Kinder- und Jugendrheumatologie © Schattauer 2009 Gelenkrheuma im Kindesalter Klinische Besonderheiten und Versorgungsaspekte K. Minden1,2 1Deutsches Rheumaforschungszentrum Berlin, Abteilung Epidemiologie; 2Universitätskinderklinik Charité Berlin, Campus Virchow, Abteilung Kinder- und Jugendrheumatologie Schlüsselwörter Keywords Juvenile idiopathische Arthritis, JIA-Subgruppen, Oligoarthritis Juvenile idiopathic arthritis, JIA-subgroups, ILAR, oligoarthritis Zusammenfassung Summary In den letzten 15 Jahren hat es wesentliche Fortschritte auf kinderrheumatologischem Gebiet gegeben, die Verbesserungen in der Klassifikation und Behandlung der chronischen Arthritis, der häufigsten chronischentzündlich rheumatischen Erkrankung im Kindesalter, einschließen. Die klinisch heterogene Gruppe der Arthritiden unklarer Genese mit Beginn vor dem 16. Lebensjahr wird heute unter dem Begriff juvenile idiopathische Arthritis (JIA) subsumiert. Die JIA umfasst verschiedene Erkrankungsgruppen, die sich in ihrer klinischen Präsentation, ihrem Verlauf sowie z. T. genetischen Hintergrund voneinander unterscheiden. Ihre Behandlungsmöglichkeiten haben sich vor allem durch die Einführung biologischer Medikamente deutlich verbessert. Dennoch birgt die JIA nach wie vor eine erhebliche Morbidität. Eine frühzeitige Erkennung und fachgerechte Therapie der JIA ist erforderlich, um potenzielle Folgeerscheinungen, wie z. B. Gelenkdestruktionen mit begleitendem Funktionsverlust, Sehkraftminderungen infolge Uveitis oder Wachstumsstörungen, zu vermeiden. There have been major advances in the field of paediatric rheumatology over the last 15 years, which have included improvements in the classification and management of chronic arthritis, the most common chronic rheumatic disease in children and adolescents. Juvenile idiopathic arthritis (JIA) is the new term that describes a clinically heterogeneous group of the arthritides of unknown cause, which begins before 16 years of age. The term JIA encompasses several disease categories, which differ in their clinical signs and symptoms, disease course, and, in some cases, genetic background. The treatment options of JIA have dramatically improved, particularly by the introduction of new drugs such as anticytokine agents. JIA nevertheless still carries a high risk of morbidity. An early recognition and a professional therapy of this illness are necessary to avoid potential disease consequences, such as joint destructions with accompanying loss of function, visual loss due to uveitis or growth disturbances. Korrespondenzadresse Dr. Kirsten Minden Universitätskinderklinik Charité, Campus Virchow, Abteilung Kinder- und Jugendrheumatologie Charitéplatz 1 10117 Berlin Tel.: 030/28 46 06 32 Fax: 030/28 46 06 26 E-Mail: [email protected] Juvenile arthritis – clinical features and aspects of health care arthritis + rheuma 2009; 29: 63–69 Die chronische Arthritis ist die häufigste chronisch-entzündliche rheumatische Erkrankung im Kindes- und Jugendalter. Nach populationsbasierten Untersuchungen er- kranken in Europa und Nordamerika pro Jahr etwa 10 von 100 000 Kindern unter 16 Jahren. Die Erkrankungshäufigkeit wird auf 100 pro 100 000 Kinder unter 16 Jahren ge- schätzt, d. h. wir können in Deutschland von etwa 15 000 betroffenen Kindern und Jugendlichen ausgehen (16). Die chronische Arthritis im Kindesalter wird heute in der Regel entsprechend der Klassifikation der International League of Associations for Rheumatology (ILAR) als juvenile idiopathische Arthritis (JIA), früher: juvenile chronische Arthritis (JCA), bezeichnet (24). Dabei steht JIA als Oberbegriff für die verschiedenen Formen der Arthritis unklarer Ursache, die vor dem 16. Lebensjahr auftreten und mindestens sechs Wochen andauern. Sieben Subgruppen der JIA werden derzeit basierend auf den klinischen Merkmalen innerhalb der ersten sechs Erkrankungsmonate unterschieden (씰Tab. 1). Neben der