Institut für Kapitalmärkte und Finanzwirtschaft Stabilität der Finanzmärkte Die Notwendigkeit einer nachhaltigen Finanzarchitektur 12. Münchner Wissenschaftstage 21. Oktober 2012 Alte Kongresshalle Prof. Dr. Bernd Rudolph Ludwig-Maximilians-Universität München (1) Von der US-Subprimekrise zur Krise europäischer Staaten 2007 SubprimeKrise USA 2008 Bankenkrise 2009 Krise der Realwirtschaft 2010 Krise der Staatshaushalte 2011 Krise der EU 2012 Krise der EU / des Euro • Platzen der Immobilienpreisblase in den USA • Insolvenz • Wirtschaftseinbruch • Rettungs- • Insolvenz Griechenlands möglich • Insolvenz Griechenlands wahrscheinlich • Zusammenbruch IKB Juli 2007 Lehman Brothers 15. Sept. • Zusammenbruch Refinanzierung der Banken • Staatliche Rettungsprogramme • Abwrackprämien paket für Griechenland März 2010 • Ausfallrisiko für Staatsanleihen • Aufstockung der Rettungsschirme • Bankenkrise in Südeuropa • EFSF • Euro-Krise 2 Größe des Bankensektors vor der Finanzkrise • Wachstum des Bankenapparates übersteigt Wachstum des Bruttoinlandsprodukts; mit Ausbruch der Krise stabilisiert sich Relation. • Erstaunliche Größe des Bankensektors in der EU! • Größe des Bankensektors in Aktiva aller Banken (€ Trillionen) Aktiva / Bruttoinlandsprodukt Aktiva 10 größte Banken (€ Trillion) Aktiva 10 größte Banken / BIP • EU USA Japan 42,9 349 % 15.0 122 % 8,6 78 % 4,8 44 % 7,1 174 % 3,7 91 % Wachstum vor der Krise getrieben von niedrigem Zinsniveau, hoher Innovationsrate, komplexen Finanzinstrumenten, Globalisierung und allgemeiner Unterbewertung von Risiken. (2) Bereits laufende Reformen des Bankaufsichtsrechts - Neue Eigenkapitalanforderungen (quantitative und qualitativ) sowie geplante Höchstverschuldungsgrenze (Leverage Ratio) in: Basel III, CRD IV, CRR - Neue Liquiditätsregeln (LCR, NSFR) - Zwang zum zentralen Clearing von OTC-Derivaten - Neue Aufsichtsstruktur: Europäisches System für Finanzaufsicht (ESFS): Europäische Bankenaufsicht; Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde; Europäische Aufsichtsbehörde für Versicherungen und die betriebliche Altersversorgung - Europäischer Ausschuss für Systemrisiken - Europäische Bankenunion? Gemeinsame Europäische Bankenaufsicht; Gemeinsame Europäische Einlagensicherung; Gemeinsames Europäisches Insolvenzregime für Banken (Abwicklung, Teilauflösung , Kapitalisierung) (3) Bausteine einer zukünftigen Finanzarchitektur Baustein 1: Von der Vorsorge gegen Bankpleiten zur Vorsorge gegen Systemkrisen • Aufsicht konzentriert sich zu sehr auf Vermeidung einzelner Bankinsolvenzen: Schutz des Vermögens der Einleger der Bank als Oberziel der Bankenaufsicht. - Bankzulassungsprüfungen Mindesteigenkapitalanforderungen Aufsichtliches Überprüfungssystem Meldepflichten, Governance Strukturen, Eigentümerkontrolle etc. • • • Basel I Basel II Basel III • Verordnung über die angemessene Eigenmittelausstattung von Instituten, Institutsgruppen und Finanzholding-Gruppen (Solvabilitätsverordnung - SolvV) v. 14.12.2006 KWG, MaRisk, Derivateverordnung, etc. • 1988 2004 2010 Regelwerk: Regelwerk: Regelwerk: 30 Seiten 347 Seiten 616 Seiten Problem des Institutsbezogenen Ansatzes: Keine Fokussierung auf Systemkrisen • • • • Vergleich Autobahn: TÜV soll verhindern, dass Autos auf Autobahn zusammenbrechen oder Unfall verursachen. Defekte Fahrzeuge stellen aber nur eine Ursache unter vielen anderen Gründen dar, weshalb Autobahnstaus entstehen (Unwetter, Überlastung, Ferienbeginn etc. ). Dafür braucht man mehr als einen TÜV Aufsicht muss auch Vermeidung von Systemkrisen ins Auge fassen (Makroprudenzielle Aufsicht als neue Zielsetzung): Insolvenzprophylaxe für große Banken (systemrelevante Banken; Too-big-to fail-Problematik) und Vorsorge gegen Systemrisiken aufgrund makroökonomischer Schocks) In Basel III angedacht, aber noch kaum umgesetzt! Europäischer Ausschuss für Systemrisiken soll makroprudenzielles Instrumentarium entwickeln. 