Medienpädagogik VO, WS 07/ 08, Univ.Prof. Dr. Thomas A. Bauer IPKW, 033/ 641 Exposé zum Text: Doelker, Christian: Überinformiert und untergebildet? Medienpädagogik als medienphilosophisches Rahmenkonzept in der Informationsgesellschaft. In: Ingrid Paus-Haase / Claudia Lampert / Daniel Süss (Hrsg.): Medienpädagogik in der Kommunikationswissenschaft. Positionen, Perspektiven, Potenziale. Wiesbaden 2002, Westdt. Verlag. 130-140. Francina Herder (0607790), Stephanie Kannt (0600273) Patricia Astor (0548454), Maria Berg (0605981) Sandra Heinemann (0648715), Angelika Truttenberger (0400872) Claudia Plach (0602693), Fabian Kretschmer (0607695) Der Autor Christian Doelker geht von starken Medienwirkungen aus, wobei die Medien in alle Lebensbereiche der Rezipienten eindringen. Durch die Informationsflut sind die Bürger in der Demokratie überfordert, Entscheidungsfähigkeit ist nicht mehr gegeben. Deshalb fordert der Verfasser ein Rahmenkonzept, welches dieses Problem lösen kann. „Die Grundfrage lautet somit: Wie kann vom Einzelnen und für den Einzelnen und das Ganze der Gesellschaft eine angemessene Informiertheit gewährleistet werden?“ (Doelker 2002: 131) Dies konkretisiert er in dem Text „Überinformiert und untergebildet – Medienpädagogik als medienphilosophisches Rahmenkonzept in der Informationsgesellschaft“. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über den Inhalt des Textes gegeben und unter den Aspekten der zentralen Problemstellung, der zentralen Begriffe der Argumentation und der Verwertbarkeit der vorgestellten Thesen für die Kommunikationswissenschaft kritisch reflektiert. Abschließend soll der Text in Bezug zu den Überlegungen der Vorlesung „Medienpädagogik“ gesetzt werden. Zu Beginn des Textes versucht Doelker sich an einer Typisierung unserer Gesellschaft und hinterfragt den Begriff der Informationsgesellschaft. Orientiert an der oben zitierten grundlegenden Fragestellung geht er zu den medienphilosophischen Grundfragen über - die erkenntnistheoretische Frage „Was ist wahr?“, die ethische Frage „Was ist gut?“, die ästhetische Frage „Was ist schön?“ sowie die Frage „Was ist wichtig?“, die er ergänzend hinzufügt. Aus Beantwortung dieser Fragen gehen folgende Kriterien zur Beurteilung von Information hervor: Gültigkeit, Vertretbarkeit, formale Stimmigkeit und Verständlichkeit sowie Relevanz. Dadurch soll den Medienkonsumenten angesichts der Informationsflut eine kritische Selektion ermöglicht werden. Als Voraussetzung für einen hinterfragenden Umgang mit den Medien sieht er die Auseinandersetzung mit der eigenen Kulturgeschichte. Auch die negativen Aspekte der Illusionsbildung, Informiertheitsillusion und Desinformation beleuchtet Doelker in seinem Text. Da er diesen auf die schulische Medienbildung fokussiert, stellt er abschließend, basierend auf seinen Erkenntnissen, Vorüberlegungen zu einem Curriculum „Medienbildung“ an. Dieses wiederum bezieht sich auf die Aussagefunktionen der Massenkommunikation: Information, Unterhaltung, Bildung und Werbung. Die zentrale Problemstellung des Artikels ist der Überfluss an Information und die damit verbundene notwendige Selektion des Medienangebotes. Der richtige Umgang mit den Medien bildet die Grundlage für die Sicherung der Demokratie, welche eine Bildung der Allgemeinheit voraussetzt: „Denn ohne Allgemeinbildung der Allgemeinheit ist die Staatsform der Demokratie nicht lebenstauglich und überlebensfähig.“ (Doelker 2002: 130) Wie schon im Titel „Überinformiert und untergebildet“ ersichtlich ist, geht es Doelker um die Erschwerung gezielter Bildung aufgrund von Überinformation. Ausgehend von der dargelegten Problemstellung fordert er die Entwicklung der Medienpädagogik von einer Spezialdisziplin zu einer Rahmendisziplin. Im kommenden Abschnitt werden die zugrunde liegenden Begriffe der Argumentation erläutert. Um mit der „[...] possessiven und zum Teil auch aggressiven Allgegenwart der Medien [...]