Konflikt- und Rückzugspotentiale in spätkapitalistischen

Werbung
© F. Enke Verlag Stuttgart
Zeitschrift Für Soziologie, Jg. 2, Heft 4, Oktober 1973, S. 301-325
Konflikt- und Rückzugspotentiale in spätkapitalistischen Gesellschaften
Rainer Döbert, Gertrud Nunner-Winkler
Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt, Starnberg
Potentials of Conflict and Withdrawal in Late Capitalist Societies
Abstract: Late capitalist societies increasingly prove incapable of generating the modal personality that would
correspond to the imperatives under which the political and economic subsystems operate. This is due to a
process of the sharpening of the crisis of adolescence in which system-dysfunctional solutions are gaining ground.
In terms of the interactionist approach the problem specific to the adolescent phase, i. e. the problem of iden­
tity formation, becomes one of coming to grips with the cultural system; this in turn, prompted by a series of
socio-cultural changes, lays bare the immanent structural difficulties of the bourgeois legitimation system.
Differentiated ways of solving this crisis correspond to various processes of a selective thematization of the
contents of the cultural system and thereby to differential behavior patterns (e. g. student revolt, hippies, drugaddicts, Jesus-People, withdrawal).
Inhalt: Spätkapitalistische Gesellschaften werden zunehmend unfähig, die unter Imperativen der politischen und
ökonomischen Subsysteme erforderliche Modalpersönlichkeit zu erzeugen, da sich die Adoleszenzkrise verschärft
und systemdysfunktionale Lösungen wahrscheinlicher werden. Denn, präzisiert man das für die Adoleszenzphase
spezifische Problem der Identitätsfindung in einem interaktionistischen Ansatz, so zeigt sich, daß es nur durch
Auseinandersetzung mit dem kulturellen System gelöst werden kann; und daß diese Auseinandersetzung aufgrund
einer Reihe sozialstruktureller Veränderungen zu einer Offenlegung der dem bürgerlichen Legitimationssystem imma­
nenten Strukturschwierigkeiten führt. Differenzierten Verlaufsformen der Adoleszenzkrise lassen sich unterschied­
liche Prozesse der selektiven Thematisierung der Gehalte des kulturellen Systems und somit differentielle Ver­
haltenspotentiale (Studentenrevolte, Hippies, Drogenabhängige, Jesus-People, Apathische) zuordnen.
Theorien Phänomene wie: zunehmende Wehr­
dienstverweigerung, Subkulturbildung unter­
schiedlicher Art (Drogen, Jesus-People, Hippie­
kommunen etc.) weder theoretisch analysiert
noch überhaupt als mögliche Symptome einer
Vorbemerkung
Krise des Gesellschaftssystems begriffen werden.
Die im folgenden dargelegten theoretischen Vor­ Die Behauptung, daß diese Phänomene sozial­
überlegungen zu einer empirischen Untersuchung psychologisch zu erklären sind und als Indika­
toren einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Kri­
unterschiedlicher Verläufe und Ausgänge der
Adoleszenzkrise sind durch das Interesse moti­ se gewertet werden dürfen, impliziert zweierlei:
viert zu klären, ob in unserer Gesellschaft poli­
tisch relevante Verhaltenspotentiale identifizier­ a) Den Nachweis ihrer politischen Relevanz. Die
bar sind, die primär im Rahmen sozialpsycho­
Gruppen gefährden die prekäre Balance von In­
logischer Hypothesensysteme ableitbar sind. Die put und Output spätkapitalistischer Gesellschaf­
Vermutung, daß es Potentiale gibt, die im Rah­ ten durch Überforderungen und Verweigerun­
men der traditionellen ökonomischen Krisen­
gen. Entweder sie akzeptieren die Outputs des
theorien nicht prognostiziert werden können,
Systems nicht als Entschädigungen (Geld, Sta­
ist plausibel angesichts des Unvermögens aller
tus, wie z.B. Hippiekommunen); oder sie for­
bisherigen Theorien dieses Typus, die Lethargie dern ein Übermaß an systemkonformen Ent­
der von ihnen als historisches Objekt angesetzten schädigungen von seiten des ökonomischen Sy­
Gruppen (Arbeiterklasse) zureichend zu erklären; stems (Lohnstreiks) oder infrastrukturellen Lei­
insbesondere jedoch können im Rahmen dieser stungen von seiten des politischen Systems (Bür­
gerinitiativen); oder sie stellen Forderungen, die
* Die im folgenden dargestellte theoretische Strategie die institutionalisierten formalen Bürgerrechte
wird gegenwärtig in Zusammenarbeit mit Herrn Dipl. überziehen (materielle Gleichheit) bzw. deren Er­
Soz. MICHAEL SIEGERT in einem Pretest auf ihre
Tragfähigkeit hin überprüft. Es wurden Intensivinter­ füllung im Rahmen einer individualistischen Lei­
nicht vorgesehen
views mit Wehrdienstverweigerern, Bundeswehrfrei­ stungsgesellschaft überhaupt
Unauthenticated
ist (solidarische
Lebensformen).
Alle diese Forwilligen und Drogenabhängigen durchgeführt.
Download Date
| 10/21/17 8:03 AM
Konflikt- und Rückzugspotentiale in spätkapita­
listischen Gesellschaften — Skizze einer Un­
tersuchungsstrategie*
302
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 2, Heft 4, Oktober 1973, S. 301-325
derungen überlasten das System sozusagen an
der Outputgrenze.
differenzen im Normalbereich prognostizieren
zu können, muß man — wenn es schon unmög­
lich ist, die volle Varianz situational determinier­
Von der Inputgrenze her kann das System durch ten Verhaltens zu erfassen — zumindest die ge­
Inputverweigerung paralysiert werden (Absenti- neralisierten Deutungsmuster von Situationen
ismus und mangelnde Leistungsmotivation im
konzeptuell einbeziehen können. Im folgenden
ökonomischen Sektor, fehlender „generalized
wird gezeigt werden, daß die für dieses Problem
support“ für den politischen Sektor)1. Sofern
relevanten Deutungsmuster sich überhaupt erst
derartige Verhaltenspotentiale aufgrund von Ver­ in der Adoleszenzphase verfestigen. Unsere Auf­
änderungen der Sozialstruktur und des kulturel­ gabe muß also darin bestehen, eine systematische
len Systems sich ausdehnen, wird das gesellschaft­ Konzeption dieser Reifungsphase zu entwicklen,
liche System auf sie reagieren und damit ihre
die es erlaubt, die differentielle persönlichkeits­
politische Relevanz manifest machen müssen.
strukturelle Verankerung von situationsnahen
Einstellungen zu analysieren.
b) Den Nachweis der Möglichkeit einer sozialpsy­
chologischen Erklärung. Der Anspruch, diese
Verhaltenspotentiale sozialpsychologisch zu er­
klären, impliziert, daß die in ökonomischen Kri­ I. Einführung eines psychologischen Interpre­
tationsmodells
sentheorien bzw. im Modell des strategischen
Handelns unterstellten trivialpsychologischen An­
nahmen (Gratifikationsmaximierung, Frustration, Will man das Problem der Konstruktion einer
Aggression) differenziert und ergänzt werden ,verhaltensnäheren4 Persönlichkeitstheorie lösen,
müssen. Es wird sich zeigen, daß ,sozialpsycho­ scheint es angesichts des chaotischen Nebenein­
logische Erklärung4 in diesem Fall mehr bedeu­ ander von einzelnen, z. T. aus inkompatiblen
ten kann, als die bloße Beschreibung und Ana­ Theorietraditionen stammenden Theoriestücken
wenig aussichtsreich, überhaupt erst den Versuch
lyse von Reaktionsweisen auf bzw. Verarbei­
tungsformen von wie auch immer sozialstruktu­ zu unternehmen, eine umfassende Persönlich­
rell generiertem „Stress“. Wir glauben demonstrie­ keitstheorie additiv aus dem ganzen Bündel von
ren zu können, daß eine sozialpsychologisch orien­ elementaristischen Theoriefragmenten und isolier­
tierte Erklärung der Erzeugung des Stress selber ten Korrelationen aufzubauen. Aus den im fol­
möglich ist, wenn man sich die sozialpsychologi­ genden aufgeführten Gründen halten wir es für
erfolgversprechender, uns auf die vorhandenen
schen Implikationen des für spätkapitalistische
entwicklungstheoretisch orientierten Ansätze
Gesellschaften typischen Legitimationssystems
vergegenwärtigt.
(Kognitivismus und Psychoanalyse) zu konzen­
trieren und zu versuchen, sie in einem interaktionistischen Rahmen zu integrieren.
Wenn man eine solche Strategie verfolgt, sieht
man sich beim gegenwärtigen Stand der Soziali­
sationsforschung mit einem auf Anhieb kaum
lösbaren Problem konfrontiert: Da man sich in 1. Struktur und Vorzüge psychologischer
Entwicklungstheorien
Anschluß an FREUD primär auf die frühkindliche
Sozialisation konzentriert hat, in der nur sehr
formale kognitive und emotionale Grundqualifi­ a) Die Struktur psychologischer Entwicklungs­
kationen erworben werden, ist der Sprung zu
theorien
späterem faktischen Verhalten allenfalls für kli­
nische Extremgruppen wie Psychotiker, Psycho­ Im Zentrum einer jeden psychologischen Ent­
pathen etc. überbrückbar, da deren Verhalten
wicklungstheorie steht der Begriff des Ent­
wicklungsstadiums. Dieser ist in seiner stärk­
situationsunspezifisch durch starke Persönlich­
keitsdeformationen bestimmt ist. Um Verhaltens-1 sten und am weitesten präzisierten Form inner­
halb der kognitivistischen Tradition (PIAGET,
1 Für eine detallierte Analyse der Input-Output-Rela- KOHLBERG) erarbeitet worden. Von Stadien
tionen der verschiedenen gesellschaftlichen Subsy­
der kognitiven Entwicklung sprechen diese Auto­
steme: ALMOND/VERBA 1963; EASTON 1965;
ren nur unter folgenden Bedingungen (KOHL­
PARSONS/SMELSER 1965; PARSONS 1967;
Unauthenticated
BERG 1969; FLAVELL
1972):
OFFE 1972.
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
R. Döbert, G. Nunner-Winkler: Konflikt- und Rückzugspotentiale in spätkapitalistischen Gesellschaften
- Die kognitiven Schemata der einzelnen Pha­
sen unterscheiden sich qualitativ voneinan­
der und die einzelnen Elemente eines pha­
senspezifischen Denkstils sind so aufeinan­
der bezogen, daß sie ein strukturiertes Gan­
zes bilden. Spezifische Verhaltensweisen sind
nicht einfach objektspezifische, extern stimu­
lierte Responses, sondern sind interpretier­
bar als Derivate einer bestimmten Form der
Strukturierung der Umwelt.
303
b) Die Vorzüge derartiger Theorien
Entwicklungslogisch orientierte Persönlichkeits­
theorien weisen nicht auch nur ein beträchtli­
ches integratives Potential auf, sondern verfu­
gen über eine Reihe forschungsstrategisch rele­
vanter Vorzüge:
— Nur diese Theorien legen es nahe, altersabhän­
gige qualitative Differenzen in Denk- und Re­
aktionsweisen zu untersuchen und entspre­
chende Forschungsinstrumente zu entwickeln:
die Anwendung gängiger IQ-Skalen z. B. un­
terstellt implizit, daß Kinder Erwachsene in
Kleinformat sind.
- Die phasenspezifischen Schemata sind in ei­
ner invarianten und zugleich hierarchisch
strukturierten Sequenz angeordnet. Das be­
deutet, daß keine spätere Phase ohne Durch­
laufen aller vorhergehenden erreicht werden
kann; daß weiterhin in späteren Entwicklungs­ — Nur aufgrund der Kenntnis des ganzen Ent­
stufen die Elemente früherer Phasen aufgeho­
wicklungsverlaufs läßt sich für gegebene Ein­
ben und auf erhöhtem Niveau neu integriert
stellungen und Denkstrukturen entscheiden,
ob es sich um stabile Persönlichkeitsmerk­
sind; und daß sich zudem ftir die Gesamt­
male oder phasenspezifische, vorübergehen­
sequenz eine Entwicklungsrichtung angeben
de Ausprägungen handelt. Die ganze Traitläßt (zunehmende Stimulusunabhängigkeit
Forschung krankt an der Unfähigkeit, die­
und größere Objektivität).
sen Unterschied angemessen zu berücksichti­
gen.
- Psychologisch interessant sind diese Entwick­
lungsstadien vor allem deshalb, weil aus der
— Nur innerhalb von Entwicklungstheorien
Tatsache, daß Individuen stets Problemlö­
läßt sich systematisch unterscheiden zwi­
sungen präferieren, die dem höchsten ihnen
schen der autonomen Entwicklung von
erreichbaren Niveau entsprechen, und daß
Argumentationsstrukturen und der bloßen
Schemata, die einer überholten Stufe ent­
Übernahme kultureller Muster. Der Libera­
stammen, im allgemeinen gemieden werden,
lisierungsschub amerikanischer College-Stu­
gefolgert werden kann, daß die Entwicklungs­
denten —vielfach an Veränderungen auf der
logik kein bloß äußerlich konstruiertes und
Autoritarismus-Skala nachgewiesen3 — ist
imputiertes Ordnungsschema darstellt, son­
teilweise entwicklungsbedingt, teilweise re­
dern einer psychologischen, auch motivatio­
flektiert sich in ihm lediglich eine konformi­
nal bedeutsamen, Realität entspricht2.
stische Übernahme der Normen der CollegeSubkultur.
Nur der entwicklungsbedingte
2 Die Tatsache, daß phasenspezifische Denkstrukturen
Teil
dieser
Veränderung
ist resistent gegen­
sich in einer altersabhängigen invarianten Abfolge
über
veränderten
Umwelteinflüssen
(im Be­
anordnen lassen, scheint auf den ersten Blick eine
ruf etwa).
maturationistische Position nahezulegen; d. h. man
könnte vermuten, die Intelligenzentwicklung müsse
als bloßer Reifungsprozeß, also als umweltabhängi­
ge Entfaltung eines genetisch verankerten Poten­
tials begriffen werden. Dies wäre jedoch eine krasse
Fehlinterpretation des PIAGETschen Ansatzes.
PIAGET konnte im Detail zeigen, daß die Intelli­
genz sich aus der aktiven Auseinandersetzung des
Organismus mit der physischen und sozialen Umwelt
entwickelt. Man kann die kognitive Entwicklung
nicht als unmittelbares Ergebnis der Entwicklung
neurologischer Schaltkreise (innate) interpretieren:
es sind keine strukturellen neurologischen Trans­
formationen zwischen Kindheit und Erwachsenen­
sein nachweisbar. Ebenso ist auch ein extremer En­
vironmentalismus damit ausgeschlossen. Denn das
Kind entwickelt seine Intelligenz nicht durch direk­
te Übernahme von Orientierungsmustern der Erwach­
senen: dann müßten die Strukturen der kindlichen
Intelligenz mit denen der Erwachsenen kongruent
sein. Die Position des Organismus-Umwelt-Interaktionismus setzt natürlich voraus - und hier liegen
bisher ungelöste Problembereiche - daß eine sinn­
volle, auf die Entwicklungslogik bezogene Klassifi­
kation von Typen von Umwelteinflüssen und insbe­
sondere eine entsprechende Klassifikation der familialen Lebenswelt entwickelt werden kann.
3 S.u.a. KATZ et al. Unauthenticated
1969; LEHMANN 1966.
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
304
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 2, Heft 4, Oktober 1973, S. 301-325
— Eine Entwicklungslogik erlaubt es, das Kon­
zept einer gelungenen Sozialisation, das je­
de Sozialisationstheorie schon allein des­
halb benötigt, weil sie die gesellschaftlich
vorgegebene Definition von gelungenen So­
zialisationsprozessen nicht schlichtweg igno­
rieren kann, zu präzisieren. Das ist zumin­
dest dann wichtig, wenn sich eine Soziali­
sationstheorie nicht darauf beschränken will,
die Genese eines typischen Sozialcharakters
nachzukonstruieren, sondern darüberhinaus
einen Bewertungsmaßstab für den Vergleich
von Sozialcharakteren anzielt, um so gege­
bene Persönlichkeitsstrukturen am Potential
menschlicher Entwicklung messen zu kön­
nen.
wie sie im folgenden ansatzweise skizziert wer­
den soll, könnte genau die gesuchte Verknüp­
fung von entwicklungslogischem und interaktionistischem Ansatz darstellen. Da zudem ihr
Kernstück die Theorie des moralischen Bewußt­
seins ist und sich in den Strukturen des mora­
lischen Bewußtseins Affinitäten zu den im
kulturellen System institutionalisierten Deu­
tungsmustern nach weisen lassen (s. unten),
scheint sie auch das zentrale Problem des Zusam­
menhangs zwischen Persönlichkeitsstruktur und
Verhalten einer Lösung näher bringen zu kön­
nen.
