Gesundheitsgespräch Rheuma bei Kindern und Jugendlichen Sendedatum: 01.07.2017 Expertin: Dr. med. Susanne Schalm, internistische Rheumatologin, verantwortlich für die rheumatologischen Jugend- und Transitionssprechstunde im iSPZ am Dr. von Haunerschen Kinderspital LMU München und im Endokrinologikum München Autor: Johannes von Creytz Dass in Deutschland derzeit mindestens 20.000 Kinder und Jugendliche an Rheuma leiden, ist den Wenigsten bewusst. Rheuma wird meistens immer noch als Leiden von Rentnern wahrgenommen. Einige der über 100 verschiedenen Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis treffen aber auch junge Patienten. Früher glaubte man, kalter Schleim, der vom Gehirn in den Körper fließt, würde die Schmerzen auslösen, die Rheumapatienten plagen. Daher die Ableitung des Namens, vom griechischen „Rheuma“ für Strömung oder Fluss. Heute weiß man, dass die Beschwerden von einer Autoimmunreaktion ausgelöst werden. Das Immunsystem sieht körpereigene Stoffe oder Gewebe als fremd an und bekämpft sie mit einer Entzündungsreaktion. So wandern z.B. bei der rheumatoiden Arthritis Immunzellen an die inneren Gelenkhäute und produzieren dort entzündungsfördernde Stoffe. Schwellungen und Schmerzen sind die Folge. Früher oder später können auch Knorpel, Knochen und Bänder am Gelenk befallen und zerstört werden. Rheumatische Entzündungen können sich außerdem über den Bewegungsapparat hinaus im ganzen Körper ausbreiten und andere Organe befallen. So gibt es rheumatische Entzündungen der Augen, der Haut, des Herzmuskels, sowie von inneren Organen, wie den Nieren, des Darms, oder von Gefäßen und Nerven. Dem Text liegt ein Interview mit Dr. med. Susanne Schalm, internistische Rheumatologin, verantwortlich für die rheumatologischen Jugend- und Transitionssprechstunde im iSPZ am Dr. von Haunerschen Kinderspital LMU München und im Endokrinologikum München, zugrunde. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 1 Kindliches Rheuma - Grundsätzliches Rheuma kann, muss aber nicht den Bewegungsapparat betreffen. Grundsätzlich kann der ganze Körper von einer der Rheumatischen Erkrankungen befallen werden. Das gilt für Erwachsene genauso wie für Kinder und Jugendliche. Begriffserklärungen: Arthritis: Entzündungen an den Gelenken, die nicht auf Überbeanspruchung zurück zu führen sind. Kollagenose: Entzündungen von Bindegewebenstrukturen wie den inneren Organen oder der Haut. Beispiele hierfür sind SLE, Dermatomyositis und Systemsklerose. Vaskulitis: Chronische Entzündungen der Venen und Arterien. Fiebersyndrome: Wiederkehrende Fieberschübe, wie zum Beispiel beim familiären Mittelmeerfieber. Kindliches Rheuma: Weitere mögliche Entzündungsherde Bei Kindern mit Rheuma sollten wegen der Gefahr von bleibenden Schäden regelmäßig Kiefergelenk und Augen untersucht werden. Rheumatische Entzündungen an den Augen verlaufen schmerzfrei, eine Erblindung kann auftreten, wenn sie zu spät erkannt werden. Sind Kiefergelenke betroffen, kann sich langsam aber stetig das ganze Gesicht verschieben. Auch das fällt Eltern, die ihr Kind jeden Tag sehen, oft lange nicht auf. Arthritis im Kindesalter wird Juvenile idiopahische Arthritis (JiA) genannt. „Juvenile“ steht für einen Beginn vor dem 16. Lebensjahr. „Idiopathisch“ steht dafür, dass keine andere Ursache gefunden wurde, und „Arthritis“ für die Entzündung eines Gelenks. Statistisch erkranken jährlich zehn von 100.000 Kindern neu. Von der JiA sind in Deutschland insgesamt ca. 14.000 Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren betroffen. Die Arthritis bei Kindern wird unterschieden, je nachdem, wann die Erkrankung zum ersten Mal aufgetreten ist, welche und wie viele Gelenke befallen sind, welche Autoantiköper vorliegen und mit welchen Komplikationen zu rechnen ist Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 2 – z.B. Augenbeteiligung. So bedeutet die Bezeichnung „Oligoarthritis“, dass bis zu vier Gelenke betroffen sind. „RF positiv Polyarthritis“ steht dafür, dass mehr als vier Gelenke betroffen sind und dass der Rheumafaktor (Zahl der Antikörper) im Blut nachgewiesen werden können. Weil dieser Nachweis im Kindesalter nicht immer möglich ist, gibt es auch die Bezeichnung „RF negativ“ Polyarthritis. Juvenile Arthritis mit Enthesitis bedeutet, dass auch die Sehnenscheiden in Mittleidenschaft gezogen sind. Oligoarthritis Oligoarthritis tritt meist im zweiten bis dritten Lebensjahr auf. Mädchen erkranken deutlich häufiger als Jungen. RF neg. Polyarthritis tritt meistens mit ca. sechs bis acht Jahren auf, und JiA Enthesitis/Arthritis ca. ab dem zehnten Lebensjahr. Der RF pos. Polyarthritis tritt in der späten Kindheit und mit dem Beginn der Pubertät auf. Auch hier erkranken Mädchen deutlich häufiger als Jungen. Rheumadiagnose bei Kindern – wenn Schmerzen den Bewegungsdrang bezwingen Beschwerden werden häufig lange als Wachstumsschmerzen oder Blessuren vom Spielen fehlgedeutet. Außerdem werden Schmerzen von kleinen Kindern oft nicht als solche angegeben und führen zu Schonhaltungen. Die Beweglichkeit der Gelenke kann so abnehmen, ohne dass Eltern es bemerken. Die ersten Anzeichen für eine JIA können auch allgemeine Symptome wie Erschöpfung, Appetitlosigkeit oder Fieber sein. Erst nach einiger Zeit kommt es zu sichtbaren Schwellungen an Gelenken. Die Haut kann über dem betroffenen Gelenk gerötet und deutlich wärmer als am restlichen Körper sein. Je nach Untergruppe können die kleinen Gelenke, wie Finger- und Zehen, betroffen sein. Andere Formen betreffen auch die großen Gelenke, wie Knie, Hüfte oder Schulter. Wachsam sollten Eltern werden, deren Kinder plötzlich sportliche Aktivitäten meiden und nicht mehr mit Freunden raus zum Spielen gehen. Auch, wenn ein Kind eine Hand nicht richtig benützt oder nur auf einer Seite kaut, sollte man genauer beobachten. Hat ein Kind länger als sechs Wochen unerklärliche Gelenk-Beschwerden, sollte nicht gezögert werden. Eine Blutuntersuchung auf rheumatypische Antikörper kann Klarheit schaffen, damit frühzeitig zur Diagnose führen und bleibende Gesundheitsschäden verhindern. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 3 Rheumatherapie bei Kindern – Je früher desto besser! Neben der medikamentösen Therapie spielen für Kinder und Jugendliche mit Rheuma vor allem auch die Physiotherapie und Ergotherapie eine große Rolle. Sogenannte Biologika können medikamentös entzündungsfördernde Botenstoffe des Immunsystems unterdrücken. Aber auch Bewegung ist bei Rheuma ein wichtiges Heilmittel. Wer als Kind seine Finger nicht richtig bewegt, nicht richtig rennt, klettert oder stürzen lernt, der wird wichtige Bewegungsmuster nicht erlernen und als Erwachsener motorische Probleme haben. Deshalb sind Übungen, die die Funktion und Koordination der Gliedmaßen trainieren, besonders für Kinder wichtig. Kortison kann Kindern bei ständigen Schmerzen und Funktionseinbußen eine wertvolle Hilfe sein, sollte aber wenn möglich sparsam und direkt in die betroffenen Gelenke gespritzt werden. So können mögliche Nebenwirkungen klein gehalten werden. Rheuma und Ernährung Bei rheumakranken Kindern ist ein Vorteil von Diäten nicht bewiesen, es sei denn, sie sind aus anderen Gründen sinnvoll. Die richtige Ernährung kann aber die Therapie von Erwachsenen positiv unterstützen. Empfohlen wird eine mediterrane Küche, mit Olivenöl, Fisch und Gemüse. Bei erwachsenen Patienten mit chronisch entzündlichem Rheuma ist eine fleischarme Kost zu überlegen. Besonders Schweinefleisch sollten Rheumatiker nur sparsam zu sich nehmen, weil darin viel der entzündungsfördernden Arachidonsäure steckt. Ganz auf Fleisch verzichten müssen Rheumatiker nicht. Im Gegenteil, mageres Rind- oder Lammfleisch kann ein schmackhafter und wichtiger Eisenlieferant für den Körper sein. Doch geheilt? Wenn Rheuma plötzlich verschwindet. Manchmal verschwindet Rheuma plötzlich. Laut internationaler Studien ist die Krankheit bei etwas weniger als der Hälfte der Betroffenen im Erwachsenenalter nicht mehr aktiv. So unterschiedlich rheumatische Erkrankungsformen und Patienten sind, so unterschiedlich können die Gründe für ein ausbleiben der Beschwerden sein. Eine einheitliche wissenschaftliche Aussage dazu gibt es nicht. Hoffnungen können sich aber am ehesten diejenigen Rheumatiker machen, bei denen nur wenige Körperstellen betroffen sind und die schon im Frühstadium eine erfolgreiche Therapie genossen haben. In jedem Fall ist aber auch für ehemalige Rheumatiker eine regelmäßige, fachärztliche Untersuchung bei einem internistischen Rheumatologen sinnvoll. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 4 Transition und Pubertät – Wenn Rheuma erwachsen wird Partys, Rauchen, Alkohol- oder Drogenkonsum, auch jugendliche Rheumatiker wollen oft einfach dazu gehören. Auch wenn es wegen ihrer Medikamente zu erheblich größeren Problemen kommen kann als bei gesunden Gleichaltrigen. Der Beginn der Pubertät ist häufig auch der Anfang vom Ende einer verlässlichen Rheumatherapie. Jugendliche Patienten wollen oftmals von ihrer Erkrankung nichts mehr wissen. Haben naturgemäß andere Interessen, als regelmäßige Arztbesuche und Medikamenteneinnahme. Mit der Ablehnung der Krankheit, nimmt auch die Bereitschaft ab, sich zu informieren und an besondere Risiken zu denken. Das bedeutet Eltern und Ärzte sollten früh anfangen, die Kinder zu mündigen Patienten zu erziehen. Untersuchungen zeigen, dass sich mehr als ein Drittel aller Jugendlichen nur ein Jahr nach ihrem „Transfer“ in die Erwachsenen-Rheumatologie, nicht mehr regelmäßig in einer rheumatologischen Praxis