Vertiefungsmodul Makroökonomik (VM21.2): Konjunktur, Wachstum, Außenhandel Teil 1: Vorlesung 1: Einführung Messung makroökonomischer Variablen, Konzepte der modernen makroökonomischen Modellierung Prof. Dr. Maik Wolters Friedrich-Schiller-Universität Jena Überblick Makroökonomik: Besser: aggregierte Ökonomik Die Makroökonomik analysiert aggregierte ökonomische Variablen, wie z.B. das Produktionswachstum, die Inflation und Arbeitslosigkeit Fokus: Dynamische und intertemporale Aspekte der ökonomischen Entscheidungsfindung Ökonomik ist “Mikro”: “Makro” studiert die Probleme nur auf einem aggregierten Level Moderne Makroökonomik benutzt mikrofundierte dynamische, allgemeine Gleichgewichtsmodelle. Wir werden uns mit makroökonomischen Daten beschäftigen und Modelle in Betracht zeihen, mit deren Hilfe wir die Daten verstehen und erklären können. Kernfragen: Wieso wächst eine Volkswirtschaft über die Zeit? Wieso sind manche Länder arm und manche reich? Wieso existieren Konjunkturzyklen oder wieso kommt es zu Rezessionen? Wieso gibt es Finanzkrisen? Welche Rolle spielt der Staat? Zweck des Kurses: Der Kurs vermittelt ein fundiertes Wissen über Kernthemen in der modernen Makroökonomik, das Ihnen erlauben wird, diverse Fragen gut informiert und präzise zu analysieren. 2 Lernziele Studenten, die diesen Kurs erfolgreich abschließen, werden in der Lage sein … 1) stilisierte Fakten des Wirtschaftswachstums und der Konjunkturzyklen zu benennen. 2) einfache Modelle zu entwickeln, um die stilisierten Fakten zu erklären. 3) diese Modelle zu erweitern, um Probleme, die nicht in dieser Vorlesung behandelt werden, zu analysieren. 4) makroökonomische Maßnahmen qualitativ zu beurteilen. 5) sich auf spezialisierte Kurse, wie z.B. “Konjunkturtheorie”, “Wachstumstheorie”, “monetäre Ökonomie”, “Internationale Ökonomie” und Seminare in Makroökonomik vorzubereiten. 3 Wie werden Fragen und Themen analysiert? Fragen werden anhand verschiedener theoretischer Modelle behandelt. Intuition vs. Mathematischem Formalismus Ökonomische Intuition ist äußerst wichtig. Sie studieren Volkswirtschaft, nicht Mathematik! Nichtdestotrotz sind mathematische Kenntnisse notwendig, um makroökonomische Themen zu analysieren. Formalismus und Intuition sind nicht Substitute, sondern Komplementäre. Die Ziele dieses Kruses sind deswegen zweigeteilt: 1. Entwicklung eines umfassenden Verständnis für makroökonomische Kernthemen, 2. Erlernen mathematischer Methoden, um selbstständig Analysen von wichtigen makroökonomischen Fragen durchzuführen. 4 Die Rolle der Mathematik Mathematik ist ein Werkzeug, um Gedanken konsistent zu organisieren: Mathematik kreiert keine Wahrheiten. Ein wahres ökonomische Modell der Welt existiert nicht. Mathematik ermöglicht rigorose Transparenz der vorliegenden Modelannahmen und ihrer Implementation (und ihrer Grenzen). Transparenz fördert ökonomische Intuition und ist daher eine solide Basis für eine informierte Diskussion (Wissenschaft). Des Weiteren können mathematisch, formulierte Modelle einfache auf Daten übertragen werden. “Just talking plausibly about economics is not the same as having a real understanding; for that