Die Fähigkeit der Theorie der kommunikativen
Kompetenz, zwischen sozialem und psychologi­
schem System zu vermitteln, ist vielleicht nicht
unmittelbar ersichtlich, da der Kompetenzbegriff
zunächst einmal als ein psychologisches Kon­
2. Der interaktionistische Ansatz
strukt aufgefaßt werden muß. Darüberhinaus
scheint auch seine analytische Unabhängigkeit
a) Vorbemerkung
gegenüber kognitiven und emotionalen Variablen
Üblicherweise werden in psychologischen Unter­ nicht hinlänglich gesichert zu sein, wenn er pri­
mär unter dem Gesichtspunkt von Konsistenz­
suchungen die relevanten Variablen unter dem
forderungen5, nämlich der Forderung nach Kon­
Gesichtspunkt der Maximierung der Gratifikationsbalance eines isolierten Individuums selesistenz der sozialen Identität, d. i. der gleichzei­
giert und organisiert. Dieser Vorgehens weise un­ tig von einem Individuum gehaltenen Positionen
terliegt das Modell eines unabhängig vom sozia­ untereinander; der personalen Identität, d. i. der
len System konstruierten Individuums, das in
im biographischen Ablauf nacheinander gespiel­
einer gegebenen Situation (die eine soziale sein ten Rollen; sowie der beiden Identitäten unter­
kann) monologisch Probleme löst, wobei unter­ einander eingeführt wird. Denn Konsistenzpro­
schlagen wird, daß die Struktur der Persönlich­ bleme sind rein kognitive Probleme, zu deren
keit und des Problemlösungsverhaltens selbst als Bewältigung kognitive und ggf. emotionale Res­
ein Aspekt des Interaktionszusammenhangs be­ sourcen (Frustrationstoleranz) ausreichen soll­
griffen werden muß. Werden nun im nachhinein ten. In diesem Fall wäre der Begriff der kommu­
Korrelationen zwischen Persönlichkeitsstruktu­ nikativen Kompetenz letztlich redundant.
ren und Merkmalen sozialer Systeme gefunden,
so sind diese zwar ex post im Rahmen einer neu­ Wir hoffen jedoch zeigen zu können, daß das
en Theoriesprache, innerhalb deren psychologi­ Konsistenzpostulat nicht, wie es in den psycho­
sche und soziologische Hypothesen integriert
logischen Dissonanztheorien der Fall ist, seine
werden müssen, interpretationsfähig. Diese Stra­ Basis in einem individuellen Bedürfnis hat, son­
tegie ist jedoch insofern empiristisch, als der
dern von vornherein auf die Konstitution von
aufgefundene Zusammenhang erst reaktiv zur
Intersubjektivität bezogen ist. Deshalb müßte
Hypothesenkonstruktion verwendet wird, an­
es möglich sein, zu demonstrieren, daß rein so­
statt daß versucht wird, ein Interpretationsmodell ziologische Theorien — also beispielsweise die
zu finden, in dem psychologische und soziologi­ traditionelle Rollentheorie — systematisch Leer­
sche Strukturen als zwei Aspekte eines identi­
schen Phänomens begriffen werden können4.
5 S. OEVERMANN/KRAPPMANN/KREPPNER
Die Theorie der kommunikativen Kompetenz,
1968; GOFFMAN 1961; HABERMAS 1968; in
4 Von einem anderen.theoretischen Ansatz her hat
BALES genau das gleiche Ziel verfolgt; vgl. z. B.
das umfangreiche Material in BALES 1970.
diesen Ansätzen wird das Konzept der kommuni­
kativen Kompetenz (Ich-Identität) immer unter
dem Gesichtspunkt der Bedingung der Möglich­
keit der Individuierung
diskutiert. Damit ist nur
Unauthenticated
eine Seite des Konzepts
angesprochen.
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
R. Döbert, G. Nunner-Winkler: Konflikt- und Rückzugspotentiale in spätkapitalistischen Gesellschaften
stellen enthalten, die genau auf das Konstrukt
der kommunikativen Kompetenz verweisen.
Anders ausgedrückt: das Konzept der kommuni­
kativen Kompetenz muß in gleicher Weise vom
Standpunkt des sozialen Systems wie vom
Standpunkt des einzelnen Aktors her einfuhrbar
sein. Das soll über den Umweg einer eingehende­
ren Analyse der traditionellen Rollentheorie ge­
leistet werden.
305
Die Rollentheorie behandelt diese Mechanismen
als prinzipiell gleichrangig. Das sind sie auch,
wenn man den Standpunkt eines isolierten Sub­
jektes einnimmt, oder nur kurzfristiges Kon­
fliktmanagement anvisiert. Unter dem für die
Rollentheorie eigentlich zentralen Gesichtspunkt
der Konstitution und Aufrechterhaltung von
Intersubjektivität jedoch können diese Mecha­
nismen nicht als gleichrangig gelten. Die unter
dem Titel ,,Intrarollenkonflikte“ aufgefuhrten
Mechanismen implizieren, daß Verhaltenserwar­
b) Ableitung des Konzepts der kommunikativen tungen verletzt werden, Sanktionen jedoch un­
Kompetenz
wahrscheinlich oder nicht gravierend sind. Ein
zumindest kurzfristiger Bruch von Intersubjekti­
Die traditionelle Rollentheorie sucht die Stabi­ vität wird bewußt in Kauf genommen. Soweit
lität von Interaktionssequenzen zu erklären. Sie das gilt, müssen diese Mechanismen, wie funk­
weist nach, daß eine notwendige Voraussetzung tional sie auch immer für den einzelnen Handeln­
für eine solche Stabilisierung darin besteht, daß den sein mögen, als für das soziale System dys­
sich ein System reziproker Verhaltenserwartun­ funktional gelten. Ihre Dysfunktionalität für
gen etabliert. In einem solchen System kann
das soziale System variiert offensichtlich: unter­
ego alters Intentionen antizipieren und seine
schiedliches role-involvement (Mechanismus 1)
eigenen Handlungen daran orientieren (und vice impliziert die geringste Gefährdung der Bezie­
versa). Probleme ergeben sich in dem Moment, hung, da der Konflikt offenliegt und einer der
in dem einer der beiden Interaktionspartner
Interaktionspartner freiwillig auf seine Ansprü­
(oder beide) in Rollenkonflikte verwickelt wer­ che verzichtet. Als wie stark die Dysfunktiona­
lität der anderen Mechanismen einzuschätzen
den, so daß alter nie wissen kann, welche der
konfligierenden Orientierungen für ego hand­
ist, läßt sich nicht generell angeben, sondern
muß unter Rekurs auf die je wechselnden kon­
lungsbestimmend wird, oder, im ungünstigsten
Falle, nicht einmal bemerkt, daß alter sich ein­ kreten Situationen entschieden werden.
ander widersprechenden Erwartungen ausgesetzt
sieht. Die Rollentheorie nennt eine Reihe struk­ Ähnlich liegen die Dinge bei dem zweiten set
tureller Mechanismen, die die Wahrscheinlich­
von strukturellen Konfliktvermeidungsstrategien.
keit des Auftretens derartiger Situationen mini­ Obwohl durch Segmentierung und Sequentiali­
mieren oder sie sanktionsfrei lösbar machen6:
sierung eine unmittelbare Verletzung von Ver­
haltenserwartungen vermieden werden kann,
da die inkonsistenten Erwartungen in räumli­
1. für Intrarollenkonflikte
a) unterschiedliches role-involvement verschie­ cher und zeitlicher Trennung koexistieren, inhäriert ihnen doch ein beträchtliches disrupdener Positionsträger
b) differentielle Macht der inkonsistente For­ tives Potential. Bricht nämlich die Segmentalisierung zusammen — und wie ausserordentlich
derungen stellenden Positionsträger
schwierig und aufwendig es ist, das auf Dauer
c) differentielle Sichtbarkeit von einzelnen
konformen bzw. devianten Handlungsmöglich­ zu verhindern, wird von GOFFMAN in seinen
Untersuchungen über Stigma-Management
keiten
d) Unterstützung durch Inhaber gleicher Po­ (GOFFMAN 1963) zur Genüge illustriert - so
wird die Beziehung durch inkonsistente Verhal­
sition
tensaspekte überschwemmt. Diese sind umso
gefährlicher, je erfolgreicher sie bislang abge­
2. für Interrollenkonflikte
schirmt werden konnten. Ego muß nämlich in
a) Segmentierung
jeder
Situation unterstellen können, daß alter
b) Sequentialisierung
ein „verläßlicher“ Interaktionspartner ist, wobei
c) Wissen um die Vielzahl von Rollen
diese Verläßlichkeit mit allzu großer Inkonsistenz
innerhalb des Rollenrepertoires inkompatibel ist.
Wenn unvorbereitet und
unexpliziert konträre Nor­
6 Vgl. MERTON 1957; DREITZEL 1968.
Unauthenticated
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
306
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 2, Heft 4, Oktober 1973, S. 301-325
men in eine Situation einbrechen, erscheint alter Konformität und Distanzierung herstellen zu
können und zu wollen.
als nur bedingt verläßlich. Wie kann derselbe
Handelnde x und non-x vertreten! Muß ego nicht
annehmen, daß alter die im gegebenen Kontext Der Begriff einer angemessenen Balance bedarf
geltenden Normen überhaupt nicht richtig verstan­ noch der Präzisierung. Ego unterstellt alter ge­
den hat? Muß er nicht annehmen, daß der Schein wisse Flexibilität des Verhaltens. Diese darf je­
von Intersubjektivität lediglich auf Mißverständ­ doch nicht in einen absoluten situationalen Op­
nissen beruhte? Dieses Mißtrauen setzt einen
portunismus Umschlägen, da alter sich sonst für
circulus vitiosus in Gang, der dann die Möglich­ ego hinsichtlich seiner Verläßlichkeit als Inter­
keit der Herstellung von reziproken Erwartun­
aktionspartner disqualifiziert. Denn ego weiß,
gen endgültig zerstören muß. D.h. aber, daß un­ daß im Falle opportunistischer Flexibilität sei­
abhängig vom Problem des Persönlichkeitssystems, ne Bedürfnisse nur kontingent, d. h. abhängig
sich selbst in heterogenen Situationen als iden­ von der relativen Stärke seines Sanktionspoten­
tisch durchhalten zu können, die Konsistenzfor­ tials im Verhältnis zu möglichen anderen Sank­
derung als notwendige Bedingung der Aufrechter­ tionierungsinstanzen, gewährleistet ist. Als ver­
haltung von Intersubjektivität aufgefaßt werden läßlich kann ein kompromißfähiger Interaktions­
muß. Unter diesem Gesichtspunkt erweist sich
partner nur gelten, wenn seine Flexibilität sich
der Mechanismus, der oben als „Wissen um die
als prinzipiengeleitet erweist und man jederzeit
Vielzahl von Positionen“ angeführt wurde, als
sicher sein kann, daß der andere in seinen wech­
vor den anderen ausgezeichnet. Denn dieser
selnden Synthesen sich selbst als Identischer durch­
hält. Die Fähigkeit, sich situationsadäquat und
Mechanismus schließt eine unvorbereitete Dis­
qualifizierung des Handelnden in der gegebenen dennoch prinzipiengeleitet flexibel verhalten zu
Situation aus. Und ebenso wie unterschiedliches können, nennen wir kommunikative Kompetenz.
role-involvement unterläuft er nicht die Möglich­
keit einer Konsensusbildung, sondern führt zu
Wenn sich derart die kommunikative Kompetenz,
einer erneuten Equüibrierung des Systems unter ein eher psychologisches Konstrukt, als Implikat
komplexeren Bedingungen. Wenn man seine Funk­ der Mechanismen ergibt, die innerhalb der Rol­
tionsweise genauer analysiert, dann zeigt sich,
lentheorie unter dem Gesichtspunkt der Konsti­
daß er auf einer Reihe von Unterstellungen ba­ tution von Intersubjektivität eine ausgezeichnete
siert7.
Position einnehmen, dann dürfen wir vielleicht
zu Recht schließen, daß das Konzept der kom­
Wir müssen zunächst noch einmal explizit fest- munikativen Kompetenz einer Sprache angehört,
halten, daß es sich um einen strukturellen Me­ die geeignet ist, die oben geforderte Integration
chanismus handelt, der ego und alter von Ichzu leisten.
leistungen entlastet, und zwar genau dadurch,
daß er unterstellt, daß beide Interaktionspart­
Es versteht sich, daß die oben beschriebenen
ner über kommunikative Kompetenz verfügen.
wechselseitigen Unterstellungen, die für die
Wie wird dieser Entlastungseffekt produziert?
Funktionsfähigkeit des strukturellen Mechanis­
Ego weiß, daß alter mehrere Positionen innehat mus „Wissen um Vielzahl von Positionen“ kon­
und ist von daher bereit, gewisse Inkonsistenzen stitutiv sind, nur dann über längere Zeiträume
im Verhalten von alter zu tolerieren. Das kann aufrechterhalten werden, wenn sie ein fundamener aber nur, weil und insoweit er unterstellt, daß tum in re haben, d. h. wenn Individuen wenig­
alter versuchen wird, obwohl er gezwungen ist, stens graduell über die unterstellte Kompetenz
die Verhaltenserwartungen der vorliegenden Rol­ auch tatsächlich verfügen. Diese Kompetenz be­
lenbeziehung auf dem Hintergrund seiner anderen fähigt das Individuum jederzeit, die unlösbar
Verpflichtungen zu relativieren, die legitimen Er­ miteinander verschränkten Probleme der Auf­
wartungen egos soweit nur irgend möglich zu be­ rechterhaltung von Intersubjektivität und der
rücksichtigen. Das bedeutet aber, daß ego alter Durchhaltung eines identischen Selbst trotz der
Rollenvielfalt und der biographischen Verände­
unterstellt, eine angemessene Balance zwischen
rungen gleichzeitig zu lösen. Es handelt sich um
eine Kompetenz, die wir kommunikative Kom­
petenz nennen, sofern eher Probleme des sozia­
7 Ähnliche Unterstellungen ließen sich am Beispiel
len Systems, und Ich-Identität,
sofern eher Pro­
von „unterschiedlichem Involviertsein“ nachweisen.
Unauthenticated
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
R. Döbert, G. Nunner-Winkler: Konflikt- und Rückzugspotentiale in spätkapitalistischen Gesellschaften
307
lichkeit von Intersubjektivität selbst formulie­
ren. KOHLBERG faßt den Sachverhalt prägnant
zusammen: „The direction of social or ego
Es dürfte einleuchten, daß nicht beliebige Prin­ development ist also toward an equilibrium or
zipien in gleicher Weise die Funktion der Steue­ reciprocity between the seifs action and those
of others toward the self. In its generalized form
rung wechselnder Synthesen von Rollenerwar­
this equilibrium is the endpoint or definer of
tungen übernehmen können. Partikularistische
Normen sind — da sie per definitionem an eine morality, conceived as principles of justice, i. e.
Rolle gebunden sind (vgl. PARSONS et al. 1953) of reciprocity or equality“ (KOHLBERG 1969).
wenig geeignet, eine verallgemeinerte Basis von
D. h. es besteht ein systematisches Präjudiz ge­
Intersubjektivität herzustellen. Es wäre zwar
denkbar, daß vom Standpunkt einer partikula- gen solche universalistischen Prinzipien, die asym­
ristischen Beziehung her das ganze Rollengefüge metrische Sozialbeziehungen fordern.
hierarchisiert würde: diese Lösung impliziert je­
doch immer eine Einschränkung der Reziprozi­
tät von Bedürfnisbefriedigung anderer Rollen­
3. Persönlichkeitsstrukturelle Implikationen
partner.
