M E D I Z I N Daniel Jaspersen1 Rainer Weber2 Wolfgang J. Issing3 Claus Vogelmeier4 Heinrich Friedrich Becker4 Zusammenfassung Die gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) zählt zu den häufigsten internistischen Krankheitsbildern und ist zu einem hohen Prozentsatz mit Atemwegsstörungen assoziiert. So wird eine Vielzahl von respiratorischen Symptomen mit einem gastroösophagealen Reflux in Zusammenhang gebracht. Die Refluxprävalenz bei chronischem Husten, Asthma und Laryngitis ist erhöht. Weitere extraösophageale Manifestationen sind die chronische Otitis media und Sinusitis sowie das Schlafapnoe-Syndrom. Primär gilt das Augenmerk bei Refluxpatienten den typischen ösophagealen Symptomen, an eine mögliche Atemwegsbeteiligung wird dagegen weniger gedacht. Die richtige Zuordnung extraösophagealer Sym- D er gastroösophageale Reflux kann zu einer Vielzahl von extraösophagealen Symptomen führen (Textkasten). Die Assoziation von Reflux und respiratorischen Manifestationen wurde erstmals 1962 beschrieben (44). Refluxassoziierter chronischer Husten Chronisch persistierender Husten (CPH) ist eine häufige Erkrankung und wird seit 1977 als diagnostische Entität anerkannt (34).Als eine wichtige Ursache gilt der gastroösophageale Reflux, der bei einem Teil der Patienten für den Husten verantwortlich ist (34, 38, 41, 52, 58, 59). Differenzialdiagnostisch sollte aber ein Husten, der durch ACE-Hemmer ausgelöst wird, ausgeschlossen werden. Bei vielen Patienten mit chronischem Husten ist der Reflux allerdings nur assoziiert und nicht ursächlich, weshalb die Unterscheidung refluxbedingt und refluxassoziiert wichtig ist (76). Nur der refluxbedingte Husten, bewiesen durch pHMetrie oder Probetherapie, spricht auf eine antisekretorische Behandlung an. A 3096 Refluxassoziierte Atemwegserkrankungen Aus der Sicht von Gastroenterologie, HNO und Pneumologie ptome kann dadurch erschwert werden, dass das Leitsymptom Sodbrennen nur schwach ausgeprägt oder gar nicht vorhanden ist. Es werden refluxassoziierte Atemwegserkrankungen aus der Sicht von Gastroenterologie, HNO-Heilkunde und Pneumologie dargestellt. Summary ed with respiratory disorders. Various extraesophageal symptoms have been related to GERD, and the prevalence of reflux in patients with chronic cough, asthma and laryngitis is high. Other manifestations are being increasingly recognized such as otitis media, chronic sinusitis or sleep apnea syndrome. The focus has been on those effects of reflux attributed to the esophagus. Extraesophageal disorders are often not related to GERD because heartburn is missing. The review comprises respiratory extraesophageal manifestations of GERD presented by gastroenterologists, ENT specialists and pulmonologists. Association of Gastroesophageal Reflux Disease with Respiratory Disorders Gastroesophageal reflux disease (GERD) is a common condition and may often be associat- Key words: reflux disease, gastroesophageal reflux, respiratory disease, cough, asthma bronchiale Schlüsselwörter: Refluxkrankheit, gastroösophagealer Reflux, Atemwegserkrankung, Husten, Asthma bronchiale Erschwert wird die Beurteilung der Ätiologie dadurch, dass viele Patienten nur einen oligo- oder asymptomatischen Reflux aufweisen. Bei der Mehrzahl der Patienten mit refluxassoziiertem Husten scheint eine multifaktorielle Genese vorzuliegen (52, 54, 76). Die Prävalenz des refluxassoziierten Hustens schwankt zwischen 10 und 40 Prozent der untersuchten Patienten (34), die des refluxbedingten