Der alternde mensch und seine Mundhöhle

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Biologische und anatomische Grundlagen der Alterszahnheilkunde (Teil 1)
Der alternde Mensch und seine Mundhöhle
Kenntnisse der strukturellen und funktionellen Altersveränderungen von Mundhöhle
und Gesicht sind eine wichtige Grundlage der Alterszahnheilkunde. Im ersten Teil
des Beitrags werden die häufigsten altersbedingten Veränderungen an Zähnen und
in der Mundhöhle vorgestellt.
Altersdemographie. Der fortschreitende altersdemografische Wandel mit Zunahme der Zahl
älterer Menschen aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung und dem Geburtenrückgang stellt ein
weltweites Phänomen dar, ist aber in den Industrienationen besonders ausgeprägt. In BadenWürttemberg beträgt der Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung heute schon 24
Prozent. Die zahnmedizinische Versorgung älterer Menschen verlangt Kenntnisse über die normale
Alterung und deren Abgrenzung zu krankhaften Befunden. Die Kenntnis dieser Veränderungen ist
eine Grundlage der Alterszahnheilkunde (Gerontostomatologie), die für fast alle zahnärztlichen
Disziplinen inzwischen Bedeutung hat.
Alterstheorien. In der
modernen Altersforschung
(Gerontologie) ist „Altern“
definiert als eine irreversible Veränderung
der lebenden Substanz mit
der Zeit und umfasst alle
Wandlungen der
strukturellen, funktionellen
und psychischen Prozesse,
die der einzelne Mensch bis
zum natürlichen Tod
durchläuft. Im Zuge dieses
Alterungsvorgangs kommt es zur Anhäufung von Schäden in Körperzellen und Geweben, die das
Risiko von Krankheit und Tod erhöhen und zum Verlust der Anpassungsfähigkeit an exogene und
endogene Belastungen führen. Dieser Alterswandel ist durch eine Minderung aller Organfunktionen
gekennzeichnet. Keine der über 300 Alterstheorien konnte aber bisher das Phänomen Altern
hinreichend oder schlüssig erklären. Im Mittelpunkt der modernen Gerontologie stehen verstärkt
Forschungen zu zellulären, molekularen und genetischen Ursachen.
Man trennt heute strikt zwischen physiologischen Altersveränderungen und Alterskrankheiten, die
während des Älterwerdens zusätzlich auftreten können. Beim sog. primären Altern ohne Auftreten
von Alterskrankheiten unterscheidet man zusätzlich das normale Altern, das mit physiologischen
Rückbildungsvorgängen abläuft, vom erfolgreichen Altern. Letzteres bedeutet, dass nur minimale
physiologische Verluste auftreten und ein subjektiv empfundenes Gesundheitsgefühl besteht. Neben
genetischen Faktoren sind für dieses „gesunde Altern“ verschiedene exogene Faktoren von
Bedeutung, z.B. Lebensstil oder sozio-ökonomischer Status. Diese Gruppe der „jungen Alten“ wird
zahlenmäßig in der Zukunft erheblich zunehmen und verstärkt nach hochwertiger
zahnmedizinischer Versorgung nachfragen. Sekundäres Altern bedeutet, dass neben den üblichen
altersphysiologischen Veränderungen noch Alterskrankheiten hinzutreten. Unter Alterskrankheiten
versteht man Erkrankungen, die mit dem Alter korreliert sind und für die im Alter ein erhöhtes
Risiko besteht, z.B. Demenzen, bösartige Neubildungen, kardiovaskuläre Erkrankungen, Arthrosen.
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Systemische Alterskrankheiten können selbstverständlich vielfältige Einflüsse auf die
Mundgesundheit haben. Eine Multimorbidität älterer Menschen ist oft auch ein Grund für die
Vernachlässigung von Zähnen und Mundhöhle („oral neglect“): Der Umgang mit verschiedenen
Grunderkrankungen rückt in den Mittelpunkt des Lebens, so dass z.B. Probleme mit der
Restbezahnung oder Prothesen als das „kleinere Übel“ betrachtet werden. Angesichts oft
zahlreicher unterschiedlicher Medikamente (Polypragmasie), die ältere Menschen einnehmen,
sollte man gerade bei dieser Patientengruppe besonders auf Nebenwirkungen innerhalb der
Mundhöhle achten, wie z.B. auf Gingivahyperplasien oder Verfärbungen.