2. Baustein: Von der Aufsicht über die Banken zur Aufsicht über das Finanzsystem Aufsicht in Deutschland spezifiziert für Banken, Versicherungen und den Wertpapierhandel (alle drei Aufsichtsbereiche konzentriert bei der BaFin, in anderen Ländern z. T. in diversen Aufsichtsbehörden, z. B. USA) • Neue „Spieler“ am Markt: Kapitalanlagegesellschaften (Investmentfonds), Kapitalbeteiligungsgesellschaften (Private Equity, Venture Capital), Leasinggesellschaften, Inkassobüros, Hedgefonds • und neuerdings Schattenbanken: (Zweckgesellschaften zur Emission von ABS, Conduits zur kurzfristigen Refinanzierung langfristiger Wertpapieranlagen) • Krise hat gezeigt, dass Banken Risiken auf weniger oder gar nicht regulierte Schattenbanken auslagern, bei deren Schieflage aber einspringen (haften), so dass auch aus Schattenbanken Reputationsrisiken für „normale“ Banken und Systemrisiken resultieren können. • Schattenbanken haben kein eigenes „Sicherheitsnetz“, keine Einlagensicherung, keine EZB: „shadow banking is a moving target, triggering regulatory arbitrage.“ Verbindlichkeiten der Banken und Schattenbanken in den USA Volumenangaben in Billionen US-$ Quelle: Pozsar / Adrian / Ashcraft / Boesky (2012), S. 8 Aktiva der Banken und Schattenbanken in der EU Quelle: Backk-Simon et al. (2012). 3. Baustein: Von der Scheingenauigkeit zur qualitativen und fundamentalen Risikomessung Beispiel: 1. Wahrscheinlichkeit für Zahl 4 (Verlustposition) eines 6er-Würfels = 1/6 = 16,67 % 2. Wahrscheinlichkeit für zwei 4er beim Wurf von 2 Würfeln: 1/36 = 2,78 % 3. Wahrscheinlichkeit für drei 4er beim Wurf von 3 Würfeln 1/216 = 0, 46 % • Liegt kritische Verlustwahrscheinlichkeit der Risikomessung bei 0,5 %, dann ist dritte Position (Spiel mit drei Würfeln) risikofrei (weil es sehr unwahrscheinlich ist, dass drei Vierer auf einmal gewürfelt werden). • Wird das – mit Eigenkapital zu unterlegende – Risiko als Verlustwahrscheinlichkeit gemessen, dann braucht man für dritte Wette keine Eigenkapitalunterlegung. • Daher kann man für Spiele der dritten Art riesiges Buch schreiben, d. h. das Anlagebuch (Eigenhandel) unendlich „leveragen“, weil es immer „risikofrei“ bleibt. • Spiele der dritten Art wurden gern auf Schattenbanken ausgelagert. Differenzierte Preisentwicklung der Qualität der MBS Quelle: IMF Global Stability Report 2008, S. 13. The ABX, launched in January 2007, serves as a benchmark of the market for securities backed by home loans issued to borrowers with weak credit (MBS). Da staunte der Truthahn Ein Truthahn wird tausend Tage lang gefüttert. Jeden Tag registriert die statistische Abteilung seiner Gehirnregion, dass die menschliche Rasse sich um sein Wohlergehen sorgt, und jeden Tag erhärtet sich diese Feststellung mehr. An einem schönen Mittwochnachmittag, einen Tag vor „Thanksgiving“, erlebt der Truthahn eine Überraschung. Frank Schirrmacher über Nassim Nicholas Taleb, Professor für Risikoforschung, am 1. 11. 2008 in der FAZ