12 Metrische Räume Die ersten Kapitel waren dem Studium von Funktionen f : R ! R mit einer Variablen in den Körper der reellen Zahlen R gewidmet und für diese lassen sich Begriffe wie Stetigkeit, Differenzierbarkeit oder Integrierbarkeit formulieren und untersuchen. Die Betrachtungen über lineare Abbildungen zwischen Vektorräumen V und W f :V !W zum Beispiel: f : Rn ! Rm legt nun nahe diese Begriffe auf Abbildungen zwischen mehrdimensionalen Räumen auszuweiten. Dabei muss man den für die Analysis wesentlichen Begriff der Konvergenz für solche Räume erklären, d.h. man muss ausdrücken können, wann sich zwei Vektoren nahe kommen. Dies erfordert die Einführung eines Verständnisses vom Abstand zwischen zwei Vektoren und wird durch die Definition einer Metrik geschehen. 12.1 Metrik, Konvergenz und Vollständigkeit Für eine Menge (und damit auch für Vektorräume) ist der Abstand zwischen zwei Elementen der Menge durch die folgenden Eigenschaften charakterisiert. Definition 12.1 (Metrik und metrischer Raum) Für eine Menge M heißt eine Abbildung d : M ⇥ M ! R+ , (x, y) 7! d(x, y) eine Metrik (oder Abstandsfunktion) auf M , falls sie für alle x, y 2 M die folgenden Eigenschaften besitzt: (M1) d(x, y) = 0 , x = y, (Positive Definitheit) (M2) d(x, y) = d(y, x), (Symmetrie) (M3) d(x, z) d(x, y) + d(y, z). (Dreiecksungleichung) Gibt es auf einer Menge M eine Metrik d, so nennt man das Paar (M, d) einen metrischen Raum und d(x, y) den Abstand oder die Distanz der Punkte x, y 2 M bzgl. der Metrik d. Der Abstand ist damit stets nicht-negativ, denn mit (M1)-(M3) folgt (M1) (M3) (M2) 0 = d(x, x) d(x, y) + d(y, x) = d(x, y) + d(x, y) = 2 · d(x, y). 229 12 Metrische Räume Satz 12.2 (Induzierte Metrik) Auf jedem normierten Vektorraum (V, k·k) gibt es die durch die Norm induzierte Metrik d(v, w) := kv wk für alle v, w 2 V. Beweis. Durch die definierenden Eigenschaften der Norm lassen sich direkt die MetrikEigenschaften der induzierten Metrik folgern. ⇤ Für zwei reelle Zahlen x, y 2 R ist eine Abstandsfunktion d(x, y) := |x y| durch den Betrag gegeben. Dieser wird verwendet, um den Begriff Konvergenz zu definieren. Ersetzt man in der Definition den Betrag durch eine Norm oder allgemeiner durch eine Metrik, dann lässt sich diese Begrifflichkeit direkt auf metrische Räume übertragen. Definition 12.3 (Konvergenz, Grenzwert) Sei (M, d) ein metrischer Raum. Eine Folge (an )n2N in M heißt konvergent gegen den Grenzwert (oder Limes) a 2 M , falls der Abstand der Folgenglieder an zu a immer geringer wird, d.h. falls zu jeder (beliebig kleinen) reellen Zahl ✏ > 0 ein n✏ 2 N existiert, so dass gilt: d(an , a) < ✏ für alle n n✏ . Ist eine Folge (an )n2N konvergent gegen den Grenzwert a 2 M , so schreibt man lim an = a n!1 oder an ! a (n ! 