Hustens ist dagegen kleiner (25). Ursache dieser Streuung liegt zum einen in den untersuchten Patientenkollektiven, zum anderen in der Wahl der diagnostischen Verfahren begründet (41). In verschiedenen Studien wurde eine signifikante Beziehung zwischen chronischem Husten und GERD festgestellt. Nach einer Untersuchung von Ours et al. lag in 26 Prozent der Refluxpatienten ein säureassoziierter Husten vor (57), Ing et al. kamen zu ähnlichen 1 Medizinische Klinik II (Direktor: Prof. Dr. med. Daniel Jaspersen), Klinikum Fulda 2 HNO-Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. Werner Heppt), Städtisches Klinikum Karlsruhe 3 Department of Otolaryngology, Freeman Hospital, Newcastle upon Tyne 4 Klinik für Pneumologie (Direktor: Prof. Dr. med. Claus Vogelmeier), Klinikum der Philipps-Universität, Marburg Zahlen (34). Die aktuell laufende ProGERD-Studie, eine der weltweit größten prospektiven Refluxstudien, ergab, dass nur 13 Prozent der Refluxpatienten über chronischen Husten klagten (43). Die Divergenz kann mit einer zuweisungsbedingten Voreingenommenheit („bias“) zusammenhängen. Zwei pathophysiologische Mechanismen gelten als gesichert für die Entstehung des refluxbedingten Hustens (Grafik): > Durch die Säurestimulation vagaler ösophagealer Fasern kann es über einen Reflex zur Auslösung des Hustens kommen (34). > Alternativ kann aspirierter Speiseröhreninhalt im Larynx und im Tracheobronchialbaum Husten auslösen. So konnten nach intraösophagealer Instillation von Säure Hustenanfälle ausgelöst werden (72). Verstärkt wurden die Symptome durch eine Störung der ösophagealen Clearancemechanismen (72). Zur differenzialdiagnostischen Klärung von Refluxkrankheit oder extraösophagealen Manifestationen hat sich die empirische Verordnung eines Protonenpumpeninhibitors (PPI) im so genannten Omeprazoltest bewährt (73). Für den Nachweis eines chroni- Jg. 100 Heft 47 21. November 2003 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N schen refluxbedingten Hustens ist somit das Ansprechen der Symptomatik auf eine probatorischen PPI-Therapie ausreichend und diagnostisch wegweisend (40). Dabei sollte der PPI über mindestens zwei Wochen in einbis zweifacher Standarddosierung eingenommen werden (40). In einer aktuellen Studie wurde mit Esomeprazol der erste isomere PPI eingesetzt, wobei nach zwei Wochen Ansprechraten von 38 beziehungsweise 60 Prozent bei endoskopisch negativen (NERD) beziehungsweise positiven Patienten (ERD) erzielt wurden (42). In Ermangelung geeigneter Daten wird empfohlen die probatorische Therapie nach dem Standard der Refluxtherapie durchzuführen (PPI in Standarddosis über 4 bis 8 Wochen, danach bei Bedarf [41, 57]). Vorher müssen allerdings durch Anamnese, klinische und bildgebende Diagnostik andere Hustenursachen wie Asthma bronchiale, sinubronchiales Syndrom, Arzneimittelhusten (ACE-Hemmer) oder chronische Bronchitis ausgeschlossen werden (41). Bis zu 60 Prozent aller Patienten mit refluxassoziiertem Husten hatten eine weitere der beschriebenen ´ Tabelle Ursachen, die einer entsprechenden Therapie bedurften (34,41). Die Gastroskopie empfiehlt sich vor Einleitung der Therapie und dient vor allem dem Ausschluss einer Barrett-Metaplasie. In besonders ausgewählten Fällen wurde gerade bei jüngeren Patienten und therapierefraktärem Husten die Fundoplicatio empfohlen (17). Refluxassoziierte HNOErkrankungen Der typische GERD-Patient unterscheidet sich deutlich von dem Patienten mit einem laryngo-pharyngealen Reflux (LPR) (3, 50, 