you need crisp, tightly argued models.” Paul Krugman 5 Voraussetzungen / Was ich von Ihnen erwarte? Dieser Kurs setzt voraus: mikro- und makroökonomisches Basiswissen Grundlagen in Differentialrechnung Wiederholung in der ersten Übung, Im Anhang der Lehrbuchs Algebra auf Gymnasialniveau Microsoft Excel Was ich von Ihnen erwarte? Regelmäßige aktive Teilnahme an der Vorlesung und am Lernprozess wöchentliches!! Lesen der entsprechenden Lehrbuchkapitel Ihr aktives Vorbereiten der Übungs- und Tutoriumsaufgaben, bevor diese stattfinden. 6 Gliederung Teil 1: Einführung Vorlesung 1: Messung von makroökonomische Variablen, Konzepte der modernen makroökonomischen Modellierung Teil 2: Wirtschaftswachstum Vorlesung 2: Stilisierte Fakten, Solow Wachstumsmodell Vorlesung 3: Das erweiterte Solow Wachstumsmodell, grenzüberschreitende Unterschiede im Lebensstandard Teil 3: Mikroökonomische Fundierung Vorlesung 4: Konsum-Ersparnis Entscheidung Vorlesung 5: Gleichgewicht in einer Tauschwirtschaft, Fiskalpolitik Vorlesung 6: Produktion und Arbeitsangebot Teil 4: Theorie Realer Konjunkturzyklen (Real Business Cycle Modell) Vorlesung 6: Reale Konjunkturzyklen Vorlesung 7: Effektivität und eingreifende Politik Vorlesung 8: Internationale reale Konjunkturzyklen 7 Gliederung Teil 5: Neukeynsianisches Modell Vorlesung 9: Geld in Ökonomien mit flexiblen Preisen Vorlesung 10: Neukeynesianisches Modell Vorlesung 11: Geld in der internationalen Makroökonomie Teil 6: Finanzkrise Vorlesung 12: Suche und Zusammenfinden, Investitionen in Humankapital and Lohnungleichheiten Teil 7: Offene Volkswirtschaften (falls Zeit vorhanden) Vorlesung 13: Modelle der Finanzkrise, die große Rezession von 2008/2009 Probeklausur Vorlesung 14: Probeklausur 8 Literatur Haupttextbuch (Ausgewählte Kapitel): Sims, Eric, Julio Garin, and Robert Lester (2017). Intermediate Macroeconomics, https://www3.nd.edu/~esims1/gls_int_macro.pdf. Weitere makroökonomische Lehrbücher: Williams, Stephen D., (2017). Macroeconomics. Pearson, Sixth Edition. Gottfries, Nils (2013). Macroeconomics, Palgrave, First Edition. Sorensen, Peter Birch, and Whitta-Jacobsen, Hans Jorgen (2010). Introducing Advanced Macroeconomics: Growth and Business Cylces, McGraw-Hill, Second Edition. Wickens, Michael (2011). Macroeconomic Theory. A Dynamic General Equilibrium Approach, Princeton University Press, Second Edition. Romer, David, (2012). Advanced Macroeconomics, McGraw-Hill, Fourth Edition. Heijdra, Ben j. (2009). Foundations of Modern Macroeconomics, Oxford University Press, Second Edition. Akademische Forschungsbeiträge: Werden während des Kurses genannt. 9 Literatur Spezifische und fortgeschrittene Textbücher: Wachstum Jones, Charles I., Dietrich Vollrath (). Introduction to Economic Growth, W. W. Norton & Company, Third Edition. Acemoglu, Daron (2009). Introduction to Modern Economic Growth, The MIT Press. Barro, Robert J., and Sala-i-Martin, Xavier (2003). Economic Growth, The MIT Press, Second Edition. Konjunkturzyklen Chugh, Sanjay K. (2015). Modern Macroeconomics. The MIT Press. McCandless, George (2008). The ABCs of RBCs: An Introduction to Dynamic Macroeconomic