Der globalisierte Krieg

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DER ERSTE
WELTKRIEG
DAS ENDE DER IMPERIEN
SERIE Teil IV Der Erste Weltkrieg wurde auf mehreren Kontinenten und auf allen Weltmeeren
geführt. Abertausende Soldaten aus Übersee, die mit den Ursachen des Konflikts nichts zu
schaffen hatten, mussten für den imperialistischen Größenwahn der europäischen Supermächte
Deutschland, Frankreich und England sterben.
Der globalisierte Krieg
Der Erste Weltkrieg war nicht nur eine europäische Katastrophe. Von Stig Förster
K
ut al-Amara, 140 Kilometer südöstlich von Bagdad, am 29. April 1916:
Nach fünf Monaten Belagerung kapitulieren 9300 indische Soldaten und 2500
Briten vor einer türkischen Übermacht. Auf
die Verlierer wartet ein düsteres Schicksal:
Während des Todesmarsches nach Anatolien sterben 4250 Gefangene. Nur der britische General Charles Townshend, der in
Kut das Kommando geführt hat, darf den
Rest des Kriegs in relativem Luxus auf einer Insel vor Konstantinopel verbringen.
Das türkische Heer hat – bis zu seinem
Tod zehn Tage vor dem Fall von Kut – ein
Deutscher befehligt: Generalfeldmarschall
Colmar Freiherr von der Goltz, der davon
träumte, an der Spitze seiner Armee über
Persien bis nach Indien vorzudringen.
Ein Jahr später, Mitte Juni 1917, gerät ein
kleiner Trupp deutscher Infanteristen unter
Amerikanischer Truppentransporter (1917)
der Führung des Offiziers Ernst Jünger in
der Nähe von St. Quentin an der Westfront
in ein nächtliches Gefecht. Den Deutschen
gelingt es, den Feind in die Flucht zu schlagen. Verblüfft mustern sie ihre Gefangenen
– Angehörige der First Hariana Lancers.
Jünger schrieb dazu später in seinem
Kriegsbuch „In Stahlgewittern“: „Wir hatten also Inder vor uns, weit übers Meer gekommen, um sich auf diesem gottverlassenen Stück Erde an Hannoverschen Füsilieren die Schädel einzurennen.“
Beide Episoden verdeutlichen die globale Dimension des Großen Kriegs von
1914 bis 1918. Allein auf Seiten der Engländer kämpften mehrere hunderttausend
Mann aus den britischen Dominions Kanada, Australien und Neuseeland. Hinzu
kamen anderthalb Millionen Soldaten und
„Kulis“ aus der Kolonie Indien. In Afrika
kämpften neben Indern und Südafrikanern
Belgier aus dem Kongo sowie britische,
deutsche und portugiesische Kolonialeinheiten, dazu einheimische Askari von der
deutschen Schutztruppe. Und die USA, die
erst 1917 in den Krieg eintraten, schafften
etwa zwei Millionen Wehrpflichtige zum
Einsatz nach Frankreich. Sie entschieden
den Krieg.
Dass es irgendwann zu einer weltumfassenden Auseinandersetzung kommen würde, hatten schon lange bevor die Schüsse
von Sarajevo fielen, weitsichtige Zeitgenossen geahnt. Bereits 1887 etwa warnte
der preußische General Alfred von Waldersee vor einem Weltkrieg. Acht Wochen vor
dem Beginn des Debakels schwante auch
dem deutschen Reichskanzler Theobald
von Bethmann Hollweg: „Wir treiben dem
Weltkrieg zu.“
INFORMATIONS- U. DOKUMENTATIONSZENTRUM ARMENIEN BERLIN
ALBERT SAMAMA-CHIKLI/M.CULTURE/ARCH.PHOTO/CMN
Und in der Nacht zum
31. Juli 1914, als die Katastrophe schon nicht mehr
aufzuhalten war, erklärte
der deutsche Generalstabschef, Helmuth von Moltke,
seinem Adjutanten finster:
„Dieser Krieg wird sich zu
einem Weltkriege auswachsen, in den auch England
eingreifen wird. Nur wenige
können sich eine Vorstellung über den Umfang, die
Dauer und das Ende dieses
Krieges machen. Wie das alles enden soll, ahnt heute
niemand.“
Aus heiterem Himmel
kam das Desaster nicht.
Wichtige Voraussetzungen
dafür entstanden bereits im
ausgehenden 15. Jahrhundert, als die europäischen
Staaten begannen, sich den
Rest der Welt untertan zu Senegalesische Soldaten*: Kämpfen für die europäischen Kolonialherren
machen. Immer mehr Völker und Staaten kamen durch Entdeckun- sie schon bald direkt aneinander. Zu ei- ropäern werden zu lassen. Es sollte den
gen, wirtschaftliche Vernetzung, aber auch nem Weltkrieg indes eskalierten diese Kon- frisch unterworfenen „Eingeborenen“ keidurch Eroberungen miteinander in Kon- flikte erst, als sie mit einem gesamteu- nesfalls das Schauspiel geboten werden,
dass sich ihre neuen Herren gegenseitig
takt. Dieser Beginn der Globalisierung ropäischen Krieg ineinander flossen.
führte vor allem in Amerika, aber auch auf
Die Tendenz hierzu beschleunigte sich massakrierten.