1). Für einen normierten Vektorraum (V, k·k) ist die Metrik durch eine Norm induziert und das Kriterium lautet damit vollkommen analog zum reellen Fall: Die Folge (an )n2N in V konvergiert gegen den Grenzwert a 2 V , falls es zu jedem ✏ > 0 ein n✏ 2 N gibt, so dass: kan ak < ✏ für alle n n✏ , oder anders ausgedrückt: Der Abstand ist eine Nullfolge, d.h. lim kan n!1 ak = 0. Damit lässt sich die Konvergenz einer Folge in Rn genauer untersuchen. Satz 12.4 (Konvergenz im Rn , komponentenweise Konvergenz ) Für eine Folge im normierten Vektorraum (Rn , k·k2 ) gilt: Eine Folge von Vektoren (a1 , a2 , a3 , . . .) = (ak )k2N im Rn ist genau dann konvergent gegen den Grenzwert a 2 Rn , wenn jede Folge der Komponenten der Vektoren konvergent ist, d.h. lim ak = a k!1 230 , lim ak,j = aj , k!1 für alle j = 1, . . . , n. 12.1 Metrik, Konvergenz und Vollständigkeit Beweis. Für alle j = 1, . . . , n gilt q |ak,j aj | |ak,1 a1 |2 + . . . + |ak,n Damit gilt: lim kak k!1 ak2 = 0 , lim |ak,j k!1 an |2 p n max {|ak,j 1jn aj | = 0 für alle j = 1, . . . , n. aj |}. ⇤ Bemerkung 12.5 In Vektorräumen von endlicher Dimension sind alle Normen äquivalent und daher hängt die Konvergenz nicht von der Wahl der Norm ab. Für unendlichdimensionale Vektorräume gilt dies im Allgemeinen nicht und die Konvergenz einer Folge in einer Norm bedeutet nicht zwingend die Konvergenz bzgl. einer anderen Norm. Ganz analog lässt sich auch der Begriff der Cauchy-Folge übertragen. Definition 12.6 (Cauchy-Folge) Sei (M, d) ein metrischer Raum. Eine Folge (an )n2N heißt Cauchy-Folge, wenn es zu jedem ✏ > 0 ein n✏ 2 N gibt, so dass gilt: d(an , am ) < ✏ für alle m, n n✏ . Bei den Untersuchungen zum Körper Q der rationalen Zahlen wurde festgestellt, dass p dieser nicht vollständig ist. Damit ist gemeint, dass man zwar gewisse Zahlen (z.B. 2) durch Folgen mit Werten in Q beliebig genau approximieren kann, jedoch der Grenzwert der Folge keine rationale Zahl ist und somit nicht in Q liegt. Der Zahlenraum wurde daraufhin erweitert, indem man den Grenzwert aller Cauchy-Folgen mit zu dem Zahlenraum hinzunimmt (genauer: man erweitert den Zahlenraum um die Äquivalenzklassen aller Cauchy-Folgen). Dadurch hat man den vollständigen Körper R erhalten, in dem jede Cauchy-Folge eine Grenzwert in R besitzt. Durch die Einführung der Cauchy-Folge lässt sich diese Eigenschaft nun auch auf beliebigen metrischen Räumen untersuchen. Definition 12.7 (Vollständigkeit, Banachraum, Hilbertraum) (i) Ein metrischer Raum (M, d) heißt vollständig, falls jede Cauchy-Folge aus M gegen einen Grenzwert in M konvergiert. (ii) Ein normierter Vektorraum (V, k·k) heißt Banachraum, falls V bzgl. der durch die Norm induzierten Metrik d(x, y) := kx yk vollständig ist. (iii) Ein Skalarproduktraum (V, h·, ·i) heißt Hilbertraum, falls V mit der durch das Skalarprodukt induzierten Norm ein Banachraum ist. Kurz ausgedrückt: Ein Banachraum ist ein vollständiger, normierter Vektorraum. Ein Hilbertraum ist ein vollständiger, normierter Vektorraum mit Skalarprodukt. Satz 12.8 (Rn ist vollständig) Der normierte Vektorraum (Rn , k·k2 ) ist vollständig. 