Arthritis können bei der JIA verschiedene extraartikuläre Manifestationen, wie z. B. eine Uveitis, auftreten. Die Ätiopathogenese der JIA ist noch weitgehend unklar. Man geht davon aus, dass ihr als chronisch-entzündliche Erkrankung autoimmunologische bzw. autoentzündliche Mechanismen zugrunde liegen. Besonderheiten der Arthritis mit Beginn im Kindesalter Die JIA weist Gemeinsamkeiten mit den im Erwachsenenalter beginnenden Arthritiden auf, sie unterscheidet sich jedoch auch gravierend von diesen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie als destruierende Arthropathien langfristig zu einem Funktionsverlust führen und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen können. Sowohl die Arthritiden mit Beginn im Kindesalter als auch jene mit Beginn im Erwachsenenalter gelten mit Ausnahme des Morbus Still als Autoimmunerkrankungen mit komplexem genetischen Hintergrund, Assoziationen mit bestimmten HLA-Allelen und Th1/Th17 ausgerichtetem Zytokinprofil (12, 20, 25). Sie arthritis + rheuma 2/2009 Downloaded from www.arthritis-und-rheuma-online.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 63 64 K. Minden: Gelenkrheuma im Kindesalter Tab. 1 Definition und Merkmale der einzelnen JIA-Subgruppen, basierend auf den Daten der im Rahmen der Kinderkerndokumentation 2006 erfassten und im Durchschnitt vier Jahre kranken JIA-Patienten (n = 4116) JIA-Subgruppe Definition (nach ILAR [24]) Oligoarthritis Arthritis von ≤ 4 Gelenken in den ersten 6 Erkrankungsmonaten relative Häufigkeit (%) Mädchen Nachweis (%) ANA (%) HLA-B27Positivität (%) Uveitis (%) Enthesitis (%) ● persistierende Form kumulativ ≤ 4 Gelenke entzündet 46 69 66 11 17 2 ● erweiterte Form kumulativ > 4 Gelenke entzündet 7 78 74 9 22 7 Entzündung von > 4 Gelenken während der ersten 6 Erkrankungsmonate, kein Nachweis von RF 15 76 43 10 6 4 Enthesitis-assoziier- Arthritis und Enthesitis oder Arthritis oder te Arthritis Enthesitis und mindestens 1 der folgenden Kriterien: entzündlicher Rücken-schmerz, Nachweis von HLA-B27, HLA-B27-assoziierte Erkrankung bei einem Verwandten 1. Grades, akute Uveitis und/oder Beginn der Arthritis bei einem Jungen nach dem 6. Lebensjahr 14 40 23 66 9 59 RF-negative Polyarthritis Psoriasisarthritis Arthritis und Psoriasis, oder Arthritis und Daktylitis und mindestens zwei der folgenden Kriterien: Nagelveränderungen (Tüpfelungen oder Onycholyse) und/oder ärztlicherseits bestätigte Psoriasis bei einem Verwandten 1. Grades 8 68 51 22 10 24 systemische Form der JIA (M. Still) Arthritis und Fieber von mindestens zwei Wochen Dauer und mindestens 1 der folgenden Kriterien: Exanthem, Serositis, Lymphknotenvergrößerungen, Hepato- und/ oder Splenomegalie 6 51 12 4 1 3 RF-positive Arthritis Entzündung von > 4 Gelenken während der ersten 6 Erkrankungsmonate, Nachweis von RF 2 87 57 15 1 11 andere Arthritiden 3 56 35 31 8 18 100 65 52 21 12 13 Arthritiden, die nicht eindeutig den o. a. Subgruppen zugeordnet werden können gesamte Gruppe RF – Rheumafaktoren, ANA – antinukleäre Antikörper weisen Ähnlichkeiten in der Gelenkpathologie mit Hyperplasie der Synovialis, deren Infiltration mit mononukleären Zellen, verstärkter Vaskularisation sowie Pannusbildung und letztendlich Knorpel- und Knochenerosionen auf. Aber juvenile Arthritiden grenzen sich auch von den Arthritiden im Erwachsenenalter ab: Sie sind ca. zehnmal seltener, erfordern die differenzialdiagnostische Berücksichtigung anderer Erkrankungen, zeigen andere klinische Präsentationen sowie Komplikationen (z. B. Störungen von Wachstum und Entwicklung) und weisen oft einen günstigeren Verlauf auf. Rheumafaktoren finden sich nur in einer kleinen Subgruppe von Patienten (< 5 %), die HLA-Assoziationen bei den juvenilen Arthritiden sind mit Ausnahme des HLA-B27 andere als bei den Arthritiden mit Beginn im Erwachsenenalter. Insgesamt ist die Gruppe der Arthritiden des Kindesalters heterogener als jene des Erwachsenenalters