Das Ende des Kalten Krieges - E

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Das Ende des Kalten Krieges
Autor(en):
Farah, Nuruddin
Objekttyp:
Article
Zeitschrift:
Du : die Zeitschrift der Kultur
Band (Jahr): 55 (1995-1996)
Heft 12-1:
Arche Afrika : Ausbruch ins Eigene
PDF erstellt am:
21.10.2017
Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-299295
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DAS ENDE DES KALTEN KRIEGES
VON NURUDDIN FARAH
allgemein gesprochen, haben die Fallstricke des Kal¬
ten Krieges mehr Völker in aller Welt in Gefahr gebracht
als irgendein anderes historisches Ereignis der Mensch¬
heitsgeschichte, denn weder war sich die Welt in ihrem zynischen
Engagement für die eine oder andere politische Ideologie jemals
einig, noch sind die Völker dieser Erde mit der Entweder-oderWahl fertig geworden, mit der das Phänomen des Kalten Krieges
sie konfrontierte. Wie fast alle Systeme unterschied sich auch der
Kalte Krieg nicht sehr vom Kolonialismus oder irgendeiner ande¬
ren der -ismus-Fallen, handelte es sich doch auch hierbei bloss um
ein Bündel von Unwahrheiten, die man auf das Niveau von ideo¬
logischen Glaubenssätzen emporgehoben hatte.
Der Kalte Krieg war die Mutter aller Unsicherheiten, der als Va¬
ter der politische Zynismus zur Seite stand. Ihre Kinder waren in¬
terne Machtkämpfe. So gesehen ist der Kalte Krieg der Vorläufer
einer Kette vernichtender Brutalitäten, die sich in den neunziger
Jahren in den ehemals abhängigen Gebieten ausserhalb jener Län¬
der abspielten, die zu den wichtigsten Befürwortern des Kalten
Krieges gehörten. Integraler Bestandteil seiner Hauptstossrichtung
war das Mittel der nach aussen gerichteten Wolfsgrube, eine Falle,
die durch eine aggressive und äusserst wirksame Propaganda¬
maschinerie getarnt wurde.
Es mag gerechtfertigt scheinen, das Phänomen des Kalten Krie¬
ges schlicht abzutun als «leeres Gewäsch, aufgeputschte Emotio¬
nen, politischer Unsinn und sonst nichts». Aber die Feindselig¬
keiten, die dieses Phänomen in den Territorien ausserhalb der
USA, Frankreichs, Britanniens und auch der ehemaligen UdSSR
hervorgerufen haben, haben die Geschichte und das Selbstwert¬
gefühl der zahllosen, diesen Ländern untergebenen Völker in viel¬
fältiger Weise zerstört und oft zu Bürgerkriegsflammen geführt,
die bis heute nicht gelöscht werden konnten. Mit anderen Wor¬
ten: Der Hass, den die Ideen des Kalten Krieges säten, machten
beispielsweise aus dem somalischen Volk - das ich hier stellvertre¬
tend für viele andere nenne, weil ich es persönlich am besten
kenne und weil es jüngst seiner Selbstabschlachtung wegen stän¬
dig durch die Medien geisterte - ein Opfer, an dem sich die lü¬
sternen Agitprops des Kalten Krieg ergötzten.
Unser Vokabular hat sich ohne Zweifel um einen Brei von Ab¬
kürzungen wie CIA, KGB oder MI5 erweitert. Diese Organisa¬
tionen erzeugten wiedemm nach ihrem Bilde geschaffene, ähnlich
geheimnisvolle Bruderschaften mit Namen wie Mossad oder
BOSS. So gross war die Zahl der Geschichten, die sich um diese
ruchlosen Geheimdienste rankten, derart mächtig war die Kraft
der Fabeln und Märchen, die sie erzählten und für ihre Zwecke
ausbeuteten, dass in der Zeit zwischen dem Ende des letzten Welt¬
kriegs und den frühen fünfziger Jahren völlig neue Nationen ent¬
standen und ein paar der alten zugrunde gingen. Ich spiele hier auf
die ehemalige DDR und auf Nordkorea an, aber auch auf das
Kuba Fidel Castros. Fast überall wurden ideologische Mauern er¬
richtet, die die Länder voneinander abgrenzten, manchmal auch
die Länder selbst in ungleiche Teile spalteten, so dass der Osten
vom Westen getrennt war, der Norden vom Süden.