Als die Berliner Afrikakonferenz (von
anderen Kontinenten zur Vernichtung im Verlauf des 18. Jahrhunderts und erganzer Kulturen, auf deren Trümmern dann reichte zwischen 1792 und 1815 einen 1884 bis 1885) die Spielregeln für die Aufeuropäische Siedlungskolonien entstanden. Höhepunkt. Die Kriege im Gefolge der teilung des Kontinents festlegte, wurde
Gekennzeichnet war dieser Expansions- Französischen Revolution und während der denn auch ausdrücklich beschlossen, die
prozess häufig durch brutale Gewalt. Eu- napoleonischen Herrschaft verheerten afrikanischen Kolonien im Falle eines europäer führten in Übersee nicht nur Krie- schließlich Europa von Lissabon bis Mos- ropäischen Kriegs neutral zu halten. 1914
ge gegen Einheimische. Im Verteilungs- kau und strahlten zudem auf Nord- und allerdings zeigte sich, dass derlei Übereinkampf um Märkte und Kolonien gerieten Südamerika, auf Teile Afrikas und den Na- kommen im Ernstfall das Papier nicht wert
hen Osten, auf die Region am Kaspischen waren, auf dem sie standen.
Meer und auf den indischen Subkontinent
In der Tat nahm der Krieg sofort globale
aus. Sucht man nach einem Weltkrieg vor Dimensionen an. Er griff von Europa prompt
1914, so wird man in jener Periode fündig. auf die Kolonien über. Treibende Kraft war
Seit den achtziger Jahren des 19. Jahr- hierbei zunächst Großbritannien. Der völhunderts brodelte es in Europa erneut, wie- kerrechtswidrige deutsche Überfall auf das
derholt stand der Kontinent am Rande ei- neutrale Belgien bot einen glänzenden Vornes allgemeinen Kriegs. Gleichzeitig rief wand, die Abmachungen der Berliner Afridie schubweise Industrialisierung nicht nur kakonferenz für hinfällig zu erklären.
Spannungen in den europäischen GesellAm 5. August 1914, unmittelbar nach
schaften hervor, sie trieb auch die Globali- Kriegsausbruch, beschloss das Committee
sierung weiter voran. Die Entfernungen of Imperial Defence in London, alle
zwischen den Kontinenten schrumpften, deutschen Kolonien anzugreifen. Britische,
die wirtschaftliche Vernetzung intensivier- französische, indische und südafrikanite sich. Der hektische Imperialismus gegen sche Truppen sollten Deutsch-Ostafrika,
Ende des 19. Jahrhunderts verlieh den eu- Deutsch-Südwestafrika, Togo und Kameropäischen Spannungen eine globale Di- run erobern. Gleichzeitig sollten australimension.
sche, neuseeländische und japanische EinDer Wettlauf nach Afrika war in diesem heiten die deutschen Besitzungen im paziZusammenhang besonders gefährlich. Die fischen Raum und in China attackieren.
Tatsächlich fielen die deutschen NiederVertreter der Kolonialmächte bemühten
sich daher, den „Schwarzen Kontinent“ lassungen in China und im Pazifischen
nicht zum Schlachtfeld zwischen Eu- Ozean schon bald in die Hände der Alliierten. Dabei hatten sich die deutschen Gar* Im Juni 1917 im französischen Saint-Ulrich.
nisonen zum Teil erbittert gewehrt. So hiel-
Die Amerikaner schafften etwa zwei Millionen Soldaten
über den Atlantik an die Westfront nach Frankreich.
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DAS ENDE DER IMPERIEN
Die Welt in Waffen
GROSSBRITANNIEN
KANADA
R US S L A ND
DEUTSCHES REICH
ÖSTERR.-UNGARN
Tsingtau
FRANKREICH
USA
Kriegseintritt April 1917
2 100 000
OSMANISCHES
REICH
Atlantik
CHINA
Kartenausschnitt
französische Kolonien
449 000
Kapitulation
Februar 1916
OSMANISCHES
RUSSLAND
armenische
Bevölkerung
REICH
DeutschSüdwestafrika
Kapitulation Juli 1915
Mittelmächte
Verbündete und
deutsche Kolonien
Entente-Mächte
Verbündete, Kolonien
und Dominions der
Entente sowie
assoziierte Staaten*
neutrale Staaten
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NEUSEELAND
im Krieg eingesetzte
Soldaten außereuropäischer Länder
Kämpfe
*bis
PERSIEN
Bagdad
1600 Soldaten das Leben. Der
siegreiche südafrikanische GeJerusalem
neral Louis Botha ließ erstaunBasra
liche Milde walten und erlaubAkaba
Kuweit
ÄGYPTEN
te den deutschen Siedlern, die
(britisch)
ARABIEN
als Reservisten in der Schutz500 km
truppe gekämpft hatten, auf
Grenzen von 1914
ihre Farmen zurückzukehren.
Sogar Waffen und Munition
ten die noch nicht einmal 5000 Mann star- durften sie mitnehmen, um sich gegen „Einken Verteidiger von Tsingtau, der deutschen geborene“ verteidigen zu können.
Kolonie in China, gut zwei Monate lang geAm schlimmsten wüteten die Kämpfe
gen fast 60 000 japanische Belagerer aus, um Deutsch-Ostafrika. Sie hielten den
bevor sie kapitulierten und unter ehrenvol- ganzen Krieg über an und dehnten sich auf
len Bedingungen in Gefangenschaft gingen. Britisch-Ostafrika, Mosambik und RhodeDer Krieg in Afrika war härter. Togo, sien aus. Auf britischer Seite kämpften
wo kaum deutsche Truppen stationiert wa- rund 160 000 Soldaten aus dem Mutterland
ren, musste sich zwar schnell ergeben. und den Dominions, hinzu kamen mehr
Doch in Kamerun wurde bis in den Januar als eine Million Einheimische als Hilfstrup1916 hinein heftig gekämpft. Erst dann ge- pen und Träger. Ganze Landstriche wurlang es Truppen aus Westafrika, der Kari- den verwüstet. Hungersnöte, Seuchen und
bik und Indien, die unter britischem und Gefechte forderten Tausende von Toten
französischem Kommando
standen, sowie belgischen
Einheiten, diese Kolonie
zu erobern. Den Ort Jaunde fanden sie verlassen
und nahezu unbewohnbar
vor. Die Männer der deutschen Schutztruppe hatten
auf den verbliebenen Möbeln sogar ihre Notdurft
verrichtet, um sie unbrauchbar zu machen.
