Diagnostik im Dialog • Ausgabe 51 • 12/2016 | Medizinischer Stellenwert der Anti-HBc-Testung | Medizin Medizinischer Stellenwert der Anti-HBc-Testung Status quo PD Dr. Jens Verheyen, Institut für Immunologie und Genetik, Kaiserslautern fotolia/ Jürgen Fälchle Okkulte Hepatitis B: Anti-HBc-Tests helfen bei der Identifizierung von Risikopatienten. Trotz klinischer und serologischer Anzeichen einer Ausheilung kann DNA des ­Hepatitis B-Virus (HBV) in Leberzellen persistieren – man spricht von „okkulter Hepatitis B“. Dieses okkulte Stadium muss nicht dauerhaft bestehen bleiben. Verschiedene klinische Situationen können zur HBV-Reaktivierung mit einer Vielzahl von klinischen Symptomen führen. Zunehmend zielt der klinische Fokus auf die Vermeidung einer HBVReaktivierung. Dies setzt die Identifizierung von Risikopatienten voraus und stellt neue Anforderungen an die HBV-Diagnostik. Im Mittelpunkt steht der Parameter „anti-HBc“ als direkter Beweis für einen HBV-Kontakt. Heute ist somit der alleinige Nachweis von anti-HBc im Blut häufig entscheidend für die Durchführung einer längerfristigen antiviralen Prophylaxe bei Risikopatienten. Daher haben Anti-HBc-Assays mittlerweile in unterschiedlichen Bereichen der Medizin eine hohe klinische Relevanz. Aussage diverser Hepatitis B-Marker Der Nachweis von HBs-Antigen (HBsAg), einem Oberflächenprotein der Virushülle, ist der entscheidende serologische Parameter zum Nachweis einer akuten oder chronischen Hepatitis B. Der Marker verschwindet bei Ausheilung der Erkrankung, anschließend treten Anti-HBs-Antikörper auf (Serokonversion). Hohe Sensitivitäten und Spezifitäten der Tests sind somit klinisch besonders relevant. Anti-HBc IgG ist ein Marker, der den direkten Kontakt des Immunsystems mit dem Hepatitis B-Virus (HBV) anzeigt. Er ist positiv bei Patienten mit akuter und chronischer Hepatitis B. Er hat keine Bedeutung für die immunologische Kontrolle von HBV. Der Anti-HBc IgG-Nachweis bei Patienten ohne akute oder chronische Hepatitis B deutet auf eine durchgemachte HBV-Infektion hin, insbesondere in Kombination mit dem Parameter anti-HBs. Die Prävalenz der antiHBc-Antikörper beträgt in Deutschland ca. 5,1 %, wobei der Anteil der Patienten in Deutschland mit anti-HBc und chronischer Hepatitis B sehr klein ist (ca. 0,3 %).1 Anti-HBc IgM kann in Zusammenhang mit einem typischen klinischen Bild auf eine akute Hepatitis hindeuten, ist jedoch auch bei einem relevanten Anteil von Patienten mit chronischer Erkrankung intermittierend positiv.2 Akute und chronische Verläufe unterscheiden sich jedoch häufig labordiagnostisch in der Höhe der AntiHBc IgM ­S/CO (sample/Cut-off) Werte.3 Anti-HBc-Tests verschiedener Hersteller zeigten und zeigen in Vergleichsstudien teilweise diskordante Ergebnisse. In einer Untersuchung von 10 000 Blutspendern mit zwei unterschiedlichen Assays waren 165 Proben in beiden Assays positiv, aber 23 Proben nur in einem der beiden Teste reaktiv. Eine ähnliche Übereinstimmungsrate (86,2 %) fand sich auch bei der Nachtestung dieser Proben mit neun weiteren kommerziellen anti-HBcTests.4 Weil keine Bestätigungstestung zur Verfügung steht, ist dies problematisch, v. a. bei ausschließlich anti-HBc-positiven Patienten. Die diagnostische Spezifität einzelner Tests lag in einer Studie bei 98,86 bis 99,88 %.5 Da es bis dato in der Routinediagnostik keinen Neutralisations-Bestätigungstest für anti-HBc gibt, konnte bisher auch kein Goldstandard für die Unterscheidung von richtig positiven und falsch-positiven Proben einheitlich definiert werden.6 Dieses hat u. a. dazu geführt, dass im Blutspendewesen eine „Zwei-zu-eins-Entscheidung“ von unterschiedlichen Testsystemen die Spezifität der Anti-HBc-Testung anzeigt: Oinitial anti-HBc reaktiv und Ergebnis mit zwei weiteren Testsystemen