und lässt phänotypisch sowie genetisch voneinander (und von Arthritiden im Erwachsenenalter) differierende Subgruppen erkennen, die nachfolgend charakterisiert werden. Die verschiedenen Formen der JIA Oligoarthritis Die Oligoarthritis (OA) ist eine ausschließlich auf das Kindesalter beschränkte Arthritisform und stellt in unseren Breiten die häufigste Form der JIA dar (28). Der Erkrankungsgipfel liegt im zweiten bis dritten Lebensjahr. Die OA betrifft vorzugsweise Mädchen, die typischerweise eine asymmetrische Gelenkentzündung mit bevorzugtem Befall arthritis + rheuma 2/2009 © Schattauer 2009 Downloaded from www.arthritis-und-rheuma-online.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. K. Minden: Gelenkrheuma im Kindesalter von Knie- und Sprunggelenken zeigen (씰Abb. 1). Per definitionem sind bei der OA innerhalb der ersten sechs Erkrankungsmonate maximal vier Gelenke entzündet, bei 30 bis 50 Prozent der Fälle ist nur ein Gelenk betroffen (27). Bleibt die Arthritis auch im weiteren Krankheitsverlauf auf maximal vier Gelenke beschränkt, spricht man von einer persistierenden Form der OA. Werden mehr als vier Gelenke in den Entzündungsprozess einbezogen, wird die Erkrankung als erweiterte (extended) Form der OA bezeichnet. Letztere entwickeln bis zu 50 Prozent der Patienten (13). Eine zu Krankheitsbeginn hohe humorale Entzündungsaktivität sowie eine Arthritis an mehr als einem Gelenk bzw. einem Gelenk der oberen Extremitäten wurden als Prädiktoren für die polyartikuläre Verlaufsform ermittelt (3, 13). Die Prognose von Patienten mit erweiterter Form der OA ist wesentlich ungünstiger als jene von Patienten mit persistierender OA. Innerhalb der ersten 15 Krankheitsjahre entwickelt nur etwa ein Drittel (im Vergleich zu drei Viertel der Patienten mit persistierender OA) eine Remission (19). Schwere Funktionsbeeinträchtigungen und erosive Gelenkveränderungen werden ebenfalls häufiger, und zwar bei etwa einem Drittel, beobachtet (7, 22). Die Oligoarthritis zeigt starke Assoziationen mit bestimmten HLA-Allelen. Erkrankte tragen häufiger die Allele HLA-A*02, -DRB1*08, -DRB1*11, -DRB1*1301 und -DPB1*0201 (11). Die Akut-Phaseproteine sind oft normal oder nur leicht erhöht, antinukleäre Antikörper werden bei etwa zwei Drittel der Patienten nachgewiesen. Patienten mit OA haben innerhalb der JIA-Gruppe das höchste Risiko eine Uveitis zu entwickeln, wobei es für ANA-positive fast viermal höher ist als für ANA-negative. Die Uveitis manifestiert sich häufig zu Erkrankungsbeginn, bei etwa zehn Prozent vor der Arthritis, bei etwa drei Viertel der Fälle innerhalb des ersten Erkrankungsjahres. Die Uveitis bei der OA ist in der Regel symptomlos. Das Komplikationsrisiko ist deshalb hoch; etwa jeder dritte Patient entwickelt infolge Katarakt, Glaukom, bandförmiger Hornhautdegenerationen und anderer okulärer Folgeprobleme einen relevanten Visusverlust (≤ 20/50). Ein engmaschiges ophthalmologisches Screening dieser Patienten, d.h. sofort zur Diagnosestellung und danach zunächst mindestens alle drei Monate, ist deshalb geboten (14). Seronegative Polyarthritis Die Kategorie Seronegative Polyarthritis (RFPA) ist die zweithäufigste Form der JIA. Die RF-PA präsentiert sich klassischerweise als symmetrische Arthritis der großen und kleinen Gelenke. Außerdem werden der RF-PA Krankheitsbilder zugeordnet, die mit Beginn im Kleinkindalter, ANA-Positivität, Mädchenwendigkeit, erhöhtem Uveitisrisiko, asymmetrischem Gelenkbefall und Assoziation mit HLA-DRB1*08 der frühkindlichen Oligoarthritis ähneln (26), sich in den ersten sechs Erkrankungsmonaten aber mit mehr als vier entzündeten Gelenken präsentieren. Bei allen Patienten mit RF-PA sind extraartikuläre Manifestationen, abgesehen von einer Uveitis, selten. Häufiger als bei der OA verläuft die Krankheit progredient. Nach sechs bis neun Jahren haben 40 bis 80 Prozent der Patienten erosive Gelenkveränderungen und dauerhafte