75). Der LPRPatient hat einen vorwiegend in aufrechter Haltung, tagsüber stattfindenden Reflux und leidet meist nicht an einer erosiven Ösophagitis und den klassischen Symptomen der GERD (Tabelle). Während Patienten mit GERD eine Dysfunktion des unteren Ösophagussphinkters, eine gestörte Motilität und verlängerte Ösophagusclearence aufweisen, liegt der primäre Defekt beim ´ HNO-Erkrankungen, die mit einem LPR assoziiert werden (nach 13) Lokalisation Erkrankung Kehlkopf Refluxlaryngitis Subglottische und Trachealstenosen Kehlkopfkarzinom Endotracheale Intubationsläsionen Kontaktulkus und -granulom Posteriore Glottisstenose Aryfixation Paroxysmaler Laryngospasmus Paradoxe Stimmlippenbewegung Stimmlippenknötchen Polypoide Degeneration Laryngomalazie Rezidivierende Papillomatose Pachydermie Rezidivierende Leukoplakie Pharynx Globusgefühl Chronische Halsschmerzen Dysphagie Zenkerdivertikel Nase Sinusitis Ohr Otitis media A 3098 LPR in einer gestörten Funktion des oberen Ösophagusphinkters, wobei Kombinationen beschrieben wurden (51). Die Kehlkopfschleimhaut ist wesentlich empfindlicher gegenüber Säure und Pepsin als die Ösophagusschleimhaut. Während als obere Grenze beim ösophagealen Reflux 50 Episoden in 24 Stunden gelten, konnte gezeigt werden, dass drei Refluxepisoden in der Woche mit einem pH < 4,0 einen signifikanten Kehlkopfschaden hervorrufen (47). Der Laryngopharynx hat keine selektiven Abwehrmechanismen gegen Säure und Pepsin. Patienten mit LPR scheinen zudem sensible Defizite im Larynx zu haben, deren Restitution mit einer Symptomrückbildung korreliert (2). Das häufigste Krankheitsbild, das mit einem LPR assoziiert wird, ist die chronische Laryngitis (37, 68, 69, 86) (Abbildungen 1 und 2), eine Beziehung zur Helicobacter-pylori-Infektion fand sich nicht (39). Wie bei nahezu allen anderen dieser Erkrankungen fehlt jedoch der Nachweis einer kausalen Beziehung. Die vorliegenden Studien wurden wegen vielfacher Mängel kritisiert und doppelblinde, randomisierte und placebokontrollierte Behandlungsprotokolle gefordert (56). Konermann et al. machten die Beobachtung, dass bei Patienten mit therapierefraktärer Laryngitis und begleitendem Reflux ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom vorliegen kann und sich die Beschwerden in diesen Fällen nach CPAP-Beatmung (CPAP, „continuous positive airway pressure“) besserten (46). Auch beim Larynxkarzinom weisen eine Reihe von Arbeiten auf den Reflux als mögliche Ursache hin (18, 19, 22, 23, 26, 47, 55, 85, 88). Die bisherigen epidemiologischen und klinischen Daten zur Frage der Assoziation zwischen GERD und LPR mit einem Larynxkarzinom sind aber nicht hinreichend aussagekräftig (1). Die vorliegenden Daten zeigen , dass die meisten Patienten mit einem Larynxkarzinom rauchen und an einem LPR leiden. Rauchen und Alkoholkonsum beeinflussen die Antirefluxmechanismen des Körpers negativ (13), sodass eine Prädisposition zum Reflux entstehen kann (47, 48). Jg. 100 Heft 47 21. November 2003 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N Zu den refluxassoziierten extralaryngealen Manifestationen im HNOGebiet gehören auch die chronische (Rhino-)Sinusitis und Formen der Otitis media (70, 80). So wiesen schon 1991 Contencin und Narcy signifikant erniedrigte pH-Werte im Nasenrachen bei Kindern mit chronischer oder häufig rezidivierender Rhinitis oder Rhinopharyngitis mittels nasopharyngealer pH-Metrie nach (14). Loehrl et al. zeigten bei Patienten mit vasomotorischer Rhinitis signifikant