“ (Doelker 2002: 131) umgehen zu können, nimmt er sich das Leitsystem der Medienphilosophie zu Hilfe. Der Begriff der Medienphilosophie bildet den allgemeinen Rahmen und die Medienpädagogik ist eine Fach- und Teildisziplin dieser. Die Medienbildung stellt die konkret adaptierte Ausformung schulischer Medienerziehung dar. Medienbildung als Schulfach soll durch die Vermittlung von Information und den richtigen Umgang mit dieser kompetente Mediennutzer heranziehen. Die Konkretisierung seines Begriffs der Medienbildung erfolgt anhand der Aufstellung eines Curriculums, gegliedert in die Kategorien: Basiswissen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Haltungen und Problembewusstsein Ausgangspunkt für den Begriff der Informationsflut ist die Annahme, dass in unserer heutigen Gesellschaft ein Überfluss an Information vorherrscht. Deshalb ist Christian Doelker der Ansicht, dass eine kritische Reflexion des Medienumgangs unumgänglich ist. Als Hilfestellung für den Rezipienten stellt er an Anlehnung an die Grundfragen der Philosophie die oben bereits erwähnten Kriterien auf. Die medienadäquate Anwendung der Grundfragen: Was ist wichtig? Eine gezielte Selektion, wobei „neu“ nicht immer gut und wichtig ist, erfolgt unter Berücksichtigung der individuellen Rolle. Was ist gut? Medienangebote können als „Lebensschule“ (Doelker 2002: 134) dienen. „Es werden Verhaltensmuster, Werthaltungen, eine Differenzierung der Gefühle gelernt und damit an sozialer Kompetenz, emotionaler Intelligenz gewonnen.“ (Doelker 2002: 134) Was ist schön? Diese philosophische Grundfrage bezieht sich auf die Stimmigkeit von Form und Dramaturgie, sowie auch auf inhaltliche Qualitäten. Was ist wahr? Hierbei geht es um die Wahrheit und Glaubwürdigkeit in Bezug auf die dargebotenen Medieninhalte. Ferner präzisiert er die Auswirkungen der Informationsflut anhand der folgenden drei Begriffe: Illusionsbildung, Informiertheitsillusion und Desinformation. Bei der Illusionsbildung werden fiktive Medieninhalte in das eigene Weltbild integriert, wodurch es zu einer verfälschten Sicht auf die Wirklichkeit kommt. Diesem kann mit der Erziehung zu kompetenten Mediennutzern entgegengewirkt werden, wobei die Schuld nicht in einer „[...] bewussten Täuschung von Seiten des Anbieters [...]“ (Doelker 2002: 136) verortet werden kann, sondern bei der naiven Mediennutzung der Rezipienten. Dadurch, dass Informationsangebote immer mehr unter dem Druck der Quote stehen, kommt es zu einer immer stärker werdenden Vermischung von Information und Unterhaltung, also dem Infotainment. Es entsteht dadurch der Irrglaube informiert zu sein. Unter den spezifischen Produktionsbedingungen der Medien kann es zu einer sogenannten Desinformation kommen, da Scheininformationen durch Konkurrenz mi Mediensektor zu Information aufgebauscht werden und eine nicht mehr zu stoppende Eigendynamik entwickeln. Hinsichtlich der Aufgabe der Kommunikationswissenschaft verdeutlicht Doelker: „Von der Kommunikationswissenschaft und insbesondere von den eingangs erwähnten Aussagefunktionen der Massenkommunikation ließen sich denn auch die Fragestellungen ableiten, welche die Stoßrichtungen der Medienbildung ausmachen sollen.“ (Doelker 2002: 131) Damit wird die Wirkungsforschung Kommunikationswissenschaft beschränkt, indem sie auf mögliche Rezeptions- Problemfelder und in der Mediennutzung aufzeigt. Wie die Ansichten des Autors in Relation zu den Überlegungen der Vorlesung „Medienpädagogik“ zu sehen sind, soll nun geklärt werden. Doelker versteht Medien als allgegenwärtig, in dem Sinn, dass sie unvermeidlich in alle Lebensbereiche der Menschen eindringen: Rezipienten sind den Medien schutzlos ausgeliefert, wenn sie nicht über eine entsprechende durch Medienbildung vermittelte Kompetenz entwickelt. Es gilt, die Medienwirklichkeit zu durchschauen und die Medien damit so zu nutzen, dass für den Einzelnen und