Inhalt Onkologie in der Kleintierpraxis • • • • Prinzipien der Diagnostik und der Therapie Lymphom und Mastzelltumor Spezialfall Hyperkalzämie Fallbesprechungen Dr. med. vet. Cécile Rohrer Kaiser Dipl. ACVIM und ECVIM-CA (Innere Medizin) Prinzipien der Diagnostik und der Therapie • Verständnis der Grundprinzipien • Kenntnis über das biologische Verhalten von Tumoren • Jeder Fall ist anders • Interdisziplinarität der Aufarbeitung und Therapie von onkologischen Fällen Metastatische Kaskade • • • • • • • • • Angiogenese Invasion Gefässeinbruch Intravaskuläres Überleben Anhaften Austritt aus Gefäss Überleben in Zielorgan Proliferation im Zielorgan Blutgefässbildung in neuem Organ Interaktion Tumor-Wirt • Onkogene – Genetische Basis für die maligne Transformation • Zelluläre Umgebung – Nachbarzellen beeinflussen Schicksal der onkogen-aktivierten Zellen • Primärtumor • Fernmetastasen Staging des Tumors • Ausdehnung des Primärtumors (T) • Regionale Lymphknotenmetastasen (N) • Fernmetastasen (M) • Systemische klinische Symptome • Histologisches Grading 1 Histologisches Grading • Beschreibung des histologischen Malignitätsgrades von Tumoren – Differenzierungsgrad – Invasivität – Mitoserate – Nekrose Staging des Tumors • • • • Therapieplan Prognose Beurteilung der Behandlungserfolge Vergleich zwischen Studien • z.B. Mastzelltumore • z.B. Weichteilsarkome Staging des Tumors • • • • • • Signalement und Anamnese Klinische Untersuchung Blut- und Harnanalyse Bildgebende Diagnostik Feinnadelaspiration (FNA) Biopsie Signalement und Anamnese • Alter, Geschlecht, Rasse • Auslandaufenthalt • Allgemeinzustand • Andere Erkrankungen Klinische Untersuchung • Ausmessen des Tumors (Aufzeichnung) – Tumorvolumen als prognostischer Faktor • Mammatumor • Ganzes Tier nach Massen absuchen – Tumorlokalisation als prognostischer Faktor • Mastzelltumor • Plattenepithelkarzinom 2 Blut- und Harnanalyse • Meistens indiziert • Allgemeine Indikationen – Allgemeinzustand – Ältere Tiere – Teure, aufwendige, belastende Diagnostik und Therapie – Paraneoplastische Syndrome Blut- und Harnanalyse • Spezielle Indikationen – Hormonelle Tests – Buffy coat-Analyse der Blutzellen – Harnanalyse auf Tumorzellen – Tumormarker? Tumormarker PTH rP • Wenige Indikationen • Ausnahme PTH rP im Blut↑ – Hyperkalzämie bei malignen Tumoren • LSA, AdenoCA des Analbeutels – Gleiche biologische Aktivität wie das PTH im Blut↑ Bildgebende Diagnostik • Röntgen – Metastasen • links- und rechtslateral +/- d/v oder v/d • Sichtbar wenn grösser als 0.5-1 cm • US • CT/MRI – Abgrenzung des Tumors bei komplizierter Anatomie – Planung der Strahlentherapie Entnahme von Probe • FNA oder Biopsie • Nebenwirkungen? – Erhöhung der Aggressivität des Tumors? • FNA – Nein • Biopsie – Bessere Durchblutung des Tumors durch W undheilung – Schnelleres Wachstum evtl. möglich – Streuung des Tumors? 3 FNA (Zytologie) • Aussagekraft < als bei Histologie • ABER – Geringer Zeitaufwand – Geringer technischer Aufwand – Einfache Durchführung – Geringe Nebenwirkungen – Kann selber beurteilt werden – Geringe Kosten => Massen punktieren • Ausnahmen – Blasentumore • ÜbergangszellKarzinome – Mammatumore Kleintierfortpflanzung Zürich FNA (Zytologie) • Entzündung oder Neoplasie? • Neoplasie – Epithelial, mesenchmal oder Rundzellen? – Malignitätskriterien • • • • • • • FNA (Zytologie) • Diagnostische Merkmale – Mastzellgranula – Melaningranula Polymorphismus Basophilie Anisozytose Grosse Kerne Nukleolen Abnormale Mitosen Mehrkernige Zellen FNA (Zytologie) • Rundzelltumor – Histiozytom – Mastzelltumor – Plasmazelltumor – Lymphom – TVT (Stickersarkom) FNA (Zytologie) • Epitheliale Tumore – Ovale bis polygonale Zellen – Formen Verbände, kleine Klumpen und Drüsen – Klare Zell-zu-Zell-Verbindungen 4 FNA (Zytologie) • Tumoren von Schilddrüse und Analgegend FNA (Zytologie) • Mesenchmale Tumore – Zytologisch oft keine Aussage möglich ob gutoder bösartig – Zellen spindeling bis länglich oder oval – Projektionen Biopsie (Histologie) • Aussagekraft >> als bei Zytologie Biopsie (Histologie) • Grading – Histogenese des Tumors bestimmbar – Architektur des Tumors beurteilbar – Mit der Graduierung der Malignität ist eine Voraussage des biologischen Verhaltens möglich • Infiltrationstendenz • Gefässeinbrüche • • • • – Gradeinteilung möglich (Grading) Weitere Untersuchungsmöglichkeiten Biopsie (Histologie) • Grading – Grad der Differenzierung – Mitotischer Index – Grad des zellulären und nukleären Pleomorphismus – Ausmass der Nekrose – Invasivität – ... Mastzelltumor Lymphom Sarkom Lungencarcinom • • • • • • Spezialfärbungen Immunhistochemie Immunphänotypisierung Elektronenmikroskopie Flow-Zytometrie Molekularbiologie 5 Prinzipien der chirurgischen Biopsie in der Onkologie • Exzisions- versus Inzisionsbiopsie Biopsie • Biopsiestelle so planen, dass sie in die definitive Resektion oder ins Bestrahlungsfeld eingeschlossen werden kann – Kürzester Weg von Haut zu Tumor – Gewebsschichten nicht separieren – Verzicht auf Drains • Möglichst atraumatische Chirurgie • Sorgfältige Hämostase Multimodalität der Krebstherapie • • • • • • • • Behandeln oder nicht behandeln? Prognose mit oder ohne Therapie Kosten Persönlicher Aufwand Nebenwirkungen (Lebensqualität) Weitere Erkrankungen Alter Philosophie des Besitzers … Prinzipien der chirurgischen Biopsie in der Onkologie • Exzisionsbiopsie – Verhindert Fehler bei Probenentnahme – Verhindert Embolisierung von Tumorzellen – Könnte kurativ sein – Kann inkomplett sein – Kann nachfolgende Chirurgie erschweren – Nur für kleine oberflächliche bewegliche Massen – Solitäre Massen in Lunge oder Milz ... Biopsie • Randbereich des Tumors mit gesundem Gewebe entnehmen – Markieren der Ränder • Vermeiden von – Elektrochirurgie – Lokalanästhetika – Quetschen der Probe • Wechseln der Instrumente und Handschuhe vor dem Wundverschluss Wahl der besten Therapie • Nebenwirkungen abwägen • “Primum non nocere” ist aufgehoben • Lokale Therapie für lokale Erkrankung, systemische Therapie für systemische Erkrankung • Heilung oder Langzeitkontrolle versus Palliation 6 Therapiekombinationen • Tumorverhalten unvorhersehbar – Tumore der selben histologischen Art haben unterschiedliches Verhalten • Primäre oder sekundäre Modalität • Kombinationen häufig erfolgreicher als eine Modalität allein Therapiekombinationen • Chirurgie • Chemotherapie • Bestrahlung • Immuntherapie • Hyperthermie Prinzipien der onkologischen Chirurgie • Chirurg in prä- und postoperatives Management einbeziehen • Aggressivere Chirurgie bedeutet nicht immer bessere Chirurgie • Chirurgie kombiniert mit anderen Modalitäten häufig Methode der Wahl Ziele der Chirurgie • Heilung – Beste Chance mit erster Chirurgie – Mehr Patienten geheilt durch Chirurgie allein als mit jeder anderen Modalität • • • • Diagnosestellung Palliation Debulking Vorbeugung (Ovariohysterektomie) Chirurgische Exzision • Vorteile – Sofortige und komplette Heilung – Nicht kanzerogen – Wenig immunsuppressiv – Effektiv für grosses Tumorvolumen • Nachteile – Nebenwirkungen – Veränderung der normalen Anatomie und Physiologie 7 Tumorränder • Vollständigkeit der Exzision • “Saubere” Ränder – Irreführend – 5-6µm Schnitte • Kenntnis des wahrscheinlichen biologischen Tumorverhaltens wesentlich Tumorränder • Ränder im gesunden Gewebe – Weichteiltumor • >3 cm – Mastzelltumoren • 2-3 cm – Melanom • 2-3 cm – Epitheliale Tumore • 1-2 cm Tumorränder • Mammatumore (Hd) – Lumpektomie nur bei Tumoren <1cm Tumorränder • Mammatumore chirurgisch entfernen bevor sie wachsen • Histologie und Nachoperieren bei malignen Tumoren – Chirurgie des Komplexes oder Leiste/Leistenteil – Benigne Tumore entarten über Zeit zu malignen Tumoren • Maligne Tumore sind grösser • Gemischte Mammatumore • Je grösser, desto öfter maligne Anteile drinnen Chirurgie bei Komplikationen von Krebstherapie • Paravenöse Gabe von Chemotherapeutika • Nebenwirkungen der Bestrahlung – Nekrose: Haut, Knochen – Striktur: Magendarm-, Urogenitaltrakt Disziplinübergreifende Therapie • Chirurgie mit prä- oder postoperativer Chemo-/Radiotherapie • Schwierige Chirurgie – Immunsuppression – Fibrose – Verminderte Durchblutung 8 Chirurgie vor Chemo- oder Radiotherapie • Reduktion der Tumormasse – Immunantwort kann verbleibende Tumorzellen eliminieren • Information – für Staging – über Tumorränder Chirurgie nach Chemo- oder Radiotherapie • Gewebe weniger hypoxisch und besser vaskularisiert • Vorbeugung/Elimination von Metastasen • Kleineres Bestrahlungsfeld • Reduktion der Tumormasse … Chirurgie vor Chemo- oder Radiotherapie • Elimination der hypoxischen Zellen im Tumorzentrum erhöht Erfolg der Strahlentherapie • Erhöhte Mitoserate verbessert Empfindlichkeit der Tumorzellen auf Chemotherapeutika Regionale Lymphknoten Entfernung klinisch unveränderter LNN • Vorteile – Information für Staging – Entfernung von klinisch nicht erkennbarem Tumorbefall • Nachteile – Mehr Nebenwirkungen – Entfernung einer möglichen Tumorbarriere … Regionale Lymphknoten Þ Lymphknoten nur bei Hinweis auf Metastasierung entfernen Prinzipien der Chemotherapie • Selten kurativ • Lange Remission bei guter Lebensqualität • Nebenwirkungen häufig – Toxizität meist vermeidbar oder behandelbar • Linderung der Symptome durch Chemotherapie häufig empfehlenswert 9 Indikation für Chemotherapie • Disseminierte Erkrankung • Am effektivsten bei kleiner Tumorzellpopulation Chemotherapie • Monotherapie – Selten möglich (Sticker Sarkom) • Kombinationstherapie – Jedes Medikament für sich muss gegen den Tumor wirken – Toxizität sowie Wirkungsweise der Medikamente sollten nicht überlappen – Optimale Protokolle – Bessere Verteilung des Medikamentes im Tumor – Weniger Tumorzellen in der Ruhephase • Möglichst kurze Behandlungsintervalle Wirkungsmechanismen • DNA – Alkylierung • Enzyme – Hemmung der DNA-Polymerase / Topoisomerase – Hemmung der Enzyme für Purin- / Pyrimidinsynthese • Membranen – Bildung freier Radikale • Mikrotubuli – Auflösung des Spindelapparates Komplikationen der Chemotherapie Überlegungen zur Dosierung • Körperoberfläche – Gute Korrelation mit Grundumsatz, aber – Keine Korrelation mit hämatopoetischer Stammzellpopulation Þ – Kleine Tiere überdosiert • Körpergewicht – Geringeres Risiko für Knochenmarkstoxizität bei kleineren Tieren • • • • • • Myelosuppression Vaskulitis Gastrointestinale Nebenwirkungen Pulmonäre Toxizität Harntrakttoxizität Neurologische Toxizität 10 Resistenz gegen Chemotherapie • Resistenz bedeutet Ende des Therapieerfolges • Resistenz gegen ein Chemotherapeutikum – Verminderte Aufnahme – Veränderter Stoffwechsel – Veränderte zelluläre Reparationsmechanismen Resistenz gegen mehrere Chemotherapeutika • Prednisolon – P-Glykoprotein • Effluxpumpe für Chemotherapeutika – Signifikant kürzere Remission bei mit Glukokortikoiden vorbehandelten LSAPatienten Resistenz gegen Chemotherapie • Resistenz gegen mehrere Chemotherapeutika – Gleichzeitige Resistenz gegen strukturell und funktionell unterschiedliche Chemotherapeutika – P-Glykoprotein – Zweites oder drittes Protokoll weniger wirkungsvoll Prednisolon bei LSA-Patienten • Nicht vor Diagnosestellung geben – Maskierung von Krankheitszeichen – Erschwerung der Diagnosestellung • Nicht vor Beginn der Chemotherapie geben – Inkomplette Remission – Resistenz gegen mehrere Chemotherapeutika 11 Prinzipien der Radiotherapie • Therapie für lokale Erkrankung • Am effektivsten bei kleinem Tumorvolumen • Therapie von mikroskopischer Erkrankung • Vervollständigung des ganzen Protokolls nötig, um Erfolg beurteilen zu können Radiation und Ionisation • Radiation muss genügend Energie haben, um im Gewebe Ionisation zu verursachen • Ionisation – Veränderung der Anzahl Elektronen in der Hülle eines Moleküls durch Entfernen oder Hinzufügen von Elektronen Radiotherapie • Palliativ – Ziel ist Palliation von Symptomen • Kurativ – Ziel ist eine Langzeitkontrolle des Tumors … Radiation und Ionisation • Proliferierende Zellen sind strahlensensitiv • Ziel der Bestrahlung ist die Verhinderung der Replikationsfähigkeit der Tumorzellen ohne Zerstörung des gesunden Gewebes • Der Zelltod ergibt sich aus der Ionisation Interaktion der Radiation mit den Zellen • Verhinderung der DNA-Replikation • Zelltod erfolgt nicht sofort • Zellen voll funktionsfähig, bis sie sich zu teilen versuchen Strahlenreaktionen • Gewebe mit akuten Strahlenreaktionen – Haut, Schleimhaut, Tumore – Zellschäden während oder kurz nach der Bestrahlung • Gewebe mit späten Strahlenreaktionen – Niere, Nervengewebe, Muskulatur – Zellschäden Monate oder Jahre nach der Bestrahlung • Keine effektive Therapie 12 Faktoren, die den Bestrahlungserfolg beeinflussen • • • • • Reaktion des gesunden Gewebes Tumorvolumen Inhärente Radiosensitivität Tumorhypoxie Tumorproliferationsrate Tumorvolumen • Grosse Tumore sind schwerer zu bekämpfen – Komplettes Ansprechen von 60% bei einem Volumen von 8 cm3 – Komplettes Ansprechen von < 20% bei einem Volumen von > 8 cm3 Tumorproliferationsrate • Ansprechen des Tumors während der ersten Wochen bis Monate nach Ende der Therapie • Weiteres Tumorwachstum ist das einzige zuverlässige Zeichen eines Therapieversagens • Pausen während Radiotherapie vermeiden • Verlängerung von Radiotherapie vermeiden Reaktion des gesunden Gewebes • Maximal tolerierbare Dosis basiert auf der erwarteten Reaktion von Geweben mit Spätreaktionen • Akute Strahlenreaktionen im gesunden Gewebe sind bei fast jedem Patienten vorhanden • Versuche, durch tiefere Strahlendosis akute Strahlenreaktionen zu vermeiden, schonen auch den Tumor • Späte Strahlenreaktionen müssen vermieden werden Tumorhypoxie • Beschränkte O2-Diffusion oder mangelnder Blutfluss • Strahlenunempfindlichkeit von hypoxischen Zellen – grosser Einfluss auf Heilungschancen durch einen sehr kleinen Anteil an hypoxischen Tumorzellen – Reoxigenierung des Tumors während der Bestrahlung Bestrahlungsprotokoll • Strahlendosis pro Fraktion • Zeitdauer der Bestrahlung • Totale Strahlendosis – beschleunigte Repopulation von Tumorzellen 13 Strahlendosis pro Fraktion • Hohe Fraktionsdosis bewirkt – grösseren schützenden Effekt der Hypoxie auf den Tumorzelltod – Grösseren Effekt auf Gewebe mit späten Strahlenreaktionen • Schonung dieser Gewebe bei einer Reduktion der Fraktiondosis auf 3 Gy Totale Strahlendosis • Erfolg der Bestrahlung abhängig von der applizierten totalen Strahlendosis • Eine kleine Erhöhung der totalen Strahlendosis führt zu einer signifikanten Verbesserung der Tumorkontrolle Zeitdauer der Bestrahlung • Proliferation der Tumorzellen geht während der Bestrahlung weiter • Proliferation der Tumorzellen beschleunigt gegen Ende der Therapie • Bestrahlungsdauer so kurz wie möglich halten, ohne Unterbrüche Multimodalität der Krebstherapie • Von Anfang an optimale Therapie planen – Je häufiger ein Tumor ineffektiv behandelt wird - gleich mit welcher Modalität -, desto schwieriger wird es sein, ihn am Schluss zu kontrollieren 14