Der Feldzug in Südwestafrika war zwar bereits am
9. Juli 1915 beendet, doch Feldherren Goltz, Lettow-Vorbeck, Enver Pascha
kostete auch er immerhin Geschick und Rücksichtslosigkeit
Damaskus
AUSTRALIEN
Kut al-Amara
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Kriegsende 1918
unter der Zivilbevölkerung. Die Zahl der
gefallenen Soldaten und Träger auf beiden
Seiten überstieg 120 000 Mann.
Dabei hatten der deutsche Gouverneur
Albert Heinrich Schnee und sein britischer
Amtskollege in Nairobi, Henry Conway
Belfield, zunächst gehofft, ihre Kolonien
aus dem Krieg heraushalten zu können.
Doch unter der „weißen“ Bevölkerung
machte sich sofort nach Bekanntwerden
des Kriegsausbruchs in Europa eine regelrechte Hysterie breit. Im August 1914 wurde nachts in Nairobi wiederholt mit allen
möglichen Waffen in die Luft geschossen,
um vermeintliche deutsche Zeppeline abzuwehren.
Vor allem aber waren die Militärs auf
beiden Seiten nicht bereit, sich die Aussicht auf Kriegsruhm entgehen zu lassen.
Männer wie Paul von Lettow-Vorbeck, der
mit Geschick und Rücksichtslosigkeit die
deutsche Schutztruppe führte und den
Gegner immer wieder
narrte, konnten in den folgenden vier Jahren tatsächlich militärischen Lorbeer ernten. Doch die
ganze Region zahlte einen
bitteren Preis für diesen
Ehrgeiz. Entgegen dem immer noch weit verbreiteten
Mythos war der Krieg in
Afrika alles andere als nur
ein Abenteuer für europäische Heldentypen: Es war
ein grausames Gemetzel.
Eine entscheidende Rolle spielten dabei die DoULLSTEIN BILDERDIENST (L.); AKG (M.); INTERFOTO (R.)
Gallipoli
britische
Kolonien und
Dominions
2 800 000
Kapitulation November 1918
Kamerun
Konstantinopel
Kapitulation
September
1914
Deutsch-Ostafrika
Kapitulation
Oktober 1914
Kauka
su s
Deutsch-Neuguinea
BRIT.-INDIEN
Togo
BULGARIEN
JAPAN
30 000
Kapitulation
November 1914
DEUTSCHES KOLONIALARCHIV/STUB/UNIVERSITÄT FRANKFURT
Deutsche Askari-Kämpfer in Deutsch-Ostafrika: Der Krieg in Afrika war ein grausames Gemetzel
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Doch die schlecht vorbereitete Offensive endete in einer Katastrophe. Für einen
Winterfeldzug in den Bergen war die
osmanische Armee nicht ausgerüstet. Zudem funktionierte der Nachschub nicht.
So erfroren und verhungerten Tausende
von Soldaten. Von 90 000 Mann überlebten nur 12 000.
Ab dem Frühjahr 1915 drangen
im Gegenzug russische Truppen
nach Anatolien vor, wo sie von Teilen der armenischen Bevölkerung
unterstützt wurden. Osmanische
Behörden reagierten darauf mit
äußerster Brutalität. Die angeordnete Deportation der Armenier endete in einem regelrechten Genozid.
Der türkische Kriegseintritt bewirkte eine fundamentale Wende
in der britischen Nahostpolitik, deren oberstes Gebot bis dahin die
Erhaltung des Osmanischen Reiches war. Mitglieder der britischen
Führung wie Außenminister Sir Edward Grey gingen nun so weit, dem
russischen Verbündeten insgeheim
die Überlassung der türkischen
Meerengen zu versprechen.
In der Folgezeit schacherten zudem britische und französische Unterhändler um
ihre jeweiligen Wünsche bei der Aufteilung
des osmanischen Territoriums. Auch die
italienische Regierung machte sich Hoffnungen auf einen erheblichen Anteil an der
zu erwartenden Beute. Der osmanische Sultan, in Personalunion Kalif und damit oberster religiöser Führer des Islam, rief seinerseits den Dschihad, den heiligen Krieg gegen die Ungläubigen, aus, um die muslimischen Untertanen innerhalb des britischen
Empires, vor allem in Indien und im britisch
besetzten Ägypten, sowie die Glaubensbrüder unter russischer Herrschaft zum Aufstand anzustacheln. Er hatte damit letztlich
aber keinen Erfolg. Der Krieg in der LeCORBIS
minions und Kolonien. Sie stellten nicht Japan. Die dortige Führung beschränkte
nur Millionen von Soldaten und Hilfstrupps, sich darauf, deutsche Kolonien in Ostasien
sondern trugen auch einen wesentlichen zu besetzen, verlor aber nahezu gänzlich
den Wettlauf mit Australien und NeuseeTeil der Kriegskosten.
Allein Indien stellte bei Kriegsbeginn ei- land um die deutschen Besitzungen im südnen Kredit in Höhe von 100 Millionen lichen Pazifik. Das durch die Eroberung
Pfund bereit und zahlte anschließend jähr- der deutschen Kolonie Tsingtau ausgelöste
lich 20 bis 30 Millionen Pfund in die Kriegs- direkte Engagement der Japaner in China
kasse des Empires. Der südafrikanische Politiker und Militär Jan
Smuts avancierte zeitweilig sogar
zum Oberkommandierenden des
britischen Expeditionskorps in Ostafrika und stieg später zu einem engen Berater des britischen Premierministers Lloyd George auf.