untersuchen lassen. Das liegt zum einen daran, dass sie sich in der Erwachsenen Medizin oft nicht gut betreut fühlen, zum anderen hat sich aber auch gezeigt, dass die Patienten zu wenig über Vorsorge wissen und schlecht auf den Wechsel vom Kinderarzt in die Erwachsenenmedizin vorbereitet wurden. Transitionsprogramme In speziellen Transitionsprogrammen mit Jugend-Camps oder speziellen Übergangssprechstunden wie im iSPZ am Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU in München , können jugendliche Rheumapatienten früh geschult werden. Auch Eltern finden dort Beratung, wie und wann sie die Kinder mit ihrer Krankheit loslassen und eine neue Rolle akzeptieren können. Wichtig für eine erfolgreiche Transition ist außerdem, dass Kinder- und zukünftige Erwachsenenrheumatologen eng vernetzt werden und während einer Übergangszeit gemeinsam behandeln. Informationen über Transitionsprogramme für Kinder und jugendliche Rheumatiker gibt es bei der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie, der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie e.V. oder bei der Deutschen Gesellschaft für Transitionsmedizin. Linktipps: Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie e.V.: http://dgrh.de/9401.html Am 17. und 18. November 2017 findet in München ein Kongress zum Thema des Übergang vom Kinderarzt in die Erwachsenenmedizin statt. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 5 Informationen unter: http://www.transitionsmedizin.de/ Speziell für Jugendliche mit Rheuma: https://mein-rheuma-wird-erwachsen.de/ Für Jugendliche mit chronischen Krankheiten: http://www.between-kompas.de/ Rheuma – richtig behandelt kein Schreckgespenst mehr Experte: Prof. Dr. med. Hendrik Schulze-Koops, Schwerpunktprofessor für Rheumatologie und Klinische Immunologie am Klinikum der Universität München (LMU) und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie e.V. Autorin: Katharina Hübel Bei Rheuma handelt es sich im engeren Sinne um Entzündungserkrankungen, ausgelöst durch das Immunsystem, das den eigenen Körper angreift. Schmerzen in den Gelenken sind eines der häufigsten Symptome. Doch auch Gefäße, innere Organe, die Augen oder die Wirbelsäule können betroffen sein. Insgesamt gibt es über 400 Arten von Rheuma – und nicht immer gelingt die Diagnose zeitnah. Das kann verheerend sein, denn bereits nach sechs bis zwölf Wochen kann die Krankheit chronisch sein und beispielsweise Gelenke oder Organe zerstört haben. Ein zerstörtes Gelenk kann selbst die moderne Medizin nicht wieder herstellen. Doch inzwischen gibt es zumindest gute Möglichkeiten, die Krankheit selbst lebenslang gut in den Griff zu bekommen, dadurch die Lebenserwartung und vor allem die Lebensqualität der Patienten zu verlängern beziehungsweise zu verbessern. Der Text beruht auf einem Interview von Katharina Hübel mit Prof. Dr. med. Hendrik Schulze-Koops, Inhaber der Schwerpunktprofessur Rheumatologie und Klinische Immunologie am Klinikum der Universität München (LMU) und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie e.V. „Wilhelm Busch hat gesagt: Was man sich nicht erklären kann, sieht man als Rheumatismus an. Das ist leider die Wahrheit, auch für viele Fachkollegen, die nicht weiter wissen, wenn bei Patienten bestimmte Konstellationen vorliegen. Rheuma an sich ist ein weiter Begriff. Er bezeichnet erstmal, dass es ein so Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 6 genannter fließender Schmerz im ganzen Körper ist.“ Prof. Hendrik SchulzeKoops Abgrenzung: Rheuma – Arthrose – Gicht „Arthrose“ ist die geläufige Bezeichnung für die so genannten degenerativen rheumatischen Erkrankungen. Sie betrifft jeden Fünften. Arthrose kommt durch Abnutzung zustande und nicht durch eine Entzündung, die Voraussetzung ist für Rheuma in dem Sinne, wie die Innere Medizin es definiert. Zwar schmerzen auch bei der Arthrose die Gelenke und lassen sich nur noch schwer beugen, doch selten ist die Arthrose von einer Schwellung begleitet. Vor allem unter Belastung schmerzen bei Arthrose die Gelenke. Ein warmes Wasserbad lässt die Schmerzen im arthrotische Gelenk zurückgehen, ein rheumatisches, arthritisches Gelenk, das entzündet ist, schmerzt hingegen weniger in kaltem Eiswasser. Denn das arthritische Gelenk ist sehr erhitzt, stark durchblutet, geschwollen und gerötet. Auch Gicht kann zu rheumatischen Beschwerden führen, ist allerdings eine Ablagerungserkrankung und hat somit andere Ursachen als Rheuma im engeren Sinne. „Rheuma, wie wir es in der Inneren Medizin definieren, umfasst die Erkrankungen, die durch ein fehlgeleitetes Immunsystem dazu führen, dass sich Entzündungen am Bewegungsapparat entwickeln, die zu Schmerzen führen.