Veranstaltungsunterlagen Rechtliche Aspekte des

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Veranstaltungsunterlagen
Rechtliche Aspekte des Personalmanagements bei Erkrankung
von Beschäftigten
04.07. bis 05.07.2016
Brühl
Dozentin: Dr. Beatrix Jansen
Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung
Fachbereich Bundeswehrverwaltung
Bundesakademie für öffentliche Verwaltung
Lehrgruppe 2
1
A. Der Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall
I. Einleitung
Die Krankheit gehört zu jenen Schicksalsschlägen des Lebens, denen jeder
Mensch ohne Rücksicht auf Person und soziale Stellung ausgesetzt ist. Die
Auswirkungen einer Krankheit auf die wirtschaftliche Existenzgrundlage des
Menschen sind daher auch von besonders einschneidender Bedeutung für
den Arbeitnehmer, dessen Versorgung in der Regel ausschließlich auf
seinem Arbeitsverhältnis beruht, weshalb es der sozialen Absicherung im
Krankheitsfall bedarf. Nicht verwunderlich ist daher, dass es kaum einen
Bereich des Arbeitsverhältnisses gibt, der so viel Konfliktstoff liefert, wie die
interessengerechte
Bewältigung
der
krankheitsbedingten
Arbeitsunfähigkeit: Die Arbeitgeber sehen in der Entgeltfortzahlung einen
Treibsatz
für
den
beschäftigungsgefährdenden
Anstieg
der
Lohnnebenkosten; für die Gewerkschaften ist diese zum Symbol ihres
Kampfes
um
den
sozialen
Fortschritt
geworden.
Dieses
Spannungsverhältnis von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen gilt es
durch das Recht der Entgeltfortzahlung in ein ausgeglichenes Verhältnis
zueinander zu bringen.
II. Historische Entwicklung des Rechts der Entgeltfortzahlung
Bis in das beginnende 19. Jahrhundert gab es keine Arbeitnehmer im
heutigen Sinne. Stattdessen wurde der Lebensunterhalt in der haus- und
Produktionsgemeinschaft erworben. Mit der von England einsetzenden
Industrialisierung, dem verstärkten Wachstum der Bevölkerung und der
Konzentration von Arbeit und Kapital in den Industrielandschaften der
Städte setzte jedoch ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel ein, der
zu einer Verarmung und Entwurzelung der Massen führte.
Fortan bestimmte die Fabrikarbeit das Leben vieler Menschen, und der
darauf resultierende Arbeitslohn stellte die alleinige Existenzgrundlage dar.
Der Lohnanspruch wurde nach den Grundsätzen des Vertragsrechts
2
gewährt: Der Arbeitnehmer hatte seine vertraglichen Pflichten in Person zu
erbringen, um seinen Arbeitslohn beanspruchen zu können. War er daran
gehindert, war seine Lage ungesichert, da die Gegenleistungspflicht nach
dem Äquivalenzprinzip, wonach die Leistung alleine um der gleichwertigen
Gegenleistung willen erfüllt wird, entfiel: Ohne Arbeit kein Lohn, was
polemisch in die Form gebracht wurde: „Wer nicht arbeitet soll auch nicht
essen, jedenfalls keinen Lohn erhalten.“1
Zwar bestand bereits im älteren deutschen Dienstrecht eine Fürsorgepflicht
des Dienstherrn in Kap. 78 § 1 der preußischen Bergordnung für Schlesien
vom 05.06.1769 im Krankheitsfall. Im Deutschen Reich wurde jedoch
erstmalig die Lohnfortzahlung bei Krankheit für Handlungsgehilfen im
Deutschen Handelsgesetzbuch von 1861 anerkannt und 1897 in § 63
Handelsgesetzbuch (HGB) übernommen; eine entsprechende Regelung
folgte 1891 für technische Angestellte in § 133c Gewerbeordnung (GewO).
Für alle Arbeitnehmer wurde sie schließlich 1896 in der dispositiven Norm
des § 616 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) eingeführt. Dies hatte zur Folge,
dass die Entgeltfortzahlungspflicht regelmäßig abbedungen und nur die
tatsächlich geleistete Arbeit bezahlt wurde, woraus sich die Abhängigkeit im
Krankheitsfall von den Leistungen der gesetzlichen Kranken-, Unfall-,
Alters- sowie Invaliditätsversicherung ergab. Erst infolge Notverordnung
vom 05.06.1931 wurde die Vorschrift zwingendes Recht, wobei der
Anspruch auf Angestellte beschränkt war.
Veranlasst durch die sozialpolitische Forderung nach arbeitsrechtlicher
Gleichbehandlung erkämpften sich die Arbeiter mit Hilfe des längsten
Streiks in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 2 1957 das
Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im
Krankheitsfalle (ArbKrankhG). Ersetzt wurde dieses – zur weiteren
Angleichung der überlebten Unterschiede zwischen Arbeitern und
Angestellten - 1970 durch das Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG).
Eine einheitliche Regelung für Arbeiter und Angestellte wurde aufgrund
europarechtlicher Vorgaben indes erst mit dem Entgeltfortzahlungsgesetz
(EFZG) 1994 verwirklicht.
Geändert wurde dieses bereits am 25. April 1996 in Ausführung eines
Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung der Bundesregierung
1
Keil, Beweisfragen zur Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, S. 40, unter Bezugnahme auf: BAG vom
17.07.1970, AP Nr.3 zu § 11 MuSchG 1968.
2
In einem sechzehnwöchigen Streik erwirkten 34.000 Arbeiter der Metallindustrie Schleswig-Holstein eine
tarifliche Regelung, die Modell für die Normierung stand.
3
(CDU/CSU/FDP-Koalition),
um
durch
Sparmaßnahmen
mehr
Wachstumsdynamik zu ermöglichen und zusätzliche Arbeitsplätze zu
schaffen 3:
So wurde eine Wartezeit in § 3 Abs. 3 EFZG eingeführt, wonach der
Anspruch erst nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des
Arbeitsverhältnisses
entstehen
soll.
Die
Höhe
des
Entgeltfortzahlungsanspruchs wurde auf 80 % des Arbeitsentgelts
reduziert. Lediglich bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten blieb der
volle Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 4 EFZG erhalten. Der neu
geschaffene § 4a EFZG eröffnete dem Arbeitnehmer die Option, einzelne
Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Erholungsurlaub anrechnen zu lassen,
um so für die verbleibenden Tage der Arbeitsunfähigkeit die Zahlung des
vollen Entgelts aufrechtzuerhalten. Dem Arbeitgeber wurde das Recht
zugebilligt, die ersten zwei Tage einer stationären Maßnahme der
medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation auf den Erholungsurlaub
anzurechnen, § 10 BUrlG a.F. Schließlich schaffte § 4b EFZG dem
Arbeitgeber die Möglichkeit, Sondervergütungen für Zeiten der
Arbeitsunfähigkeit zu kürzen.
In Teilen zurückgenommen wurden die Änderungen des EFZG am
19.12.1998. Die Entgeltfortzahlung wurde wieder auf 100 % des
Arbeitsentgelts erhöht, § 4 EFZG. Die Anrechnung von Erholungsurlaub
wurde zurückgenommen, § 4a EFZG, wie auch die Anrechnung im Falle
einer medizinischen Vorsorge oder Rehabilitationsmaßnahme, § 10 BUrlG.
Nach § 4 EFZG werden hinsichtlich der Bemessung des Entgeltfortzahlungsanspruchs Überstundenvergütungen nicht berücksichtigt.
Mit dem Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes haben die
Änderungen des Entgeltfortzahlungsrechts derzeit ihren Abschluss
gefunden. Zur Umsetzung der Richtlinie 2010/53/EU des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2010 über Qualitäts- und
Sicherheitsstandards für zur Transplantation bestimmte menschliche
Organe wurde das EFZG um § 3a erweitert, um eine bessere Absicherung
des Lebendspenders von Organen und Geweben zu erreichen.
Im öffentlichen Dienst regelten § 37 Bundesangestelltentarifvertrag/-Ost
(BAT/BAT-O)
bzw.
§
42
Manteltarifvertrag
(MTV)/§
34
3
BT-Drucks. 13/4612.
4
Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltung und
Betriebe (BMT-G) die Entgeltfortzahlungspflicht im Krankheitsfall. § 71 BAT
enthielt eine Übergangsregelung für die Zahlung von Krankenbezügen. Im
Rahmen der großen Tarifreform im öffentlichen Dienst vom 09. Februar
2005 haben die Tarifvertragsparteien die Ansprüche auf Entgelt im
Krankheitsfall im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) den
gesetzlichen Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes angenähert und
hierauf Bezug genommen, was im Folgenden näher dargestellt wird.
III. Der Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall nach dem
Entgeltfortzahlungsgesetz
1. Anwendungsbereich gem. § 1 EFZG
Nach § 1 EFZG regelt dieses Gesetz
„(…) die Zahlung des Arbeitsentgelts an gesetzlichen Feiertagen
und die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall an
Arbeitnehmer sowie die wirtschaftliche Sicherung der
Heimarbeit für gesetzliche Feiertage und im Krankheitsfall.
Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes sind Arbeiter und
Angestellte sowie die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten.“
Von der Regelung erfasst werden folglich ausschließlich Arbeitnehmer und
Auszubildende. Die Vorschrift kann nicht – auch nicht analog – auf Beamte
auf Lebenszeit, auf Zeit, auf Probe oder auf Widerruf angewandt werden. 4
Neben dem Beamtenstatus kann allerdings eine weitere (Neben-)Tätigkeit
im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden, die dann die
entsprechenden Regelungen des EFZG auszulösen vermag.
Kein Arbeitsverhältnis besteht zudem bei Entwicklungshelfern, Teilnehmern
eines
freiwilligen
sozialen
Jahres,
Freiwilligen
i.S.d.
4
BAG vom 28.03.2001, AP Nr.5 zu § 7 BetrVG 1972.
5
Bundesfreiwilligendienstgesetzes, Strafgefangenen, die in einem privaten
Betrieb arbeiten, im Gegensatz zu sog. Freigängern, die außerhalb der
Strafanstalt ein Arbeitsverhältnis eingehen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gem. § 260 SGB III sowie Behinderten in anerkannten
Werkstätten nach § 136 SGB IX.
Voraussetzung ist der Beginn des Arbeitsverhältnisses. Auf die Wirksamkeit
des Arbeitsvertrages kommt es insoweit nicht an. Auch ein nicht
rechtswirksamer Arbeitsvertrag vermag einen Entgeltfortzahlungsanspruch
aufgrund eines sog. faktischen Arbeitsverhältnisses auszulösen, so etwa
wenn der Vertrag gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB verstößt,
sittenwidrig i.S.d. § 138 BGB ist oder rückwirkend wirksam nach § 119 BGB
bzw. § 123 BGB angefochten wird. Für die Dauer des tatsächlichen
Vollzugs bestehen die wechselseitigen Rechte und Pflichten eines
wirksamen Arbeitsverhältnisses.
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung wird daher jedem in einem
Arbeitsverhältnis stehenden Beschäftigten gewährt. Gleichgültig ist dabei,
ob es sich um ein Vollzeitarbeitsverhältnis oder ein Teilzeitarbeitsverhältnis
handelt.
Unerheblich ist ebenso, ob das Arbeitsverhältnis befristet, unbefristet oder
auflösend bedingt abgeschlossen worden ist.
Wichtig: Häufig missachtet wird dabei, dass auch im Rahmen eines
umgangssprachlich als Minijob bzw. 450,-€ Job bezeichneten geringfügigen
Beschäftigungsverhältnisses i.S.d. § 8 SGB IV ein Anspruch auf
Entgeltfortzahlung besteht.
Anderes kann nur gelten bei unregelmäßig Beschäftigten, bei denen stets
für einzelne Tage ein jeweils neues Arbeitsverhältnis abgeschlossen wird.
Sie erwerben keinen Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn nicht von einem
einheitlichen Arbeitsvertrag wie bei einem Abrufarbeitsverhältnis gem. § 12
TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz) ausgegangen werden kann.
6
Hat der Beschäftigte zwei Arbeitsverhältnisse mit verschiedenen
Arbeitgebern (sog. Doppelarbeitsverhältnisse) abgeschlossen, entstehen
aus
beiden
Arbeitsverhältnissen
unabhängig
voneinander
Entgeltfortzahlungsansprüche. Dass gilt selbst dann, wenn der
Arbeitnehmer mit dem Abschluss des zweiten Arbeitsvertrages einen
Pflichtverstoß gegenüber dem ersten Arbeitgeber begangen hat, und er
gegen die Schutzvorschriften des Arbeitszeitgesetzes verstoßen sollte.
Nimmt ein Beschäftigter Altersteilzeit im Blockmodell in Anspruch, wird er
während der Freistellungsphase von der Arbeitspflicht befreit. Demzufolge
ist auch die Gewährung von Entgeltfortzahlung in dieser Zeit nicht möglich.
Der Tarifvertrag zur Regelung flexibler Arbeitszeiten für ältere
Beschäftigte (TVFlexAZ) regelt indes in § 7 Abs. 5 die Auswirkungen von
Arbeitsunfähigkeit auf den Umfang der Arbeitsphase: Sind Beschäftigte bei
Altersteilzeit im Blockmodell während der Arbeitsphase über den Zeitraum
der Entgeltfortzahlung hinaus arbeitsunfähig erkrankt, verlängert sich die
Arbeitsphase um die Hälfte des den Entgeltfortzahlungszeitraum
übersteigenden Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit. Die Dauer der
Freistellungsphase verkürzt sich entsprechend.
Die Beschäftigung zur beruflichen Wiedereingliederung i.S.d. § 74 SGB V
stellt ein Rechtsverhältnis eigener Art gem. § 305 BGB dar. Insoweit wird
kein Arbeitsverhältnis begründet. Maßgeblich ist nicht die Arbeitsleistung,
sondern die Rehabilitation5.
5
Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, § 1, Rn.22.
7
2. Der Krankheitsfall gem. § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz
§ 3 EFZG enthält folgende Regelung:
„Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge
Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn
ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung
im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der
Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.“
3. Der Krankheitsfall gem. § 22 TVöD
Demgegenüber ist § 22 Abs. 1 Satz 1 TVöD wie folgt gefasst:
„Werden Beschäftigte durch Arbeitsunfähigkeit infolge
Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert, ohne dass sie ein
Verschulden trifft, erhalten sie bis zur Dauer von sechs Wochen
das Entgelt nach § 21.“
Der tarifrechtliche Entheltfortzahlungsanspruch nach § 22 TVöD besteht
nur, soweit der Arbeitnehmer unter den Anwendungsbereich des TVöD
nach § 1 TVöD fällt. Entweder wirkt der TVöD auf Grund beidseitiger
Tarifbindung normativ. Oder die Anwendung des TVöD beruht auf der
Grundlage der arbeitsvertraglichen Verweisung, was der gängigen Praxis
im öffentlichen Dienst entspricht.
Fällt ein Beschäftigter nicht unter den Geltungsbereich des TVöD, weil er
als leitender Angestellter i.S.d. § 5 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetzes
(BetrVG) die Arbeitsbedingungen einzelvertraglich ausgehandelt hat oder
aber ein über das Tabellenentgelt der Entgeltgruppe 15 hinausgehendes
regelmäßiges Entgelt enthält, § 1 Abs. 2 TVöD, richtet sich der
8
Entgeltfortzahlungsanspruch ausschließlich nach dem EFZG und der
einzelvertraglichen Vereinbarung.
4. Der Krankheitsfall gem. § 12 TVAöD
Handelt es sich um einen zu seiner Berufsbildung Beschäftigten findet
hingegen der Tarifvertrag für Auszubildende des öffentlichen Dienstes
(TVAöD) Anwendung. Dieser normiert in § 12 einen eigenständigen
Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall, der inhaltlich hinter dem der
Tarifbeschäftigten zurückbleibt, indem gerade kein Krankengeldzuschuss –
mit Ausnahme von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten - gewährt wird.
Nach § 12 TVAöD-BT-BBiG
Krankheitsfall:
erhalten
Auszubildende
Entgelt
im
„(1) Werden Auszubildende durch Arbeitsunfähigkeit infolge
Krankheit ohne ihr Verschulden verhindert, ihre Verpflichtungen
aus dem Ausbildungsvertrag zu erfüllen, erhalten sie für die Zeit
der Arbeitsunfähigkeit für die Dauer von bis zu sechs Wochen
sowie nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen bei
Wiederholungserkrankungen das Ausbildungsentgelt (§ 8) in
entsprechender Anwendung der für die Beschäftigten des
Ausbildenden geltenden Regelungen fortgezahlt.
(2) Im Übrigen gilt das Entgeltfortzahlungsgesetz.
(3) Bei der jeweils ersten Arbeitsunfähigkeit, die durch einen bei
dem Ausbildenden erlittenen Arbeitsunfall oder durch eine bei
dem Ausbildenden zugezogene Berufskrankheit verursacht ist,
erhalten Auszubildende nach Ablauf des nach Absatz 1
maßgebenden Zeitraums bis zum Ende der 26. Woche seit dem
Beginn der Arbeitsunfähigkeit einen Krankengeldzuschuss in
Höhe
des
Unterschiedsbetrages
zwischen
dem
Bruttokrankengeld und dem sich nach Absatz 1 ergebenden
Nettoausbildungsentgelt,
wenn
der
zuständige
9
Unfallversicherungsträger
den
Berufskrankheit anerkennt.“
Arbeitsunfall
oder
die
5. Der Krankheitsfall nach der Praktikantenrichtlinie des Bundes
Handelt es sich schließlich um einen Praktikanten, so findet der TVöD
aufgrund § 1 Abs. 2 Buchst. h) TVöD ebenfalls keine Anwendung.
Stattdessen greift die Praktikantenrichtlinie des Bundes. Danach haben
Praktikanten, die ein freiwilliges Praktikum absolvieren, nach § 26 i.V.m. §
19 BBiG Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung im Krankheitsfall bis zur
Dauer von sechs Wochen, wenn sie aufgrund einer unverschuldeten
Krankheit, eines unverschuldeten Unfalls oder sonstiger notwendiger
medizinischer Maßnahmen das Praktikum nicht durchführen können. Als
unverschuldete Krankheit gilt auch eine rechtmäßig durchgeführte
Sterilisation oder ein rechtmäßig durchgeführter Schwangerschaftsabbruch.
Der Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung im Krankheitsfall entsteht
entsprechend § 3 Abs. 3 EGFZ erst nach vierwöchiger ununterbrochener
Dauer des Praktikumsverhältnisses, sog. Wartezeit.
Für die Anzeige- und Nachweispflichten gilt § 5 EGFZ entsprechend. Der
Praktikant ist verpflichtet, eine Erkrankung und deren voraussichtliche
Dauer der Dienststelle unverzüglich anzuzeigen. Dauert die Erkrankung
länger als drei Kalendertage, hat der Praktikant eine ärztliche
Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren
voraussichtliche Dauer spätestens am darauffolgenden Tag vorzulegen.
Die genannten Regelungen setzen allesamt Arbeitsunfähigkeit infolge
Krankheit voraus.
10
6. Krankheit
Der Begriff der Krankheit ist weder im EFZG noch im TVöD definiert. Auch
die Präambel der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation, wonach
„Gesundheit ein Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen
Wohlbefindens“ 6 darstellt, hilft nicht weiter. Denn bei diesem utopischen
Krankheitsbegriff wäre nahezu jedermann krank und Arbeitgeber und
Sozialversicherungsträger einer nicht zu bewältigenden Flut von
Ansprüchen auf Entgelt ausgesetzt, die das bestehende System zum
kollabieren führen würde.
Die arbeits- und sozialrechtliche Rechtsprechung haben indes den
Krankheitsbegriff dahingehend definiert, dass hierunter
„jeder regelwidrige Körper- oder Geisteszustand fällt, der einer
Heilbehandlung bedarf.“7
Unerheblich für den Begriff der Krankheit ist deren Ursache und Art.
Keine Rolle spielt es daher, ob die Krankheit auf einer genetischen
Veranlagung, einem Geburtsfehler, Unfall oder etwa einer Abhängigkeit,
wie Alkoholismus, Glücksspielsucht, Drogen- oder Nikotinabhängigkeit,
beruht, wie auch die Dauer der Beschwerden ohne Bedeutung ist.
Gegenwärtig noch nicht einheitlich beantwortet wird die Frage, ob
Internetabhängigkeit als eine psychiatrische Krankheit zu qualifizieren ist. 8
Kommt es zum Kontrollverlust, deutlichen Entzugserscheinungen sowie
gravierendem sozialem Rückzug, wird dies wohl zu bejahen sein, da sich
die Folgen ähnlich auswirken wie bei anderen Suchterkrankungen.
Im Einzelfall kann eine Abgrenzung der Krankheit zu bloß unbeachtlichen
Schönheitsfehlern schwierig sein. Zwar ist grundsätzlich allein auf
objektive medizinische Kriterien abzustellen, so dass ein allein subjektiv
empfundener Mangel, der durch eine Schönheitsoperation behoben werden
kann, noch keine Krankheit darstellt, so etwa bei einer krummen Nase, die
nicht zu Atemproblemen führt.
6
S.: BGBl. I, 1974, S. 45.
BAG vom 07.08.1991, NZA 1992, 69.
8
Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, § 3, Rn.18i.
77
11
Kommt dem subjektiven Empfinden demgegenüber ein eigener
Krankheitswert zu, weil zum Beispiel eine Frau unter der tatsächlich
krummen Nase leidet, kann im Einzelfall ein zwar nicht regelwidriger
Körper-, aber ein regelwidriger psychischer Zustand vorliegen.
Treten indes infolge von Schönheitsoperationen, Tätowierungen oder
Piercing Komplikationen auf, unterfallen diese zwar dem Krankheitsbegriff.
Gleichwohl kann ein Entgeltfortzahlungsanspruch versagt werden. So
enthält bereits § 52 Abs. 2 SGB V eine Leistungsbeschränkung der
gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber dem Versicherten, mit der
Folge, dass dieser an den Kosten der Leistungen in angemessener Höhe
beteiligt und Krankengeld ganz oder teilweise versagt wird.
Dieser Gedanke trifft denn auch den Entgeltfortzahlungsanspruch des
Beschäftigten und führt regelmäßig wegen Verschuldens zu einem
Anspruchsausschluss, da dem Arbeitgeber nur aufgebürdet werden kann,
das normale Krankheitsrisiko zu tragen.
Einer Schwangerschaft an sich kommt kein Krankheitswert zu, da es sich
nicht um einen regelwidrigen Zustand handelt.
Wie sich aus § 3 Abs. 2 EFZG ergibt, sind Sterilisation und
Schwangerschaftsabbruch keine Krankheit, dieser jedoch gleichzustellen:
„Als unverschuldete Arbeitsunfähigkeit im Sinne des Absatzes 1
gilt auch eine Arbeitsverhinderung, die infolge einer nicht
rechtswidrigen Sterilisation oder eines nicht rechtswidrigen
Abbruchs der Schwangerschaft eintritt. Dasselbe gilt für einen
Abbruch der Schwangerschaft, wenn die Schwangerschaft
innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch einen
Arzt abgebrochen wird, die schwangere Frau den Abbruch
verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nachgewiesen
hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff von
einer anerkannten Beratungsstelle hat beraten lassen.“
12
Um keine Krankheit handelt es sich indes bei dem normalen
altersbedingten Nachlassen der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers.
Es handelt sich vielmehr um einen natürlichen Entwicklungsprozess, der
nicht zur Arbeitsunfähigkeit führt, soweit nicht das Maß des Üblichen
deutlich überschritten wird.
Ein regelwidriger Krankheitszustand entsteht hingegen durch oder in Folge
einer Organspende.
Aufgrund
gegenwärtiger
wissenschaftlicher
Auffassung
soll
9
Das
Transsexualität eine nicht heilbare Krankheit darstellen.
Bundessozialgericht (BSG) fordert indes darüber hinaus, um einen
pathologischen Zustand anzuerkennen, einen nicht unerheblichen
Leidensdruck. 10
7. Arbeitsunfähigkeit
Vielfach von den Ärzten ignoriert, jedoch vom EFZG sowie § 22 Abs. 1 Satz
1 TVöD vorgeschrieben, setzt der Entgeltfortzahlungsanspruch als zweite
materielle Voraussetzung neben der Krankheit die der Arbeitsunfähigkeit
voraus.
Krankheit und Arbeitsunfähigkeit bilden somit zwei korrelierende Begriffe;
der Arbeitnehmer muss nicht nur krank, sondern arbeitsunfähig krank sein.
Nicht jede Krankheit macht daher arbeitsunfähig. Vielmehr ist stets auf die
unterschiedlichen Tätigkeitsfelder des jeweiligen Beschäftigten abzustellen,
so dass die zur Arbeitsunfähigkeit führende Krankheit eines Arbeitnehmers
bei einem anderen Arbeitnehmer nicht gleichfalls zwingend dessen
Arbeitsunfähigkeit verursacht.
Arbeitsunfähig krank ist daher nur, wer infolge einer Krankheit seiner
vertraglichen Arbeitspflicht nicht mehr, und sei es, weil ihm dies nicht
9
Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, § 3, Rn.18g.
BSG, NJW 1988, 1550.
10
13
zumutbar ist – so auch um eine Verschlimmerung seines
Gesundheitszustandes auszuschließen - nachzukommen vermag.11
Beispiel 1:
Hat sich ein Dachdecker eine Zerrung des Fußgelenks zugezogen, wird
ihm regelmäßig die nicht ungefährliche Arbeit auf dem Dach aufgrund der
Schmerzen nicht möglich oder unzumutbar sein. Hat eine Schreibkraft
dieselbe Verletzung, so kann sie im Regelfall ihre Arbeit am Schreibtisch
noch vollständig ausüben.
Arbeitsunfähigkeit liegt auch vor, wenn der Beschäftigte seine
Arbeitsleistung infolge eines Defekts seiner technischen Hilfsmittel nicht
erbringen kann, so etwa bei einer Armprothese, einer Seh- oder Hörhilfe.
Das LAG Düsseldorf 12 hatte der Frage nachzugehen, ob bei einem
Zahnvollprothesenträger Arbeitsunfähigkeit für den Zeitraum vorliege, in
welchem die Prothesen zur Reparatur in der Zahnarztpraxis verbleiben
müssten. Das Gericht bejahte diese. Lediglich bei keinen Sozialkontakten
am Arbeitsplatz könne die Arbeitsunfähigkeit verneint werden.
Ein weiterer von der Rechtsprechung anerkannter Fall der
Arbeitsunfähigkeit besteht bei einem Beschäftigungsverbot, dessen
Voraussetzungen bei unter das Infektionsschutzgesetz (IfSG) fallenden
Erkrankungen vorliegen.13
Fällt ein Arbeitnehmer unter den Geltungsbereich des IfSG, kann dies ein
berufliches Tätigkeitsverbot zur Folge haben, so wenn er als Ausscheider,
Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger
von Krankheitserregern in Betracht kommt.
Insoweit steht dem Arbeitnehmer, der seiner Arbeit nicht nachkommt, ein
Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG zu. Nach Absatz 2 bemisst sich
dieser über einen Zeitraum von sechs Wochen nach der Höhe des
11
Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 98 II.4.
vom 10.01.1977, 10 Sa 162/76, BB 1977, S. 1652.
13
BAG vom 26.04.1978, AP Nr.6 zu § 6 LFZG, zu Altregelung in § 17 BSeuchG.
12
14
Verdienstausfalls. Vom Beginn der siebten Woche an wird die
Entschädigung in Höhe des Krankengeldes nach § 47 Abs. 1 SGB V
gewährt, begrenzt durch die Jahresarbeitsentgeltgrenze.