häufiger eine LPR sowie eine Dysfunktion des autonomen Nervensystems als bei gesunden Probanden (53). Ulualp et al. fanden bei Patienten mit therapieresistenter chronischer Sinusitis eine erhöhte Prävalenz von gastroösophagealem und gastropharyngealem Reflux als bei normalen Freiwilligen (81). Andere Autoren beschreiben bei chronischer Sinusitis und nachgewiesenem Reflux einen Therapieerfolg mittels Antirefluxmedikation (4, 9, 28, 64). Der Reflux war der einzige anamnestische Faktor für ein subjektiv schlechteres Ergebnis nach endoskopischer Nebenhöhlenoperation bei chronischer Sinusitis (11). In einer Pilotstudie von DiBaise et al. im Jahr 2002 an elf Patienten mit chronischer Sinusitis wurde eine hohe Refluxprävalenz festgestellt (bei 9 von 11 Fällen). Der Effekt der Omeprazoltherapie war jedoch nur schwankend und mäßig (16). Daraus ließe sich schlussfolgern, dass GERD und Sinusitis mehrheitlich nur assoziiert waren und der Reflux lediglich einen Kofaktor dar- Abbildung 1: Posteriore Laryngitis mit typischem „Cobblestone“-Muster stellte. Die vorliegenden Studien erlauben bei chronischer Otitis media und 16 somit nicht, den LPR als definierten Personen mit Druckgefühl im Ohr Faktor in der Ätiopathogenese der hinsichtlich einer Refluxätiologie chronische Sinusitis auszuweisen. (65). Alle Patienten mit Paukenerguss Ebenso unsicher ist die Datenlage bei und 12 von 16 mit Druckgefühl wiesen Formen der Otitis media, auch wenn Zeichen eines pathologischen RefluAssoziationen beschrieben werden. xes auf. Während einer Therapie mit So berichteten Gibson und Cochran Omeprazol wurden alle Patienten bevon sechs Kindern mit rezidivierender schwerdefrei. Bei Kindern mit Paunächtlicher Irritabilität und offen- kenerguss oder rezidivierenden Mitsichtlichen Ohrenschmerzen, die alle telohrentzündungen wurden in 56 bis einen pathologischen Reflux aufwie- 66 Prozent ein pathologischer Reflux sen und unter antisekretorischer The- nachgewiesen (60, 70, 83). Tasker et al. rapie beschwerdefrei (vier Kinder) untersuchten das Sekret von Mittelohoder deutlich gebessert wurden (24). ren bei Kindern mit persistierendem In einer prospektiven Studie unter- Paukenerguss (79). In 59 von 65 Prosuchten Poelmans et al. fünf Patienten ben fanden sie Pepsin oder Pepsinomit persistierendem laufenden Ohr gen mit einem bis mehr als 1 000fach höheren Spiegel als im Serum. Die Autoren schlussfolgern, dass es sich hierbei nahezu sicher um Folgen eines Refluxes handelt. Da die Symptome und Befunde bei LPR nicht eindeutig sind, wurden Scoresysteme entwickelt, um die Diagnose zu erhärten (6, 7, 8). Die 24hpH-Metrie mit zwei Sonden gilt als derzeit beste apparative diagnostische Methode, allerdings besteht noch kein a ausreichender Konsens hinsichtlich der exakten Durchführung und Bewertung zur Diagnose eines LPR (66). Empfohlen wird die probatorische Therapie mit einem Protonenpumpeninhibitor (12, 27, 49, 61, 67, 71, 86). Bei Patient ohne Therapieerfolg sollte unter hochdosierter PPI-Therapie ein pH-Monitoring erfolgen, um die Effektivität zu überprüfen. Ein Konsenb suspapier des „committee on speech, voice, and swallowing disorders“ der Abbildung 2: Refluxlaryngitis a) vor und b) nach achtwöchtiger PPI-Therapie American Academy of Otolaryngo- A 3100 Jg. 100 Heft 47 21. November 2003 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N > intrathorakaler Unterdruck (40 bis 50 cm H2O und mehr) im Rahmen der obstruktiven Episoden, > Zunahme des intraabdominalen Drucks im Liegen und somit