Unter einem persönlichkeitsstrukturellen Gesichts­
Diese Auszeichnung universalistischer Prinzipien punkt ergeben sich aus den obigen Ausführungen
läßt sich noch weiter präzisieren: Situationen,
folgende Konsequenzen: Ich und Über-Ich — um
in denen Ausgangspunkte möglicher Mißverständ­ es in der Sprache der psychoanalytischen Theorie
nisse nicht nur konkrete konfligierende Rollen­ zu formulieren — müssen sich ausdifferenziert
erwartungen sind, sondern in denen, sozusagen
haben. Denn nur durch Rekurs auf im Über-Ich
auf der nächsten Steuerungsebene, ein Prinzipien­ lokalisierte rollenunspezifische Prinzipien kann
das Individuum vermeiden, daß es in der Viel­
dissens der Interaktionspartner die jeweils ge­
wählte Form der Synthese uneinsichtig werden zahl von Rollen und wechselnden Situationsdefi­
läßt, müssen noch auflösbar sein. Das kann nur nitionen völlig diffundiert (kurzfristiges Situa­
dadurch geschehen, daß die Kontroverse als sol­ tionsmanagement). Darüberhinaus müssen diese
Prinzipien jederzeit selbstreflexiv verfügbar sein:
che thematisiert wird. Diese Situation unter­
scheidet sich nicht prinzipiell von den Situatio­ das Über-Ich darf also nicht rigide terroristisch,
sondern muß ego-synton und flexibel sein. Das
nen, in denen, bedingt durch Rollenkonflikte,
Verhaltensnormen relativiert werden: in beiden wiederum setzt Ich-Stärke und Integration der
Fällen müssen Diskurssituationen etabliert wer­ Es-Impulse voraus: denn das Verläßlichkeitspo­
stulat macht es erforderlich, daß der Handelnde
den, die die ungebrochene Verhaltenskontrolle
mit seinen internen Impulsen und mit externen
von Normen sistieren, also zumindest tenden­
Anforderungen rational umgehen kann. Denn
ziell herrschaftsfreie Kommunikation ermög­
lichen. Es wäre paradox, wenn in einer Diskus­ Probleme ergeben sich eigentlich immer nur dann,
sion über Prinzipien genau solche Prinzipien ver­ wenn Konflikte zwischen internen Impulsen und
teidigt würden, die den für den Diskurs konstituti­ interalisierten Standards, Impulsen und objekti­
ven Fundamentalnormen widersprechen würden. ver Realität oder zwischen konkurrierenden ex­
ternen Anforderungen entstehen. Um diese lösen
Denn diese Fundamentalnormen formulieren
zu können, muß ein kommunikativ kompetenter
das Prinzip der Intersubjektivität auf generali­
sierter Ebene. Normendiskussionen können sich Akteur über bestimmte Strategien des Umgangs
mit Impulsen, Standards und externen Zwängen
natürlich auf allen Abstraktionsebenen und an
den heterogensten issues entzünden. Sofern sie verfügen. Zu diesen Strategien gehören die kog­
nicht schon auf der ihnen unmittelbar zuzuord­ nitiven Schemata, die Abwehrmechanismen und
die generalisierten Ich-Ressourcen wie Frustra­
nenden Metaebene gelöst werden können und
tionstoleranz, Ambivalenztoleranz, Locus of Con­
die Argumentation sich sukzessive durch ver­
trol, Extensität des Zeithorizonts8.
schiedene logische Ebenen bewegt, muß — soll
ein unendlicher Regress ausgeschlossen sein —
auf nicht hinterfragbare Prinzipien rekurriert wer­
1936; MILLER/SWANSON 1966; KROEden können. Diese können eigentlich keine ande­ 8 FREUD
BER 1963; MADISON 1961; ROTTER 1971;
ren sein, als die, die die Bedingungen der Mög­
CROWNE/MARLOWEUnauthenticated
1967; MACDONALD 1970;
bleme des Persönlichkeitssystems thematisiert
werden.
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
308
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 2, Heft 4, Oktober 1973, S. 301-325
Diese Variablen müssten an sich soweit in das
Konzept der kommunikativen Kompetenz inte­
griert werden, daß sich unterschiedlichen Kom­
petenzniveaus je verschiedene Ausprägungen die­
ser Dimensionen zuordnen lassen und so unter­
schiedliche Identitätsformationen mitdefinieren.
Dabei soll „Identitätsformation“ ein hypothe­
tisches Konstrukt bezeichnen, mit dessen Hilfe
es möglich wird, die Vielzahl der psychologischen
Variablen zu Clustern zusammenzufassen und
mit Bezug auf das Rollenset und das institutiona­
lisierte Wertsystem zu organisieren. Die Tatsache,
daß es bei dem gegenwärtigen Forschungsstand
noch nicht möglich ist, generalisierte Ich-Ressourcen und Abwehrmechanismen rein deduktiv Per­
sönlichkeitsstrukturen im Normalbereich zuzu­
ordnen — man also rein induktiv vorgehen muß
— braucht die hier eingeschlagene Strategie inso­
fern nicht so stark zu affizieren, als die Struk­
tur des moralischen Bewußtseins — wie sich ei­
gentlich schon bei der Einführung des Begriffs
der kommunikativen Kompetenz gezeigt hat für dieses Forschungsprojekt aus folgenden Grün­
den einen strategischen Stellenwert hat:
Doppelproblematik von Intersubjektivität und
Individualität zusammen trifft und es gar nicht
so definiert werden kann, daß rein monologisch­
instrumenteiles Handeln möglich ist.
— Die evaluative Komponente des Handelns in­
tegriert kognitive und affektive Faktoren zu
rudimentären Situationsschemata9 und ist da­
her eher geeignet, konkretes Handeln prognosti­
zierbar zu machen.
— Die Schemata des moralischen Bewußtseins
sind in umfassendere Begründungszusammen­
hänge (Weltbilder, Gesellschaftsbilder) einge­
bettet und zwar nicht nur aus kontingenten Grün­
den, sondern weü sie unter Rekurs auf dieselben
Dimensionen wie Welt- bzw. Gesellschaftsbilder
rekonstruiert werden können. Aufgrund dieser
Affinitäten wird man erwarten dürfen, daß die
Stufen des moralischen Bewußtseins einen Teil
der Varianz von Einstellungssyndromen erklä­
ren. Wenn diese Unterstellung sich als triftig er­
weisen sollte, wäre man dem Problem der Er­
klärung von Verhaltenspotentialen nähergekomjnen, da man nun von formalen Persönlichkeits­
— Die kognitiven, linguistischen und emotionalen strukturen auf inhaltliche, situationsnahe Deu­
Ressourcen lassen sich ohne Schwierigkeiten auch tungsmuster schließen könnte.
im Rahmen eines eher monologischen Ansatzes —
d. h. des Modells des isolierten, seine Gratifika­ — Für das moralische Bewußtsein kann als ge­
tionsbalance optimierenden Subjektes —entfal­ sichert gelten, daß es sich gemäß einer Entwick­
ten, da sie per se gegenüber möglichen Anwen­ lungslogik phasenweise entfaltet ( PIAGET 1932).
dungsformen neutral sind und jederzeit rein stra­ Man wird daher erwarten dürfen, daß sich die
tegisch-opportunistisch ausgebeutet werden kön­ eingangs erwähnten theoriestrategischen Vorzüge
nen. Anders beim Über-Ich: dieses Konzept muß von entwicklungslogischen Ansätzen auch an dem
innerhalb einer Theorie, die psychologische und übergreifenden Konzept der kommunikativen
soziologische Begriffsbüdung zu integrieren sucht, Kompetenz erweisen werden. Es muß also mög­
einen zentralen Stellenwert haben, weil die höch­ lich sein, Entwicklungsstufen der kommunikati­
ste Stufe der Entwicklung des moralischen Be­ ven Kompetenz und der zugehörigen Identitäts­
wußtseins als universalistisch-kommunikative
formationen zu rekonstruieren und biographisch
Ethik gleichzeitig die Identität des Individuums zu lokalisieren. Dies soll im folgenden versucht
und die Konstitution von Intersubjektivität ver­ werden.
bürgt. Moralische Probleme sind immer Probleme,
die die Möglichkeit des Zusammenlebens mit an­
deren Menschen betreffen. Nur wenn das Indi­
viduum Prinzipien, die ein solches Zusammenle­
ben garantieren, anerkennt, vermag es auch sei­
ne eigene Identität durchzuhalten. Mit anderem
Wort: das Über-Ich hat deshalb einen ausgezeich­
neten Stellenwert innerhalb der Theorie der
9 PARSONS 1951; PARSONS/SHILS 1951; So auch
KOHLBERG. Doch wird in seinem Modell die In­
kommunikativen Kompetenz, weil in ihm die
MISCHEL 1961; HECKHAUSEN 1967; QUAY
1965; KASAKOS 1973.
tegration der affektiven Faktoren als unproblema­
tisch behandelt, weshalb er allzu leicht von der
Struktur des Urteils auf Handlungsbereitschaft
Unauthenticated
schließt; vgl. KOHLBERG
1971.
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
R. Döbert, G. Nunner-Winkier: Konflikt- und Rückzugspotentiale in spätkapitalistischen Gesellschaften
309
4. Die drei Stufen der Entfaltung der kommuni­ Unsere Behauptung ist nun, daß den drei Stufen
kativen Kompetenz10
der Entwicklung der kommunikativen Kompetenz
genau Phasen der ontogenetischen Entwicklung
Die Stufen der kommunikativen Kompetenz sind und Stufen der Integration des Kindes in das
von zwei Seiten her beschreibbar: von den Im­ Netz intersubjektiv geteilter Erwartungen ent­
perativen des Sozialsystems her und von den zur sprechen. Diese sollen im folgenden beschrieben
werden. Dabei werden wir die prä-ödipale und
Aufrechterhaltung von Identität erforderlichen
Fähigkeiten des Subjekts her. Aus der Art der
die ödipale Phase nur kursorisch umreißen, da
bisherigen Argumentation — wir haben das Kon­ die uns interessierende Auseinandersetzung mit
zept der kommunikativen Kompetenz unter Re­ der kulturellen Tradition erst in der Adoleszenz
kurs auf die Mechanismen der Lösung von Rol­ beginnt.
lenkonflikten eingeführt - ergibt sich, daß die
beschriebene Form der prinzipiengeleiteten Flexi­
bilität ein Implikat hochkomplexer Gesellschaf­ 5. Die Phasen der ontogenetischen Entwicklung
ten ist und zugleich die optimale Organisation
des Persönlichkeitssystems unter diesen Bedingun­ a) die präsoziale Phase der natürlichen Identität
gen von Überkomplexität darstellt. Insofern re­
präsentiert das Konstrukt, so wie es bislang ein­ Diese Phase kann man schlagwortartig als die
geführt ist, die höchste Stufe der Entfaltung der Phase des Übergangs von der unbedingten zur
kommunikativen Kompetenz und muß insoweit bedingten Gratifikation bezeichnen. Das Fami­
als Idealisierung gelten: weder sind derartige kom­ liensystem muß den Bedürfnissen aller Mitglieder
plexe sozialstrukturelle Bedingungen immer gege­ Rechnung tragen. Daher muß das Kind lernen,
ben, noch ist jedes Individuum in der Lage, die seine Bedürfnisse soweit zu kanalisieren, daß es
zumindest Gratifikationsaufschub tolerieren kann.
optimale Lösung zu realisieren.
Die dabei zu lernenden Restriktionen und sozia­
Schränkt man die Anforderungen, denen das In­ len Tabus unterscheiden sich auf dieser Stufe
dividuum sich ausgesetzt sieht, zunehmend ein, noch nicht prinzipiell von physischen Hinder­
so ergeben sich zwei weitere Kompetenzniveaus nissen, da das Kind in mehrfacher Hinsicht noch
und korrespondierende Identitätsformationen: in ein sehr unvollkommener Interaktionspartner
traditionalen, gut integrierten Gesellschaften ist ist:
das Bündel von vorgegebenen Verhaltenserwartun­
gen relativ konfliktfrei um eine Rolle zentriert. — seine eigenen Intentionen sind noch in keiner
Weise generalisiert und auf ein Bündel von
Dem entspricht eine Rollenidentität, d. h. das
Rollenerwartungen bezogen;
Individuum definiert sich selbst und wird auch
von anderen in erster Linie als Träger einer be­
stimmten Rolle, von der es sich weder distanzie­ — sein eigenes Innenleben ist ihm nicht als sol­
ches, d. h. differenziert von externen Ereignis­
ren kann noch muß, perzipiert. Bei noch stärke­
sen präsent;
rer Einschränkung der Fähigkeit zum Rollenhan­
deln ergibt sich eine in gewisser Weise vorsoziale
Persönlichkeitsstruktur, die natürlich auf gesamt­ — es verfügt noch nicht über die zur Herstellung
gesellschaftlicher Ebene nicht als modale Persön­
von Reziprozität notwendigen kognitiven Sche­
lichkeit realisiert werden kann, sondern nur in
mata, die es erlauben würden, das Handeln
der ontogenetischen Entwicklung als Durchgangs­
der Eltern als von Intentionen geleitet zu in­
stufe auftaucht. Diese natürliche Identität ist
terpretieren. Daher können die Eltern nur als
überhaupt noch nicht auf ein set von intersub­
physisch unterscheidbare soziale Objekte, nicht
jektiv verbindlichen Rollenerwartungen bezogen,
aber als Träger differenter Rollen auftreten.
sondern stellt eher eine Integration von Trieb­
strebungen dar, wobei die Intentionen anderer
Da das Kind somit weder über ein Konzept von
nur in ihren externen Auswirkungen erfahrbar
Intentionalität überhaupt — und viel weniger
werden.
von generalisierten Verhaltenserwartungen — ver­
fügt, agiert es sozusagen wie ein externer Beob­
achter nur auf der Ebene des manifesten Verhal­
Unauthenticated
tens der Systemmitglieder.
Da das Kind nicht
10 HABERMAS 1972.
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
310
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 2, Heft 4, Oktober 1973, S. 301-325
auf der Ebene geteilter Erwartungen in das Familiensystem integriert ist und auch sein eigenes
Verhalten nicht um generalisierte Rollenerwar­
tungen zentrieren kann, sprechen wir von einer
natürlichen Identität. Dieser entspricht auf seiten
der Interaktionsnetze eine extrem vereinfachte
Familienstruktur; das Kind steht einem undiffe­
renzierten Elternpaar gegenüber (fehlende Ge­
schlechtsrollendifferenzierung, Vorrangigkeit der
Mutter-Kind-Dyade).
konfrontiert sieht und zwischen diesen ausba­
lancieren muß.
Auf der kognitiven Seite sind für ein erfolgrei­
ches Agieren innerhalb des nunmehr kom­
plexeren Familiensystems folgende Voraussetz­
ungen erforderlich:
— Transformation der sensomotorischen Sche­
mata zu „konkreten Operationen“, wodurch
Klassifikation, Sedation und Konstanz von
mehrdimensionalen Objekten ermöglicht wird;
Moralische Probleme können auf dieser Stufe
noch nicht auftauchen, da die ungebrochene
Spontaneität des Verhaltens sich einer reflexiven — zunehmende Integration von sprachlichen Re­
gelsystemen und sprachlicher Intelligenz, so
Steuerung entzieht und die fehlende Generalisie­
daß nicht nur das dem Vokabular inhärierenrung von Intentionen moralische Dilemmata
de Klassifikationspotential ausgebeutet, son­
nicht sichtbar werden läßt. KOHLBERGS Stadium
dern vor allem auch die mit dem grammati­
O der moralischen Entwicklung („The good is
kalischen Regelsystem gegebene Möglich­
what I want“) entspricht genau dieser Situation,
keit, Sachverhalte aufeinander zu beziehen
in der Triebregung-unkontrolliert durch interund ihren logischen Zusammenhang zu klä­
nalisierte Bewertungsmaßstäbe-ausagiert werden.
ren, zur Induktion von Inkonsistenzen ge­
nutzt werden kann.
b) Die ödipale Phase der Rollenidentität
Der Prozeß der Transformation der natürlichen
vorödipalen Identität zur voll entfalteten Rol­
Die zentrale Errungenschaft dieser Periode be­
lenidentität zieht sich über mehrere Jahre hin
steht im Erwerb der Geschlechtsrolle und der
Internalisierung der Generationsrolle, wobei die­ und läßt sich in 2 Substadien unterteilen. Im
se beiden Segmente der Kindrolle so aufeinander ersten Substadium (bis etwa 10) kann das Kind
bezogen sind, daß die möglicherweise disruptiven Reziprozität erst in rudimentärer Form herstei­
Implikationen der Geschlechtsrolle (Inzesttabu) len, da es nur über einen Teil der erforderlichen
neutralisiert werden. Der Erwerb der Geschlechts­ kognitiv-motivationalen Strategien verfugt (FLAVELL et al. 1968) (defizientes Rollenspiel, d.h.
rolle setzt eine neue Diskriminierungsleistung
voraus: das Kind lernt, zwischen der expressiven mangelnde Fähigkeit, die Perspektive von Alter
Rolle der Mutter und der instrumenteilen Rolle einzubeziehen). Als endgültig etabliert und in
multiplen Rollenkontexten funktionsfähig kann
des Vaters zu unterscheiden und sie dennoch
die Fähigkeit zur Herstellung von Reziprozität
als komplementär aufeinander bezogen zu be­
erst in der Phase der Prä-Adoleszenz (10—13)
greifen. Mit dieser Internalisierung der beiden
Segmente der Kindrolle lernt das Kind zum er­ gelten.
sten Male eine Form der Verhaltenssteuerung,
die nicht mehr so stark von situationalen Stimuli Auch die Entwicklung des moralischen Bewußt­
seins durchläuft verschiedene Teilstadien. Zwei
abhängt, sondern sich an internen Monitoren
Trends charakterisieren diese Entwicklung: die
orientiert.