Ausgezahlt wird der auf sechs Wochen begrenzte Verdienstausfall vom
Arbeitgeber, der seinerseits einen Erstattungsanspruch gegenüber der
zuständigen Behörde hat. Hierzu hat der Arbeitgeber innerhalb einer Frist
von drei Monaten einen Antrag zu stellen, Abs. 5.
Wird der Arbeitnehmer zudem arbeitsunfähig, so bleibt der
Entschädigungsanspruch nach Abs. 7 bestehen. Ansprüche, die
Berechtigten auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften oder eines
privaten Versicherungsverhältnisses zustehen, gehen insoweit auf das
entschädigungspflichtige Land über.
Ebenfalls auf die Entschädigung anzurechnen sind etwaige Zuschüsse des
Arbeitgebers oder Einkommen aus einer Ersatztätigkeit, soweit ansonsten
der tatsächliche Verdienstausfall überschritten würde, Abs. 8.
Arbeitsunfähigkeit wird zudem bejaht, wenn der Beschäftigte unter einer
ansteckenden Krankheit leidet, die diesen zwar nicht an der Erbringung
seiner Arbeitspflicht hindert, es ihm jedoch objektiv unzumutbar macht,
seinen Arbeitsplatz aufzusuchen, weil er dort Kollegen anstecken könnte.
Es muss folglich nicht zu einem Beschäftigungsverbot – etwa nach IfSG
aufgrund einer Salmonelleninfektion gekommen sein. 14
Wird eine Krankheit in einem Krankenhaus stationär behandelt, liegt
Arbeitsunfähigkeit selbst dann vor, wenn der Beschäftigte an sich an seiner
Arbeitsleistung
nicht
gehindert
wäre.
Insoweit ist
auf
den
Kausalzusammenhang zwischen Krankheit und zur Arbeitsunfähigkeit
führender Behandlung abzustellen.
So ist auch eine Beschäftigte arbeitsunfähig, die sich zur Beseitigung einer
Unfruchtbarkeit einem medizinischen Eingriff unterzieht und deshalb
arbeitsabwesend ist. 15
14
15
Bepler/Böhle/Meerkamp/Stöhr, TVöD, § 22 Rn.4
Erfurter Kommentar/Dörner, EFZG § 3, Rn.21
15
Darauf hinzuweisen ist, dass ambulante Arztbesuche per se nicht zur
Arbeitsunfähigkeit führen. 16 Vielmehr ist anhand des Einzelfalles zu
entscheiden, welche Art der medizinischen Behandlung erfolgt. Handelt es
sich um eine reine Vorsorgeuntersuchung, besteht keine Arbeitsunfähigkeit.
Bedarf es hingegen der Behandlung eines Grundleidens, kann diese sehr
wohl gegeben sein. Allerdings ist auch hier auf die causa abzustellen und
auf den Zeitpunkt der Behandlungsbedürftigkeit. Ist dem Beschäftigten ein
Abwarten zumutbar, hat der Beschäftigte den Behandlungstermin
außerhalb der Arbeitszeit zu wählen. Kann er auf die Termingestaltung
Einfluss nehmen, ist die Arbeitsunfähigkeit auch dann zu verneinen. 17
So kann zum Beispiel bei einem aus einem Backenzahn herausgefallenen
Inlay dem Beschäftigten grundsätzlich zugemutet werden, die zahnärztliche
Behandlung außerhalb der Arbeitszeit durchführen zu lassen, wohingegen
von einem Beschäftigten, der einen Metallsplitter im Auge hat, aufgrund der
erheblich gravierenderen gesundheitlichen Beeinträchtigung eine
schnellstmögliche Behandlung wahrgenommen werden darf. 18
Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass insoweit nach § 29 Abs. 1 f) TVöD
ein Anspruch auf Arbeitsbefreiung aufgrund ärztlicher Behandlung
einschließlich der erforderlichen Wegezeiten während der Arbeitszeit
bestehen kann. Dieser Freistellungsanspruch besteht allerdings nur dann,
wenn die ärztliche Behandlung während der Arbeitszeit erfolgen muss.
Davon soll dabei auszugehen sein, wenn der Arzt den Beschäftigten
während der Kernarbeitszeit zur Untersuchung oder Behandlung in seine
Praxis bestellt und der Beschäftigte auf die Termingestaltung keinen
Einfluss nehmen kann. 19 Grundsätzlich hat jedoch eine Behandlung
außerhalb der Arbeitszeit, bei Gleitzeit folglich außerhalb der Kernzeit, zu
erfolgen. Eine Zeitgutschrift kann der Beschäftigte insoweit nicht verlangen.
Das Erfordernis der ärztlichen Behandlung während der Arbeitszeit ist
durch entsprechende ärztliche Bescheinigung zu belegen. Diese enthält
regelmäßig auch die Dauer der Abwesenheitszeit.
16
ArbG Halle vom 09.07.2009, 1 Ca 1024/08.
Feichtinger/Malkmus, Entgeltfortzahlungsrecht, § 3 Rn.51.
18
Jansen, Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, S. 66 f.
19
BAG vom 29.2.1984, 5 AZR 92/82 - AP TVG § 1 Tarifverträge – Metallindustrie.
17
16
Eine
dauerhafte
Krankheit
mit
Erwerbsunfähigkeit
steht
20
Arbeitsunfähigkeit nach der Auffassung des BAG nicht entgegen.
der
Kann der Beschäftigte zwar seine Arbeit erbringen, kann er jedoch den
Arbeitsweg nicht zurücklegen, so trifft den Beschäftigten, nicht jedoch den
Arbeitgeber das sog. Wegerisiko.21
8. Arbeitsunfähigkeit infolge Organspende
Der mit Wirkung vom 01.08.2012 neu eingefügte § 3a EFZG regelt den
Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Spende von Organen oder Geweben:
„Ist ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge der
Spende von Organen oder Geweben, die nach den §§ 8 und 8a
des Transplantationsgesetzes erfolgt, an seiner Arbeitsleistung
verhindert, hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den
Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von
sechs Wochen. § 3 Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.
Dem Arbeitgeber sind von der gesetzlichen Krankenkasse des
Empfängers von Organen oder Geweben das an den
Arbeitnehmer nach Absatz 1 fortgezahlte Arbeitsentgelt sowie
die hierauf entfallenden vom Arbeitgeber zu tragenden Beiträge
zur Sozialversicherung und zur betrieblichen Alters- und
Hinterbliebenenversorgung auf Antrag zu erstatten. Ist der
Empfänger von Organen oder Geweben gemäß § 193 Absatz 3
Versicherungsvertragsgesetz bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert, erstattet dieses dem
Arbeitgeber auf Antrag die Kosten nach Satz 1 in Höhe des
tariflichen Erstattungssatzes. Ist der Empfänger von Organen
oder Geweben bei einem Beihilfeträger des Bundes
beihilfeberechtigt oder berücksichtigungsfähiger Angehöriger,
erstattet der zuständige Beihilfeträger dem Arbeitgeber auf
20
21
vom 29.09.2004, 5 AZR 558/03, NZA 2005, S. 226.
So bereits: BAG vom 07.08.1970, AP Nr.4 zu § 11 MuSchG 1968.
17
Antrag die Kosten nach Satz 1 zum jeweiligen Bemessungssatz
des Empfängers von Organen oder Geweben; dies gilt
entsprechend für sonstige öffentlich-rechtliche Träger von
Kosten in Krankheitsfällen auf Bundesebene. Unterliegt der
Empfänger von Organen oder Geweben der Heilfürsorge im
Bereich des Bundes oder der truppenärztlichen Versorgung,
erstatten die zuständigen Träger auf Antrag die Kosten nach
Satz 1. Mehrere Erstattungspflichtige haben die Kosten nach
Satz 1 anteilig zu tragen. Der Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber
unverzüglich die zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs erforderlichen Angaben zu machen.“
§ 3a EFZG gewährt damit dem Arbeitnehmer einen Entgeltfortzahlungsanspruch, soweit er Organ- bzw. Gewebespender ist.
Dem Arbeitgeber steht hingegen ein Erstattungsanspruch gegenüber der
gesetzlichen bzw. privaten Krankenversicherung zu. Ist der Spender zudem
beihilfeberechtigt, verteilt sich entsprechend der Höhe des Beihilfesatzes
der Anspruch anteilig gegenüber der Krankenversicherung sowie der
Beihilfestelle.
Überschreitet die Arbeitsunfähigkeit den Fortzahlungszeitraum, ist der
darüber hinausgehende Verdienstausfall des Spenders von der
Krankenkasse des Empfängers bzw. dessen Berufsgenossenschaft zu
tragen.
9. Teilarbeitsunfähigkeit
Kann der Arbeitnehmer die vertraglich geschuldete Tätigkeit nur teilweise
verrichten, entweder hinsichtlich des Ausmaßes der Arbeitsleistung oder
der Arbeitszeit bzw. der Art der Arbeit, spricht man von
Teilarbeitsunfähigkeit oder Restarbeitsfähigkeit.
Die Rechtsprechung erkennt, da das EFZG und ihm folgend die tarifliche
Regelung die Terminologie der Teilarbeitsunfähigkeit nicht enthält, die
Teilarbeitsunfähigkeit als Variante nicht an. Entsprechend dem „Alles-oder18
nichts-Prinzip“ wird die Teilarbeitsfähigkeit vielmehr der Arbeitsunfähigkeit
im Ganzen gleichgestellt. Arbeitsrechtlich soll kein Unterschied bestehen,
ob der Arbeitnehmer durch die Krankheit ganz oder teilweise arbeitsunfähig
werde. 22
Sowohl
die
tätigkeitsbezogene
als
auch
Teilarbeitsfähigkeit sollen hiervon umfasst werden. 23
die
zeitbezogene
Beispiel 2 einer tätigkeitbezogenen Teilarbeitsfähigkeit:
Eine Sekretärin, welche den linken Finger der linken Hand gebrochen hat
und deshalb die von ihr verlangte Schreibtätigkeit nicht mehr bewältigen
kann, immer noch während ihrer gesamten Arbeitszeit organisatorische
Aufgaben, Auskünfte und Ablagen etc. verrichten.
Beispiel 3 einer zeitbezogenen Teilarbeitsfähigkeit:
Ein Gärtner kann nach erfolgter Behandlung eines Bandscheibenleidens
seine Arbeit nur vier statt acht Stunden verrichten.
Es ist jedoch kritisch zu hinterfragen, ob diese Auffassung aufrechterhalten
werden kann. Bereits dogmatische Gründe sprechen für eine Anerkennung
der Teilarbeitsfähigkeit: Im Schuldrecht ist die teilweise Unmöglichkeit der
Leistungspflicht allgemein anerkannt, so dass dieser Grundsatz auf die
Teilarbeitsfähigkeit angewandt werden müsste. Allenfalls wenn dem
Arbeitnehmer die Leistung der verbliebenen Arbeitsfähigkeit insgesamt
nicht mehr zumutbar ist, sollte die Arbeitspflicht in Gänze entfallen.
22
BAG vom 29.01.1992, AP Nr.1 zu § 74 SGB V.
Hiervon zu unterscheiden ist die auch als „Hamburger Modell“ bezeichnete Maßnahme der stufenweisen
Wiedereingliederung nach § 74 SGB V, innerhalb derer der Arbeitnehmer weiterhin als arbeitsunfähig gilt,
jedoch zur Wiedereingliederung in den Arbeitsablauf seine Arbeit teilweise wieder aufnimmt.
Hierbei handelt es sich indes um eine für den Arbeitnehmer freiwillige Maßnahme.
23
19
10. Stufenweise Wiedereingliederung
Ist der Arbeitnehmer nicht voll arbeitsfähig, kann er jedoch sukzessive
wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert werden, kann eine
Wiedereingliederung sinnvoll sein. Der Arbeitnehmer hat allerdings keinen
Rechtsanspruch hierauf, wie auch der Arbeitgeber den Arbeitnehmer hierzu
nicht gegen dessen Willen anweisen kann.
Aus Fürsorgegesichtspunkten wird dem Wunsch des Arbeitnehmers nach
Wiedereingliederung in der Praxis regelmäßig entsprochen und der
Therapieplan umgesetzt werden.
Nimmt der Beschäftigte eine stufenweise Wiedereingliederung i.S.d. § 74
SGB V wahr - auch als Hamburger Modell bezeichnet - steht dem
Beschäftigten kein Vergütungsanspruch zu, da er weiterhin arbeitsunfähig
erkrankt ist. Denn bei der erbrachten Leistung handelt es sich um eine
Maßnahme der Rehabilitation, die darauf gerichtet ist, die Arbeitsfähigkeit
wiederherzustellen.
Der Arbeitnehmer erhält während der Wiedereingliederungsmaßnahme:
Krankengeld von der gesetzlichen Krankenversicherung u.U. ergänzt um
Krankengeldzuschuss durch den Arbeitgeber, § 44 SGB V, § 22 Abs. 2
TVöD;
Übergangsgeld von der gesetzlichen Rentenversicherung, § 45 Abs. 1 Nr. 1
und 3 SGB IX oder
Arbeitslosengeld, § 146 SGB III
Erhält der Arbeitnehmer kein Krankengeld mehr, weil der Bezugszeitraum
von 78 Wochen abgelaufen ist, hat dieser sodann einen Anspruch auf
Arbeitslosengeld. Dessen Bezug ist nach 137 Abs. 1 Nr. 1 SGB III i.V.m. §
138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III auch ohne Beendigung des Arbeitsverhältnisses
möglich, weil danach arbeitslos ist, wer „nicht in einem
Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit)“. Beschäftigungslosigkeit ist hierbei leistungsrechtlich zu verstehen und nicht in Bezug auf
das Arbeitsverhältnis.
Die arbeitsvertraglichen Pflichten ruhen währenddessen. Es entsteht ein
Rechtsverhältnis eigener Art, bei dem die Rehabilitation und nicht die
Arbeitsleistung im Vordergrund steht.
20
Während der Wiedereingliederung kann daher auch kein Urlaub gewährt
werden. 24 Gleichwohl hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, nach
Absprache mit dem behandelnden Arzt, die Wiedereingliederung zu
unterbrechen und quasi „Urlaub“ zu nehmen. Dabei handelt es sich
allerdings nicht um Urlaub i.S.d. Bundesurlaubsgesetzes bzw. § 26 TVöD.
Handelt es sich um einen schwerbehinderten oder gleichgestellten
Arbeitnehmer, kann dieser Personenkreis aus § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr.1 SGB
IX einen Anspruch auf stufenweise Wiedereingliederung ableiten, soweit
eine ärztliche Bescheinigung dies und eine Prognose hierzu entsprechend
ausweist. 25 Die entsprechende Bescheinigung muss die Art und Weise der
empfohlenen Beschäftigung, die Beschäftigungsbeschränkungen, den
Umfang der Arbeitszeit sowie Beginn und Dauer der Maßnahme enthalten.
11. Kausalität
Die Arbeitsunfähigkeit, die den Arbeitnehmer hindert, seine Arbeit zu
verrichten, muss nach § 3 Abs. 1 Satz1 EFZG sowie nach § 22 Abs. 1 Satz
1 TVöD „infolge“ Krankheit eingetreten sein. Zwischen Krankheit - als
Ursache – und Arbeitsunfähigkeit - als Folge – muss ein Kausalzusammenhang bestehen. 26 Dieser ist unterbrochen, soweit die Krankheit nicht die
wesentliche Ursache der Arbeitsverhinderung ist bzw. der Arbeitnehmer
auch im Falle der Arbeitsunfähigkeit keinen Anspruch auf Arbeitsentgelt
hätte geltend machen können, so etwa im Falle eines Streiks oder einer
Aussperrung, wo die Krankheit keine Ursache für die Arbeitsunfähigkeit
setzt, da die Arbeitspflicht bereits entfallen ist, so dass sie nicht nochmals
krankheitsbedingt entfallen kann. Entfällt der weitere Grund – etwa der
Streik bzw. die Aussperrung -, der der Arbeitsfähigkeit entgegensteht,
besteht ab diesem Zeitpunkt der ausschließlichen krankheitsbedingten
Arbeitsunfähigkeit ein Entgeltfortzahlungsanspruch.
Erkrankt der Beschäftigte während des Streiks, hat er keinen Anspruch auf
Entgeltfortzahlung
wegen
der
streikbedingt
suspendierten
Hauptleistungspflichten.
24
BAG, NZA 1995, 123
BAG vom 13.06.2006 – 9 AZR 229/05
26
Jansen, Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, S. 102.
25
21
Erkrankt der Beschäftigte jedoch vor Streikbeginn, verliert er nicht den
Anspruch auf Entgeltfortzahlung (dies führt denn auch regelmäßig dazu,
dass vor Beginn einer Arbeitskampfmaßnahme gerade bei nicht
gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten, die kein Geld aus der
Streikkasse erhalten, der Krankenstand drastisch ansteigt), soweit er sich
nicht an dem Arbeitskampf beteiligt oder beteiligt hätte, wofür den
Arbeitgeber die Beweislast trifft.
Darauf aufbauend hat das BAG 27 entschieden, dass der Beschäftigte
seinen Urlaubsanspruch behält, der während eines vor Streikbeginn
gewährten Urlaubs arbeitsunfähig erkrankt. Der Nachgewährungsanspruch
des § 9 BUrlG besteht daher, wenn der Beschäftigte seinen Urlaub
angetreten hat, dann in dem Betrieb ein rechtmäßiger Streik geführt wurde
und der Beschäftigte sodann arbeitsunfähig erkrankt. Solange der
Beschäftigte sich nicht am Streik beteiligt, behält er seinen
Entgeltfortzahlungsanspruch nach dem EFZG. Dadurch kann der
Nachgewährungsanspruch nach § 9 BUrlG greifen.
Nimmt der Beschäftigte Sonderurlaub nach § 28 TVöD und erkrankt er
arbeitsunfähig während dieses Zeitraums, steht ihm kein Anspruch auf
Entgeltfortzahlung zu.
Eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG soll jedoch geboten sein, wenn
sich unbezahlter Urlaub an einen bezahlten Urlaub anschließt und beide
unverkennbar dem Erholungszweck dienen, so etwa wenn der
Sonderurlaub dazu dient, den Zeitverlust des Beschäftigten wegen langer
Hin-und Rückreise zum und vom Heimatort auszugleichen.28
Erstreckt sich die Krankheit über den Zeitraum des Sonderurlaubs hinaus,
so erhält der Beschäftigte nach Ablauf des Sonderurlaubs
Entgeltfortzahlung. Die sechswöchige Frist beginnt insoweit nicht mit der
Erkrankung, sondern mit Einsetzen des Entgeltfortzahlungsanspruchs zu
laufen.29
27
vom 01.10.1991, 1 AZR 147/91, AP Nr. 121 zu Art. 9 GG Arbeitskampf
Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, § 3, Rn.60, was insbesondere bei
ausländischen Arbeitnehmern von Bedeutung sein kann.
29
Bepler/Böhle/Meerkamp/Stöhr, TVöD, § 22, Rn.10, unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BAG
und der gegenteiligen Auffassung von ErfK/Dörner, EFZG, § 3, Rn.31
28
22
Wird ein Arbeitnehmer von seiner Arbeitspflicht freigestellt, um einem
Anspruch auf Arbeitszeitausgleich nachzukommen, entfällt die Arbeitspflicht
des
Beschäftigten.
Der
Arbeitnehmer
kann
über
diesen
Freistellungsfreiraum frei verfügen, ohne dass die Pflicht des Arbeitgebers
zur Zahlung der entsprechenden Verfügung entfällt. Eine nachträglich
eintretende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im Freistellungszeitraum
macht die Erfüllung des Ausgleichsanspruchs nicht hinfällig. Demnach soll
der Arbeitnehmer das Risiko tragen, die durch Arbeitsbefreiung als
Arbeitszeitausgleich gewonnene Freizeit auch tatsächlich nach seinen
Vorstellungen nutzen zu können. Der Arbeitgeber ist nicht zur
Nachgewährung der durch Arbeitsunfähigkeit verlorenen Überstunden
verpflichtet30.
Erbringt
der
Beschäftigte
seine
Arbeit
im
Altersteilzeitmodells ist wie folgt zu differenzieren:
Rahmen
eines
Arbeitet der Beschäftigte im Teilzeitmodell durchgängig, so erhält er einen
Entgeltfortzahlungsanspruch, sofern er arbeitsunfähig erkrankt.
Arbeitet der Beschäftigte hingegen im sog. Blockmodell, ist zwischen der
Arbeitsphase und der Freistellungsphase zu unterscheiden. In der
Arbeitsphase kann ein Entgeltfortzahlungsanspruch entstehen, in der
Freistellungsphase hingegen nicht. Denn bei letzterer wird der Beschäftigte
bereits von der Arbeitspflicht entbunden, so dass die Krankheit keine
alleinige Ursache für den Arbeitsausfall mehr bilden kann.
Nutzt der Beschäftigte die Möglichkeit Bildungsurlaub in Anspruch zu
nehmen und erkrankt er arbeitsunfähig in diesem Zeitraum, ist die Phase
der Krankheit nicht auf den Bildungsurlaub anzurechnen. Es entsteht ein
Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
Während der Elternzeit, in der der Beschäftigte auch keiner Teilzeittätigkeit
nachkommt, ruht das Arbeitsverhältnis mit der Folge, dass kein
Entgeltfortzahlungsanspruch entstehen kann.
30
LAG Rheinland-Pfalz vom 19.11.2015, 5 Sa 342/15.
23
Ist der Beschäftigte an einem Feiertag arbeitsunfähig erkrankt, greift § 2
EFZG ein, mit der Folge, dass das Arbeitsentgelt in Höhe der
Feiertagsbezahlung fortzuzahlen ist.
Gerät der Arbeitgeber in Annahmeverzug, steht dem Beschäftigten
Annahmeverzugslohn, im Krankheitsfall Entgeltfortzahlung zu.
Wird einem Beschäftigten gekündigt, der sodann arbeitsunfähig erkrankt
und sich mittels Kündigungsschutzklage hiergegen wendet, steht diesem
ein Entgeltfortzahlungsanspruch zu. Einer weitergehenden Anzeige der
Leistungsbereitschaft bedarf es sodann nicht mehr.
Will der Beschäftigte nicht arbeiten und erklärt er dies auch dem
Arbeitgeber, so schließt die fehlende Arbeitswilligkeit einen Anspruch
nach § 3 EFZG aus.
Besteht für eine schwangere Beschäftigte ein Beschäftigungsverbot, so
erhält diese Mutterschaftsgeld nach §§ 13 MuSchG; 200 RVO und
Arbeitsgeberzuschuss nach § 14 MuSchG. Ein Entgeltfortzahlungsanspruch entfällt. Die Abgrenzung, ob eine krankheitsbedingte
Arbeitsunfähigkeit besteht oder ob eine aktuelle Arbeitsunfähigkeit das
Leben oder die Gesundheit von Mutter und Kind bei Fortdauer der
Beschäftigung gefährdet, hat der behandelnde Arzt zu treffen. 31 Je
nachdem, ob eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt oder nicht, hat die
Schwangere entweder einen auf sechs Wochen beschränkten Anspruch
auf Entgeltfortzahlung oder einen Anspruch nach § 11 Abs. 1, Satz 1
MuSchG, der sich auf den gesamten Zeitraum des Beschäftigungsverbotes
erstreckt. Auswirkungen hat diese Unterscheidung zudem für den Fall, dass
die Schwangere für den fraglichen Zeitraum Urlaub genehmigt erhalten hat.
Denn § 9 BUrlG, der der Anrechnung des Urlaubsanspruchs bei Krankheit
entgegensteht, gilt nicht - auch nicht analog – für Beschäftigungsverbote.
Macht die Beschäftigte von ihrem Recht Gebrauch, vor der Entbindung auf
den Mutterschutz zu verzichten und erkrankt sodann, besteht hingegen ein
Entgeltfortzahlungsanspruch.
31
BAG vom 09.10.2002, 5 AZR 443/01
24
Liegt ein berufliches Tätigkeitsverbot vor, besteht nach § 56 IfSG ein
Entschädigungsanspruch
des
Beschäftigten.
Tritt
neben
das
Tätigkeitsverbot eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit hinzu, bleibt der
Entschädigungsanspruch aufgrund § 56 Abs. 7 IfSG bestehen. Der
Entgeltfortzahlungsanspruch ist insoweit nicht einschlägig, da die
krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht die wesentliche Ursache der
Arbeitsverhinderung ist.
Kein Entgeltfortzahlungsanspruch besteht schließlich, wenn aufgrund der
Witterungsverhältnisse der Beschäftigte ohnehin nicht hätte arbeiten
können. 32
12. Verschulden
Nach § 3 Abs. I Satz 1 EFZG sowie § 22 Abs. 1 Satz 1 TVöD steht dem
Arbeitnehmer der Entgeltfortzahlungsanspruch nur zu, soweit ihn an der auf
krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit beruhenden Arbeitsverhinderung
kein Verschulden trifft.
Der Verschuldensbegriff ist jedoch nicht nach § 276 BGB zu ermitteln,
wonach bereits jede Fahrlässigkeit als schuldhaft anzusehen ist. Vielmehr
wird der Entgeltfortzahlungsanspruch nur dann ausgeschlossen, wenn von
einem gröblichen Verschulden gegen sich selbst ausgegangen werden
kann. 33 Mithin bedarf es für die Annahme des Selbstverschuldens eines
zumindest unverständlichen, besonders leichtfertigen, mutwilligen oder gar
gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens, dessen Folgen auf den
abzuwälzen unbillig wäre.
32
33
BAG vom 30.08.1973, 5 AZR 202/73
Jansen, Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, S. 108 f.
25
Die Protokollerklärung zu § 22 Absatz 1 Satz 1 erläutert den
Verschuldensbegriff indes wie folgt:
„Ein Verschulden liegt nur dann vor, wenn die Arbeitsunfähigkeit
vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt wurde.“
Die Rechtsprechung geht bei Arbeitsunfällen davon aus, dass diese auf
einen groben Verstoß gegen dem Beschäftigten bekannte Schutz- und
Unfallverhütungsvorschriften bzw. privaten Sicherheitsanweisungen
zurückzuführen sein müssen, um das Verschulden zu bejahen.
So etwa, wenn Sicherheitskleidung, wie Sicherheitshandschuhe,
Schutzbrille, Schutzhelm, Knieschutz oder Sicherheitsschuhe nicht genutzt
werden und deshalb ein Arbeitsunfall eintritt.
Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz begründen ein Verschulden, soweit
dieses auf den Beschäftigten und nicht den Arbeitgeber zurückzuführen ist,
so im Falle einer jungen Assistenzärztin, die den Arbeitgeber mehrfach
darauf hingewiesen hat, dass die Überschreitung der Arbeitszeiten zu einer
gesundheitlichen
Überbelastung
ihrerseits
führten.
Übernächtigt
verunglückte die Ärztin auf der Heimfahrt vom Dienst aus schwer.
Gesundheitsschädigendes Verhalten kann ebenfalls ein Verschulden
des Beschäftigten begründen. Während der Krankheit hat sich der
Beschäftigte so zu verhalten, dass er wieder gesund wird. Insbesondere hat
er alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögert, wie z.B. die
Ausübung einer an sich zulässigen Nebentätigkeit. So hat das LAG
Nürnberg 34 gesundheitsschädigendes Verhalten und in der Folge einen
Kündigungsgrund darin gesehen, dass ein im Bauhof mit gleichen
Tätigkeiten betrauter Arbeitnehmer während seiner Arbeitsunfähigkeit
umfangreiche Garten- und Baumfällarbeiten verrichtet hat. Auch der
Hinweis des Arbeitnehmers, seine Arbeitsunfähigkeit sei auf Mobbing
seiner Kollegen zurückzuführen gewesen, vermochte die Auffassung des
Gerichts nicht zu entkräften.