“ Prof. Hendrik Schulze-Koops, Vizepräsident Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie Rheuma ist also keine Erkrankung der Gelenke, sondern eine Autoimmunerkrankung. Rheuma erkennen - Die richtige Diagnose Grundvoraussetzung für die Diagnose „Rheuma“ ist, dass man eine Entzündung im Körper nachweisen kann. Bei Rheuma ist das Grundproblem das Immunsystem, das körpereigene Strukturen, in dem Fall Knorpel, Knochen und Sehnen oder auch Gefäßinnenwände, angreift. Wenn das Immunsystem selbstzerstörend tätig wird, dann ist das allerdings nicht nur beispielsweise an den Gelenken, sondern überall im Körper nachweisbar. Symptome: • Arthritis-Patienten fühlen sich leistungsschwach, sie haben Nachtschweiß, haben Fieber, erheblichen Gewichtsverlust, den sie sich Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 7 • • nicht erklären können; die Patienten fühlen sich insgesamt so, als hätten sie eine Grippe, das jedoch über Wochen und Monate je nach Rheuma-Art Schmerzen in den Gelenken, Funktionseinschränkung der Gelenke (siehe Gelenkerkrankungen/Rheumatoide Arthritis/Polyarthritis), aber auch beispielsweise eingeschränkte Sehkraft, Hautnekrose oder auch Niereninsuffizienz (siehe Gefäßerkrankungen/Vaskulitis) Entzündungswerte kann man im Blut nachweisen Checkliste: Die fünf Kardinalsymptome einer Entzündung • Entzündetes Gewebe ist rot. • Es ist warm. • Es ist geschwollen. • Es tut weh. • Es hat eine Funktionseinschränkung, man kann das Gelenk nicht mehr beugen. Fazit: Eine entzündlich-rheumatische Erkrankung an den Gelenken kann der Internist sehr klar und einfach abgrenzen zu einer nicht-entzündlichen Krankheit, die mit Gelenkschmerzen einhergeht. Das Problem ist allerdings, dass oft sehr viel Zeit vergeht, bis ein Patient beim richtigen Facharzt angekommen ist, der diese Diagnose stellen kann. Die grippeähnlichen Symptome, die anfangs kommen und dann auch wieder gehen, erregen meist zunächst weder beim Patienten noch beim Hausarzt einen Verdacht. Selbst wenn eine Entzündung im Blut festgestellt wird, verschreibt der Hausarzt meist erstmal Antibiotikum und Schmerzmittel. Erst wenn die Symptome chronisch werden, dämmert es Arzt und Patient, dass etwas anderes dahinterstecken könnte. Für Ärzte, die nicht so häufig Rheumapatienten betreuen, durchaus eine Herausforderung, dann auf die Idee Rheuma zu kommen. Daher vergehen oft Wochen bis Monate, manchmal sogar Jahre, bis Rheumapatienten in die Betreuung von Rheumatologen kommen. Rheuma rechtzeitig behandeln - Frühe Diagnose ist wichtig Die Empfehlung der Rheumatologen ist, dass sich der Patient innerhalb von sechs Wochen nach Beginn der Symptome einer Arthritis bei einem Rheumatologen vorstellt, spätestens zwölf Wochen nach Beginn sollte die Therapie beginnen, damit man die Entzündungsreaktion stoppen kann, die körpereigenes Gewebe, Gelenke, sogar Organe kaputt machen kann. „Die Realität in Deutschland ist, dass ein Jahr vergeht, bis der Patient bei einem Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 8 Rheumatologen ist, die Hälfte der Patienten erst innerhalb der ersten zwei Jahre. Für bestimmte entzündliche Erkrankungen, vor allem im Bereich des Rückens, ist die durchschnittliche Dauer von Beginn der Symptome bis zur Vorstellung beim Rheumatologen fünf bis acht Jahre.“ Prof. Hendrik SchulzeKoops, Vizepräsident Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie Wer das Glück einer frühen Diagnose und dementsprechend frühen Therapie hat, kann unter Umständen sogar vollständig geheilt werden, und die Autoimmunreaktion kann gestoppt werden. Daher bieten immer mehr Rheumatologen so genannte „FrüharthritisTelefone“ an, wo die primär den Patienten versorgenden Ärzte bei ausreichendem Verdacht Rat holen und Termine vereinbaren können. „Wir haben bis zu 500 Anrufe am Tag, was uns einerseits zeitlich sehr herausfordert, andererseits aber auch freut. Um Patienten in einer frühen Phase einer Arthritis helfen zu können, müssen wir aus Kapazitätsgründen das Gespräch mit dem primär versorgenden Arzt der Patienten, dem Internisten, Hausarzt oder Allgemeinmediziner, suchen. Dann können wir mit den Kollegen das weitere Vorgehen besprechen und Empfehlungen direkt über den Primärversorger an den Patienten weitergeben. Die Möglichkeit, über das Früharthritistelefon mit Patienten zu sprechen oder Patienten am Telefon zu beraten, würde allerdings die Kapazitäten der Früharthritisambulanz sprengen. Wenn Sie als Primärversorger einen Patienten haben, der nicht länger als drei Wochen eine Gelenkschwellung hat und zusätzlich einen Laborwert, der auf eine systemische Entzündung hinweist, dann sind Sie herzlichen eingeladen, uns – und viele der niedergelassenen Kollegen – über eines der Früharthritistelefone zu kontaktieren und einen Termin für Ihren Patienten zu vereinbaren. Bei uns soll ein Patient mit einem hinreichenden Verdacht auf das Vorliegen einer Früharthritis innerhalb von zwei bis drei Tagen einen Termin zur Vorstellung erhalten.