Das Ende des Kalten Krieges Autor(en): Farah, Nuruddin Objekttyp: Article Zeitschrift: Du : die Zeitschrift der Kultur Band (Jahr): 55 (1995-1996) Heft 12-1: Arche Afrika : Ausbruch ins Eigene PDF erstellt am: 21.10.2017 Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-299295 Nutzungsbedingungen Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern. Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. Einzelne Dateien oder Ausdrucke aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und den korrekten Herkunftsbezeichnungen weitergegeben werden. Das Veröffentlichen von Bildern in Print- und Online-Publikationen ist nur mit vorheriger Genehmigung der Rechteinhaber erlaubt. 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Ein Dienst der ETH-Bibliothek ETH Zürich, Rämistrasse 101, 8092 Zürich, Schweiz, www.library.ethz.ch http://www.e-periodica.ch DAS ENDE DES KALTEN KRIEGES VON NURUDDIN FARAH allgemein gesprochen, haben die Fallstricke des Kal¬ ten Krieges mehr Völker in aller Welt in Gefahr gebracht als irgendein anderes historisches Ereignis der Mensch¬ heitsgeschichte, denn weder war sich die Welt in ihrem zynischen Engagement für die eine oder andere politische Ideologie jemals einig, noch sind die Völker dieser Erde mit der Entweder-oderWahl fertig geworden, mit der das Phänomen des Kalten Krieges sie konfrontierte. Wie fast alle Systeme unterschied sich auch der Kalte Krieg nicht sehr vom Kolonialismus oder irgendeiner ande¬ ren der -ismus-Fallen, handelte es sich doch auch hierbei bloss um ein Bündel von Unwahrheiten, die man auf das Niveau von ideo¬ logischen Glaubenssätzen emporgehoben hatte. Der Kalte Krieg war die Mutter aller Unsicherheiten, der als Va¬ ter der politische Zynismus zur Seite stand. Ihre Kinder waren in¬ terne Machtkämpfe. So gesehen ist der Kalte Krieg der Vorläufer einer Kette vernichtender Brutalitäten, die sich in den neunziger Jahren in den ehemals abhängigen Gebieten ausserhalb jener Län¬ der abspielten, die zu den wichtigsten Befürwortern des Kalten Krieges gehörten. Integraler Bestandteil seiner Hauptstossrichtung war das Mittel der nach aussen gerichteten Wolfsgrube, eine Falle, die durch eine aggressive und äusserst wirksame Propaganda¬ maschinerie getarnt wurde. Es mag gerechtfertigt scheinen, das Phänomen des Kalten Krie¬ ges schlicht abzutun als «leeres Gewäsch, aufgeputschte Emotio¬ nen, politischer Unsinn und sonst nichts». Aber die Feindselig¬ keiten, die dieses Phänomen in den Territorien ausserhalb der USA, Frankreichs, Britanniens und auch der ehemaligen UdSSR hervorgerufen haben, haben die Geschichte und das Selbstwert¬ gefühl der zahllosen, diesen Ländern untergebenen Völker in viel¬ fältiger Weise zerstört und oft zu Bürgerkriegsflammen geführt, die bis heute nicht gelöscht werden konnten. Mit anderen Wor¬ ten: Der Hass, den die Ideen des Kalten Krieges säten, machten beispielsweise aus dem somalischen Volk - das ich hier stellvertre¬ tend für viele andere nenne, weil ich es persönlich am besten kenne und weil es jüngst seiner Selbstabschlachtung wegen stän¬ dig durch die Medien geisterte - ein Opfer, an dem sich die lü¬ sternen Agitprops des Kalten Krieg ergötzten. Unser Vokabular hat sich ohne Zweifel um einen Brei von Ab¬ kürzungen wie CIA, KGB oder MI5 erweitert. Diese Organisa¬ tionen erzeugten wiedemm nach ihrem Bilde geschaffene, ähnlich geheimnisvolle Bruderschaften mit Namen wie Mossad oder BOSS. So gross war die Zahl der Geschichten, die sich um diese ruchlosen Geheimdienste rankten, derart mächtig war die Kraft der Fabeln und Märchen, die sie erzählten und für ihre Zwecke ausbeuteten, dass in der Zeit zwischen dem Ende des letzten Welt¬ kriegs und den frühen fünfziger Jahren völlig neue Nationen ent¬ standen und ein paar der alten zugrunde gingen. Ich spiele hier auf die ehemalige DDR und auf Nordkorea an, aber auch auf das Kuba Fidel Castros. Fast überall wurden ideologische Mauern er¬ richtet, die die Länder voneinander abgrenzten, manchmal auch die Länder selbst in ungleiche