34
vom 07.09.2004, 6 Sa 116/04
26
Als gesundheitswidrig wurde auch das Rauchen eines schwer herzkranken
Arbeitnehmers angesehen, der insoweit gegen den ausdrücklichen
ärztlichen Rat handelte. 35
Probleme ergeben sich insoweit in der Praxis regelmäßig bei dem
Nachweis der Kausalität.
Bei auf übermäßigem Alkoholkonsum oder aktiver Teilnahme an einer
Schlägerei verursachter Arbeitsunfähigkeit liegt das Verschulden
regelmäßig vor.
Liegt eine Suchterkrankung (Alkoholismus, Drogenabhängigkeit) vor, kann
dem Beschäftigten nicht pauschal Verschulden vorgeworfen werden, da die
Ursachen
(Milieuschädigung,
erbliche
Belastung,
frühkindliche
Fehlentwicklung oder eben Eigenverschulden) regelmäßig multikausal sind
und sich gegenseitig bedingen 36 . Maßgeblicher Zeitpunkt für die
Verschuldensfeststellung
ist
der
unmittelbar
vor
Eintritt
der
Arbeitsunfähigkeit, dem des Kontrollverlustes oder der Unfähigkeit zur
Abstinenz. Auch im Falle eines Rückfalls in die Sucht, bedarf es einer
Einzelfallfeststellung, ob dieser verschuldet ist. So hat denn auch das
BAG 37 jüngst entschieden, dass es bei einem alkoholabhängigen
Arbeitnehmer suchtbedingt auch im Falle eines Rückfalls nach einer
Therapie regelmäßig an einem solchen Verschulden fehlt. Der
Arbeitnehmer war zuletzt mit einer Alkoholvergiftung (4,9 Promille) in ein
Krankenhaus eingeliefert worden und in der Folge für über zehn Monate
arbeitsunfähig erkrankt. Zuvor hatte er zwei stationäre Entzugstherapien
durchgeführt. Im Hinblick auf eine Abstinenzrate von 40 bis 50 % könne
nach einer durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme ein Verschulden des
Arbeitnehmers an einem Rückfall zwar nicht generell ausgeschlossen
werden.
Es
sei
vielmehr
anhand
eines
medizinischen
Sachverständigengutachtens zu klären, ob den Arbeitnehmer ein
Verschulden treffe. Lässt sich das Verschulden nicht eindeutig feststellen,
weil ein Ursachenbündel vorliegt, geht dies zulasten des Arbeitgebers.
35
BAG vom 17.04.1985, 5 AZR 497/83.
BAG vom 01.06.1983, DB 1983, S. 2420.
37
vom 18.03.2015 – 10 AZR 99/14
36
27
Ein Suizidversuch wird als unverschuldet betrachtet. Denn dieser weicht
so grundlegend von der Vorstellung der Allgemeinheit ab, dass davon
auszugehen ist, dass sich der Beschäftigte in einem nicht mehr
zurechnungsfähigen Zustand befindet. Der Entgeltfortzahlungsanspruch
wird daher von der Rechtsprechung anerkannt. 38
Verletzt ein Arbeitnehmer grob fahrlässig Verkehrsvorschriften im
Straßenverkehr – wie etwa die Angurtpflicht, Nutzung des Mobiltelefons
ohne Freisprecheinrichtung oder das Tragen eines Sicherheitshelms bei
Kraftradfahrern - so kann dies aufgrund des Eigenverschuldens zu einem
Ausschluss der Entgeltfortzahlung führen. Leichte Fahrlässigkeit genügt
nicht bereits, vielmehr muss der Beschäftigte Leib oder Gesundheit
leichtfertig aufs Spiel gesetzt haben, wobei trunkenheitsbedingte
Verkehrsunfälle als verschuldet betrachtet werden. 39 Ist der Verkehrsunfall
auf eine durch Medikamente herbeigeführte Beeinträchtigung der
Verkehrstüchtigkeit zurückzuführen, auf die im Beipackzettel hingewiesen
ist, liegt gleichfalls ein Verschulden vor.
Auch den Beifahrer kann ein Verschulden treffen, soweit dieser sich von
einem erkennbar nicht fahrtauglichen Fahrzeugführer befördern lässt.
Während
der
Freizeit
eingetretene
Fälle
krankheitsbedingter
Arbeitsunfähigkeit
werden
bei
Sportunfällen
regelmäßig
als
unverschuldetes Unglück eingeordnet. Lediglich bei besonders gefährlichen
Sportarten, bei denen die eigene Leistungsfähigkeit überschätzt wird, soll
ein Verschulden möglich sein. Die Rechtsprechung hat dies indes für die
Sportarten Motorradrennen, Inline-Skating, Drachenfliegen, Fallschirmspringen, Amateurboxen und Skisport abgelehnt 40 und konkret noch keine
Sportart benannt, die sie als besonders gefährlich anerkennt 41.
Insoweit sollte überdacht werden, ob Risiken des einzelnen Arbeitnehmers,
die dieser im Rahmen seiner Selbstverwirklichung während seiner freien
Zeit eingeht, gegenwärtig nicht über Gebühr auf den Arbeitgeber bzw. die
38
BAG vom 28.02.1978, DB 1979, S. 1803.
BAG vom 11.03.1987, DB 1987, S. 1495.
40
BAG vom 07.10.1981, AP Nr.45 zu § 1 LFZG; LAG Berlin, DB 1970, 1838;BAG vom 01.12.1976, 5 AZR 601/75,
AP Nr.42 zu § 1 LFZG; LAG Bremen, BB 1964, 220.
41
Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 14. Aufl. 2011, § 98, Rn.41, unter Hinweis auf: LAG Köln vom 02.03.1994,
LAGE 33 zu § 1 LohnFG; zu Motorradrennen LAG Rheinland-Pfalz vom 29.10.1998, LAGE 2 zu § 3 EFZG.
39
28
Allgemeinheit abgewälzt werden. Eine angemessenere Risikoverteilung
könnte es gebieten, bei auf Extremsportarten beruhenden Sportunfällen die
Folgen nicht dem Arbeitgeber aufzuerlegen. Vielmehr sollte der
Arbeitnehmer eine private Vorsorge zur Absicherung krankheitsbedingter
Arbeitsunfähigkeit treffen müssen.
Dass die Anforderungen an die Begründung eines Verschuldens gegen
sich selbst auch den sittlich-moralischen Entwicklungen innerhalb der
Gesellschaft unterfallen, ergibt ein Blick auf ältere Entscheidungen des
RAG42 sowie des LAG Saarland43.
Ist die Arbeitsunfähigkeit infolge einer ausgeübten Nebentätigkeit
eingetreten, so ist nur dann von einem Verschulden auszugehen, wenn
gegen die Vorschriften des Arbeitszeitrechts verstoßen worden ist und die
Überarbeitung für die Arbeitsunfähigkeit kausal war. 44 Ob die
Nebentätigkeit nach § 3 Abs. 2 TVöD angezeigt war, ist insoweit
unerheblich für die Frage des Verschuldens.
Anders muss der Sachverhalt wohl beurteilt werden, wenn der Beschäftigte
sich während einer Nebentätigkeit verletzt hat, weil er gegen die
Unfallverhütungsvorschriften verstoßen hat.
Hinzuweisen bleibt schließlich darauf, dass den Arbeitgeber die Beweislast
des Verschuldens trifft. Sprechen allerdings Umstände nach den
allgemeinen Lebenserfahrungen für ein Verschulden des Beschäftigten, so
wird der Beweis des ersten Anscheins dafür sprechen, dass der
Beschäftigte schuldhaft gehandelt hat, z.B. bei einer Trunkenheitsfahrt. Hier
42
So hat das RAG 4/73 ff bei einer durch außerordentlichen Geschlechtsverkehr herbeigeführten
Hodenentzündung festgestellt, dass „jeder unverheiratete Mann, der mit einer geschlechtlich nicht
unbescholtenen weiblichen Person sich auf Geschlechtsverkehr einlasse, mit der Gefahr rechnen müsse, dass er
sich eine geschlechtliche Erkrankung zuziehe, es erscheine daher nur billig, dass ihm das Risiko, das er bei einem
solchen außerehelichen Verkehr eingeht, zur Last falle; eine Ausnahme könne nur in dem Fall gemacht werden,
wenn der Arbeitnehmer den Nachweis erbringen könne, dass er mit einer geschlechtlich noch unberührten
weiblichen Person verkehrt habe, oder dass er alle Vorsichtmaßnahmen getroffen habe, die eine Ansteckung an
einer Geschlechtskrankheit nach menschlicher Voraussicht ausschlössen.“
43
LAG Saarland, EEK I/152 hat noch 1971 entschieden, dass ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitnehmers
vorliegt, wenn sich dieser im Verlauf „einer offenbar äußerst stürmischen Liebesnacht“ durch die
Sexualpraktiken seiner Partnerin derart verletzt, dass er arbeitsunfähig erkrankt.
44
BAG vom 21.04.1982, 5 AZR 1019/79
29
muss der Beschäftigte sodann Umstände darlegen und beweisen, dass ihn
entgegen des ersten Anscheins kein Verschulden trifft.
Hat hingehen der Arbeitgeber die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit
verursacht, steht dem Beschäftigten ein zeitlich unbegrenzter
Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 326 Abs. 2 BGB zu. Allerdings muss
sich der Beschäftigte dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der
Befreiung von der Leistung erspart.
Ein darüber hinaus gehender Schadensersatzanspruch unterliegt jedoch
regelmäßig dem Haftungsausschluss nach § 104 SGB VII.
Hat ein Dritter die Arbeitsunfähigkeit zu vertreten, besteht ein
Entgeltfortzahlungsanspruch. Insoweit geht die Forderung nach § 6 EFZG
auf den Arbeitgeber über.
Darüber hinaus stellt § 22 Abs. 1 Satz 2 TVöD klar, dass
„als unverschuldete Arbeitsunfähigkeit (…) auch die
Arbeitsverhinderung
in
Folge
einer
Maßnahme
der
medizinischen Vorsorge und Rehabilitation im Sinne von § 9
EFZG (gilt).“
Maßnahmen der medizinischen Vorsorge sind präventiv und sollen eine
Schwächung der Gesundheit des Beschäftigten beseitigen, um die
Entstehung einer Krankheit zu vermeiden. Hierzu zählen nach § 23 Abs. 2
SGB V die ambulante Vorsorgekur, nach § 23 Abs. 4 SGBV die stationäre
Vorsorgekur und nach § 24 Abs. 1 SGB V die Vorsorgekur, letztere auch
als „Mutter bzw. Vater-Kind-Kur“ bezeichnet.
Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation sind Teil der
Krankenbehandlung und erfolgen als stationäre Maßnahme, soweit
ambulante Maßnahmen nicht ausreichen.
30
Voraussetzung beider Maßnahmen ist die Bewilligung durch den
zuständigen Sozialversicherungsträger. Bei dem Bewilligungsbescheid
handelt
es
sich
um
einen
Verwaltungsakt,
der
zugleich
anspruchsbegründende Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch ist.
Führt der Beschäftigte eine der genannten Maßnahmen ohne Bescheid
durch, muss er dafür unbezahlten Sonderurlaub oder Erholungsurlaub
nehmen, so er denn nicht in Leistungsverzug geraten will. Ein
Entgeltfortzahlungsanspruch scheidet dann freilich aus. Dieser kann auch
nicht durch eine nachträgliche Bewilligung mehr entstehen. 45
13. Wartezeit
Im Gegensatz zu § 3 Abs. 3 EFZG enthält § 22 TVöD keine Wartezeit, so
dass nicht erst nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des
Arbeitsverhältnisses der Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht, sondern
bereits ab dem ersten Tag des Beschäftigungsverhältnis gewährt wird.
Lediglich bei Praktikanten entsteht der Anspruch auf Entgeltfortzahlung erst
nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Praktikumsverhältnisses.
IV. Zeitpunkt der Anzeige –und Nachweispflichten
§ 22 TVöD enthält keine eigenständige Regelung, wie und wann der
Arbeitnehmer seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem
Arbeitgeber anzuzeigen und nachzuweisen hat. Insoweit gilt § 5 Abs. 1
Satz 1 und 2 EFZG:
„Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich
mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei
Kalendertage,
hat
der
Arbeitnehmer
eine
ärztliche
45
ErfK/Dörner, EFZG, § 3 Rn.15
31
Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie
deren voraussichtliche Dauer spätestens am darauffolgenden
Arbeitstag vorzulegen.“
1. Anzeigepflicht
Den Arbeitnehmer trifft zunächst die Pflicht, dem Arbeitgeber die
Arbeitsunfähigkeit unverzüglich mitzuteilen. Bei der Anzeigepflicht handelt
es sich um eine unselbständige Nebenpflicht, deren Einhaltung nicht
einklagbar, deren Nichtbeachtung jedoch mit einer Abmahnung, im
Wiederholungsfall mit einer Kündigung sanktioniert werden kann.
Ohne schuldhaftes Zögern i.S.v. § 121 BGB hat der Arbeitnehmer seiner
Pflicht nachzukommen. Bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit muss
der Arbeitnehmer daher grds. den Arbeitgeber von dieser in Kenntnis
setzen. Steht für den Arbeitnehmer bereits vor einem Arztbesuch fest, dass
er die Arbeit nicht antreten wird – so etwa bei einem heftigen Magen-undDarm-Infekt -, so ist der Arbeitgeber bereits vor der Konsultation des Arztes
zu informieren. Nach der ärztlichen Untersuchung hat der Arbeitnehmer
ergänzend die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen.
Wie der Arbeitnehmer seiner Anzeigepflicht nachkommt, bleibt ihm
überlassen, wenn dies nur unverzüglich geschieht, etwa per E-Mail,
Telefonat oder Fax. Auch muss er die Mitteilung nicht höchstpersönlich
vornehmen; er kann sich etwa eines Familienangehörigen hierzu bedienen.
Die Anzeige hat dem Arbeitgeber bzw. einer hierzu befugten Person
gegenüber zu erfolgen. Teilt der erkrankte Arbeitnehmer einem anderen
Beschäftigten die Arbeitsunfähigkeit mit, so wird dieser als Bote tätig. Das
Übermittlungsrisiko trifft insoweit den Arbeitnehmer.
2. Anzeigepflicht im Ausland
§ 5 Abs. 2 EFZG enthält eine Sonderregelung, soweit sich der
arbeitsunfähig erkrankte Beschäftigte im Ausland aufhält:
32
„Hält sich der Arbeitnehmer bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit
im Ausland auf, so ist er verpflichtet, dem Arbeitgeber die
Arbeitsunfähigkeit, deren voraussichtliche Dauer und die
Adresse am Aufenthaltsort in der schnellstmöglichen Art der
Übermittlung mitzuteilen. Die durch die Mitteilung entstehenden
Kosten hat der Arbeitgeber zu tragen. Darüber hinaus ist der
Arbeitnehmer, wenn er Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse
ist, verpflichtet, auch dieser die Arbeitsunfähigkeit und deren
voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen. Dauert die
Arbeitsunfähigkeit länger als angezeigt, so ist der Arbeitnehmer
verpflichtet, der gesetzlichen Krankenkasse die voraussichtliche
Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen. Die gesetzlichen
Krankenkassen können festlegen, dass der Arbeitnehmer
Anzeige- und Mitteilungspflichten nach den Sätzen 3 und 4 auch
gegenüber einem ausländischen Sozialversicherungsträger
erfüllen kann. Absatz 1 Satz 5 gilt nicht. Kehrt ein arbeitsunfähig
erkrankter Arbeitnehmer in das Inland zurück, so ist er
verpflichtet, dem Arbeitgeber und der Krankenkasse seine
Rückkehr unverzüglich anzuzeigen.“
Soweit der erkrankte Arbeitnehmer sich im Ausland aufhält, besteht für
diesen die zusätzliche Pflicht, seine Adresse schnellstmöglich dem
Arbeitgeber mitzuteilen, wie er auch den Arbeitgeber über seine Rückkehr
ins Inland zu informieren hat. Damit geht diese Regelung über die in § 5
Abs. 1 EFZG hinaus. Gedacht war damit dem Arbeitgeber die Überprüfung
der Arbeitsunfähigkeit zu erleichtern. Die Realität gestaltet sich indes
anders, da es dem Arbeitgeber gerade bei im Ausland erkrankten
Arbeitnehmern kaum gelingen mag, die missbräuchliche Inanspruchnahme
eines Entgeltfortzahlungsanspruchs zu beweisen bzw. Indizien
beizubringen, die den hohen Beweiswert auch einer ausländischen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu entkräften vermögen.
Im Gegensatz zu der im Inland bestehenden Anzeigepflicht, führt ein
Verstoß gegen die Anzeigepflicht eines sich im Ausland aufhaltenden
Arbeitnehmers dazu, dass dem Arbeitgeber nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG ein
vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht zusteht.
33
3. Nachweispflicht
Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage an, so hat der
Arbeitnehmer am darauffolgenden Arbeitstag der Arbeitsunfähigkeit dem
Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen.
Als Verpflichtung des Arbeitnehmers hat diese auch für die mit der
Ausstellung der Bescheinigung entstehenden Kosten aufzukommen. 46
Nimmt der versicherte Arbeitnehmer einen Vertragsarzt in Anspruch, ist
nach § 73 Abs. 2 Nr.9 SGB V die Ausstellung der Bescheinigung gleichwohl
kostenfrei.
Erkrankt der Arbeitnehmer beispielsweise freitags, so trifft ihn spätesten
montags die Vorlagepflicht. Dabei ist es unerheblich, ob samstags oder
sonntags eine Arbeitspflicht besteht, da das Gesetz insoweit auf
Kalendertage, nicht Arbeitstage abstellt. Lediglich der Montag muss im
vorliegenden Beispiel ein regulärer Arbeitstag sein.
Hält sich der Arbeitnehmer im Ausland auf und wird dort arbeitsunfähig, so
ist er nicht von der Nachweispflicht entbunden. Er hat vielmehr auch im
Ausland einen Arzt aufzusuchen, von dem er sich eine entsprechende
Bescheinigung auszustellen zu lassen hat.
Wie dem Wortlaut des § 5 EFZG zu entnehmen ist, hat der Arbeitnehmer
eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen bzw. zu übersenden. Hieraus
ergibt sich, dass die Bescheinigung als sog. Privaturkunde schriftlich i.S.d.
§ 126 BGB abgefasst sein muss. 47 Zu enthalten hat sie den Namen des
Arbeitnehmers, die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit und deren
voraussichtliche Dauer. Bei bestehender Mitgliedschaft in einer
gesetzlichen Krankenversicherung muss die Bescheinigung ferner einen
Vermerk beinhalten, dass der Krankenkasse eine Bescheinigung über die
Dauer mit Angabe des Befundes unverzüglich übersandt wird. Handelt es
sich um eine Folgeerkrankung, bei der die Arbeitsunfähigkeit länger als in
der Erstbescheinigung angegeben andauert, und bei der der Arbeitnehmer
nach § 5 Abs. 1 Satz 4 EFZG verpflichtet ist, eine neue ärztliche
46
47
Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, § 5, Rn.27.
Jansen, Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, S. 126 ff.
34
Bescheinigung vorzulegen, so ist diese als Folgebescheinigung zu
bezeichnen.
Aufgrund des Arbeitsnehmerpersönlichkeitsrechts ist der Grund der
krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht auf der für den Arbeitgeber
bestimmten Bescheinigung anzugeben.
Eine Ausnahme hiervon kann nur gelten, wenn hierzu ein herausragendes
Interesse des Arbeitgebers besteht, so ggf. bei ansteckenden Krankheiten,
die Schutzmaßnahmen gegenüber den Mitarbeitern erforderlich machen.
Soweit arbeitsunfähig Versicherte nach ärztlicher Feststellung ihre
bisherige Tätigkeit teilweise verrichten können und durch eine stufenweise
Wiedereingliederung ihrer Tätigkeit voraussichtlich besser wieder in das
Erwerbsleben eingegliedert werden können, soll der behandelnde Arzt auf
der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit Art und Umfang der
möglichen Tätigkeiten angeben. Hierzu soll er die Stellungnahme des
Betriebsarztes oder mit Zustimmung der Krankenkasse die Stellungnahme
des Medizinischen Dienstes einholen. Allerdings setzt dies in jedem Fall die
Zustimmung von Arbeitnehmer wie auch Arbeitgeber voraus. Lehnt der
Arbeitnehmer eine stufenweise Wiedereingliederung ab, so können hieran
keinerlei Sanktionen geknüpft werden. Der Arbeitnehmer ist dann weiterhin
arbeitsunfähig.
4. Verkürzung des Vorlagezeitraums
§ 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG berechtigt den Arbeitgeber
„die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen.“
Dem Arbeitgeber wurde mit dieser Regelung eine flexible Nachweispflicht
an die Hand gegeben, um in Fällen häufiger Kurzzeitkrankmeldungen bzw.
solchen vor oder nach Brückentagen die Nachweispflicht bereits ab dem
35
ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit einfordern zu können. Die verkürzte
Vorlagepflicht kann auf bestimmte Zeitabschnitte eines Jahres begrenzt
werden. Sie kann sich auch auf bestimmte Arbeitnehmergruppen oder
Dienstbereiche beschränken.
Zu beachten ist jedoch, dass der Arbeitgeber mit der gezielten Einforderung
seines Rechts keine Diskriminierung nach dem Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz begehen darf, so beispielsweise, wenn lediglich
von Arbeitnehmern mit Migrationshintergrund der Nachweis der
Arbeitsunfähigkeit früher eingefordert würde.
5. Fortdauernde Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Ist der Arbeitnehmer über den in der Erstbescheinigung genannten
Zeitraum arbeitsunfähig, hat er eine Folgebescheinigung vorzulegen.
Nicht explizit gesetzlich geregelt ist hingegen der Vorlagezeitpunkt
derselben. Aus der ratio legis ergibt sich jedoch, dass sich diese
unmittelbar an die in der Erstbescheinigung angegebene Dauer der
Arbeitsunfähigkeit anzuschließen hat. 48 Spätestens an dem zunächst
vorgesehenen Tag der Wiederaufnahme der Arbeit ist die Bescheinigung
daher vorzulegen. Ist die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit bereits früher
abzusehen, ist der Arbeitnehmer bereits zu diesem Zeitpunkt zur Sicherung
eines reibungslosen Betriebsablaufs vorlagepflichtig.
V. Erkrankung während des Urlaubs
Indem § 26 Abs. 2 TVöD auf das BUrlG Bezug nimmt, findet insbesondere
§ 9 BUrlG Anwendung, der die Frage beantwortet, welche Auswirkungen
eine Erkrankung auf den Urlaub hat:
„Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden die
durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet.“
48
Jansen, Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, S. 159 f.
36
Dem Beschäftigten werden demzufolge die Urlaubstage nicht angerechnet,
soweit er durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen vermag. Eine mündliche
Krankmeldung, wie grds. für die Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruchs ausreichend, genügt gerade nicht.
Nimmt
der
Beschäftigte
eine
medizinische
Vorsorgeoder
Rehabilitationsmaßnahme i.S.d. § 10 BUrlG in Anspruch, so dürfen diese
Maßnahmen nicht auf den Urlaub angerechnet werden.
Nicht von dieser Vorschrift erfasst werden hingegen Beschäftigungsverbote nach § 3 Abs. 1, § 4, § 6 Absätze 2 und 3 MuSchG. Denn die
werdende Mutter ist nicht krank, da die Schwangerschaft als solche kein
regelwidriger Zustand ist. Dies hat zur Folge, dass die werdende Mutter
keine Nachgewährung der Urlaubstage verlangen kann, wenn in die Zeit
des bereits gewährten Erholungsurlaubs ein Beschäftigungsverbot fällt.
Dies ist auf § 11 MuSchG zurückzuführen, der verlangt, dass die werdende
Mutter aufgrund des Beschäftigungsverbots völlig oder teilweise mit der
Arbeit aussetzt. Die Kausalität hat ausschließlich auf dem Beschäftigungsverbot zu beruhen.
Auch eine analoge Anwendung schließt die Rechtsprechung insoweit aus
(BAG vom 09.08.1994, 9 AZR 384/92, AP Nr. 19 zu § 7 BUrlG). Ein
schwangerschaftsbedingtes Beschäftigungsverbot ginge typischerweise
nicht mit einer der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbaren
Beeinträchtigung einher.
Weiterhin wird dem Beschäftigten auch eine Nachgewährung des Urlaubs
nicht versagt, soweit dieser an einer Wiedereingliederungsmaßnahme
teilnimmt. Zwar ruhen die Hauptleistungspflichten während einer solchen
Maßnahme aufgrund der Arbeitsunfähigkeit. Es handelt sich insoweit um
ein sozialrechtliches Rechtsverhältnis eigener Art, das der stufenweisen
Rehabilitation des Beschäftigten dient und nicht um eine Arbeitsleistung
nach dem Arbeitsvertrag. Gleichwohl besteht die Arbeitsunfähigkeit
während der Wiedereingliederung fort; der Urlaub ist soweit nicht erfüllbar.
37
Ob im Falle einer Arbeitskampfmaßnahme eine Nachgewährung des
Urlaubs erfolgt, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab:
Wird nach bewilligtem Urlaub ein rechtmäßiger Streik im Betrieb/
Dienststelle durchgeführt, gewährt das BAG (vom 09.02.1982, 1 ARZ
567/79, AP Nr. 16 zu § 11 BUrlG) keine Nachgewährung; der Urlaub wird
durch den Streik nicht unterbrochen.
Tritt der Beschäftigte seinen Urlaub an, hat er Anspruch auf Urlaubsentgelt
– der Streik führt zu keiner Unterbrechung des Urlaubs.
Entscheidet sich der Beschäftigte hingegen dazu, an dem Streik
mitzuwirken, kann er während der Arbeitskampfmaßnahme keinen Urlaub
beanspruchen; denn während des Streiks besteht keine Arbeitspflicht, so
dass der Beschäftigte von dieser auch nicht urlaubsbedingt freigestellt
werden kann.
Anderes kann nur gelten, wenn er vor Urlaubsbeginn ausdrücklich
gegenüber dem Arbeitgeber erklärt hat, seine Streikteilnahme
vorübergehend beenden zu wollen. Aus Gründen der Kampfparität kann
der Arbeitgeber allerdings in einem solchen Fall die Urlaubsgewährung
verweigern.
Erkrankt der Beschäftigte während des Streiks, hat er keinen Anspruch auf
Entgeltfortzahlung
wegen
der
streikbedingt
suspendierten
Hauptleistungspflichten. Denn die Krankheit muss die alleinige Ursache für
den Arbeitsausfall sein.
Erkrankt der Beschäftigte jedoch vor Streikbeginn, verliert er nicht den
Anspruch auf Entgeltfortzahlung (dies führt denn auch regelmäßig dazu,
dass vor Beginn einer Arbeitskampfmaßnahme gerade bei nicht
gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten, die kein Geld aus der
Streikkasse erhalten, der Krankenstand drastisch ansteigt), soweit er sich
nicht an dem Arbeitskampf beteiligt oder beteiligt hätte, wofür den
Arbeitgeber die Beweislast trifft.
Darauf aufbauend hat das BAG (vom 01.10.1991, 1 AZR 147/91, AP Nr.
121 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) entschieden, dass der Beschäftigte seinen
38
Urlaubsanspruch behält, der während eines vor Streikbeginn gewährten
Urlaubs arbeitsunfähig erkrankt. Der Nachgewährungsanspruch des § 9
BUrlG besteht daher, wenn der Beschäftigte seinen Urlaub angetreten hat,
dann in dem Betrieb ein rechtmäßiger Streik geführt wurde und der
Beschäftigte sodann arbeitsunfähig erkrankt. Solange der Beschäftigte sich
nicht am Streik beteiligt, behält er seinen Entgeltfortzahlungsanspruch nach
dem EFZG. Dadurch kann der Nachgewährungsanspruch nach § 9 BUrlG
greifen.