Mundgesundheit im Alter. Auch in der Zahnmedizin sollte man heute zwischen alterskorrelierten
physiologischen Veränderungen der Mundhöhle und oralen Alterskrankheiten schärfer trennen. Als
typische orale Alterserkrankungen gelten z.B. die Xerostomie (Mundtrockenheit), bestimmte
orofaziale Schmerzsyndrome, prothesenbedingte Schleimhautveränderungen und vor allem die
Präkanzerosen bzw. Malignome der Mundschleimhaut. Physiologische Altersveränderungen sind
aber auch für die zahnärztliche Praxis von Bedeutung: Beispielsweise wirken sich nachlassende
neuromotorische Fähigkeiten aufgrund des Verlustes von Knochen- und Muskelmasse und der
Atrophie von Skelettmuskelfasern sowie der verminderten Nervenleitgeschwindigkeit mit Verlust
von Reaktionsvermögen und Sensibilität negativ auf die Handhabung eines Zahnersatzes und die
Fähigkeit zur Mundhygiene aus. Die Compliance, die z.B. bei Beratungsgesprächen mit älteren
Patienten wichtig ist, kann durch Altersveränderungen an den Sinnesorganen wie
Altersschwerhörigkeit (Presbyakusis) oder Altersfehlsichtigkeit (Presbyopie) beeinträchtigt sein.
Altersschwindel (Presbyvertigo) führt zu Problemen beim Ein- oder Aussteigen aus dem
Behandlungsstuhl. Funktionseinbußen am Gastrointestinaltrakt, wie z.B. eine verminderte
Darmmotilität oder eine verzögerte Magenentleerung, können schon vorhandene
Ernährungsstörungen dentaler Ursache verstärken. Leider ist die Datenlage zu den
altersphysiologischen Veränderungen oraler Strukturen beim Menschen noch sehr ungenügend.
Angaben in der Literatur basieren oft auf älteren Untersuchungen oder Einzelbeobachtungen. Es
fehlen vor allem Longitudinalstudien und Untersuchungen an größeren Kollektiven. Bei der
Auswertung der vorhandenen Studien fällt aber auf, dass bei vielen untersuchten Parametern
immer wieder große individuelle Unterschiede zu beobachten sind. Altersveränderungen im oralen
Bereich sind daher auch unter den spezifischen Aspekten der Einzelperson (genetischer
Hintergrund, Lebensstil usw.) zu beurteilen.
Zähne. Häufig kann man bei älteren Patienten verschiedene makroskopische Veränderungen,
beobachten, deren Auftreten durch Studien teilweise auch gut belegt ist. Dazu zählen Verkürzungen
der Zahnbögen im Gefolge der Mesialdrift, Änderung der Zahnfarbe in Richtung eines gelblichen
Farbtons (Abb. 1), falls dies nicht durch exogen bedingte Pigmentierungen (Rauchen, Tee usw.)
oder Auflagerungen überdeckt ist, strukturelle Veränderungen im Kronenbereich, wie Verlust von
Schneidekantenkonturen, von Randwülsten und Wachstumsrillen sowie von Transparenz. Diese
Phänomene sind vor allem im Frontzahnbereich hinsichtlich restaurativer Maßnahmen im Sinne
einer altersentsprechenden ästhetischen Versorgung von praktischem Interesse. Hartsubstanzverluste („Altersabnutzung“) wie Abrasion (Abb. 1) oder Erosion sind zwar bei betagten
Patienten noch häufig zu beobachten, gelten aber zumindest in den Industrienationen aufgrund der
gegenüber früheren Zeiten veränderten Nahrungszusammensetzung nicht mehr unbedingt als
alterstypischer Befund.