Kriterien der Beurteilung werden in zunehmen­
den Maße generalisiert und internalisiert. Mit
Die so auf neuem Niveau geleistete Integration
KOHLBERG lassen sich zwei Hauptstadien, die
des Kindes in ein differenziertes familiales In­
teraktionssystem generiert Probleme, deren Lö­ jeweils wieder zwei Unterstadien haben, unter­
scheiden:
sung reflexive Bewertungsmaßstäbe, nämlich
moralisches Bewußtsein, erfordert: mit der Aus­
differenzierung der Geschlechtsrollen der Eltern a. Präkonventionelles Stadium (6—10)
erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, daß das
Kind in einer gegebenen Situation sich mit
1. Punishment - Obedience Orientation
nicht voll kongruenten Verhaltenserwartungen
Die entscheidende
Differenz gegenüber der
Unauthenticated
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
R. Döbert, G. Nunner-Winkler: Konflikt- und Rückzugspotentiale in spätkapitalistischen Gesellschaften
311
vormoralischen Stufe besteht darin, daß eine c) Die Adoleszenzphase (13—25) — Aufbau
moralische Ordnung als solche anerkannt wird, einer flexiblen, prinzipiengeleiteten Ichdas Kind aber für konkrete Entscheidungen
Identität11
noch auf das externe Kriterium „Bestrafung“
zurückgreifen muß.
Das optimale Resultat des für die Adoleszenz­
phase typischen Entwicklungsschubs ist die
2. Instrumental Hedonism and Concrete Reci­
Transformation der strikt rollengebundenen
procity
Identitätsformation der vorangehenden Periode
Hier wird das Kriterium der Strafe durch das in eine stärker individualisierte, relativ rollen­
pragmatischer Nützlichkeit und sozusagen
unabhängige Integration des Persönlichkeits­
äußerlicher Reziprozität ersetzt. Begriffe wie systems.
„Dankbarkeit“, „Loyalität“, „Gerechtigkeit“
sind noch nicht bekannt.
Ausgelöst wird dieser Schub durch eine Reihe
von Veränderungen des Rollensystems, und
zwar sowohl durch Ausweitung des Rollensets,
b. Konventionelles Stadium (10—13)
wie durch qualitative Veränderung alter Rol­
len (Geschlechtsrolle). Um einige dieser Ver­
3. Orientation to Interpersonal Relation of
änderungen zu nennen:
Mutuality
Die ,,good-boy“-Orientierung dieser Phase
Intensivierung der peer-group-Interaktion; Auf­
löst sich zwar von externen, greifbaren Sank­ bau heterosexueller Beziehungen; Vorbereitung
tionen, bleibt jedoch weitgehend auf soziale auf die Berufsrolle und Konkretisierung der
Reaktionen (Zustimmung und Anerkennung) Staatsbürgerrolle; Veränderung der Beziehung
verwiesen. Typisch ist das Bestreben, sich
zur Herkunftsfamilie, tentativer Erwachsenen­
Mehrheitsmeinungen blind zu unterwerfen.
status. In diesem Netz von Erwartungen muß
Gegenüber Stadium „a“ setzt sich eine stärkere der Jugendliche agieren, ohne daß die Lösung
möglicher Konflikte, durch eine eindeutige
Orientierung an Intentionen durch.
Hierarchisierung präjudiziert wäre oder einfach
anderen Agenten angelastet werden könnte. Da­
4. Maintenance of Social Order, Fixed Rules
mit ist genau die Situation gegeben, in der, wie
and Authority
oben gezeigt, Intersubjektivität auf hochgradig
Der Unterschied zur vorangehenden Stufe
liegt im Wesentlichen darin, daß die morali­ autonome Individualität verwiesen ist.
schen Prinzipien als per se, d.h. unabhängig
von unmittelbarer sozialer Validierung, gültig Unter strukturellem Aspekt kann die Phase als
beendet gelten, wenn der Jugendliche mit der
erfahren werden. Die moralische Ordnung
wird als von Personen gelöste, fixe Struktur Übernahme einer Berufsrolle und der Gründung
erfahren, die um ihrer selbst willen Respekt einer eigenen Familie endgültig in die Gesell­
verdient und nicht hinterfragbar ist.
schaft integriert ist (oder dauerhaft eine Außen­
seiteridentität gewählt hat (Tramp)).
Obwohl das Kind gegen Ende dieser Phase schon
Kognitives Korrelat der für die Adoleszenz
mehrere Rollen spielt (Schule, Familie, peers),
läßt sich das kindliche Persönlichkeitssystem die­ charakteristischen Identitätskrise ist der Er-1*
ser Phase noch als Rollenidentität stabilisieren:
Die einzelnen Lebensbereiche des Kindes sind in 11 KENNISTON konstruiert eine Youth-Phase als
eigenständiges, der Adoleszenz folgendes Stadium.
der Regel relativ gut integriert, so daß Konflikte
sich beim Übergang von Spätadoleszenz zum
minimiert werden und das set von Rollen ist ein­ Da
Erwachsenenstatus jedoch keine grundsätzlich neuen
deutig hierarchisiert, da die Rolle als Familien­
psychologischen Probleme stellen, scheint es sinn­
mitglied dominiert, und prinzipiell die Familie
voller, eine verlängerte Adoleszenz und nicht zwei
für alle Belange des Kindes in letzter Instanz
unterschiedliche Stadien anzusetzen.
Zu der folgenden kurzen Darstellung der Adoles­
verantwortlich ist.
zenzphase vgl. u.a. DEUTSCH 1967; INHELDER/
PIAGET 1958; PIAGET 19692 ; ELDER 1968;
ERIKSON 1966; BLOS 1962; DOUVAN/ADELSON 1966; ADAMS Unauthenticated
1968.
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
312
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 2, Heft 4, Oktober 1973, S. 301-325
werb einer Reihe von Schemata, die PIAGET
unter dem Titel „formal-operationales Denken“
zusammenfaßt. Dazu gehören als Voraussetzun­
gen für hypothetisch-deduktives Denken die Be­
herrschung der formalen Aussagenlogik sowie
kombinatorischer und invers-reziproker Opera­
tionen.
politische und ökonomische Subsystem über das
kulturelle System (Bildungswesen) vermittelt
wird und sich nicht in faktischer Teilnahme an
den beiden Subsystemen realisiert, hat die Re­
flexion auf gesellschaftliche Tatbestände einen
prononciert utopisch-spekulativen Charakter und
entzündet sich in erster Linie an den überliefer­
ten Deutungssystemen.
Ohne diese kognitiven Ressourcen wäre es nicht
möglich, sich vom unmittelbar Vorgegebenen
lösen und das Mögliche und Zukünftige denken
zu können. Erst wenn die Realität als Ausschnitt
aus einer Klasse alternativer Möglichkeiten be­
griffen werden kann, wird sie hinterfragbar auf
ihre Notwendigkeit. Erst wenn alternative Selbst­
bilder entworfen werden können, kann es zum
Problem werden, das reale Selbst zu akzeptieren.
Die optimale Form der Überwindung dieser uto­
pisch-egozentrischen Teilphase besteht in einem
stabilen, trotz Anerkennung der eigenen Grenzen
positiv besetzten Selbstbild, verbunden mit ei­
ner realitätsgerechten Einschätzung der Verände­
rungsfähigkeit gesellschaftlicher Strukturen.
12 Illustratives Material für diesen Prozeß der Reorga­
nisation des Rollenhaushaltes z. B. bei BARIN­
BAUM 1972.
13 Der Distanzierungszwang steht hinter einem großen
Teil krimineller Handlungen Jugendlicher. Vgl. z. B.
MOORE 1972. Unauthenticated
In der egozentrischen Übergangsphase werden
als notwendige Voraussetzung für die Konstitu­
Eine solche Problematisierung12 der bisherigen tion einer sich auf abstrakterer Ebene neu eta­
Rollenidentität wird umso wahrscheinlicher, als blierenden Identität die dogmatischen Gehalte
die veränderten Rollenerwartungen die sozialen der alten Rollenidentität überhaupt erst einmal
Kompetenzen des Kindes zunächst überfordern reflexiv eingeholt. Eine endgültige Stabilisierung
einer neuen Identität wird damit noch nicht
und daher als bedrohlich empfunden werden.
Das gilt zunächst besonders für die Geschlechts­ geleistet: die Frühadoleszenz ist primär eine Dirollen- und die berufliche Sozialisation. Die Angst, stanzierungsphase13, in der dauerhafte commit­
diesen neuen Anforderungen nicht gewachsen zu ments noch nicht eingegangen werden, sondern
sein, und die Gefahr der Identitätsdiffusion un­ neue Rollen und Deutungsmuster immer bloß
tentativ durchgespielt werden (playing at roles).
ter Bedingungen potentiell konfliktuöser und
zugleich nicht eindeutig hierarchisierbarer Rol­
lenerwartungen lösen die für die Frühadoleszenz Sobald sich in den Distanzierungsmanövern das
typische übersteigerte egozentrische Selbstrefle­ Individuum soweit als unabhängiges Subjekt erxion aus, die sich in überhöhten eigenen Zukunfts­ fahren hat, daß es sich nicht mehr als bloßen
projektionen (DUMAS 1958), Überzeugung von Reflex der elterlichen Orientierungen auffassen
der absoluten Einzigartigkeit eigener Erfahrungen muß, müssen commitments nicht mehr als iden­
und von der Unverletzlichkeit der eigenen Person titätsbedrohend perzipiert werden. Sie können
(ELKIND 1968) äußert. Das Moment der Selbst- nun nicht nur als Realisierungsformen des Selbst
reflexion ist jedoch nur der eine Aspekt des Pro­ gefahrlos eingegangen werden, vielmehr erlauben
zesses der Integration in einen erweiterten sozia­ sie es erst, sich als gesicherte Entität zu stabili­
sieren.
len Handlungskreis. Parallel zu diesem Prozeß
der Selbstreflexion wird auch zum ersten Mal
Die Funktion der Auseinandersetzung mit der
ein differenziertes Büd des gesamten sozialen
Systems (insbes. des politischen und des ökono­ kulturellen Tradition besteht also darin, die
mischen Systems) entworfen. Da wegen der ego­ dogmatischen Gehalte der alten Rollenidentität
zentrischen Selbstbezogenheit die eigene Perspek­ von ihren partikularen Bindungen an die elter­
tive nicht als relative durchschaut und die realen liche Autorität endgültig zu befreien, um so
erst eine auf die Ebene des Gesamtsystems be­
Strukturen der Gesellschaft nicht differenziert
analysiert werden (ADELSON / O’NEILL 1970); zogene Neustabilisierung der Identität zu ermög­
lichen.
da zugleich der Erwachsenenstatus nur partiell
zugestanden wird, d. h. die Integration in das
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
R. Döbert, G. Nunner-Winkler: Konflikt- und Rückzugspotentiale in spätkapitalistischen Gesellschaften
313
Dem entspricht — im FREUDschen Strukturmo­
dell — ein flexibles, ich-nahes Über-Ich. Im
KOHLBERGschen Phasenmodell der Entwicklung
des moralischen Bewußtseins reflektiert sich die­
se neugewonnene Identität in der Stufe der post­
konventionellen Moral, der zwei Substadien zuzu­
ordnen sind:
netze postulierten Stabilisierungsbedingungen:
sie erlauben die eigene Identität trotz biographi­
scher Veränderungen durchzuhalten, sich als ver­
läßlicher Interaktionspartner zu präsentieren und
zugleich konfliktinduzierte Kommunikationsstö­
rungen aufzulösen.
c) Postkonventionelles Stadium
6. Das Verhältnis der Stufen zueinander En twicklu ngslogik ?
5. The social contract legalistic orientation
Auf dieser Stufe basiert die Legitimität von
gesellschaftlichen Normen letztlich auf einer
institutionalisierten Verfahrensweise, die je­
doch den Variationsbereich der prozedural
korrekt zustande gekommenen Entscheidun­
gen prinzipiell nicht präjudiziert —jeden­
falls soweit das Verfahren selbst nicht tangiert
ist. Es handelt sich um eine relativistische
Moral, die recht weitgehende Veränderungen
konkreter Normen tolerieren kann (zeitliche
Dimension) und mit bereichsspezifischen Son­
dermoralen (funktionale Differenzierung)
kompatibel ist.
6. The universal ethical principle orientation
formuliert nicht nur Prinzipien der Konsen­
susbildung, sondern unterwirft die möglichen
Resultate des moralischen Diskurses genau
den Kriterien, die die Bedingungen der Mög­
lichkeit des Diskurses selber sind.
Diese Prinzipien beanspruchen universelle
Gültigkeit. Als Prinzipien einer universalisti­
schen kommunikativen Moral garantieren sie
Intersubjektivität und individuelle Autonomie
zugleich: „At heart, these are universal prin­
ciples of justice, of the reciprocity and equali­
ty of the human rights and of respect for the
dignity of human beings as individual persons“
Für eine detaillierte Diskussion der Gründe und
empirischen Indizien dafür, daß die Sequenz von
Strukturen des sich entwickelnden moralischen
Bewußtseins einer Entwicklungslogik gehorcht,
verweisen wir auf die Arbeiten von KOHLBERG.
An dieser Stelle seien nur kurz einige der Grün­
de genannt, die es nahelegen, auch die Abfolge
von Identitätsformationen und Stufen der kom­
munikativen Kompetenz als Entwicklungslogik
zu begreifen:
— Die jeweils späteren Entwicklungsstufen setzen
die vorangehenden jeweils mit Notwendigkeit vor­
aus: wie die Normkonformität der Rollenidenti­
tät nicht denkbar ist ohne die Fähigkeit zum
Gratifikationsaufschub und die Erfahrung wenig­
stens äußerlicher Verhaltensregelmäßigkeit, aus
der erst Normen induziert werden können14, so
basiert die prinzipiengeleitete und zugleich fle­
xible Ich-Identität notwendig auf der Fähigkeit,
gegebene Normen zunächst einmal als solche
ernst zu nehmen: Distanzierung setzt — will sie
nicht gänzlich ins Leere gehen — intime Kennt­
nis der Normen voraus.
- In der Reihenfolge der Stadien manifestieren
sich Trends: nämlich einmal ein Trend zur In­
tegration in immer umfassendere Systeme — was
Universalisierung voraussetzt; zum anderen ein
Trend zur intensiveren Partizipation an Inter­
(KOHLBERG / KRAMER 1963).
aktionen (von externen Handlungsstimuli zur
Diese letzten Stufen der Entwicklung des morali­ unverzerrten Wahrnehmung auch abweichender
schen Bewußtseins beinhalten Prinzipien, die mit Motive). Insofern lassen sich die einzelnen Pha­
den konkreten, in den Rollenerwartungen insti­ sen als Stufen der Realisierung von Intersubjek­
tutionalisierten Normen nicht bruchlos zur Dek- tivität interpretieren.
kung kommen, sondern eine ausdifferenzierte
Steuerungsebene darstellen, deren Funktion nicht
mehr, wie im Falle der konventionellen Moral und 14 Genau das fehlt im erratischen familialen Milieu
das das psychopathische Persönlichkeitssyndrom
den dieser entsprechenden Weltbildern, in einer
generiert:
die Fähigkeit, die Intentionen anderer
bloßen Absicherung von funktional spezifizierten
angemessen zu berücksichtigen, ist daher typischer­
Rollennormen aufgeht. Als solche entsprechen
weise bei Psychopathen kaum vorhanden. Vgl.
