Das diabetische Kind

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Medizinische Universitäts-Kinderklinik
Prof. Dr. med. Primus E. Mullis
Abteilungsleiter Pädiatrische Endokrinologie /
Diabetologie & Stoffwechsel
CH 3010 Bern
Das diabetische Kind
Informationen zur Instruktion von Eltern und
Adoleszenten mit Diabetes mellitus Typ 1
Index
1. Einleitung
2. normaler Stoffwechsel
3. Was ist Diabetes; Unterschiede Typ 1 und Typ 2 Diabetes
4. Die Nierenschwelle
5. Behandlung des Diabetes
6. Die 2- resp. 3- Spritzen-Therapie
−
A. Die 2-Tage-Regel
−
B. Die Sofortregel
−
C. Der Spätimbiss
−
D. Der Spritz- Essabstand
−
E. Welches Insulin ist für welchen Zucker verantwortlich?
7. Kontrollen der BZ-Einstellung
−
A. BZ-Messungen
−
B. Urinkontrollen
−
C. HbA1c
8. Diabetes-Einstellung und Spätkomplikationen
9. Notfallsituationen
−
A. Hypoglykämie
−
B. Hyperglykämie
10. Besondere Situationen
−
A. Krankheiten, Unfälle
−
B. Lipodystrophien
−
C. Was tun, wenn das Insulin verwechselt wurde
−
D. Übernachtung bei Freunden
−
E. Monatsblutung
−
F. Psychische Einflüsse
11. Sport
12. Alternative Behandlungsmöglichkeiten und Medikamente
13. Life Stile Fragen
14. Fremdwörter
15. Wichtigste Regeln in der Übersicht
1. Einleitung
1
Ihr Kind ist an einer Zuckerkrankheit, genannt Diabetes mellitus Typ 1 erkrankt.
Zu aller erst möchten wir die ersten Bedenken/Sorgen/Fragen zu lösen
versuchen:
1. Niemand ist schuld, dass der Diabetes aufgetreten ist! Das Auftreten eines
Typ 1 Diabetes hängt nicht mit der Ernährung zusammen (wie viel Zucker der
Patient zu sich genommen hat) und ist nicht ansteckend.
2. Ein Typ 1 Diabetes wird nicht direkt vererbt.
3. Diabetiker haben grundsätzlich eine normale Lebenserwartung, können jede
erdenkliche Sportart wählen und fast jeden Beruf erlernen.
Unser Ziel ist es, Sie und Ihr Kind auf dem Weg zu begleiten und Ihnen die
wichtigsten Informationen zu geben. Ihr Kind wird lernen, die Verantwortung für die
BZ-Einstellung zu übernehmen und selbstständig zu handeln. Ein Kind mit Diabetes
sollte wie jedes andere Kind behandelt werden. Ihr Kind wird nun für 2 bis 3 Wochen
hospitalisiert werden. Während dieser Zeit werden Sie mit der Krankheit vertraut und
werden lernen, die Therapie eigenständig und kompetent durchzuführen.
Später werden in 2 bis 3-monatlichen Abständen ambulante Kontrollen stattfinden.
Dabei wird eine ärztliche Untersuchung und Blutentnahme gemacht und es besteht
die Möglichkeit, bei Bedarf ein Gespräch mit der Ernährungsberaterin oder mit
unserem Sozialdienst zu organisieren. Falls Sie darüber hinaus noch zusätzliche
Fragen haben kann das Diabetes-Team jederzeit kontaktiert werden. Die
entsprechenden Telefonnummern und E-Mail Adressen finden Sie auf der ersten
Seite des Diabetes-Tagebuches.
2. Normaler Stoffwechsel
Vergleichbar mit einem Motor, zu dessen Betrieb Benzin (Brennstoff) nötig ist,
müssen dem menschlichen Körper Energiestoffe zur Erfüllung seiner täglichen
Aufgaben zugeführt werden. Die Energiezufuhr in Form von Nahrung und
Energieverwertung durch den Körper gehören zum menschlichen Stoffwechsel, der
durch ein fein ausgewogenes System geregelt wird.
Die Nahrung setzt sich hauptsächlich zusammen aus:
−
−
−
Kohlenhydraten (Zucker, Traubenzucker, Mehl, Kartoffeln, Brot, Teigwaren,
Früchte, Gemüse, Süssigkeiten, unverdauliche Ballaststoffe usw.)
Eiweissen (Fleisch, Fisch, Eiweiss, Milch, Käse usw.)
Fetten (Butter, Speisefett, Oel, Margarine, Käse usw.
Bei ausgeglichener Ernährung werden die Kohlenhydrate vorwiegend zur
Gewinnung von Energie, die Eiweisse zum Körperaufbau (z. B. Muskelbildung) und
die Fette als Reservestoffe (z. B. Fettpolster) verwendet.
Die mit der Nahrung zugeführten Kohlenhydrate (einfache Zucker oder komplizierte
Zuckerverbindungen wie z. B. Stärke) werden im Darm durch den Verdauungsprozess gespalten und ins Blut aufgenommen (Bild 1). Via Blutbahn gelangen diese
Zuckerbausteine (Glukosemoleküle) in die Körperzellen. Der Eintritt von Zucker
(Glukose) in die Muskel- und Fettzellen ist aber vorwiegend mittels Insulin möglich,
das gleichsam die Rolle des Schlüssels für den Eintritt ins Zellinnere einnimmt.
2
Bild 1
Bild 2
Die Bauchspeicheldrüse (Pankreas) ist eine Verdauungs- und eine Hormondrüse.
Sie produziert einerseits Pankreassaft, der über einen Gang direkt in den Darm fliesst
und dort Nahrungsmittel verdaut. Auf der anderen Seite werden vom Pankreas auch
verschiedene Hormone direkt ins Blut abgegeben (Bild 3)
Bild 3: Insulin aus den Inselzellen wird direkt ins Blut abgegeben, die übrigen
Verdauungssäfte von Galle und Pankreas gehen in den Darm.
Die zwei wichtigsten Hormone, welche im Pankreas gebildet werden heissen Insulin
und Glukagon. Auf den Blutzuckerspiegel haben die beiden genau gegensätzliche
Wirkungen, sie sind also Gegenspieler. Insulin senkt den Blutzuckerspiegel,
Glukagon lässt den Blutzuckerspiel ansteigen.
Das in der Bauchspeicheldrüse hergestellte Insulin reguliert den Glukosegehalt im
Blut. Die Insulinausschüttung aus der Bauchspeicheldrüse ist genau gesteuert. Bei
steigendem Blutzucker (z. B. nach Nahrungsaufnahme) wird mehr Insulin
ausgeschüttet, bei sinkendem Blutzucker (z. B. bei Fasten) weniger. Diese
Wechselwirkung zwischen Blutzuckerspiegel (BZ) und Insulinausschüttung ist so gut
eingespielt, dass der Blutzuckerspiegel beim gesunden Menschen nur kleinen
Schwankungen unterliegt.
3
Bild 4a: BZ- und Insulinprofil beim Gesunden: Der BZ bewegt sich in engen Grenzen,
steigt während den Mahlzeiten leicht an. Sofort wird von den Inselzellen Insulin ins
Blut abgegeben, welches bewirkt, dass der Zucker vom Blut in die Zellen gelangen
kann und dort zu Energie verarbeitet wird.
4
Bild 4b: Zu Beginn des Diabetes mellitus wird zwar noch etwas Insulin produziert und
freigesetzt, es reicht jedoch nicht aus, um den erhöhten Bedarf nach den Mahlzeiten
abzudecken, was zu erhöhten BZ-Werten führt.
Bei Mangel an Zucker (z. B. nach Fasten oder Erbrechen) kann in der Leber in Form
von Glykogen gespeicherte Glukose freigesetzt werden (Glykogenolyse) (Bild 5) und
aus dem Baustein des Eiweisses (Aminosäuren) Zucker hergestellt werden
(Glukoneogenese).
Bild 5: Die Kohlenhydrate
KH aus der Nahrung
werden im Darm als
„Einfachzucker“ (Glukose)
aufgenommen und in der
Leber und im Muskel als
„Speicherzucker“
(Glykogen) eingelagert. Für
den Transport in diese
Organe ist Insulin nötig. Im
Gehirn kann Glukose nicht
gespeichert werden, für die
Aufnahme in die Hirnzellen
ist aber kein Insulin nötig.
5
Der Körper kann beim Fasten auch direkt aus der Verbrennung von Fetten Energie
gewinnen. Die vermehrt freigesetzten Fettsäuren und Ketonkörper dienen der
Skelettmuskulatur und in geringem Umfang auch dem Zentralnervensystem als
Energiequelle. Bei der Verbrennung von Fett entsteht Aceton. Auch beim gesunden
Kind kann Aceton entstehen, wenn es fastet oder erbricht (Bilder 6-8)
Bild 8: In dieser Situation ist zwar
genügend Insulin vorhanden, die Türen
sind weit geöffnet. Es besteht jedoch ein
Missverhältnis, da zu wenig Glukose im
Blut ist (Hypoglykämie, z. B. beim
Fasten). Die Zelle kann trotz geöffneter
Türen nur wenig Energie gewinnen und
braucht deswegen als Ersatzbrennstoff
Fett. Dabei entsteht Säure, welche als
Aceton ausgeschieden wird. Im Urin
findet sich keine Glukose, aber der
Acetonnachweis kann positiv sein.