Zahnhartsubstanzen. Ursache
für viele der makroskopischen
Veränderungen an den Zähnen
sind in der veränderten Struktur
und Biochemie von Schmelz und
Dentin zu suchen. Die am besten
untersuchten Altersveränderungen
am Schmelz sind zunehmender
Wasserverlust und eine
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Verdichtung des Kristallgefüges,
was zu einer verstärkten Härte
und Brüchigkeit führt. Klinisch
kann sich dies beim älteren
Patienten in Sprüngen (Abb. 1)
oder Absplitterungen im Bereich
der Krone manifestieren. Im
Dentin nehmen die anorganischen
Komponenten mit dem Alter zu,
während die organischen
Komponenten, vor allem das
Kollagen, zunehmend reduziert
werden. Dadurch kommt es wie
beim Schmelz zu einer
Hypermineralisation mit
Sklerosierung und Versprödung,
ein Vorgang, der generell von
apikal nach koronal fortschreitet.
Strukturell äußert sich dies in
einer verstärkten peritubulären
und intratubulären Mineralisation
bis hin zum kompletten Verschluss
von Tubuli (Abb. 2). In dünnen
Zahnschliffen lässt sich die
Hypermineralisation aufgrund
eines veränderten Brechungsindex
als Transluzenz darstellen. Dies
kann forensisch zur Lebensaltersbestimmung herangezogen werden. Dentinsklerosierung kann sich
selbstverständlich aber auch altersunabhängig als Abwehrreaktion z.B. bei Karies oder unter
keilförmigen Defekten entwickeln. Sklerosiertes Dentin hat als Substrat für adhäsive Systeme
andere Eigenschaften als normales Dentin: Anätzung dauert länger, Hybridlayer können dünner
sein und eine veränderte Struktur aufweisen, Tags bilden sich nicht oder sind verkürzt. Die Penetrationsfähigkeit von Kunststoffen und die Effektivität des Bondings können ebenfalls vermindert
sein.
Wurzelzement stellt ein Hartgewebe mit nur sehr geringen Umbauraten dar. Die Fähigkeit zur
appositionellen Anlagerung von neuem Zement ist aber durch die lebenslange Anwesenheit von
zementbildenden Zementoblasten gegeben und kann sogar im Alter verstärkt ablaufen (Abb. 3).
Im Extremfall bilden sich Hyperzementosen aus. Die Dickenzunahme des Zementes hat einerseits
wahrscheinlich genetische Ursachen, da eine Zementapposition auch an retinierten Zähnen
nachzuweisen ist. Andererseits werden aber auch exogene Einflüsse, wie Abrasion oder okklusale
Drift, als Ursache diskutiert.
Pulpa. Bei der
endodontischen
Behandlung älterer
Patienten ist die
zunehmende
Verengung der
Pulpahöhle und des
Wurzelkanals von
praktischer
Bedeutung. Die
lebenslang erhaltene
Fähigkeit der Odontoblasten zur
Dentinbildung bildet
die Voraussetzung zur
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Ablagerung von
Sekundärdentin an der
Pulpenwand. Diese
Anlagerung schreitet etwa ab der vierten Lebensdekade nach gewissen Gesetzmäßigkeiten fort.
Hörner, Dach und Boden der Kronenpulpa sowie die Wurzelkanäle sind Prädelektionsstellen.
Besonders an den oberen Inzisivi und Canini kann es zu starker Ablagerung kommen. Dazu
gesellen sich mit zunehmendem Alter auch Veränderungen des Weichgewebes, die das Vermögen
der Pulpa zur Abwehr und Reparatur beeinträchtigen. Prinzipiell können aber die Funktion und die
Vitalität der Pulpa bis ins hohe Alter erhalten sein. Funktionelle Einbußen beruhen nach heutiger
Anschauung eher auf der Summation chronisch-krankhafter Prozesse und auf Schäden durch
zahnärztliche Maßnahmen. Wie die meisten Bindegewebe des Körpers unterliegt auch das
ursprünglich lockere Bindegewebe der Pulpa Altersveränderungen, die sich in einer Abnahme von
Anzahl und Dichte der Zellen und einer zunehmenden Fibrosierung unter Verdichtung der
Kollagenfaserstrukturen äußern (Abb. 4). Trotz ihrer Fähigkeit zur Sekundärdentinbildung (s.o.)