Auch Frankreich rekrutierte
Zehntausende von Soldaten in
Westafrika und im Maghreb. Massenweise wurden Kolonialsoldaten
– zur Empörung der deutschen Propaganda – sogar auf den europäischen Schlachtfeldern eingesetzt,
wo sie schwere Verluste hinnehmen
mussten.
Aber die Heimatländer der Kolonialsoldaten waren eben keine Siegreiche Briten und Japaner in Tsingtau*
souveränen Staaten. Vielmehr ent- Wurzeln des Zweiten Weltkriegs
schieden die Kolonialherren über
die Köpfe der Betroffenen hinweg, ob und indes entzündete einen Konflikt, der zu
inwieweit sie sich im Krieg zu engagieren den Wurzeln des Zweiten Weltkriegs zu
hatten. Die in Fragen der inneren Politik rechnen ist.
Kurzfristig wesentlich bedeutsamer war
weitgehend souveränen Parlamente der
britischen Dominions wurden von den der Kriegseintritt des Osmanischen Reiches
Gouverneuren noch nicht einmal angehört, – ein Imperium, dessen Territorium seit
als es um die Entscheidung zum Kriegs- 1912/1913 fast gänzlich außerhalb Europas
eintritt an der Seite des Mutterlandes ging. lag. Auf Betreiben des Kriegsministers EnStaatsrechtlich betrachtet blieb dieser Kon- ver Pascha griffen die Osmanen im Oktober
flikt somit über weite Strecken ein Kampf 1914 an der Seite der Mittelmächte in den
zwischen europäisch dominierten Impe- Krieg ein. Ziel osmanischer Eroberungsrien, auch wenn die betroffenen Menschen träume war die Schaffung eines pantürkischen Reiches auf Kosten Russlands.
diese Vorgänge als Weltkrieg erfuhren.
Frühzeitig griffen souveräne außereu- Im Winter 1914/1915 griff eine türkische
ropäische Mächte in den Krieg ein. Ver- Armee in der Kaukasusregion an.
gleichsweise marginal blieb die Rolle des
seit 1902 mit Großbritannien verbündeten * 1914 vor zerstörter deutscher Haubitzenstellung.
DER ERSTE
WELTKRIEG
DAS ENDE DER IMPERIEN
„Ein Volk auf der Schlachtbank“
Im Frühjahr 1915 begann im Osmanischen Reich der Völkermord an den Armeniern.
Das deutsche Kaiserreich deckte das Verbrechen.
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ihr ohnehin in Auflösung begriffener Vielvölkerstaat könnte vollständig auseinander brechen, verschrieben sich die neuen
Machthaber einem radikalen Nationalismus. Die Türken, so ihre Überzeugung,
müssten andere ausrotten, um ihrer eigenen Ausrottung zu entgehen.
Die Deportationen begannen in Zeytun, einem Ort im Taurusgebirge, dem
Franz Werfel in seinem berühmten Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“
ein bewegendes Denkmal gesetzt hat. Im
April 1915 verschanzten sich dort in einem Kloster 150 Deserteure. 4000 türkische Soldaten stürmten das Gebäude.
Einen Tag später wurden die Bewohner
der Stadt, die heute Süleymanli heißt, in die nahe gelegenen
Sümpfe oder die Syrische Wüste
getrieben.
Bald schleppten sich aus fast
allen armenischen Ansiedlungen
des Osmanischen Reiches verängstigte Menschen über die staubigen
Straßen. Oder sie wurden in überfüllten Bahnwaggons wie Vieh
durchs Land transportiert. Wer die
Strapazen überlebte, musste in einem der Konzentrationslager in
der Wüste ausharren, ohne Dach
über dem Kopf. Allenfalls ein
paar Erdlöcher boten spärlichen
Schutz vor Hitze und Kälte.
„Mein Volk“, so die Klage eines
armenischen Geistlichen, „liegt
auf der Schlachtbank.“
Der Regierung des deutschen Kaiserreichs blieb das mörderische Treiben ihres
türkischen Verbündeten nicht verborgen.
Schon am 10. Mai 1915 berichtete der
Konsul in Aleppo, Walter Rößler, von einer „Vernichtung der Armenier in ganzen
Bezirken“. Seine Kollegen aus Erzurum
und Adana schlugen ebenfalls Alarm.
Berlin beeindruckte das nicht. Die Regierung in Konstantinopel hatte militärische Gründe für die Vertreibungen vorgeschoben, und die deutsche Regierung
hielt sich an diese Version. Die Maßnahmen, so der deutsche Botschafter Hans
Freiherr von Wangenheim, bedeuteten
zwar eine „große Härte“, seien aber „leider nicht zu vermeiden“.
Erst als die Kriegsgegner Deutschlands
das Kaiserreich für die grausamen Massaker mitverantwortlich machten, entCENTRE DE DOCUMENTATION ARMENIEN / GAMMA / STUDIO X
D
ie Männer holten sie zuerst. Eines hinterlistig – Stereotype, wie sie die
Sommermorgens im Jahre 1915 antisemitische Hetze in Deutschland auch
führten türkische Häscher alle gegen Juden benutzte. „Der Armenier
männlichen Bewohner von Adiyaman ab. ist der schlechteste Kerl von der Welt“,
schrieb Karl May, der in seinem LeIhre Familien sahen sie nie wieder.
Als Nächstes traf die zurückgeblie- ben nie mit Armeniern zusammengetrofbenen Frauen und Kinder der Bann- fen war.