231 12 Metrische Räume Beweis. Sei (ak )k2N eine Cauchyfolge in (Rn , k·k2 ). Dann gilt für alle j = 1, . . . , n und für jedes ✏ > 0: |am,j al,j | kam a l k2 < ✏ für alle m, l n✏ . Somit ist jede Komponentenfolge (ak,j )k2N eine Cauchy-Folge in R. Da nun aber R vollständig ist, gibt es damit auch dessen Grenzwert lim ak,j =: aj und somit findet k!1 man 1 0 lim ak,1 1 0 1 0 ak,1 a k!1 C B 1C B ak,2 C B lim a k,2 B C a2 C B C k!1 C=B lim ak = lim B .. C = B B C =: a 2 Rn . . . B C . k!1 k!1 @ . A .. @ A @.A ak,n an lim ak,n k!1 ⇤ Bemerkung 12.9 (i) Die Vollständigkeit von Rn wird auf die Vollständigkeit von R zurückgeführt. Die Vollständigkeit von R jedoch ist ein Postulat, d.h. R ist gemäß seiner Definition (Q + Grenzwerte aller Cauchy-Folgen) vollständig. (ii) Rn ist bzgl. jeder Norm vollständig. Ganz allgemein ist sogar jeder endlichdimensionale normierte Raum vollständig. (iii) Der Raum C([a, b]; R) der stetigen Funktionen auf dem abgeschlossenen Intervall [a, b] ist bzgl. der Supremumsnorm kf k1 := sup{|f (x)| | a x b} vollständig, jedoch ist er bzgl. der vom Skalarprodukt induzierten Norm kf k2 := ✓Z b a |f (x)|2 dx ◆ 12 nicht vollständig. 12.2 Offene und abgeschlossene Mengen Definition 12.10 (offene Kugel) Sei (M, d) ein metrischer Raum, a 2 M und r > 0. Dann heißt die Menge Br (a) := {x 2 M | d(x, a) < r} die offene Kugel mit Radius r und Mittelpunkt a bzgl. der Metrik d. 232 12.2 Offene und abgeschlossene Mengen Definition 12.11 (Umgebung) Eine Teilmenge U ⇢ M eines metrischen Raums (M, d) heißt Umgebung von a 2 M , falls ein ✏ > 0 existiert, so dass B✏ (a) ⇢ U. M U ✏ a Definition 12.12 (Offene Menge) Eine Teilmenge U ⇢ M eines metrischen Raums (M, d) heißt offen, wenn sie Umgebung aller ihrer Elemente ist, d.h. falls es zu jedem a 2 U ein ✏ > 0 gibt mit B✏ (a) ⇢ U. Beispiele 12.13 (a) Sei V = R und a, b 2 R, a < b. Das Invervall (a, b) := {x 2 R | a < x < b} ist offen, denn für x 2 (a, b) findet man mit ✏ := min{|a x|, |b x|} eine Umgebung B✏ (x) ⇢ (a, b). Auch die uneigentlichen Intervalle ( 1, a) und (b, 1) sind offen. Das Invervall [a, b) := {x 2 R | a x < b} ist nicht offen, denn betrachtet man a 2 [a, b), so liegt keine Umgebung B✏ (a) ganz in [a, b). (b) Für jeden metrischen Raum V , a 2 V und r > 0 ist die offene Kugel Br (a) offen (und rechtfertig damit den Namen), denn für ein beliebiges x 2 Br (a) findet man stets eine Umgebung ganz innerhalb der Kugel durch die Wahl ✏ := r d(x, a) > 0 ) B✏ (x) ⇢ Br (a) wie man durch die Dreiecksungleichung nachrechnet. ✏ x a r Satz 12.14 (Eigenschaften offener Mengen) Für die offenen Teilmengen eines metrischen Raums V gilt: 233 12 Metrische Räume (i) ; und V sind offene Mengen. (ii) Die Vereinigung von beliebig vielen offenen Mengen ist offen, S d.h. für eine beliebige Indexmenge I gilt: (Ui )i2I offen ) Ui offen. i2I (iii) Der