auch Anstieg des vom Abdomen in Richtung Thorax gerichteten Druckgefälles, > die am Ende der Apnoen auftretenden WeckPathophysiologie refluxassoziierter Atemwegserkrankungen reaktionen mit der konselogy – Head and Neck Surgery emp- kutiven Störung der Schlafstruktur sofiehlt eine Therapie über mindestens wie sechs Monate (49). > die häufigen Hypoxie- und Hyperkapniephasen. Eine unmittelbare Auslösung von Reflux durch jede Apnoe liegt nicht Gastroösophagealer Reflux vor, denn die meisten Atemstillstände und Schlafapnoe lösten keinen Reflux aus. Reflux trat Reflux und obstruktive Schlafapnoe jedoch häufig bei nächtlichen Wach(OSA) treten bei etwa 5 Prozent der phasen auf (62). Weiterhin konnte bisErwachsenen auf (5, 63, 87, 89). Für bei- lang keine lineare Zunahme des GER de Erkrankungen stellen Adipositas mit der Schwere der OSA nachgewieund verstärkter Alkoholkonsum we- sen werden (25, 82). sentliche Risikofaktoren dar. Die SymDer Reflux bei OSA scheint somit ptomatik kann bei beiden Störungen in von mehreren Faktoren abhängig zu nächtlichem Erwachen und nächtli- sein. Liegen andere zu Reflux prädischen Dyspnoeattacken sowie gestör- ponierende Bedingungen vor, begüntem Schlaf bestehen. stigt die OSA mit den geschilderten Zum pathologischen Reflux kommt Pathomechanismen die Entstehung es circa achtmal häufiger am Tag als in von Reflux. der Nacht (74). Nächtliche Refluxpha22 Patienten mit Reflux, 14 davon sen persistieren jedoch länger als Re- auch mit OSA erhielten eine nasale flux am Tag und können zu stärkerer CPAP-Therapie, welche die StandardSchleimhautschädigung führen. behandlung bei OSA darstellt. In beiBei 8 von 15 unausgewählten OSA- den Gruppen nahm die Anzahl der RePatienten (5 mit Refluxsymptomen) fluxepisoden um circa 80 Prozent ab. trat Reflux im Schlaf auf (62). Bei allen Da nCPAP den Reflux auch bei Pati15 Patienten lagen am Tag Refluxer- enten ohne OSA reduziert, scheint die eignisse vor (62). Im Vergleich zu einem entsprechenden VergleichskolTextkasten lektiv ohne OSA wurden RefluxepisoMögliche extraösophageale den mehr als viermal häufiger bei Manifestationen der gastroösophagealen OSA-Patienten nachgewiesen (35). Refluxkrankheit Somit wurde bestätigt, dass die OSA > Nichtkardialer Thoraxschmerz einen unabhängigen Risikofaktor für > Posteriore Laryngitis das Auftreten eines GER darstellt. Ist > Chronischer Husten Reflux erst einmal eingetreten, dauert > Asthma bronchiale die Säureclearance im Mittel mehr als > Schlaf-Apnoe-Syndrom doppelt so lang als bei Patienten ohne > Zahnerosionen, Zungenbrennen OSA. > Lungenfibrose Die gesteigerte Refluxprävalenz > Otitis media könnte bei OSA durch vier Faktoren > Sinusitis ausgelöst werden: Grafik Jg. 100 Heft 47 21. November 2003 Deutsches Ärzteblatt Zunahme des intrathorakalen Drucks unter nCPAP mit konsekutiver Abnahme des transdiaphragmalen Drucks unspezifisch zur Reduktion der Refluxereignisse zu führen. (35). Eine placebokontrollierte Studie zeigte eine geringe Abnahme der Atmungsstörungen unter H2-Blockern (35), die jedoch klinisch unbedeutend war. Gastroösophagealer Reflux und Asthma Experimentell konnte gezeigt werden, dass der Reflux vermutlich über zwei Pathomechanismen zur Bronchokonstriktion bei Asthmatikern mit hyperreagiblem Bronchialsystem führt. Dies geschieht durch mit Säure hervorgerufener Vagusreizung im mittleren Ösophagus und durch Mikroaspiration von Magensaft. Die Symptome könnten weiterhin auch durch eine Steigerung von Atemminutenvolumen, Atemfrequenz