“ Prof. Hendrik Schulze-Koops, Vizepräsident Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie Varianten von Rheuma - Einige Ausprägungen von Arthritis Rheumatoide Arthritis Bei den entzündlichen Immunerkrankungen ist die rheumatoide Arthritis, früher primär chronische Polyarthritis genannt, die häufigste Erkrankung. Sie betrifft ein Prozent der Bundesbürger. Bei der rheumatoiden Arthritis werden unter anderem Knorpel, Knochen und Sehnen angegriffen. Es handelt sich dabei um eine Entzündungserkrankung des Bindegewebes, die sich vor allem an den Gelenken manifestiert. Es können daher auch Weichteile, Schleimbeutel, innere Organe oder Augen mitbetroffen sein. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 9 Anfangs zeigt sich die Krankheit in leichter Ermüdbarkeit, flüchtigen Gelenkschmerzen und -schwellungen, erhöhter Temperatur und Schwäche in den Händen beim Anheben von Gegenständen. Typisch für die rheumatoide Arthritis ist die Morgensteife in den Gelenken, die im Laufe des Tages langsam nachlässt. Die Symptome kommen in Schüben, steigern sich, meist beginnt es in den Händen, die Gelenke können im Verlauf der Zeit zerstört, auch deformiert werden. Die Funktion der Gelenke wird bis zur Unbeweglichkeit hin eingeschränkt, oft sind Sehnenscheiden mit betroffen. Vaskultis 0,1 Prozent der deutschen Bevölkerung haben eine Vaskulitis: Das sind entzündliche Gefäßerkrankungen, die auch zu Rheuma zählen, weil die Grundursache der Erkrankung genau dasselbe ist wie bei den Arthritiden, also den entzündlichen Gelenkerkrankungen: das Immunsystem, das die falsche Information bekommen hat, körpereigene Strukturen zu zerstören. Bei dieser Gefäßerkrankung wird die Innenhaut der Gefäße angegriffen. Die Schwellung der Gefäßinnenwand bedeutet, dass der Blutfluss extrem langsam wird und das Blut nur noch als Rinnsal weiterfließt. Das Resultat ist, dass das Organ, das hinter der Entzündung steckt, minder versorgt wird. Mögliche Symptome bei Vaskulitis zusätzlich zu den oben beschriebenen generellen Symptomen bei Rheuma: • Befall innerer Organe (Herz, Lunge, Niere) • Befall der Augen (Verlust der Sehschärfe) • Befall der Nerven • Befall der Haut (Absterben der Haut) Dass es sich um eine Vaskulitis handelt, kann der Arzt mittels Biopsie beweisen, indem er ein Stück des Gefäßes entnimmt und unter dem Mikroskop anschaut. Bei einigen Vaskulitiden kann auch ein radioaktives Nachweisverfahren angewandt werden, welches hyperaktive, entzündete Zellen markiert und deren Lage optisch nachvollziehbar macht. Axiale Spondyloarthritis/Morbus Bechterew 0,5 Prozent der Menschen in Deutschland leiden an Morbus Bechterew – das sind fünf Prozent aller Menschen mit chronischem Rückenschmerz. Bei Morbus Bechterew handelt es sich um einen entzündlichen Rückenschmerz, der meist in der Kreuz-Darmbein-Gegend beginnt. In Einzelfällen bilden sich schmerzhafte Knochenwucherungen bis hinauf in die Wirbelsäule. Die Wirbelgelenke entzünden sich, können sich versteifen und dadurch den Rücken unbeweglich machen. Manchmal verkrümmt auch die Wirbelsäule, so dass nur noch ein gebeugter Gang möglich ist. Bei manchen Betroffenen wird die Beweglichkeit des Brustkorbs und damit die Atmung beeinträchtigt. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 10 Im Gegensatz zum häufiger vorkommenden so genannten mechanischen Rückenschmerz zeichnet sich der entzündliche Rückenschmerz durch das nächtliche Aufwachen in der zweiten Nachthälfte aus, auch liegt eine Morgensteife vor. Wenn sich der Patient bewegt, werden die Rückenschmerzen weniger. Begleitet sind die Rückenschmerzen oft auch von Arthritis in den Hand- und Fußgelenken, manchmal sind auch Augen, Haut und Darm mit betroffen. Kollagenosen Der Begriff „Kollagenosen“ (entzündliche Erkrankungen des Bindegewebes) umfasst eine Gruppe von ähnlich seltenen rheumatischen Erkrankungen wie die primären Vaskulitiden. Ihr Name ist irreführend, da er den Schein erweckt, die Krankheiten hätten ihre Ursache primär im Bindegewebe. Doch heute ist bekannt, dass ihnen Autoimmunprozesse zu Grunde liegen, wie bei allen entzündlichen Rheumaformen. Charakteristisch ist, dass Rheuma bei den Kollagenosen sprichwörtlich „unter die Haut“ geht. Frauen sind häufiger betroffen, ohne dass dafür der Grund bekannt ist. Da das Immunsystem auch bei den Kollagenosen aktiviert ist, sind die Patienten häufig schlapp, müde, erschöpft, ohne dass spezifische Organbeteiligungen vorliegen müssen. Zu Kollagenosen gehören: • Systemischer lupus erythematodes (SLE): Betrifft vor allem junge Frauen, beginnt häufig zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr. Gelenke, Haut und häufig auch