Die Menschen, gegen die sich diese
strahl der Machthaber in Konstantinopel. Sie wurden aus ihrer Heimatstadt ge- Schmähungen richteten, lebten vor allem
jagt und wochenlang kreuz und quer durch im Ostteil des Osmanischen Reiches, an
die glühende Hitze getrieben. 2000 Men- der Grenze zu Persien und zum türkischen, ohne Wasser und ohne Brot. Müt- schen Erzfeind Russland, wo es ebenfalls
ter, deren Säuglinge in ihren Armen große armenische Siedlungsgebiete gab.
Die Armenier waren besser ausgebildet
starben. Junge Mädchen, die sich ängstlich vor Vergewaltigungen zu schützen als ihre türkischen oder kurdischen Nachbarn und deshalb zu einem wichtigen
suchten.
Das Wenige, was die Verbannten am Leibe mitführten, nahmen
ihnen schon bald Wegelagerer
ab. Wen die Kräfte verließen, der
blieb am Straßenrand liegen. Über
dem Land lag beißender Verwesungsgeruch.
Vergebens hatten die verzweifelten Frauen den Gouverneur in
Adiyaman angefleht, sie nicht erst
auf lange Todesmärsche zu schicken, sondern gleich zu erschießen.
Nicht einmal diese Gnade mochte
Konstantinopel seinen armenischen Untertanen gewähren.
Seit Oktober 1914 stand das
Osmanische Reich an der Seite
Deutschlands und Österreichs im Armenische Mutter mit totem Kind
Krieg, und im Schatten der großen Beißender Verwesungsgeruch
Schlachten orchestrierte die Regierung noch ein anderes blutiges Pro- Wirtschaftsfaktor im Vielvölkerstaat aufjekt – die Vertreibung und Ermordung gestiegen. Schmiede und Schlosser, Maurer und Schneider, Apotheker und Adder christlichen Armenier.
Es war ein Genozid, der an Grausam- vokaten gehörten überwiegend der christkeit wohl nur noch vom Holocaust an den lichen Minderheit an.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts begeiseuropäischen Juden mehr als zwei Jahrzehnte später überboten wurde. Über terten sich armenische Intellektuelle zueine Million Menschen starben qualvoll, nehmend für nationale Bewegungen –
und auch diesmal waren die Deutschen eine Entwicklung, die in Konstantinopel
mit Misstrauen registriert wurde. Zumal
nicht ohne Schuld.
Zwar hatte das Kaiserreich den Völ- sich auch die europäischen Mächte und,
kermord nicht initiiert, wie es die Propa- fataler noch, das am Bosporus verhasste
ganda der Entente behauptete. Aber Ber- Russland für mehr Eigenständigkeit der
lin deckte ihn. Aus Sorge, den Waffen- armenischen Minderheit stark machten.
bruder am Bosporus zu verlieren, aber Schon 1895 begannen antiarmenische Powohl auch, weil viele im wilhelminischen grome, bei denen Tausende starben.
Die Lage spitzte sich zu, als 1913 MitDeutschland die Abneigung der Türken
glieder der jungtürkischen Bewegung im
gegen die Armenier teilten.
„Blutsauger“ seien sie, hieß es, und Osmanischen Reich die Alleinherrschaft
„gewissenlose Krämer“, verschlagen und übernahmen. Getrieben von der Angst,
ALBERT SAMAMA-CHIKLI/M.CULTURE/ARCH.PHOTO/CMN
Französische Truppen in Tunesien (1916): Ganze Landstriche verwüstet
vante wurde vor diesem Hintergrund von allen Seiten mit großer Härte geführt. Die
Folgen waren verheerend. Die ganze Region geriet in Brand. Im Verlauf des Jahres
1915 scheiterte der britische Durchbruchversuch auf der Halbinsel Gallipoli, der die
Eroberung Konstantinopels einleiten sollte.
Den Truppen des Empires gelang es nicht,
die türkischen Stellungen auf den Hügeln
der Halbinsel zu stürmen. Mehr als 50000
Mann, unter ihnen viele Australier und
Neuseeländer, kamen bei dem Desaster ums
Leben. Die Tragödie von Gallipoli wirkt bis
heute in Australien als Trauma nach und
wurde 1981 mit dem jungen Mel Gibson in
der Hauptrolle meisterhaft verfilmt.
Auch das zum Osmanischen Reich
gehörende Mesopotamien, das Gebiet des
heutigen Irak, wurde zum Kriegsschauplatz,
nicht zuletzt wegen seiner Ölquellen. Im
November 1914 landeten britische und indische Truppen an der Küste und nahmen
schon bald Basra ein. Vorstöße in Richtung
Bagdad kamen jedoch nur mühsam voran
und wurden mit der Kapitulation von General Townshends Division in Kut al-Ama-
Suezkanal scheiterten. Auf der Arabischen
Halbinsel entwickelte sich derweil ein brutaler Kleinkrieg. Den von der HaschemitenDynastie des Emirs von Mekka geführten
arabischen Aufstand unterstützten die britischen Behörden in Ägypten zunächst nur
halbherzig. Aber der junge Archäologe und
Offizier Thomas Edward Lawrence, der als
Beobachter nach Mekka entsandt worden
war, ergriff die Chance, seinen Tatendrang
zu stillen. In enger Zusammenarbeit mit
Feisal, dem Sohn des Emirs, intensivierte er
den Guerillakrieg gegen die Türken. Mit
der waghalsigen Einnahme der Hafenstadt
Akaba errang der exzentrische Abenteurer endgültig Kriegsruhm als „Lawrence of
Arabia“.