Unauthenticated
sie genau den oben für komplexe Interaktions­
QUAY 1965.
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
314
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 2, Heft 4, Oktober 1973, S. 301-325
— Ein Rückfall auf überwundene Stufen der
Identität bzw. kommunikativen Kompetenz
scheint zwanglos nicht möglich zu sein: wenn
man einmal den sozialen Prozeß m seiner vollen
Komplexität durchschaut hat, kann man nicht
mehr naiv agieren.
treten; daß das System also von seinem motiva­
tionalen Input her einer Krise entgegensteuert.
Wir glauben weiterhin demonstrieren zu können,
daß eine der zentralen Ursachen für diese Krise
in der irreversiblen Aushöhlung des Legitimations­
systems und dessen zunehmender Unfähigkeit,
das durch die Adoleszenzkrise gestellte Identi­
tätsproblem zu lösen, zu suchen ist. Zu diesem
Zwecke soll im folgenden versucht werden, das
7. Unterschiedliche Verlaufs- und Lösungsfor­
bürgerliche Legitimationssystem in seinen Grund­
men der Adoleszenzkrise
zügen systematisch zu rekonstruieren15. Denn nur
Die obige Darstellung der Phasen der ontogene- so läßt sich entscheiden, ob die psychologische
tischen Entwicklung geht von phasenspezifischen Brisanz dieses späten ,Weltbildes4 systematische
Entwicklungsproblemen aus und beschreibt die Gründe hat und welche Forderungen als abwei­
jeweils optimale Lösungsform der damit verbun­ chende zu betrachten sind.
denen Krise des Persönlichkeitssystems. Wie bei
jeder Entwicklung ist jedoch nicht garantiert,
daß jedes Individuum die einzelnen Krisen je­
weils optimal löst, bzw. überhaupt die höchste
Entwicklungsstufe erreicht. Folgende Faktoren II. Die Krise des kulturellen Systems
bestimmen die Verlaufs- und Lösungsformen
der Adoleszenzkrise, die hier primär interessiert: 1. Die Grundzüge des bürgerlichen Legitimations­
systems
Subkulturelle Lebenswelten sowie die Sozial­
a) Vorbemerkung
struktur mit ihrem Gefälle ungleicher Lebens­
chancen; das kulturelle System bzw. differen­
Die bürgerliche Ideologie unterscheidet sich in
tielle Ausschnitte aus diesem Reservoir von
Deutungsmustern; die familiale Lebenswelt des einem ganz zentralen Punkt von allen vorangehen­
den Legitimationssystemen: sie ist das erste be­
Adoleszenten sowie seine bis zum Beginn die­
lief-system, das nicht mehr als Weltbild, d.h. als
ser Phase erworbene Persönlichkeitsstruktur,
die ihrerseits von sozialstrukturellen und kultu­ ein übergreifender Sinnzusammenhang, innerhalb
dessen Konzeptionen der Natur, der Gesell­
rellen Faktoren abhängt.
schaft, des Verhältnisses von Mensch zu Natur
und Übernatürlichem formuliert und systema­
Die den Stabilitätsbedingungen der kapitalisti­
tisch miteinander verbunden werden, bezeich­
schen Leistungsgesellschaft entsprechende mo­
dale Persönlichkeit, die durch dieses Bündel von net werden kann. Die bürgerliche Ideologie ist
von Anbeginn an nicht mehr als eine völlig proFaktoren eigentlich erzeugt werden sollte, ist
eine um die Berufsrolle zentrierte Rollenidenti­ fanisierte Theorie der Gesellschaft, in der die
tät des hoch leistungsmotivierten, utüitaristisch Institutionen des politischen und des ökonomikalkulierenden, vereinzelten Individuums. Nun
ist diese Lösung unter der Bedingung der hoch­ 15 Auf eine derartige systematische Rekonstruktion
komplexen Rollenkonfigurationen moderner
sind auch andere gesellschaftstheoretische Ansätze
Gesellschaften an sich schon prekär - daher be­
zwingend verwiesen: z.B. muß in ökonomischen
gleitet die bürgerliche Gesellschaft von Anbe­
Krisentheorien unterstellt werden, daß bestimmte
Klassen von Entschädigungen nicht problemlos
ginn an die Subkultur der Bohemien. Dennoch
vorenthalten werden können. Das setzt voraus, daß
konnte diese Modallösung sich so lange erhalten,
auf der Nachfrageseite Erwartungen vorhanden
wie die Brüche innerhalb des Legitimationssy­
sind, die sich als legitim verstehen. Welches ist die
stems der bürgerlichen Gesellschaft kaschiert wer­ Basis ihrer Legitimation? Ebenso muß unverständ­
den konnten. Wir glauben, Grund zu der Annah­
lich bleiben, warum Staatsapparate auf den tota­
len Einsatz ihrer Steuerungsressourcen in bestimm­
me zu haben, daß die systemkonforme Modal­
ten Situationen verzichten (z. B. Militäreinsatz in
lösung der konventionellen Rollenidentität zu­
den französischen Maiunruhen), wenn man den
nehmend unwahrscheinlicher wird und alterna­
Legitimationsanspruch des Staates nicht in Rech­
Unauthenticated
tive Ausgänge der Adoleszenzkrise häufiger auf­
nung stellt.
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
R. Döbert, G. Nunner-Winkler: Konflikt- und Rückzugspotentiale in spätkapitalistischen Gesellschaften
sehen Subsystems gerechtfertigt werden sollen.
Dabei rekurriert sie im wesentlichen auf zwei
Komplexe: sie verspricht einmal, die Wohlfahrt
- definiert als ökonomischen Reichtum — aller
Bürger zu maximieren: zum anderen regelt sie
die Teilnahme am politischen und ökonomischen
System prima facie gemäß den ausgezeichneten
Fundamentalnormen, die in der französischen
Revolution zum ersten Mal explizit als Grund­
rechte aller Bürger gefordert worden sind (Gleich­
heit, Freiheit, Gerechtigkeit). Alle Probleme, die
den Menschen betreffen könnten, soweit er sich
nicht auf eine Synthese von homo politicus und
homo oeconomicus reduzieren läßt, bleiben von
vornherein residual.
b) Die Wohlfahrtsthematik
Für die bürgerliche Gesellschaft ist - gegenüber
allen früheren Gesellschaften — charakteristisch,
daß sie sich als utilitaristische Wirtschaftsgesell­
schaft versteht. Damit übernimmt der Output
des ökonomischen Systems zum ersten Mal ent­
scheidende legitimatorische Funktionen. MAX
WEBER hat diese Entwicklung mit erst im 19.
Jahrhundert entwickelten technischen Innova­
tionen im Bereich der Eisengewinnung in Zu­
sammenhang gebracht. Sie erst ermöglichten es,
daß die Produktion endgültig „von den organi­
schen Schranken befreit wurde, in welchen die
Natur sie gefangen hielt“. Damit werden „auch
die Krisen ein immanenter Bestandteil der
Wirtschaftsordnung. Krisen im weiteren Sinn,
chronische Arbeitslosigkeit, Hungersnot, Absatz­
stockungen, politische Ereignisse, welche das
ganze Erwerbsleben zerstören, hat es von jeher
und überall gegeben. Aber es ist ein Unterschied,
ob ein chinesischer oder japanischer Bauer hun­
gert, und dabei weiß, daß die Gottheit ihm
nicht günstig ist, oder die Geister in Unordnung
sind und infolgedessen die Natur Regen oder
Sonnenschein nicht zur rechten Zeit spendet,
oder ob die Gesellschaftsordnung als solche
auch gegenüber dem letzten Arbeiter für die
Krise verantwortlich gemacht werden kann; in
ersterem Fall wird Orientierung an der Reli­
gion erfolgen, in letzterem Fall aber erscheint
das Mensohenwerk als schuldig . .. “ (WEBER
1958:251).
Konkret bedeutet das, daß folgende Klassen von
Entschädigungen legitimerweise nachgefragt und
315
gegenüber dem politischen und ökonomischen
System eingeklagt werden können:
An das ökonomische System werden auf zwei
Märkten Forderungen gestellt: auf dem Arbeits­
markt wird generalisierte Kaufkraft (Geld) nach­
gefragt; auf dem Warenmarkt werden konsumier­
bare Güter und Dienstleistungen nachgefragt und
in spätkapitalistischen Gesellschaften auch angeboten, da eine effektive Nachfrage, der eine wirk­
liche Marktlücke entspricht, immer profitable An­
lagemöglichkeiten impliziert. Forderungen, die
sich reflexiv auf die genannten Entschädigungs­
gruppen richten, in denen also nicht unmittelbar
Kaufkraft und Konsumgüter nachgefragt werden,
sondern z. B. eine Garantie für die Kontinuität
der Verteilung der relevanten Ressourcen ver­
langt wird (Arbeitsplatzsicherung) oder Zugangs­
chancen für alle (Vollbeschäftigung), werden in
spätkapitalistischen Gesellschaften nur noch be­
dingt an das ökonomische System gerichtet: Ad­
ressat für diese Forderungen der zweiten Ebene
ist normalerweise der Staat16.
Allen Entschädigungen, die über das ökonomische
System verteilt werden, entspricht eine individuel­
le Nachfrage und diese Nachfrage wird immer
nur bedingt befriedigt: d. h. im Austausch ent­
weder gegen Leistung oder gegen Geld.
Der Staat ist der Hauptadressat von folgenden
Forderungen, die er gegen generalisierten support
austauscht:
a) Forderungen, denen keine individuelle Nachfra­
ge entspricht und deren Befriedigung daher
nicht ohne weiteres im Rahmen einer Institu­
tion, die den Austausch von Geld gegen Ar­
beitskraft — was immer mindestens einen indi­
viduellen Kontrahenten voraussetzt — regelt,
erfolgen kann (Infrastruktur, Verkehrssystem,
Umweltschutz);
b) Forderungen, die unbedingt, d. h. unabhängig
von Leistung und jenseits des Rahmens von
Tauschbeziehungen erfüllt werden. Dabei han­
delt es sich im wesentlichen um Maßnahmen,
die die Individuen vor unverschuldeten (Arbeits16 Unter dem Gesichtspunkt der Wohlfahrtsmaximie­
rung ist die mit dem Übergang zum Spätkapitalis­
mus einhergehende Ausweitung der Staatstätig­
keit nicht als dramatischer Bruch im Legitimations­
Unauthenticated
system zu interpretieren.
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
316
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 2, Heft 4, Oktober 1973, S. 301-325
losigkeit) und unvermeidbaren Lebenskrisen deutet zwar eine bis dahin unbekannte Form
(Alter, Krankheit) schützen sollen. Alle diese der Gefährdung von Systemstabilität — zumal
Maßnahmen sind — um Konflikte mit den
der Mechanismus der Legitimation durch Out­
im ökonomischen System geltenden Bedingun­ put langfristig self-defeating sein könnte, da mit
gen der Gratifikation nach Leistung auszuschlie­ steigendem Lebensstandard der Grenznutzen
ßenden —Minimalmaßnahmen, durch die ge­ zusätzlicher Güter fallen könnte; solange die
rade das Subsistenzminimum, d. h. der Lebens­ Ängste der meisten Menschen jedoch um wirt­
standard, der einem Mitglied der Gesellschaft schaftliche Probleme zentriert sind und ökono­
mische Krisen weggesteuert werden können,
gerade zugemutet werden kann, wenn man
es weiterhin als „zugehörig“ klassifizieren wül, verfügt die bürgerliche Gesellschaft über ein be­
gesichert wird. Hierher gehört das ganze Wohl- trächtliches Legitimationspotential: Legitima­
fahrts- und Sozialfursorgesystem sowie das tionsglauben und Konformität lassen sich durch
die Erzeugung eines immer größeren Volumens
Gesundheitswesen;
von gesellschaftlichen Reichtum, d. h. mehr
c) schließlich Forderungen, die, wie oben schon Wohlfahrt für alle, in einem solchen Ausmaß
angedeutet, nicht unmittelbar als Forderun­ erzeugen, daß selbst noch Modifikationen der
gen nach Lohn oder bestimmten Gütern be­ institutionalisierten Fundamentalnormen be­
gründet werden können (s. unten).
zeichnet werden können, sondern sich re­
flexiv auf diese Forderungen erster Stufe be­
ziehen. Die ganze Wirtschaftspolitik des Staa­
c) Die Institutionalisierung von Fundamental­
tes hat das Ziel, Entschädigungen sicherzu­
normen
stellen, die dem Katalog dieser Erwartungen
entsprechen. Es handelt sich im Einzelnen
um:
Ein zweiter legitimationsrelevanter Komplex von
Deutungselementen bezieht sich nicht auf den
1) die Beschäftigungspolitik, deren Ziel darin Qutput an materiellen Gütern per se, sondern
besteht, vorhandene Arbeitsplätze zu sichern auf die Art der Verteilung dieser Güter und die
und fehlende bereitzustellen; die also für
Form der Interaktion der vergesellschafteten Sub­
zeitliche (Kontinuität) und personelle Gene­ jekte. Der Komplex von Normen, der diese Funk­
ralisierung (Vollbeschäftigung) der Vertei­
tion erfüllen soll, ist im Slogan der französischen
lung von Geld verantwortlich ist. Die Sicher­ Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit)
heit, die in diesem Bereich der staatlichen
auf einer vortheoretischen Ebene prägnent zu­
Politik produziert wird, impliziert — im Un­ sammengefaßt; er formuliert den Kern des Legi­
terschied zu Sozialfürsorge usw. — nicht
timationsanspruchs der bürgerlichen Gesellschaft,
Minimumsgarantie, sondern Maximumsga­
hinter den deshalb nicht zurückgegangen werden
rantie.
kann, weü in ihm ,Fundamen talnormen ‘ der men­
schlichen Interaktion zum Ausdruck gebracht
2) die Wachstumspolitik, die sicherzustellen sind, die eine unmittelbare, auf externe Argu­
hat, daß die Einkommen im Laufe der Zeit
mente nicht angewiesene Plausibilität beanspru­
ansteigen, ohne daß Forderungen nach mehr chen können17. Es sind dies die Prinzipien einer
oder mindestens gleichviel Freizeit zurückge­ herrschaftsfreien Kommunikation. Damit ist man
stellt werden müssen.
angesichts der Funktion von Ideologien (Recht­
fertigung von Herrschaft) bei der Analyse des
3) die Bildungspolitik, die sicherzustellen
hat, daß die Individuen überhaupt über
17 Diese Behauptung läßt sich auch ohne Rekurs auf
Qualifikationen verfugen, die auf dem Ar­
HABERMAS’ Überlegungen zu reinen Kommunibeitsmarkt nachgefragt werden (das ist nur
kationsund Diskurssituationen, wenn auch
eine ihrer Funktionen; nicht weniger wich­
auf einer vortheoretischen Ebene, abstützen. Es
tig ist die Funktion der Sicherung von Herr­
gibt genug Untersuchungen, die nachweisen konn­
ten, daß derartige Normen in extrainstitutionellen
schaft). (Vgl. BOURDIEUX 1970)
Die mit dieser Entwicklung gesetzte Anfälligkeit
des Systems gegenüber ökonomischen Krisen be­
Bereichen, in denen Herrschaftsansprüche nicht
verfestigt sind, sich „spontan“ durchsetzen.
SAMPSON 1969;Unauthenticated
HOMANS 1960, 1961; GOULDNER 1960.
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
R. Döbert, G. Nunner-Winkler: Konflikt- und Rückzugspotentiale in spätkapitalistischen Gesellschaften
bürgerlichen Interpretationssystems mit einer
paradoxen Situation konfrontiert: die Fundamen­
talnormen formulieren Prinzipien, in denen ei­
ne herrschaftsfreie Interaktion anvisiert wird;
gleichzeitig sollen sie zur Legitimation von Herr­
schaft herangezogen werden — eine außerordent­
lich prekäre Konstellation.