VI. Beendigung des Arbeitsverhältnisses
§ 22 Abs. 1 Satz 2 TVöD verweist auf § 8 EFZG für den Fall der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses:
„Der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts wird nicht
dadurch berührt, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus
Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Das gleiche gilt, wenn der
Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis aus einem vom Arbeitgeber
zu vertretenden Grund kündigt, der den Arbeitnehmer zur
39
Kündigung aus wichtigem
Kündigungsfrist berechtigt.
Grund
ohne
Einhaltung
einer
Endet das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der in § 3 Abs. 1 oder in §
3a Absatz 1 bezeichneten Zeit nach dem Beginn der
Arbeitsunfähigkeit, ohne dass es einer Kündigung bedarf, oder
infolge einer Kündigung aus anderen als den in Absatz 1
bezeichneten Gründen, so endet der Anspruch mit dem Ende
des Arbeitsverhältnisses.“
Nach dieser Regelung kann sich der Arbeitgeber nicht des
Entgeltfortzahlungsanspruchs entziehen, indem er das Arbeitsverhältnis
aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Kündigt der Arbeitnehmer selbst
aus einem vom Arbeitgeber zu vertretenen Grund bleibt ebenfalls der
Anspruch trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten.
VII. Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Den Arbeitnehmer trifft die Beweislast, arbeitsunfähig erkrankt zu sein.
Hierzu
bedient
sich
der
Arbeitnehmer
regelmäßig
der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Die Bedeutung der Bescheinigung hängt maßgeblich davon ab, welcher
Beweiswert dieser – insbesondere in einem Entgeltfortzahlungsprozess –
zukommt. Hält der Arbeitgeber das vom Arbeitnehmer eingereichte Attest
für unberechtigt ausgestellt, so stehen und fallen die Erfolgsaussichten des
40
arbeitsgerichtlichen Verfahrens
Bescheinigung auf den Prozess.
mit
dem
Einfluss
der
ärztlichen
Die Rechtsprechung gesteht hierbei der Bescheinigung einen hohen
Beweiswert zu, der nur durch tatsächliche Umstände, die ernsthafte Zweifel
an der Arbeitsunfähigkeit begründen, entkräftet werden kann. Da der
Arbeitgeber keinen Anspruch auf Mitteilung des Krankheitsgrundes - aus
Rücksicht auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten - hat,
wird dem Arbeitgeber auch regelmäßig nicht der Gegenbeweis glücken.
Der Arbeitgeber ist folglich – auf Gedeih und Verderb – der erdrückenden
Beweislast des Attestes ausgeliefert.
In der ganz überwiegenden Zahl der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen werden diese berechtigt ausgestellt und zutreffend sein.
Legt es ein Arbeitnehmer, insbesondere wenn er sich im Ausland
(urlaubsbedingt) aufhält, darauf an, sich eine ärztliche Bescheinigung zu
erschleichen, hat der Arbeitgeber jedoch kaum eine Chance den
Beweiswert derselben zu erschüttern, 49 ein für die Praxis durchaus nicht
immer zufriedenstellendes Ergebnis.50
Hegt der Arbeitgeber Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Beschäftigten,
so hat er die Möglichkeit nach § 275 Abs. 1 Nr. 3 SGB V die Überprüfung
derselben durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen zu
verlangen. Diesem Begehren ist nach § 275 Abs. 1a Satz 2 SGB V
unverzüglich Rechnung zu tragen.
Die Praxis zeigt jedoch, dass insbesondere bei Kurzzeiterkrankungen nicht
unmittelbar nach Vorlage der ärztlichen Bescheinigung die Begutachtung
auch erfolgt, so dass die Überprüfung tatsächlich nicht immer möglich ist.
Ist eine Begutachtung durchgeführt worden, so wird der Krankenkasse des
Beschäftigten das Ergebnis mitgeteilt. Diese informiert sodann den
Arbeitgeber, soweit keine Übereinstimmung zwischen ärztlichem Attest und
Gutachten vorliegt. Wie auch bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
selbst wird der Krankheitsgrund aufgrund des Arbeitnehmerpersönlichkeitsrecht dem Arbeitgeber nicht mitgeteilt.
Hilft auch die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst nicht weiter,
so steht dem Arbeitgeber noch die Möglichkeit offen, soweit ein konkreter
49
EuGH vom 03.06.1992, NJW 1992, 2687 (Paletta I); EuGH vom 02.05.1996, NZA 1996, 635; BAG vom
19.02.1997, NZA 1997, 705; LAG Baden-Württemberg vom 09.05.2000, NZA-RR 2000, 515.
50
Kritisch daher: Jansen, Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, S. 295 ff.
41
Verdacht im Raume steht, einen Detektiv mit der Überwachung des
Beschäftigten zu beauftragen. Bestätigt sich der Verdacht und wird der
Beschäftigte einer vorsätzlichen Vertragsverletzung überführt, kann der
Arbeitgeber die entstandenen Kosten erstattet verlangen 51.
Das BAG 52 hat allerdings jüngst entschieden, dass ein Arbeitgeber, der
wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit einem
Detektiv die Überwachung eines Arbeitnehmers überträgt, rechtswidrig
handelt, wenn sein Verdacht nicht auf konkreten Tatsachen beruht. Dies
könne zu Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts führen.
Faktisch kaum möglich wird es dem Arbeitgeber sein, Zweifel an der
Arbeitsunfähigkeit erheben zu können, soweit sich der Arbeitnehmer im
Ausland aufhält. Denn auch einem im Ausland ausgestellten Attest soll
nach der Rechtsprechung des EuGH ein hoher Beweiswert zukommen 53.
Dieser kann zwar durch den Nachweis des Missbrauchs entkräftet werden.
Wie soll der Arbeitgeber jedoch nachweisen, dass z.B. das kalabrische
Attest unberechtigterweise dem Arbeitnehmer ausgestellt worden ist? In
dem von dem EuGH zu entscheidenden Fall war die vierköpfige Familie
Paletta, die allesamt bei demselben Arbeitgeber beschäftigt war, über drei
Jahre hinweg in die kalabrische Heimat in Urlaub gefahren, um sich nach
Ablauf des Urlaubs jeweils für weitere sechs Wochen krankschreiben zu
lassen. Nach einem jahrelangen Rechtsstreit durch die Instanzen hat das
BAG aufgrund der Besonderheiten dieses Einzelfalls im Rahmen der
Beweiswürdigung schließlich ernsthafte Zweifel an der krankheitsbedingten
Arbeitsunfähigkeit gehegt. Handelt es sich jedoch nicht um eine so
offensichtlich betrügerische Vorgehensweise, hat der Arbeitgeber
regelmäßig keine Möglichkeit den Beweiswert des Attestes zu entkräften.
51
BAG vom 17.09.1998, AZR 5/97, AP Nr.113 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers.
Vom 19.02.2015 – 8 AZR 1007/13, wonach der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung weder
dadurch erschüttert sei, dass sie von unterschiedlichen Ärzten stammten, noch durch eine Änderung im
Krankheitsbild oder weil ein Bandscheibenvorfall zunächst hausärztlich behandelt worden sei.
53
Vom 03.06.1992, Rs C-45/90, DB 1992, S. 1577 (Paletta I); vom 02.05.1996, Rs. C-206/94, DB 1996, S. 1039
(Paletta II).
52
42
VIII. Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers
§ 7 EFZG gewährt dem Arbeitgeber ein Leistungsverweigerungsrecht wie
folgt:
„Der Arbeitgeber ist berechtigt,
Arbeitsentgelts zu verweigern,
43
die
Fortzahlung
des
1. solange der Arbeitnehmer die von ihm nach § 5 Abs. 1
vorzulegende ärztliche Bescheinigung nicht vorlegt oder den
ihm nach § 5 Abs. 2 obliegenden Verpflichtungen nicht
nachkommt;
2.
wenn
der
Arbeitnehmer
Schadensersatzanspruchs gegen
Arbeitgeber (§ 6) verhindert.
den
einen
Übergang
eines
Dritten auf den
Absatz 1 gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer die Verletzung dieser
ihm obliegenden Verpflichtungen nicht zu vertreten hat.“
Kommt der Arbeitnehmer seiner Pflicht zur Vorlage einer ärztlichen
Bescheinigung nicht nach, steht dem Arbeitgeber ein vorübergehendes
Leistungsverweigerungsrecht nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG zu. Sobald der
Arbeitnehmer die Bescheinigung indes nachreicht, ist der Arbeitgeber nicht
mehr berechtigt, die Entgeltfortzahlung zu verweigern.
Das
Leistungsverweigerungsrecht
greift
zudem,
wenn
die
Arbeitsunfähigkeit länger andauert und die Folgebescheinigung nicht
rechtzeitig vorgelegt wird.
Der Arbeitgeber kann sich auch auf das Leistungsverweigerungsrecht
berufen, wenn die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unvollständig ist.
Gleichwohl hat das BAG 54 darauf verwiesen, dass der Nachweis der
Arbeitsunfähigkeit auch mittels anderer Beweise erbracht werden kann. Im
Einzelfall kann deshalb die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts
rechtsmissbräuchlich sein.
Verstößt der Arbeitnehmer ausschließlich gegen die ihn nach § 5 EFZG
treffende Anzeigepflicht, ergibt sich hieraus kein Leistungsverweigerungsrecht.
Wird der Arbeitnehmer im Ausland arbeitsunfähig krank, hat er den
Arbeitgeber zudem unverzüglich hierüber in Kenntnis zu setzen. Kommt er
dieser Pflicht nicht nach, kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung
(vorübergehend) verweigern. Letztere erhöhten Anforderungen sind dem
Umstand geschuldet, dass es dem Arbeitgeber bei einer Erkrankung eines
54
vom 01.10.1997, 5 AZR 726/96.
44
Arbeitnehmers umso schwerer fällt, Bedenken an der Arbeitsunfähigkeit
leistungsverweigernd einbringen zu können.
Ist der Arbeitnehmer seinen ihm obliegenden Pflichten nicht
nachgekommen, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, steht nach § 7 Abs. 2
EGFZ dem Arbeitgeber kein Leistungsverweigerungsrecht zu. Hierbei ist
auf die Besonderheiten des Einzelfalles einzugehen und zu prüfen, ob der
Arbeitnehmer etwa aufgrund Art und Schwere der Erkrankung nicht in der
Lage war seinen Informationspflichten gegenüber dem Arbeitgeber
nachzukommen.
Ist beispielsweise ein Arbeitnehmer aufgrund eines fieberhaften Infekts ans
Bett gefesselt, so wird ihm regelmäßig ein Telefonat mit dem Arbeitgeber
zumutbar sein.55
Verhindert der Arbeitnehmer den Forderungsübergang auf den Arbeitgeber,
steht dem Arbeitgeber ein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht zu, so
z.B. bei einem Verzichts- oder Abfindungsvergleich, einem Erlassvertrag
oder einer Abtretung.
Ein über § 7 EFZG hinausgehendes Leistungsverweigerungsrecht besteht
nicht; die Vorschrift ist abschließend. Nur die dort genannten Fälle
berechtigen den Arbeitgeber, die Entgeltfortzahlung zu verweigern.
IX. Dauer des fortzuzahlenden Entgelts
Wie eingangs erwähnt, erhalten nach § 3 EFZG sowie § 22 Abs. 1 Satz 1
TVöD die Beschäftigten bis zur Dauer von sechs Wochen das Entgelt nach
§ 21 TVöD.
55
Eine erfahrende Beschäftigte im öffentlichen Dienst schlug in diesem Zusammenhang während einer
Schulungsveranstaltung vor, zwischen Männern und Frauen zu differenzieren, da sie nicht selten die Erfahrung
gemacht habe, dass Männer bereits bei leichteren Infekten - im Gegensatz zu weiblichen Beschäftigten – sich
nicht mehr in der Lage fühlten, selbständig entsprechende Informationen an den Arbeitgeber weiterzuleiten.
45
Erbringt der Beschäftigte trotz krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit seine
Arbeit, besteht ein Entgeltanspruch. Der Rückgriff auf den
Entgeltfortzahlungsanspruch ist nicht erforderlich.
Der Entgeltfortzahlungsanspruch beginnt mit dem Eintritt der
Arbeitsunfähigkeit. Aufgrund § 22 TVöD ist die vierwöchige Wartezeit eines
ununterbrochen fortbestehenden Arbeitsverhältnisses des § 3 Abs. 3 EFZG
nicht Voraussetzung.
Die Fristberechnung erfolgt nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2, 1. Hs. BGB:
§ 187 Abs. 1 BGB:
„Ist für den Anfang einer Frist ein Ereignis oder ein in den Lauf
eines Tages fallender Zeitpunkt maßgebend, so wird bei der
Berechnung der Frist der Tag nicht mitgerechnet, in welchen das
Ereignis fällt.“
§ 188 Abs. 2, Hs. 2 BGB:
„Eine Frist, die nach Wochen (…) bestimmt ist, endigt im Falle
des § 187 Abs. 1 mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten
Woche (…), welcher durch seine Benennung oder seine Zahl
dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt
(…).“
Erkrankt der Beschäftigte abends nach Arbeitsschluss, beginnt die Frist
am folgenden Tag zu laufen, folglich an dem ersten Tag, an dem der
Beschäftigte aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit nicht zur Arbeit kommt.
Erkrankt der Beschäftigte morgens vor Arbeitsbeginn und damit vor
Beginn der täglichen Arbeitszeit, soll nach Auffassung des BAG 56 und
56
vom 21.09.1971, 1 AZR 65/71
46
damit entgegen des Wortlauts des § 187 Abs. 1 BGB bereits dieser Tag bei
der Berechnung der Sechs-Wochen-Frist mitzählen. Grund seien die
Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses, die nicht den gesamten
Arbeitstag der Arbeitspflicht unterzögen, sondern nur Anteile hiervon. Daher
sei es angezeigt, auf denjenigen Zeitpunkt am Tag abzustellen, an dem
Arbeitsunfähigkeit erst rechtliche Bedeutung erlange.
Hat der Beschäftigte Nachtdienst zu verrichten, so beginnt die SechsWochen-Frist zu laufen, wenn der Beschäftigte vor Beginn der Nachtschicht
arbeitsunfähig erkrankt.
Fällt der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit auf einen arbeitsfreien Samstag,
Sonntag oder Feiertag, beginnt die Frist hingegen erst am darauffolgenden
Tag zu laufen.57
Erkrankt der Beschäftigte während der Arbeit, so wird der angebrochene
Arbeitstag nicht mitgerechnet. Gleichwohl erhält der Beschäftigte nach der
Rechtsprechung 58 das volle Arbeitsentgelt. Am darauffolgenden Tag
schließt sich sodann die Entgeltfortzahlung an.
Ruht das Arbeitsverhältnis und tritt vorher oder während dessen die
krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ein, so wird der Sechs-WochenZeitraum nicht unterbrochen, sondern gehemmt. Dies hat zur Folge, dass
der Zeitraum des ruhenden Arbeitsverhältnisses nicht berücksichtigt wird.
Zu den Fällen des ruhenden Arbeitsverhältnisses zählen die
Mutterschutzfristen nach §§ 3 Abs. 2, 6 Abs. 1 MuSchGG,
Beschäftigungsverbote nach § 3 Abs. 1, § 4 MuschG, Elternzeit nach §§ 15
ff BEEG, Sonderurlaub nach § 28 TVöD und die Freistellungsphase im
Blockmodell. Im Falle des Streiks ist noch nicht abschließend deutlich, ob
von einem ruhenden Arbeitsverhältnis auszugehen ist. 59
57
§ 193 BGB findet keine Anwendung.
BAG vom 16.02.1971, 1 AZR 315/70.
59
So hat das BAG, vom 01.10.1991, 1 AZR 147/91, AP Nr. 121 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, entschieden, dass der
Beschäftigte seinen Urlaubsanspruch behält, der während eines vor Streikbeginn gewährten Urlaubs
arbeitsunfähig erkrankt. Der Nachgewährungsanspruch des § 9 BUrlG besteht, wenn der Beschäftigte seinen
Urlaub angetreten hat, dann in dem Betrieb ein rechtmäßiger Streik geführt wurde und der Beschäftigte
sodann arbeitsunfähig erkrankt. Solange der Beschäftigte sich nicht am Streik beteiligt, behält er seinen
Entgeltfortzahlungsanspruch nach dem EFZG. Dadurch kann der Nachgewährungsanspruch nach § 9 BUrlG
greifen.
58
47
Beispiel 4:
Eine schwangere Beschäftigte erkrankt vom 01. April bis zum 31. August
(eine Krankheit). Vom 01. Mai bis zum 06. August bestand ein
Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG von 14
Wochen im Rahmen der sog. Mutterschutzfristen. Ihr steht ein
Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 22 Abs.1 Satz 1 TVöD vom 01. April
bis zum 30. April (30 Kalendertage) sowie vom 07. August bis zum 18.
August (12 Kalendertage) zu. Damit ist der 42 Kalendertage umfassende
sechswöchige Entgeltfortzahlungsanspruch erfüllt.
Erkrankt eine Beschäftigte nach Beantragung der Elternzeit, jedoch vor
Beginn derselben, entfällt der Entgeltfortzahlungsanspruch mit Beginn der
Elternzeit.
Sofern die Arbeitsunfähigkeit über die Dauer der Elternzeit hinausgeht,
besteht der Anspruch für bis zu insgesamt sechs Wochen.
Der Sechs-Wochen-Zeitraum findet pro Krankheit Anwendung. Bei jeder
neuen Erkrankung erhält der Arbeitnehmer einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch. Um als neue Krankheit anerkannt zu werden, muss es
sich um einen anderen Ursprung handeln, selbst wenn es sich um die
gleiche Krankheitsart handelt, wie etwa im Falle von Erkältungserkrankungen.
Tritt während einer Krankheit eine weitere hinzu, die den Zeitraum von
sechs Wochen überschreiten lässt, endet die Entgeltfortzahlungspflicht mit
Ablauf der sechs Wochen. Der sog. Grundsatz von der Einheit des
Versicherungsfalls steht einem weiteren eigenständigen Anspruch
entgegen. 60
Beispiel 5:
Ein Arbeitnehmer erkrankt am 01. Juni an einer Lungenentzündung, die am
25. Juni ausgeheilt ist. Am 23. Juni stürzt der Arbeitnehmer schwer und
60
LAG Rheinland-Pfalz vom 04.03.2010, 11 Sa 547/09
48
zieht sich eine Oberschenkelhalsfraktur zu, infolgedessen er bis zum 03.
August arbeitsunfähig ist.
Der Entgeltfortzahlungsanspruch besteht für die Dauer vom 01. Juni bis 12.
Juli.
Beispiel 6:
Eine Arbeitnehmerin erkrankt ebenfalls am 01. Juni aufgrund eines
Hörsturzes an einem Tinitus, infolgedessen sie bis zum 11. Juli
arbeitsunfähig ist. Am 13. Juli erkrankt sie bis zum 24. Juli an einer
Blutvergiftung.
Der Arbeitnehmerin steht zunächst ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für
den Zeitraum vom 01. Juni bis 11. Juli und sodann vom 13. Juli bis 24. Juli
zu.
Tritt zu einer Ersterkrankung eine weitere hinzu, ist die Entgeltfortzahlung
fortzusetzen, wenn die Ersterkrankung vor Ablauf der Sechs-Wochen-Frist
ausgeheilt ist, die weitere Erkrankung jedoch noch andauert. Erst mit Ablauf
des Entgeltfortzahlungszeitraums von sechs Wochen endet der Anspruch
des Arbeitnehmers, selbst wenn die Krankheit noch andauert. Die SechsWochen-Frist darf insoweit nicht erst ab Beginn der zweiten Erkrankung
gerechnet werden.
Dieser Grundsatz soll selbst dann Anwendung finden, soweit der
Arbeitnehmer die Ersterkrankung verschuldet hat und infolgedessen keinen
Entgeltfortzahlungsanspruch geltend machen kann. 61
Der sechswöchige Entgeltfortzahlungszeitraum kann allerdings erneut in
Anspruch genommen werden, wenn die erste Arbeitsunfähigkeit bereits
beendet ist bevor die neue Erkrankung eintritt. Bei einer zeitlichen
Aufeinanderfolge kann ein neuer Anspruch entstehen.
Schließen sich zwei verschiedene Erkrankungen nahtlos aneinander und
handelt es sich bei der zweiten Krankheit um eine Fortsetzungserkrankung
einer früheren Erkrankung, so geht dem Grundsatz der Einheit des
Versicherungsfalls § 3 Abs. 1, Satz 2 EFZG vor, wonach ein
61
LAG Frankfurt a.M., NZA 1986, 432
49
Entgeltfortzahlungsanspruch bei einer Wiederholungserkrankung entstehen
kann.62
Hat der Arbeitnehmer seinen behandelnden Arzt aufgesucht und hat dieser
ihn arbeitsfähig geschrieben, verunglückt der Arbeitnehmer jedoch sodann
auf der Heimfahrt, entsteht ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch. 63
Ein Entgeltfortzahlungsanspruch liegt auch vor, wenn der Arbeitnehmer am
Morgen vor Wiederantritt der Arbeit erneut erkrankt. 64
Der Anspruch entsteht weiterhin, sofern der Arbeitnehmer die Arbeit wieder
angetreten hat oder er hätte arbeiten wollen, die Dienstschicht jedoch
ungünstig lag. Die Wiederaufnahme der Arbeit ist damit keine
Wirksamkeitsvoraussetzung für einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch.65
Kein Anspruch wird hingegen zugebilligt, soweit der Arbeitnehmer einen
misslungenen Wiederaufnahmeversuch durchführt. Hierbei besteht die
Krankheit fort, da der Arbeitnehmer, ohne tatsächlich arbeitsfähig zu sein,
zwischenzeitlich Dienst geleistet hat. Unerheblich ist, ob dieser
Arbeitsversuch unternommen wurde, um den Entgeltfortzahlungsanspruch
erneut gelten zu machen oder um den Versuch einer Arbeitsaufnahme
durchzuführen, die jedoch keine brauchbare Arbeitsleistung erbracht hat.
Die Fristberechnung nach § 3 EFZG erfolgt nicht nach Wochen. Vielmehr
sind 42 Kalendertage zu Grunde zu legen, was bei Wiederholungserkrankungen mit unterbrochenen Arbeitsunfähigkeitszeiträumen von
Bedeutung sein kann. Insoweit sind alle Fehltage zusammen zu addieren,
ergänzt um die jeweiligen arbeitsfreien Tage, in denen gleichfalls
Arbeitsunfähigkeit bestand. Bei Teilzeitkräften, die einzelne Tage nicht
arbeiten, sind diese zudem in die Berechnung mit einzubeziehen.
Nicht zu berücksichtigen sich krankheitsbedingte Fehltage bei einem
früheren Arbeitgeber. Ausschließlich das aktuelle Arbeitsverhältnis ist
maßgebend.
62
BAG vom 27.07.1977, DB 1977, 2238
Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, § 3, Rn.219
64
Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, § 3, Rn.219
65
LAG Rheinland-Pfalz vom 09.01.2012, 5 Sa 528/11
63
50
Der Entgeltfortzahlungsanspruch endet, sobald die Arbeitsunfähigkeit nicht
mehr vorliegt mit dem letzten auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
attestierten Tag. Die Rechtsprechung66 hält eine Gesundschreibung des
Beschäftigten nicht für erforderlich, da diese im Entgeltfortzahlungsgesetz
nicht vorgesehen ist. Eine dahingehende tarifrechtliche Regelung besteht
ebenfalls nicht. Dem Arbeitgeber soll insoweit die Zurückweisung eines
leistungsbereiten Arbeitnehmers versagt sein.
Mit Ausnahme der Regelung des § 8 EFZG – der Kündigung des
Arbeitsverhältnisses aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit bzw. der
arbeitgeberseitig zu vertretenden außerordentlichen Kündigung – endet der
Entgeltfortzahlungsanspruch auch, wenn das Arbeitsverhältnis endet.
Hierunter fallen beispielsweise Auflösungsverträgen und nachträgliche
Befristungen.
X. Wiederholungserkrankung
Liegt eine Wiederholungserkrankung vor, bei welcher eine erneute
Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eintritt, verweist § 22 Abs. 1
Satz 2 TVöD auf die gesetzlichen Regelungen des § 3 Abs. 1 Satz 2
TVöD:
66
LAG Berlin, NZA-RR 2002, 23, LAG Düsseldorf, NZA-RR 2004,65
51
„Wird der Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit erneut
arbeitsunfähig,
so
verliert
er
wegen
der
erneuten
Arbeitsunfähigkeit den Anspruch nach Satz 1 für einen weiteren
Zeitraum von höchstens sechs Wochen, wenn
1. er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs
Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war
oder
2. seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben
Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist.“
Eine Wiederholungserkrankung liegt danach vor, wenn die Krankheit auf
demselben Grundleiden beruht; dieselbe chronische Veranlagung des
Patienten muss betroffen sein. 67 Soweit ein medizinisch nicht ausgeheiltes
Grundleiden erneut zu einer Erkrankung führt, liegt auch eine
Wiederholungserkrankung vor. Eine Wiederholungserkrankung wird auch
nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Grundleiden verschiedene
Krankheitssymptome zur Folge hat.
Als Beispielsfälle werden in der Literatur folgende Krankheitsbilder
genannt: 68
Geisteskrankheit mit der Folge wiederkehrenden Alkoholmissbrauchs,
Unfällen und Verletzungen; Epilepsie mit entsprechenden Verletzungen
durch Brüche, Bisswunden an der Zunge; gravitätsbedingte,
außergewöhnliche Schwangerschaftsbeschwerden, Allergien, Diabetes
Mellitus, HIV, Hepatitis, Wirbelsäulenerkrankung, nicht ausgeheilte
Lungenentzündung, die zu einem Rückfall führt, mehrfache akute
Erkrankungen rheumatischer Ursache oder aufgrund eines lang
anhaltenden Leber- oder Magenleidens, wie auch eine in bestimmten
Schüben auftretende Psychose.
Nimmt der Beschäftigte eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme zur
Ausheilung einer Krankheit in Anspruch, so tritt diese an die Stelle der
Fortsetzungskrankheit. 69
67
BAG vom 04.12.1985, 5 AZR 656/84, DB 1986, 600; LAG Hamm vom 18.01.2006, 18 Sa 1418/05
Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, § 3, Rn.198 ff
69
Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, § 3, Rn.201
68
52
Die Begrifflichkeit der Wiederholungserkrankung ist streng von dergleichen
Krankheit zu unterscheiden, bei der ein Arbeitnehmer etwa mehrfach an
einer Grippe erkrankt.
Beruht die Arbeitsunfähigkeit auf mehreren Ursachen, liegt keine
Fortsetzungserkrankung vor.
Leidet der Beschäftigte hingegen an zwei Krankheiten, die nur aufgrund
des kumulierten Auftretens zur Arbeitsunfähigkeit führen, kann später eine
Wiederholungserkrankung vorliegen, wenn eine der beiden erneut auftritt. 70
Indem der behandelnde Arzt auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu
vermerken hat, ob es sich um eine Folgeerkrankung handelt, wird von
diesem im medizinischen Sinne die Krankheit nach Ursache und
Erscheinungsform unterschieden.
Der Sechsmonatszeitraum nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EFZG verlangt bei
einer Wiederholungserkrankung alleine, dass der Arbeitnehmer für den
genannten Zeitraum nicht aufgrund derselben Krankheit arbeitsunfähig
geworden ist. Ob das Grundleiden zwischenzeitlich völlig ausgeheilt ist,
spielt dabei keine Rolle.
Unerheblich ist hingegen, ob er in diesem Zeitraum überhaupt gearbeitet
hat. Hat er innerhalb dieses Zeitraumes Erholungsurlaub in Anspruch
genommen oder war er aufgrund einer anderen Krankheit arbeitsunfähig,
führt dies nicht zu einer Unterbrechung oder Verlängerung des
sechsmonatigen Zeitraums.