Mit den wenigen Wahlmöglichkeiten, die wir in Afrika hatten,
sahen wir in der früheren Sowjetunion sowie in China und seinen
ideologischen Verbündeten eine Alternative zu den von den West¬
mächten geförderten imperialistischen Machenschaften. Ich zum
Beispiel kann mir nicht vorstellen, welche Gestalt die Welt wohl
angenommen hätte, wären da nicht die sozialistischen Länder ge¬
wesen, die die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kolonien dieser
Erde unterstützten. Wenn mich dunkle Ahnungen bezüglich des¬
sen beschleichen, was wohl aus unseren Befreiungskämpfen ge¬
worden wäre, so deshalb, weil die Welt ohnehin schon aufgeteilt
war in Nicht-Kolonisierte, Kolonisatoren und Kolonisierte und sie
alle in den Grenzen ihrer jeweiligen Geschichdichkeit lebten. Da
fast alle Kolonisierten sich gegen die Unterdrückermächte er¬
hoben was dank der Unterstützung des sozialistischen Lagers
möglich war, das sich selbst natürlich nicht zu den Kolonisatoren
rechnete -, wurde der Freiheitskampf zu einem sich selbst gestal¬
tenden Ideal. So entstand die aussereuropäische Bühne, auf der
die Herren des Kalten Krieges nun ihre Spiele von Krieg und Frie¬
den aufführten, eine Bühne, die ausgelagert worden war aus den
Ländern jener alliierten Mächte, die einst gemeinsam NaziDeutschland besiegt hatten. Dessenungeachtet informierte man
uns mit Hilfe der Propagandamaschinerien des Kalten Krieges
und der Entspannungspolitik, dass die nuklearen Sprengköpfe
dieser Länder gegeneinander gerichtet seien!
Aus welchem Blickwinkel auch immer man es betrachtet, die
Welt, die wir kennenlernten, war in den tumultösen Jahren ent¬
standen, die aufdie Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges folgten.
Diese Jahre hatten fundamentale Strukturveränderungen bewirkt
und «Ideologien» geschaffen, für die wir bereit waren, unser Leben
zu lassen. Man hätte zwar meinen sollen, dass mit der Vernichtung
der Nazi-Ideologie diese Phase der Weltgeschichte endgültig über¬
wunden sei; doch nein. Die Welt stand kurz vor einem neuen
Krieg, als es durch das Schweinebuchtfiasko, bei dem Chru¬
schtschow riskierte, Kennedys Bluff aufzudecken, zur offenen
Konfrontation zwischen den Ideologien kam; die engste Begeg¬
nung der beiden Lager mit der jeweiligen Heimatbasis, sieht man
einmal vom Bau der Berliner Mauer ab.
Daneben dürfen wir nicht vergessen, dass Europa zwar der
wichtigste Schauplatz des Zweiten Weltkrieges war und sicherlich
auch die meisten Toten zu beklagen hatte, dennoch waren fast alle
Kontinente beteiligt, nahm beinahe jedes Land an diesem sinn¬
losen Gemetzel teil. So kämpften denn auch sehr viele Afrikaner
in anderen Kontinenten. Mit geöffneten Augen und geschärftem
Verstand kehrten sie in ihre jeweiligen Heimadänder zurück. Stän¬
dig in Kriegsbereitschaft und doch keinen einzigen Schuss ab¬
gebend, war die Welt nicht mehr dieselbe wie ehedem. Aus dem
Gefühl der Kriegsmüdigkeit sollte das greifbare Wertesystem des
Kalten Krieges entspringen, das aufdie Lehren des Krieges grün¬
Ganz
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dete.
Amerikaner und «Sowjets» sind uns eine Menge Antworten
schuldig. Schliesslich waren sie es, die - nachdem sie ihre ideo¬
logischen Kämpfe in Europa angezettelt, dann doch aus ihren
eigenen Ländern auslagerten hatten, um ihre Heimatbasen keiner
direkten Gefahr auszusetzen uns Afrikaner hineinzogen, lange
bevor wir uns entscheiden konnten, ob wir überhaupt Teil dieser
bösartigen Machenschaften sein oder welchem Lager wir uns zu¬
schlagen wollten. Sie und ihre wesdichen und ösdichen Alliierten
waren es, die aus uns die Speichellecker machten, denn jede Seite
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hatte ihre jeweiligen Marionettenstaaten, brachte mit Hilfe aus¬
serhalb geplanter Staatsstreiche ihnen genehme Führer an die
Macht, um uns niederzuhalten, uns den verbrecherischen Ideen
ihrer Söldnerpolitik und ihrer wirtschaftlichen Dominanz zu un¬
terwerfen.