und Atemarbeit nach Reflux bedingt sein ohne dass eine Bronchokonstriktion vorliegt (21). Die Daten zur Prävalenz des Reflux bei Asthmatikern variieren zwischen 30 bis 60 Prozent, da verschiedene Definitionen und Untersuchungsmethoden benutzt wurden (10, 20, 29, 30, 31, 33, 77, 78, 84). Der Reflux bleibt oft asymptomatisch und anhand von klinischen Parametern nicht vorhersagbar: Von 26 Asthmatikern ohne Refluxsymptomen hatten 16 einen pathologischen Reflux (32). Patienten mit einer refluxbedingten Ösophagusstriktur oder einer erosiven Ösophagitis wiesen ein 1,5fach höheres Asthmarisiko auf als Patienten ohne diese Refluxkomplikationen (18). Bei Patienten mit schwer kontrollierbarem Asthma bronchiale kann der Reflux ein bedeutender aggravierender Faktor sein, dessen adäquate Behandlung wesentlich zur Stabilisierung des Asthma beiträgt (32, 36). Die Ergebnisse der bisher publizierten kontrollierten klinischen Studien zum Einfluss der Antirefluxtherapie wurden in einer Metaanalyse zusammengefasst (15). Nach acht der zwölf eingeschlossenen Studien ergab sich A 3101 M E D I Z I N eine Besserung einzelner Asthmasymptome. Eine Verbesserung von Lungenfunktionsparametern wurde jedoch in der Mehrzahl der Studien nicht festgestellt. Als Fazit schlossen die Autoren, dass die Resultate bisher zu inhomogen für eine abschließende Beurteilung sind und dass weitere kontrollierte Studien über einen Therapiezeitraum von mindestens sechs Monaten durchgeführt werden müssten. In der Praxis sollten bei Asthmatikern Refluxsymptome anamnestisch erfragt werden. Bei deren Vorliegen oder bei schwer kontrollierbarem Asthma ist ein Therapieversuch mit Protonenpumpenhemmern über sechs Monate gerechtfertigt. Fazit für die Praxis Asthma bronchiale, chronischer Husten und Laryngitis rückten in den letzten Jahren als potenzielle extraösophageale Manifestationen der Refluxkrankheit zunehmend in das Interesse von wissenschaftlichen Untersuchungen. Prinzipiell sollte bei jeder chronischen Atemwegserkrankung an eine mögliche Refluxätiologie gedacht und die Anamnese in diese Richtung gelenkt werden. Bedacht werden muss aber immer eine mögliche medikamentöse Nebenwirkung durch ACEHemmer, nach deren Einnahme Patienten ebenfalls für einen chronischen Hustenreiz prädisponiert sind. Liegt der respiratorischen Störung eine Refluxgenese zugrunde, empfiehlt sich eine probatorische Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren. Manuskript eingereicht: 12. 5. 2003, revidierte Fassung angenommen: 15. 9. 2003 ❚ Zitierweise dieses Beitrags: Dtsch Arztebl 2003; 100: A 3096–3102 [Heft 47] Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit4703 abrufbar ist. Anschrift für die Verfasser: Prof. Dr. med. Daniel Jaspersen Medizinische Klinik II Klinikum Fulda Pacelliallee 4 36043 Fulda E-Mail: [email protected] A 3102 Kongressbericht Therapeutische Oligonukleotide Gunther Hartmann, Stefan Endres D as Wissenschaftsmagazin „Science“ bewertete als wichtigste wissenschaftliche Errungenschaft des Jahres 2002 das Phänomen der so genannten RNA-Interferenz. Dieses neue biologische Prinzip wird durch kurzkettige interferierende RNA-Moleküle (small interfering RNA, siRNA) vermittelt. Dieses und zwei verwandte Forschungsfelder – Antisense-Oligonukleotide und immunstimulatorische CpG-Oligonukleotide – waren Themen des Internationalen Symposiums „Therapeutic Oligonucleotides in Drug Development“, das im Juni 2003 an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin stattfand. Die Tagung