Beispiel 7:
Ein Arbeitnehmer war wegen einer Depression zunächst vom 11.10. bis
14.11. für 35 Tage arbeitsunfähig. Im Anschluss nahm er seinen
Vorjahresurlaub bis zum 31.12. Nach Arbeitsantritt zum 02.01. des
70
BAG vom 13.07.2005, DB 2005, 2359
53
Folgejahres erkrankt der Arbeitnehmer erneut an der Depression bis zum
14.02. Ihm steht lediglich noch ein Anspruch von sieben Tagen
Entgeltfortzahlung zu.
Beispiel 8:
Ein Arbeitnehmer war wegen einer Hausstauballergie vom 01.04. bis 20.04.
und vom 01.06. bis zum 07.06. arbeitsunfähig erkrankt. In der Zeit vom
01.05. bis zum 21.05. ist er aufgrund eines Muskelfaserrisses
arbeitsunfähig. Ausschließlich die durch die Hausstauballergie bedingten
Zeiten der Arbeitsunfähigkeit stehen in einem Fortsetzungszusammenhang.
Ambulante Behandlungen, die zur Arbeitsverhinderung führen,
unterbrechen die 6-Monats-Frist nicht, werden folglich nicht berücksichtigt.
Dies soll selbst dann sein, wenn die ambulante Behandlung auf derselben
Krankheit beruht. 71
Erkrankt der Arbeitnehmer während einer Ersterkrankung zusätzlich an
einer weiteren Erkrankung, geht diese jedoch nicht über den Zeitraum der
Ersterkrankung hinaus, entsteht hinsichtlich der Zweiterkrankung kein
Fortsetzungszusammenhang, wenn innerhalb der Sechs-Monats-Frist die
Zweiterkrankung erneut auftritt. 72 Zurückzuführen ist dies darauf, dass für
die hinzutretende Zweiterkrankung zunächst kein eigener Entgeltfortzahlungsanspruch begründet worden ist.
Die Fristberechnung des 6-Monats-Zeitraums bemisst sich nach § 187 Abs.
1, § 188 Abs. 2, 1. Hs. BGB. Nach Auffassung von Teilen der Literatur
beginnt die Frist danach am Tage nach Ablauf derjenigen
Arbeitsunfähigkeitsperiode infolge derselben Krankheit zu laufen, in deren
Verlauf der sechswöchige Entgeltfortzahlungszeitraum abgelaufen ist, und
bei allen innerhalb von weniger als sechs Monaten folgenden
Arbeitsunfähigkeitsperioden infolge derselben Krankheit jeweils am Tage
nach deren Ablauf. Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch kann folglich
71
72
Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, § 3, Rn.204
BAG vom 02.02.1994, DB 1994, 1039; LAG Rheinland-Pfalz vom 28.06.2007, 2 Sa 109/07
54
erst entstehen, wenn dieselbe Erkrankung erst nach sechs Monaten erneut
eintritt. 73
Demgegenüber berechnet die Rechtsprechung die Frist unter Berufung auf
den Wortlaut des Entgeltfortzahlungsanspruchs rückwärts gewandt 74 .
Danach ist auf das Ende der vorhergehenden Arbeitsunfähigkeit
abzustellen. Es ist vom Beginn der erneuten Arbeitsunfähigkeit infolge
derselben Krankheit zurückzurechnen.
Das Ergebnis ist bei beiden Methoden gleich.
Handelt es sich um eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge und
Rehabilitation, setzt dieselbe Erkrankung am Tag des Beginns der
Maßnahme ein. Der Zeitpunkt der Antragstellung bzw. Bewilligung ist
unerheblich, wie auch wenn sich aufgrund der Krankenversicherung die
Maßnahme verzögert.
Beispiel 9:
Der Arbeitnehmer ist aufgrund eines Wirbelsäulenleidens im Februar vier
Wochen arbeitsunfähig. Im April ist er erneut wegen derselben Krankheit für
vier Wochen arbeitsunfähig. Insoweit erhält er noch zwei Wochen
Entgeltfortzahlung – insgesamt 42 Kalendertage - der sich der
Krankengeldanspruch anschließt, da seit dem Ende der ersten
Arbeitsunfähigkeit noch keine sechs Monate vergangen sind.
Würde er erst im Oktober arbeitsunfähig aufgrund des Wirbelsäulenleidens
erkranken, stünde ihm ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch zu.
Beispiel 10:
Ein Arbeitnehmer ist aufgrund einer Bauchspeicheldrüsenentzündung vom
03. bis 11.03, vom 06.04. bis 03.06. und vom 05. bis 23.12. arbeitsunfähig
erkrankt.
73
74
Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, § 3, Rn.205
BAG vom 30.08.1973, 5 AZR 202/73
55
Der Arbeitnehmer erhält zunächst für neun Tage (03. bis 10.02)
Entgeltfortzahlung. Sodann erhält er vom 06.04. bis zum 08.05. für weitere
33 Tage Entgeltfortzahlung. Obschon er ab dem 09.05. keine
Entgeltfortzahlung mehr erhält, ist er noch weiter arbeitsunfähig, bis zum
03.06. Daher kann die 6-Monats-Frist erst mit dem 04.06. zu laufen
beginnen und endet am 03.12. Für die erneute Arbeitsunfähigkeit ab dem
05.12. entsteht daher ein neuer Anspruch.
Alternative:
Der Arbeitnehmer ist zudem vom 11.06. bis 15.06. aufgrund der
Bauchspeicheldrüsenentzündung arbeitsunfähig erkrankt. Dann beginnt die
Frist erst mit dem 16.06. zu laufen. Dem Arbeitnehmer stünde dann am
05.12. noch nicht bereits wieder ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch zu,
da die 6-Monats-Frist noch nicht verstrichen ist.
Eine neue Frist würde erst ab dem 24.12. beginnen.
Demgegenüber ist für § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EFZG ein
Zwölfmonatszeitraum maßgeblich, der seit der ersten Arbeitsunfähigkeit
abgelaufen sein muss. Die Vorschrift stellt nicht auf das Kalenderjahr,
sondern auf einen Zeitraum von zwölf Monaten ab.
Auch bei dieser Variante zur Begründung eines erneuten sechswöchigen
Entgeltfortzahlungsanspruchs
muss
lediglich
ein
bestehendes
Arbeitsverhältnis vorliegen, während dessen nicht gearbeitet worden sein
muss.
Im Unterschied zu Nr. 1 ist hierbei an Fallkonstellationen gedacht, bei
denen der Beschäftigte gerade innerhalb der letzten sechs Monate bereits
aufgrund derselben Krankheit arbeitsunfähig war, gleichgültig wie oft,
jedoch nunmehr der Zwölf-Monats-Zeitraum abgelaufen ist. Zwischen dem
Ende der ersten und dem Beginn der zweiten oder weiteren
Arbeitsunfähigkeit liegen keine sechs Monate, aber zwischen dem Beginn
der ersten Arbeitsunfähigkeit und der Fortsetzungserkrankung liegen zwölf
Monate.
Der Zwölf-Monats-Zeitraum beginnt mit der ersten Arbeitsunfähigkeit zu
laufen.75 Vom Ausnahmefall des § 3 Abs. 1, Satz 2 Nr. 1 EFZG abgesehen,
75
BAG vom vom 14.03.2007, 5 AZR 514/06
56
soll der Arbeitgeber nur einmal in zwölf Monaten hinsichtlich einer Krankheit
für den Sechs-Wochen-Zeitraum Entgeltfortzahlung in Anspruch
genommen werden können.
Ist dieser Zeitraum abgelaufen, kann der Arbeitnehmer wegen derselben
Krankheit erneut Entgeltfortzahlung beanspruchen. Zugleich beginnt an
diesem Tag der nächste Zwölf-Monats-Zeitraum zu laufen.
Beispiel 11:
Eine Arbeitnehmerin ist wegen eines Nierenleidens von März bis zum Ende
November neun Monate arbeitsunfähig. Anfang Mai des Folgejahres tritt
das Nierenleiden als Fortsetzungserkrankung auf. Die Arbeitnehmerin hat
Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen, da
zwischen dem Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit und dem der
Fortsetzungserkrankung mehr als zwölf Monate liegen.
Beispiel 12:
Eine Arbeitnehmerin erkrankt zunächst für neun Monate vom 01.04. bis
31.12. an Leukämie, sodann erneut hieran im Folgejahr für vier Wochen
vom 15.04. bis 12.05. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 EFZG wird der Anspruch nicht
gewährt, da die Arbeitnehmerin innerhalb des Zeitraums von sechs Monate
vor dem erneuten Ausbruch der Leukämie bereits aufgrund dieser
Krankheit arbeitsunfähig war. Aufgrund § 3 Abs. 1 Nr. 2 EFZG kann der
Anspruch dennoch gewährt werden, da zu Beginn des zweiten
Erkrankungszeitraums der Zwölfmonatszeitraum abgelaufen war.
Überdauert eine Arbeitsunfähigkeit die Rahmenfrist von zwölf Monaten, so
stellt sich die Frage, ob ein neuer Entgeltfortzahlungszeitraum entstehen
hat
hierzu
entschieden,
dass
die
kann.
Das
BAG 76
Wiederholungserkrankung erst nach dem Ablauf der Frist begonnen haben
darf. Eine am Tag des Ablaufs der Zwölf-Monats-Frist eintretende
Arbeitsunfähigkeit steht dem Anspruch folglich entgegen. Denn der
Wortlaut verlange eine erneute Erkrankung, keine Dauererkrankung, bei
der es sich noch um eine Ersterkrankung handelt.
76
vom 14.03.2007, 5 AZR 514/06
57
Beispiel 13:
Ein Arbeitnehmer ist infolge eines Leberleidens ab dem 05.02, 04.06. und
12.11. jeweils drei Wochen arbeitsunfähig erkrankt. Im Folgejahr erkrankt er
vom 03.bis 17.01. sowie ab dem 07.02.
Zunächst erhält der Arbeitnehmer mit Beginn der Arbeitsunfähigkeit – dem
05.02. – für insgesamt 42 Kalendertage Entgeltfortzahlung. Bereits zum
12.11. ist der Entgeltfortzahlungszeitraum für die Ersterkrankung erschöpft.
Die Zwölf-Monats-Frist endet am 05.02. Fristbeginn ist nach § 187 Abs. 1
BGB, der 06.02., Fristende nach § 188 Abs. 1, 1.Hs. der 05.02. des
Folgejahres.
Daher
kann
der
Arbeitnehmer
ab
seiner
Wiederholungserkrankung am 07.02. einen neuen Anspruch auf
Entgeltfortzahlung geltend machen.
Schließlich bleibt das Verhältnis zwischen § 3 Abs. 1, Satz 2, Nr. 1 und 2
EFZG zu klären.
Die Sechs-Monats-Frist hemmt die Zwölf-Monats-Frist. 77 Tritt nach Ablauf
der 6-Monats-Frist eine Wiederholungserkrankung ein, mit der Folge, dass
der Arbeitnehmer einen erneuten Entgeltfortzahlungsanspruch geltend
machen kann, beginnt auch die Zwölf-Monats-Frist mit Beginn der
Wiederholungserkrankung neu zu laufen.
Beispiel 14:
Ein Arbeitnehmer erkrankt aufgrund eines Bronchialleidens ab dem 05.02.,
04.04. sowie ab dem 12.11. und im Folgejahr ab dem 03.01. und 13.02. Er
ist jeweils drei Wochen arbeitsunfähig.
Zunächst schöpft der Arbeitnehmer den 42-tägigen Entgeltfortzahlungsanspruch in den Krankheitszeiträumen ab dem 05.02 sowie 04.04.
aus. Sodann erhält er erneut ab dem 12.11. Entgeltfortzahlung, da die
77
Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, § 3, Rn.209
58
Sechs-Monats-Frist zwischenzeitlich abgelaufen ist. Auch für die
Wiederholungserkrankung ab dem 03.01. des Folgejahres kann der
Beschäftigte noch Entgeltfortzahlung beanspruchen, da der neue SechsWochen-Zeitraum noch nicht vollständig in Anspruch genommen war. Erst
ab der Arbeitsunfähigkeit ab dem 13.02. besteht kein Anspruch mehr.
Die zunächst mit der Ersterkrankung am 05.02. angelaufene 12-MonatsFrist beginnt erneut ab dem 12.11. zu laufen. Fristbeginn nach § 187 Abs. 1
BGB ist der 13.11., Fristende nach § 188 Abs. 2, Hs. 1 BGB der 12.11. Tritt
im Folgejahr eine Wiederholungserkrankung ab dem 13.11. ein, besteht ein
neuer Entgeltfortzahlungszeitraum.
Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass keine neue Zwölf-Monats-Frist anläuft,
wenn die Ersterkrankung zur Zeit des Fristablaufs noch andauert.
Wechselt ein Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz, schließt die sechswöchige Inanspruchnahme des Entgeltfortzahlungsanspruchs einen
erneuten Anspruch beim neuen Arbeitgeber nicht aus. Denn § 3 EFZG stellt
ausschließlich auf das bestehende Arbeitsverhältnis ab. Bei der Frage nach
einer Wiederholungserkrankung ist daher ausschließlich auf das aktuelle
Arbeitsverhältnis abzustellen. Eine § 6 BUrlG vergleichbare Vorschrift
zwischen früheren und aktuellen Urlaubsansprüche sieht das EFZG gerade
nicht vor.
Ein neues Arbeitsverhältnis liegt indes nicht bei einem Betriebsübergang
nach § 613 a BGB vor. Gleiches soll gelten, wenn sich an ein
Berufsausbildungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis anschließt. 78 Gleiches gilt
auch bei einer nahtlosen Anschlussbefristung.
Bestehen mit einem Arbeitgeber zwei rechtlich selbständige
Arbeitsverhältnisse, soll eine einheitliche Betrachtungsweise gerechtfertigt
sein, wenn zwischen diesen Arbeitsverhältnissen ein enger sachlicher
Zusammenhang besteht79. Zu den sachlichen Zusammenhängen kann z.B.
ein saisonaler vorübergehender Arbeitsmangel zählen oder eine kurze
zeitliche Unterbrechung von ein bis zwei Monaten.
78
79
Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, § 3, Rn.211
BAG vom 02.03.1983, DB 1983, S. 1445
59
XI. Beweislast der Wiederholungserkrankung
Den Arbeitnehmer soll die Beweislast treffen, dass es sich um eine
Folgeerkrankung handel. 80 Zwar hat der behandelnde Arzt auf der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die entsprechende Angabe zu machen.
Hegt der Arbeitgeber hieran Zweifel, so wird ihm in der Praxis ganz
regelmäßig der Gegenbeweis nicht gelingen, da der Arbeitgeber aufgrund
des Arbeitnehmerpersönlichkeitsrechts den Krankheitsgrund nicht erfahren
wird. Zwar trifft nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB den Arbeitnehmer
80
BAG vom 13.07.2005, 5 AZR 389/04
60
eine Offenbarungspflicht, wenn er eindeutig erkennt, dass es sich um eine
Fortsetzungserkrankung handelt. Jedoch auch hierüber wird der
Arbeitgeber keine Kenntnis erlangen.
Der Arbeitgeber kann über den Weg der gesetzlichen Krankenversicherung
versuchen, entsprechende Informationen zu erlangen. Denn nach § 69
Abs. 4 SGB X
„(sind) die Krankenkassen (…) befugt, einem Arbeitgeber
mitzuteilen, ob die Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit oder eine
erneute Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers auf derselben
Krankheit beruht; die Übermittlung von Diagnosedaten an den
Arbeitgeber ist nicht zulässig.“
Dem Arbeitgeber wird sogar eine Erkundigungspflicht auferlegt, wenn
objektive Umstände auf eine Fortsetzungserkrankung hindeuten, so etwa
im Falle häufiger Kurzerkrankungen.
Ist dem Arbeitnehmer ein Gefälligkeitsattest ausgestellt worden, bei dem zur Erweiterung des Entgeltfortzahlungsanspruchs – ein anderer
Krankheitsgrund zu Grund gelegt worden ist, so wird auch nach der
Information durch die gesetzliche Krankenversicherung dem Arbeitgeber
der Beweis des Missbrauchs nicht gelingen. Zwar ist der Arbeitnehmer
insoweit verpflichtet, im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht den
behandelnden Arzt von der Schweigepflicht dahingehend zu entbinden, ob
eine Fortsetzungserkrankung besteht. Jedoch auch hier ist davon
auszugehen, dass der behandelnde Arzt seinem Patienten regelmäßig
näher stehen wird, als dem Auskunft einfordernden Arbeitgeber.
61
XII. Anspruch auf Krankengeld
Nach § 44 SGB V haben Versicherte
„Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie
arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse
stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder
Rehabilitationseinrichtung behandelt werden.“
62
Die Voraussetzungen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit sind dabei
identisch mit denen des Entgeltfortzahlungsanspruchs. Insbesondere ist
auch dem Sozialrecht die Teilarbeitsunfähigkeit fremd.
Dass die Arbeitsunfähigkeit ohne Verschulden eingetreten ist, ist hingegen
kein Tatbestandsmerkmal.
Nach § 52 SGB V kann die gesetzliche Krankenversicherung jedoch den
Versicherten bei Verschulden an den Kosten der Leistung in angemessener
Höhe beteiligen und das Krankengeld ganz oder teilweise für die Dauer
dieser Krankheit versagen und zurückfordern.
Im Gegensatz zu dem vertraglichen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber,
handelt es sich bei der Entscheidung über die Bewilligung des
Krankengeldes um einen Verwaltungsakt. Beide Ansprüche bestehen dem
Grunde nach nebeneinander. Sie haben beide die Funktion, das wegen
Arbeitsunfähigkeit nicht erzielte Arbeitsentgelt zu ersetzen. Um jedoch eine
doppelte Inanspruchnahme zu verhindern, ruht der Anspruch auf
Krankengeld, soweit Entgeltfortzahlung entrichtet wird nach § 49 Abs. 1
Nr.1 SGB V:
„Der Anspruch auf Krankengeld ruht,
1. soweit und solange Versicherte beitragspflichtiges
Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erhalten; dies gilt nicht
für einmalig gezahltes Arbeitsentgelt,“
Kommt der Arbeitgeber der Entgeltfortzahlung hingegen nicht nach,
obschon
er
hierzu
verpflichtet
ist,
muss
die
gesetzliche
Krankenversicherung dem Versicherten Krankengeld zahlen. Die
Krankenkasse erwirbt zum Ausgleich für die Leistung an den versicherten
Arbeitnehmer dessen Anspruch gegen den Arbeitgeber durch Übergang
der Forderung nach § 115 SGB X.
Neu eingefügt ist der aufgrund von Organ- oder Gewebespende
bestehende Krankengeldanspruch nach § 44a SGBV:
63
„Spender von Organen oder Geweben nach § 27 Abs. 1a haben
Anspruch auf Krankengeld, wenn eine im Rahmen des
Transplantationsgesetzes erfolgende Spende von Organen oder
Geweben an Versicherte sie arbeitsunfähig macht. Das
Krankengeld wird den Spendern von der Krankenkasse der
Empfänger in Höhe des vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit
regelmäßig erzielten Nettoarbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens bis zur Höhe des Betrages der kalendertäglichen
Beitragsbemessungsgrenze geleistet.“
Nicht erfasst werden Blutspender, was auch sachgerecht ist, da es sich
gegenüber der Spende von Organen oder Geweben um keinen
vergleichbar intensiven Eingriff in die körperliche Unversehrtheit handelt.
Der Anspruch auf Krankengeld entsteht nach § 46 SGB V
„1. bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer
Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40
Abs. 2 und § 41) von ihrem Beginn an,
2. im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen
Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt.“
Bei stationärer Behandlung entsteht ab dem Tag der Aufnahme in die
Einrichtung der Krankengeldanspruch, unabhängig von einer ärztlichen
Bescheinigung oder Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit.
Ansonsten entsteht der Anspruch erst am Folgetag der ärztlichen
Feststellung.
Da der Krankengeldzuschuss an das Krankengeld gekoppelt ist, steht auch
dieser Arbeitgeberzuschuss dem Beschäftigten erst am Folgetag zu.
Wichtig: Daher ist bei Folgebescheinigungen darauf zu achten, dass der
Beschäftigte sich diese einen Tag vor Ablauf der vorherigen Bescheinigung
vom Arzt ausstellen lässt. Denn eine Rückdatierung der Arbeitsunfähigkeit
nach ärztlicher Feststellung ist nicht zulässig. Zwar sieht § 5 Abs. 3 der
64
Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien ausnahmsweise bis zu zwei Tagen eine
Rückdatierung vor. Das BSG81 hat diese Richtlinie jedoch für unvereinbar
mit § 46 SGB V erklärt. Ausnahmen hat die Rechtsprechung nur dann
anerkannt, wenn eine verspätete ärztlichen Feststellung erfolgt, die dem
Verantwortungsbereich
des
Versicherten
entzogen
sind,
wie
Organisationsmängel
der
Krankenkasse,
Fehldiagnosen
oder
82
geschäftsunfähige Vertreter.
Die Höhe des Krankengeldanspruchs bemisst sich nach § 47 SGB V:
„Das Krankengeld beträgt 70 vom Hundert des erzielten
regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit
es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Das aus
dem Arbeitsentgelt berechnete Krankengeld darf 90 vom
Hundert des bei entsprechender Anwendung des Absatzes 2
berechneten Nettoarbeitsentgelts nicht übersteigen.“
Die Dauer des Krankengeldbezugs ergibt sich aus § 48 SGB V:
„Versicherte erhalten Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung,
für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit
jedoch für längstens achtundsiebzig Wochen innerhalb von je
drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der
Arbeitsunfähigkeit an. Tritt während der Arbeitsunfähigkeit eine
weitere Krankheit hinzu, wird die Leistungsdauer nicht
verlängert.
81
82
vom 26.06.2007, B 1 KR 8/07R
BSD vom 28.10.1981, BSGE 52, 254; vom 17.08.1982, BSGR 54, 62; vom 22.06.1966, 3 RK 14/64
65
Für Versicherte, die im letzten Dreijahreszeitraum wegen
derselben Krankheit für achtundsiebzig Wochen Krankengeld
bezogen haben, besteht nach Beginn eines neuen
Dreijahreszeitraums ein neuer Anspruch auf Krankengeld wegen
derselben Krankheit, wenn sie bei Eintritt der erneuten
Arbeitsunfähigkeit mit Anspruch auf Krankengeld versichert
sind und in der Zwischenzeit mindestens sechs Monate
1. nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig waren und
2. erwerbstätig waren oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung
standen.
Bei der Feststellung der Leistungsdauer des Krankengeldes
werden Zeiten, in denen der Anspruch auf Krankengeld ruht oder
für die das Krankengeld versagt wird, wie Zeiten des Bezugs von
Krankengeld berücksichtigt. Zeiten, für die kein Anspruch auf
Krankengeld besteht, bleiben unberücksichtigt.“
Für höchstens 78 Wochen erhalten demnach Versicherte wegen derselben
Krankheit einen Anspruch auf Krankengeld. Aufgrund des Grundsatzes der
Einheit vom Versicherungsfall werden hinzutretende Krankheiten in den
Bezugszeitraum eingerechnet und führen zu keiner Verlängerung der
Dauer des Bezugs.
Die Höchstgrenze ist dem Umstand geschuldet, dass bei dauerhaft
eingetretener Erwerbsminderung des Versicherten Entgeltersatzleistungen
durch die gesetzliche Rentenversicherung zur Verfügung zu stellen sind.
Der Berechnung der 78 Wochen werden pro Woche je sieben Tage
zugrunde gelegt, so dass der Bezugszeitraum auf 546 Tage begrenzt ist.
Nicht nur die Tage sind dabei zu berücksichtigen, an denen Krankengeld
auch tatsächlich gezahlt wird, sondern auch diejenigen, an denen der
Anspruch ruht oder versagt wird, so etwa wenn ein Anspruch auf
Entgeltfortzahlung gegenüber dem Arbeitgeber besteht. Die Zeiten müssen
nicht zusammenhängend vorliegen. Stattdessen sind die einzelnen
Bezugszeiträume zusammen zu zählen.
Die auch als Blockfrist bezeichnete Rahmenfrist beträgt drei Jahre. Der
Anspruch auf 78 Wochen ist demnach auf einen Zeitraum von drei Jahren
66
begrenzt. Die Frist berechnet sich dabei nach § 26 SGB X i.V.m. § 187
Abs. 2 BGB, § 188 Abs. 2, 2. Hs. BGB, da bei der Fristberechnung der
Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit mitzurechnen ist. Demzufolge
ist nicht auf Kalenderjahre abzustellen, sondern auf Jahreszeiträume vom
Beginn der Arbeitsunfähigkeit an. An die erste Blockfrist schließt sich die
folgende unmittelbar an, die dazu führt, dass das Anspruchsrecht wieder
auflebt. Dieses wird unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 SGB V
gewährt. Insbesondere muss der Versicherte in der Zwischenzeit
mindestens sechs Monate wegen dieser Krankheit arbeitsfähig gewesen
sein. Die sechs Monate sind eine Zeitspanne, keine Kalendermonate; es
muss keine zusammenhängende Arbeitsphase vorliegen, so dass es sich
auch um mehrere Teilabschnitte handeln kann. Der Monat wird hierbei
nach § 191 BGB mit 30 Tagen berechnet.
Die Zwischenzeit von sechs Monaten beginnt mit dem Ende der letzten
Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit. In dieser muss der
Versicherte erwerbstätig gewesen sein oder der Arbeitsvermittlung zur
Verfügung gestanden haben. Regelmäßig handelt es sich um eine
Arbeitnehmertätigkeit, es kann sich aber auch um eine selbständige
Erwerbstätigkeit handeln.
XIII. Anspruch auf Krankengeld bei Erkrankung des Kindes
Ist der Anwendungsbereich des SGB V gegeben, umfasst der
sozialrechtliche Anspruch des § 44 SGB V neben dem
Krankengeldanspruch für die Erkrankung des Versicherten selbst nach § 45
SGB V einen eigenständigen Krankengeldanspruch bei Erkrankung des
Kindes:
67
„(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankengeld, wenn es nach
ärztlichem
Zeugnis
erforderlich
ist,
dass
sie
zur
Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und
versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, eine andere in ihrem
Haushalt lebende Person das Kind nicht beaufsichtigen,
betreuen oder pflegen kann und das Kind das zwölfte
Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe
angewiesen ist. § 10 Abs. 4 und § 44 Absatz 2 gelten.
Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 besteht in jedem
Kalenderjahr für jedes Kind längstens für 10 Arbeitstage, für
alleinerziehende Versicherte für längstens 20 Arbeitstage. Der
Anspruch nach Satz 1 besteht für Versicherte für nicht mehr als
25 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte für nicht mehr
als 50 Arbeitstage je Kalenderjahr. Das Krankengeld nach Absatz
1 beträgt 90 Prozent des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts aus
beitragspflichtigem Arbeitsentgelt der Versicherten, bei Bezug
von beitragspflichtigem einmalig gezahltem Arbeitsentgelt (§ 23a
SGB IV) in den der Freistellung von Arbeitsleistung nach Absatz
3 vorangegangenen zwölf Kalendermonaten 100 Prozent des
ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts aus beitragspflichtigem
Arbeitsentgelt;
es
darf
70
Prozent
der
Beitragsbemessungsgrenze nach § 223 Absatz 3 nicht
überschreiten. Erfolgt die Berechnung des Krankengeldes nach
Absatz 1 aus Arbeitseinkommen, beträgt dies 70 Prozent des
erzielten regelmäßigen Arbeitseinkommens, soweit es der
Beitragsberechnung unterliegt. § 47 Absatz 1 Satz 6 bis 8 und
Absatz 4 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.“
Für jedes unter zwölfjährige Kind besteht bei dessen Erkrankung ein
Anspruch auf Krankengeld von längstens 10 Arbeitstagen, für
Alleinerziehende längstens 20 Arbeitstage je Kalenderjahr. Begrenzt ist der
Anspruch nach § 45 Abs. 3 SGB V, soweit der Beschäftigte mehr als ein
Kind hat, auf 25 Tage bzw. 50 Tage für Alleinerziehende je Kalenderjahr.