Bild 6: Bei Insulinmangel kann die Glukose
nicht in die Zellen eintreten, die Türen sind
verschlossen. Dies ist der Fall, wenn der
Diabetes neu entdeckt wird oder wenn kein
Insulin mehr gespritzt wird. Die
Energiegewinnung der Zelle erfolgt vor
allem aus der Fettverbrennung. Dabei wird
viel Säure frei, welche als Aceton
ausgeschieden wird. Der Blutzucker ist
hoch, trotzdem ist die Zelle am
„verhungern“, da kein Zucker in die Zelle
gelangen kann. Ab einem Blutzucker von
ca. 10 mmol/l ist die Nierenschwelle
überschritten und Zucker wird im Urin
ausgeschieden; auch Aceton ist im Urin
nachweisbar.
6
Bild 7: Dies ist die Situation bei einer
gesunden Person, die selber genügend
Insulin produzieren kann oder bei einem
Diabetiker, der ein ausgewogenes
Verhältnis zwischen dem verabreichten
Insulin und der eingenommenen
Zuckermenge hat. Insulin ermöglicht den
Eintritt von Glukose aus dem Blut in die
Zelle, wo dieses zur Energiegewinnung
verbrannt wird. Insulin wirkt wie ein
Schlüssel, der die Türe zur Zelle öffnet und
die Glukose hereinlässt. Die Zelle braucht
zur Energiegewinnung nicht ihre
Fettreserven zu gebrauchen, kein Aceton
wird produziert. Im Urin finden sich weder
Zucker noch Aceton.
Fragen
1. Wo wird das Insulin produziert? Wann wird es ins Blut ausgeschüttet?
2. Welches ist die Funktion des Insulins?
3. In welchen Nahrungsmitteln finden sich Kohlenhydratwerte?
4. Welche Stoffe werden für die Energiegewinnung verwendet?
5. Welches ist die Wirkung des Glukagons?
3. Was ist Diabetes; Unterschiede Typ 1 und Typ 2 Diabetes
Wir unterscheiden zwischen zwei grossen Gruppen, 1.) dem primär Insulinabhängigen Diabetes des Kindes und Jugendlichen (Diabetes mellitus Typ 1,
Jugenddiabetes) und 2.) dem primär nicht Insulin-abhängigen Diabetes des älteren,
meist übergewichtigen Patienten (Diabetes mellitus Typ 2, Altersdiabetes), welcher
im Gegensatz zum Typ 1 Diabetes eine starke Vererblichkeit aufweist.
Der Typ 2 Diabetes kommt heute immer häufiger auch schon beim Kind/Jugendlichen
vor. Die Ernährung und die entsprechende genetische Veranlagung dürften da eine
wesentliche Rolle spielen. Als Sonderform kommen nicht selten monogenetische
Formen des MODY (maturity onset diabetes of the young) vor. Hier wird eine klare
genetische Vererbung deutlich.
Beim Diabetes des Kindes (Typ 1 Diabetes) wird eine „Neigung zur Entwicklung der
Krankheit“ (Prädisposition) vererbt.
7
Insulin abhängig
Alter bei Beginn
Behandlung mit Tabletten
Körpergewicht
Einfluss der Vererbung
Inselzellen/Insulin
Typ 1 Diabetes
(Jugenddiabetes)
Typ 2 Diabetes
(Altersdiabetes)
ja, von Anfang an
Kinder/Jugendl./junge Erw.
nicht möglich
normal
gering (Prädisposition)
Zerstörung
im Verlauf möglich
übergewichtige Erw.
möglich
häufig Übergewicht
relevant
Insulinresistenz,
Schaden sekundär
Umwelteinflüsse (Infektionen, Noxen, psychische Stressoren etc.) müssen für das
Auslösen der Diabetes-Entwicklung bei genetisch prädisponierten Personen
verantwortlich sein. Es wird angenommen, dass zwischen der noch unbekannten
ursprünglichen Ursache und dem dadurch ausgelösten Ausbruch des Diabetes Typ 1
eine jahrelange Zeitspanne (Latenz) liegen kann. Eine langsame Zerstörung der
Inselzellen, zu der genetische und Umweltfaktoren gleichermassen beitragen, stellt
den möglichen Entstehungsmechanismus dar. Die Zerstörung der Inselzellen scheint
dabei auf immunologischen Reaktionen zu beruhen. Autoimmunität ist für die
augenscheinliche Aufhebung der natürlichen immunologischen Toleranz verantwortlich (normalerweise greift das Immunsystem die körpereigenen Zellen nicht an).
So kommt es zu einer Antikörperbildung gegen die eigenen Insulin produzierenden
Zellen des Pankreas sowie gegen das eigene Insulin.
Wenn kein Insulin mehr produziert wird, hat dies zur Folge, dass der Zucker nicht
mehr vom Blut in die Zellen gelangt (der Schlüssel zum Eintritt in die Zelle fehlt) und
damit nicht mehr verbrannt werden kann. Den Kindern fehlt die notwendige Energie,
was sich in Müdigkeit und Antriebslosigkeit ausdrückt. Die Therapie besteht in der
Zufuhr von Insulin. Dieses kann aktuell nur als „Spritze“ verabreicht werden.
Inhalative Verabreichungsformen sind in wissenschaftlicher Erprobung. Medikamente
sind in dieser Situation unwirksam, da Insulin ein Eiweiss ist, das von der
Magensäure sofort zerstört werden würde. Ein Typ 1 Diabetiker ist auf die
lebenslange Verabreichung von Insulin angewiesen.
Der Altersdiabetes ist eine andere Krankheit. Es besteht ein „relativer“ Insulinmangel
(Insulinresistenz) und der Zucker kann aus diesem Grund nicht richtig verwendet
werden. Da der Zucker nicht mehr in die Zelle eintreten kann, steigt er im Blut an
(Hyperglykämie). Da diese Patienten oft übergewichtig sind, muss eine
kalorienreduzierte Diät eingehalten werden um das Übergewicht zu vermindern. Dies
führt meistens zu einer Abnahme der Insulinresistenz und die Zellen können den
Zucker vorerst wieder aufnehmen. Falls dies nicht ausreicht, müssen Personen mit
Diabetes mellitus Typ 2 Medikamente einnehmen (orale Antidiabetica). Erst nach
einer längeren Zeit mit Hyperglykämien werden auch die Inselzellen zerstört und eine
Insulintherapie wird notwendig.
8
4. Die Nierenschwelle
Über einer gewissen Höhe des Blutzuckerspiegels (etwa bei 10 mmol/l) wird die
sogenannte Nierenschwelle überschritten und die Niere scheidet mit dem Urin Zucker
(Glukose) aus (Bilder 9 und 10). Da dieser Zucker verdünnt werden muss, entzieht
dieser dem Körper Wasser. Der Patient muss häufig Wasser lösen und entsprechend
wird er sehr durstig. Dies sind die ersten Zeichen einer Überzuckerung.
Bild 9: Darstellung der Nieren und ableitenden Harnwege
Bild 10: Damm hält das Wasser zurück, was zu viel ist überläuft.
9
Stark zuckerhaltiger Urin kann von der Niere nicht mehr konzentriert werden, viel
Wasser und Salze gehen verloren. Das Kind muss häufiger Wasser lösen und hat
deswegen starken Durst, bekommt trockene Schleimhäute und beginnt vielleicht
wieder ins Bett zu nässen. Das Kind verliert so mehr an Flüssigkeit, als es gleichzeitig
aufnehmen kann und verliert zusätzlich an Gewicht (Dehydratation = Austrocknung).
Bild 11
Wenn ein Insulinmangel besteht und somit der Zucker nicht mehr verwertet wird,
kann der Körper für eine gewisse Zeit als Ersatz zur Energiegewinnung Fette
verbrennen. Dies führt zu einer Gewichtsabnahme und es werden Abbaustoffe
gebildet, die zu einer Ansäuerung (Ketoazidose) führen. Der Körper scheidet diese
Stoffe als Aceton im Urin und in der Ausatmungsluft aus. Durch eine tiefe und
ausgiebige Atmung (azidotische Atmung) wird die Säurenausscheidung gefördert.
Wenn im Urin Aceton gefunden wird, bedeutet dies, dass Fette verbrannt wurden
(hungernde Zellen findet man bei Unterzuckerung und bei einem Insulinmangel, wenn
kein Zucker in die Zelle gelangen kann).
Bild 12
Wird die Krankheit nicht früh genug erkannt und behandelt, so steigt der Blutzucker
weiter an. Der Körper verliert zunehmend an Flüssigkeit, die Ansäuerung nimmt zu
und der Kranke wird schliesslich bewusstlos. Diesen Zustand nennen wir schwere
Ketoazidose oder diabetische Koma.
10
Fragen:
1. Weshalb kann beim Diabetes der Zucker nicht mehr in die Zelle gelangen?
2. Was sagt der Nachweis von Zucker im Urin aus?
3. Weshalb nehmen die Kinder mit unbehandeltem Diabetes an Gewicht ab
(2 Gründe)?