Teile spalteten, so dass der Osten vom Westen getrennt war, der Norden vom Süden. Mit den wenigen Wahlmöglichkeiten, die wir in Afrika hatten, sahen wir in der früheren Sowjetunion sowie in China und seinen ideologischen Verbündeten eine Alternative zu den von den West¬ mächten geförderten imperialistischen Machenschaften. Ich zum Beispiel kann mir nicht vorstellen, welche Gestalt die Welt wohl angenommen hätte, wären da nicht die sozialistischen Länder ge¬ wesen, die die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kolonien dieser Erde unterstützten. Wenn mich dunkle Ahnungen bezüglich des¬ sen beschleichen, was wohl aus unseren Befreiungskämpfen ge¬ worden wäre, so deshalb, weil die Welt ohnehin schon aufgeteilt war in Nicht-Kolonisierte, Kolonisatoren und Kolonisierte und sie alle in den Grenzen ihrer jeweiligen Geschichdichkeit lebten. Da fast alle Kolonisierten sich gegen die Unterdrückermächte er¬ hoben was dank der Unterstützung des sozialistischen Lagers möglich war, das sich selbst natürlich nicht zu den Kolonisatoren rechnete -, wurde der Freiheitskampf zu einem sich selbst gestal¬ tenden Ideal. So entstand die aussereuropäische Bühne, auf der die Herren des Kalten Krieges nun ihre Spiele von Krieg und Frie¬ den aufführten, eine Bühne, die ausgelagert worden war aus den Ländern jener alliierten Mächte, die einst gemeinsam NaziDeutschland besiegt hatten. Dessenungeachtet informierte man uns mit Hilfe der Propagandamaschinerien des Kalten Krieges und der Entspannungspolitik, dass die nuklearen Sprengköpfe dieser Länder gegeneinander gerichtet seien! Aus welchem Blickwinkel auch immer man es betrachtet, die Welt, die wir kennenlernten, war in den tumultösen Jahren ent¬ standen, die aufdie Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges folgten. Diese Jahre hatten fundamentale Strukturveränderungen bewirkt und «Ideologien» geschaffen, für die wir bereit waren, unser Leben zu lassen. Man hätte zwar meinen sollen, dass mit der Vernichtung der Nazi-Ideologie diese Phase der Weltgeschichte endgültig über¬ wunden sei; doch nein. Die Welt stand kurz vor einem neuen Krieg, als es durch das Schweinebuchtfiasko, bei dem Chru¬ schtschow riskierte, Kennedys Bluff aufzudecken, zur offenen Konfrontation zwischen den Ideologien kam; die engste Begeg¬ nung der beiden Lager mit der jeweiligen Heimatbasis, sieht man einmal vom Bau der Berliner Mauer ab. Daneben dürfen wir nicht vergessen, dass Europa zwar der wichtigste Schauplatz des Zweiten Weltkrieges war und sicherlich auch die meisten Toten zu beklagen hatte, dennoch waren fast alle Kontinente beteiligt, nahm beinahe jedes Land an diesem sinn¬ losen Gemetzel teil. So kämpften denn auch sehr viele Afrikaner in anderen Kontinenten. Mit geöffneten Augen und geschärftem Verstand kehrten sie in ihre jeweiligen Heimadänder zurück. Stän¬ dig in Kriegsbereitschaft und doch keinen einzigen Schuss ab¬ gebend, war die Welt nicht mehr dieselbe wie ehedem. Aus dem Gefühl der Kriegsmüdigkeit sollte das greifbare Wertesystem des Kalten Krieges entspringen, das aufdie Lehren des Krieges grün¬ Ganz - dete. Amerikaner und «Sowjets» sind uns eine Menge Antworten schuldig. Schliesslich waren sie es, die - nachdem sie ihre ideo¬ logischen Kämpfe in Europa angezettelt, dann doch aus ihren eigenen Ländern auslagerten hatten, um ihre Heimatbasen keiner direkten Gefahr auszusetzen uns Afrikaner hineinzogen, lange bevor wir uns entscheiden konnten, ob wir überhaupt Teil dieser bösartigen Machenschaften sein oder welchem Lager wir uns zu¬ schlagen wollten. Sie und ihre wesdichen und ösdichen Alliierten waren es, die aus uns die Speichellecker machten, denn jede Seite - 24 hatte ihre jeweiligen Marionettenstaaten, brachte mit Hilfe aus¬ serhalb geplanter Staatsstreiche ihnen genehme Führer an die Macht, um uns niederzuhalten, uns den verbrecherischen Ideen ihrer Söldnerpolitik und ihrer wirtschaftlichen Dominanz zu un¬ terwerfen. Der Geist des Kalten Krieges war die Täuschung. Will heissen, treulose, unehrenhafte