Funktionseinschränkungen entwickelt (7, 22). Die überwiegende Mehrheit dieser Patienten hat auch im Erwachsenenalter noch eine aktive Erkrankung und bedarf daher der weiteren rheumatologischen Versorgung. Enthesitis-assoziierte Arthritis Abb. 1 Persistierende Oligoarthritis bei einem achtjährigen Mädchen; Arthritis in beiden Knieund Sprunggelenken, ausgeprägte Muskelatrophie, Kniebeugekontrakturen und Vorfußadduktion rechts Abb. 2 Enthesitis-assoziierte Arthritis mit Enthesiopathie im Bereich des rechten Achillessehnenansatzes bei einem 15-jährigen Knaben Die dritthäufigste Form der JIA umfasst eher männliche, oft HLA-B27-positive Patienten mit einem Alter über sechs Jahren, die typischerweise mit einer asymmetrischen Oligoarthritis der unteren Extremitäten und Enthesiopathien (am häufigsten am Achillessehnen- und Plantaraponeurosenansatz) auffallen (씰Abb. 2). Im Unterschied zu den anderen JIA-Formen ist bei der Enthesitis-assiziierten Arthritis (EAA) eine isolierte Koxitis zu Erkrankungsbeginn nicht ungewöhnlich. Seltener ist ein polyartikulärer Beginn, bei dem vor allem die Zehen- und Fingergelenke betroffen sind. Daneben finden sich charakteristischerweise Tarsitiden (als Resultat einer Arthritis, Enthesitis, Bursitis und Tenosynovitis im Mittelfußbereich), Tenosynovitiden (häufig an der Sehne des M. tibialis posterior) und bei fünf bis zehn Prozent symptomatische anteriore Uveitiden. Rückenschmerzen als Zeichen der axialen Beteiligung treten oft erst im Krankheitsverlauf hinzu. Bei etwa einem Drittel der Fälle kann eine Sakroiliitis in den ersten fünf Erkrankungsjahren kernspintomografisch nachgewiesen werden, was die Zugehörigkeit dieser Gruppe zu den Spondyloarthritiden unterstreicht (4). Mit zunehmender Krankheitsdauer nimmt der Anteil der Patienten mit entzündlicher Wirbelsäulenbeteiligung zu. Im frühen Erwachsenenalter haben etwa 40 Prozent der Patienten mit © Schattauer 2009 arthritis + rheuma 2/2009 Downloaded from www.arthritis-und-rheuma-online.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 65 66 K. Minden: Gelenkrheuma im Kindesalter EAA eine gesicherte und weitere knapp 40 Prozent eine mögliche ankylosierende Spondylitis entwickelt (19). Eine subklinische entzündliche Darmerkrankung kann ebenso wie bei Erwachsenen mit Spondyloarthritis beobachtet werden (10). Psoriasisarthritis Im Unterschied zur Psoriasisarthritis (PsA) im Erwachsenenalter manifestiert sich bei Kindern die Arthritis in etwa 50 Prozent der Fälle vor bzw. bei zehn Prozent mit der Psoriasis (29). Zu Erkrankungsbeginn zeigt sich die PsA typischerweise als asymmetrische Oligoarthritis, wobei das Kniegelenk am häufigsten betroffen ist. Aber es gibt auch eine eindeutige Prädilektion für kleine Gelenke (MCP-, MTP-, PIP-, DIP-Gelenke) an Händen und Füßen (15). Als typischer Gelenkbefall bei der PsA gelten der Befall im Strahl, die Beteiligung distaler Gelenke sowie die Daktylitis, die bei etwa einem Drittel der Patienten beobachtet wird (씰Abb. 3). Axiale Beteiligungen kommen auch im Kindes- und Jugendalter vor, eine Arthritis mutilans ist hingegen selten. Auch die PsA stellt keine homogene JIAKategorie dar. Tritt sie im Kleinkindalter auf, was in etwa 40 Prozent der Fall ist, imponiert sie wie eine OA mit asymmetrischer Oligoarthritis, nicht selten ANA-Positivität und Uveitis. Allerdings sind im Vergleich zur oligoartikulären JIA häufiger die kleinen Fingerund Zehengelenke mit betroffen. Bei Auftreten im Schulalter geht sie häufiger mit dem Vorhandensein von HLA-B27 einher und lässt klinische Merkmale der Arthritis mit Enthesitisneigung bzw. Spondyloarthritiden erkennen. Beide Erscheinungsformen, häufiger jedoch die erste, können in eine Polyarthritis münden (30). Patienten mit polyartikulärer PsA zeigen in signifikantem Ausmaß frühe erosive Veränderungen sowie bleibende funktionelle Beeinträchtigungen. Generell finden sich bei der PsA nach mehr als fünf Jahren Krankheitsdauer