negativ (anti-HBc nicht bestätigt, falsch reaktiv) bzw. 17 fotolia/ fovito fotolia/ Cylonphoto Medizin | Medizinischer Stellenwert der Anti-HBc-Testung | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 51 • 12/2016 Oinitial anti-HBc reaktiv, anschließend Bestätigung in mindestens einem von zwei weiteren Testsystemen (anti-HBc bestätigt).7 Okkulte Hepatitis B Die cccDNA* des HBV kann auch bei klinischen und serologischen Anzeichen (z. B. anti-HBs-positiv) für die Ausheilung persistieren. Das Vorhandensein von HBV-DNA in der Leber ist als „okkulte Hepatitis B“ definiert (Tab. 1). Ursächlich kann eine Hemmung der HBV-Replikation vorliegen, die durch Mutationen/Deletionen im viralen Genom, durch epigenetische Veränderungen der cccDNA mit Auswirkungen auf die Transkription oder durch andere Faktoren (z. B. Co-Infektionen) verursacht sein kann. Auch spielt bei der okkulten Hepatitis B die Kontrolle durch das Immunsystem eine wichtige Rolle.8–10 Die klinische Bedeutung der Anti-HBc-Testung liegt im direkten Nachweis eines HBVKontakts und somit in der Identifikation von Patienten mit einem hohen Risiko für das Vorliegen einer okkulte Hepatitis B.9,11 Folglich sind auch bei Anti-HBc-Assays sehr hohe Anforderungen an Sensitivität und Spezifität zu stellen. Aktuelle Daten zeigen darüber hinaus, dass eine okkulte Hepatitis B mit einer Krankheitsprogression in der Leber assoziiert sein kann. Es ist sogar die Ausbildung einer Leberfibrose bzw. Leberzirrhose möglich, was in diesen Fällen aber häufig zusätzlicher Faktoren (z. B. HCV-Co-Infektion) bedarf.11 Ebenso beeinflusst wird das Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom. Die okkulte Hepatitis B kann sowohl indirekt über die andauernde Entzündungsreaktion mit finaler Leberzirrhose oder direkt über Integration bzw. Akkumulation charakteristischer, Hepatocyten-transformierender Virusproteine10,12,13 zur Entstehung eines Leberzellkarzinoms beitragen. Eine okkulte Hepatitis B mit HBV-DNA im Serum kann zu einer Übertragung des Virus durch Blutprodukte führen – trotz niedriger HBV-DNA-Titer. So fand sich bei Empfängern unterschiedlicher Blutprodukte von Spendern mit okkulter Hepatitis B eine 50 % minimale Infektionsdosis** von 1049 (117– 3441) Kopien.12 Dementsprechend besteht auch bei Organtransplantationen ein Risiko Marker Befund Molekularbiologie HBV-DNA im Serum < 200 IU/ml (kann auch negativ sein) Serologie OHBsAg-negativ Oanti-HBc-positiv (kann in Einzelfällen auch negativ sein) Oanti-HBs-negativ oder -positiv Tab. 1: Definition der okkulten HBV-Infektion: Persistenz von HBV-DNA in der Leber 18 Auch bei niedrigem HBV-DNA-Titer sind Blut- und Organspender potenzielle HBV-Überträger. der HBV-Übertragung, welches bei Lebertransplantationen naturgemäß unabhängig von der im Blut nachgewiesenen Menge an HBV-DNA vorliegt. Reaktivierung Die okkulte Hepatitis B muss nicht dauerhaft im Stadium der supprimierten Virusreplikation verbleiben. Da für ihr Vorliegen auch das Immunsystem eine wichtige Rolle spielt, kann es insbesondere bei immunsupprimierten Patienten zu einer HBV-Reaktivierung kommen. Sie ist charakterisiert durch eine wieder einsetzende, massive Virusreplikation mit deutlichem HBV-DNA-Anstieg und erneutem Nachweis von HBsAg im Blut. Klinisch können die Symptome von sehr mild bis hin zum Leberversagen reichen. Obwohl es Hinweise gibt, dass es bei einem sehr frühzeitigen antiviralen Therapiebeginn wieder zum Verlust des HBsAg kommen kann,15 hat sich bei Hochrisikopatienten die antivirale Prophylaxe durchgesetzt (s. u.). So war die Prophylaxe mit Lamivudin bei HBsAg-negativen/anti-HBc-positiven Patienten mit okkulter Hepatitis B sicher und effektiv,16 während bei HBsAg-positiven Patienten mit chronischer Erkrankung die antivirale Therapie mit Entevavir oder