altern auch die Odontoblasten: Ihre Fortsätze können degenerieren und sich aus den Tubuli
zurückziehen, ihre Stoffwechselleistungen nehmen ab, sie gehen sogar zugrunde. In manchen
Regionen, wie z.B. den Wurzelkanälen, finden sich oft gar keine Zellen mehr (Abb. 4). Beim älteren
Menschen sind auch die Zahl der Gefäße und der sensiblen Nerven in der Pulpa reduziert. Die Folge
für die Durchblutung ist eine schlechtere Hämodynamik der Pulpa. Im Zusammenspiel mit der
Dentinsklerosierung und der Sekundärdentinablagerung (s.o.) führen die neuronalen
Veränderungen zu Verminderungen der Sensibilität und insbesondere der Schmerzempfindung, was
Auswirkungen auf die Vitaltätsprüfungen haben kann. Kleinere Verkalkungen sind ebenfalls häufig
zu beobachtende Phänomene in Pulpen älterer Menschen. Ausgedehnte Pulpaverkalkungen in Form
von Dentikeln, Pulpasteinen oder diffusen Verkalkungen haben zwar eine hohe Inzidenz, zeigen
aber keine Alterskorrelation. Sie können sogar in Milchzähnen beobachtet werden.
Zahnhalteapparat. Altersphysiologische Veränderungen am Zahnhalteapparat sind bisher wenig
untersucht. Die bereits beschriebene Verbreiterung des Wurzelzementes ist wahrscheinlich auch die
Ursache für die im Alter festzustellende Verschmälerung des Parodontalspaltes.
Das Desmodont (Parodontal-Ligament) unterliegt Altersveränderungen, wie sie an allen
kollagenfaserigen Bindegeweben unseres Körpers zu beobachten sind. Dazu zählen Fibrosierungen,
Defekte im Kollagenfasernetz oder Verkalkungen (Abb. 5). Auch die Parodontal-Ligamentzellen
altern: Sie verlieren ihre Teilungsfähigkeit und weisen verminderte Sekretionsleistungen auf.
Möglicherweise wirken sich diese altersphysiologischen Defizite auf die abnehmende Kapazität des
Gewebeumbaus („turnover“) und auf eine verringerte Regenerationsfähigkeit des Desmodonts im
Alter aus.
Zu den Altersveränderungen der Gingiva existieren in der Literatur unterschiedliche und teils
widersprüchliche Angaben. Klinische Beobachtungen einer Gingiva-Atrophie beruhen histologisch
auf einer reduzierten Verhornung des Gingivaepithels. Ein Verlust der Stippelung ist zu beobachten,
wenn die Verzahnung des Epithels mit der darunterliegenden bindegewebigen Lamina propria
abflacht. Die Epithelzellen sind im Alter jedoch nach wie vor teilungsfähig. Zellbiologische
Untersuchungen an Fibroblasten der Gingiva älterer Patienten zeigten, dass alterstypische
Phänomene wie Nachlassen der Proliferationsfähigkeit oder ein Anstieg von Altersenzymen nicht zu
beobachten waren, selbst bei Vorliegen einer Parodontitis. Entgegen früheren Behauptungen bleibt
auch die Versorgung mit Blutgefäßen in der gesunden Altersgingiva konstant, obschon die
Fließgeschwindigkeit in den Kapillargefäßen etwas verringert sein kann. Es wird vermutet, dass die
insgesamt nur geringfügigen Veränderungen im Alter mit der dauernden Befeuchtung durch den
Speichel zu tun haben, über den auch anabole Wachstumsfaktoren das Gingivagewebe erreichen.
Ob es bei zahngesunden älteren Individuen zu einer geringen Apikalmigration des Saumepithels im
Sinne einer „passiven Eruption“ (Elongation) mit teilweise freiliegenden Zahnhälsen kommt (Abb.