Die Hoffnungen der Haschemiten auf die
Gründung eines neuen arabischen Reiches
erfüllten sich nicht. Sie scheiterten an den
imperialistischen Expansionsansprüchen
Großbritanniens und Frankreichs. Nicht
einmal Lawrence, der vom Doppelspiel der
Politiker angewidert war und sich auf die
Seite der Haschemiten schlug, konnte daran etwas ändern.
Die Deutschen entsandten nicht
nur Offiziere, Piloten und Material
auf den nahöstlichen Kriegsschauplatz, sondern sogar ein eigenständiges Asien-Korps, das bis zum
Frühjahr 1918 eine Stärke von 18000
Mann erreichte. Hochrangige deutsche Heerführer wie Generalfeldmarschall von der Goltz sowie die
Generale Otto Liman von Sanders
und Erich von Falkenhayn übernahmen im Verlauf des Kriegs verschiedene führende Kommandoposten an den Fronten des Nahen
Ostens. Allerdings war der deutsche
Einfluss im Osmanischen Reich
zu keiner Zeit bestimmend. Die
entschieden nationalistische türkische
Führung achtete streng darauf, das Heft in
der Hand zu behalten. Einen deutschen
Lawrence konnte es unter diesen Umständen nicht geben.
Der Krieg tobte schließlich auch in Palästina, Syrien und im Libanon. Die Zionisten
INFORM.- U. DOKUMENTATIONSZENTRUM ARMENIEN BERLIN
schloss sich Berlin, in Konstantinopel zu
protestieren – besorgt allerdings mehr um
den eigenen Ruf als um das Leben der
Armenier. Er habe die Hohe Pforte, so
Botschafter Wangenheim im Juli 1915,
„darauf aufmerksam gemacht, dass wir
Deportationen der Bevölkerung nur insofern billigen, als sie durch militärische
Rücksichten geboten“ sind.
Konstantinopel blieb uneinsichtig –
und konnte sich dabei auch auf deutsche
Militärs berufen, die das Kaiserreich zur
Reorganisation der osmanischen Armee
an den Bosporus entsandt hatte. Etwa auf
Korvettenkapitän Hans Humann, der
feststellte: „Die Armenier wurden jetzt
mehr oder weniger ausgerottet. Das ist
hart, aber nützlich.“ Oder auf den Offizier Eberhard Wolffskeel, für den die Deportation der Bewohner von Zeytun
„eine günstige Gelegenheit“ war, endlich
„aufzuräumen“. Nur Paul Graf WolffMetternich, seit dem 15. November 1915
Botschafter in Konstantinopel, mochte
nicht stillhalten. Knapp einen Monat nach
seinem Amtsantritt schrieb er an Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg, dass gegen die „Armeniergräuel“
unbedingt „schärfere Mittel notwendig“
seien – etwa die Veröffentlichung eines
scharfen Protestes in deutschen Zeitungen.
Bis dahin hatten die Deutschen in der
zensierten Presse des Kaiserreichs von
den Vorgängen im Osmanischen Reich
kaum etwas erfahren. Und auch jetzt
lehnte Bethmann Hollweg jede öffentliche Verurteilung des Bündnispartners ab.
„Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis
zum Ende des Krieges an unserer Seite zu
halten, gleichgültig, ob darüber Armenier
zu Grunde gehen oder nicht“, schrieb er
unter die Metternich-Vorlage.
Zehn Monate später musste
der Botschafter seinen Posten
räumen. Die meisten Deutschen
konnten auch weiterhin allenfalls in Kirchenblättchen lesen,
dass im Osmanischen Reich gerade ein ganzes Volk ausgelöscht wurde.
Adolf Hitler allerdings muss
über das Schicksal der Armenier wohl informiert gewesen sein – und hoch erfreut darüber, dass der Genozid nach
Kriegsende so schnell in Vergessenheit geraten war. „Wer
spricht heute noch vom Völkermord an
den Armeniern?“, soll der Diktator seine
Zuhörer im August 1939 auf dem Obersalzberg spöttisch gefragt haben.
Gut zwei Jahre danach begannen die
Massendeportationen in die deutschen
Vernichtungslager.
Karen Andresen
Deportation von Armeniern (1915)
Kreuz und quer durch glühende Hitze
ra vorläufig gestoppt. Aber die Briten gaben
nicht auf und schickten Verstärkungen. Am
11. März 1917 fiel Bagdad dann doch. Die
Kampfhandlungen im nördlichen Mesopotamien gingen danach bis Kriegsende weiter.
Auf dem Sinai wurde ebenfalls gekämpft,
zwei osmanische Vorstöße gegen den
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DAS ENDE DER IMPERIEN
FRÉDÉRIC GADMER/MUSÉE ALBERT KAHN/DÉPARTEMENT DES HAUTS-DE-SEINE
DER ERSTE
WELTKRIEG
Britische Soldaten vor Beirut (November 1919): Der gesamte Nahe Osten versank im Chaos
unterwerfen. Immerhin, das Osmanische Osten zu kompensieren. Es war kein Zufall,
Reich hatte vier Jahre lang einen äußerst dass jene Mächte, denen auf diese Weise
harten Krieg an mehreren Fronten durch- der Zugang zu den Weltmeeren versperrt
gestanden, was ihm vorher kaum jemand wurde, am Ende zu den großen Verlierern
zugetraut hätte.
gehörten. Während ihre Kriegswirtschaft
Der Preis war enorm: Etwa eine Million nämlich immer weniger in der Lage war,
Menschen, die ermordeten Armenier nicht den Bedarf zu decken, konnten sich die Enmitgerechnet, waren ums Leben gekommen. tente-Mächte nahezu ungehindert auf dem
Der gesamte Nahe Osten versank im Cha- Weltmarkt bedienen. Ihre Kolonialimpeos. Die späteren Friedensregelungen sorgten rien waren dabei sehr hilfreich. Doch geradezu entscheidend war der Zugang zum
dafür, dass dies noch lange so blieb.