4. Was sagt der Nachweis von Aceton im Urin aus? Wann kommt dies vor
(2 Gründe)?
5. Was ist ein diabetisches Koma (Ketoazidose)?
6. Wie atmet ein Kind mit einer gefährlichen Ketoazidose?
5. Behandlung des Diabetes
Insulin
1921 entdeckten Banting und Best das Insulin, womit der Weg für die
Behandlung des diabetischen Kindes offen stand. Seither können an Diabetes
erkrankte Kinder unter richtiger Insulindosierung, guter Kontrolle und Disziplin ein
weitgehend normales Leben führen. Allerdings muss auch heute noch das
Insulin je nach Behandlungsschema mehrmals am Tag gespritzt werden.
Seine Eiweissstruktur (Protein) würde nach oraler Einnahme im Magen
zerstört werden. Die Erfahrung zeigt, dass Kinder die Insulinspritzen
meistens gut ertragen und sich im allgemeinen schnell daran gewöhnen.
Während beim Altersdiabetes unter Umständen mit Diät, Gewichtsabnahme
und Tabletten eine recht gute Blutzuckereinstellung erreicht werden kann,
ist das diabetische Kind auf Insulinspritzen angewiesen. Die Insulin
produzierenden Zellen sind zerstört, Tabletten nützen nichts.
Ernährung
Eine gleichmässige, den Bedürfnissen des Kindes angepasste Ernährung ist
eine Voraussetzung für eine gute Kontrolle. Dabei handelt es
sich um eine gesunde Ernährung, die ohne weiteres von der ganzen
Familie befolgt werden kann. Wichtig ist, dass die Nahrung über den ganzen
Tag verteilt wird, damit einerseits keine hohen Blutzuckerspitzen
entstehen, andererseits bei langer Esspause (als Folge der andauernden
Wirkung des gespritzten Insulins) der Blutzucker nicht zu tief absinkt
(Hypoglykämie). Unter einer Diabetesernährung versteht man nicht, dass gewisse
Nahrungsmittel nicht mehr genossen werden können (z.B. Schokolade, Eis, Desserts
etc.). Diese Nahrungsmittel müssen jedoch eingeplant werden. Gleich zu Beginn des
Diabetes wird mit einer ausgewogenen quantitativen Ernährung, d.h. Menge und
Verteilung werden den Bedürfnissen entsprechend von der Ernährungsberaterin
festgelegt, begonnen, die mit der Zeit fast zu einer Selbstverständlichkeit wird. Falls
im Laufe der Zeit das Kind Hunger leidet und mehr Kalorien braucht, kann der
Ernährungsplan jederzeit mit Hilfe der Ernährungsberaterin angepasst werden.
Einzelheiten zur Ernährung sind aus der Anleitung „Diabetesdiät für Kinder“
ersichtlich.
11
Bild 13
Sport
Regelmässige körperliche Aktivität hilft erfahrungsgemäss die Stoffwechsellage des
diabetischen Kindes im Gleichgewicht zu halten.
Diabetische Kinder sind voll leistungsfähig. Es besteht kein Unterschied zu
ihren Altersgenossen. Beim Turnen, Wandern, Baden, Ski fahren etc. und
auch in Sportvereinen können und sollen Diabetiker aktiv teilnehmen.
Allerdings sollten gefährliche Sportarten wie Klettern, Hochgebirgstouren
und Schwimmen anfänglich nur gemeinsam mit anderen Personen ausgeübt werden,
die über die Krankheit orientiert sind und wissen, was im Notfall zu tun ist.
Bild 14
5. Behandlung mit Insulin
Um eine gute BZ-Einstellung zu erreichen (BZ 4-6mmol/l vor den Mahlzeiten und
nachts, BZ 7-10mmol/l vor der Bettruhe) braucht der Körper ständig eine gewisse
Menge Insulin. Auch im Schlaf oder bei Inaktivität brauchen die Zellen Insulin, damit
sie den Zucker aufnehmen können. Wir versuchen mit unserer Therapie die normale
Funktion der Inselzellen zu imitieren. Dazu stehen uns verschieden lang wirkende
Insuline zur Verfügung.
Wir beginnen die Behandlung mit dem 2- resp. 3-Spritzen-Schema. Dazu wird 2oder 3 Mal täglich kurz und mittellang wirkendes Insulin, mit anderen Worten: NormalVerzögerungsinsulin, gespritzt.
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Vorteil dieser Methode: Nur 2 bis 3 Mal täglich Insulininjektionen, BZ-Messungen nur
4 bis 5 Mal täglich, einfachere Methode.
Nachteile dieser Methode: Fixe Mahlzeiten in Menge und Zeit, unphysiologische
Methode.
Später kann man auf die funktionelle Insulin-Therapie (FIT) wechseln. Dazu wird 2
Mal täglich ein lang wirkendes Insulin (z. B. Levemir®) und zu jeder Mahlzeit ein
ultrakurz wirkendes Insulin (z. B. Novorapid®) gespritzt.
Vorteile dieser Methode: Keine Zwischenmahlzeiten notwendig, bei Bedarf freie Wahl
der Essensmenge und Zeit, auch fasten möglich, bessere Einstellung möglich.
Nachteile dieser Methode: Häufiges Spritzen (2x lang wirkendes und zu jeder
Mahlzeit, auch zu den Zwischenmahlzeiten, kurz wirkendes Insulin), häufigere
Blutzuckerkontrollen (5 bis 8 Mal pro Tag), anspruchsvollere Methode.
Falls diese funktionelle Insulintherapie gut beherrscht wird und eine gute Disziplin bei
den Blutzuckermessungen besteht, kann auf eine Pumpentherapie umgestellt
werden. Dazu wird alle 2 bis 3 Tage ein Katheter unter die Haut gestochen. Über
diesen wird das Insulin kontinuierlich über einen Katheter appliziert (nur noch
ultrakurz wirkendes Insulin, kein lang wirkendes mehr).
Vorteile dieser Methode: Die Blutzuckereinstellung kann optimal erfolgen, ohne dass
ständig gespritzt werden muss.
Nachteile dieser Methode: Da nur ultrakurz wirkendes Insulin verabreicht wird,
besteht die Gefahr eine ketoazidotischen Entgleisung, falls die Insulinzufuhr
unterbrochen wird. Der Blutzucker muss mehrmals täglich gemessen werden.
Die Pumpe muss Tag und Nacht getragen werden, was von manchen Diabetikern als
störend empfunden werden kann.
13
Bild 15
Mit diesem Skript werden Sie lernen, dass 2- resp. 3 Spritzen-Schema zu
beherrschen. Auf das FIT resp. die Pumpentherapie möchten wir hier nicht näher
eingehen, da dazu jeweils eine neue Schulung von 5 Tagen notwendig ist und die
Unterlagen zu diesen Therapien separat abgegeben werden.
Bild 16: Aktuelle Insulintabelle der Firma Novo Nordisk (als Beispiel)
6. Die 2- resp. 3-Spritzen-Therapie
14
Die Insuline, die wir für diese Therapie benötigen heissen Actrapid® (rapid =
schnell) und Insulatard® (tard = langsam).
Actrapid hat einen Wirkungsbeginn nach 30 Minuten, das Maximum liegt bei 1 bis 3
Stunden und die Dauer der Wirkung bis 8 Stunden.
Insulatard beginnt nach 90 Minuten zu wirken, hat sein Maximum nach 4 bis 12
Stunden und kann bis 24 Stunden wirken.
Bei der 2- resp. 3-Spritzen-Therapie wird am Morgen und am Abends jeweils 1 Dosis
kurz wirkendes (Actrapid, Normalinsulin) und mittellang wirkendes (Insulatard,
Verzögerungsinsulin) Insulin verabreicht. Bei sehr kleinen Kindern, welche nach dem
Abendessen früh zu Bett gehen, braucht man das 2-Spritzen-Schema, bei älteren
Kindern das 3-Spritzen-Schema (Actrapid zum Abendessen, Insulatard wird 2-3h
später, d.h. vor der Spätmahlzeit gespritzt).
Die Blutzuckermessungen sollten 4 Mal pro Tag nüchtern vor den Mahlzeiten
erfolgen, einmal pro Monat nachts zwischen 02:00 und 03:00 Uhr (zusätzlich falls
abends die Insulindosis gesteigert wurde, oder falls tagsüber viel Sport betrieben
wurde) und bei Verdacht auf Hypoglykämie sofort.
Die Blutzuckerziele sind 4 bis 6 mmol/l vor den Mahlzeiten, 7 bis 10 mmol/l vor der
Spätmahlzeit und 4-10 mmol/l in der Nacht zw. 02:00-03:00 Uhr.
Als Unterzuckerung = Hypoglykämie bezeichnet man Blutzuckerwerte unter 3,2
mmol/l (< 4 mmol/l mit Hypozeichen), als Überzuckerung oder Hyperglykämie
bezeichnet man Blutzucker mehr als 10 mmol/l.
