Vorwort - Linde Verlag

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Vorwort
Generationen von Juristen wuchsen mit dem Grundsatz heran: „Keine Strafe ohne Schuld“. Seit 1.1.2006 ist dieses tragende Prinzip des Strafrechts
partiell zu revidieren: Mit Inkrafttreten des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes (VbVG) sind – vereinfacht gesagt – Unternehmen, die als solche ja
kein Schuldvorwurf treffen kann, unter bestimmten Umständen strafrechtlich verantwortlich zu machen.
In diesem Zusammenhang gewinnt das Risikomanagement, gewissermaßen als komplementärer Bereich der Unternehmensverantwortlichkeit, weiter
an Bedeutung. Vor dem Hintergrund der neuen Rechtslage muss dieses Segment des Unternehmensmanagements seinen Blick nun auch auf die Prävention von „strafrechtlichen Schäden“ lenken.
Als erste universitäre Einrichtung projektierte das Institut für Strafrecht,
Strafprozessrecht und Kriminologie der Karl-Franzens-Universität Graz unter
der wissenschaftlichen Leitung der Professoren Schick, Schilcher und Soyer
im WS 2005/06 – also praktisch noch vor Inkrafttreten des VbVG – ein Seminar mit dem anspruchsvollen Titel: „Anleitung zu einer strafrechtlichen Prävention und Konfliktbereinigung in Unternehmen (strafrechtliches Riskmanagement)“. Dabei wurde besonderer Wert auf eine praxisorientierte universitäre Ausbildung von Dissertanten und Diplomanden sowie auf die Fortbildung für rechts- und wirtschaftsberatende Berufen gelegt. Das definierte
Ziel dieses Seminars war die Entwicklung eines anwendbaren Instrumentariums für unternehmerische Vorkehrungen gegen das Risiko strafrechtlicher
Verfolgung auf Grund des neuen VbVG.
Um den nötigen Praxisbezug herzustellen, wurde eine enge Zusammenarbeit mit dem LKH-Universitätsklinikum Graz vereinbart und durchgeführt.
Der Betrieb von Krankenhäusern ist bekanntlich insbesondere im spitzenmedizinischen Bereich mit einer hohen Risikointensität verbunden.
Fast täglich werden wir mit Medienberichten über in Krankenanstalten
unterlaufene Behandlungsfehler mit schwerwiegenden Folgen konfrontiert;
ebenso mit sehr allgemein gehaltenen Zustandsberichten über Gesundheitseinrichtungen, die ein uU etwas überzeichnetes Bild von Organisationsmissständen aufzeigen sollen (zB „News“ Nr 39/2005 vom 29.9.2005, 53 ff: „Topmediziner klagt an: Das kranke System fordert jährlich 6.800 Tote“; oder
„Kleine Zeitung“ vom 25.10.2006, 12: „In Italien sterben täglich 90 Patienten durch Fehler in der ärztlichen Behandlung“).
Die aktive Seminarteilnahme von leitenden Angestellten (Entscheidungsträgern) der KAGes sowie des LKH-Universitätsklinikums Graz führte das
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Seminar auf den realen Gehalt des Fehlergeschehens in solchen Anstalten
zurück und machte vor allem deutlich, welche Anstrengungen die Trägerorganisation unternimmt, das Risikomanagement in die Unternehmensführung
zu integrieren (unternehmensinterne Ausbildung zum Risikomanager). Gerade
deshalb war die Teilnahme der verantwortungsbewussten Manager von KAGes
und des LKH-Universitätsklinikums Graz so wichtig für ein gutes und ausgewogenes Gelingen dieses universitären Initiativschrittes.
Der vorliegende Sammelband ist das redigierte und ergänzte literarische
Ergebnis des angezeigten Seminars. Einige Beiträge sind nicht mehr auf die
Risikoebene von Krankenanstalten beschränkt. Wir wollten schließlich
wesentliche Aspekte des VbVG und des Risikomanagements in einer Form
bearbeiten, die die Ergebnisse „branchenunabhängig“ macht.