Durchschnitt endlich vieler offener Mengen ist offen, n T d.h. es gilt: U1 , U2 , . . . , Un offen ) Ui offen. i=1 Beweis. (i) Per Definition ist V eine Umgebung aller ihrer Punkte. Die leere Menge ; besitzt keinen Punkt, um den es eine Umgebung geben müsste. S (ii) Sei x 2 i2I Ui . Dann gibt es mindestens S einen Index j 2 I mit x 2 Uj . Da Uj offen ist, gibt es einen Radius ✏ mit B✏ (x) ⇢ Uj ⇢ i2I Ui . (iii) Sei x 2 U1 \ . . . \ Un . Da alle U1 , . . . , Un offen sind, gibt es jeweils einen geeigneten Radius ✏i , so dass B✏i (x) ⇢ Ui gilt. Wählt man den kleinsten solchen Radius ✏ := min{✏1 , . . . , ✏n }, so gilt B✏ (x) ⇢ U1 \ . . . \ Un und der Durchschnitt ist offen. ⇤ Bemerkung 12.15 Gibt es zu einer Menge V eine Menge an Teilmengen T mit den Eigenschaften (i)-(iii), so nennt man T eine Topologie auf V und (V, T ) einen topologischen Raum. Die offenen Teilmenge eines metrischen Raums V sind somit eine Topologie auf V . Bemerkung 12.16 Der Durchschnitt von unendlich vielen offenen Mengen ist im Allgemeinen nicht offen. T 1 (0) = {0} So findet man z.B. für die offenen Kugeln B 1 (0) den Durchschnitt 1 B n=1 n n und dies ist keine offene Menge. Definition 12.17 (Abgeschlossene Menge) Eine Teilmenge U ⇢ M eines metrischen Raums (M, d) heißt abgeschlossen, wenn das Komplement M \ U offen ist. Beispiele 12.18 (i) Sei V = R und a, b 2 R, a < b. Das Invervall [a, b] := {x 2 R | a x b} ist abgeschlossen, denn die uneigentlichen Intervalle ( 1, a) und (b, 1) sind offen. Das Invervall [a, b) := {x 2 R | a x < b} ist nicht abgeschlossen, denn [b, 1) ist nicht offen. (ii) ; und V sind abgeschlossen, denn ihre Komplemente sind offen. Die Beispiele zeigen, dass es folglich Teilmengen gibt, die sowohl offen als auch abgeschlossen sind (z.B. ; und V ). Zudem gibt es Mengen, die weder offen noch abgeschlossen sind (z.B. [a, b) oder (a, b]). Betrachtet man für eine Teilmenge U ⇢ M eine Folge (xk )k2N in U , d.h. für alle Folgenglieder gilt xk 2 U, k 2 N, und konvergiert diese Folge, dann liegt der Grenzwert im Allgemeinen nur in M . Dies kommt typischerweise dann vor, wenn die Folge gegen den 234 12.3 Inneres, Äußeres, Rand und Abschluss “Rand” der Menge U strebt, z.B. ist sind für M = R und U = (0, 1] alle Glieder der Folge n1 , n 1, in U enthalten, der Grenzwert limn!1 n1 = 0 jedoch ist nur Element von M , nicht von U . Bei abgeschlossenen Mengen kann dies nicht passieren, denn ihre wesentliche Eigenschaft ist, dass der Grenzwert einer Folge innerhalb der Menge — sofern er existiert — stets auch Element der Menge ist. Satz 12.19 (Charakterisierung abgeschlossener Mengen) Sei M ein metrischer Raum. Für eine Teilmenge U ⇢ M gilt: U abgeschlossen Der Grenzwert lim xk =: x 2 M jeder konvergenten k!1 , Folge (xk )k2N in U (d.h. xk 2 U für alle k 2 N) liegt ebenfalls in U (d.h. x 2 U ⇢ M ). Beweis. Sei U abgeschlossen vorausgesetzt. Angenommen der Grenzwert x := limk!1 