unter der Leitung von Stefan Endres und Gunther Hartmann, München, sowie Klaus-Dieter Langner, Aachen, wurde von der Paul-Martini-Stiftung ausgerichtet. Die Paul-Martin-Stiftung, getragen vom Verband forschender Arzneimittelhersteller in Deutschland, unterstützt die klinisch-therapeutische Forschung durch die Veranstaltung von wissenschaftlichen Symposien. Antisense-Oligonukleotide Das Prinzip der Antisense-Oligonukleotide wurde erstmals 1978 von einer Arbeitsgruppe an der Harvard Medical School in Boston, USA, beschrieben (1). Ein Antisense-Oligonukleotid ist ein einzelsträngiges kurzkettiges Nukleinsäuremolekül mit einer bestimmten Abfolge von Basen. Antisense-Oligonukleotide binden über komplementäre Basenpaarung an die RNA eines Zielproteins. Aufgrund der sequenzspezifischen Bindung (Watson-Crick-Basenpaarung) kommt es zu einer gezielten Hemmung der Expression des Zielproteins. Antisense-Oligonukleotide können synthetisch hergestellt und so modifiziert werden, dass eine ausreichende Stabilität gegenüber abbauenden Enzy- men gewährleistet ist. Die wichtigste dieser Modifikationen ist die Phosphorothioat-Modifikation. Dabei wird ein Sauerstoffatom im Phosphat durch ein Schwefelatom ersetzt. Antisense-Oligonukleotide werden von Zellen in geringer Menge spontan aufgenommen. Zudem kann durch Verwendung bestimmter Trägerlipide eine Verbesserung der Aufnahme und eine für die Wirkung der Oligonukleotide günstigere intrazelluläre Verteilung erreicht werden. Bei der therapeutischen Umsetzung bestehen einige Schwierigkeiten. So sind beispielsweise die Stabilität und die zelluläre Aufnahme der Antisense-Oligonukleotide in vivo nicht abschließend geklärt. Diese Schwierigkeiten stehen bislang einer raschen Entwicklung von neuen Wirkstoffen aus diesem Bereich entgegen. Als erstes Antisense-Oligonukleotid wurde 1998 Fomivirsen, ein 20 Basen langes mit Phosphorothioat modifiziertes Oligodesoxyribonukleotid, für die Behandlung von Virostatika-refraktärer Cytomegalie-Virus- (CMV-)Retinitis bei Aids-Patienten (lokale Injektion in den Glaskörper) von der amerikanischen Food and Drug Administration zugelassen. Durch die Erfolge bei der Therapie der HIV-Infektion mit Reverse-Transkriptase-Inhibitoren und Proteinaseinhibitoren wurde diese Indikation jedoch selten. Ein weiteres Antisense-Oligonukleotid (Genasense), wird derzeit in multizentrischen Phase-3-Studien in Kombination mit einer Chemotherapie zur Behandlung des malignen Melanoms getestet. Genasense ist ein Antisense-Oligonukleotid gegen das in Tumoren überexprimierte Anti-Apoptose-Protein bcl-2. CpG-Oligonukleotide Bei der therapeutischen Aktivität des Antisense-Oligonukleotids Genasense spielt möglicherweise ein anderes Wirk- Jg. 100 Heft 47 21. November 2003 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N prinzip eine wichtige Rolle: die Immunstimulation durch CpG-Motive. CpGMotive sind nicht methylierte CytidinGuanosin-Dinukleotide mit bestimmten flankierenden Basen (zum Beispiel 5´-GTCGTT-3´). Der Wirkmechanismus von CpG-Oligonukleotiden (kurzkettige einzelsträngige synthetische DNAOligonukleotide, die solche CpG-Motive enthalten) ist grundverschieden von Antisense-Oligonukleotiden, und wurde 1995 von Arthur Krieg an den National Institutes of Health, in Bethesda, USA, entdeckt (2). CpG-Motive sind charakteristisch für mikrobielle DNA (Bakterien und Viren) und sind in der Wirbeltier-DNA unterrepräsentiert. Das Immunsystem von Wirbeltieren besitzt ein Rezeptorprotein für die Erkennung von