Den Reigen der Beiträge eröffnet die Fallstudie von Kaufmann und Ploier: Einige von österreichischen und deutschen Höchstgerichten entschiedene
Fälle von Behandlungsfehlern iwS, die auf Organisationsmängel zurückzuführen sind, werden aufgelistet. „Wie weit kann das bisher bloß zivilrechtlich
erfasste ‚Organisationsverschulden‘ Grundlage für eine (neue) strafrechtliche
Verantwortlichkeit des Unternehmens bilden?“, ist die den Ausgangspunkt
der Untersuchung bildende Fragestellung.
Die dogmatischen Grundlagen sowie wichtige Begriffserklärungen („Verband“, „Entscheidungsträger“, „Mitarbeiter“) des VbVG arbeitet Zirm in zwei
grundlegenden Beiträgen heraus.
Da „Organisationsverschulden“ auf Organisationsmängeln beruht, werden
im folgenden Beitrag von Schwarz/Steineder die Organisationspflichten des
Verbandes (in unserem Fall: des Krankenanstaltenträgers) untersucht und
analysiert. Nach dieser, ein Kernstück des materiellen Verbandsverantwortlichkeitsrechts bildenden, ins Medizinrecht ressortierenden Abhandlung
befassen sich die beiden nämlichen Autor(inn)en mit dem im VbVG vorgesehenen Sanktionenrepertoire und der – einstweilen noch virtuellen – Sanktionsbemessung in Fällen der strafrechtlichen Verbandsverantwortlichkeit.
Schon hier ergeben sich – wie späterhin in verfahrensrechtlichen Beiträgen
ergänzt – gewisse gesetzliche Defizite in Bezug auf eine effiziente Prävention
mit Blick auf die Unternehmensführung.
Prozessuale Aspekte des VbVG, im Besonderen das weitreichende Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft, werden in den Beiträgen von Konopatsch, Hauser, Grohmann und Scheck abgehandelt. Wie sich die prozessuale Praxis in Wirklichkeit entwickeln wird, kann allerdings heute noch
nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden. Wird das VbVG bloß subsidiär Anwendung finden, wenn die individuelle Strafbarkeit von Entscheidungsträgern
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bzw Mitarbeitern entfällt, oder wird es parallel zur Individualverantwortung
eingesetzt werden?
Zum Risikomanagement als bedeutende unternehmerische Führungsaufgabe leiten drei weitere Beiträge über: Herzog behandelt ganz generell die
Herausforderungen unserer techniküberladenen Zeit an das Risikomanagement in Spitälern. Paulitsch sowie (noch einmal) Schwarz stellen ganz spezielle Schienen und Technologien des Risikomanagements vor, die geeignet
erscheinen, Fehleranfälligkeiten in Organisation und Betriebsablauf von
Unternehmen zu minimieren (Compliance Codes; eHealth-RFID-Technologie). Den Abschluss des so überaus praxisrelevanten, wichtigen Abschnitts
über Präventionsstrategien bildet der Beitrag des praxisbewährten Versicherungsrechtlers und -technikers Gisch über die möglichen Auswirkungen des
VbVG auf Rechtsschutz- und Allgemeine Haftpflicht-Versicherung.
Den Präventionsstrategien kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil
– nach der Intention des Gesetzgebers – Prävention das wichtigste Ziel des
VbVG ist. In gleichem Maß gilt dies für das Risikomanagement. Der Unterschied liegt (ua) im Schutzobjekt: das VbVG bezweckt den Schutz der
Öffentlichkeit, das Risikomanagement soll den Betrieb, das Unternehmen vor
Schäden bewahren.
Die bekannte, etwas salopp formulierte Regel aus dem Risikomanagement
verträgt sich aber durchaus auch mit der präventiven Zielsetzung des VbVG:
Es ist nicht zu fragen, weshalb der Tormann den Elfmeter nicht gehalten hat,
sondern es ist zu fragen, weshalb es denn zum Elfmeter gekommen ist.
Die in diesem Buch zusammengefassten Arbeiten sollen darauf in der Praxis der Unternehmensführung und -beratung verwertbare Antworten geben
oder zumindest die Diskussion weiter fortführen.
Last but not least sei auf die allgemeine Einführung in die Unternehmensverteidigung und Verbandsverantwortlichkeit von Hilf und Soyer hingewiesen, die den Abschnitten über materielle und prozessuale Aspekte des Unternehmensstrafrechts sowie jenem über Präventionsstrategien vorangestellt ist.
Marianne Hilf, Willibald Pateter
Peter J. Schick, Richard Soyer
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