Dieses Dilemma wird dadurch zu lösen versucht,
daß — wie im folgenden am Beispiel des Gleich­
heitsprinzips demonstriert werden soll — die
Basisnormen nicht per se und uneingeschränkt,
d. h. so, daß das ganze Spektrum ihres möglichen
semantischen Gehaltes zugelassen wird, institu­
tionalisiert werden. Sie werden formalisiert.
317
pen, legen die Vermutung nahe, daß sich in
allen instrumentellen Gruppen das Prinzip der
Verteilung der Gratifikationen — und seien es
nur symbolische Gratifikationen — nach Lei­
stung durchzusetzen tendiert: den instrumen­
teilen Führern, d. h. denjenigen, deren Beitrag
zur Problemlösung exzelliert, werden immer
auch mehr Gratifikationen zugestanden. Für
ein System, das sich wirtschaftliches Wachs­
tum und steigende Wohlfahrt als Ziele gesetzt
hat und in dem sich gleichzeitig etablierte
Herrschaftsinteressen zu erhalten suchen, hat
die Institutionalisierung des Leistungsprinzips
einen doppelten Vorteil: einerseits garantiert
es, daß die Individuen in permanenter An­
strengung und wechselseitiger Konkurrenz den
Leistungsinput, der für wirtschaftliche Expan­
sion Voraussetzung ist, in das ökonomische Sy­
stem transferieren, da sie nur unter dieser Vor­
aussetzung am Pool des gesellschaftlich erzeug­
ten Reichtums partizipieren können. Anderer­
seits erlaubt es auf eine einzigartige Weise, zwang­
los die Existenz gesellschaftlicher Ungleichheit
abzuleiten und zu legitimieren: differentielle Be­
teiligung am gesellschaftlichen Reichtum wird
erzeugt durch Leistungsdifferentiale und sie
ist auch gerecht, sofern sie solchen Unterschie­
den entspricht. Es liegt nahe, vorhandene Un­
gleichheit dann, gleichgültig worauf sie tatsäch­
lich beruht, als Resultat von Leistungsungleich­
heit zu rechtfertigen. Wo dieses Argument nicht
ausreicht, kann dann — wie sich in der Litera­
tur schon sehr früh abgezeichnet hat — auf das
technokratische Wohlfahrtsargument rekurriert
werden (Monopolisierungstendenzen als notwen­
dige Voraussetzung für technischen Fortschritt
und wirtschaftliches Wachstum; ähnlich schon
Im politischen Bereich verkörpert sich Gleichheit
in Gestalt der repräsentativen parlamentarischen
Demokratie. In dieser hat ja nicht jeder die glei­
che Chance, bei relevanten Entscheidungen mit­
zuwirken, sondern lediglich das gleiche formale
Recht, die Selektion der Inhaber von Herrschafts­
positionen zu beeinflußen. Die Argumente, die
für diese Form der Ausübung legitimer Herrschaft
mobilisiert werden, decken sich weitgehend mit
denen, die von bürokratisch-technokratischer
Seite immer gegen die Ausweitung von Partizi­
pationsrechten angeführt werden (große Zahl
von Bürgern, Komplexität). Die Legitimität des
Herrschaftsapparates basiert in diesem Fall auf
der Institutionalisierung eines Verfahrens, das
die Realisierung des bürgerlichen Wertsystems zu
garantieren scheint. Die politischen Institutio­
nen werden dann genau so stabil sein, wie das
fortbestehende System der gesellschaftlichen
Ungleichheit nicht zu allzu manifesten Asymme­
trien führt oder fundamentale Bedürfnisse (s.
ADAM SMITH).
unten) nicht befriedigt werden.
Auch im ökonomischen Subsystem wird das
Gleichheitsprinzip in formalisierter, also restrin­
gierter Form, nämlich als Chancengleichheit
institutionalisiert. Dieses Prinzip hat den Vor­
teil, daß sich in ihm die adaptiv-instrumentelle
Gmndausrichtung (Reichtumsmaximierung) der
bürgerlichen Gesellschaft zwanglos mit den pro­
klamierten Basisnormen verbinden läßt. Die
Vermittlung wird durch das Leistungsprinzip ge­
leistet. Die Zusammenhänge lassen sich wie
folgt darstellen:
Wie verbindet sich nun das Leistungsprinzip mit
den Egalitätsforderungen? Es versteht sich, daß
unter der einschränkenden Bedingung einer gleich­
zeitigen Anerkennung des Leistungsprinzips, das
ja eine Differenzierung von Bedürfnisbefriedigungs­
niveaus vorsieht und erzeugt, eine unmittelbar
materielle Gleichheit der vergesellschafteten Sub­
jekte nicht möglich ist. Die Verbindung der bei­
den Prinzipien ist nur durch Formalisierung des
Gleichheitsgrundsatzes möglich: Gleichheit wird
zur Chancengleichheit.
Die Resultate der Kleingruppenforschung, spe­
ziell der Untersuchung problemlösender Grup­
Chancengleichheit wird in unterschiedlichen Pha­
Unauthenticated
sen der Entwicklung der
kapitalistischen Gesell­
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
318
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 2, Heft 4, Oktober 1973, S. 301-325
schäften unterschiedlich interpretiert werden
müssen: in einer Gesellschaft kleiner Warenpro­
duzenten bedeutet Chancengleichheit, daß je­
der prinzipiell die gleichen Zugangschancen zu
den Produktionsmitteln haben soll, um sich —
in Abhängigkeit von seinem Fleiß und seiner
Leistung — auf dem Markt den ihm gebühren­
den Anteil am Sozialprodukt sichern zu können.
Chancengleichheit muß sich hingegen in einer
Gesellschaft, in der sich wenige Großunterneh­
men und eine Masse von Lohnabhängigen gegen­
überstehen und in der die Legende vom Teller­
wäscher endgültig illusionär geworden ist, als
Gleichheit der Bildungschancen realisieren, da
das Bildungssystem die Allokation von personel­
len Ressourcen innerhalb des Berufssystems
und damit die Einkommensverteilung reguliert.
Damit dürften die Zusammenhänge zwischen
den einzelnen Momenten der bürgerlichen Ideo­
logie einigermaßen klar sein:
Die bürgerliche Gesellschaft definiert sich als
instrumentelle Gruppe, deren dominierendes
Systemziel mit dem Titel ,wirtschaftliches Wachs­
tum und steigende Wohlfahrt4 einigermaßen
adäquat bezeichnet werden kann. Diesem Selbst­
verständnis entspricht die Leistungsideologie,
die ein Prinzip der Verteilung des gesellschaft­
lichen Reichtums impliziert. Der Markt ist die
eine Form der Institutionalisierung dieses Alloka­
tionsmechanismus, das Bildungssystem die ande­
re. Die Verteilung der Gratifikationen wird
aber nur dann als isomorphe Abbildung von
Leistungsdifferentialen betrachtet werden kön­
nen, wenn jeder die gleiche Chance hat, diffe­
rentielle Leistungen zu erbringen und diese
durch entsprechende Gratifikationsvolumina
honoriert werden. Das Prinzip der Chancengleich­
heit ist also in gewisser Weise überdeterminiert:
nach der einen Seite hin läßt sich das Leistungs­
prinzip nur voll realisieren, wenn Chancengleich­
heit besteht. Nur unter dieser Voraussetzung
kann unterstellt werden, daß die Verteilung von
Gratifikationen durch kein leistungsunabhängiges
Prinzip determiniert wird, was zur Folge haben
müßte, daß die Individuen ihre Leistungsoptima
dem System vorenthalten würden — was wieder­
um das dominierende Systemziel gefährden
müßte. Nach der anderen Seite hin kann das
Prinzip der Chancengleichheit als die einzig mög­
liche Form der Realisierung des Gleichheitspo­
stulats ausgegeben werden und so ein zusätz­
liches Moment der Legitimität des Systems bil­
den.
2. Die Auflösung des bürgerlichen Legitimations­
systems
Zu den Phänomenen, die die Glaubwürdigkeit
des bürgerlichen Legitimationssystems tangieren,
gehören natürlich die traditionellen und neuen
Outputdefizite an individuell und kollektiv nachfragbaren Gütern. Diesen Defiziten entsprechen
Forderungen der verschiedenen Interessenver­
bände (Gewerkschaften und berufsständische
Organisationen) und anderer mehr oder weniger
formal organisierter Gruppierungen (von ADAC
bis Bürgerinitiativen). Sofern diese Forderungen
die finanziellen Ressourcen des ökonomischen
oder des politischen Systems überfordern und
durch technokratische Gegenargumente nicht
konterkariert werden können, gefährden sie
die Stabilität des Systems. Unter sozialpsycho­
logischem Gesichtspunkt sind jedoch andere
Krisenherde interessanter, nämlich solche, die
die bürgerliche Normalidentität des individuali­
stischen, karriere- und leistungsorientierten
Subjektes gefährden, das im politischen Bereich
das funktional notwendige Maß an Apathie auf­
bringt, weil es darauf vertraut, daß eine in einer
Wirtschaftsdemokratie abgesicherte politische
Formaldemokratie die optimale Form der ge­
sellschaftlichen Organisation darstellt. Folgen­
de Transformationen lassen diese Form der
gesellschaftlichen Integration zunehmend pre­
kär werden:
— Mit der Ausweitung der Staatstätigkeit auch
auf Bereiche, die früher der privatautonomen
Tätigkeit der vergesellschafteten Subjekte über­
lassen blieben, erhöht sich nicht nur der staat­
liche Legitimationsbedarf, sondern es wird
gleichzeitig schwieriger, ihn zu erfüllen, da mit
der Ausweitung der Staatstätigkeit zunehmend
Entscheidungen getroffen werden, die den un­
mittelbaren Lebensbereich des Bürgers betreffen
und somit leichter überprüfbar und — bei Kon­
flikten mit den konkreten Interessen des Bür­
gers — kritisierbar werden. Damit erhöht sich
die Gefahr, daß sich das Prinzip der Legitimierbarkeit von Entscheidungen über formaldemo­
kratische Verfahrensweisen verschleißt, d.h.,
daß generalisierterUnauthenticated
support vorenthalten wird
(Bürgerinitiative).
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
R. Döbert, G. Nunner-Winkler: Konflikt- und Rückzugspotentiale in spätkapitalistischen Gesellschaften
319
tische Imperative und die Wohlfahrtsthematik ab­
gewehrt werden. Da diese Argumente nicht mehr
zu überzeugen vermögen, tritt nun die prinzipielle
Unvereinbarkeit der Funktion einer Ideologie
(Herrschaftslegitimation) mit Prinzipien einer
universalistisch-kommunikativen Moral offen zu­
tage. Die bürgerliche Ideologie steht damit vor
einer unlösbaren Strukturschwierigkeit: sie ent­
hält in sich die Argumente für ihre eigene Auf­
lösung als Ideologie. Diese Argumente kann sie
nicht einfach desavouieren, weil diese Prinzipien
einer bestimmten Entwicklungsstufe von beliefsystems angehören, was impliziert, daß Rück­
fälle auf frühere Stufen oder Einschränkungen
immer nur zwanghaft möglich sind (s.u.). Diese
Die beiden bisher genannten Komplexe folgen
ihren eigenen Gehalt bedingte Selbstdem traditionellen Erklärungsmuster: Legitima­ durch
auflösungstendenz wird dadurch verstärkt, daß
tionsverfall durch sozialstrukturellen Wandel.
bürgerliche Ideologie sich von Anfang an
Sozialstruktureller Wandel ist auch Ursache der die
als
wissenschaftliche
Theorie der Gesellschaft
im folgenden beschriebenen Problematisierung
verstanden hat. Indem so die Standards und
des bürgerlichen Weltbildes: jedoch nur als Aus­ Prinzipien, die für den wissenschaftlichen Dis­
löser für die Thematisierung von dem kulturel­ kurs gelten, anerkannt werden, wird eine Form
len System immanenten Strukturproblemen.
der Dauerkritik institutionalisiert, die auf
lange Sicht mit der Funktion von Ideologien
inkompatibel sein muß.
- Die Wohlfahrtsthematik mit dem daran ge­
koppelten Komplex systemkonformer Entschä­
digungen (Geld, Freizeit, Sicherheit) verliert an — Diese tendenzielle Aufhebung der Maskie­
rungsfähigkeit der Wohlfahrtsthematik hebt
Relevanz in dem Maße, in dem für breitere
auch eine Reihe von vernachlässigten Bedürf­
Schichten der Bevölkerung ein weit über dem
nisdimensionen ins Bewußtsein: Das bürger­
Existenzminimum liegender Lebensstandard
liche belief-system war von Anfang an nicht
zur Selbstverständlichkeit wird (affluence).
Gleichzeitig und z. T. dadurch mitbedingt wird in gleicher Weise wie traditionelle Weltbilder
geeignet, einen übergreifenden Sinnzusammen­
die bürgerliche Form der um die Berufsrolle
organisierten Rollenidentität tendenziell aufge­ hang in der Weise zu konstituieren, daß die
Fragen nach dem Sinn von Krankheit, Leben
löst: zumindest für die Teile der Bevölkerung,
die von Monotonisierungs- und Fragmentierungs­ und Tod usw. eine befriedigende Antwort
finden konnten. Denn als eine (teil)wissenprozessen und Tendenzen zu zunehmender
schaftliche Theorie der Gesellschaft hat es
Fremdbestimmtheit der Arbeit betroffen wer­
den, verliert das übergreifende Lebensziel „Be­ von vornherein auf die Interpretation der Welt
rufskarriere“ an Überzeugungskraft. Durch diese im Ganzen verzichtet: d. h. Fragen nach dem
Verhältnis des Menschen zum Transzendenten,
Entwicklung wird die instrumentalistische Re­
duktion des bürgerlichen Bewußtseins aufhebbar. zur Natur (insbesondere zu seiner eigenen), waren
Nunmehr kann der semantische Überschuß der a limine ausgeklammert. Solange die Konkurrenz
möglicher Prinzipien der Rechtfertigung von
Prinzipien von Freiheit und Gleichheit, die in
ihrer vollen Bedeutung eben mehr implizieren als Aussagen (religiöser Diskurs, moralischer Dis­
die Garantie von formaldemokratischen Bürger­ kurs, wissenschaftlicher Diskurs) noch nicht
zu Gunsten eines einzigen, nämlich des Prin­
rechten, ausgebeutet werden (Forderung nach
zips wissenschaftlicher Beweisführung, entschie­
partizipatorischer Demokratie und materieller
Gleichheit im politischen wie im ökonomischen den war, konnten sich Reste traditioneller
Weltbilder - zwar in privatisierter Form —
Sektor).
noch erhalten und die Deflzienzen des bürger­
lichen Weltbildes kompensieren (privatisierte
Das Einklagen dieser semantischen Überschüs­
se konnte bislang durch Verweis auf technokra­ Religion, autonome Künste).
Unauthenticated
- Die liberalistische Basisideologie des Äquivalententausches verfällt: zwar kann möglicher­
weise die Zerstörung des Prinzips der Chancen­
gleichheit hinsichtlich des Zugangs zu den Pro­
duktionsmitteln („jeder sein eigener Unterneh­
mer“) kompensiert werden durch die zuneh­
mend bessere Realisierung des Prinzips der Chan­
cengleichheit im Schulwesen. Die Marktmacht
oligopolistischer Unternehmen jedoch erlaubt
nicht legitimierbare Überschußprofite. Zudem
verliert die Behauptung, die parlamentarische
Demokratie habe ein gesichertes Fundament in
einer Wirtschaftsdemokratie, an Plausibilität.
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
320
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 2, Heft 4, Oktober 1973, S. 301-325
späte Weltbüdstrukturen symptomatische Schwie­
rigkeiten, die nicht einfach weggesteuert werden
können (etwa durch Ideologiemanipulation).
Diese Behauptung basiert auf der hier nicht wei­
ter ausweisbaren Annahme, daß Weltbilder einan­
der nicht beliebig ablösen können, sondern daß
ihre Abfolge von einer inneren Entwicklungslo­
gik bestimmt ist und daß diese Tatsache berück­
sichtigt werden muß, wenn man das Gewicht
—In allen traditionellen Weltbüdern waren Prinzi­ der mit der spezifischen Struktur der bürgerli­
pien verankert, die eine Basis solidarischer Lebens­ chen Ideologie verbundenen Problematik richtig
beziehungen garantierten: beispielsweise tritt der einschätzen will.