Models, Harvard University Press. Krüger, Dirk (2012). Macroeconomic Theory, Lecture Notes. http://www.ssc.wisc.edu/~aseshadr/econ714/MacroTheory.pdf Walsh, Carl (2010). Monetary Theory and Policy, The MIT Press, Third Edition. Galí, Jordi (2015). Monetary Policy, Inflation, and the Business Cycle: An Introduction to the New Keynesian Framework and Its Applications, Princeton Press, Second Edition. Internationale Makroökonomie Harms, Phillip (2016). International Macroeconomics, Mohr Siebeck, Second Edition. Uribe, Martin, and Schmidt-Grohé, Stephanie (2017). Open Economy Macroeconomics, Princeton University Press, First Edition. Obstfeld, Maurice, and Rogoff, Kenneth (1996). Foundations of International Macroeconomics, The MIT Press. Végh, Carlos A. (2013). Open Economy Macroeconomics in Developing Countries. The MIT Press. 10 Literatur Forschungsorientierte PhD-Level Bücher (viel höheres Niveau als dieser Kurs): Miao, Jianjun (2014). Economic Dynamics in Discrete Time, The MIT Press. Woodford (2003). Interest and Prices: Foundations of a Theory of Monetary Policy, Princeton University Press. Sargent, Thomas, and Ljungqvist, Lars (2012). Recursive Macroeconomic Theory. Third Edition. Stokey, Nancy L., Lucas, Robert E. Jr., and Prescott, Edward C. (1989). Recursive Methods in Economic Dynamics. Harvard University Press. 11 Informationen zu Übung und Tutorium • Übung: findet 14-tägig statt • Beginn: 23. Oktober 2017 • Übungsleiterin: Josefine Quast • Zeit: montags 14:00 – 16:00 Uhr • Raum: Seminarraum 4119 • Hinweis ausschließlich für erste Übung am Montag: soweit vorhanden, bitte eigenen Laptop mitbringen • Tutorium: wird wöchentlich von Fridtjof Zimmermann angeboten • Beginn: 01. November 2017 • Zeit: mittwochs 08:00 – 10:00 Uhr • Raum: Seminarraum Zwätzengasse 4 • Ausgestaltung: • in der Woche, in der eine Übung stattfindet, wird der Übungsstoff vertieft (‚Pen and Paper Tutorial‘) • in der Woche, in der keine Übung stattfindet, werden Excel-Aufgaben zum jeweiligen Themengebiet gelöst • soweit vorhanden, bitte eigenen Laptop mit Tabellenkalkulationsprogramm zu den Excel Tutorien mitbringen • Weiterer Hinweis: Bitte tragen Sie sich in die Friedolin-Kurse ein, damit wir Sie via E-Mail erreichen können. Vorläufiger Ablaufplan Datum Vl-woche 16.10.-22.10.17 1 23.10.-29.10.17 2 30.10.-05.11.17 06.11.-12.11.17 13.11.-19.11.17 20.11.-26.11.17 27.11.-03.12.17 04.12.-10.12.17 11.12.-17.12.17 18.12.-24.12.17 25.12.-30.12.17 01.01.-07.01.18 08.01.-14.01.18 15.01.-21.01.18 22.01.-28.01.18 29.01.-04.02.18 05.02.-11.02.18 3 4 5 6 7 8 9 10 Übung Tutorium Makroökonomische Variablen und algebraischer Einstieg + plus Excel Übung: BIP Komponenten Deutschland Wachstum – Solow Modell und erweitertes Solow Modell Mikroökonomische Fundierung RBC NKM 1 2 3 4 5 6 7 8 Mathematische Grundlagen Tut: Wachstum Excel: Wachstum Tut: Mikroökonomische Fundierung Excel: Mikroökonomische Fundierung Tut: RBC Excel: RBC Tut: NKM Weihnachten 11 12 13 14 Schocks im NKM, ZLB Finanzkrise/Diskussion Probeklausur 9 10 11 12 13 Excel: NKM Tut: Schocks im NKM, ZLB Excel: Schocks im NKM, ZLB Tut: Finanzkrise Excel: Finanzkrise/Klausurvorbereitung