Bei jedem Blutzuckerwert ist zu überlegen:
1. Ist er im Normbereich? Falls ja, muss nichts Weiteres getan werden und am
nächsten Tag die gleiche Insulinmenge verabreicht werden.
2. Ist der Blutzucker zu hoch? Falls ja, folgt automatisch die Überlegung:
Weniger Sport gemacht als üblich? Mehr gegessen? Weniger Insulin oder
„kaputtes“ Insulin gespritzt? Krank oder erkältet? Psychische
Belastungssituation?
3. Ist der Blutzucker zu niedrig? Falls ja, folgt sofort die Überlegung: Mehr Sport
gemacht als vorgeplant? Weniger gegessen? Mehr Insulin verabreicht?
Falls kein Grund gefunden wurde, oder der Zustand voraussichtlich längere Zeit so
bleibt (z.B. Krankheit) wird das verantwortliche Insulin angepasst. Dazu sind folgende
Regeln notwendig:
6. A. Die 2-Tage-Regel
Mit dieser Regel wird die Insulindosis über längere Zeit den Bedürfnissen angepasst:
♣ Wenn der Blutzucker an zwei Tagen zur gleichen Zeit 10-15 mmol/l beträgt, wird
das verantwortliche Insulin um ½ - 2 E (je nach Alter des Kindes) am 3.Tag
erhöht.
♣ Wenn der Blutzucker an zwei Tagen zur gleichen Zeit unter 4 mmol/l liegt, kann
das verantwortliche Insulin versuchsweise entsprechend vermindert werden.
♣ Wenn der Blutzucker über 15 mmol/l liegt und im Urin kein Aceton nachgewiesen
werden kann, so sollte das verantwortliche Insulin bereits am nächsten Tag
erhöht werden (verkürzte Zweitageregel).
15
Morgen Mittag Abend Vor
Bemerkungen Insulin/Tabletten
Bettruhe
UZ/Ac 0%/neg.
BZ
4.5
5.3
13.2
7.8
6.2
12.5
1/3
3/6
1/3
7.5
UZ/Ac 0%/neg.
BZ
3/6
5.6
Beispiel 1: BZ abends an 2 Tagen zwischen 10-15 mmol/l
Fragen: - Welche Fragen stellt man?
- Welches Insulin ist verantwortlich?
- Was tun ? Sofort, oder erst am nächsten Tag?
(Insulatard am nächsten Tag erhöhen)
Morgen Mittag Abend Vor
Bemerkungen Insulin/Tabletten
Bettruhe
UZ/Ac 0%/neg.
BZ
4.5
16.7
5.3
7.8
6.2
6.7
1/3
?
1/3
7.5
UZ/Ac 0%/neg.
BZ
3/6
5.6
Beispiel 2: BZ mittags > 15 mmol/l
Fragen: - Welche Fragen stellt man sich?
- Welches Insulin ist verantwortlich?
- Was tun? Muss sofort etwas getan werden oder erst am nächsten Tag?
(Actrapid vom Morgen am 2.Tag schon erhöhen, falls kein Grund für die
Hyperglykämie gefunden wurde)
6. B. Die Sofortregel
Bei Blutzucker > 17 mmol/l und stark positivem Urinzucker sowie Aceton im Urin
besteht die Gefahr, dass der Diabetes entgleist, da ein Insulinmangel besteht und der
Blutzucker noch weiter ansteigen kann.
Deshalb sofort rasch wirkendes Insulin (Actrapid) nachspritzen nach der Formel:
Blutzucker minus 8 durch X.
X ist ein Faktor (bei Ihrem Kind aktuell..........) und bedeutet, dass eine Einheit
Actrapid im Blutzucker um X mmol/l senkt. Die Menge ist abhängig von der täglichen
Insulinmenge. Zum Beispiel bewirkt 1 Einheit Insulin bei einem 80kg schweren
Diabetiker mit 80 IE/d ein Blutzuckerabfall von ca. 1 mmol/l wohingegen 1 Einheit
Insulin bei einem kleinen Kind mit einem Insulinbedarf von 20 IE/d den Blutzucker um
ca. 3.5 mmol/l senken kann.
16
Bild 17: Korrekturfaktor
Um zu prüfen ob die Formel stimmt, sollte man nach 3h den Blutzucker kontrollieren.
Falls dieser gut ist, kann die Formel so belassen werden. Falls eine Hypoglykämie
auftritt sollte ein höherer Faktor verwendet werden (somit wird weniger Insulin
gespritzt), falls eine Überzuckerung bestehen bleibt, muss der Faktor bei der
nächsten Korrektur entsprechend niedriger gewählt werden (damit mehr Insulin
verabreicht wird). Abends sollte nur die Hälfte der errechneten Menge gespritzt
werden, da die Gefahr einer unerkannten Hypoglykämie während der Nacht besteht.
Liegt der Blutzucker nach Korrektur nach 3 bis 4 h immer noch über 17 mmol/l und ist
die Urinzuckerausscheidung immer noch positiv sowie Aceton im Urin vorhanden, so
wird erneut nach dem gleichen Prinzip nachgespritzt. Actrapid sollte jedoch nicht
häufiger als alle 3-4h nachgespritzt werden, da die max. Wirkung zuerst
abgewartet werden muss.
Morgen Mittag Abend
Vor
Bemerkungen Insulin/Tabletten
Bettruhe
UZ/Ac 0%/neg.
BZ
4.5
5.3
UZ/Ac 0%/neg.
BZ
7.8
5.8
23.6
1/3
3/6
?
7.5
5%/+++
6.2
3/6
5.6
Beispiel 3: BZ abends >17 mmol/l, Urin Glc. pos. und Aceton pos.
Fragen: - Welche Fragen stellt man ?
- Welches Insulin ist verantwortlich ?
- Was tun ? Sofort, oder erst am nächsten Tag ?
(Sofort mit schnellwirkendem Insulin nachspritzen, am nächsten Tag
Insulatard erhöhen)
17
Morgen Mittag
Abend
Vor
Bemerkungen Insulin/Tabletten
Bettruhe
3/6
UZ/Ac 0%/neg. 5%/+++
BZ
4.5
25.1
UZ/Ac 0%/neg.
BZ
7.8
5.8
23.6
1/3
7.5
5%/+++
6.2
?
3/6
1+?/3
5.6
Beispiel 4a: BZ mittags >17 mmol/l, Urin Glc. pos. und Aceton pos.
Beispiel 4b: BZ abends >17 mmol/l, Urin Glc. pos. und Aceton pos.
a) Nachspritzen nach der Formel (BZ-8)/x. (z.B.: x sei 3.5 → (25.1-8)/3.5= 5 IE
Actrapid)
b) Nachspritzen nach der Formel (BZ-8)/x. (z.B.: x sei 5 → (23.6-8)/5= 3 IE Actrapid.
Diese 3 IE werden zum Essensinsulin dazugerechnet: 3IE+1IE=4 IE) Ab ca. 18-19°°
nur die Hälfte der berechneten Nachspritz-Menge verabreichen! Auf- oder
Abrunden je nach Situation.
Natürlich soll auch hier am nächsten Tag das verantwortliche Insulin gesteigert
werden.
6. C. Der Spätmimbiss
Wenn der Blutzucker vor dem Zubettgehen weniger als 7 mmol/l beträgt, soll zum
normalen Spätimbiss ein zusätzlicher Brotwert (Vollkornbrot) gegeben werden, um
das Risiko einer nächtlichen Hypoglykämie zu verhindern.
6. D. Der Spritz-Essabstand
Der Zeitabstand Insulininjektion-Mahlzeit hängt vom Blutzucker ab:
Je höher der Blutzucker, desto länger soll der Spitz-Essabstand sein.
Blutzucker < 3,2 mmol/l:
Blutzucker 4-6 mmol/l:
Blutzucker >8 mmol/l:
zuerst essen, dann spritzen
spritzen und sofort essen
spritzen und 15 – 30 Min später essen
Merke: Das bedeutet, dass sofort nach dem Aufstehen am Morgen der Blutzucker
bestimmt wird.
6. E. Welches Insulin ist für welchen Zucker verantwortlich?
Morgenzucker: Insulatard vom Vorabend
Mittagszucker: Actrapid vom Morgen
Abendzucker: Insulatard vom Morgen
Spätzucker: Actrapid vom Abend
7. Kontrollen der Blutzucker-Einstellung
7. A. Blutzucker-Messungen
Für die Blutzucker-Messungen sollte man möglichst immer das gleiche Gerät
brauchen, die Messungenauigkeit beträgt 10 bis 15 % (bei Blutzuckerwerten 20
mmol/l kann 2 bis 3 mmol/l zuviel oder zuwenig angezeigt werden, bei
Blutzuckerwerten von 3 mmol/l sollte der Unterschied nicht mehr als 0,3 – 0,5 mmol/l
ausmachen). Falsch hohe Werte entstehen, wenn Zucker oder Alkohol am Finger
war. Falsch tiefe Werte gibt es bei zu kleinen Blutstropfen oder zu spät
aufgetragenem Bluttropfen oder falls Wasser/Speichel am Finger war.