xk liegt in M \ U , dann gibt es eine ✏-Umgebung B✏ (x) ⇢ M \ U , da M \ U offen ist. Gemäß der Definition der Konvergenz einer Folge liegen ab einer Schranke n✏ 2 N aber dann alle Folgenglieder xk , x n✏ in dieser Umgebung und damit in M \ U . Widerspruch zu xk 2 U . Sei die Folgeneigenschaft vorausgesetzt. Dann ist M \ U offen, denn zu jedem Punkt x 2 M \ U findet man ein ✏ mit B✏ (x) ⇢ M \ U . Dies sieht man durch Widerspruch: Angenommen, dies wäre nicht der Fall, dann kann man für jedes k 2 N einen Punkt xk 2 U finden, so dass d(xk , x) < k1 . Diese Folge konvergiert gegen x und damit gälte x 2 U nach der Folgeneigenschaft, im Widerspruch zu x 2 M \ U . ⇤ 12.3 Inneres, Äußeres, Rand und Abschluss Mehr Einblick in die Eigenschaften von offenen und abgeschlossenen Mengen findet man, indem man die Punkte der Mengen betrachtet. Definition 12.20 (Inneres, Äußeres und Rand) Sei (M, d) ein metrischer Raum und U ⇢ M eine Teilmenge. Ein Punkt a 2 M heißt (i) innerer Punkt von U , falls es eine Umgebung von a gibt, die ganz in U liegt, d.h. für ein ✏ > 0 gilt B✏ (a) ⇢ U , (ii) äußerer Punkt von U , falls es eine Umgebung von a gibt, die ganz im Komplement M \ U liegt, d.h. für ein ✏ > 0 gilt B✏ (a) ⇢ M \ U , (iii) Randpunkt von U , falls jede Umgebung von a wenigstens einen Punkt mit U als auch mit M \ U gemeinsam hat, d.h. für alle ✏ > 0 gilt sowohl B✏ (a) \ U 6= ;, als auch B✏ (a) \ (M \ U ) 6= ;. Der Raum M wird dadurch in die folgenden disjunkten Mengen zerlegt: (i) das Innere Ů von U als Menge aller inneren Punkte, 235 12 Metrische Räume (ii) das Äußere von U als Menge aller äußeren Punkte, (iii) den Rand @U von U als Menge aller Randpunkte. Ein Punkt a 2 M heißt (i) Berührpunkt von U , falls jede Umgebung von a wenigstens einen Punkt aus U enthält, d.h. für alle ✏ > 0 gilt B✏ (a) \ U 6= ;, (ii) Häufungspunkt von U , falls jede Umgebung von a wenigstens einen von a verschiedenen Punkt aus U enthält, d.h. für alle ✏ > 0 gilt (B✏ (a) \ {a}) \ U 6= ;, (iii) isolierter Punkt von U , falls es eine Umgebung von a gibt, in der (außer a) kein weiterer Punkt von U liegt, d.h. es gibt ein ✏ > 0, so dass (B✏ (a) \ {a}) \ U = ;. Der Abschluss von U ist definiert durch U := {x 2 M | x ist Berührpunkt von U }. Anschaulich bedeuten diese Begriffe folgendes: Ein Punkt ist genau dann Randpunkt, falls man für jeden beliebig kleinen Abstand ✏ > 0 stets noch einen Punkt der Menge U als auch einen Punkt im Komplements M \U finden kann, so dass diese höchsten diesen Abstand entfernt liegen — ein Randpunkt hat somit unendlich viele Punkte der Menge als auch des Komplements in seiner Nähe. Ein Punkt liegt im Inneren, falls er zur Menge gehört und noch echt vom Rand entfernt ist — man kann nämlich einen Abstand ✏ > 0 finden, so dass nur Punkte der Menge U innerhalb dieses Abstands liegen und somit keiner vom Komplement. Analog liegt ein Punkt im Äußeren, falls er nicht