in der weiteren Folge die ganze Gesellschaft positive Effekte entstehen. Die Gesellschaft erscheint hier als schützenswertes Objekt (Objektbetrachtung). Gegensätzlich dazu steht die Herangehensweise, dass es keine medienfreie Existenz gibt, da Gesellschaft ebenso wie Kultur nicht vom Diskurs abstrahierbare Objekte darstellen. So entsteht Gesellschaft erst im Gespräch über sich selbst und jeder, der über Gesellschaft diskutiert, schreibt diese gleich einem Open-Source-Programm fort. Auch die Identität des Einzelnen kann nicht ohne Medien bestimmt werden: In der Mediengesellschaft nutzen Rezipienten Medien, um sich selbst kennenzulernen und die Gesellschaft kritisch zu betrachten. Während also bei Doelker dort die Medien sind, die auf die Gesellschaft Einfluss nehmen, sind in dieser Betrachtung Medien/Kommunikation, Gesellschaft und Kultur eine Einheit, die sich miteinander entwickelt und nicht der eine Bereich auf den anderen Einfluss nimmt, gleich einem Stimulus-Response-Modell. Der Vorstellung, dass eine Beschäftigung mit der eigenen Kulturgeschichte nötig ist, um die Medienwirklichkeit zu verstehen, steht der Gedanke einer interdependenten Beziehung entgegen. Wenn sich Menschen weiters für bestimmte Medieninhalte entscheiden, um ihr eigenes Weltbild so wieder bestätigt zu finden, wird der Vorwurf, dass Medien unser Weltbild einseitig beeinflussen, obsolet. Damit entscheiden die Nutzer über die Macht der Medien, wobei aber Medienproduzenten natürlich auch versuchen, Inhalte zu schaffen, die den Vorstellungen auf Rezipientenseite entsprechen. Hierzu ist anzumerken, dass aber, wenn es keine medienfreie Existenz gibt, sich auch kein Weltbild unabhängig von Medien entwickelt haben kann – vielmehr muss es sich um eine Ko-Evolution, einen Kreislauf handeln. In einem emanzipatorischen Zugang sind Medien ein „Protokoll des Lebensvollzugs“, wobei das Tun die Wahrnehmung verändert und umgekehrt. Wenn Gesellschaft und Kultur „sind, weil sie betrachtet werden“, kann es nicht darum gehen, die Kompetenz zu einer richtigen Nutzung zu entwickeln und Medieninhalte auf ihr Gefahrenpotential hin zu untersuchen. Vielmehr muss es um eine kritische Reflexion der Betrachtungsweise gehen, sowohl auf der Ebene des gesellschaftlichen Diskurses (kritischer Blick des Einzelnen auf die Betrachtungsweise der Gesellschaft durch Analyse des Diskurses) als auch weiter unter Beobachtung der Beobachtung des Diskurses (die Wissenschaft begibt sich nun noch eine Stufe weiter und beobachtet die kritische Reflexion). Doelker entwirft ein Ordnungsmodell: es soll festgelegt werden, was gut und was schlecht ist, was richtige Mediennutzung ist. Was gut, wahr, schön und wichtig ist, ist nicht nur eine stark normative Strukturierung, die keine individuelle Disposition zulässt, sondern kann, wenn es sich bei bei Kultur und Gesellschaft um kein festes Objekt handelt, auch nicht ein für alle Mal bestimmt werden. Wenn eine bestimmte Medienerziehung zu einer bestimmten Wahrnehmung und festgelegten Nutzung führen soll, dann handelt es sich um ein auf Konsens ausgerichtetes Organisationsmodell von Kommunikation. Die Annahme von Differenz als entscheidender Größe hingegen impliziert, dass es kein fixes Modell von Kommunikation und somit auch von Mediennutzung geben kann. Wenn sich nämlich Sinn erst durch Differenz konstituiert -was ich denke gewinnt erst dadurch an Bedeutung, dass mein Gegenüber anders denkt- so ist auch jede Kommunikation anders, mehr noch: die Andersheit der Kommunikation ist überhaupt erst das Wesentliche. In dem Text „Überinformiert und untergebildet“ wird somit ein mechanisches Bild von Medienpädagogik Medienpädagogik präsentiert, ist es eine demnach, Kompensationstheorie: eine Medienbildung zu Aufgabe der entwerfen, die Schwachstellen in der Mediennutzung ausbessert. Diese Auffassung steht im Gegensatz zum emanzipatorischen Zugang der Vorlesung „Medienpädagogik“.