Vorlesung 1: Messung makroökonomischer Variablen, Konzepte der modernen makroökonomischen Modellierung 14 Lernziele der heutigen Vorlesung 1. Wiederholung: Konzepte der wichtigsten makroökonomischen Variablen: BIP, Inflation, Arbeitslosigkeit 2. Die grundlegenden Prinzipien makroökonomischer Modellierung verstehen 3. Verstehen, was die Lucas-Kritik beinhaltet und warum die moderne Makroökonomik auf der Mikroökonomik basiert 15 Literatur Erforderliches Lektüre: Lehrbuch Kapitel 1-3 Optionale Lektüre: Lucas, Robert E., Jr. (1976), “Econometric Policy Evaluation: A Critique,” in Karl Brunner und Alan Meltzer (eds.), The Phillips Curve and Labor Markets. CarnegieRochester Conference Series on Public Policy, Vol. 1, pp. 19-46. Ljungqvist, Lars (2008). Lucas Critique, The New Palgrave Dictionary of Economics, second edition, eds. Steven Durlauf and Larry Blume, Palgrave Macmillan, 2008. 16 Basis der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung BIP: Summe aller zu Marktpreisen bewerteten Waren und Dienstleistungen, die innerhalb einer bestimmten Periode und den geografischen Grenzen einer Volkswirtschaft für den Endverbrauch produziert wurden. “Endverbrauch” meint, dass Zwischengüter nicht in der Berechnung des BIPs eingehen, um deren doppelte Erfassung zu verhindern Das BIP ist sowohl eine Maßeinheit für die Produktion als auch eine Stromgröße. Produktion = Einkommen = Ausgaben Berechnung nach dem Einkommensansatz: 𝐵𝐼𝑃𝑡 = 𝐿öℎ𝑛𝑒𝑡 + 𝑍𝑖𝑛𝑠𝑒𝑛𝑡 + 𝑀𝑖𝑒𝑡𝑒𝑛𝑡 + 𝐺𝑒𝑤𝑖𝑛𝑛𝑒𝑡 Berechnung nach dem Ausgabenansatz: 𝐵𝐼𝑃𝑡 = 𝐾𝑜𝑛𝑠𝑢𝑚𝑡 + 𝐼𝑛𝑣𝑒𝑠𝑡𝑖𝑡𝑖𝑜𝑛𝑒𝑛𝑡 + 𝑆𝑡𝑎𝑎𝑡𝑠𝑎𝑢𝑠𝑔𝑎𝑏𝑒𝑛𝑡 + 𝑁𝑒𝑡𝑡𝑜𝑒𝑥𝑝𝑜𝑟𝑡𝑒𝑡 Kurzschreibweise: 𝑌𝑡 = 𝐶𝑡 + 𝐼𝑡 + 𝐺𝑡 + 𝑁𝑋𝑡 Das Pro-Kopf-Einkommen wird häufig als Maßeinheit für den Lebensstandard oder den Wohlstand eines Wirtschaftsraumes verwendet. Obwohl es als Maß nicht unproblematisch ist, ist es noch immer das beste Maß zur Erfassung der Wirtschaftsleistung, das wir haben. 17 Bestandteile: US-BIP 18 Real vs. Nominal I Das BIP ist in aktuellen Preisen definiert (in Euro, Dollar, usw.): 𝑁 𝐵𝐼𝑃𝑡 = 𝑝1,𝑡 𝑦1,𝑡 + 𝑝2,𝑡 𝑦2,𝑡 + ⋅⋅⋅ +𝑝𝑁,𝑡 𝑦𝑁,𝑡 = 𝑝𝑖,𝑡 𝑦𝑖,𝑡 𝑖=1 Die Preise sind gewissermaßen Gewichte, die die relativen Werte verschiedener Güter widerspiegeln. Diese Definition erschwert allerdings die Vergleichbarkeit des BIPs über die Zeit. Besser: ein „reales“ oder „inflations-bereinigtes“ Maß für das BIP 19 Real vs. Nominal II Im Ein-Güter Fall bezieht sich „real“ auf die Menge des betrachteten Gutes, während sich „nominal“ auf den damit assoziierten Wert, gemessen in Geldeinheiten (d.h. Euro), bezieht. Angenommen, es werden 10 Bierdosen zu einem Wert von 2 € pro Dose produziert. Dann beträgt die reale Menge 10 Dosen, während der nominale Wert dieser 20 € beträgt. 𝑁𝑜𝑚𝑖𝑛𝑎𝑙 𝑝𝑦 𝑅𝑒𝑎𝑙 = = =𝑦 𝑃𝑟𝑒𝑖𝑠 𝑝 Wie diese Logik auf einen Fall, der mehr als ein Gut betrachtet, übertragen werden kann, ist nicht offensichtlich. 20 Real vs. Nominal III Fall mit zwei Gütern: 𝑁𝑜𝑚𝑖𝑛𝑎𝑙 = 𝑝1 𝑦1 + 𝑝2 𝑦2 Konzept der (realen) relativen Preise: Wie viele Einheiten von Gut 2 können mit einer Einheit von Gut 1 erworben werden? 