Der Erste Weltkrieg US-amerikanischen Markt.
Für die Wirtschaft der USA eröffneten
war von Anfang an auch
und gerade ein Wirt- sich glänzende Möglichkeiten. Zwischen
schaftskrieg. Langfristig 1914 und 1917 vervierfachten sich die Exvon größter Bedeutung porte. Allein die Eisen- und Stahlprodukwar der Zugang zu den tion stieg um 76 Prozent. Auch die LandWeltmärkten. Die Wirt- wirtschaft erreichte traumhafte Zuwachsschaft der europäischen raten. Die Masse dieser Exporte ging an die
Mächte war nämlich Entente-Mächte. Obwohl die USA offiziell
längst viel zu sehr von ihre Neutralität erklärt hatten, ergriffen sie
den globalen Handels- damit indirekt Partei.
strömen abhängig, um,
Die deutsche Führung hielt sich daher
nur auf sich selbst ange- für berechtigt, mit modernsten militäriwiesen, auf Dauer über- schen Mitteln ihrerseits eine Blockade des
leben zu können. See- Transatlantikhandels aufzubauen. U-Booblockaden erwiesen sich te sollten Großbritannien von den lebensals eine wichtige Waffe, notwendigen Importen abschneiden. Doch
Türkische Artillerie auf Gallipoli: Dschihad gegen die Ungläubigen um den Feind durch Ab- die taugten nur bedingt zur Blockade, soschnürung der Lebens- lange sie nicht ohne Rücksicht auf zivile
Briten. In den folgenden Monaten drang mittel-, Rohstoff- und Warenzufuhr zu und neutrale Ziele eingesetzt wurden.
Nach langen internen Machtkämpfen setzAllenby immer weiter nach Norden vor. schwächen.
So sperrten Großbritannien und Frank- ten sich innerhalb der Reichsleitung
Am 1. Oktober 1918 rückte australische Kareich die Zufahrten zum Atlantik und zum schließlich Anfang 1917 jene durch, die den
vallerie in Damaskus ein.
Während das Osmanische Reich im Sü- Mittelmeer. Die davon betroffenen Mittel- unbeschränkten U-Boot-Krieg trotz aller
den auseinander brach, versuchte die türki- mächte und ihre Verbündeten blockierten Warnungen aus Washington befürwortesche Führung, sich durch eine letzte, fast ihrerseits den russischen Außenhandel ten. Die Folge war der Kriegseintritt der
aberwitzige Kraftanstrengung im Norden durch die Ostsee und durch die türkischen USA am 6. April 1917 – einem Karfreitag.
US-Präsident Woodrow Wilson war über
Luft zu verschaffen. Russland war durch Meerengen. Die schlechte Infrastruktur
Kriegsniederlage, Revolution und Bürger- machte es Russland unmöglich, die dadurch die deutsche Hinterhältigkeit empört, zukrieg geschwächt. Im Herbst 1918 drangen entstandenen Ausfälle über seine eisfreien mal auch noch ein dummdreistes Teletürkische Truppen bis nach Baku vor, um Häfen im hohen Norden und im Fernen gramm von Staatssekretär Arthur Zimdie muslimischen Brüder in Aserbaidschan
zu befreien und ein neues Reich zu gründen.
Doch es war bereits zu spät. Am 31. Ok- Die Sieger erwiesen sich als unfähig, aus der globalen
tober 1918 musste die osmanische Führung
sich dem Diktat der siegreichen Briten Katastrophe die richtigen Schlüsse zu ziehen.
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stellten eigene Einheiten zusammen, um
durch die Unterstützung der Briten ihrem
Ziel, der Errichtung eines eigenen jüdischen Staats, näher zu kommen. Im Herbst
1917 startete General Edmund Allenby von
der Sinai-Halbinsel aus eine britische
Großoffensive. Am 9. Dezember 1917 fiel
Jerusalem, das seit 1517 in türkischer Hand
war. Der theatralische Einzug in die Heilige Stadt, noch dazu kurz vor Weihnachten,
war ein großer Propagandaerfolg für die
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DER ERSTE
WELTKRIEG
DAS ENDE DER IMPERIEN
im Oktober 1918, um Waffenstillstand zu
bitten. Grundlage sollte das VierzehnPunkte-Programm von Präsident Wilson
sein, das, ausgehend vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, einen gerechten
Frieden versprach. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte betraten die USA die Bühne als Weltmacht.
Der Erste Weltkrieg endete mit einer
merklichen Verschiebung der globalen
Kräfteverhältnisse. Vier Imperien waren
zusammengebrochen: das Deutsche Reich,
Österreich-Ungarn, das Russische Reich
und das Osmanische Reich. Mit Finnland,
den baltischen Ländern, Polen, Ungarn,
Österreich, der Tschechoslowakei und dem
ROGER-VIOLLET
mermann abgefangen worden war, in welchem dieser die Regierung Mexikos aufforderte, die USA anzugreifen. Der Idealist
Wilson verfolgte das Ziel, der Demokratie
zum Sieg zu verhelfen. Obendrein lagen
die Sympathien in den USA mehrheitlich
auf Seiten der Entente.
Aber mindestens ebenso wichtig war,
dass die USA in den letzten Jahren geradezu süchtig nach dem Handel mit den Entente-Mächten geworden waren. Die glänzende Konjunktur war in Gefahr, wenn die
Handelspartner und Schuldner von den
Mittelmächten besiegt werden würden. So
spielten wirtschaftliche Motive eine ganz
erhebliche Rolle dabei, die USA in den
Antibritische Demonstration in Indien (1920): Verlangen nach Selbstbestimmung
Krieg hineinzutreiben. Spätestens jetzt war
der Weltkrieg endgültig da, zumal die meisten Staaten Lateinamerikas dem Beispiel
Washingtons folgten.