Unerheblich ist es nach Auffassung des BSG vom 26.6.2007 - B 1 KR
33/06 R, ob die Alleinerziehende das gemeinsame Sorgerecht über das
Kind hat; maßgeblich ist, dass sie in häuslicher Gemeinschaft allein mit
dem Kind lebt.
68
Als Kinder gelten auch Stiefkinder und Enkel, die der gesetzlich Versicherte
überwiegend unterhält, sowie Pflegekinder. Kinder, die mit dem Ziel der
Annahme als Kind in die Obhut des Annehmenden aufgenommen sind und
für die die zur Annahme erforderliche Einwilligung der Eltern erteilt ist,
gelten als Kinder des Annehmenden und nicht mehr als Kinder der
leiblichen Eltern. Stiefkinder sind auch die Kinder des Lebenspartners eines
Versicherten.
Für nicht gesetzlich versicherte Beschäftigte oder gesetzlich versicherte
Beschäftigte mit einem nicht gesetzlich versicherten Kind kommt der
tarifliche Anspruch hingegen zur Anwendung.
Hat das erkrankte Kind das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, besteht
ein Befreiungsanspruch auf bis zu vier Arbeitstage, § 29 Abs. 1 e) bb)
TVöD. Laut BMI-Rundschreiben vom 25.8.2008 wird dieser Anspruch für
jedes Kind gewährt.
Sind die vier Tage nicht ausreichend, besteht ein Freistellungsanspruch bis
zur Gesamthöhe nach § 45 Abs. 5 SGB V, da diese Vorschrift einen
unbezahlten Freistellungsanspruch unabhängig vom Versichertenstatus
gewährt.
Eine Aufteilung des Anspruchs auf halbe Tage wird seit dem 1.9.2008
anerkannt (BMI-Rundschreiben vom 25.8.2008).
Dem Anspruch steht nicht entgegen, wenn sich das Kind in stationärer
Behandlung befindet. Nach dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin
(vom 12.3.1986, L 9 Kr 29/85) ist der Anspruch auf Krankengeld auch zu
gewähren, wenn es medizinisch erforderlich ist, dass der Versicherte zur
Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege seines erkrankten Kindes im
Krankenhaus (Mitaufnahme als Begleitperson) der Arbeit fernbleibt.
69
XIV. Höhe des Entgeltfortzahlungsanspruchs
1. Entgeltfortzahung gem. § 21 TVöD
Die Höhe des Entgeltfortzahlungsanspruchs bemisst sich nach § 21 TVöD.
Danach werden das Tabellenentgelt sowie die sonstigen in Monatsbeträgen
festgelegten Entgeltbestandteile weitergezahlt (Satz 1).
70
Entgelte für Bereitschaftsdienste und Zeiten der Arbeitsleistung innerhalb
der Rufbereitschaft sind folglich im Rahmen der Durchschnittsberechnung
mit einzubeziehen.
Erhöht sich während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit das
Entgelt, weil eine höhere Entgeltstufe erreicht wird, so ist von diesem Monat
an das höhere Tabellenentgelt dem Beschäftigten zu zahlen.
Entfällt demgegenüber nach § 14 TVöD eine Zulage, so mindert sich
entsprechend das Entgelt.
Zu Grunde zu legen ist folglich das Entgelt, das der Beschäftigte erhalten
hätte, soweit er seiner Arbeitspflicht nachgekommen wäre.
Die nicht in Monatsbeträgen festgelegten Entgeltbestandteile werden als
Durchschnitt auf Basis der dem maßgebenden Ereignis für die
Entgeltfortzahlung vorhergehenden letzten drei vollen Kalendermonate
(Berechnungszeitraum) gezahlt (Satz 2).
Satz 3 weist darauf hin, dass für Überstunden und Mehrarbeit, wie auch
Leistungsentgelte, Jahressonderzahlungen sowie besondere Zahlungen
nach § 23 Abs. 2 und 3 TVöD gezahlte Entgelte jedoch ausgenommen
sind. Sind die Überstunden und Mehrarbeit demgegenüber im Dienstplan
vorgesehen, so sind sie dennoch einzubeziehen.
Übersteigt die Dauer der Arbeitsunfähigkeit einen Monate, so erfolgt keine
Neuberechnung;
die
Ausgangsberechnung
wird
für
den
Entgeltfortzahlungsanspruch beibehalten.
Wie sich aus der Protokollerklärung zu § 21 TVöD ergibt, gelten als volle
Kalendermonate diejenigen, an welchen das Arbeitsverhältnis an allen
Arbeitstagen bestanden hat. Fehlt es an dieser Voraussetzung – hat das
Arbeitsverhältnis weniger als drei Kalendermonate bestanden – sind nur die
vollen Kalendermonate zur Berechnung heranzuziehen.
Verändert sich die individuelle Arbeitszeit des Beschäftigten, so ist auf die
neue Arbeitszeit abzustellen und insoweit die vollen Kalendermonate
heranzuziehen. Liegt hingegen noch gar kein voller Kalendermonat mit der
geänderten Arbeitszeit vor, ist hat sich das Entgelt am tatsächlichen Ausfall
zu bemessen.
2. Krankengeldzuschuss
71
§ 22 Abs. 2 TVöD
Entgeltfortzahlung:
trifft
folgende
ergänzende
Regelung
zur
„Nach Ablauf des Zeitraums gemäß Absatz 1 erhalten die
Beschäftigten für die Zeit, für die ihnen Krankengeld oder
entsprechende gesetzliche Leistungen gezahlt werden, einen
Krankengeldzuschuss in Höhe des Unterschiedsbetrags
zwischen
den
tatsächlichen
Barleistungen
des
Sozialversicherungsträgers und dem Nettoentgelt. Nettoentgelt
ist das um die gesetzlichen Abzüge verminderte Entgelt im Sinne
des § 21 (mit Ausnahme der Leistungen nach § 23 Abs. 1); bei
freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten
Beschäftigten
ist
dabei
deren
Gesamtkrankenund
Pflegeversicherungsbeitrag abzüglich Arbeitgeberzuschuss zu
berücksichtigen.
Für
Beschäftigte,
die
nicht
der
Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung
unterliegen
und
bei
einem
privaten
Krankenversicherungsunternehmen versichert sind, ist bei der
Berechnung
des
Krankengeldzuschusses
der
Krankengeldhöchstsatz, der bei Pflichtversicherung in der
gesetzlichen Krankenversicherung zustünde, zugrunde zu legen.
Bei Teilzeitbeschäftigten ist das nach Satz 3 bestimmte fiktive
Krankengeld entsprechend § 24 Abs. 2 zeitanteilig
umzurechnen.“
Hat der Beschäftigte bereits sechs Wochen Entgeltfortzahlung bezogen, so
erhält er im Anschluss hieran zum einen, soweit er gesetzlich
krankenversichert ist, nach § 45 SGB V, einen Anspruch auf Krankengeld.
Dieses bemisst sich nach § 47 SGB V in Höhe von 70 % des erzielten
regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens und ist der Höhe
nach auf maximal 90 % des Nettoarbeitsentgelts begrenzt.
Gewährt wird der Anspruch auf Krankengeld längstens für die Dauer von 78
Wochen innerhalb von drei Jahren gem. § 48 SGB V, wobei der
sechswöchige Entgeltfortzahlungszeitraum hiervon in Abzug zu bringen ist,
mit der Folge, dass das Krankengeld 72 Wochen gewährt wird.
72
Ergänzt wird der sozialrechtliche Anspruch um den tariflichen Anspruch auf
Krankengeldzuschuss nach § 22 Abs. 2 TVöD bis zur Höhe des
Nettoentgelts.
Dieser Anspruch wird gleichfalls gewährt, soweit eine entsprechende
gesetzliche Leistung erfolgt. Hierunter werden solche aus der gesetzlichen
Renten- oder Unfallversicherung erfasst, wie auch Übergangsgeld nach §§
20 ff SGB VI, Verletztengeld nach §§ 45 ff SGB VII und Leistungen nach
dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die Dauer des Anspruchs auf Krankengeldzuschuss wird durch § 22 Abs. 3
TVöD begrenzt:
„Der Krankengeldzuschuss wird bei einer Beschäftigungszeit (§
34 Abs. 3)
von mehr als einem Jahr längstens bis zum Ende der 13. Woche
und
von mehr als drei Jahren längstens bis zum Ende der 39. Woche
seit dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit infolge derselben
Krankheit gezahlt. Maßgeblich für die Berechnung der Fristen
nach Satz 1 ist die Beschäftigungszeit, die im Laufe der
krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vollendet wird.“
Ist ein Arbeitnehmer hingegen lediglich bis zu einem Jahr beschäftigt,
erhält er überhaupt keinen Krankengeldzuschuss. Es verbleibt bei dem
Entgeltfortzahlungsanspruch, dem sich der Krankengeldanspruch
anschließt.
Erkrankt der Beschäftigte bevor er den Beschäftigungszeitraum von mehr
als einem bzw. drei Jahren erreicht hat und überschreitet er im
Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen den Ein- bzw.
Dreijahreszeitraum, so erhält er sodann bis zur 13. Woche bzw. bis zur 39.
Woche den Krankengeldzuschuss.
73
Denn maßgeblich für die zur Feststellung der Fristen zu berechnende
Beschäftigungszeit ist die Zeit, die während der Dauer der bestehenden
Arbeitsunfähigkeit erreicht wird. Der Anspruch auf den tariflichen
Krankengeldzuschuss
kann
auch
während
einer
bestehenden
Arbeitsunfähigkeit entstehen. Insoweit wird der Krankengeldzuschuss so
gezahlt, als hätte der Beschäftigte bereits zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit
die erforderliche Beschäftigungszeit erreicht.
Ob also ein Anspruch für 13 oder 39 Wochen Krankengeldzuschuss
besteht, kann in Einzelfällen erst während einer Arbeitsunfähigkeit ermittelt
werden, wenn während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit der
Beschäftigungszeitraum von einem bzw. drei Jahren überschritten wird.
Es sollte grundlegend überdacht werden, ob hierdurch nicht ein falsches
Anreizsystem geschaffen worden ist, sich über den jeweiligen Zeitraum
hinaus „krank schreiben zu lassen“.
Beispiel 15:
Eine Beschäftigte wird zum 01.10.2014 im öffentlichen Dienst eingestellt.
Am 30.08.2015 wird sie arbeitsunfähig krank bis zum 31.10.2015. Nach
Ablauf des sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruchs dem 10.10.2015,
erhält die Beschäftigte, da sie nunmehr mehr als ein Jahr
Beschäftigungszeit vorweisen kann, einen Krankengeldzuschuss zum
Krankengeld bis zum 31.10.2015.
Beispiel 16:
Eine zum 01.01.2014 im öffentlichen Dienst eingestellte Beschäftigte ist
durchgehend seit dem 01.11.2014 arbeitsunfähig. Nach Ablauf der mit dem
01.11.2014 laufenden sechswöchigen Entgeltfortzahlung nach § 22 Abs.1
TVöD erhält sie zum einen Krankengeld. Da sie mit Ablauf des 01.01.2015
eine Beschäftigungszeit von einem Jahr vollendet, steht ihr nach Ablauf der
sechswöchigen Entgeltfortzahlung (12.12.2014) ab dem 13.12.2014 bis
74
zum 30.01.2015 Krankengeldzuschuss zu (Wortlaut: mehr als einem
Jahr). 83
Beispiel 17:
Ein Beschäftigter mit einer Beschäftigungszeit von vier Jahren ist seit dem
01.03. aufgrund einer Lungenentzündung arbeitsunfähig erkrankt bis zum
28.03. Während dieser krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit verbrennt
sich der Beschäftigte am 23.03. und ist infolgedessen bis zum 25.04.
arbeitsunfähig. In der Zeit vom 01.03. bis zum 11.04. (42 Kalendertage)
erhält er zunächst Entgeltfortzahlung. Nach dem Grundsatz der Einheit des
Versicherungsfalls
löst
die
Brandverletzung
keinen
neuen
Entgeltfortzahlungsanspruch von sechs Wochen aus. Ab dem 12.04. erhält
der Beschäftigte daher Krankengeldzuschuss.
Darauf zu achten ist, dass sich die Bezugsfrist von 13 bzw. 39 Wochen vom
Beginn der Arbeitsunfähigkeit an berechnet, so dass die ersten sechs
Wochen, für die das Entgelt fortgezahlt wird, in den Bezugszeitraum mit
einzurechnen sind. Das hat - wie auch beim Krankengeldanspruch
vergleichbar, auf den der Entgeltfortzahlungsanspruch auch angerechnet
wird – zu Folge, dass der Krankengeldzuschuss für höchstens bis zu 33
Wochen gewährt wird. 84
Die Bezugsfrist berechnet sich folglich auch dann vom Beginn der
Arbeitsunfähigkeit, wenn die Entgeltfortzahlung nicht vom Beginn der
Arbeitsunfähigkeit an geleistet wird, sondern erst später einsetzt.
Beispiel 18:
Eine Beschäftigte mit einer Beschäftigungszeit von fünf Jahren nahm
Elternzeit ohne Inanspruchnahme von Teilzeit bis zum 31.03. Seit dem
01.03. ist sie arbeitsunfähig erkrankt bis zum 15.12. Infolgedessen nimmt
die Beschäftigte die Arbeit nicht am 01.04., sondern erst am 16.12. wieder
auf. Die Beschäftigte erhält zunächst vom 01.04. bis zum 12.05
83
A.A.: Bepler/Böhle/Meerkamp/Stöhr, TVöD, § 22, Rn.25.1, die den 02.01. als maßgeblichen Beginn der
Zuschusszahlung ansehen.
84
Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck, TVöD, § 22, Rn.169
75
Entgeltfortzahlung (und nicht nur bis zum 11.04., dem Ablauf von 42
Kalendertagen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit). Ab dem 13.05. hat die
Beschäftigte einen Anspruch auf Krankengeldzuschuss bis zum 28.11.
Denn die Bezugsfrist für den Krankengeldzuschuss beginnt bereits am
01.03. und nicht erst am 01.04.
3. Krankengeldzuschuss bei Wiederholungserkrankungen
Liegt eine Wiederholungserkrankung vor, so hat dies auch Auswirkungen
auf die Dauer des Krankengeldzuschusses. Dem Beschäftigten steht der
Krankengeldzuschuss nur einmal für bis zu 39 Wochen zu.
Im Gegensatz zu der Regelung des § 3 Abs. 1, Satz 2 EFZG, der bei
Wiederholungserkrankungen einen neuen Anspruch gewährt, sieht die
tarifvertragliche Regelung eine solche erneute Leistung nicht vor. Der
Anspruch auf Krankengeldzuschuss lebt gerade nicht wieder auf, wenn der
Beschäftigte seine Tätigkeit wieder aufgenommen hat und ein halbes Jahr
ununterbrochen gearbeitet hat.
Beispiel 19:
Ein Beschäftigter mit einer Beschäftigungszeit von neun Jahren erkrankt an
Diabetes. Die Krankheit wird erstmalig am 1.12.2011 attestiert und besteht
bis zum 26.07.2012 fort. Am 27.07.2012 nimmt der Beschäftigte seine
Arbeit wieder auf, um am 01.10.2012 erneut an ihr bis zum 20.01.2013 zu
erkranken. Am 21.01.2013 nimmt der Beschäftigte die Arbeit wieder auf.
Am 01.05.2013 ist er wieder arbeitsunfähig infolge der Diabetes.
Der Arbeitgeber hat vom 01.12.2011 bis zum 11.01.2012 Entgeltfortzahlung
(42 Kalendertage) zu zahlen. Ab dem 12.01.2012 bis zum 26.07.2012
(Ende der 33. Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit) erhält er
Krankengeldzuschuss. Vom 01.10.2012 bis zum 04.11.2012 (fünf Wochen)
wird noch Krankengeldzuschuss gezahlt. Ein weiterer Anspruch auf
Entgeltfortzahlung besteht nicht, weil zwischen dem Ende der ersten
Krankheitsperiode und dem Beginn der zweiten keine sechs Monate
verstrichen sind. Auch sind bei Beginn der erneuten Arbeitsunfähigkeit seit
dem Beginn der ersten Krankheit nicht zwölf Monate vergangen. Ab dem
76
05.11.2012 besteht kein Anspruch auf Krankengeldzuschuss mehr bis zum
20.01.2013. Denn insgesamt sind für diese Krankheit 39 Wochen
Entgeltfortzahlung und Krankengeld entrichtet worden. Am 01.05.2013, der
dritten Krankheitsperiode besteht ein erneuter Anspruch auf
Entgeltfortzahlung, da seit Beginn der Ersterkrankung mehr als ein Jahr
vergangen ist, der Anspruch auf Krankengeldzuschuss lebt aber nicht
wieder auf.
Erhält der Beschäftigte nur noch einen Anspruch auf Krankengeldzuschuss,
weil der Entgeltfortzahlungszeitraum bereits abgelaufen ist, so ist es
wichtig, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit dem Eintritt der
erneuten Arbeitsunfähigkeit und nicht erst später vorgelegt wird. Denn der
Krankengeldzuschuss ist an den des Krankengeldes gekoppelt. Nach § 46
Abs. 1, Satz 1 SGB V wird – abgesehen von stationärer Aufnahme – das
Krankengeld erst von dem Tag an geleistet, der auf den Tag der ärztlichen
Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt.
Beispiel 20:
Ein Beschäftigter, der den Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen
bereits ausgeschöpft hat, erkrankt erneut an einem Donnerstag. Er ist zwar
regelmäßig erst verpflichtet, ab dem darauffolgenden Montag eine ärztliche
Bescheinigung vorzulegen. Jedoch erhält er bei Vorlage am Montag auch
erst am Dienstag Krankengeld und damit Krankengeldzuschuss.
4. Höchstgrenzen des Krankengeldzuschusses im Kalenderjahr
Der in § 22 TVöD normierte Krankengeldzuschuss stellt eine Höchstgrenze
pro Kalenderjahr von 13 bzw. 39 Wochen insgesamt dar.
Die Höchstgrenze gilt dabei nicht nur für Ersterkrankungen, sondern auch
für Wiederholungserkrankungen oder neue Arbeitsunfähigkeit auslösende
Ursachen.85
85
Breiser/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck, TVöD, § 22, Rn.172.1
77
Beispiel 21:
Ein Beschäftigter mit einer Beschäftigungszeit von 2 Jahren stürzt vom
Pferd und zieht sich eine Fraktur des linken Beines zu. Vom 14.01 bis zum
24.03. ist er zehn Wochen arbeitsunfähig. Nach Rückkehr zur Arbeit
beginnt er am 31.03. eine Reha-Maßnahme, die vier Wochen bis zum
27.04. dauert. Am 28.04. nimmt er die Arbeit wieder auf. Im Juli erleidet der
Beschäftigte eine Bauchspeicheldrüsenerkrankung. Er ist für fünf Wochen,
vom 17.07. bis zum 20.08., arbeitsunfähig. Im November des gleichen
Jahres wird ihm eine Zyste im linken Bein entfernt, die sich aufgrund der
Fraktur gebildet hat und zu einer siebenwöchigen Arbeitsunfähigkeit führt,
vom 05.11. bis 23.12.
Der Beschäftigte erhält zunächst für die ersten sechs Wochen - der Fraktur
– Entgeltfortzahlung (14.01. bis 24.02.). Sodann folgt der vierwöchige
Krankengeldzuschuss (25.02. bis 24.03.). Da die Reha-Maßnahme eine
Wiederholungserkrankung
ist,
steht
dem
Beschäftigten
keine
Entgeltfortzahlung mehr zu. Er erhält Krankengeldzuschuss für drei
Wochen, vom 31.03. bis 20.04. Ab dem 21.04. besteht auch kein
Krankengeldzuschuss mehr, da die 13 Wochen Bezugshöchstfrist
ausgeschöpft ist.
Für die Bauchspeicheldrüsenerkrankung im Juli erhält der Beschäftigte
Entgeltzahlung, da es sich um eine neue Krankheit handelt.
Hinsichtlich der Entfernung der Zyste im November handelt es sich um eine
Wiederholungserkrankung, da sie in unmittelbarem Zusammenhang zur
Fraktur steht. Der Beschäftigte ist sechs Monate nach dem Ende der
Ersterkrankung am 24.03. nicht wegen dieser arbeitsunfähig erkrankt.
Daher hat er einen Anspruch auf weitere sechs Wochen Entgeltfortzahlung.
Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Krankenkassenzuschuss
besteht nicht, da der Beschäftigte bereits 13 Wochen im laufenden
Kalenderjahr erhalten hat.
Alternative:
Der Beschäftigte ist aufgrund seiner Fraktur vier Wochen arbeitsunfähig.
Die zweite Arbeitsunfähigkeit aufgrund anderer Ursache dauert von Juli bis
September elf Wochen. Eine Kur von vier Wochen schließt sich unmittelbar
78
an.
Die
dritte
Arbeitsunfähigkeit
stellt
ebenfalls
Wiederholungserkrankung dar und dauert sieben Wochen.
keine
Für die Ersterkrankung erhält der Beschäftigte vier Wochen
Entgeltfortzahlung. Sechs Wochen erhält er für die Zweiterkrankung.
Anschließend hat er einen Anspruch auf Krankengeldzuschuss für drei
Wochen, weil der Arbeitgeber bereits für zehn Wochen Entgeltfortzahlung
geleistet hat. Danach verbleiben nur noch drei Wochen Anspruch auf
Krankengeldzuschuss.
Hinsichtlich der Dritterkrankung erhält der Beschäftigte sechs Wochen
Entgeltfortzahlung.
Variante:
Wie der Ausgangsfall, jedoch umfasst die Ersterkrankung mit sich
anschließender Kur 16 Wochen. Hier erhält der Beschäftigte nach der
Entgeltfortzahlung über sechs Wochen noch sieben Wochen
Krankenkassenzuschuss. Da die Bezugsfrist überschritten ist, erhält der
Beschäftigte ab der 14. Woche keine Leistung mehr vom Arbeitgeber. Für
die zweite und dritte Erkrankung erhält der Beschäftigte Entgeltfortzahlung.
Geht eine Erkrankung von einem Kalenderjahr ins Folgejahr über, lebt der
Anspruch auf Krankengeldzuschuss wieder auf.
Beispiel 22:
Wie Variante Fall 21, jedoch beginnt die dritte Krankheit am 14.11.2013 und
dauert bis 26.02.2014, 15 Wochen.
Der Beschäftigte hat für die dritte Erkrankung im November zunächst einen
Anspruch auf Entgeltfortzahlung über sechs Wochen bis zum 25.12.2013.
Ab dem 26.12.2013 besteht kein Anspruch auf Krankengeldzuschuss, da
der Bezugszeitraum für das Kalenderjahr 2013 bereits erschöpft ist. Ab
dem 01.01.2014 lebt der Krankenkassenzuschuss wieder auf, so dass der
Beschäftigte bis zum 26.02.2014 die Leistung erhält.
79
XIV. Forderungsübergang bei Dritthaftung
Der TVöD enthält keine Regelung, wie der Forderungsübergang auf den
Arbeitgeber zu erfolgen hat, soweit die Arbeitsunfähigkeit auf einen Dritten
zurückzuführen ist.
Hilfe zur Behandlung entsprechender Fälle bietet indes § 6 EFZG, wonach
der Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegen einen Dritten
wegen Verdienstausfalls auf den Arbeitgeber übergeht, soweit dieser dem
Arbeitnehmer
Entgeltfortzahlung
geleistet
und
Beiträge
zur
Sozialversicherung abgeführt hat.
Hierzu hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber unverzüglich die zur
Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlichen Angaben zu
machen.
Sind allerdings Arbeitskollegen Schädiger des Arbeitnehmers, finden die
gesetzlichen Haftungsbeschränkungen der §§ 104 und 105 SGB VII
Anwendung. Zur Aufrechterhaltung des Betriebsfriedens soll die Haftung
von Beschäftigten innerhalb desselben Betriebes gegeneinander
ausgeschlossen
sein.
Hinzuweisen
bleibt
jedoch,
dass
die
Haftungsbeschränkung nicht für Leiharbeitnehmer gilt, die einen
Arbeitnehmer des entleihenden Betriebes schädigen.
XV. Betriebliches Eingliederungsmanagement
80
§ 84 Abs. 2 SGB IX regelt als Maßnahme der Prävention das betriebliche
Eingliederungsmanagement – BEM:
„Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs
Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt
der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im
Sinne des § 93, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit
der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und
Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeit, wie die
Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit
welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit
vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann
(betriebliches Eingliederungsmanagement). Soweit erforderlich
wird der Werk- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene
Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des
betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und
Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten
hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende
Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die
örtlichen
gemeinsamen
Servicestellen
oder
bei
schwerbehinderten
Beschäftigten
das
Integrationsamt
hinzugezogen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen
Leistungen oder Hilfen unverzüglich beantragt und innerhalb der
Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 erbracht werden. Die zuständige
Interessenvertretung im Sinne des § 93, bei schwerbehinderten
Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung , können
die Klärung verlangen. Sie wachen darüber, dass der
Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden
Verpflichtungen erfüllt.“
Hinter der Vorschrift steht der Ansatz des Arbeitgebers, ob er ein
Arbeitsverhältnis bei länger andauernder Krankheit aufrecht erhalten oder
aber dessen Beendigung verfolgen will. Gleichwohl ist die Intention des
Gesetzgebers auf die Vermeidung von krankheitsbedingten Kündigungen
gerichtet. Vielmehr soll unter Einbeziehung der Arbeitsvertragsparteien das
Arbeitsverhältnis derart gestaltet werden, dass die Arbeitskraft durch
81
Präventionsmaßnahmen derart gestärkt wird, um das Aussteuern von
Beschäftigten zu vermeiden.
Denn gegenwärtig werden jährlich ca. 400.000 Arbeitsverhältnisse aus
gesundheitlichen Gründen beendet. Weitere 200.000 Arbeitnehmer
scheiden gesundheitsbedingt vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus 86 .
Insbesondere psychische Erkrankungen sind in den vergangenen Jahren
nochmals deutlich angestiegen, mit der Folge, dass nach dem DAKGesundheitsreport 2014 dieser Krankheitsgruppe 14,6 % des
Krankenstandes zuzuordnen war 87.
Mit dem sog. BEM sollen gesundheitliche Einschränkungen zunächst
ermittelt werden, die zur krankheitsbedingten Abwesenheit am Arbeitsplatz
geführt haben, um sodann zu ermitteln, wie zukünftig weitere
Arbeitsausfälle verhindert werden können.
Das BEM – als Ausdruck der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers – findet
Anwendung auf länger als 42 Kalendertage pro Krankheitsjahr (nicht
Kalenderjahr!) erkrankte Arbeitnehmer, gleichgültig, ob schwerbehindert
oder nicht, vollzeit- oder teilzeitbeschäftigt. D.h., obschon im SGB IX
geregelt, werden vom persönlichen Anwendungsbereich alle
Beschäftigten – auch die Statusgruppe der Beamten - erfasst.
Vom sachlichen Anwendungsbereich werden nicht Kleinbetriebe i.S.d.
KSchG erfasst, wie auch der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist das BEM
durchzuführen, soweit die sechsmonatige Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG
nicht erfüllt ist.
Ab dem 43. Krankheitstag besteht die Pflicht das BEM durchzuführen.