Personen auf beiden Seiten der Fronten des Kalten Krieges zögerten nicht, mit Hilfe der falschen Infor¬ mationen aus ihren Propagandamaschinerien die Ehre ihrer Na¬ tionen vertraglich zu verschleudern, wenn sie dafür politische oder finanzielle Gewinne einstreichen konnten. Diese heimtückischen Männer und Frauen machten untereinander Geschäfte, indem sie den von ihnen Anhängigen ihren Willen aufdrängten und sie zum Kauf von Waffen zwangen. Sie machten aus unserer Welt einen Markplatz, auf dem vor allen Dingen Gewalt herrschte, ein Markt, auf dem besonders wir Afrikaner uns oft und in haar¬ sträubender Weise Selbsterniedrigungen aussetzten. Uninformierte und unwissende Soldaten übernahmen mit ausdrücklicher oder stillschweigender Unterstützung der Herren des Kalten Krie¬ ges entweder durch die Macht der Gewehre oder kraft gefälschter Stimmzettel die Regierungsgewalt. Ale miteinander wurden wir sittenlos, so immens war die Selbsttäuschung, so gross war die Zahl der Unwahrheiten, so gering die der Wahrheiten. Die Lügen änderten unser Leben ebensosehr wie die Wahrheiten, die anzu¬ erkennen wir uns weigerten. Ich denke hier an zwei der Kunden des Kalten Krieges und die Art, wie sie ihre Herren wechselten. Es waren keine unbedeuten¬ den Männer. Sie wurden die Oberhäupter der beiden Länder, deren Völker in jedem Jahrzehnt miteinander im Krieg lagen, wie weit man in der Geschichte auch zurückgehen mag. Somalis und Äthiopier schufen aus ihren jeweiligen Systemen ihre Geschichte, als Siyad Barre, bis dahin Kunde der damaligen Sowjetunion, sei¬ nen Herrn und Meister des Verrats bezichtigte und seine Verbin¬ dungen zu ihm abbrach. Über Nacht änderten alle politischen Füchse ihre Duftmarken, die Amerikaner wurden die neuen Her¬ ren Somalias, die Sowjets übernahmen Äthiopien. Inzwischen be¬ klagen wir zwei Millionen Tote, zunächst die Toten des Krieges, der Mitte der siebziger Jahre zwischen Somalia und Äthiopien mit Waffen geführt wurde, die zu bezahlen die Länder sich eigendich gar nicht leisten konnten, und später die Toten der Bürgerkriege, welche in der Folge in jedem der beiden Länder ausbrachen und von immenser selbtmörderischer Energie gekennzeichnet sind. Jeder externen Explosion, die Folge eines Krieges ist, der aus¬ serhalb der anerkannten Grenzen des eigenen Landes auf freiem Feld ausgetragen wird, folgt, zumal nach einer Niederlage, ein glei¬ chermassen barbarischer Krieg, der innerhalb der Landesgrenzen ausgetragen wird. Dies mag für alle Staaten gelten, die miteinan¬ der im Krieg liegen und Kunden der sie unterstützenden Herren der jeweiligen Seite des Kalten Krieges sind oder - in jüngster Zeit - jener Länder, die nun deren Status übernommen haben. Die Tat¬ sache, dass die Sowjetunion selbst sich aufgelöst, sich mehr oder weniger in die ethnischen Republiken ihrer einstigen Mitglied¬ staaten aufgespalten hat, was zu bewerkstelligen dem früheren Jugoslawien trotz vielem Blutvergiessen bisher nicht gelungen ist, mag vielleicht Zeugnis ablegen von der Schwere der Niederlage im Kalten Krieg, die dieses Land kürzlich hat hinnehmen müssen! Kurz, die bis dato nur externen Zwistigkeiten der Kundschaft un¬ tereinander, die den Interessen der Herren des Kalten Krieges be¬ stens dienten, haben sich zu einem weltumspannenden Phäno¬ men ausgeweitet: Unruhen, Erhebungen, Krawalle, Bürgerkrieg und nicht endende, letzdich für beide Seiten vernichtende Klein¬ kriege allenthalben. Hinter allen Kriegen, ob kalt oder nicht, stehen Berge von Köpfen, und kein Land bleibt verschont. Selbst die Giganten, die sogenannten Supermächte, fielen dem gleichen Betrug zum Op¬ fer wie einst ihre Klientel, sei sie reich oder arm gewesen. Was jetzt, nachdem der Kalte Krieg sich erschöpft hat, zählt, ist wohl, dass von nun an jedes Land seine Probleme selbst lösen muss, oder es wird an ihnen zugrunde gehen. Denn in einer Welt, in der es keinen Herrn und keinen Kun¬ den mehr gibt, da gibt es auch keinen sicheren Ort mehr, an dem sich der hinterlistige Ränkeschmied verstecken könnte. ¦ 25