18
BZ-Messungen:
- 4x/Tag vor jeder Mahlzeit
- Mindestens 1x/Monat nachts zw. 2-3 Uhr und falls abends
eine Erhöhung des Insulin erfolgte oder nach Sport
- Bei Verdacht auf Hypoglykämie sofort !
BZ-Ziele:
- Vor den Mahlzeiten 4-6 mmol/l
- Vor der Bettruhe/Spätmahlzeit 7-10 mmol/l
- Nachts um 02-03°° Uhr 4-10 mmol/l
Bild 18
7. B. Urinkontrollen
Die Urinkontrollen sollten möglichst 1x täglich morgens sowie bei Blutzuckerwerten
über 17 mmol/l bestimmt werden. Die Urinkontrollen zeigen, ob der Blutzucker seit
der letzten Blasenentleerung im Normbereich war.
Bild 19: Es finden sich 3 unterschiedliche Konstellationen:
1. War der Blutzucker seit der letzten Blasenentleerung im Normbereich, findet
sich weder Zucker noch Aceton im Urin.
2. War der Blutzucker seit der letzten Blasenentleerung > 10 mmol/l findet sich
Zucker im Urin und wahrscheinlich Keton als Zeichen eines Insulinmangels
mit „Verhungern“ der Zellen.
3. Bei Unterzuckerung während einer gewissen Zeit erscheint kein (oder nur eine
Spur) Zucker, jedoch Aceton im Urin (gegenregulatorisch). Sollte diese
Konstellation auftreten, empfiehlt es sich, in der nächsten Nacht zwischen 2
und 3 Uhr den Blutzucker zu bestimmen um die Unterzuckerung zu
verifizieren. Das Insulin (Insulatard) vom Abend sollte angepasst werden.
19
7. C. Glykiertes Hämoglobin (HbA1c)
Zucker bindet sich an einen Anteil des roten Blutfarbstoffes (Hämoglobin). Die
Kopplung von Glukose an das Hämoglobin erfolgt nicht enzymatisch, das heisst, es
ist nicht reversibel. Es handelt sich um eine nicht spezifische Reaktion, es entstehen
verschiedene Glykierungsprodukte. Das Gebilde aus Zucker und Hämoglobin
bezeichnet man als glykiertes Hämoglobin, kurz HbA1c. Wenn der Blutzucker längere
Zeit erhöht ist, steigt der HbA1c Gehalt an. Bei geringgradig erhöhtem mittleren
Blutzucker (gute Diabeteseinstellung) ist das HbA1c nur leicht erhöht, bei
durchschnittlich hohem Blutzucker (schlechte Diabeteseinstellung) ist das HbA1c
hoch. Die Bindung des Zuckers an das Hämoglobin kann nicht rückgängig gemacht
werden. Da die Blutkörperchen im Durchschnitt ca. 3 Monate überleben, gibt das
HbA1c Auskunft über die mittlere Blutzuckereinstellung der letzten 3 Monate, ist somit
gleichsam das „Gedächtnis des Blutzuckers“. Eine Bestimmung des HbA1c im Labor
etwa alle 2 bis 3 Monate gibt eine rückblickende Übersicht über die Qualität der
Diabeteseinstellung während der letzten Monate. Die Normwerte sind verschieden je
nach Methode. Anzustreben sind HbA1c Werte im Bereich zwischen der oberen Norm
und maximal 1 bis 2 % darüber.
Bild 20: Glykiertes Hämoglobin
(Glycohämoglobin)
8. Diabetes-Einstellung und Spätkomplikationen
Bei langzeitig zu hoch eingestelltem Blutzucker resp. zu hohem HbA1c (Gedächtnis
des Blutzuckers) können bei Diabetikern Schäden an grossen und kleinen
Blutgefässen auftreten. Dies betrifft vor allem die Gefässe der Augen, der Niere und
die Gefässe welche die Nerven z. B. in den Beinen/Füssen versorgen (Gefühlsstörung). Durch regelmässige Kontrollen beim Augenarzt oder durch spezielle
Urinkontrollen (1x pro Jahr 12-h-Urin) können solche Spätschäden frühzeitig erkannt
und behandelt werden. Bei gut eingestelltem Blutzucker sollten diese Schäden erst
sehr spät oder gar nicht auftreten. Wichtig ist nicht, ob einzelne Blutzuckerwerte im
Tagesverlauf erhöht sind, sondern dass die Langzeitkontrolle gut ist.
Fragen:
1. Wann ist der Diabetes befriedigend eingestellt ? Was sagt das HbA1c aus ?
2. Wie führt man einen Ketodiaburtest aus ? Wann ? Weshalb ?
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3. Wann soll eine Blutzuckerbestimmung durchgeführt werden ?
4. Welche BZ-Bestimmungen sind besonders wichtig ? Warum ?
5. Welche BZ-Werte möchte man erreichen ? Vor der Mahlzeit, in der Nacht, vor
der Spätmahlzeit ?
6. Welche Insuline sind für welche Blutzuckerwerte verantwortlich ?
7. Was bedeutet die 2-Tage-Regel ?
8. Was bedeutet die Sofortregel ?
9. Notfallsituationen
9. A. Unterzuckerung → Hypoglykämie → „Hypo“
Von einer Hypoglykämie spricht man bei Blutzuckerwerten < 3,5 mmol/l oder <4
mmol/l mit entsprechenden Hypozeichen.
Die Hypozeichen sind:
Blässe, Zittern, Knieschlottern, Schwitzen, Heisshunger, Müdigkeit, Verstimmung,
Sehstörungen, Leeregefühl, Schwindel, Unansprechbarkeit, und schlussendlich
hypoglykämisches Koma und ev. Krampfanfall.
Schon die leichten Zeichen müssen ernst genommen werden, da relativ schnell
schwere Hypoglykämien mit Bewusstlosigkeit auftreten können. Also nicht erst
abwarten bis die Schulstunde fertig oder eine interessante Tätigkeit beendet ist!
Ursachen können sein: Zu wenig gegessen, zu viel Sport, zu viel Insulin.
Was tun bei Hypoglykämie? Bei ersten Anzeichen unverzüglich
1. Blutzucker messen
2. Bei Blutzucker 3 bis 4 mmol/l: 1 Kohlenhydratwert schnelle
Kohlenhydrate zu sich nehmen (z. B. 10 g Traubenzucker oder 1 dl
Orangensaft).
3. Bei Blutzucker < 3 mmol/l: 2 Werte schnelle Kohlehydrate zu sich
nehmen (z. B. 20 g Traubenzucker oder 2 dl Organgensaft).
4. 10 Min. warten, dann erneut Blutzucker messen
5. Bei Blutzucker < 4 mmol/l, solange repetieren, bis der Blutzucker
normalisiert ist.
Bei Bewusstlosigkeit: Ruhe bewahren ! Nichts zu trinken geben !!!
1. Blutzucker messen
2. Traubenzucker zwischen Zähne und Wangen stecken
3. Glukagon aufziehen
4. Schmerzreiz applizieren. Falls der Patient erwacht, Traubenzucker zu
essen oder Orangensaft zu trinken geben. Falls der Patient nicht
erwacht, Glukagon spritzen (senkrecht in die Oberschenkelmuskulatur)
5. 10 Min. warten: falls erwacht: ernähren. Falls der Patient nach 10 Min.
nicht erwacht: Arzt oder Ambulanz rufen.
21
Bild 21
Glukagon bewirkt eine Ausschüttung der Glukosereserven aus der Leber und ist
völlig unschädlich. Es ist ein natürliches Hormon, das normalerweise in der
Bauchspeicheldrüse hergestellt wird. Man kann beim Spritzen von Glukagon keine
Fehler machen, da es subkutan die gleiche Wirkung zeigt wie im Muskel oder in die
Vene gespritzt. Das „GlucaGen Novo Nordisk-Hypo-Kit®“ (1 mg Glukagon pro 1 ml
Ampulle) sollte immer vorhanden sein und bei 4°C aufbewahrt werden. Auf Reisen,
Ausflügen, Bergtouren und in die Ferien immer mitnehmen, in Styropor-Packung vor
Hitze schützen. Glukagon sollte nur 1x gespritzt werden, nicht wiederholen, da eine
Dosis genügt. Sobald der Patient wach ist, sollte er schluckweise zu trinken
bekommen und Traubenzucker essen, später langwirksame Kohlenhydrate, um den
Leberspeicher wieder aufzufüllen.
Bild 22
Glukagon kann zu Übelkeit/Erbrechen und Kopfschmerzen führen. Falls der Patient
nichts zu sich nehmen kann, muss er ins Spital eingeliefert werden und eine
Glukoseinfusion erhalten. Nach einer schweren Hypoglykämie kann der Blutzuckerspiegel reaktiv ansteigen. Diese Hyperglykämie sollte nicht mit Nachspritzen korrigiert
werden.
8. Überzuckerung → Hyperglykämie
Von einer Hyperglykämie spricht man bei Blutzucker > 10 mmol/l.
Zucker gelangt bei weiter steigenden BZ-Werten in den Urin, was zu vermehrtem
Harnfluss, Bettnässen, Durst, trockenem Mund und roten Wangen führen kann.