innere Organe sind in Mitleidenschaft gezogen. • Sjögren-Syndrom: Beim Sjörgen-Syndrom sind die Drüsen, die Sekret nach außen abgeben, entzündet und die Entzündung zerstört diese Drüsen im Verlauf der Erkrankung. Der Mund wird sehr trocken, da kaum noch Speichel gebildet wird. Auch brennen die Augen, da zu wenig Tränenflüssigkeit produziert werden kann. Wenn die Drüsen des Urogenitaltraktes betroffen sind, kommt es zum Brennen der trockenen Schleimhäute im Vaginalbereich. Das Brennen und Jucken ist nicht nur sehr störend sondern zeigt auch an, dass die üblicherweise durch den Schleim geschützten Schleimhäute anfällig sind für bakterielle Infektionen. • Systemische Sklerose (SSc): Bei der systemischen Sklerose (früher auch Sklerodermie genannt) verhärtet sich vor allem die Haut der Patienten, aber es können beispielsweise auch Lunge und Herz betroffen sein können. • Dermatomyositis/Polymyositis: Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 11 Betrifft vor allem Frauen zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr. Die Patienten leiden an Muskelschwäche, weniger an Muskelschmerzen. Auch bei diesen Erkrankungen können innere Organe befallen sein. • Antiphospholipid-Syndrom (APS): Kann ohne Vorliegen einer anderen Kollagenose auftreten (primäres APS) oder in Begleitung eines SLE (sekundäres APS). Die Betroffenen bekommen Thrombosen und Embolien, weil die Blutgefäße sich verschließen, und haben das Risiko, Fehlgeburten zu erleiden, wenn sich die Thrombosen im Mutterkuchen entwickeln und damit die Blutversorgung des Embryos behindern. • zahlreiche Mischformen Warum greift sich der Körper an? Ursachen für Arthritis Was ist die Ursache dafür, dass das Immunsystem den eigenen Körper angreift und Arthritis bewirkt? „Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage. Das weiß man nicht genau. Es gibt eine ganze Reihe von Ideen, warum das so sein könnte, bewiesen ist jedoch mit wenigen Ausnahmen nichts.“ Prof. Hendrik Schulze-Koops, Vizepräsident Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie These 1: Umweltfaktoren Zwei Umweltfaktoren sind tatsächlich bekannt, die eine Rolle bei Rheuma spielen: Ungeschütztes Sonnenlicht und Sonnenbrand sowie, Tabakrauchen. „Die Noxen des Rauchens (Anm.: Noxen sind Stoffe, die eine krankheitserzeugende Wirkung auf einen Organismus haben) aktivieren tatsächlich molekular das Immunsystem in der Lunge. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Immunsystem dann als nächstes gegen körpereigene Strukturen wendet, weil es denkt, die Lunge sei geschädigt. So kann die Autoimmunerkrankung, das Rheuma, starten.“ Prof. Hendrik SchulzeKoops, Vizepräsident Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie Möglicherweise schaden auch eine zu hohe Salzkonzentration in der Nahrung und ein zu hoher Fleischkonsum. „Autoimmunreaktionen passieren in jedem Körper, wahrscheinlich sogar ein Mal pro Sekunde: Das Immunsystem startet in guter Absicht eine Reaktion gegen körpereigenes Gewebe, korrigiert sich aber genauso oft und bremst sich wieder ein. Das heißt aber tatsächlich: Autoimmunreaktionen sind in jedem von uns angelegt, aber die meisten werden nicht krank. Wenn jedoch die Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Es besteht aber eine genetische Veranlagung zu Rheuma, was sich dadurch äußert, dass Rheuma in manchen Familien gehäuft vorkommt und bei rheumatischen Erkrankungen bestimmte Genvarianten überzufällig häufig nachgewiesen werden können. These 3: Viren und Infektionen Bestimmte Viren und Infektionen stehen unter dem Verdacht, Rheuma zu verursachen, bislang fehlen jedoch die eindeutigen Beweise. These 4: Hormone Frauen sind von den allermeisten Autoimmunerkrankungen häufiger betroffen. Allerdings fehlt bislang der Beweis, dass Hormone dafür unmittelbar verantwortlich sind. Auch spricht gegen die Idee, dass die weiblichen Hormone ursächlich für Rheuma verantwortlich seien, die Beobachtung, dass junge Mädchen und Frauen nach der Menopause ebenfalls häufiger betroffen sind, als junge Knaben bzw. Männer im höheren Lebensalter Allerdings gibt es die Vermutung, dass die Sexualhormone eine Auswirkung darauf haben, wie sich der weibliche Organismus - anders als der männliche mit den Bakterien des Darmes auseinandersetzt. Und das wiederum könnte die Wahrscheinlichkeit einer Autoimmunerkrankung beeinflussen. Rheuma behandeln - Therapiemöglichkeiten „Es gibt heutzutage einige Medikamente, die sehr gut wirken gegen die Entzündung im Körper und damit auch gegen die Symptome einer entzündlichen Rheumaerkrankung, wie z.B. die Arthritis. Leider weiß man nicht vorher, bei welchem Patienten welche Medikamente helfen. Die Chance, dass ein Medikament wirkt, ist in der Regel bei 60 bis 70 Prozent gegeben. Bei manchen Patienten muss man einige Medikamente durchprobieren. Doch letzten Endes können wir heutzutage das realistische Ziel ausgeben, dass wir die Entzündungsreaktion beim Patienten vollständig ausschalten wollen.