Tenofovir im Vordergrund steht. Das konkrete Risiko einer HBV-Reaktivierung ist abhängig von der Art der Immunsuppression und dem Nachweis von diagnostischen Parametern. In den aktuellen Guidelines hat anti-HBc als serologischer Marker die größte Bedeutung für die Risikoabschätzung bezüglich des Vorliegens einer okkulten Hepatitis B und dadurch auch bezüglich einer HBV-Reaktivierung. Das mit > 10 % höchste Risiko für eine HBVReaktivierung tragen HBsAg-negativ/antiHBc-positive Patienten Onach einer Stammzelltransplantation Ounter Rituximab-basierter Chemotherapie.17 Ein mittleres Risiko (1–10 %) für eine HBVReaktivierung liegt vor bei HBsAg-negativ/ anti-HBc-positiven Patienten Ounter Therapie mit TNF-Blockern und anderen Zytokin- bzw. IntegrinInhibitoren Omit täglicher Prednisolon-Therapie (> 10 mg) für mehr als 4 Wochen.17 Ein niedriges Risiko (< 1 %) für eine HBVReaktivierung bei HBsAg-negativ/anti-HBcpositiven Patienten ist assoziiert mit: OAzathioprin-, 6-Mercaptopurin- oder Methotrexat-Therapie OPrednisolon-Therapie (< 10 mg) für mehr als 4 Wochen.17 Die amerikanischen gastroenterologischen Richtlinien von 2015 empfehlen eine antivirale HBV-Prophylaxe für HBsAg-negativ/ anti-HBc-positive Patienten mit hohem oder mittlerem Reaktivierungsrisiko. 18 Dabei wurde ausdrücklich darauf verzichtet, die Risikostratifizierung von dem Nach- Roche HBV-Reaktivierungsrisiko als Nebenwirkung z. B. von Ritixumabbasierter Chemotherapie oder DAA-basierter HCV-Therapie. fotolia/ Stockfotos-MG Diagnostik im Dialog • Ausgabe 51 • 12/2016 | Medizinischer Stellenwert der Anti-HBc-Testung | Medizin weis der Anti-HBs-Antikörper abhängig zu machen. Ganz aktuell gibt es Hinweise, dass neben den immunsuppressiven bzw. immunmodulatorischen Therapien auch die HCV-Therapie mit "direct acting antiviral agents" (DAA) mit einem Risiko der HBV-Reaktivierung assoziiert ist. 19,20 Dies könnte auf einer direkten inhibitorischen Wirkung von HCV auf die HBV-Replikation beruhen, die nach der Eradikation von HCV durch die hoch effektive DAATherapie wegfällt. Fazit Mit zunehmendem Verständnis darüber wie, wodurch und mit welchen klinischen Folgen eine okkulte Hepatitis B reaktiviert werden kann, wachsen auch die Möglichkeiten, Risikopatienten zu schützen. Ausgang und Mittelpunkt diesbezüglicher ärztlicher Entscheidungen und therapeutischer Gegenmaßnahmen ist die Anti-HBc-Testung, deren Standardisierung somit zunehmend wichtiger wird. 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Hollinger: J Viral Hepat (2014); 21(3): 153-162 13Morales-Romero et al: Viruses (2014); 6(4): 1590-1611 14Allain et al: Transfusion (2013); 53(7): 1405-1415 15Hae Lim Lee et al: Hepatology, Liver meeting 2016, Abstract 1776 16Glenda Grossi et al: Hepatology, Liver meeting 2016, Abstract 1798 17Perrillo et al: Gastroenterology (2015); 148(1): 221-244.e3 18Reddy et al: Gastroenterology (2015); 148(1): 215-219 19Londoño et al: Hepatology, Liver meeting 2016, Abstract 596 20Susan et al: Hepatology, Liver meeting 2016, Abstract LB-17 Korrespondenzadresse * c ccDNA (covalently closed circular DNA): Besondere DNA-Struktur, die während der Vermehrung einiger Viren im Zellkern auftritt und dort dauerhaft verbleiben kann. Die Menge an cccDNA gilt auch als Marker bei einer HBV-Therapie. ** Minimale Infektionsdosis: Mindestanzahl an Pathogenen einer Sorte, die notwendig ist, um eine Infektion auszulösen. Da diese Zahl individuellen Schwankungen unterliegt, wird für eine statistische Auswertung meistens die Infektionsdosis angegeben, bei der 50 % der untersuchten Probanden infiziert werden. Priv. Doz. Dr. Jens Verheyen Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie Institut für Immunologie und Genetik Labor Dr. Thiele Pfaffplatz 10 67655 Kaiserslautern Mail: [email protected] 19