wiesen häufig eine Zottenatrophie auf. Falls ein Patient während der Behandlung
mit Olmesartan die beschriebenen Symptome entwickelt, sind andere Ätiologien auszuschliessen. Ein Abbruch der Behandlung mit Olmesartan
ist in Betracht zu ziehen, wenn keine andere Ätiologie nachgewiesen werden kann. Falls dann die Symptome verschwinden und eine Sprueähnliche Enteropathie durch Biopsie nachgewiesen wird, sollte die Behandlung mit Olmesartan nicht wieder begonnen werden.
Linagliptin
Neue unerwünschte Wirkung
Nach Markteinführung wurde über Mundulzerationen berichtet.
Innovationen
­
­
­
Esbriet® (Pirfenidon) ROCHE
Neue Therapieoption bei idiopathischer Lungenfibrose
Mit Pirfenidon (Esbriet Hartkapseln 267 mg) hat Swissmedic einen weiteren Wirkstoff zur Behandlung der idiopathischen Lungenfibrose bei
Erwachsenen zugelassen. Der Wirkstoff hat seit Dezember 2009 den Orphan-Drug-Status. Der Wirkmechanismus ist noch nicht vollständig
geklärt. Pirfenidon zeigte in verschiedenen In-vitro-Systemen und Tiermodellen antifibrotische und antiinflammatorische Eigenschaften, was
die Verschlechterung der Lungenfunktion verlangsamt. Das Arzneimittel wird dreimal täglich zu den Mahlzeiten eingenommen, wobei die Dosis
wöchentlich bis auf dreimal täglich drei Kapseln ab der dritten Woche erhöht wird.
­
Plegridy® (Peginterferon beta-1a) BIOGEN
Pegyliertes Interferon bei multipler Sklerose
In der Schweiz wurde ein neues pegyliertes Interferon (Peginterferon beta-1a, Plegridy) zugelassen. Plegridy wird zur Behandlung von Erwachsenen
mit schubförmig remittierender multipler Sklerose eingesetzt und ist als Fertigspritze bzw. Fertigpen erhältlich. In der Schweiz ist vorerst nur der
Fertigpen verfügbar. Die Pegylierung verlängert die Halbwertszeit von Interferonen und somit auch die Injektionsintervalle. Plegridy muss nur
alle zwei Wochen subkutan injiziert werden. Die Behandlung wird mit zwei tieferen Dosierungen eingeleitet (Tag 0: 63 µg, Tag 14: 94 µg). Erst ab
Tag 28 wird die volle Dosis (125 µg) verwendet. Im Vergleich zu Placebo konnte im zweiwöchentlichen Intervall die jährliche Schubrate um 36%
reduziert werden. Da keine direkten Vergleichsstudien vorliegen, kann die Wirksamkeit von Plegridy nicht mit anderen Interferonpräparaten
verglichen werden. Dies sollte insbesondere bei einem Wechsel zwischen pegylierten und nicht-pegylierten Interferonen berücksichtigt werden.
Markt
Pregabalin Sandoz® SANDOZ
Neu im Handel
Es sind Kapseln zu 25 mg, 50 mg, 75 mg, 100 mg,
150 mg, 200 mg und 300 mg Pregabalin erhältlich.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
Lenvima® EISAI
Neues Onkologikum
Es sind Kapseln zu 4 mg und 10 mg Lenvatinib erhältlich.
2015;15(45):1064
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