Später werden Ketonkörper gebildet als Zeichen des Insulinmangels mit verhungern
der Zelle und Verbrauch von Fett als Ersatzenergiequelle. Dies führt zu
22
Acetongeruch, Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, tiefe Atmung, getrübtes
Bewusstsein und schlussendlich zur schweren Ketoazidose. Die Entgleisung gegen
oben geschieht relativ langsam. Ein Diabetiker bei welchem die Bauchspeicheldrüse
kein eigenes Insulin mehr produziert, kann bei fehlenden Insulininjektionen innerhalb
48 bis 72 h lebensbedrohlich erkranken.
Ursachen einer Hyperglykämie können sein: Zu viel gegessen, weniger Sport als
geplant, zu wenig Insulin gespritzt, Insulin nicht wirksam (lag in der Sonne oder war
gefroren), Krankheit etc.
Was tun bei Überzuckerung?
Blutzucker 10 bis 15 mmol/l: 2 Tage-Regel anwenden
Blutzucker 15 bis 17 mmol/l: Am nächsten Tag Dosis des verantwortlichen Insulins
erhöhen.
Blutzucker > 17 mmol/l: Immer sofort Urinaceton bestimmen! Bei Aceton ++ oder +++
besteht ein Insulinmangel, die Zelle ist am verhungern und es besteht die Gefahr,
dass der Blutzucker weiter ansteigt. Deshalb sofort mit schnell wirkendem Insulin
(Actrapid) korrigieren, nach der Korrekturformel: (Blutzucker – 8): X (am Abend die
Hälfte davon spritzen). Liegt der Blutzucker nach 3 bis 4 h immer noch über 17 mmol/l
und im Urin Aceton noch stets erhöht, soll erneut nach demselben Prinzip
nachgespritzt werden.
Wichtig: Nicht häufiger als alle 3 bis 4 h nachspritzen; die max. Wirkung des Insulins
muss zuerst abgewartet werden! Max. 10 E nachspritzen, bei Kleinkindern sehr
vorsichtig.
Bild 23: Zeichen der Hypo- sowie der Hyperglykämie in der Übersicht.
10. Besondere Situationen:
10. A. Krankheiten, Unfälle
Bei Krankheiten und bei Unfällen steigt der Insulinbedarf meistens an. Der Blutzucker
und Urinzucker sollen deshalb in solchen Zeiten häufig kontrolliert werden. Bei Bedarf
(BZ > 17 mmol/l) soll nach der Sofortregel nachgespritzt werden.
Regelmässige Urinkontrollen, v. a. bei hohen Blutzuckerwerten sind notwendig.
Achtung: Auch bei Appetitmangel, Übelkeit oder Erbrechen braucht der Körper
Insulin. Verweigert das kranke Kind jede Nahrung, sollen nur etwas 2/3 der
Insulindosis gespritzt werden. Das Kind muss in der Folge gut überwacht (Blutzucker,
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Urinzucker, Urinaceton) und vorsichtig ernährt werden. Bei Hypoglykämieanzeichen
soll Traubenzuckerlösung, Orangensaft oder eiskaltes, zuckerhaltiges Coca Cola
verabreicht werden.
Merke: Übelkeit und Erbrechen können die ersten Zeichen bei Hypoglykämie
und bei Hyperglykämie mit beginnender Entgleisung sein.
Eine Urinkontrolle (Ketodiabur-Test) hilft zu unterscheiden (Aceton?)
Ärztliche Kontrolle ist notwendig bei Unsicherheiten, persistierendem Erbrechen,
Unmöglichkeit Blutzucker > 4 mmol/l oder < 15 mmol/l zu erreichen oder bei
persistierenden Ketokörpern, Verschlechterung des Zustandes, Erschöpfung oder
sehr jungen Kindern.
10.B. Lipodystrophien
Als Lipodystrophien bezeichnet man Schwellungen des Fettgewebes am Ort der
Injektionsstellen. Diese treten auf, wenn man während einer längeren Zeit immer an
demselben Ort spritzt. Insulin bewirkt im subkutanen Fettgewebe eine vermehrte
Einlagerung von Fett in den Zellen, welche daraufhin grösser werden. Man sieht eine
Vorwölbung und tastet eine Verhärtung. Insulin, welches in eine Lipodystrophie
gespritzt wird, verändert seine Wirkung, kann z.B. langsamer oder unregelmässig ins
Blut abgegeben werden. Dies führt zu instabilen Blutzuckerwerten.
Falls eine Lipodystrophie auftritt, muss dieses Areal so lange gemieden werden, bis
sie sich wieder vollständig zurückgebildet hat. Dies dauert in der Regel 2-3 Wochen.
Bild 24
10. C. Was tun, wenn das Insulin verwechselt wurde?
Verwechslungen sind gefährlich, wenn man vor dem zu Bettgehen kurzwirksames
Insulin statt langwirksames spritzt und dies nicht bemerkt. Es kann zu schweren
Hypoglykämien führen, weshalb unbedingt darauf geachtet werden muss, dass keine
Verwechslungen geschehen (Konzentration beim Spritzen unbedingt notwendig).
Sollte dennoch eine Verwechslung vorkommen: Keine Panik! Überlegen wann und
wie lange Hypoglykämien zu erwarten sind, häufige BZ-Kontrollen durchführen, evtl.
1 bis 2 Mahlzeiten nachts zusätzlich verabreichen und den Patienten nicht alleine
lassen.
Falls tagsüber das Insulin verwechselt wurde, ist es zwar sehr unangenehm und mit
einem Mehraufwand verbunden, es passiert jedoch meist nicht viel. Regelmässige
Blutzuckerkontrollen sind sehr wichtig. Man soll sich überlegen von welchem Insulin
zu viel gegeben wurde und entsprechend wann die Hypoglykämie auftritt, resp. von
welchen Insulin zu wenig verabreicht wurde und wann die entsprechenden
Hyperglykämien zu erwarten sind. Somit können Probleme vorausgesehen und
entsprechend angegangen werden. Zur Vermeidung dieser Probleme, empfehlen wir
24
2 verschiedenfarbene Pens zu gebrauchen und sich während der Injektionen gut zu
konzentrieren. Bei Fragen oder Unsicherheiten kann jederzeit beim Diabetes-Team
nachgefragt werden. Die Telefonnummer befindet sich im Blutzucker-Tagebuch auf
der ersten Seite.
10. D. Übernachtung bei Freunden
Wichtig ist, dass die Familie der Freunde über den Diabetes informiert ist und weiss
wie sie Hypoglykämien behandeln sollen und zu welcher Zeit und in welcher
Dosierung die Insulininjektionen erfolgen sollten. Das Kind sollte Insulin,
Blutzuckerbüchli, Traubenzucker und das Blutzuckergerät mitbringen, ebenso die
Telefonnummer der Eltern, wo diese ständig erreichbar sind. So kann auch ein
Diabetiker stresslos bei seinen Freunden übernachten.
10. E. Monatsblutung
Mit Beginn oder schon kurz vor Beginn jeder Monatsblutung steigt bei den meisten
Mädchen der Insulinbedarf. Hat das Mädchen einmal herausgefunden, wie sich sein
Insulinbedarf in dieser Zeit ändert, soll es bei der nächsten Menstruation gleich zu
Beginn die Insulindosis entsprechend steigern. Nach einigen Tagen, meist am 3. oder
4. Tag, kann die Insulindosis wieder reduziert werden, da sonst Hypoglykämien
auftreten können.
10. F. Psychische Einflüsse
Aufregungen, Angst, Trauer, chronische Spannungen und Stress können den
Blutzucker zum Ansteigen bringen. Psychische Einflüsse müssen deshalb ebenso
berücksichtigt werden wie alle andern den Blutzucker beeinflussenden Faktoren.
11. Sport / körperliche Anstrengungen
Körperliche Betätigung vermindert den Insulinbedarf stark. An Ausflugstagen oder vor
anderen langdauernden körperlichen Anstrengungen (Sporttag, Fussballmatch,
Schwimmen, Skitag, Wandertag, etc.) soll deshalb weniger Insulin gespritzt werden
(oft ist nur ca. 2/3 des normalen Insulinbedarfs notwendig). Auch kann in der
folgenden Nacht eine Unterzuckerung auftreten, weshalb die Insulindosis eventuell
reduziert werden sollte und eine nächtliche Blutzuckerbestimmung notwendig ist.
Bei kurzdauerndem Sport muss das Insulin nicht reduziert werden, sondern soll pro
Stunde zusätzlicher körperlicher Leistung 1 bis 2 Kohlenhydratwerte = 10 bis 20 g
Kohlenhydrate mehr gegessen werden. Bei länger dauernden körperlichen
Anstrengungen sollten in etwa stündlichen Abständen 1 bis 2 Kohlenhydratwerte
eingenommen werden, falls das entsprechende Insulin nicht entsprechend reduziert
werden konnte.
Zu Beginn der sportlichen Leistung empfiehlt es sich den Blutzucker zu messen und
danach entsprechend zu handeln:
- Bei BZ vor Sport >17 mmol/l und Aceton im Urin: SPORTVERBOT !