Ist der Beschäftigte dauerhaft arbeitsunfähig, scheidet die Anwendung des
BEM aus.
Geklärt werden soll, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden, mit welchen
Hilfen und Leistungen eine erneute Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie
der Arbeitsplatz für den Beschäftigten weiter erhalten werden kann.
Demzufolge kann Ergebnis auch die Umsetzung oder Versetzung auf einen
anderen Arbeitsplatz sein.
Der Grundsatz SMART – spezifisch, messbar, akzeptabel, realistisch und
terminiert – liegen dem BEM zugrunde, wobei es sich um einen
86
87
Schmidt, Gestaltung und Durchführung des BEM, Rn.7.
Ebenda: S. VI und S. 19 ff
82
ergebnisoffenen Suchprozess handelt, der auf die individuellen Bedürfnisse
abzustimmen ist. Daher sollten alle Beteiligten dazu aufgefordert sein, ihre
Vorstellungen einzubringen. Wird dem nicht entsprochen, hat dies zur
Folge, dass das BEM im ganzen nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde.
Den Arbeitgeber trifft eine Initiativpflicht, mit der zuständigen
Interessenvertretung zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden
werden kann.
Dennoch können auch der Arbeitnehmer sowie die Interessenvertretung die
Durchführung des BEM einfordern. Der Arbeitnehmer kann jedoch auch
diese Präventionsmaßnahme ablehnen. Er darf sich ausdrücklich weigern,
die Maßnahme durchzuführen, hat jedoch seinerseits einen einklagbaren
Rechtsanspruch auf Durchführung des BEM.
Soweit der Arbeitgeber das BEM tatsächlich dazu nutzen will, der
gesetzgeberischen Intention und den Erhalt des Arbeitsplatzes
sicherzustellen, sollte er dies auch deutlich gegenüber dem Beschäftigten
zum Ausdruck bringen. Hierzu ist es unerlässlich den Beschäftigten darauf
hinzuweisen, dass er den Grund seiner Krankheit nicht zu nennen hat.
Lediglich diejenigen medizinischen Daten sollten mitgeteilt werden, die
erforderlich
sind,
um
die
betriebsbezogenen
Ursachen
der
Arbeitsunfähigkeit zu ermitteln und unter Berücksichtigung der
gesundheitlichen
Einschränkung
die
Einsatzmöglichkeiten
des
Beschäftigten prüfen zu können. Dem Beschäftigten muss ganz deutlich
vermittelt werden, dass er darauf vertrauen kann, dass er alle
personenbezogenen Daten ausschließlich freiwillig mitteilt und dass alle
mitgeteilten Gesundheitsdaten streng vertraulich behandelt werden. Nicht
nur die Schweigepflicht von Arbeitgeber und Interessenvertretung sind
streng einzuhalten, auch die betriebsärztliche Schweigepflicht ist zu
beachten, sofern Werks- oder Betriebsarzt beteiligt sind, § 10 BPerVG; §§
96 Abs. 7, 97 Abs. 7 SGB IX, § 35 SGB I i.V.m. §§ 67 ff SGB X.
Für jede (weitere) einzelne Information bedarf es der erneuten Zustimmung
des Beschäftigten. Auch ist eine gesonderte Datenschutzerklärung des
Beschäftigten erforderlich. Eine pauschale Zustimmung genügt diesen
Anforderungen nicht und ist unwirksam. Weiß hingegen der Beschäftigte,
83
dass der Abbau von Personal angestrebt wird, ist es nur schwer möglich,
das erforderliche Vertrauen aufzubauen.
Beispiel: Hat der Beschäftigte ein schweres Bandscheibenleiden, ist diese
Diagnose dem Arbeitgeber gerade nicht mitzuteilen. Entscheidend ist
vielmehr, wie viel der Beschäftigte – soweit für seine Tätigkeit erforderlich –
heben darf oder ob er etwa zur Entlastung ein Stehpult benötigt.
Für die Praxis bietet es sich an, eine Verfahrensordnung festzulegen, wer
welche Rahmenbedingungen durchzuführen berechtigt ist, um in einem
ggfs. folgenden Kündigungsprozess das BEM auch nutzen zu können.
Verweigert der Beschäftigte die Zustimmung und unterbleibt infolgedessen
das BEM ist dies nach Auffassung des BAG 88 kündigungsneutral.
In jedem Fall sind sowohl die Verweigerung wie auch die Zustimmung
schriftlich festzuhalten.
Hat der Arbeitnehmer das BEM abgelehnt, kann er sich allerdings in einem
evtl. späteren Kündigungsprozess nicht auf die fehlende Durchführung
desselben berufen.
In die Personalakte dürfen lediglich das Angebot des BEM und die
Stellungnahme des Arbeitnehmers aufgenommen werden; ergänzt um die
Benennung der Maßnahmen, die zur Überwindung bzw. Prävention von
Arbeitsunfähigkeit angeboten und umgesetzt werden sowie eine
Abschlussdokumentation; alle darüber hinausgehenden Gesundheitsdaten
unterliegen dem Arbeitnehmerpersönlichkeitsrecht und sind gesondert in
einer BEM-Akte zu führen.
Weitergehende Informationen können in einer Nebenakte gesondert geführt
werden, zu der jedoch nur derjenige Personenkreis Zugriff nehmen können
darf, der mit dem Vorgang zwingend betraut sein muss. Es ist darauf zu
achten, dass die Nebenakte - soweit noch in Papierform bestehend - in
einem verschlossenen Schrank mit eingeschränkten Zugangsrechten
88
vom 24.03.2011 – 2 AZR 170/10
84
aufbewahrt wird. Spätestens drei Jahre nach Beendigung des BEM ist die
Akte zu vernichten oder dem betroffenen Beschäftigten auszuhändigen.
Spricht der Arbeitgeber eine personenbedingte Kündigung aufgrund der
Krankheit in der Folge aus, so ist ein ordnungsgemäß durchgeführtes BEM
entscheidend für den Verlauf der Kündigungsschutzklage. Denn den
Arbeitgeber trifft die Darlegungs- und Beweislast, alle Maßnahmen
unternommen zu haben, die zu einem dauerhaften Einsatz des
Arbeitnehmers führen können.
Das BEM ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch
einer Kündigung.
Eine ohne BEM ausgesprochene Kündigung ist jedoch regelmäßig
sozialwidrig, da der ultima-ratio-Grundsatz nicht beachtet wurde,
wonach die Kündigung das letzte Mittel sein muss, nachdem alle möglichen
anderen Versuche gescheitert sind, von einer krankheitsbedingten
Kündigung abzusehen.
Auf die Sozialwidrigkeit mangels ordnungsgemäßem BEM kann sich der
Arbeitnehmer indes nur berufen, wenn überhaupt Alternativen in Betracht
hätten kommen können unter denen der Beschäftigte hätte weiterarbeiten
können. Ist die körperliche Beeinträchtigung derart gravierend, dass keine
Tätigkeit mehr möglich, diese unzumutbar oder völlig ungewiss ist, steht
das Unterlassen eines BEM der Kündigung nicht entgegen.
Das BEM wird jedoch noch nicht entbehrlich, wenn die medizinische
Untersuchung ergibt, dass die Arbeitsunfähigkeit nicht auf der Arbeit beruht.
Denn auch hier kann im Rahmen des BEM erarbeitet werden, wie die
private Lebensweise dergestalt verändert werden kann, dass sich der
gesundheitliche Zustand des Beschäftigten bessert. Zwar gibt es keine
generelle Gesunderhaltungspflicht des Beschäftigten, jedoch soll der
Beschäftigte einer innerhalb des BEM erarbeitetes Konzept umsetzen
müssen 89.
89
Schmidt, Gestaltung und Durchführung des BEM, Rn. 93, unter Bezugnahme auf: BAG vom 10.12.2009 – 2
AZR 400/08
85
XVI. Fazit
Tritt eine Störung im Arbeitsverhältnis auf, weil der Arbeitnehmer
krankheitsbedingt seiner Hauptleistungspflicht – der Arbeit – nicht
nachzukommen vermag, hat er gleichwohl regelmäßig einen Anspruch auf
Entgelt. Insoweit handelt es sich zweifellos um eine der bedeutendsten
sozialen Errungenschaft der modernen Arbeitswelt.
Mit diesem hohen Schutz des Arbeitnehmers sind jedoch auch in
Einzelfällen kritisch zu betrachtende Belastungen des Arbeitgebers
verbunden, soweit berechtigte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen,
diese jedoch vom Arbeitgeber nicht hinreichend dargelegt werden können.
Gleichwohl verdient die wirtschaftliche Absicherung des Arbeitnehmers
insoweit Vorrang mit der Folge, dass Ausnahmen von einer rechtmäßigen
Entgeltfortzahlung – so bitter dies im Einzelfall auch erscheinen mag schichtweg in Kauf zu nehmen sind.
86
B. Der Krankheitsfall bei Beamten
I. Einleitung
Mit dem Eintritt in das Beamtenverhältnis stellt sich der Beamte mit seiner
Person in den Dienst der Allgemeinheit. Ausfluss dessen ist es, dass der
Dienstherr auch die persönliche Rechtstellung des Beamten zu schützen
hat.
Denn die Fürsorge- und Schutzpflicht des Dienstherrn gehört zu den
hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums, die vom Gesetz- und
Verordnungsgeber zu beachten sind, wie Art. 33 Abs. 5 GG zu entnehmen
ist.
Daher hat der Dienstherr insbesondere für die Erhaltung der Gesundheit
und der Arbeitskraft des Beamten Sorge zu leisten. Der Schutz von Leben
und Gesundheit bezieht sich nicht zuletzt auf die Beeinträchtigung dieser
Schutzgüter durch die Arbeitsbedingungen und die Kollegen, wie durch
rauchende Mitarbeiter, für die zum Nichtraucherschutz entweder
Raucherräume zu schaffen sind oder die die Möglichkeit des Rauchens
außerhalb der Diensträume erhalten. Auch Mobbing oder Bossing sind vom
Dienstherrn zu unterbinden. Im ersteren geht es um einen Konflikt unter
Kollegen, im zweiten Fall um einen zwischen Vorgesetzten und
Untergebenen. Wird die Situation nicht behoben, führt diese regelmäßig zu
stressbedingten Krankheitssymptomen, Arbeitsausfall und letztlich zum
Verlust des Arbeitsplatzes. Schreitet der Dienstherr gegen eine Mobbingbzw. Bossing-Situation nicht ein, kann sich für das Opfer ein
Schadensersatzanspruch ergeben, der auf die Verletzung der
Fürsorgepflicht, des Persönlichkeitsrechts sowie den Gesundheitsschaden
und den Arbeitsausfall gestützt werden kann.
Ausfluss dessen ist es auch, dass der Beamte im Falle der
krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit vom Dienst fernbleiben darf und
gleichwohl weiter amtsangemessen alimentiert wird. Denn der Dienstherr
hat wegen seiner Fürsorgepflicht „Vorkehrungen zu treffen, dass der
87
amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten bei Eintritt besonderer
finanzieller Belastungen durch Krankheits-, Geburts- oder Todesfälle nicht
gefährdet wird“. 90
Bereits das Reichsgericht 91 hat darauf hingewiesen, dass der Dienstherr
den Beamten nicht in einer Weise belasten dürfe, die seine Arbeitskraft und
Leistungsfähigkeit deutlich übersteige und ihn geistig und körperlich lähme.
Sei der Beamte infolge Krankheit geschwächt, ohne dienstunfähig zu sein,
müsse er den Einschränkungen seiner Dienstfähigkeit entsprechend
geschont werden.
II. Krankheitsbedingte Dienstunfähigkeit
Wann ein Beamter krank und infolgedessen dienstunfähig ist, unterliegt
denselben Kriterien wie bei der Gruppe der Arbeitnehmer.
Auch hier bedarf es eines regelwidrigen körperlichen oder geistigen
Zustands, der eine Heilbehandlung erforderlich macht und sei es nur die
Zur-Ruhe-Stellung des Betroffenen.
Kann der Beamte infolge der Krankheit seinen Dienst nicht verrichten,
spricht man von Dienstunfähigkeit.
Tritt die krankheitsbedingte Dienstunfähigkeit des Beamten ein, so bedarf
es keiner Freistellung vom Dienst durch den Dienstvorgesetzten.
Wann Dienstunfähigkeit im Einzelfall vorliegt, hängt von der dem Beamten
konkret übertragenen dienstlichen Aufgabe ab. Zutreffend der BadenWürttembergische Verwaltungsgerichtshof 92 entschieden, dass dem
Beamten der Nachweis der aus gesundheitlichen Gründen geltend
gemachten Unmöglichkeit der Teilnahme an einem ungewünschten
Lehrgang nicht deshalb erspart bleibt, weil er gleichzeitig seine
Dienstleistung in seinem „normalen“ Wirkungsbereich anbietet.
90
BVerfGE 43, 154
RGZ 126, 362
92
DÖD 1976, 38
91
88
III. Gesunderhaltungspflicht
Den Beamten trifft die Pflicht zur Erhaltung der Gesundheit,
zurückzuführen auf den Verfassungsauftrag der Verwaltung, im Interesse
des Gemeinwohls eine funktionstüchtige, stabile und vertrauensvolle
Diensterfüllung zu garantieren. 93
Das Beamtenrecht selbst präzisiert diese Pflicht wie auch den Begriff der
Gesundheit nicht. Auszulegen ist daher, welches Verhalten – Tun wie auch
Unterlassen – der Beamte seinem Dienstherrn schuldet, um nicht den
objektiven Tatbestand der ihm obliegenden Gesunderhaltungspflicht zu
verletzen.94
Differenziert wird dabei zwischen einer allgemeinen Gesunderhaltungspflicht und einer besonderen Gesunderhaltungspflicht für bestimmte
Beamte(ngruppen).
Die allgemeine Gesunderhaltungspflicht hat zur Folge, dass der Beamte
sich so zu verhalten hat, wie dies die „soziale Gemeinschaft“ allgemein
billigt. Insoweit kann etwa hinsichtlich der Risikosportarten, des Konsums
von Alkohol, Tabak und Medikamenten sowie der Teilnahme am
Straßenverkehr auf die im Arbeitsrecht entwickelten Grundsätze verwiesen
werden. Selbst hinsichtlich des Genusses von Haschisch hat das
BVerwG 95 darauf hingewiesen, dass die Verpflichtung des Beamten sich
gesund zu verhalten, nicht so weit geht, dass bereits die abstrakte Gefahr,
durch eine auf die eigene Lebensführung zurückzuführende Erkrankung in
seiner Dienstfähigkeit gemindert oder gar dienstunfähig zu werden,
gemieden werden müsse. Eine Grenze soll jedoch erreicht sein, soweit der
Beamte infolge des Suchtmittelgebrauchs nicht mehr voll oder überhaupt
nicht mehr einsetzbar ist.
93
Ebert, Das gesamte öffentliche Dienstrecht, 260, 8 b)
Weiß, ZBR 1982, 6
95
vom 10.12.1985, DÖV 1986, 658
94
89
Ist der Krankheitsfall eingetreten, so hat der Beamte alles ihm zumutbar
Mögliche zu tun, was der Wiedererlangung seiner vollen Dienstfähigkeit
nützt, und zu unterlassen, was dieser schadet. So hat er den ärztlichen
Anordnungen Folge zu leisten und ggf. verordnete Arzneien einzunehmen.
Gleichwohl kann der Beamte unter Berufung auf Art. 4 GG aus
anzuerkennender Glaubensüberzeugung eine bestimmte Heilmethode
ablehnen. 96
Ebert97 weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich der erkrankte
Beamte beispielsweise nicht bis nach Mitternacht in Gastwirtschaften
aufhalten dürfe. Die Rekonvaleszenzzeit darf nicht mit echter Freizeit
verwechselt werden.
Hinzuweisen ist darauf, dass ein Beamter im Krankheitsfall nicht generell
dazu verpflichtet ist, Bett und Haus zu hüten. Soweit nicht medizinisch
indiziert, darf er den Wohnort auch verlassen. Hierüber hat er allerdings
den Dienstherrn zu informieren, um sicherzustellen, dass ihn Mitteilungen
seiner Dienststelle unverzüglich erreichen können.98
Beantragt der Beamte während der krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit
Erholungsurlaub, soll ihm dieser nach Wichmann/Langer 99 gewährt werden
können. Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht München 100
zutreffend darauf hingewiesen, dass die Gewährung von Erholungsurlaub
die Dienstfähigkeit des Beamten voraussetzt.
Leidet der Beamte an einer Suchterkrankung, hat dieser angebotene
zumutbare Möglichkeiten zu nutzen, um die Sucht in den Griff zu
bekommen.
Ist eine Operation medizinisch indiziert, soll ein Beamter die Einwilligung zu
dem medizinischen Eingriff nur dann verweigern dürfen, wenn die
Dienstfähigkeit auch ohne Operation in verhältnismäßig kurzer Zeit
wiederhergestellt werden kann und die Operation mit einer Gefahr für Leib
96
Weiß, ZBR 1982, 6
Das gesamte öffentliche Dienstrecht, 260, 8 b)
98
BVerwG, NVwZ-RR 2006, 47
99
Öffentliches Dienstrecht, S. 394 f
100
Vom 30.01.2013, 5 E 12.5819, Juris
97
90
und Leben des Beamten verbunden ist. 101 Freilich bedarf es insoweit stets
einer Einzelfallbetrachtung, die zu berücksichtigen hat, wie gefährlich der
ärztliche Eingriff ist, das Maß der hinzunehmenden Schmerzen, die
Erfolgsaussicht und auch die psychische Verfassung des Beamten.
Besteht ein besonderes dienstliches Bedürfnis auf bestimmten
Dienstposten bestimmte Anordnungen einzuhalten, handelt es sich um eine
besondere Gesunderhaltungspflicht.
Beamtenrechtlich bedarf es besonderer, aus der Art des Dienstes
herleitbarer Notwendigkeiten, spezielle Anordnungen zur Gesunderhaltung
oder Gesundheitswiederherstellung treffen zu dürfen, z. B. kaserniert
lebenden Beamten zur Krankheitsvorbeugung gewisse Regeln der
Körperpflege vorzuschreiben oder kraftfahrenden bzw. Beamten im
Bahnbetriebsdienst einem Alkoholverbot zu unterwerfen.
Hierzu zählen weiterhin die in §§ 13 Abs. 5, 27 der „Allgemeinen
Dienstanweisung für die Bundesbeamten“ enthaltenen Verpflichtungen,
wonach Betriebsbeamte die Ruhezeit so zu nutzen haben, dass sie
ausgeruht den Dienst antreten.102
Selbst Eingriffe in die körperliche Integrität, etwa eine Schutzimpfung oder
das Dulden einer Röntgenuntersuchung, können ggf. eingefordert werden.
Die Rechtmäßigkeit solcher oft einschneidender Weisungen bemisst sich
auch hier nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Gleichgültig, ob es sich um eine allgemeine oder besondere
Gesunderhaltungspflicht handelt, ist beiden gemeinsam, dass diese nicht
mittels Zwang durchgesetzt werden können. Denn Anordnungen zur
Gesunderhaltung sind nicht vollstreckbar.
101
102
Ebert, Das gesamte öffentliche Dienstrecht, 260, 8 b)
Ebert, Das gesamte öffentliche Dienstrecht, 260, 8 b)
91
IV. Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Gesunderhaltungspflicht
Verhält sich der Beamte gesundheitsabträglich, kann dies ein
Dienstvergehen darstellen, was disziplinarische Folgen auszulösen vermag.
Hierzu bedarf es der sorgfältigen, einzelfallorientierten Prüfung, ob der
objektive und subjektive Tatbestand der Verletzung einer Dienstpflicht
vorliegt. Leichte Fahrlässigkeit soll bereits genügen. 103
Bei übermäßigem Alkoholkonsum mag der Pflichtverstoß einfacher
nachzuweisen sein. Denn dann wirkt „der Schnaps pflichtwidrig in den
Dienst hinein“ 104 , so wenn der Beamte sich am Vorabend betrinkt und
deswegen am darauffolgenden Tag außerstande ist, seinen Dienst zu
leisten. Jedoch hat das BVerwG 105 dazu festgestellt, dass soweit das
gesundheitsabträgliche, die Gesunderhaltungspflicht verletzende Verhalten
die Dienstunfähigkeit des Beamten zur Folge hat, die Dienstleistungspflicht
zum Ruhen bringt. Damit sei ein Fernbleiben vom Dienst nicht mehr
möglich und damit der Anwendungsbereich des § 96 BBG ausgeschlossen,
es sei denn, es läge ein Fall von Treuwidrigkeit vor. Davon erfasst werden
sollen jene Fälle, in denen beispielsweise der Beamte am Vorabend nur
deshalb dem Alkohol in starkem Maße zuspricht, um am darauffolgenden
Morgen dienstunfähig zu sein, sei es
wegen mangelnder
Dienstleistungsbereitschaft, sei es, um einem ihm unangenehmen Dienst
zu entgehen.
Bei Suchterkrankungen hingegen wird der Nachweis mit nicht
unerheblichen Schwierigkeiten verbunden sein, da die Einsichtsfähigkeit
des Beamten zur Beurteilung seines Fehlverhaltens nachweisbar
vorhanden gewesen sein muss. Auch wird bei Prüfung des Verschuldens
die Suchterkrankung regelmäßig zum Ausschluss der Einsichtsfähigkeit
führen. Zwar kann im Anfangsstadium der Suchterkrankung noch ein
steuerbares Verhalten vorliegen, der Übergang zur nicht mehr steuerbaren
Sucht ist indessen fließend und damit der Vorwurf eines Dienstvergehens
nicht mehr durchsetzbar.
103
Ebert, Das gesamte öffentliche Dienstrecht, 260, 8 b)
Weiß, ZBR 1982, 6
105
vom 15.07.1980, RiA 1980, 238
104
92
Verschulden kann dem Beamten jedoch dann vorgeworfen werden, wenn
er im Anschluss an eine Entziehungskur wiederum dem Alkoholmissbrauch
verfällt und er eindringliche Belehrungen seines Dienstherrn missachtet.
Fehlende Therapierbarkeit eines bei Wiederaufnahme der Arbeit möglichen
Wiederauflebens depressiver Symptome, die primär auf geringe
Arbeitsmotivation nicht für einen konkreten Arbeitsplatz, sondern auch
allgemein für jeden anderen amtsgemäßen und laufbahntypischen Einsatz
zurück zu führen ist, kann bei amtsärztlich festgestellter allgemeiner
Dienstunfähigkeit als Arbeitsverweigerung und schuldhaftes Fernbleiben
vom Dienst gewertet werden.106
Kein Verschulden wird dem Beamten
fehlgeschlagenen Suizid unternommen hat. 107
vorgeworfen,
der
einen
V. Fernbleiben vom Dienst
§ 96 Bundesbeamtengesetz (BBG) regelt das Fernbleiben des Beamten
vom Dienst wie folgt:
„Beamtinnen und Beamte dürfen dem Dienst nicht ohne
Genehmigung
ihrer
Dienstvorgesetzten
fernbleiben.
Dienstunfähigkeit infolge von Krankheit ist auf Verlangen
nachzuweisen.
Verliert die Beamtin oder der Beamte wegen unentschuldigten
Fernbleibens vom Dienst nach dem Bundesbesoldungsgesetz
den Anspruch auf Besoldung, wird dadurch die Durchführung
eines Disziplinarverfahrens nicht ausgeschlossen.“
106
107
BVerwG, NVwZ 2003, 660
Weiß, ZBR 1982, 6
93
Damit entspricht § 96 BBG vollinhaltlich der bis 2009 hierzu geltenden
Altregelung des § 73 BBG.
Ein Fernbleiben vom Dienst setzt zunächst eine vom Beamten zu erfüllende
Dienstobliegenheit voraus, der er nicht nachkommt. Besteht hingegen keine
Pflicht zur Dienstleistung, ist ein Fernbleiben ausgeschlossen, wie beim
Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach § 66 BBG.
§ 96 BBG enthält einen Rechtfertigungsgrund, wonach der Beamte der
bestehenden Dienstpflicht bei Krankheit entbunden wird, da niemand zu
einer Dienstleistung verpflichtet sein kann, die er objektiv nicht erbringen
kann.108
1. Anzeigepflicht
Bereits aus dem für Beamte geltenden gegenseitigen Dienst- und
Treueverhältnis nach Art. 33 Abs. 4 GG bzw. dem Weisungsrecht des
Dienstherrn ergibt sich, dass der Beamte im Falle des auf Krankheit
beruhenden Fernbleibens vom Dienst dazu verpflichtet ist, seinem
Dienstherrn die Dienstunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer
unverzüglich
mitzuteilen.
Den
Beamten
treffen
insoweit
109
Mitwirkungspflichten.
Einer bestimmten Form bedarf die Anzeigepflicht nicht, sie kann folglich
telefonisch, der Fax, E-Mail oder auch SMS erfolgen.
Nach der gem. § 199 Abs. 2 DBG fortgeltenden DV Nr. 2 zu § 17
Deutsches Beamtengesetz 1937 ist der Beamte verpflichtet, die Erkrankung
und ihre voraussichtliche Dauer spätestens am folgenden Tag
anzuzeigen.110
108
GKÖD-Summer, K § 73 Rn.12
OVG Lüneburg, RiA 2006, 87
110
Plog/Wiedow, BBG, § 73 alte Fassung, Rn.4
109
94
Die DV zu § 17 DBG lautet wie folgt:
„Nr. 2: Bleibt der Beamte wegen Krankheit dem Dienst fern, so
hat er die Erkrankung und ihre voraussichtliche Dauer
spätestens am folgenden Tage anzuzeigen. Auf Anfordern des
Dienstvorgesetzten hat er eine ärztliche Bescheinigung
vorzulegen. Bei längerer Dauer der Krankheit ist die Vorlegung
einer ärztlichen Bescheinigung auf jedesmaliges Verlangen des
Dienstvorgesetzten zu wiederholen. Der Beamte ist verpflichtet,
sich auf Anordnung des Dienstvorgesetzten von einem
beamteten Arzt untersuchen zu lassen. Die Kosten der
Untersuchung trägt die Dienststelle.“
2. Nachweispflicht
§ 96 Abs. 1 Satz 2 BBG legt fest, dass auf Verlangen des Dienstherrn die
Krankheit nachzuweisen ist. Wann der Nachweis zu erfolgen hat,
entscheidet der Dienstherr.
Regelmäßig verlangt der Dienstherr wie auch bei der Gruppe der
Arbeitnehmer, dass der Beamte bei einer länger als drei Kalendertage
andauernden Dienstunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung über den
Nachweis der Erkrankung beizubringen hat.
Spätestens am vierten Tag ist die Bescheinigung dem Dienstherrn
vorzulegen. Die voraussichtliche Dauer des Fernbleibens hat die
Bescheinigung ebenfalls zu enthalten. Damit soll dem Dienstvorgesetzten
die Möglichkeit eröffnet werden, sich über die Dienstunfähigkeit des
Beamten und deren Dauer Gewissheit zu verschaffen, um so eventuell
notwendig werdende Personaldispositionen vornehmen zu können. 111
Die Vorlage des Attestes kann bei besonderen Umständen auch sofort
verlangt werden. 112 Fällt der Beamte etwa durch häufige
Kurzzeiterkrankungen auf, kann der Dienstherr bereits ab dem ersten Tag
111
112
BaWüVGH, DÖD 1976, 38
BDiG vom 29.04.1975, DÖD 1975, 187; OVG Koblenz, ZBR 1985, 153
95
der
krankheitsbedingten
Dienstunfähigkeit
die
Vorlage
einer
113
Die mit dem Nachweis
entsprechenden Bescheinigung verlangen.
verbundenen Unannehmlichkeiten können dazu führen, dass die
Abwesenheitsquote manches Beamten zurückgeht. Der Schuss kann
allerdings auch nach hinten losgehen, indem der Beamte sich direkt für
eine ganze Woche dienstunfähig schreiben lässt.