bei mehr als 70 Prozent der Fälle Zeichen der aktiven Arthritis, d.h. im Vergleich zu anderen oligoartikulären JIAFormen ist die Prognose der PsA ungünstiger. Abb. 3 Tarsitis rechts, Daktylitis (3. Zehe rechts) und Arthritis im Großzehenendgelenk rechts sowie Nagelauffälligkeiten (Onychodystrophie, Tüpfelungen) bei einem 12-jährigen Mädchen mit Psoriasisarthritis Abb. 4 Makulopapulöses, z. T. urtikariell imponierendes Exanthem an den Oberschenkeln bei einem sechsjährigen Mädchen mit sJIA Systemische Form der JIA Die systemische Form der JIA (sJIA, Synonym: Morbus Still) unterscheidet sich grundsätzlich von den anderen Formen der JIA und wird heute als autoinflammatorisches Syndrom angesehen (9). Autoantikörper werden in der Regel nicht nachgewiesen, es besteht keine Geschlechtsdisposition. Auch sind keine Assoziationen mit HLA-Allelen bekannt. Aber es gibt Hinweise, dass eine Prädisposition zu einer verstärkten Produktion inflammatorischer Zytokine auf Stimuli, wie z. B. infektiöse Agenzien, Teil des genetischen Hintergrundes bei der sJIA ist. So wurden bei Patienten mit sJIA häufiger der –173 G/C Polymorphismus im Macrophage Migration Inhibitory Factor Gen und das –174G Allel des Interleukin-6 Gens nachgewiesen, die beide mit einer verstärkten Produktion dieser proinflammatorischen Zytokine assoziiert sind (6, 23). Man geht derzeit davon aus, dass der sJIA eine unkontrollierte Aktivierung des angeborenen Abwehrsystems mit proinflammatorisch aktiven neutrophilen Granulozyten und Monozyten zugrunde liegt, die sich in einer überschießenden Freisetzung der Zytokine IL-1β, IL-6 und IL-18 sowie kalziumbindenden S100-Proteine widerspiegelt (9). Hieraus erklären sich viele der klinischen Symptome mit intermittierendem Fieber (bis über 39 °C), einem nicht fixierten, lachsfarbenen Exanthem (씰Abb. 4), einer Hepatosplenomegalie, Polyserositis, Lymphadenopathie, Anämie, Leuko- und Thrombozytose. Auch die sJIA ist keine homogene Subgruppe der JIA. Sowohl die systemischen als auch die Gelenkmanifestationen können sehr variabel ausgeprägt sein. Zu Erkrankungsbeginn dominieren in der Regel die systemischen extraartikulären Manifestationen. Eine chronische Arthritis entwickelt sich gewöhnlich innerhalb von sechs Monaten nach Fieberbeginn, gelegentlich auch erst Jahre später. Der Krankheitsverlauf ist variabel, bei bis zu 50 Prozent der Patienten verläuft die Erkrankung chronisch-progredient mit schwerer destruierender Polyarthritis und signifikantem Funktionsverlust. Etwa zwei bis fünf Prozent der Patienten entwickeln eine lebensbedrohliche Komplikation, die als sekundäre hämophagozytische Lymphohistiozytose oder Makrophagenaktivierungssyndrom (MAS) bezeichnet wird. Plötzliches Fieber, Panzytopenie, Hepatosplenomegalie, Leberinsuffizienz, Koagulopathie mit Hämorrhagien und neurologische Symptome kennzeichnen dieses Syndrom, das einer raschen therapeutischen Intervention bedarf. Seropositive Polyarthritis Die seropositive Polyarthritis (RF+PA) gilt als pädiatrisches Äquivalent der rheumatoiden arthritis + rheuma 2/2009 © Schattauer 2009 Downloaded from www.arthritis-und-rheuma-online.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. K. Minden: Gelenkrheuma im Kindesalter Arthritis (RA) und wird überwiegend bei jugendlichen Mädchen beobachtet. Sie zeigt der RA analoge klinische Manifestationen und einen rasch progredienten Verlauf. Andere Arthritiden Die Gruppe der undifferenzierten Arthritiden umfasst keine separate Untergruppe, sondern Patienten, die in keine, meist aufgrund einer positiven Familienanamnese für Psoriasis, oder in mehrere der oben angeführten sechs Subgruppen eingeordnet werden können. Die Diagnose der JIA Die Diagnose der JIA ist eine klinische. Sie fußt auf der Erkennung der Gelenkentzündung und dem Ausschluss bekannter, mit ähnlicher klinischer Symptomatik einhergehender Erkrankungen (24). Allerdings sind die typischen Arthritiszeichen mit