𝑝1 𝑝2 = € 𝐺𝑢𝑡 1 € 𝐺𝑢𝑡 2 = 𝐺𝑢𝑡 2 𝐺𝑢𝑡 1 Beispiel: Angenommen, ein Apfel kostet 5 € und eine Orange 1 €. Dann beträgt der relative Preis 5, d.h., dass 5 Orangen erworben werden können, wenn auf einen Apfel verzichtet wird. Wir können den realen Output (oder BIP) durch eine von zwei Arten bestimmen: In Einheiten von Gut 1 oder in Einheiten von Gut 2: 𝑅𝑒𝑎𝑙1 = 𝑦1 + 𝑅𝑒𝑎𝑙2 = 𝑝1 𝑝2 𝑝2 𝑝1 𝑦2 (in Einheiten von Gut 1) 𝑦1 + 𝑦2 (in Einheiten von Gut 2) 21 Real vs. Nominal IV Das vorherige Vorgehen ist mit vielen Gütern umständlich. Lösung: Geld als Numeraire verwenden und das BIP nominal in Euro angeben durch Konstanthalten der Preise zum realen BIP gelangen. BIP zu konstanten Preisen Gütermenge wird zu verschiedenen Zeitpunkten mit konstanten Preisen bewerten (mit den Preisen des Basisjahres); dadurch Bewertung des realen BIPs in Geldeinheiten, was Vergleich über die Zeit vereinfacht 𝑁 𝐵𝐼𝑃𝑡𝑟𝑒𝑎𝑙 = 𝑝1,0 𝑦1,𝑡 + 𝑝2,0 𝑦2,𝑡 + ⋅⋅⋅ +𝑝𝑁,0 𝑦𝑁,𝑡 = 𝑝𝑖,0 𝑦𝑖,𝑡 𝑖=1 Darauf basierend: Extraktion eines Maßes für das aggregierte Preisniveau mittels des BIP-Deflator 𝐵𝐼𝑃 − 𝐷𝑒𝑓𝑙𝑎𝑡𝑜𝑟 = 𝑁 𝑖=1 𝑝𝑖,𝑡 𝑦𝑖,𝑡 𝑁 𝑖=1 𝑝𝑖,0 𝑦𝑖,𝑡 Inflation: Wachstumsrate des Preisindexes 22 Kettenindex-Verfahren Da der relative Preis über die Zeit variiert, hängt die Wachstumsrate des kontanten Preis-BIPs vom Basisjahr ab. Beispiel: Wirtschaft mit zwei Gütern, Haarschnitte (𝑦1 ) und Computer (𝑦2 ) 𝐺𝐷𝑃𝑡 = € 5 ∗ 100 + € 500 ∗ 10 = € 5500 𝐺𝐷𝑃𝑡+1 = € 10 ∗ 100 + € 300 ∗ 20 = € 7000 Basisjahr 𝑡: 𝑅𝑒𝑎𝑙𝑒𝑠 𝐵𝐼𝑃𝑡 = € 5 ∗ 100 + € 500 ∗ 10 = 5500 𝑅𝑒𝑎𝑙𝑒𝑠 𝐵𝐼𝑃𝑡+1 = € 5 ∗ 100 + € 500 ∗ 20 = 10500 Wachstumsrate: 10500 5500 − 1 = 0.91 = 91% Basisjahr 𝑡 + 1: 𝑅𝑒𝑎𝑙𝑒𝑠 𝐵𝐼𝑃𝑡 = € 10 ∗ 100 + € 300 ∗ 10 = 4000 𝑅𝑒𝑎𝑙𝑒𝑠 𝐵𝐼𝑃𝑡+1 = € 10 ∗ 100 + € 300 ∗ 20 = 7000 7000 Wachstumsrate: 4000 − 1 = 0.75 = 75% Lösung: Kettenindex-Verfahren zweimalige Berechnung des realen BIPs für zwei beliebig aufeinander folgende Jahre, wobei einmal 𝑡 und einmal 𝑡 + 1 als jeweiliges Basisjahr ausgewählt wird Berechnung der jeweiligen Wachstumsrate Ermittlung des Mittelwertes aus beiden Wachstumsraten 23 Reales US BIP (logarithmiert) 10 9.5 9 8.5 8 7.5 7 6.5 6 5.5 5 1875 1885 1895 1905 1915 1925 1935 1945 1955 1965 1975 1985 1995 2005 2015 24 Verbraucherpreisindex (VPI) Der VPI misst das aggregierte Preisniveau, das für Verbraucher relevant ist. Der VPI basiert auf einem Warenkorb, der die Kaufgewohnheiten eines typischen Konsumenten repräsentiert. Dabei wird die Menge der Güter im Warenkorb mit den jeweiligen Preisen multipliziert, um den Gesamtwert des Warenkorbes zu ermitteln: 𝑁 𝑊𝑒𝑟𝑡 𝑊𝑎𝑟𝑒𝑛𝑘𝑜𝑟𝑏𝑡 = 𝑝1,𝑡 𝑥1 + 𝑝2,𝑡 𝑥2 + ⋅⋅⋅ + 𝑝𝑁,𝑡 𝑥𝑁 = 𝑝𝑖,𝑡 𝑥𝑖 𝑖=1 Auswahl eines beliebigen Basisjahres, für das das Preisniveau auf 1 normalisiert wird, und Berechnung des Wertes des Warenkorbs relativ zum Basisjahr: Pt𝑉𝑃𝐼 𝑊𝑒𝑟𝑡 𝑊𝑎𝑟𝑒𝑛𝑘𝑜𝑟𝑏𝑡 = = 𝑊𝑒𝑟𝑡 𝑊𝑎𝑟𝑒𝑛𝑘𝑜𝑟𝑏0 𝑁 𝑖=1 𝑝𝑖,𝑡 𝑥𝑖 𝑁 𝑖=1 𝑝𝑖,0 𝑥𝑖 Inflation: Prozentuale Veränderung des VPI Unterschied zum BIP-Deflator: Berücksichtigung aller für den Verbraucher relevanten Konsumgüter – inklusive Importe – statt Berücksichtigung aller in einer Volkswirtschaft produzierten Güter Konstanthalten der Gütermenge im Warenkorb (Anpassung des Warenkorbs alle 5 Jahre), während der BIP-Deflator die Preise konstant hält 25 26 Kennzahlen des Arbeitsmarktes Schlüsselstatistik: Die Arbeitslosenquote 𝑢= 𝑈 𝑈 = 𝑈 + 𝐸 𝐸𝑃 𝑢: Arbeitslosenquote, 