zur Menge gehört und noch echt vom Rand entfernt ist — man kann nämlich einen Abstand ✏ > 0 finden, so dass nur Punkte des Komplements M \ U innerhalb dieses Abstands liegen und somit keiner der Menge. Die Häufungspunkte sind die Punkte von M , die sich durch die Punkte von U beliebig gut approximieren lassen — denn man findet für einen beliebig kleinen Abstand ✏ > 0 stets noch einen Punkt von U , der höchstens diesen Abstand entfernt ist. Häufungspunkte müssen nicht zur Menge U gehören (z.B. der Rand einer offenen Kugel im Rn ). Jedoch sind nicht zwingend alle Punkte der Menge auch Häufungspunkte. Dies sind genau die isolierten Punkte, die in einer Umgebung keinen anderen Punkt von U liegen haben. Die Berührpunkte lassen sich ebenfalls durch Punkte aus U approximieren und jeder Häufungspunkt ist immer auch Berührpunkt. Anders als bei den Häugfungspunkten ist jedoch jeder Punkt der Menge U auch stets Berührpunkt (d.h. auch isoliert liegende Punkte gehören dazu). Der Abschluss U einer Menge U ist somit die Menge U selbst, zu der man noch alle Häufungspunkte von U hinzunimmt, d.h. alle Punkte aus M , die sich mit Punkten aus U approximieren lassen. Bemerkung 12.21 Es gilt: 236 12.4 Stetige Abbildungen M Außen ✏ a Innen U U @U Abbildung 12.1: Links: Eine Teilmenge U ⇢ M ⇢ R2 bestehend aus einem zusammenhängenden Gebiet und zwei isolierten Punkten. Rechts: Inneres, Äußeres und Rand von U , sowie eine Umgebung zu einem Randpunkt a (i) Ů = U \ @U und das Innere Ů ist offen. (ii) U = U [ @U und der Abschluss U ist abgeschlossen. (iii) Ů ⇢ U ⇢ U . (iv) Der Rand @U ist abgeschlossen. Beispiel 12.22 Für M := R und das halboffene Intervall I := [a, b) (mit a < b) findet man das Innere ˚ I = (a, b), das Äußere ( 1, a) [ [b, 1), den Rand @I = {a, b}, den Abschluss I = [a, b]. 12.4 Stetige Abbildungen Für reellwertige Funktionen f : R ! R wird die Stetigkeit einer Funktion über Folgen definiert und kann analog in einer ✏- -Formulierung über den Abstand mittels des Betrags |x y| (x, y 2 R) ausgedrückt werden. Auf metrischen Räumen besitzt man zum einen ebenfalls den Begriff des Abstands und dadurch zum anderen auch den Begriff der Konvergenz einer Folge. Dies ermöglicht es die Definition der Stetigkeit ohne große Mühe auf solche Räume auszudehnen. Definition 12.23 (Stetigkeit) Seien (M1 , d1 ) und (M2 , d2 ) zwei metrische Räume und D ⇢ M1 . Eine Funktion f : D ! M2 heißt stetig in einem Punkt a 2 D, wenn für jede Folge (xn )n2N in D gilt: xn ! a (n ! 1) ) f (xn ) ! f (a) (n ! 1). Andernfalls heißt die Funktion unstetig in a. Ist die Funktion stetig in jedem Punkt von D, so nennt man sie stetig auf D (oder auch schlicht: stetig). 