Schwellung oder Überwärmung und schmerzhafter Bewegungseinschränkung des Gelenks gerade bei Kleinkindern nicht immer offenbar. Von einem jüngeren Kind werden oft keine Schmerzen angegeben. Vielmehr nehmen Kinder mit Arthritis eine schmerzentlastende Schonhaltung ein, das betroffene Gelenk wird meist in einer Beugeschonhaltung gehalten. Diese Fehlhaltung kann unbehandelt zu dauerhaften Fehlstellungen, Fehlbelastungen, Kontrakturen und Asymmetrien der Körperachse führen (씰Abb. 1). Typisch für die JIA sind morgendliche Gelenkschmerzen („Morgensteife“), die oft nicht verbalisiert und manchmal überspielt werden. Spezifische, auf die JIA hinweisende Laborbefunde gibt es nicht. Etwa ein Viertel der Kinder lassen in den ersten drei Erkrankungsmonaten keine Erhöhungen der laborchemischen Entzündungsparameter erkennen (1). Rheumafaktoren und Antikörper gegen cyclische citrullinierte Peptide (anti-CCP-Ak) werden lediglich bei bis zu fünf Prozent der Patienten nachgewiesen und sind somit diagnostisch nicht hilfreich (5). Antinukleäre Antikörper (ANA) werden häufiger und zwar bei bis zur Hälfte der Patienten beobachtet. Aber gerade im niedrigen Titerbereich werden ANAs auch bei bis zu 33 Prozent der ge- Abb. 5 An der bundesweiten Kerndokumentation teilnehmende Einrichtungen (Stand Januar 2009) sunden Kinder gefunden, so dass ihre diagnostische Spezifität sehr gering ist (17). Sie sind weder geeignet, Kinder mit JIA von anderen mit Gelenkbeschwerden abzugrenzen, noch Kinder mit verschiedenen JIA-Subgruppen sicher voneinander zu diskriminieren. Das diagnostische Dilemma spiegelt sich darin wider, dass auch heute noch im Durchschnitt fünf Monate vergehen bis ein Kind mit einer chronischen Arthritis dem Kinderrheumatologen erstmals vorgestellt wird ([unveröffentlichte Daten Kinderkerndokumentation 2006], [8]). Damit geht wertvolle Zeit, die für die Behandlung genutzt werden könnte, verloren. Das kann prognostisch bedeutsam sein. Es ist belegt, dass ein früher Therapiebeginn mit einem besseren Therapieansprechen und letztendlich einer besseren Prognose einhergeht (2, 21). Versorgungsaspekte Die JIA kann in einer dauerhaften Behinderung und Einschränkung der Lebensqualität resultieren. Um dies zu verhindern, erfolgt eine komplexe Therapie, die medikamentöse, krankengymnastische, ergotherapeutische und psychosoziale Maßnahmen umfasst. Spezielle kinderrheumatologische Versorgungsangebote gibt es inzwischen an etwa 60 kinderrheumatologischen Einrichtungen bundesweit. Die Homepage der kinderrheumatologischen Fachgesellschaft (www.gjkr.de) gibt mit einer aktuellen Versorgungslandkarte einen Überblick über diese Einrichtungen. Die meisten der versorgenden Einrichtungen sind Krankenhäuser, an denen Rheumaambulanzen etabliert wurden. An diesen Einrichtungen arbeiten etwa 75 Kinder- und Jugendrheumatologen (seit 2004 anerkannte pädiatrische Subspezialität). Alle größeren Versorgungseinrich- © Schattauer 2009 arthritis + rheuma 2/2009 Downloaded from www.arthritis-und-rheuma-online.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 67 68 K. Minden: Gelenkrheuma im Kindesalter Abb. 6 Anteil der in den Jahren von 1998 bis 2006 medikamentös bzw. basistherapeutisch behandelten JIA-Patienten (in Prozent). Die Angaben beziehen sich auf Querschnittdaten der Kinder-Kerndokumentation. tungen nehmen an der Kerndokumentation rheumakranker Kinder und Jugendlicher teil (씰Abb. 5), mit der seit 1997 das Versorgungsgeschehen systematisch erfasst wird. Die Kerndokumentation hat die Veränderungen im kinderrheumatologischen Versorgungsgeschehen abgebildet. Sie hat gezeigt, dass sich mit der Entwicklung innovativer medikamentöser Therapien in den letzten Jahren das therapeutische Vorgehen bei der JIA deutlich geändert hat (씰Abb. 6). Krankheitsmodifizierende Medikamente (wie Methotrexat) werden heute nicht nur häufiger, sondern auch früher im Krankheitsverlauf und höher dosiert angewendet. Biologische