Die deutsche Führung war davon ausgegangen, dass die USA kaum in der Lage
sein würden, größere Truppenkontingente nach Europa zu entsenden. Welch ein
Irrtum! Innerhalb von anderthalb Jahren wurde aus der 200 000 Mann starken Berufsarmee nach Einführung der
allgemeinen Wehrpflicht ein Heer von
vier Millionen. Etwa zwei Millionen GIs
schafften die Amerikaner ohne Verluste
über den Atlantik an die Westfront nach
Frankreich.
Sie entschieden den Krieg. Nicht dass
sie besonders gut ausgebildet und ausgerüstet gewesen wären. Doch die schiere
Masse dieser frischen Soldaten erdrückte
die erschöpften deutschen Divisionen. Dabei kamen rund 117 000 US-Soldaten durch
Feindeinwirkung oder infolge von Krankheiten ums Leben.
Die schweren Niederlagen an der Westfront, der Zusammenbruch der Verbündeten und dann auch noch die Revolution im
eigenen Land zwangen das Deutsche Reich
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späteren Jugoslawien entstanden neun
neue Staaten. Großbritannien, Frankreich
und Italien erschienen als siegreiche Großmächte. Japan hatte seine Großmachtstellung in Ostasien gefestigt.
Dieser Krieg war in all seiner Grausamkeit Ausdruck der fortschreitenden Globalisierung. Er wurde nicht nur auf mehreren
Kontinenten und allen Weltmeeren geführt,
sondern er verschob riesige Armeen samt
ihrem Tross über Tausende von Kilometern hinweg. Dass sich dies technisch und
logistisch überhaupt ermöglichen ließ, demonstrierte, wie klein die Welt geworden
war. Es wurde zudem deutlich, wie eng sich
das Netz der Weltwirtschaft verflochten
hatte. Wer vom Weltmarkt ausgeschlossen
war, hatte auf Dauer keine Chance.
Die Öffnung der Märkte und damit die
weitere, diesmal friedliche Globalisierung
war eines der wichtigsten amerikanischen
Kriegsziele gewesen. Durch die erneute
Selbstisolation der Vereinigten Staaten
nach dem Krieg – der US-Senat verweigerte im März 1920 die Ratifizierung des
Versailler Vertrags – aber wurde dieses Ziel
verraten und auch die Gesundung der
schwer beschädigten Weltwirtschaft bed e r
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hindert. Die von Wilson verfolgten multilateralen Prinzipien blieben somit letztlich
Papier, und überall gewannen die nationalen Egoismen die Oberhand.
Für die Kolonialreiche hatte der Krieg
noch eine andere bedenkliche Folge: Die
Sieger konnten sich nämlich die deutschen
Kolonien und die okkupierten Teile des
Osmanischen Reichs nicht einfach einverleiben. Diese Gebiete wurden ihnen vielmehr als Mandate vom neu gegründeten
Völkerbund übergeben, verbunden mit der
ausdrücklichen Aufforderung, deren Unabhängigkeit vorzubereiten. Doch wenn
diesen Gebieten zumindest langfristig das
Recht auf Selbstbestimmung zuerkannt
wurde, warum dann nicht auch den anderen Kolonien?
Die Dominions des britischen Empires
hatten im Krieg an Selbstbewusstsein gewonnen und strebten in der Folgezeit nach
größerer Selbständigkeit. Aber auch in Kolonien wie Indien wuchs das Verlangen nach
Selbstbestimmung. Der indische NationalKongress, Mahatma Gandhis Partei, berief
sich fortan auf das Selbstbestimmungsrecht
der Völker und vergaß auch nicht, an den
erheblichen Beitrag zu erinnern, den Indien
in diesem Krieg geleistet hatte.
Die Forderungen der indischen Nationalisten dienten den antikolonialistischen
Bestrebungen in anderen Teilen der Welt in
den folgenden Jahrzehnten als Vorbild.
Durch den Sieg im Ersten Weltkrieg hatten
das britische und das französische Kolonialreich ihre größte territoriale Ausdehnung erreicht. Doch gleichzeitig begannen
sich jene Kräfte zu regen, die nach dem
Zweiten Weltkrieg ihren Untergang herbeiführten.
Die Sieger erwiesen sich als unfähig, aus
der globalen Katastrophe des Ersten Weltkriegs die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Statt sich der Herausforderung der Globalisierung zu stellen und sich um die Schaffung einer offeneren und gerechteren Weltordnung zu bemühen, beharrten sie auf jenem nationalistischen Kleingeist, welcher
1914 das Unheil heraufbeschworen hatte.
Die in den Pariser Vorortverträgen ausgehandelte Friedensordnung provozierte auf
Dauer neue Konflikte.
Der britische Offizier Archibald Wavell,
der unter General Allenby im Nahen Osten
gedient hatte, kommentierte das Ergebnis
sarkastisch: „Nach dem ‚Krieg zur Beendigung aller Kriege‘ scheinen sie in Paris ziemlich erfolgreich an einem ‚Frieden zur Beendigung allen Friedens‘ gearbeitet zu haben.“
Stig Förster, 52, ist Professor für Neueste
Allgemeine Geschichte an der Universität
Bern.
Im nächsten Heft
DER KAMPF IN DEN KÜCHEN
Aus den Protesten gegen die Mangelwirtschaft
entstand der Aufstand gegen das Kaiserreich.
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