𝑈: Anzahl der Erwerbslosen, 𝐸: Anzahl der Erwerbstätigen, EP = 𝐸 + 𝑈: Erwerbspersonen Der Faktor Arbeit in der Volkswirtschaft: geleistete Arbeitsstunden: 𝑁 = ℎ × 𝐸, ℎ: Mittelwert der Stundenanzahl der Erwerbstätigen Arbeitsstunden pro Person: 𝑛 = ℎ×𝐸 𝐿 (𝐿: Gesamtbevölkerung) Extensive Margin: Anzahl der arbeitenden Personen (𝐸) Intensive Margin: Arbeitszeit pro Person (ℎ) Weitere wichtige Arbeitsmarktstatistiken: Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung: Partizipationsrate: 𝑙𝑓𝑝 = 𝐸 𝐿 𝐸𝑃 𝐿 27 Kennzahlen des Arbeitsmarktes Prozent Prozent Index Prozent Index 28 Was Volkswirte tun Drei miteinander verwandte Fragestellungen: 1. Retrospektive Analyse: was ist warum in der Vergangenheit geschehen 2. Kontrafaktische Analyse: was wäre unter einem alternativen Szenario oder einer anderen Politikausrichtung geschehen 3. Politische Beratung: was kann politischen Entscheidungsträgern hinsichtlich der Zukunftsausrichtung geraten werden (welchen Einfluss haben Politikmaßnahmen auf die künftige Entwicklung der Wirtschaft) Letztlich ist das Ziel von Volkswirten, aussagekräftige Politikempfehlungen zu geben. Um dies zu gewährleisten, sind sowohl die retrospektive als auch die kontrafaktische Analyse unerlässlich. 29 Modelle Die Wirklichkeit ist komplex. Es ist nicht immer einfach, retrospektive Analysen durchzuführen (z.B. warum kam es zur großen Rezession?); auch die Durchführung kontrafaktischer Analysen ist nicht unkompliziert (z.B. wie hätte sich die Wirtschaft in der Eurozone entwickelt, wenn die EZB keine unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen durchgeführt hätte?); noch weniger eindeutig verhält es sich mit zukunftsgerichteter Politikberatung (z.B. (ab wann) sollte die EZB den Leitzins wieder erhöhen?). Die Volkswirtschaft als Disziplin hat den Anspruch, sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu berufen. Dazu würden Ökonomen vorzugsweise Experimente durchführen: Was passiert, wenn die EZB den Leitzins anhebt oder senkt? Gedankenexperiment: Angenommen, mehrere Volkswirtschaften zeichnen sich durch gleiche Grundvoraussetzungen aus: wird nun der Leitzins in einer Gruppe der Volkswirtschaften verändert (Testgruppe), während er in der anderen unverändert bleibt (Kontrollgruppe), kann durch die Ermittlung des Unterschiedes der Effekt der Leitzinsänderung ermittelt werden. Für die meisten makroökonomischen Fragestellungen ist die Durchführung eines solchen Experiments allerdings unmöglich. 30 Ökonomische Modelle Da Realitätsexperimente nicht zur Verfügung stehen, stützen sich Volkswirte auf Modelle der Wirklichkeit. Anhand des Models wird dann versucht, zu wissenschaftlichen Erkenntnissen zu gelangen dazu werden an den Modellen die Experimente durchgeführt, die in der Wirklichkeit nicht umgesetzt werden können die Ergebnisse der Experimente werden dann genutzt, um politische Entscheidungsträger über die Wirkung von Politikmaßnahmen (z.B. Geld- und Fiskalpolitik) zu informieren und zu beraten 31 Variablentypen und Zeitnotation Zwei Arten von Variablen: Exogen und Endogen Exogene Variable: wird als gegeben angenommen und außerhalb des Modells bestimmt. Endogene Variable: wird durch das Modell bestimmt. Variablen werden im Folgenden mit lateinischen Buchstaben definiert. Zeitnotation: Zeit ist diskret. 