- Bei BZ vor Sport 5-17 mmol/l: Sport ohne zu essen
- Bei BZ vor Sport < 5 mmol/l: Zuerst 5-10g langsame KH essen
Achtung: Zeichen von Hypoglykämie und Müdigkeit sind sehr ähnlich. Am Abend
eines sehr anstrengenden Tages soll unbedingt der Blutzucker bestimmt werden.
Zudem sollen beim Spätimbiss ein bis zwei Kohlenhydratwerte zusätzlich gegeben
werden.
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Sportverbot: Bei hohem Blutzucker (> 17 mmol/l) und Aceton im Urin, liegt ein
Insulinmangel vor. In dieser Situation führt körperliche Betätigung nicht zum
Absinken, sondern zum Ansteigen des Blutzuckers. Zunächst muss unbedingt Insulin
nachgespritzt werden, um den hohen Blutzucker wieder abzusenken. Die Wirkung
des Insulins muss abgewartet werden, erst dann darf wieder Sport betrieben werden.
12. Alternative Behandlungsmöglichkeiten und Medikamente
Alternative Behandlungsmöglichkeiten sind leider keine bekannt. Das fehlende Insulin
muss lebenslang ersetzt werden. Wird dies nicht getan, kann der Diabetiker meist
innerhalb kurzer Zeit schwer erkranken. Bitte besprechen Sie mit dem DiabetesTeam, wenn sie eine alternative Heilmethode ausprobieren möchten, um die
Sicherheit des Patienten nicht zu gefährden und setzen Sie auf keinen Fall das
Insulin ab.
Medikamente, welche zur Behandlung anderer Krankheiten eingenommen werden,
haben keinen Einfluss auf das gespritzte Insulin. Wichtig ist, dass man darauf achtet,
ob ein Präparat Zucker enthält. Die Verabreichung eines Medikamentes sollte mit
dem Facharzt abgesprochen werden. Wir unterstützen Sie auch in diesen Fragen
gerne.
13. Erziehung, Schule, Berufswahl
Für Kind und Eltern kann es schwierig sein, den Diabetes als chronische Krankheit
anzunehmen. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass jedes diabetische Kind den
üblichen Aktivitäten von Kindern seiner Altersgruppe ausüben kann, wenn es sich an
die Verordnung hält. Die Mehrheit der diabetischen Kinder findet sich in
bewundernswerter Weise mit der Krankheit ab, vor allem, wenn sie erkennen, dass
sie bei guter Einstellung in ihrem Wohlbefinden und ich ihrer Leistungsfähigkeit nicht
beeinträchtigt sind.
Das diabetische Kind sollte möglichst gleich wie die anderen Kinder behandelt
werden. Gesprächsbereitschaft und Mitgefühl sind wichtig und hilfreich. Verwöhnung
aus Mitleid hingegen hilft nicht weiter. Es hat sich bewährt, wenn beim Kind schon
früh Verantwortung und Interesse für die zuverlässige Durchführung der
Diabeteskontrolle und Behandlung geweckt wird. Schon kleine Kinder können das
Kontrollbüchlein unter Anleitung und Mithilfe der Eltern selber führen. Bereits mit 8-10
Jahren können viele Kinder die Insulinspritzungen selber durchführen. Dies gibt dem
Kind eine gewisse Unabhängigkeit, was im Hinblick auf später sehr zu begrüssen ist.
Das Spritzen bereitet anfänglich meist Schwierigkeiten, doch wird es mit der Zeit
komplikationslos und rasch durchgeführt.
Fast alle Kinder naschen früher oder später gelegentlich. Strafe löst dieses Problem
nicht. Mehr wird erreicht, wenn das Kind bei der Zusammenstellung der Ernährung
selber mithelfen darf und auf diese Weise lernt, mit Essgelüsten besser umzugehen.
Nach Möglichkeit sollte sich die ganze Familie an die für jedermann gesunde
Diabetes-Ernährung halten.
Die Schule ist für das diabetische Kind ebenso wichtig wie für alle andern Kinder. Der
Diabetes sollte kein Grund sein für eine verspätete Einschulung. Der Lehrer/die
Lehrerin muss durch die Eltern über den Diabetes des Kindes orientiert werden,
damit das nötige Verständnis aufgebracht wird, wenn das Kind gelegentlich dem
Unterricht fernbleiben muss, sei es wegen schlechter Einstellung des Diabetes oder
wegen der ärztlichen Kontrolluntersuchungen. Die Zeichen und Vorgehen bei
Hypoglykämie muss der Lehrer/die Lehrerin kennen. Es empfiehlt sich, ihn/sie auf die
26
besondere Anleitung „Orientierung zuhanden des Lehrers über das diabetische Kind“
aufmerksam zu machen. Es ist wünschenswert, dass der Lehrer/die Lehrerin die
Mitschüler über den Diabetes orientiert. Das Kind selber kann seine Klasse über den
Diabetes orientieren und seine Stechhilfen und Pen zeigen. Mutige Mitschüler
erhalten so die Gelegenheit, sich selber den Blutzucker zu messen (Lanzetten
wechseln!).
Diabetische Kinder sind ebenso gute Schüler wie andere Kinder. Die
Selbstständigkeit, die sich viele im Zusammenhang mit dem Diabetes aneignen, kann
für die Kinder in vielen Belangen sogar hilfreich sein. Es empfiehlt sich, dass
Diabetiker während dem Schulexamen einen Obstwert pro Stunde zusätzlich zu sich
nehmen, um eine Hypoglykämie zu verhindern, da die Konzentrationsfähigkeit bis zu
4 h nach einem Hypo reduziert ist. Der Schüler sollte jederzeit bei Unwohlsein seinen
Blutzucker messen können und nicht erst die Pause abwarten.
Es ist ratsam, dass sich der Diabetiker rechtzeitig mit der Berufswahl befasst und sich
unter Umständen an einen Berufsberater wendet. Ein gut behandelter Diabetiker ist
voll leistungsfähig. Es sind nach Möglichkeit Berufe zu meiden, die einen
unregelmässigen Lebensrhythmus bedingen (Schichtarbeit), bei denen eine
kontrollierte Ernährung schwierig einzuhalten ist (Koch, Konditor, Gastwirt) und bei
denen sich das Auftreten einer plötzlichen Hypoglykämie verheerend auswirken
könnte (Chauffeur, Dachdecker, Bergführer).
Diabeteslager
Jeden Sommer findet für schulpflichtige Kinder ein Diabeteslager statt. Die Lager sind
unvergessliche Erlebnisse. Die jungen Diabetiker erleben, dass sie mit ihrer Krankheit
nicht alleine dastehen. Sie lernen auch die Krankheit besser kennen und werden
selbstständiger. Jüngere Kinder lernen selbst spritzen. Die Kinder werden im Lager
durch einen Arzt/eine Ärztin, eine Krankenschwester und eine/n Diätkoch/-köchin
begleitet. Die Anmeldung soll möglichst frühzeitig an die entsprechende DiabetesGesellschaft geschickt werden.
Fragen, Unsicherheit
Immer wieder tauchen Fragen auf, die hier nicht besprochen sind. – Immer wieder
werden gute und leider auch weniger gute Artikel in Zeitschriften veröffentlicht. –
Freunde und Bekannte erteilen mancherlei Ratschläge, die wohl gut gemeint sind,
aber viel Verwirrung stiften können. Es empfiehlt sich deshalb, alle Probleme mit dem
behandelnden Arzt/Ärztin und den anderen Fachleuten im Spital
(Ernährungsberatung, Sozialarbeiterin) zu besprechen. Wundermittel zur Heilung des
Diabetes gibt es nicht.
Diabetes-Team
Die Betreuung eines neu entdeckten Diabetikers geschieht von Anfang an durch ein
ganzes Team, da sich aus Ärzten, Schwestern, Ernährungsberaterin und
Sozialarbeiterin zusammensetzt. Das Diabetes-Team begleitet das diabetische Kind
und seine Eltern auch nach dem Spitalaufenthalt bei den weiteren ambulanten
Kontrollen in der Poliklinik. Fragen und Probleme, die im Verlauf auftreten können,
werden zusammen im Diabetes-Team besprochen.
13. Life Stile Fragen
Alkohol
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Alkohol kann schon für Nichtdiabetiker gefährlich und ungesund sein, zu
Gewichtszunahme und erhöhtem Blutfettgehalt führen. Für Diabetiker kommen
zusätzliche Probleme der Blutzuckereinstellung bei Alkoholkonsum vor.
Erstens kann Alkoholkonsum zu einer späteren Hypoglykämie führen, da Alkohol die
Glukosesproduktion der Leber blockiert. Zweitens kann eine Veränderung des
Bewusstseins dazu führen, dass man die Hypoglykämie nicht erkennt und auch nicht
behandeln kann, was zu einem hypoglykämischen Koma resp. Krampfereignis führen
kann.
Da man den Jugendlichen den Alkohol nicht verbieten kann, empfehlen sich folgende
Regeln:
a) Nur wenig Alkohol trinken (max. 2 Getränke während einer Feier) und nicht
täglich.
b) Bier (niederprozentig) und trockene Weine anstatt Liköre, süsse Weine oder
Schnaps trinken.
c) Immer vor dem Alkoholkonsum etwas essen und regelmässig Kohlenhydrate
zu sich nehmen.