1) ist umstritten. Wahrscheinlich sind derartige regressive Veränderungen eher das Ergebnis
lebenslang immer wieder aufgetretener, meist subklinisch verlaufender entzündlicher
Veränderungen mit Attachment-Verlust. Inwieweit die physiologischen Altersveränderungen des
Zahnhalteapparats eine Rolle für ein möglicherweise erhöhtes Risiko für Gingivitiden und
Parodontitiden im Alter besitzen, ist heute umstritten.
Orale Mukosa. Der
regional unterschiedliche
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histologische Aufbau der
Mundschleimhaut und ihre
ungleiche mechanische
Belastung beeinflussen
wahrscheinlich auch
mögliche
Altersveränderungen. Eine
der wenigen
umfangreichen klinischen
Untersuchungen zum
Zustand der
Mundschleimhaut bei
älteren Menschen kam zu
dem Ergebnis, dass ohne
Vorliegen von lokalen oder
systemischen
Erkrankungen
makroskopisch und
physiologisch keine
Unterschiede zu Jüngeren festzustellen sind. Eine generelle Atrophie bzw. eine generelle
Hyperkeratinisierung der Mundschleimhaut im Alter sind nicht belegt. Im Gegensatz zur Haut der
äußeren Körperoberfläche unterliegt die Mundschleimhaut nicht der Fotoalterung, bei der
UV-Strahlung, aber auch andere Umwelteinflüsse, einen wesentlichen Anteil an objektivierbaren
Alterungsprozessen ausmachen (s. auch Teil 2). Allerdings ist die Wundheilung der oralen Mukosa
bei über 50-jährigen Menschen verlangsamt, wie Beobachtungen nach Biopsien am harten Gaumen
ergaben. Neurophysiologische Untersuchungen zeigten, dass es für manche Sinnesqualitäten wie
Berührung oder Vibration nur geringe altersbedingte Verluste, für andere, wie Propriorezeption
oder thermische Sensitivität, gar keine Unterschiede oder Unterschiede erst bei Älteren über 75
Jahren gibt. Da nach heutiger Auffassung generell auch keine Veränderungen der
Schmerzempfindung beim älteren Menschen eintreten, dürfte dies auch für die Mundschleimhaut
zutreffen. Ob unter strukturellen und physiologischen Aspekten grundsätzliche Unterschiede
zwischen den Schleimhäuten voll- oder teilbezahnter und zahnloser älterer Menschen bestehen, ist
nicht untersucht. Im Einzelfall ist aber, was Dicke, Resilienz oder Belastbarkeit der Mukosa bei
Zahnlosen anbelangt, von starken individuellen und intraoralen regionalen Unterschieden
auszugehen.
Pathologische Mundschleimhautveränderungen beim älteren Patienten sind für die Praxis von
großer Bedeutung. Das Risiko für das Auftreten von Präneoplasien (Leukoplakien, Erythroplakien),
Plattenepithel-Karzinomen und generalisierten Erkrankungen (Lichen planus, Pemphigoide,
Stomatitiden u.a.) steigt mit zunehmendem Alter.
Zunge und Geschmack. Strukturelle Altersveränderungen der Zunge sind systematisch nicht
untersucht. Oft werden aber eine verstärkte Faltenbildung der dorsalen Zungenschleimhaut bei
gleichzeitiger Verdünnung (Atrophie) des Epithels sowie verschiedene Veränderungen innerhalb des
Zungenkörpers (z.B. Fibrosierung, Vermehrung von Fettgewebe) beschrieben. Sublinguale
Venenerweiterungen und Varizen treten bei älteren Menschen häufiger auf. Vergrößerungen
(Makroglossien) können die Folge einer verstärkten funktionellen Beanspruchung des
Zungenkörpers z.B. bei Zahnlosen sein, die die Zunge in größerem Maße als Werkzeug der
Nahrungszerkleinerung einsetzen. Die insgesamt nur geringen Altersveränderungen sollen mit der
sehr guten Blutversorgung dieses Organs zusammenhängen. Eine Verminderung der Zahl der
Zungenpapillen und der Anzahl der Geschmacksknospen mit zunehmendem Alter ist dagegen
nachgewiesen. Neuere physiologische Untersuchungen zeigten, dass generell aber nicht von einer
Einschränkung des Schmeckvermögens bei gesunden älteren Menschen ausgegangen werden kann.