“ Prof. Hendrik Schulze-Koops, Vizepräsident Deutsche Gesellschaft für Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 13 Rheumatologie Viele Patienten können mit einer gut eingestellten Medikamententherapie Rheuma in den Griff bekommen. Die Frage ist, ob sie ein Leben lang die Medikamente weiter nehmen müssen, wenn die Entzündung vollständig verschwunden ist. Derzeit werden weltweit Kriterien dafür entwickelt, bei welchen Patienten es vorstellbar wäre, die Medikamente wieder abzusetzen, und bei welchen es eher riskant wäre, die medikamentöse Therapie zu beenden. Noch herrscht darüber keine Klarheit. Allerdings zeigt die Statistik, dass nach zwei Jahren fünfzig Prozent der Patienten, bei denen die Medikamente abgesetzt wurden, wieder Arthritis-Symptome hatten. „Ehrlicherweise sollte man davon ausgehen, dass die meisten Patienten die Medikamente lebenslang nehmen müssen. Allerdings kann man wohl zumindest Phasen ausprobieren, in denen die Medikamente nicht genommen werden müssen.“ Prof. Hendrik Schulze-Koops, Vizepräsident Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie Kortison Als erste Maßnahme, um die Entzündungsreaktionen zu blockieren, wird in der Regel niedrig dosiertes Kortison für wenige Wochen Dauer verschrieben. Meist ist die maximale Dosis 20 bis 30 mg am Tag über drei bis sechs Wochen. „Kortison ist das beste Medikament gegen Entzündungen. Ohne geht es nicht. Es ist wie das Wasser der Feuerwehr: Da können Sie noch so viel Angst haben, dass durch Wasser letztendlich ganz viele Kollateralschäden in dem zu löschenden Haus entstehen. Erstmal muss das Feuer gelöscht werden, und das können wir in der Medizin mit nichts besser machen, als mit Kortison. Aber wir sind heutzutage niemals mehr gut beraten, Kortison langfristig einzusetzen, das dürfen wir auch gar nicht. Zum einen, weil wir die Nebenwirkungen des Kortisons genauso fürchten, wie die Patienten das auch tun, und wir wissen auch, dass der Einsatz einer Kortisontherapie über mehr als sechs Monate bei ganz, ganz wenigen Erkrankungen überhaupt noch sinnvoll ist. Aber Kortison ist für uns kein Teufelswerk, sondern eine Wundersubstanz, die wir dann einsetzen, wenn es wirklich brennt im Patienten.“ Prof. Hendrik Schulze-Koops, Vizepräsident Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie Wenn der Patient binnen der ersten drei Wochen nach erstmaligem Auftreten der Symptome Kortison bekommt, kann es sogar sein, dass die Arthritis gar nicht erst chronisch wird. Basistherapeutika Der schnelle und kurze Einsatz von Kortison ist auch deshalb notwendig, weil die so genannten Basistherapeutika für Rheuma erst nach vier bis sechs Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 14 Wochen überhaupt wirken. Beginnen sie zu wirken, kann das Kortison ausgeschlichen werden. Seit vielen Jahrzenten werden die Basistherapeutika eingesetzt. Seit 1988 ist das am häufigsten verwendete Medikament, das Methotrexat, für die Behandlung rheumatischer Erkrankungen zugelassen. Neben dem Methotrexat gibt es eine ganze Reihe anderer Medikamente, die das Ziel haben, die Aktivität des Immunsystems einzudämmen. Methotrexat ist auch aus der Tumortherapie bekannt. Dort wird das Medikament allerdings in der fünfhundertfach erhöhten Dosis eingesetzt. Bei Rheuma werden in der Regel 15 bis 25 mg pro Woche in einmaliger Dosierung gegeben. Damit kann man die Erkrankung bei 40 bis 60 Prozent der Patienten soweit beruhigen, dass die spontane Entzündung nicht mehr stattfindet, bei vielen sogar überhaupt nicht mehr im Blut nachweisbar ist. Biologika/Biologicals Seit Anfang des Jahrtausends gibt es einige Medikamente, die gezielt in das Immunsystem eingreifen. Diese so genannten „Biologika“ sind biologisch hergestellte Eiweiße. Sie funktionieren ähnlich wie Antikörper gegen Viren, nur, dass sie sich speziell gegen Bestandteile aus dem Immunsystem richten. Dadurch wird das Immunsystem heruntergefahren, die Immunantwort wird blockiert, die gegen körpereigene Strukturen abläuft. „Die Biologika haben die Therapie der Immunreaktionen revolutioniert, damit kann man die falsch ablaufenden Immunreaktionen sehr gut in den Griff kriegen.“ Prof. Hendrik Schulze-Koops, Vizepräsident Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie Signaltransaktionsemittoren/Januskinase-Inhibitoren Seit März 2017 ist eine ganz neue Generation von chemischen RheumaMedikamenten in Deutschland zugelassen worden. Sie greifen gezielt in die immunologische Signalübertragung ein. „Die Zellen müssen immer miteinander kommunizieren, damit eine Immunreaktion stattfindet. Diese Kommunikation muss vermittelt werden, und da greifen diese neuen Medikamente ein, sie stören diese Kommunikation.