Regelmässige Blutzuckerkontrollen auch während der Nacht sind notwendig. Ein
Blutzuckerspiegel über 7 mmol/l vor dem Schlafengehen sollte angestrebt werden,
falls der Blutzuckerwert tiefer ist, sollte vorher zusätzlich 1 – 2 Werte gegessen
werden.
Rauchen
Vom Rauchen muss unbedingt abgeraten werden. Rauchen ist ein Gesundheitsrisiko
für alle Leute, aber speziell auch für Diabetiker, welche schon ein erhöhtes Risiko für
Gefässstörungen haben. Kinder und Jugendliche rauchen eher, wenn auch ihre
Eltern rauchen, oder dies erlauben.
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Drogen
Beim Diabetiker muss von allen Drogen unbedingt abgeraten werden, da diese den
Bewusstseinszustand verändern und deswegen die Körperwahrnehmung beeinflusst
wird. Es können schwere Hypoglykämien auftreten, welche nicht richtig behandelt
werden und somit zum Tod führen können.
Kontrazeption
Falls eine Kontrazeption notwendig wird, schützen Kondome einerseits vor einer
Schwangerschaft andererseits gegen sexuell übertragbare Krankheiten.
Intrauterinpessare (Spirale) sind bei jungen Diabetikerinnen nicht empfohlen. Die Pille
kann bei Diabetikerinnen, welche nicht unter Komplikationen wie hoher Blutdruck,
Blutfettabnormalitäten, Gefässerkrankungen oder Gerinnungsstörung leiden, gut
eingesetzt werden. Ungeplante Schwangerschaften führen zu einem erhöhten Risiko
bei Mutter und Kind. Eine Schwangerschaft sollte gut geplant und vom DiabetesTeam, resp. vom Gynäkologen begleitet werden. Eine Schwangerschaft ist auch bei
einer Frau mit Diabetes keine Krankheit!
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14. Fremdwörter
Aceton
Autoimmunität
Azidose
Glukagon
Glukoneogenese
Glukose
Glukosurie
Glykogen
Glykogenolyse
Hämoglobin
HBA1c
Hyperglykämie
Hypoglykämie
Hypoglykämisches Koma
Insulin
Ketoazidose
Koma
Lipodystrophie
Pankreas
Schlackenstoff, der bei der Verbrennung von Fett
entsteht.
Antikörperbildung gegen körpereigene Zellen
Saure Stoffwechsellage
Hormon, das in der Bauchspeicheldrüse gebildet und ins
Blut abgegeben wird. Bewirkt über den Weg der
Zuckerfreigabe aus den Reserven der Leber einen
Anstieg des Blutzuckers.
Neubildung von Glukose in der Leber aus Aminosäuren
Zucker
Zucker im Urin
Speicherform der Glukose in der Leber und im Muskel
Abbau der Glukosespeicher in der Leber zu Glucose
Roter Blutfarbstoff
glykiertes Hämoglobin = an Hämoglobin gebundener
Zucker
zu hoher Blutzucker
zu tiefer Blutzucker
Bewusstlosigkeit infolge zu tiefen Blutzuckers
Hormon, das in der Bauchspeicheldrüse gebildet und ins
Blut abgegeben wird. Bewirkt eine Senkung des
Blutzuckers. Ist wichtig für den normalen Stoffwechsel
und das normale Wachstum.
Entgleisung des Stoffwechsels infolge vermehrter
Fettverbrennung und Übersäuerung als Folge von
Insulinmangel.
Bewusstlosigkeit
Schwellung des Fettgewebes an der Stelle der
Insulininjektionen, infolge ungenügendem Wechsel der
Injektionsstelle
Bauchspeicheldrüse
15. Wichtigste Regeln in der Übersicht
Actrapid:
(Normalinsulin)
-
Wirkungsbeginn: nach 30 Min.
Wirkungsmaximum: nach 1-3 Stunden
Wirkungsdauer bis 8 Stunden
Insulatard:
(Verzögerungsinsulin)
-
Wirkungsbeginn: nach 90 Min.
Wirkungsmaximum: nach 4-12 Stunden
Wirkungsdauer: bis 24 Stunden
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Welches Insulin ist für welchen Zucker verantwortlich ?
Morgenzucker:
Insulatard vom Abend vorher
Mittagszucker:
Actrapid vom Morgen
Abendzucker:
Insulatard vom Morgen
Spätzucker:
Actrapid vom Abend
Blutzuckermessungen:
-
4x/Tag vor jeder Mahlzeit und vor dem Schlafen
Mindestens 1x/Monat nachts zwischen 2-4 Uhr und falls abends Korrektur
oder Sport
Bei Verdacht auf Hypoglykämie sofort
Urinkontrollen:
-
Im Morgenurin
Falls Dein Blutzucker > 17 mmol/l ist
Blutzucker-Ziele:
-
Vor den Mahlzeiten
Vor der Bettruhe/Spätmahlzeit
Nachts um 02°° Uhr
4-6 mmol/l
7-10 mmol/l
4-10 mmol/l
Insulinanpassungsregel:
Wenn der BZ an zwei Tagen zur gleichen Zeit 10-15 mmol/l liegt: Erhöhung
des verantwortlichen Insulins um ca. 1 Einheit
- BZ über 15 mmol/l und kein Aceton im Urin: Erhöhung des verantwortlichen
Insulins bereits am nächsten Tag
- BZ > 17 mmol/l und Aceton im Urin: Sofort korrigieren mit:
gemessener BZ – 8/ x (Faktor x = ... bei Ihrem Kind; am Abend nur die Hälfte
der Korrekturmenge spritzen !) zweite Korrektur frühestens nach 3-4h falls
notwendig !
- Wenn der BZ an zwei Tagen zur gleichen Zeit < 4 mmol/l liegt: kann das
verantwortliche Insulin kann um ca. 1 Einheit vermindert werden
- Bei Hypo soll das verantwortliche Insulin bereits am nächsten Tag um 1-2
Einheiten vermindert werden.
-
Spritz-Ess-Abstand
- Blutzucker < 3,2 mmol/l:
- Blutzucker 4-6 mmol/l:
- Blutzucker >8 mmol/l:
zuerst essen, dann spritzen
spritzen und sofort essen
spritzen und 15 – 30 Min später essen
Was tun bei Krankheiten/Unfälle ?
Insulinbedarf steigt meistens an. Blutzucker und Urin häufig kontrollieren und bei BZ
> 17 mmol/l nachspritzen (gemessener BZ-8/x)
X: Eigener Korrekturfaktor
Was tun bei Appetitmangel/Übelkeit/Erbrechen ?
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Nur etwa 2/3 der Insulindosis spritzen, Blutzucker und Urin regelmässig kontrollieren.
Falls schon gespritzt oder bei Hypoglykämie: Orangensaft oder zuckerhaltiges Cola
eisgekühlt schluckweise trinken
Achtung: Übelkeit und Erbrechen können die ersten Zeichen einer Hypoglykämie
oder Hyperglykämie sein ! BZ sofort messen.
Was tun bei Sport?
- Bei kurzdauerndem Sport jeweils 1 KHW vorher und nach jeder Stunde essen
- Bei langdauerndem Sport Insulindosis auf ca. 2/3 reduzieren (auch abends)
- Falls BZ vor Sport > 17 mmol/l und Aceton im Urin: BZ korrigieren;
Sportverbot
- Falls BZ vor Sport 5-17 mmol/l: Sport ohne zu essen
- Falls BZ vor Sport < 5 mmol/l: Zuerst 5-10g langsame KH essen
NOTFALLSITUATIONEN:
1. Entgleisung gegen oben: Ketoazidose
Falls bei BZ > 17 mmol/l und Urinzucker 2-5% mit Aceton +++ nicht oder zu wenig
Insulin nachgespritzt wird kommt es zu Harnfluss, Durst, rotes Gesicht,
Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Acetongeruch, Erbrechen, tiefe Atmung,
Erschöpfung, Trübung des Bewusstseins und schlussendlich Koma
Nachspritzen: gemessener BZ – 8/x
X: Eigener Korrekturfaktor
2. Entgleisung gegen unten: Hypoglykämie
Zeichen: Blässe, Müdigkeit, Heisshunger, Schwitzen, Zittern, Knieschlottern,
Kopfweh, Verstimmung, Sehstörungen, Leeregefühl, Schwindel, Unansprechbarkeit,
Bewusstlosigkeit, Krampfanfall.
Bei Hypo:
1. BZ bestimmen
2. 3-6 Stück Traubenzucker oder 1-2 dl Orangensaft oder Cola trinken
3. 10 Min. warten
4. BZ bestimmen
5. falls zu tief: Erneut Vorgang wiederholen bis BZ wieder im
Normbereich
Falls Bewusstlos/Krampf: BZ bestimmen, Traubenzucker zwischen Zähne und
Wange, (NICHTS ZU TRINKEN GEBEN!) Glukagon spritzen, so bald wach Nahrung
zuführen, da Speicher leer. Falls nach 10-15 Min nicht wach sofort zum Arzt.
2006 / Dr. Plattner, Prof. Mullis
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