𝑡 ist die aktuelle Periode. 𝑡 − 1 liegt eine Periode zurück, während 𝑡 + 1 eine Periode in der Zukunft liegt. z.B. 𝑋𝑡 ist der Wert der Variabel 𝑋, der in Periode 𝑡 beobachtet wurde Parameter: festgesetzter Wert, der mathematische Beziehungen in einem Modell regelt. Parameter werden im Folgenden meist mit kleinen griechischen Buchstaben (z.B. 𝛼, 𝛽) definiert, manchmal auch mit kleinen lateinischen Buchstaben ohne Zeitnotation. 32 Ein Modell Modell Exogene Variablen Entscheidungsregeln, die sich aus der Optimierung unter Knappheitsrestriktionen ergeben Endogene Variablen Gleichgewichtsbedingungen (Markträumung) Steuerung durch mathematische Beziehungen und Parameter Ein Modell trifft Vorhersagen für die in ihm enthaltenden endogenen Variablen. 33 Entwerfen/Beurteilen eines Modells Dafür gibt es keine klaren Kriterien. Merkmale eines guten Modells: trifft gute Vorhersagen Besser: trifft Vorhersagen über Aspekte, für deren Erklärung es nicht konzipiert wurde („Überidentifikation”). ist so einfach wie möglich gehalten (Sparsamkeitsprinzip oder „Ockhams Rasiermesser“) Abstraktion von Aspekten, die nicht relevant sind Um so einfacher das Modell gehalten ist, um so leichter fällt es, die ökonomischen Mechanismen zu verstehen. trifft angemessene/nachvollziehbare Annahmen 34 Modelle in diesem Kurs Diese Vorlesung unterteilt makroökonomische Fragestellungen in drei “Fristen”, die durch verschiede Abstraktionsniveaus gekennzeichnet sind: Lange Frist (Jahrzehnte): abstrahiert vom endogenem Arbeitseinsatz und vielen exogenen Schockquellen; Fokus ist auf Kapitalakkumulation und Produktivitätswachstum gerichtet. Solow Modell und andere Wachstumsmodelle. Mittlere Frist (mehrere Jahre): abstrahiert von Kapitalakkumulation, Produktivitätswachstum, nominalem Preis und Lohnrigidität: Neoklassisches oder Real Business Cycle Modell Kurze Frist (Monate bis mehrere Jahre): abstrahiert von Kapitalakkumulation und Produktivitätswachstum; erlaubt Preis- und Lohnrigiditäten: Neukeynesianisches Modell 35 Geschichte der makroökonomischen Modellierung Neoklassisches Wachstumsmodell Traditionelles keynesianisches Modell Lucas Kritik Makroökonometrische Modelle mit expliziter Erwartungsbildung (erste Generation neukeynesianischer Modelle) Vektorautoregressive Modelle (VARs) Modelle realer Konjunkturzyklen Neukeynesianische Modelle (voll mikrofundierte Modelle zweite Generation neukeynesianischer Modelle) Mittelgroße bis große DSGE Modelle Modelle mit heterogenen Agenten 36 Modelle der modernen Makroökonomie Die moderne Makroökonomie basiert auf einem mikroökonomischen Fundament. Zudem spielt die Modellierung von Erwartungen eine zentrale Rolle. Moderne makroökonomische Modelle: Beinhalten fundierte strukturelle Parameter, die Präferenzen, Technologie usw. beschreiben. Differenzieren diese tiefgreifenden strukturellen (politikunabhängigen) Parameter von Parametern, die abhängig von Politikmaßnahmen sind, um aussagekräftige Simulationen von Politikalternativen zu erlauben. In Modellen ohne eine klare Definition struktureller Parameter kann es daher zu einer Vermengung struktureller/politikunabhängige und politikabhängiger Parameter kommen. In solchen Modellen sind Simulationen der Lucas Kritik ausgesetzt (Cowles Kommission). 