“ Prof. Hendrik Schulze-Koops, Vizepräsident Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie Physikalische Therapie Zusätzlich zur medikamentösen Therapie schaffen auch physikalische Maßnahmen Erleichterung: Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 15 • • Bei entzündlichem Rheuma mit überwärmten und manchmal geröteten Gelenken ist Kältetherapie sehr hilfreich. Kältetherapien können Umschläge oder Kaltluft sein. Bei Verschleißerscheinungen hilft Wärme: Hier ist es gut, die Muskeln durch Wärme zu entspannen. Ergänzende Maßnahmen: Was der Patient selbst tun kann Lebenswandel • Nicht rauchen! • Richtig ernähren Zurückhaltung bei tierischen Fetten: Tierische Fette sind proinflammatorisch, also entzündungsfördernd. Daher sollten Rheumapatienten beispielsweise lieber Olivenöl und Margarine statt Butter nehmen. Eine rein vegetarische Ernährung ist aber auch nicht empfehlenswert. Professor Schulze-Koops rät zu einer sehr ausgewogenen, eher mediterranen Kost mit allen Spurenelementen und Vitaminen: frisches Obst und Gemüse, Fisch und leicht zubereitetes Fleisch. • Angemessene Bewegung und Physiotherapie: Die Gelenke müssen bewegt werden, die richtige Bewegung ist wichtig, rät Professor Schulze-Koops. Eine übertriebene Schonung der Gelenke schwächt die Gelenke nur. • Stress reduzieren Auf Immunzellen befinden sich tatsächlich Stressrezeptoren. Zwar erschließt sich rein von der Evolution her gedacht der Sinn dieses Phänomens nicht, denn eigentlich gibt es keinen ersichtlichen Zusammenhang zwischen Stress-Situationen wie „Achtung, ein Tiger!“ oder „Wie bekomme ich Nahrung?“ und dem Immunsystem, das für die Abwehr von Viren und Bakterien verantwortlich ist. Dennoch ist es nachweislich so. Die Neuro-Immunologie beschäftigt sich derzeit damit herauszufinden, was das mit der Ursache von Entzündungserkrankungen zu tun hat. Aber bereits zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich sicher sagen: „Jemand, der die ganze Zeit gestresst ist, wird größere Probleme haben, das Immunsystem zu beruhigen, als jemand, der keinen Stress hat.“ Prof. Hendrik Schulze-Koops, Vizepräsident Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie Naturheilkunde/Chinesische Medizin Ergänzend zu den Medikamenten der Schulmedizin ist die so genannten PhytoDieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 16 Medizin, die pflanzliche Medizin, eine sinnvolle Ergänzung, findet Professor Hendrik Schulze-Koops. „In vielen der naturheilkundlichen Pflanzen sind durchaus Wirkstoffe drin, die entzündungsmediierend eingreifen und sie können unterstützend zur Schulmedizin wirken. Brennnessel beispielsweise enthält Substanzen, die sehr ähnlich sind wie Aspirin. Auch die chinesische Medizin kann helfen, Entzündungen zu hemmen. Allerdings würde ich keine Empfehlung für Homöopathie aussprechen. Noch habe ich keinen wissenschaftlichen Beweis gesehen, dass damit irgendein Effekt auf Entzündungen erreicht worden ist.“ Prof. Hendrik Schulze-Koops, Vizepräsident Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie Fazit: Die großen Schrecken des Rheuma gehören der Vergangenheit an „Die großen Schrecken der Erkrankung sind mit der richtigen Behandlung Vergangenheit. Früher hat Rheuma gut zehn Jahre Lebenswartung geklaut.“ Prof. Hendrik Schulze-Koops, Vizepräsident Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie Rheuma hat durch die moderne Medizin seinen Schrecken weitestgehend verloren. Auch wenn die Patienten trotz Medikamenten vermutlich ein Leben lang krank sein werden, erleben sie heutzutage deutlich weniger krankheitsbedingte Funktionseinschränkungen und können die Symptome meist sehr gut zurückfahren. Ohne die Schulmedizin, so die Auffassung von Professor Hendrik SchulzeKoops, kann es schwerlich gelingen, die Entzündungsreaktion auszuschalten, und die stiehlt Lebenszeit: „Das Immunsystem kann bis zu 30 Prozent der Energie nehmen, die man täglich zu sich nimmt. Man kann sich gar nicht so viel Energie zuführen, wie die Erkrankung einen erschöpft. Wenn das über Jahre geht, dann sind einfach die Energiereserven aus dem Körper erschöpft. Die Entzündung durch Medikamente zu hemmen bedeutet, die Lebenszeit, aber vor allem natürlich die tägliche Lebensqualität der Patienten zu verlängern und zu verbessern.“ Prof. Hendrik Schulze-Koops, Vizepräsident Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie Rheumapatienten hatten früher ein deutlich höheres Risiko für bösartige Tumoren, für schwere Infektionserkrankungen oder für frühe kardiovaskuläre Verkalkungen. Das muss heutzutage mit der richtigen Behandlung nicht mehr sein. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 17