237 12 Metrische Räume Für eine stetige Funktion gilt also lim f (x) = f (lim x), x!a x!a d.h. Stetigkeit erlaubt es, dass die Grenzwertbildung mit dem Anwenden der Funktion vertauscht wird. Eine quantitative, äquivalente Definition der Stetigkeit ist wie folgt. Satz 12.24 (✏- -Stetigkeit) Seien (M1 , d1 ) und (M2 , d2 ) zwei metrische Räume und D ⇢ M1 . Eine Funktion f : D ! M2 ist genau dann stetig in einem Punkt a 2 D, wenn es zu jedem ✏ > 0 ein ✏ > 0 gibt, so dass für alle Punkte x 2 D gilt d1 (x, a) < ✏ ) d.h. d2 (f (x), f (a)) < ✏, f (B ✏ (a)) ⇢ B✏ (f (a)). Beweis. Fast wörtliche Übertragung des Beweises für Funktionen f : R ! R, bei dem der Betrag durch die Metrik ersetzt wird. ⇤ Man kann dies auch so ausdrücken: Eine Funktion ist stetig in a, falls es zu jeder Umgebung V von f (a) im Bild eine Umgebung U von a im Urbild gibt, so dass das Bild von U ganz in V enthalten ist, d.h. f (U ) ⇢ V . Dies erlaubt sogar die Definition der Stetigkeit auf topologischen Räumen. Handelt es sich jedoch um normierte Vektorräume f : V1 ! V2 , dann liest sich dies als kx akV1 < ) ✏ kf (x) f (a)kV2 < ✏ und ist damit völlig analog zum reellwertigen Fall. B✏ (f (a)) f B ✏ (a) f (a) a f (B ✏ (a)) M1 M2 Beispiele 12.25 (i) Für jedes c 2 M2 ist die konstante Funktion f : M1 ! M2 , x 7! c stetig, da jede Folge im Bild die konstante Folge ist. 238 12.4 Stetige Abbildungen (ii) Die Identität id : M ! M, x 7! x ist stetig, denn man kann stets Damit gilt d(x, a) ✏ =✏ ) ✏ = ✏ wählen. d(f (x), f (a)) = d(x, a) ✏. (iii) Für jedes v 2 V eines reellen Vektorraums ist das Skalarprodukt stetig in einem Argument, d.h die Abbildung f : V ! R, u 7! hu, vi ist stetig. Dies folgt aus der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung |hv, ui hv, u0 i| = |hv, u u0 i| kvk · ku u0 k und somit lässt sich der Abstand im Bild durch den Abstand im Urbild abschätzen 1 und man kann ✏ = kvk · ✏ wählen. Satz 12.26 (Verkettung stetiger Funktionen) Sind f : M1 ! M2 und g : M2 ! M3 zwei stetige Funktionen, dann ist auch die Verkettung g f : M1 ! M3 stetig. Beweis. Analoge Argumentation wie für den eindimensionalen Fall. ⇤ Ein sehr häufig auftretender Fall sind Abbildungen f : Rn ! Rm . Diese sollen nun formalisiert werden. Definition 12.27 (Komponentenfunktion) Sei D ⇢ Rn . Durch die Angabe von m Komponentenfunktionen fi : D ! R, x 7! fi (x) = fi (x1 , x2 , . . . , xn ), i = 1, . . . , m, wird eine Abbildung f definiert durch f : Rn D ! Rm , 0 1 0 1 f1 (x1 , x2 , . . . , xn ) f1 (x) B f2 (x1 , x2 , . . . , xn ) C B f2 (x) C B C B C x 7! f (x) = B C = B .. C = f1 (x)e1 + . . . + fm (x)em . .. @ A @ . A . fm (x1 , x2 , . . . , xn ) fm (x) Für m 2 heißt f : Rn D ! Rm eine vektorwertige Funktion und gilt zudem m = n, dann nennt man f : D ! Rn ein Vektorfeld (d.h. jedem Punkt x 2 D ⇢ Rn des Raums wird ein Vektor f (x) 2 Rn zugewiesen). Für m = 1 nennt man f : Rn D ! R eine n skalare Funktion bzw. ein Skalarfeld (d.h. jedem Punkt x 2 D ⇢ R des Raums wird ein Skalar f (x) 2 R zugewiesen). Beispiel 12.28 (i) Sei die skalarwertige Funktion f : R2 ! R gegeben als f (x) = sin(x1 ) · sin(x2 ). Der Graph einer solchen Funktion G = {(x1 , x2 , f (x1 , x2 )) 2 R3 | x 2 D} lässt sich als Fläche darstellen. Zudem kann man die Isolinien (Linien gleicher Funktionswerte) in der Projektion auf die x1 -x2 -Ebene darstellen: 239 12 Metrische Räume f (x1 , x2 ) 1 0 1 0 2 4 x1 6 0 4 2 6 x2 (ii) Seien für D = R2 die Komponenenfunktionen gegeben durch f1 (x1 , x2 ) = x1 x2 , f2 (x1 , x2 ) = 2x1 , dann ist die vektorwertige Funktion f : R2 ! R2 gegeben als f (x) = ✓ ◆ x1 x2 . 2x1 Eine solches Vektorfeld, das jedem Punkt im Raum einen Vektor zuweist, lässt sich darstellen, indem man den abgebildeten Vektor am Punkt seines Urbilds zeichnet: 1 x2 0.5 0 0.5 1 1 0.5 0 x1 0.5 1 Die Stetigkeit solcher Funktionen lässt sich direkt auf die Stetigkeit von reellwertigen Funktionen zurückführen. Satz 12.29 (Stetigkeit von vektorwertigen Funktionen) Eine vektorwertige Funktion f : Rn D ! Rm ist genau dann stetig, wenn alle Komponentenfunktionen fi : D ! R, i = 1, . . . , m stetig sind. 240 12.4 Stetige Abbildungen Beweis. Die Funktion f ist stetig in a 2 Rn , falls für jede Folge x ! a gilt lim f (x) = f (a). Dies ist aber genau dann der Fall, wenn jede Komponente konvergiert: 0 1 0 1 f1 (x) f1 (a) B C B C lim f (x) = f (a) , lim @ ... A = @ ... A . x!a x!a fm (x) fm (a) x!a ⇤ Satz 12.30 (Summe und Produkt stetiger Funktionen) Sind f, g : Rn ! R stetige Funktionen, dann sind auch Summe f + g : Rn ! R und Produkt f · g : Rn ! R dieser Funktionen stetig. Beweis. Analoge Argumentation wie für den eindimensionalen Fall. ⇤ Beispiele 12.31 (i) Für beliebige i1 , . . . , in 2 N ist jedes Monom xi11 ·xi22 ·. . .·xinn stetig. (ii) Jedes Polynom p : Rn ! R p(x1 , . . . , xn ) = k1 X i1 =0 ··· kn X in =0 ai1,...,in xi11 · . . . · xinn ist stetig. (iii) Jede lineare Abbildung L : Rn ! R ist stetig, da L(x1 , . . . , xn ) = a1 x1 + . . . + an xn ein Polynom ist. (iv) Jede lineare Abbildung L : Rn ! Rm ist stetig, denn jede ihrer Komponentenfunktionen ist ein lineares Polynom. Damit sind alle Matrixabbildungen x 7! A · x stetig. Für lineare Abbildungen zwischen unendlichdimensionalen Vektorräumen ist dies nicht zwingend der Fall, es gilt jedoch folgendes. Satz 12.32 (Charakterisierung linearer stetiger Abbildungen) Seien (V, k·kV ) und (W, k·kW ) zwei normierte Vektorräume und L : V ! W eine lineare Abbildung. Dann gilt L stetig auf ganz V , Es gibt ein c > 0 mit kL(v)kW c kvkV für alle v 2 V. Beweis. Ist L stetig, dann auch stetig im Nullpunkt und somit gibt es zu ✏ = 1 ein > 0 mit L(B (0)) ⇢ B1 (0) ⇢ W . Damit folgt für x 6= 0 auch ✓ ◆ kxkV x x = < und somit L < 1. kxkV 2 V 2 kxkV kxkV 2 W 241 12 Metrische Räume Da L linear ist, kann man die konstanten Faktoren herausziehen und erhält kL(x)kW < 2 kxkV . Andersherum: Existiert die Abschätzung mit der Konstanten c > 0, dann erhält man wegen der Linearität von L auch kL(x) L(a)kW = kL(x a)kW c kx und damit ist die Abbildung stetig mit der Wahl 242 ✏ := 1c ✏. akV ⇤