Einzelne in Stammesreligionen nicht als isoliertes
Individuum seiner Gottheit gegenüber, sondern Es mag genügen, einige der die Entwicklung
hat eine religiöse Existenz überhaupt nur als An­ von Weltbildern charakterisierenden Trends auf
gehöriger seines Stammes. In den Universalreli­ einer deskriptiven Ebene und ohne systemati­
gionen wird zwar mit der Aufhebung der parti- schen Anspruch kurz aufzuzählen:
kularistischen Bindungen an Stammeskollektive — Expansion des Profanbereichs gegenüber der
eine persönliche Beziehung zwischen dem einzel­
sakralen Sphäre
nen Gläubigen und Gott institutionalisiert; sie
— Tendenz von weitgehender Heteronomie zu
impliziert aber insofern keine absolute Verein­
zunehmender Autonomie des Menschen
zelung, als das religiöse Subjekt sich in einer
— Entleerung der Weltbilder von kognitiven
solidarischen Gemeinschaft der Gläubigen, die
Gehalten (von Kosmologie zum reinen Moral­
alle weltlichen Statusunterschiede negiert, aufge­
system)
hoben weiß. Die für die bürgerliche Gesellschaft — Übergang vom Stammespartikularismus zu
typische Zentrierung auf den Bereich instrumenuniversalistischen und zugleich individuali­
tell-adaptiven Handelns läuft jedoch Prinzipien,
stischen Orientierungen
die Solidarität begründen könnten, zuwider, da — Zunehmende Reflexivität des Glaubensmodus,
in einer kompetitiven Leistungsgesellschaft alter
ablesbar an der Sequenz: Mythos als unmittel­
für ego immer nur als Konkurrent in Erschei­
bar gelebtes Orientierungssystem, Lehre, Of­
nung tritt. Die Gefahr der anomischen Vereinze­
fenbarungsreligion, Vernunftreligion, Ideolo­
lung konnte solange latent bleiben, als extreme
gie (DÖBERT 1973).
ökonomische Unterprivüigierung Klassenbewußt­
sein und solidarisches Handeln erzwang.
Liegt der durch diese Trends charakterisierten
Sequenz von Weltbildstrukturen tatsächlich eine
Auch die famüiare Solidarität kann nicht als an­ Entwicklungslogik zugrunde, so folgt daraus un­
gemessenes funktionales Äquivalent für solidari­ mittelbar, daß Lösungsmöglichkeiten für auf
sche Beziehungen angesehen werden, da die Fa- jeder spezifischen Entwicklungsstufe auftretende
müie als partikularistisches System keine über­ Probleme systematisch in der Weise beschränkt
greifenden solidarischen Beziehungen konstitu­ sind, daß ein Rückgriff auf Lösungsversuche,
ieren kann. Zudem existiert keine offizielle Theo­ die schon überholten Stufen angehören, unter
rie der FamÜie, die das Eindringen von für das Bedingungen erhöhter Unglaubwürdigkeit steht,
ökonomische und politische Subsystem konsti­ also nur zwanghaft erfolgen kann. Ein Vorgriff
tutiven Prinzipien in die famüiale Lebenswelt
andererseits auf Prinzipien künftiger Entwick­
verhindern könnte.
lungsstufen, der wahrscheinlich ohnehin nur die
nächstfolgende Phase anvisieren kann, steht
— Bei den sich innerhalb des bürgerlichen Welt­ immer in Gefahr, auf institutionelle Schranken
bildes manifestierenden Defizienzen handelt es zu stoßen (z.B. mit etablierten Herrschaftsinter­
sich nicht um kontingente, sondern um für
essen zu konfligieren). Konkret bedeutet das
für das bürgerliche Weltbild, daß die oben skiz­
zierten
Legitimationsprobleme auf der Ebene
18 Von daher wird das plötzliche Anwachsen religiös
des kulturellen Systems nicht lösbar sind: das
orientierter Bewegungen verständlich. Vgl. z. B.
Insistieren auf derUnauthenticated
vollen Realisierung der Prin­
PENNER 1972.
Mit dem allmählichen Verfall letzter Reste von
Religiosität verschärft sich die durch die Auf­
lösung der Berufsrollenidentität an sich schon
prekäre Situation des Individuums: kollektiv
validierte übergreifende Sinnzusammenhänge,
die es dem Einzelnen erlauben würden, seine
Identität durch Internalisierung von sinnstiften­
den Lebenszielen zu stabüisieren, fehlen18.
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
R. Döbert, G. Nunner-Winkler: Konflikt- und Rückzugspotentiale in spätkapitalistischen Gesellschaften
zipien Freiheit, Gleichheit, kann nicht durch Re­
vokation dieser Prinzipien abgeschnitten, die
Unterminierung der Legitimität des Herrschafts­
systems also nicht aufgehalten werden; das spe­
zifische Problem der Sinnstiftung ist im Rahmen
eines reinen, von kognitiv-interpretativen Gehal­
ten entleerten Moralsystems prinzipiell nicht
mehr lösbar — damit verstärkt sich die Gefahr
der Identitätsdiffusion.
3. Die Konkretisierung der Legitimationskrise
in der Adoleszenzphase
a) Die Verschärfung der Adoleszenzkrise
Es stellt sich nun die Frage, wie sich die be­
schriebenen strukturellen Defizienzen des Le­
gitimationssystems auf der psychologischen
Ebene niederschlagen und welche Gruppen am
stärksten von ihnen betroffen sind? Insofern
als die Adoleszenten aufgmnd ihrer entwicklungs­
psychologisch bedingten Reifungskrise sich vor
die Aufgabe gestellt sehen, in der Auseinander­
setzung mit den überlieferten Traditionen eine
eigene Definition ihrer Identität zu erarbeiten,
(s. Teil I) wird man vermuten dürfen, daß gerade
bei dieser Altersgruppe die Auswirkungen der Le­
gitimationskrise manifest werden. Man würde
also allein aufgrund der Kenntnis der Defizienzen
des kulturellen Systems einen problematischeren
Verlauf der Adoleszenzkrise in spätkapitalisti­
schen als in früheren Gesellschaften prognosti­
zieren.
Eine Reihe von sozialstrukturellen Veränderungen
begünstigt diesen Trend: es wird nämlich nicht
nur das Angebot an Orientierungsmustern für die
Lösung der Identitätskrise zunehmend inadäquat,
sondern gleichzeitig erhöht sich sozusagen die
Dringlichkeit der Nachfrage nach derartigen pat­
terns. Es ist keineswegs selbstverständlich, daß
jede Gesellschaft die mit dem Übergang vom
Kindheits- zum Erwachsenenstatus verbundenen
Probleme der Neudefinition der eigenen Identi­
tät in der Form löst, daß sie für ihre Mitglieder
Moratorien, innerhalb deren alternative und in­
dividualisierte Lösungsformen getestet werden
können, vorsieht. Vielmehr haben alle traditio­
nellen Gesellschaften die psychologischen Proble­
me dieser Phase sozialstrukturell, nämlich durch
321
Zuschreibung einer neuen Rolle, gelöst, wobei
der Übergang durch rites de passage emotional
erleichtert werden konnte. In spätkapitalistischen
Gesellschaften ist jedoch ein psychosoziales Mo­
ratorium in der Frühadoleszenz (13—16) für fast
alle Gruppen selbstverständlich geworden; zudem
hat sich die Phase der Freistellung zeitlich aus­
gedehnt (in Extremfällen bis 30) und wird
auch breiteren Bevölkerungskreisen zugänglich.
Die unmittelbare Ursache für diese Entwicklung
wird man in der Ausweitung des Ausbildungs­
sektors vermuten dürfen. Diese Ausweitung ist
ihrerseits Folge der erhöhten Nachfrage nach
qualifizierter Arbeitskraft bzw. nach Bildung
als Konsumgut (was Überfluß voraussetzt), sowie
von strukturell bedingten Engpässen auf dem
Arbeitsmarkt.
Eine verlängerte Ausbildung erhöht nun ihrerseits
über die gezielte Förderung kognitiver Fähigkeiten
die Wahrscheinlichkeit, daß überlieferte Traditio­
nen in ihrer Brüchigkeit durchsichtig werden.
Zudem erzeugt der Liberalisierungsschub der
intrafamilialen Erziehungsstile Persönlichkeits­
strukturen, deren moralisches Bewußtsein nicht
bruchlos mit der etablierten utilitaristischen
Profanethik (HABERMAS) zur Deckung kommt.
Da die Problematisierung derartiger Fragen auch
nicht mehr durch die einseitig instrumenteile
Ausrichtung auf Berufsrollen vorzeitig abgeschnit­
ten wird, wird die traditionelle Form der reibungs­
losen Integration in das Berufssystem und die
damit einhergehende Verdrängung der Identitäts­
problematik unwahrscheinlicher und werden
systemkritische Verläufe und Ausgänge der Ado­
leszenzkrise wahrscheinlicher.
Daß es sinnvoll ist, systemkritische Potentiale in
der Gruppe der Jugendlichen zu suchen, bestätigt
sich auch bei einer auf vortheoretischer Ebene
vorgenommenen Bestandsaufnahme le'gitimationskritischer und apathischer Verhaltenssyndrome.
Auf der aktivistischen Seite finden sich: Studen­
tenbewegung, Schüler- und Lehrlingsrevolten,
Pazifisten, Women’s Lib; die retreatistische Seite
wird repräsentiert durch Hippies, Jesus-People,
Drogen-Subkultur, Phänomene der Untermotiva­
tion in Schulen usw. Dieses breite Spektrum
von Verhaltenspotentialen kann nicht unter Re­
kurs auf die in ökonomischen Krisen the orien
unterstellten trivialen psychologischen Annahmen
(Deprivation fuhrt zuUnauthenticated
Protest) erklärt werden.
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
322
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 2, Heft 4, Oktober 1973, S. 301-325
recht eingeklagt, um den Widerspruch zwischen
internalisierten moralischen Prinzipien und insti­
Es müßte nun möglich sein, die unterschiedlichen tutionalisiertem Wertsystem aufzulösen. Das
Verhaltenspotentiale als Manifestation verschie­ politische Engagement befriedigt gleichzeitig
dener Verlaufs- und Lösungsformen der Adoles­ die im herrschenden Deutungssystem vernach­
zenzkrise zu interpretieren. Zunächst einmal soll lässigten Bedürfnisse nach solidarischen Bezie­
illustrativ an einigen gut untersuchten Gruppen hungen und nach Sinnstiftung.
demonstriert werden, daß eine derartige Strategie
Familien, in denen die Interaktion primär status­
erfolgversprechend sein könnte. Wenn man die
orientierten Erwartungen folgt, definieren die
biographischen Daten der von KENNISTON un­
Adoleszenzkrise im wesentlichen als Statusver­
tersuchten Studentengruppen — aktivistische
Protestpotentiale (Young Radicals) und passivi- änderung und Zuschreibung von neuen Teilrol­
len, die sozusagen zu den vorhandenen Persön­
stische Rückzugspotentiale (Alienated) - mit
„normalen“ vergleicht, dann wird deutlich, was lichkeitskomponenten einfach hinzugefügt wer­
den können („in dem Alter macht jeder Dumm­
persönlichkeitsstrukturelle Verankerung von
handlungsanleitenden Wertorientierungen bedeu­ heiten . . .“). Es werden konfliktlos neue Freiheits­
spielräume eingeräumt, ohne daß die bis dahin
ten kann19.
internalisierten Rollensegmente reflexiv durchge­
arbeitet und gegebenenfalls aufgehoben werden
Die Young Radicals20 sind in personorientier­
müßten. Das Persönlichkeitssystem stabilisiert
ten Familiensystemen aufgewachsen, in denen
sich in Form der konventionellen Berufsrollen­
eine stabüe affektive Solidarität des Ehesubsy­
stems ein offenes und rationales Austragen von identität mit einem moralischen Bewußtsein der
Konflikten ohne verfestigte Koalitionsbildungen Stufe 4, wobei sich allerdings aufgrund der Tat­
sache, daß die bei uns verfassungsmäßig festge­
(Symbiosen) erlaubte. Damit konnte sich ihr
legten Verfahrensregeln der Stufe 5 der Ent­
Persönlichkeitssystem bis zum Eintritt in die
Adoleszenzphase optimal entwickeln (hohe Ich- wicklung des moralischen Bewußtseins korre­
spondieren, der Anschein entstehen kann, als
Ressourcen). Da das Kind schon immer als In­
dividuum behandelt wurde, wird die Adoleszenz­ sei die Stufe der postkonventionellen Moral
phase von Eltern und Kind als Periode der Verän­ schon erreicht (Inhaltslernen kontaminiert Struk­
derung der Persönlichkeit und nicht einfach als turentwicklung).
Statusveränderung begriffen.
KENNISTONS „Alienated“ sind in symbiotischen
Dadurch wird eine intensive Krise des Persön­
Mutter-Kind Dyaden aufgewachsen, in denen
lichkeitssystems ausgelöst, in der bislang intersie nicht einmal als Träger einer eigenen Rolle
nalisierte Normen und Wertorientierungen re­
voll anerkannt wurden. Die Lösung vom Fa­
flexiv eingeholt und transformiert werden kön­ miliensystem gestaltet sich dadurch außeror­
nen. Das Ergebnis dieser heftigen Identitätskrise dentlich schwierig: die Adoleszenzkrise ist sehr
ist eine an den Prinzipien einer universalistisch­ intensiv und kann - da jegliches Commitment
kommunikativen Moral orientierte flexible Ich- als Gefährdung der diffusen Ich-Identität erfah­
Identität (KOHLBERG, Stufe 6). Gestützt auf
ren wird — nicht durch Organisation der Per­
ein solches moralisches Bewußtsein werden nun sönlichkeitsstruktur um internalisierte morali­
die semantischen Überschüsse der nur in forma­ sche Prinzipien gelöst werden. Ihr Verhalten
lisierter Form realisierten bürgerlichen Grund­
wirkt vormoralisch und situationsdeterminiert.
Die Instabilität ihrer Ich-Grenzen manifestiert
19 KATZ et al. 1969; LIPSET 1971; FLACKS 1971;
sich in der kompensatorischen Übernahme ex­
FORSTER/LONG 1970; BLOCK/HAAN/BREWSTER- trem individualistischer Philosopheme (Existen­
SMITH 1969, 1971; WATTS/WHITTACKER 1966; tialismus, Ästhetizismus), die es doch noch er­
KENNISTON 1968, 1965.
möglichen sollen, jenseits der konventionellen
20 Es handelte sich um die Initiatoren und Führer der Orientierung an Leistung und Berufskarriere,
Studentenbewegung. Für spätere Sympathisanten
einen „Sinn des Lebens“ zu finden.
b) Lösungsformen und Verhaltenspotentiale
oder einfache Mitläufer wird man eine andere Per­
sönlichkeitsstruktur erwarten können. Vgl. z. B.
MANKOFF/FLACKS 1971; HANSSEN/PAULSON
1972; BROWN 1967.
In allen drei Fällen entspricht - als Resultat
einer spezifischen Unauthenticated
Verlaufsform der AdoleszenzDownload Date | 10/21/17 8:03 AM
R. Döbert, G. Nunner-Winkler: Konflikt- und Rückzugspotentiale in spätkapitalistischen Gesellschaften
323
krise — eine spezifische Organisation der Per­
liberalistischen Wertorientierungen (humanitär­
sönlichkeit mit einer spezifischen Ausprägung
individualistisch z. B. Gesellschaftsreformer,
des moralischen Bewußtseins einer bestimmten Wehrdienstverweigerer, Entwicklungshelfer). (Vgl.