Medikamente wie die TNF-blockierenden Substanzen (z. B. Etanercept), die gezielt in den Pathomechanismus der Erkrankung eingreifen, sind inzwischen die zweithäufigsten bei der JIA angewendeten Basismedikamente. Vor allem dieses geänderte therapeutische Vorgehen hat dazu beigetragen, dass sich innerhalb der vergangenen zehn Jahre das kinderrheumatologisch behandelte Kollektiv von JIA-Patienten verändert hat. So weisen heute kinderrheumatologisch betreute Patienten eine geringere Krankheitslast auf (z. B. weniger Funktionseinschränkungen) als im Jahr 1998 betreute (18). Es ist zu erwarten, dass deren Krankheitslast auch langfristig geringer bleiben wird. Trotz wesentlicher Verbesserungen der Behandlungsmöglichkeiten der JIA ist der Einfluss der Krankheit und Therapie auf das subjektive Wohlbefinden der Betroffenen nach wie vor beträchtlich. Auch muss die Therapie von Kindern und Jugendlichen mit JIA noch wenig evidenzbasiert und nicht selten außerhalb der Zulassungsindikation erfolgen. Hinzu kommt, dass nicht alle betroffenen Kinder von einer frühzeitigen spezialisierten Versorgung profitieren. Nach Schät- Fazit für die Praxis Neue Kenntnisse zur Epidemiologie und Ätiopathogenese haben unser Verständnis der verschiedenen Erkrankungsformen der juvenilen Arthritis und deren therapeutische Beeinflussbarkeit erheblich verbessert. Die JIA wird heute als autoimmunologische bzw. autoentzündliche Erkrankung mit komplexem genetischen Hintergrund verstanden. Die meisten ihrer Subgruppen treten ausschließlich bei Kindern auf und unterscheiden sich von den Arthritiden mit Beginn im Erwachsenenalter. Um Folgeschäden und einen dauerhaften Funktionsverlust zu vermeiden, ist eine frühzeitige komplexe Therapie erforderlich. zungen erreicht weniger als die Hälfte der Patienten einen Kinder- und Jugendrheumatologen. Es besteht also weiterer Verbesserungsbedarf hinsichtlich der Versorgung dieser Patienten. Literatur 1. Adib N, Hyrich K, Thornton J et al. Association between duration of symptoms and severity of disease at first presentation to paediatric rheumatology: results from the Childhood Arthritis Prospective Study. Rheumatology (Oxford) 2008; 47: 991–995. 2. Albers HM, Wessels JA, van der Straaten RJ et al. Time to treatment as an important factor for the response to methotrexate in juvenile idiopathic arthritis. Arthritis Rheum 2009; 61: 46–51. 3. Al-Matar MJ, Petty RE, Tucker LB et al. The early pattern of joint involvement predicts disease progression in children with oligoarticular (pauciarticular) juvenile rheumatoid arthritis. Arthritis Rheum 2002; 46: 2708–2715. 4. Bollow M, Braun J, Biedermann T et al. Use of contrast-enhanced MR imaging to detect sacroiliitis in children. Skeletal Radiol 1998; 27: 606–616. 5. Brunner J, Sitzmann FC. The diagnostic value of anti-cyclic citrullinated peptide (CCP) antibodies in children with Juvenile Idiopathic Arthritis. Clin Exp Rheumatol 2006; 24: 449–451. 6. Donn RP, Shelley E, Ollier WE, Thomson W; British Paediatric Rheumatology Study Group. A novel 5'-flanking region polymorphism of macrophage migration inhibitory factor is associated with systemic-onset juvenile idiopathic arthritis. Arthritis Rheum 2001; 44: 1782–1785. arthritis + rheuma 2/2009 © Schattauer 2009 Downloaded from www.arthritis-und-rheuma-online.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. K. Minden: Gelenkrheuma im Kindesalter 7. Flato B, Lien G, Smerdel A et al. Prognostic factors in juvenile rheumatoid arthritis: a case-control study revealing early predictors and outcome after 14.9 years. J Rheumatol 2003; 30: 386–393. 8. Foster HE, Eltringham MS, Kay LJ et al. Delay in access to appropriate care for children presenting with musculoskeletal symptoms and ultimately diagnosed with juvenile idiopathic arthritis. Arthritis Rheum 2007; 57: 921–927. 9. Frosch M, Roth J. New insights in systemic juvenile idiopathic arthritis from pathophysiology to treatment. Rheumatology (Oxford) 2008; 47: 121–125. 