37 Die Lukas Kritik “The ‘Lucas critique’ is a criticism of econometric policy evaluation procedures that fail to recognize that optimal decision rules of economic agents vary systematically with changes in policy. In particular, it criticizes using estimated statistical relationships from past data to forecast the effects of adopting a new policy, because the estimated regression coefficients are not invariant but will change along with agents’ decision rules in response to a new policy. A classic example of this fallacy was the erroneous inference that a regression of inflation on unemployment (the Phillips curve) represented a structural trade-off for policy to exploit.” The New Palgrave Dictionary of Economics, 2008. Lucas, Robert E., Jr. (1976), “Econometric Policy Evaluation: A Critique,” in Karl Brunner und Alan Meltzer (eds.), The Phillips Curve and Labor Markets. Carnegie-Rochester Conference Series on Public Policy, Vol. 1, pp. 19-46. Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 1995 38 Mikrofundierte repräsentative Agentenmodelle Die Lukas Kritik führte zur Entwicklung mikrofundierter Modellen, in denen es eine klare Unterscheidung zwischen politikabhängigen Parametern und tiefgreifenden/strukturellen/politikunabhängigen Parametern gibt. Solche Modelle werden in der modernen Makroökonomie als “Strukturmodelle” bezeichnet, während einfache empirische Beziehungen mit Hilfe vereinfachter Modelle geschätzt werden. Mit Hilfe mikrofundierter Theorien, die untersuchen, wie Politikmaßnahmen (geld- oder fiskalpolitisch) die Wirtschaft beeinflussen, werden strukturelle und theoretische Modelle entwickelt, die für Politiksimulationen verwendet werden können und die Lukas Kritik adressieren. Nichtdestotrotz treten auch in mikrofundierten Modellen viele Elemente auf, die eher ad-hoc sind, sodass auch makroökonomischen Modelle am aktuellen Forschungsrand viel Freiraum für Subjektivismus bieten. 39 Zusammenfassung Obwohl das BIP ein unvollkommenes Maß ist, ist es noch immer das beste, das für die Ermittlung des aggregierten Produktionsniveaus zur Verfügung steht. Wir unterscheiden zwischen nominalem und realem BIP sowie zwischen absolutem BIP und Pro-Kopf-Einkommen. Zwei Maße für das Preisniveau: BIP-Deflator und Verbraucherpreisindex Die Arbeitslosenquote ist die wichtigste Kennzahl zur Charakterisierung des Arbeitsmarktes. Auch diese Kennzahl ist unvollkommen. Andere Maße, die den Arbeitseinsatz erfassen, sind die geleisteten Arbeitsstunden pro Kopf sowie die Partizipationsrate. Unterscheidung zwischen extensive und intensive Margin. Makroökonomische Modelle werden als Ersatz für makroökonomische Experimente benötigt. Sie sind die Labore der Volkswirte. Moderne Makroökonomie ist mikrofundiert, da die Lukas Kritik besagt, dass eine Veränderung in den wirtschaftlichen Rahmenbedingen zu einem veränderten Konsumenten- und Firmenverhalten führt. 40