Allenfalls sind leicht erhöhte Reizschwellen für die verschiedenen Geschmacksqualitäten
nachgewiesen, hinter denen funktionelle Veränderungen an Rezeptoren vermutet werden. Hierbei
sind keine signifikanten Unterschiede zwischen den einzelnen Qualitäten auffällig, so dass frühere
Vorstellungen, z.B. von einer Präferenz für Süßes bei älteren Menschen, revidiert werden müssen.
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Tatsächlich kommt es im Alter aber zu Einbußen des Riechvermögens, was sich aufgrund der
unscharfen Trennung zwischen Geschmacks- und Riechempfindung subjektiv auf das Schmecken
auswirken kann. Objektivierbare Geschmacksstörungen bei Älteren sind demnach in den meisten
Fällen als Symptom, z.B. einer Medikamentennebenwirkung oder einer neurologischen Erkrankung
anzusehen. Störungen der Geschmacks- und/oder Riechempfindung können beim älteren Menschen
zu einer mangelnden Nahrungsaufnahme führen und eine Verschlechterung des
Ernährungszustandes zur Folge haben.
Speicheldrüsen und
-sekretion. In der
Pathologie ist schon lange
bekannt, dass die großen
Mundspeicheldrüsen, auch
bei älteren Menschen, die
an keinerlei
Speicheldrüsenkrankheiten
oder oralen Erkrankungen
litten, bei histologischer
Untersuchung oft
erhebliche pathologische
Veränderungen aufweisen
(Abb. 6). Diesen auffälligen
histopathologischen
Veränderungen stehen nur
geringfügige physiologische
Veränderungen der
Speichelproduktion des
älteren Menschen
gegenüber. Während früher von Funktionseinbußen der Mundspeicheldrüsen ausgegangen wurde,
zeigten jüngere Untersuchungen an größeren Kollektiven gesunder älterer Menschen, dass die
physiologischen Parameter der Speichelsekretion im Vergleich zu jüngeren Menschen kaum oder
gar nicht verändert sind. Die Menge und Zusammensetzung des Speichels bleiben nahezu
unverändert, die Speichelflussraten zeigen unstimuliert und stimuliert nur einen geringen Abfall.
Eventuell kann auch der Anteil muköser Komponenten etwas vermehrt sein. Aufgrund dieser neuen
physiologischen Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass Mundtrockenheit im Sinne einer
Xerostomie fast immer pathologisch bedingt ist. Die Ursachen sind vielfältig. In Frage kommen ein
allgemeiner Flüssigkeitsverlust (z.B. durch zu geringe Trinkmengen bei alten Menschen),
neurologische Erkrankungen, Bestrahlung oder Autoimmunerkrankungen (z.B. Sjögren-Syndrom).
Die häufigste Ursache stellt bei älteren Menschen jedoch eine Medikamenteneinnahme dar. Von
mehreren hundert pharmakologischen Stoffklassen ist Xerostomie als Nebenwirkung bekannt. Eine
genaue Medikamentenanamnese ist bei Patienten mit Xerostomie also immer notwendig.
Prof. Dr. med. Werner Götz
Oralbiologische
Grundlagenforschung
Poliklinik für Kieferorthopädie (Direktor: Prof. Dr. A. Jäger)
Zentrum für Zahn-, Mund- und
Kieferheilkunde der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Danksagung: Bilder bzw. Präparate wurden freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Prof. Dr. H. Stark, Universität Bonn,
Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Experimentelle Zahnheilkunde (Abb. 1); Dr. K. Kunert, Netphen (Zähne der Abb. 3 bis
5); Dr. H. Renz, Charité Berlin, Abt. für Experimentelle Zahnheilkunde und Oralbiologie (Abb. 2); Prof. Dr. R. Laskawi,
Universität Göttingen, Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde (OP-Präparat der Abb. 6)
Literaturverzeichnis beim
Informationszentrum
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Zahngesundheit
Baden-Württemberg
Tel: 0711/222966-14
Fax: 0711/222966-21
E-Mail: [email protected]
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