10. Gensler L, Davis JC Jr. Recognition and treatment of juvenile-onset spondyloarthritis. Curr Opin Rheumatol 2006; 18: 507–511. 11. Glass DN, Giannini EH. Juvenile rheumatoid arthritis as a complex genetic trait. Arthritis Rheum 1999; 42: 2261–2268. 12. Grom AA, Hirsch R. T-cell and T-cell receptor abnormalities in the immunopathogenesis of juvenile rheumatoid arthritis. Curr Opin Rheumatol 2000; 12: 420–424. 13. Guillaume S, Prieur AM, Coste J, Job-Deslandre C. Long-term outcome and prognosis in oligoarticular-onset juvenile idiopathic arthritis. Arthritis Rheum 2000; 43: 1858–1865. 14. Heiligenhaus A, Niewerth M, Ganser G et al.;German Uveitis in Childhood Study Group. Prevalence and complications of uveitis in juvenile idiopathic arthritis in a population-based nation-wide study in Germany: suggested modification of the current screening guidelines. Rheumatology (Oxford) 2007; 46: 1015–1019. 15. Huemer C, Malleson PN, Cabral DA et al. Patterns of joint involvement at onset differentiate oligoarticular juvenile psoriatic arthritis from pauciarticular juvenile rheumatoid arthritis. J Rheumatol 2002; 29: 1531–1535. 16. Manners PJ, Bower C. Worldwide prevalence of juvenile arthritis why does it vary so much? J Rheumatol 2002; 29: 1520–1530. 17. McGhee JL, Kickingbird LM, Jarvis JN. Clinical utility of antinuclear antibody tests in children. BMC Pediatr 2004; 4: 13. 18. Minden K. Prognose der rheumatischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Kinder- und Jugendarzt 2008; 4: 258–266. 19. Minden K, Niewerth M, Listing J et al. Long-term outcome in patients with juvenile idiopathic arthritis. Arthritis Rheum 2002; 46: 2392–2401. 20. Nistala K, Moncrieffe H, Newton KR et al. Interleukin-17-producing T cells are enriched in the joints of children with arthritis, but have a reciprocal relationship to regulatory T cell numbers. Arthritis Rheum 2008; 58: 875–887. 21. Oen K. Long-term outcomes and predictors of outcomes for patients with juvenile idiopathic arthritis. Best Pract Res Clin Rheumatol 2002; 16: 347–360. 22. Oen K, Reed M, Malleson PN et al. Radiologic outcome and its relationship to functional disability in juvenile rheumatoid arthritis. J Rheumatol 2003; 30: 832–840. 23. Ogilvie EM, Fife MS, Thompson SD et al. The –174G allele of the interleukin-6 gene confers susceptibility to systemic arthritis in children: a multi- 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. center study using simplex and multiplex juvenile idiopathic arthritis families. Arthritis Rheum 2003; 48: 3202–3206. Petty RE, Southwood TR, Manners P et al.; International League of Associations for Rheumatology. International League of Associations for Rheumatology classification of juvenile idiopathic arthritis: second revision, Edmonton, 2001. J Rheumatol 2004; 31: 390–392. Prahalad S, Glass DN. A comprehensive review of the genetics of juvenile idiopathic arthritis. Pediatr Rheumatol Online J 2008; 6: 11. Ravelli A, Felici E, Magni-Manzoni S et al. Patients with antinuclear antibody-positive juvenile idiopathic arthritis constitute a homogeneous subgroup irrespective of the course of joint disease. Arthritis Rheum 2005; 52: 826–832. Ravelli A, Martini A. Juvenile idiopathic arthritis. Lancet 2007; 369: 767–778. Saurenmann RK, Rose JB, Tyrrell P et al. Epidemiology of juvenile idiopathic arthritis in a multiethnic cohort: ethnicity as a risk factor. Arthritis Rheum 2007; 56: 1974–1984. Southwood TR, Petty RE, Malleson PN et al. Psoriatic arthritis in children. Arthritis Rheum 1989; 32: 1007–1013. Stoll ML, Zurakowski D, Nigrovic LE et al. Patients with juvenile psoriatic arthritis comprise two distinct populations. Arthritis Rheum 2006; 54: 3564–3572. © Schattauer 2009 arthritis + rheuma 2/2009 Downloaded from www.arthritis-und-rheuma-online.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 69