Form der selektiven Thematisierung von Gehalten BLOCK et al. 1968; KAUFFMAN 1963)
des kulturellen Systems und einer bestimmten
Form politischer Betätigung bzw. Apathie (Ver­ c) Restabilisierung auf postkonventioneller Ebe­
änderung der Gesellschaft, konformistische Teil­ ne mit Radikalisierung, wobei die unterdrückten
nahme, individualistischer Rückzug). Derartige
semantischen Gehalte der Grundnormen einge­
systematische Kovariationen sind zu erwarten
klagt werden (Führer der Studentenbewegung).
angesichts der Tatsache, daß die Rekonstruktion
von Welt- bzw. Gesellschaftsbüdern in denselben 2. Keine intensive Adoleszenzkrise oder allen­
Dimensionen (Partikularismus —Universalismus; falls Lösungskrise (Phase 1 der Adoleszenzkri­
Internalisierung der Verhaltenskontrolle und zuneh­ se) ohne nachfolgende Identitätskrise (Phase 2
mende Reflexivität und damit zusammenhängend der Adoleszenzdrise): Entwicklung einer konven­
wachsende Autonomie der Akteure) wie die Re­ tionellen Identität mit vermutlich schichtspezi­
konstruktion der Entwicklung des moralischen
fisch variierender zugrundeliegender psychologi­
Bewußtseins vorgenommen werden muß: zwi­
scher Dynamik:
schen beiden Variablenbereichen gibt es offen­
sichtlich Affinitäten. Wie es schwer vorstellbar
a) bruchlose, durch die intrafamilialen Soziali­
ist, daß eine partikularistische Ideologie wie der sationsmuster gut vorbereitete Übernahme des
Faschismus problemlos mit den Prinzipien einer dominierenden Wertsystems (normal Angepaßte
universalistisch-kommunikativen Moral koexistie­ der Mittelschicht).
ren kann, so kann die Anpassung geltender Nor­
men an sich verändernde Bedürfnisse, die in for­ b) Wenn man davon ausgehen darf, daß die In­
maldemokratischen Staatsverfassungen und erst formationen über Unterschichtssozialisation ei­
recht in utopischen Antizipationen voll egalitä­ nigermaßen zutreffend sind (Unterschichtsautorer Gesellschaftsverfassungen vorgesehen ist, nicht ritarismus, statusorientierte lnteraktionsmuster,
ohne weiteres auf der Ebene eines an der Auf­ Sprachbarrieren etc.); und wenn man weiterhin
rechterhaltung einer gegebenen Ordnung ausge­ berücksichtigt, daß bei Lehrlingen der Verlauf
richteten Bewußtseins (konventionelle Moral)
der Adoleszenzkrise aus sozialstrukturellen Grün­
verkraftet werden.
den abgeschnitten wird (Beginn der Lehre, d. h.
kein Moratorium), dann sollte man erwarten,
Versucht man, den Katalog der bislang zu illu­ daß hier kaum Chancen bestehen, die institutio­
strativen Zwecken angeführten Lösungsformen
nalisierten Wertorientierungen der bürgerlichen
der Adoleszenzkrise zu vervollständigen, so er­ Gesellschaft zu hinterfragen. Von daher würde
geben sich folgende empirisch wahrscheinliche
man also eine Stabilisierung der Persönlichkeit
Typen21:
auf konventioneller Ebene erwarten. Anderer­
seits kann nicht übersehen werden, daß gerade
1. Intensive Identitätskrise, die in unterschied­ in der Unterschicht subkulturelle Traditionen
licher Weise zur Überwindung der konventionel­ wirksam sind, die die bürgerliche Gesellschaft von
len Moral und einer Rollenidentität fuhren kann: den Prinzipien Gleichheit und Freiheit her in
Frage stellen. Wo es trotz dieser abweichenden
a) ohne Restabilisierung in Form einer flexiblen subkulturellen Gehalte zu einer konventionellen
personalen Identität, Orientierung an ästhetizi- Berufsrollenidentität kommt, wird man vermu­
stisch-individualistischen Werten (Identitätsdiffu­ ten dürfen, daß diese Form der Integration des
sion wie bei den Alienated, evtl. Hippies, in ex­ Persönlichkeitssystems mit erheblichen psycho­
logischen Kosten verbunden ist, weil die nicht­
tremer Form Drogenabhängige)
konformen Identitätsfragmente verdrängt bzw.
b) Restabüisierung auf postkonventioneller Ebe­ neutralisiert werden müssen.
ne ohne radikale Politisierung mit altruistischWo diese abweichenden subkulturellen Gehalte
nicht verdrängt werden, stellt sich die Frage
21 Die psychopathologischen Lösungsformen können
nach ihrer persönlichkeitsstrukturellen
Veranhier vernachlässigt werden.
Unauthenticated
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
324
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 2, Heft 4, Oktober 1973, S. 301-325
kerung. Das Problem, das sich hiermit stellt, ist
das klassische Problem des Verhältnisses von
Inhaltslernen und autonomer Entwicklung von
Deutungsstrukturen. Diese Unterscheidung im­
pliziert normalerweise die Unterstellung, daß
über Inhaltslernen erworbene Orientierungen
gegenüber Veränderungsdruck nicht so resistent
sind wie autonom entwickelte kognitive Struk­
turen, daß also ihr prognostischer Wert geringer
ist. Dennoch würden wir vermuten, daß die
subkulturellen Deutungsmuster der Unterschicht
nicht einfach oberflächlich aufgesetzt und somit
nur begrenzt handlungsrelevant sind: denn sie
entsprechen eindeutig einer Interessenlage und
täglich wiederholten Erfahrungen im Arbeitspro­
zeß, in denen sich die Einschränkungen der bür­
gerlichen Grundrechte so manifest niederschlar
gen, daß eine bruchlose Integration in die GesamtgeSeilschaft nicht durchzuhalten ist. Diesen
Erfahrungen entspricht ein anderer als der bis­
her analysierte Modus der Verankerung von
Deutungsmustern in Persönlichkeitssystemen.
Die genaue Funktionsweise dieses Mechanismus
muß im Verlauf der Untersuchung geklärt wer­
den. Insoweit als die Kluft zwischen subkulturel­
len Deutungsmustern und unterschichtsspezifi­
scher Biographie sich durch Transformationen
der intrafamilialen Sozialisation (Liberalisie­
rungsschub) zu schließen beginnt, sollte man in
der Unterschicht ein disproportionales Anwach­
sen von Protestpotentialen erwarten.
nifestation dieser Trends starke Auswirkungen
nach sich ziehen muß: abweichende Deutungs­
muster werden in zunehmendem Maße durch
die intrafamiliale Sozialisation und die Erfah­
rungen in der Arbeitssphäre abgestützt, d. h.
die bisher eher gegenläufigen Variablenbereiche
ergänzen sich.
Literatur
ADAMS, J. F., 1968: Understanding Adolescence.
Boston.
ADELSON, J. und R. O’NEIL, 1970: Growth of Poli­
tical Ideas in Adolescence. In: Learning about Poli­
tics, hersg. von R. S. Sigl. New York, 50-64.
ALMOND, G. A. und S. VERBA, 1963: The Civic Cul­
ture: Political Attitudes and Democracy in Five
Nations. Princeton: Princeton U. P.
BALES, R. F., 1970: Personality and Interpersonal
Behavior. New York: Holt, Rinehart and Winston.
BARINBAUM, L., 1972: Role Confusion in Adoles­
cence. Adolescence VII, 25, 121 ff.
BLOCK, J.H. et al., 1968: Activism and Apathy in
Contemporary Adolescents. In: Understanding Youth,
hersg. von J.F. Adams. Boston, 198-231.
BLOCK, J.H., HAAN, N., BREWSTER-SMITH, M.,
1969: Socialisation Correlates of Student Activism.
J. Soc. Issues 25.
- 1971: Activism and Apathy in Contemporary Adoles­
cents. In: Contributions to the Understanding of
Adolescence, hersg. von J.F. Adams. New York.
BLOS, P., 1962: On Adolescence. New York: Free
Press.
BOURDIEU, P., 1970: Zur Soziologie der symbolischen
Formen. Frankfurt: Suhrkamp.
BROWN, J.D. (Hersg.), 1967: The Hippies. New York.
CROWNE, D.P. und MARLOWE, D., 1967: The Approval
Motive. Studies in Evaluative Dependance. New York.
Zusammenfassende Schlußbemerkung
DEUTSCH, H., 1967: Selected Problems of Adolescence.
New York: J. V. P. Inc.
DÖBERT, R., 1973: Systemtheorie und die Entwick­
Der eingangs erhobene Anspruch, politisch re­
lung religiöser Deutungssysteme. Frankfurt: Suhr­
levante Krisenpotentiale im Rahmen sozialpsy­
kamp - im Druck.
chologischer Hypothesensysteme analysieren
DOUVAN, E. und ADELSON J., 1966: The Adolescent
zu können, läßt sich nun präzisierter reformulieExperience. New York: Wiley.
ren als die Behauptung, daß mit zunehmendem DREITZEL, H. P., 1968: Die gesellschaftlichen Leiden
und das Leiden an der Gesellschaft. Stuttgart: Enke.
Wohlstand, der Ausweitung des Ausbildungssy­ DUMAS,
1958: zit. in: The Growth of Logical Think­
stems, der Verlängerung der Adoleszenzphase und
ing, hersg. von B. Inhelder und J. Piaget. Basic Books,
Veränderungen der intrafamüialen Interaktions­
3 34 ff.
muster (Liberalisierungsschub) abweichende Lö­ EASTON, D., 1965: A Systems Analysis of Political
Life. New York: John Wiley and Sons.
sungen der Adoleszenzkrise (individualistischer
ELDER,
G. H. jr., 1968: Adolescence Socialization and
Rückzug mit der Gefahr der „Verrottung“ des
Development, In: Handbook of Personality Theory
Systems oder radikale Politisierung und Über­
and Research, hersg. von E. F. Borgatta und W. W.
forderung des Systems) nicht nur in der pri­
Lambert. Chicago: Rand McNally.
ELKIND, D., 1968: Cognitive Development in Adoles­
mär von diesen Trends betroffenen Mittel­
cence. In: Understanding Adolescence, hersg. von
schicht wahrscheinlicher werden, sondern auch
J.F. Adams. Boston 128-158.
irr der Unterschicht, da aufgrund der dort
ERIKSON, E. H., 1966: Identität und Lebenszyklus.
schon vorhandenen abweichenden subkulturel­
Frankfurt: Suhrkamp.
len Deutungsmuster schon eine geringfügige Ma­ FLACKS, 1971: Journal
Unauthenticated
for Social Issues 23, 3.
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
R. Döbert, G. Nunner-Winkler: Konflikt- und Rückzugspotentiale in spätkapitalistischen Gesellschaften
325
FLAVELL, J.H. et al. 1968: The Development of Role- MADISON, P.M., 1961: Freud’s Concept of Repression
and Defense, its Theoretical and Observational. Univ.
Taking and Communication Skills in Children. New
of Minnesota: Minnesota U. P.
York: J. Wiley and Sons Inc.
FLAVELL, J.H., 1972: An Analysis of Cognitive De­ MANKOFF, M. und R. FLACKS, 1971: The Changing
Social Base of the American Student Movement.
velopmental Sequences. Gen. Psych. Monographs
The Annals.
86, 279-350.
MERTON, R. K., 1957: Social Theory and Social Struc­
FORSTER, J. und LONG, D. (Hersg.), 1970: Protest:
ture. New York.
Student Activism in America. New York .
MILLER, D.R., G. E. SWANSON, 1966: Inner Conflict
FREUD, A., 1936: The Ego and the Mechanism of
and Defense. New York: Schocken Books.
Defense. New York: JVP, revised Edition 1966.
MISCHEL, W., 1961: Preference for Delayed Reinforce­
GOFFMAN, E., 1961: Encounters, 2 Studies in the
ment and Social Responsibility. J. of Abnorm, and
Soc. of Interactions.
Soc. Psychol., 62, 1-7.
- 1963: Stigma. Notes on the Management of Spoiled
MOORE, R. J., 1972: Canadian Adolescence and the
Identity. N. J.: Englewood Cliffs.
Challenge to Demonstrate Competence at Personal
GOLDTHORPE, J.H. et al., 1968: The Affluent Worker.
Physical Risk: I, Adolescence, VII, 26, 245-264.
Cambridge.
OFFE, C., 1972: Strukturprobleme des kapitalistischen
GOULDNER, A. W., 1960: The Norm of Reciprocity.
Staates, Aufsätze zur politischen Soziologie. Frank­
A Preliminary Statement. ASR 25, 161 ff.
furt: Suhrkamp.
HABERMAS, J., 1968: Stichworte zu einer Theorie
OEVERMANN, KRAPPMANN, KREPPNER, 1968:
der Sozialisation. Frankfurt: Raubdruck.
Projektvorschlag: Elternhaus und Schule: Institut
- 1972: Internes Arbeitspapier vom 26.1.72.
Für Bildungsforschung in der Max-Planck-Gesell­
HANSSEN, C. A. und M. J. PAULSON, 1972: Our
schaft.
Anti-Establishment Youth: Revolution or Evolution.
PARSONS, T., 1951: The Social System. Glencoe, 111.
Adolescence VII, 27, 393 ff.
HECKHAUSEN, H., 1967: The Anatomy of Achievement - et al., 1953: Working Papers in the Theory of Action.
New York: Free Press, insbes. Kap. III.
Motivation, New York.
PARSONS, T., 1967: Sociological Theory and Modern
HOMANS, G. C., 1960: Theorie der sozialen Gruppe.
Society, Teil III. New York: Free Press.
Köln-Opladen.
- 1961: Social Behavior. Its Elementary Forms. London - und E.A. SHILS, 1951: Towards a General Theory
of Action. Cambridge, Mass.
INHELDER, B. und J. PIAGET, 1958: The Growth of
- und N. SMELSER, 1965: Economy and Society.
Logical Thinking. Basic Books.
New York: Free Press.
KASAKOS, G., 1973: Zeitperspektive, Planungsverhal­
PENNER, W., 1972: Hippies’ Attraction to Mysticism.
ten und Sozialisation. München: Juventa.
Adolescence VII, 26, 199ff.
KATZ, J. et al., 1969: No Time for Youth. San Fran­
PIAGET, J., 1932: The Moral Judgement of the Child.
cisco :Jossey-Bass Inc.
London: Kegan Paul.
KAUFFMAN, J.F., 1963: Youth and the Peace Corps.
- 19692: The Intellectual Development of the Adoles­
In: Youth: Change and Challenge. New York.
cent. In: Adolescence: Psychological Perspectives,
KENNISTON, K., 1965: The Uncommitted: Alienated
hersg. von G. Caplan und S. Lebovic. New York,
Youth in American Society. New York.
London, 22-26.
- 1968: Young Radicals. New York.
KERN, H. und M. SCHUMANN, 1970: Industriearbeit QUAY, H.C., 1965: Personality and Delinquency. In:
Juvenüe Delinquency, hersg. von H. C. Quay, Prince­
und Arbeiterbewußtsein. Frankfurt: EVA.
ton: Van Nostrand.
KOHLBERG, L., 1969: Stage and Sequence: The Cog­
nitive-Developmental Approach to Socialization. In: ROTTER, J.B., 1971: External Control and Internal
Control. Psychology Today. June.
Handbook of Socialization Theory and Research,
SAMPSON, E. E., 1969: Studies of Status Congruence.
hersg. von D.A. Goslin, Chicago: Rand McNally.
In: Advances in Experimental Social Psychology,
- 1971: From Is to Ought. In: Cognitive Development
hersg. von L. Berkowitz. New York. 225-270.
and Epistemology, hersg. von Th. Mischel. New
WATTS, W. A.,D. WHITTACKER, 1966: Some SocioYork, 151-236.
psychological Differences between Highly Commit­
- und KRAMER, 1963: Continuities and Discontinui­
ted Members of the Free Speech Movement and
ties in Childhood and Adult Moral Development.
the Student Population at Berkeley. Applied Be­
Human Development 12, 10.
havioral Science 2.
KROEBER, T. C., 1963: The Coping Functions of the
Ego Mechanisms. In: The Study of Lives, hersg. von WEBER, M., 1958: Wirtschaftsgeschichte. Berlin: Duncker
und Humblot.
White. New York.
LEHMANN, I. J. et al., 1966: Changes in Attitudes
and Values Associated with College Attendance.
Anschriften der Verfasser:
J.Educ. Psychol. 57, 121, 98-98.
LIPSET, S.M., 1971: Youth and Politics. In: Contem­
Dr. RAINER DÖBERT
porary Social Problems, hersg. von R. K. Merton,
8130 Starnberg, Lenbachstraße 16
R. Nisbet. New York. 3. Aufl.
MacDONALD, A. P. jr., 1970: Revised Scale for Ambi­
Dr. GERTRUD NUNNER-WINKLER
guity Tolerance: Reliability and Validity. Psychol.
8 München 71, Walsertalstraße 6
Reports 26, 791-798.
Unauthenticated
Download Date | 10/21/17 8:03 AM
Herunterladen