Der Geist des Kalten Krieges war die Täuschung. Will heissen,
treulose, unehrenhafte Personen auf beiden Seiten der Fronten
des Kalten Krieges zögerten nicht, mit Hilfe der falschen Infor¬
mationen aus ihren Propagandamaschinerien die Ehre ihrer Na¬
tionen vertraglich zu verschleudern, wenn sie dafür politische oder
finanzielle Gewinne einstreichen konnten. Diese heimtückischen
Männer und Frauen machten untereinander Geschäfte, indem sie
den von ihnen Anhängigen ihren Willen aufdrängten und sie
zum Kauf von Waffen zwangen. Sie machten aus unserer Welt
einen Markplatz, auf dem vor allen Dingen Gewalt herrschte, ein
Markt, auf dem besonders wir Afrikaner uns oft und in haar¬
sträubender Weise Selbsterniedrigungen aussetzten. Uninformierte und unwissende Soldaten übernahmen mit ausdrücklicher
oder stillschweigender Unterstützung der Herren des Kalten Krie¬
ges entweder durch die Macht der Gewehre oder kraft gefälschter
Stimmzettel die Regierungsgewalt. Ale miteinander wurden wir
sittenlos, so immens war die Selbsttäuschung, so gross war die
Zahl der Unwahrheiten, so gering die der Wahrheiten. Die Lügen
änderten unser Leben ebensosehr wie die Wahrheiten, die anzu¬
erkennen wir uns weigerten.
Ich denke hier an zwei der Kunden des Kalten Krieges und die
Art, wie sie ihre Herren wechselten. Es waren keine unbedeuten¬
den Männer. Sie wurden die Oberhäupter der beiden Länder,
deren Völker in jedem Jahrzehnt miteinander im Krieg lagen, wie
weit man in der Geschichte auch zurückgehen mag. Somalis und
Äthiopier schufen aus ihren jeweiligen Systemen ihre Geschichte,
als Siyad Barre, bis dahin Kunde der damaligen Sowjetunion, sei¬
nen Herrn und Meister des Verrats bezichtigte und seine Verbin¬
dungen zu ihm abbrach. Über Nacht änderten alle politischen
Füchse ihre Duftmarken, die Amerikaner wurden die neuen Her¬
ren Somalias, die Sowjets übernahmen Äthiopien. Inzwischen be¬
klagen wir zwei Millionen Tote, zunächst die Toten des Krieges,
der Mitte der siebziger Jahre zwischen Somalia und Äthiopien mit
Waffen geführt wurde, die zu bezahlen die Länder sich eigendich
gar nicht leisten konnten, und später die Toten der Bürgerkriege,
welche in der Folge in jedem der beiden Länder ausbrachen und
von immenser selbtmörderischer Energie gekennzeichnet sind.
Jeder externen Explosion, die Folge eines Krieges ist, der aus¬
serhalb der anerkannten Grenzen des eigenen Landes auf freiem
Feld ausgetragen wird, folgt, zumal nach einer Niederlage, ein glei¬
chermassen barbarischer Krieg, der innerhalb der Landesgrenzen
ausgetragen wird. Dies mag für alle Staaten gelten, die miteinan¬
der im Krieg liegen und Kunden der sie unterstützenden Herren
der jeweiligen Seite des Kalten Krieges sind oder - in jüngster Zeit
- jener Länder, die nun deren Status übernommen haben. Die Tat¬
sache, dass die Sowjetunion selbst sich aufgelöst, sich mehr oder
weniger in die ethnischen Republiken ihrer einstigen Mitglied¬
staaten aufgespalten hat, was zu bewerkstelligen dem früheren
Jugoslawien trotz vielem Blutvergiessen bisher nicht gelungen ist,
mag vielleicht Zeugnis ablegen von der Schwere der Niederlage im
Kalten Krieg, die dieses Land kürzlich hat hinnehmen müssen!
Kurz, die bis dato nur externen Zwistigkeiten der Kundschaft un¬
tereinander, die den Interessen der Herren des Kalten Krieges be¬
stens dienten, haben sich zu einem weltumspannenden Phäno¬
men ausgeweitet: Unruhen, Erhebungen, Krawalle, Bürgerkrieg
und nicht endende, letzdich für beide Seiten vernichtende Klein¬
kriege allenthalben.
Hinter allen Kriegen, ob kalt oder nicht, stehen Berge von
Köpfen, und kein Land bleibt verschont. Selbst die Giganten, die
sogenannten Supermächte, fielen dem gleichen Betrug zum Op¬
fer wie einst ihre Klientel, sei sie reich oder arm gewesen. Was jetzt,
nachdem der Kalte Krieg sich erschöpft hat, zählt, ist wohl, dass
von nun an jedes Land seine Probleme selbst lösen muss, oder es
wird an ihnen zugrunde gehen.
Denn in einer Welt, in der es keinen Herrn und keinen Kun¬
den mehr gibt, da gibt es auch keinen sicheren Ort mehr, an dem
sich der hinterlistige Ränkeschmied verstecken könnte.
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