Dauert die Erkrankung länger an als auf der ärztlichen Bescheinigung
vermerkt, ist der Beamte verpflichtet, eine Folgebescheinigung
beizubringen.
Die die ärztliche Bescheinigung verursachenden Kosten hat der Beamte
selbst zu tragen. 114
Wie auch bei den Arbeitnehmern steht das Arbeitnehmerpersönlichkeitsrecht dem Interesse des Dienstherrn entgegen, den Krankheitsgrund zu
erfahren. Allenfalls, wenn im Einzelfall Anhaltspunkte vorhanden sind, dass
die Krankheit von dienstlichem Interesse sein könnte, kann sich eine
dahingehende Pflicht ergeben, wenn die Krankheit für die Verwendung des
Beamten entscheidend ist. Eine Informationspflicht des Beamten soll sogar
bestehen, wenn er Dritte während der Dienstleistungspflicht anstecken
könnte.115
Mit der Bescheinigung hat der Beamte zunächst seiner Nachweispflicht
entsprochen.
Hat der Dienstherr Zweifel an der Dienstunfähigkeit des Beamten, hat er
das Recht, eine amtsärztliche Bescheinigung einzuholen. Wie stark die
Zweifel sind, ist dabei unerheblich. Auch ist es nicht von Bedeutung, ob der
betroffene Beamte nach allgemeinen mit ihm gemachten dienstlichen
Erfahrungen als glaubwürdig anzusehen ist oder nicht, wenn dies an den
Zweifeln des Dienstvorgesetzten nichts zu ändern vermag. 116 Diesen
113
Lenders/Peters/Weber/Grunewald/Lösch, Das Dienstrecht des Bundes, § 96 BBG, Rn.853
BVerwGE 21,15; Battis, BBG § 96, Rn.4
115
Plog/Wiedow, BBG, § 73 alte Fassung, Rn.4
116
BVerwGE 21, 15
114
96
Zweifeln müssen ausschließlich Tatsachen zugrundeliegen, die bei
verständiger Würdigung berechtigt erscheinen. Nicht ausreichend ist die
Tatsache, dass der Beamte Dienstunfähigkeit geltend macht. Weitere
Umstände müssen hinzutreten, wie z.B. die Dauer der Fehlzeiten, die
Häufigkeit
von
Ausfällen
oder
die
Lage
von
Fehltagen
117
(„Montagskrankheiten“). Zweifel können sich auch daraus ergeben, dass
der Beamte beim Sport, in einer Diskothek oder beim Bau seines
Eigenheimes angetroffen wird.
Bevor der Beamte dazu aufgefordert wird, eine entsprechende
amtsärztliche Untersuchung durchführen zu lassen, ist ihm Gelegenheit zur
Stellungnahme - als Ausdruck rechtlichen Gehörs – zu geben. Dies ist auf
den § 25 VwVfG gründenden Untersuchungsgrundsatz wie auch auf den
Anhörungsgrundsatz nach § 28 VwVfG zurückzuführen.
Zu hören ist der Beamte nicht nur zu allen Tatsachen, welche die Zweifel
des Dienstvorgesetzten hervorgerufen haben, sondern auch zu den
Schlüssen, die der Dienstvorgesetzte daraus zieht. Zudem ist er hinsichtlich
der in Aussicht genommenen Konsequenzen - der amtsärztlichen
Untersuchung – anzuhören.
Kann der Beamte die Zweifel seines Dienstvorgesetzten nicht entkräften,
kann der Dienstvorgesetzte eine amtsärztliche Untersuchung verlangen.
Der Dienstherr muss bei der beanspruchten amtsärztlichen Überprüfung
den Gleichheitsgrundsatz beachten. Er darf also nicht bei einer
bestimmten Beamtengruppe vergleichbare Sachverhalte, wie etwa
Fehlzeiten, ungleich behandeln.
Der amtsärztlichen Untersuchung kann sich der Beamte nicht mit dem
Hinweis entziehen, er sei so krank, dass er keinen Amtsarzt aufsuchen
könne. 118 Denn die Anforderung eines amtsärztlichen Nachweises der
Dienstunfähigkeit beinhaltet nicht die Verpflichtung, sich persönlich bei
einem Arzt zur Untersuchung einzufinden. Vielmehr bleibt es dem Arzt
überlassen, ob er den Beamten zur Klärung seines Gesundheitszustandes
aufsucht oder sich mit fernmündlichen Angaben des Beamten über seinen
117
118
VG Ansbach, vom 27.10.1981, AN 1 K 81 A. 774
Köhler, DÖD 1987, 145
97
Gesundheitszustand begnügt, wobei ganz regelmäßig die persönliche
Untersuchung zu erfolgen hat.
Hat der Beamte längere Fehlzeiten, so ist es auch zulässig, dass der
Beamte sich in regelmäßigen Abständen erneut amtsärztlichen
Untersuchungen zu unterziehen hat. Denn es handelt sich um das legitime
Interesse des Dienstherrn, sich weiterhin über die Verfügbarkeit des
Beamten unterrichten zu lassen.
Der Dienstherr kann schließlich auch, soweit der Beamte seinen Dienst
wieder angetreten hat, den Nachweis der Dienst(un)fähigkeit durch
amtsärztliche Bescheinigung verlangen.
Das Nachweisverlangen
Personalrats.119
unterliegt
nicht
der
Mitbestimmung
des
Die durch die amtsärztliche Untersuchung entstehenden Kosten hat der
Dienstherr zu tragen. 120
Da bei einem amtsärztlichen Gutachten von einer größeren Objektivität
auszugehen ist, wird auch der Beweiswert entsprechend anders bewertet
werden können als dies bei einem privatärztlichen Gutachten der Fall ist.121
Der Vorrang des amtsärztlichen Gutachtens wird damit begründet, dass der
Amtsarzt mit der öffentlichen Verwaltung besser vertraut ist und damit die
an den Beamten gestellten Anforderungen besser kennt; dem Amtsarzt
wird eine größere Erfahrung bei der Beurteilung der Dienstunfähigkeit
zugesprochen als dem Privatmediziner. Zudem kann die Objektivität des
Privatmediziners durchaus darunter leiden, dass er zu „seinem“ Patienten
ein für die Behandlung ja auch erforderliches Vertrauen gewonnen hat und
von seinem Patienten finanziert wird. Letzteres Argument ist insbesondere
bei Privatpatienten nicht zu vernachlässigen, da diese in manchen Praxen
119
BVerwG, DVBl. 1986, 893
Plog/Wiedow, BBG, § 73 alte Fassung, Rn.4
121
Wichmann/Langer, Öffentliches Dienstrecht, S. 393 f unter Berufung auf BVerwG, NVwZ-RR 2003,289
120
98
erst dazu beitragen, dass die Praxis erfolgreich wirtschaften kann.
Demzufolge kommt der medizinischen Beurteilung eines Amtsarztes
grundsätzlich Vorrang vor der medizinischen Beurteilung eines Privatarztes
zu (VG Düsseldorf vom 31.01.2014 – 13 K 2412/13).
Dieser Grundsatz des Vorrangs amtsärztlicher Beurteilungen soll nur dann
nicht greifen, wenn keine Aussage eines Amtsarztes zu einer von einem
Privatarzt bescheinigten Erkrankung vorliegt, wenn folglich sich die
Dienstunfähigkeitsbescheinigung eines Privatarztes entweder auf eine
Erkrankung bezieht, die nicht Gegenstand der amtsärztlichen Untersuchung
gewesen ist, oder auf eine Neuerkrankung bezieht, die in der Zeit nach
dieser Untersuchung aufgetreten ist.
Nach § 44 Abs. 6 BBG kann neben der Untersuchungspflicht auch die
Pflicht bestehen, sich ärztlich beobachten zu lassen.
Der Beamte hat nicht das Recht, den Amtsarzt zum Schweigen zu
verpflichten. Vielmehr wird der Amtsarzt in Ausübung einer hoheitlichen
Aufgabe tätig, so dass er eine bestehende Dienstfähigkeit auch zu melden
verpflichtet ist. Dementsprechend hat der Beamte, sobald er weiß, dass
keine Dienstunfähigkeit vorliegt, den Dienst unverzüglich wieder anzutreten;
einer speziellen Aufforderung bedarf es nicht.122
Kommt der Beamte seiner Pflicht nicht nach, soll es sich nicht um
„unentschuldigtes
Fernbleiben
vom
Dienst
handeln“,
welches
disziplinarrechtliche Maßnahmen zur Folge hat und nach § 9 BBesG zum
Verlust der Besoldung für die Dauer der Abwesenheit führen kann. 123
Anderes soll nur gelten, soweit der Beamte darüber hinaus treuwidrig
gehandelt hat. Begründet wird dies mit dem Anspruch des Beamten auf
amtsangemessene Besoldung, der ihm nur dann gekürzt werden können
darf, wenn es hierzu eine entsprechende rechtliche Grundlage gibt. Im
Gegensatz zum Arbeitsrecht stehen im Beamtenrecht Leistung und
Gegenleistung nicht im synallagmatischen Verhältnis zueinander. Bleibt der
Beamte dem Dienst fern, so sind ihm – soweit keine entsprechende
Grundlage besteht – die Bezüge gleichwohl weiterzuzahlen. Grundsätzlich
behält daher auch der pflichtwidrig handelnde Beamte, selbst wenn sein
122
123
BVerwG, NVwZ-RR 2003,289.
Battis, BBG § 96, Rn.4
99
Fehlverhalten bei entsprechendem Verschulden ein Dienstvergehen
darstellt, seinen Alimentationsanspruch. Hat der Beamte – ohne
ausnahmsweise treuwidrig gehandelt zu haben – durch Verletzung seiner
Gesunderhaltungspflicht ein Dienstvergehen begangen, zieht das die
besoldungsrechtliche Folge des Verlustes der Bezüge nicht nach sich,
selbst wenn er wegen Verschuldens an der Dienstunfähigkeit dem Dienst
fernbleiben muss. Für das Ruhen der Dienstleistungspflicht trägt vielmehr
der Dienstherr das volle Gehaltsrisiko, dem dann allerdings die
disziplinarische
Verantwortlichkeit
des
Beamten
korrespondiert.
Ausschließlich in den seltenen Fällen von Treuwidrigkeit schlägt das
Fehlverhalten auch besoldungsrechtlich durch.
Die Aufforderung, einer amtsärztlichen Untersuchung Folge zu leisten, stellt
einen belastenden Verwaltungsakt dar, gegen den der Beamte seinerseits
vorgehen kann. Daher wird, um einer aufschiebenden Wirkung eines
Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage entgegenzuwirken, empfohlen,
die Aufforderung schriftlich zu formulieren und mit einer Anordnung nach §
80 Abs. 2 Nr.4 VwGO zu verbinden. 124
Weigert sich der Beamte der Untersuchung nachzukommen, so kann
dieses Verhalten disziplinarische Maßnahmen zur Folge haben.
Demgegenüber handelt es sich um eine behördeninterne Weisung und
keinen Verwaltungsakt, wenn die Behörde den Beamten auffordert, seinen
Dienst anzutreten, 125 mit der Folge, dass sich der vorläufige Rechtsschutz
nach § 123 VwGO richtet.126
124
Baßlsperger, Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) und Beendigung von Arbeits- und
Beamtenverhältnissen wegen Krankheit, S. 4
125
BVerwG, ZBR 1999, 424
126
OVG Koblenz, NVwZ-RR 2003, 223
100
VI. Erkrankung während des Urlaubs
§ 9 EUrlV enthält folgende Regelung:
„ (1) Werden Beamtinnen oder Beamte während ihres Urlaubs
durch Krankheit dienstunfähig und zeigen dies unverzüglich an,
wird ihnen die Zeit der Dienstunfähigkeit nicht auf den
Erholungsurlaub angerechnet. Die Dienstunfähigkeit ist durch
ein ärztliches, auf Verlangen durch ein amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis nachzuweisen.
(2) Für die Inanspruchnahme von Urlaub wegen der Erkrankung
über die bewilligte Zeit hinaus bedarf es einer neuen Bewilligung.“
Da sich der Zweck des Urlaubs – die Erhaltung oder Wiederherstellung der
Gesundheit – nicht erreichen lässt, soweit bei dem Beamten eine
Erkrankung besteht, gewährleistet § 9 EUrlV, dass dem Beamten infolge
Krankheit nicht das Ziel des Urlaubs entgeht.
Wie Abs. 1 Satz 1 verlangt, hat der Beamte seiner Dienststelle die
Erkrankung unverzüglich anzuzeigen, d.h. nach § 121 BGB ohne
schuldhaftes Zögern. Nur so kann er erreichen, dass ihm der Urlaub nicht
angerechnet wird. Und nur so wird der Dienststelle die Möglichkeit eröffnet,
sich zu entscheiden, ein amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis einzufordern.
Eine Mitteilung nach Genesung bzw. Rückkehr an die Dienststelle steht
somit einer Anrechnung des Urlaubs nicht entgegen.
Wie der Beamte der Dienststelle seine Erkrankung mitteilt, steht ihm grds.
frei, ob telefonisch, per Telefax, E-Mail oder SMS, wobei der
fernmündlichen Anzeige regelmäßig als zweckmäßigste, zuverlässigste und
regelmäßig zumutbare Anzeige der Vorzug gegeben werden soll (Bayer.
VG München, Urteil vom 16. Mai 1989 – M 12 K 88.5833).
101
Die Umstände des Einzelfalls können indes eine andere Kommunikationsform als notwendig erscheinen lassen, je nach Schwere der Erkrankung
oder Gegebenheit am Urlaubsort.
Neben der unverzüglichen Anzeige hat der Beamte zudem nach Abs. 1
Satz 2 den Nachweis der Dienstunfähigkeit mittels ärztlichem Attest zu
erbringen.
Hinzuweisen bleibt, dass Schwangerschaft und Entbindung keine Krankheit
darstellen und nicht von § 9 EUrlV erfasst werden.
Fällt in den Erholungsurlaub eine Frühgeburt, tritt ein sofortiges
Beschäftigungsverbot ein. Der Erholungsurlaub wird hierdurch
abgebrochen und ein Verlust von Urlaubstagen tritt nicht ein.
Begehrt der dienstunfähig erkrankte Beamte den Urlaub nach seiner
Genesung in Anspruch zu nehmen bzw. fortzusetzen, so bedarf es für
diesen neuen Urlaub nach Abs. 2 eines gesonderten Antrags. Zu prüfen
bleibt, ob dieser Wunsch der Erledigung der Dienstgeschäfte nach § 2 Abs.
1 EUrlV nicht entgegen steht bzw. mit Urlaubswünschen Dritter in Einklang
zu bringen ist.
VII. Dienstunfähigkeit
Um
Frühpensionierungen
entgegenzuwirken,
wurde
mit
dem
Dienstrechtsneuordnungsgesetz 2009 das Verfahren zur Dienstunfähigkeit
nach §§ 44 – 49 BBG verschärft.
Vor Einleitung eines Dienstunfähigkeitsverfahrens (DU-Verfahren) hat die
zuständige Dienststelle mehrere Maßnahmen durchzuführen, um zu klären,
ob ein Beamter dauerhaft dienstunfähig ist.
102
1. Einbeziehung eines Betriebsarztes
Ist ein Beamter länger erkrankt, weist BMI mit Rundschreiben vom
05.11.2012 darauf hin, dass der Betriebsarzt einzubeziehen ist. Ihm obliegt
die Beratung der Dienststellenleitung wie auch der Beschäftigten zur
Beanspruchung durch die Arbeit, zu Integration und Rehabilitation.
Der Betriebsarzt kann beraten zur Eignung für bestimmte Tätigkeiten, zum
BEM, Wiedereingliederung, Umsetzung und Prognose.
Nicht zu den Aufgaben des Betriebsarztes gehört die Überprüfung von
Krankmeldungen. Hierzu ist der Amtsarzt heranzuziehen. Der Betriebsarzt
kann jedoch als Gutachter nach § 48 Abs. 1 S. 2 BBG zugelassen werden.
2. Vorlage einer privatärztlichen Bescheinigung nach drei Monaten
Bei einer dreimonatigen ununterbrochenen Erkrankung kann zur
Verfahrensbeschleunigung von dem betroffenen Beamten eine ärztliche
Bescheinigung verlangt werden, aus der sich eine Prognose ergibt, wann
mit der Rückkehr des Beamten zu rechnen ist.
VIII. Begrenzte Dienstfähigkeit
Neben der dauerhaften Dienstfähigkeit wurde die begrenzte Dienstfähigkeit
mit dem Versorgungsreformgesetz 1998 zunächst nur zeitlich befristet in §
45 BBG eingeführt:
„Von der Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit
ist abzusehen, wenn die Beamtin oder der Beamte unter
Beibehaltung des übertragenen Amtes die Dienstpflichten noch
während mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit
erfüllen kann (begrenzte Dienstfähigkeit). Von der begrenzten
Dienstfähigkeit soll abgesehen werden, wenn der Beamtin oder
103
dem Beamten nach § 44 Abs. 2 oder 3 ein anderes Amt oder eine
geringerwertige Tätigkeit übertragen werden kann.
Die Arbeitszeit ist entsprechend der begrenzten Dienstfähigkeit
zu verkürzen. Mit Zustimmung der Beamtin oder des Beamten ist
auch eine Verwendung in einer nicht dem Amt entsprechenden
Tätigkeit möglich.
Die für die Ernennung zuständige Behörde entscheidet über die
Feststellung der begrenzten Dienstfähigkeit. Für das Verfahren
gelten
die
Vorschriften
über
die
Dienstunfähigkeit
entsprechend.“
Ist demnach auf absehbare Zeit eine Tätigkeit zwar nicht voll, gleichwohl
aber zumindest hälftig von dem Beamten leistbar, besteht die Möglichkeit
der begrenzten Dienstfähigkeit, auch Teildienstfähigkeit genannt. 127
Vorrangig ist allerdings zu prüfen, ob dem Beamten nicht ein anderes Amt
oder eine geringwertigere Tätigkeit übertragen werden kann, wozu die volle
Dienstfähigkeit vorhanden zu sein hat.
Vor der Versetzung in den Ruhestand sind demnach zunächst alle anderen
Möglichkeiten zu prüfen, unter denen der Beamte beschäftigt werden kann.
Hierdurch sollte dem Ansatz „Rehabilitation vor Versorgung“ Rechnung
getragen werden.
Der Umfang ist mittels eines amtsärztlichen Gutachtens oder durch einen
als Gutachter beauftragten Mediziner zu ermitteln. Die Beauftragung eines
externen Gutachters hat den Vorteil, dass der Dienstherr auf besonderes
Fachwissen einzelner Ärzte Rückgriff nehmen kann, die über besondere
Erfahrungen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinsichtlich
Arbeitsfähigkeit und Arbeitseinsatz verfügen, so die Ärzte des
Sozialmedizinischen Dienstes der Bundesknappschaft.
Im Gegensatz zu der Statusgruppe der Arbeitnehmer können Beamte
infolgedessen im Rahmen ihrer gesundheitlichen Fähigkeiten berufstätig
sein und werden nicht mehr ohne weiteres in den Ruhestand versetzt.
127
Lenders/Peters/Weber/Grunewald/Lösch, Das Dienstrecht des Bundes, Vorbemerkung § 45 BBG, Rn.618
104
Wird die Option der Teildienstfähigkeit genutzt, so kann diese auch gegen
den Willen des Betroffenen umgesetzt werden. Nur bei einer dem
bisherigen Amt nicht entsprechenden Tätigkeit bedarf es der Zustimmung
des Beamten.
Die begrenzte Dienstfähigkeit hat nicht zuletzt Auswirkungen auf die
Alimentation: So werden die Dienstbezüge entsprechend dem Verhältnis
der regelmäßigen zur reduzierten Arbeitszeit ermittelt und gewährt.
Mindestens sind sie so hoch wie das Ruhegehalt betragen würde.
§ 72a Abs. 2 BBesG hat die Bundesregierung darüber hinaus ermächtigt,
eine Rechtsverordnung zu erlassen, die die Gewährung eines nicht
ruhegehaltsfähigen Zuschlags regelt. 2008 hat der Bund die entsprechende
Begrenzte Dienstunfähigkeit Zuschlagsverordnung (BDZV) 128 beschlossen.
Die Verordnung sieht bei einer eingeschränkten Dienstfähigkeit von
wenigstens 20 % einen Zuschlag vor, der aus einem Festbetrag von 150,- €
und einem variablen Anteil besteht. Er beträgt 10 % der Differenz aus den
nach § 72a BBesG arbeitszeitanteilig zustehenden Dienstbezügen und den
Dienstbezügen, die ohne eine verkürzte Arbeitszeit zu zahlen wären, § 2
Abs. 1 BDZV. Nach § 3 BDZV ist dieser Zuschlag jedoch ausgeschlossen,
wenn ein Anspruch auf den Zuschlag bei Altersteilzeit besteht.
Anzumerken bleibt jedoch, dass von der Möglichkeit der begrenzten
Dienstfähigkeit nur sehr sparsam Gebrauch gemacht wird – ebenso von der
der Wiederherstellung der Dienstfähigkeit nach § 46 BBG. 129
IX. Betriebliches Eingliederungsmanagement
Im Beamtenrecht lehnt die Rechtsprechung 130 teilweise ein BEM unter
Berufung auf den Grundsatz „Rehabilitation vor Versorgung“ ab. Aufgrund
128
BGBl. I, S. 1751, geändert 2009: BGBl. I, S. 160
Lenders/Peters/Weber/Grunewald/Lösch, Das Dienstrecht des Bundes, Vorbemerkung §§ 44-49 BBG,
wonach im Bundesbereich von 2001 bis 2003 lediglich 130 Fälle erfasst wurden, in 2004 nur 40 und 20 in 2007.
130
VG Berlin vom 26.02.2008, 28 A 13405 - juris
129
105
des ohnehin geltenden Fürsorgegedankens sei ein BEM nicht von Nöten.
Aufgrund des Alimentationsprinzips sei der Beamte besser gesichert als der
Arbeitnehmer.
Demgegenüber wird von der gegenteiligen Rechtsprechung 131 auch im
Beamtenrecht - gleichfalls unter Berufung auf die Fürsorgepflicht - ein BEM
für erforderlich gehalten, um eine dauernde Dienstunfähigkeit zu
verhindern.
Handelt es sich um einen Beamten auf Probe, so hat das VG Saarland132
entschieden, dass kein BEM durchzuführen sei, wenn der Beamte auf
absehbare Zeit den Anforderungen seines Amtes in gesundheitlicher
Hinsicht nicht genügen werde.
Gleiches gilt, soweit der Beamte aufgrund eines Dienstvergehens aus dem
Beamtenverhältnis zu entfernen ist. 133
Lehnt der Beamte das BEM ab, so darf auch kein solches stattfinden.
Keine Auswirkungen hat das BEM auf eine amtsärztliche Untersuchung, die
unabhängig hiervon durchgeführt werden kann; das BEM ist nicht
Voraussetzung.134
Wurde das BEM nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt, hat der
Dienstherr sein Ermessen, das ihm bei der Prüfung der Übertragung eines
anderen Dienstpostens vor der Ruhestandsversetzung obliegt, nicht
ordnungsgemäß gebraucht.
X. Stufenweise Wiedereingliederung
Für das in §§ 74, 275 SGB V geregelte Verfahren zur stufenweisen
Wiedereingliederung – auch als Hamburger Modell bezeichnet – gibt es für
Beamte keine vergleichbare gesetzliche Grundlage. Da sich dieses in der
131
VG Gelsenkirchen vom 25.06.2008, 1 K 3679/07 – juris
vom 15.02.2009, 2 K 814/08 - juris
133
VG Saarland vom 09.01.2009, 7 K 2080/07 - juris
134
OVG NRW, DÖD 2010, 249
132
106
Praxis jedoch bewährt hat, hat BMI mit Datum vom 01.08.2005 ein
Rundschreiben zu der Anwendung im Beamtenverhältnis erarbeitet.
Wie auch bei der Statusgruppe der Tarifbeschäftigten erstellt der
behandelnde Arzt dem Beamten einen Wiedereingliederungsplan, der
mindestens die voraussichtliche Dauer der Wiedereingliederung, die
wöchentliche Arbeitszeit und die vom Beamten wahrzunehmende Aufgabe
enthält.
Die
personalbearbeitende
Wiedereingliederungsplan zu.
Dienststelle
stimmt
sodann
dem
Status und Fortzahlung der Besoldung werden auch hier nicht berührt. Wie
auch bei den Arbeitnehmern ist die Tätigkeit des Beamten freiwillig, so dass
der Beamte ohne besondere rechtliche Regelung dem Dienst auch
fernbleiben kann. Insoweit wird die Freiwilligkeit für die Zeit der
Abwesenheit
zurückgezogen
und
der
Wiedereingliederungsplan
unterbrochen. Die bloße Anzeige der Abwesenheit genügt nicht.
BMI führt weiter aus: „Ein „Urlaubsverbot“ steht der Abwesenheit nicht
entgegen, sofern der Heilungserfolg nicht gefährdet wird. Dieses Kriterium
dürfte auch maßgebend für die Dauer der Abwesenheit sein. Diese sollte
den für die endgültige Wiederherstellung der Gesundheit angesetzten
Zeitraum der Wiedereingliederung nicht hinausschieben, sondern nur
unterbrechen.
Hat der Dienstherr Zweifel an Art und Umfang des Wiedereingliederungsplans, gebietet die Fürsorgepflicht, den Beamten zur Beendigung des
Dienstes und zum Aufsuchen eines Arztes aufzufordern oder eine
amtsärztliche Untersuchung anzuordnen.
Da der Beamte aufgrund seiner Dienstunfähigkeit nicht zur Dienstleistung
verpflichtet ist, hat die Wiedereingliederung keine Rechtswirkungen
hinsichtlich der zu erbringenden Arbeitszeit und –leistung. Die erbrachte
Arbeitszeit ist nicht auf ein Arbeitszeitkonto, vielmehr als Krankheit zu
buchen.
Der Umfang der Wiedereingliederung ist nicht zeitlich begrenzt, kann sich
also über Monate erstrecken. Auffällig ist indes, dass sich der Zeitraum der
Inanspruchnahme der Wiederaufnahme zwischen der Gruppe der
Arbeitnehmer und der der Beamten deutlich unterscheidet, da letztere über
107
einen längeren Zeitraum die Wiedereingliederung in Anspruch nehmen. Es
mag dahingestellt bleiben, ob dies auf der Alimentation beruht, im
Gegensatz zu der zeitliche begrenzten Entgeltfortzahlung bzw. dem
finanziell geringeren Anspruch auf Krankengeld.
Wie auch der Arbeitnehmer kann der Beamte Erholungsurlaub nicht in
Anspruch nehmen. Eine förmliche Inanspruchnahme von Urlaub ist daher
mit einem laufenden Hamburger Modell unvereinbar.
XI. Fazit
Festzuhalten bleibt folglich für die Statusgruppe der Beamten, dass zwar
die Voraussetzungen der krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit – die
Erkrankung, die es dem Beamten unmöglich oder unzumutbar macht,
seinen Dienst zu leisten – identisch sind mit der Statusgruppe der
Tarifbeschäftigten.
Indem
der
Beamte
jedoch
aufgrund
des
Fürsorgegedankens zunächst einmal ohne zeitliche Grenze besoldet wird,
ergeben sich viele, die Tarifbeschäftigten betreffende Einzelprobleme erst
gar nicht mehr. Dies lässt die rechtliche Auseinandersetzung mit der Frage
der krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit des Beamten deutlich klarer
erscheinen und Einzelfragen einfacher lösen.
108
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