CpG-Motiven in der DNA (Toll-like receptor 9,TLR9).TLR9 wird auf bestimmten Immunzellen exprimiert und erlaubt dem Immunsystem die Erkennung von Bakterien oder Viren mithilfe der dort vorliegenden CpG-Motive (4) (Grafik 1). Es handelt sich hier also um eine Protein-DNA-Wechselwirkung und nicht um eine Watson-Crick-Basenpaarung zwischen zwei Nukleinsäuresträngen, wie dies bei Antisense-Oligonukleotiden der Fall ist. Ein weiterer wichtiger Unterschied im Hinblick auf die klinische Anwendung ist die Tatsache, dass für CpG-Oligonukleotide, im Gegensatz zu Antisense-Oligonukleotiden, keine Aufnahme in das Zytoplasma notwendig ist. Die zelluläre Aufnahme ´ Tabelle von CpG-Oligonukleotiden ist damit nicht limitierend und die klinische Anwendung damit nicht wie bei AntisenseOligonukleotiden erschwert. Kürzlich wurde die erste klinische Studie mit einem CpG-Oligonukleotid als VakzineAdjuvans bei der Immunisierung von gesunden Probanden mit Hepatitis-BSurface-Antigen (HBsAg) veröffentlicht (5). Dieses CpG-Oligonukleotid war dem Standardadjuvans Aluminiumhydroxid (Alum) deutlich überlegen (über neuere Entwicklungen auf dem Gebiet der CpG-Oligonukleotide siehe Abschnitt „Auswahl von Beiträgen“). siRNA CpG-Motive in mikrobieller DNA sind nicht das einzige Merkmal von Nukleinsäuren, wodurch das Eindringen von Mikroben in das Immunsystem erkannt wird. Neben dem Rezeptor TLR9 für CpG-Motive benutzt das Immunsystem den Rezeptor TLR3 für die Erkennung von doppelsträngiger RNA. Doppelstrang-RNA ist charakteristisch für bestimmte RNA-Viren. Seit langem ist bekannt, dass DoppelstrangRNA das Immunsystem zur Bildung der antiviralen Zytokine aus der Gruppe von Interferon-α anregt. Neben der Bildung dieser Zytokine induziert Doppelstrang-RNA aber auch weitere antivirale Mechanismen, die die Translation von Proteinen unspezifisch hem- ´ Die drei wichtigsten Gruppen aus dem Bereich „Therapeutische Oligonukleotide“ Nukleinsäure Erstbeschreibung Wirkprinzip AntisenseOligonukleotide* Zamecnik et. al. PNAS 1978; 75: 280 Einzelsträngige kurzkettige DNA-Moleküle mit sequenzspezifischer Bindung (Watson-CrickBasenpaarung) an die mRNA. Ermöglicht selektive Hemmung der Proteinexpression von Zielgenen. CpG-Oligonukleotide* Krieg et al. Einzelsträngige kurzkettige DNA-Moleküle, die ein Nature 1995; 374: definiertes Sequenzmotiv enthalten (CpG-Motiv). 546 Dieses Motiv signalisiert dem Immunsystem die Anwesenheit von Bakterien oder Viren; dies führt zu einer selektiven Stimulation des Immunsystems. siRNA* Fine et al. 1998; 391: 806 Doppelsträngige kurzkettige RNA-Moleküle, bei denen ein Strang die komplementäre Sequenz der RNA des Zielgens besitzt. Die Zelle besitzt einen enzymatischen Apparat, der anhand dieser Vorlage die mRNA des Zielgens selektiv degradiert und damit die Proteinexpression hemmt. * Es werden synthetische Oligonukleotide von genau definierter Basenabfolge eingesetzt: Einzelstrang-DNA bei Antisense und CpG-Oligonukleotiden und Doppelstrang-RNA bei siRNA. A 3104 men. Diese sequenzunspezifische Wirkung von Doppelstrang-RNA hat eine weitere Eigenschaft von DoppelstrangRNA lange Zeit überdeckt: den Mechanismus von RNA-Interferenz. Dieser wurde erst vor fünf Jahren entdeckt (3) und in einer Reihe von unabhängigen Publikationen bestätigt. Unter RNA-Interferenz versteht man die sequenzspezifische Hemmung der Translation eines Proteins durch ein Doppelstrang-RNA-Molekül identischer Sequenz. Darüber hinaus verlieren kurzkettige Doppelstrang-RNA-Moleküle von einer Länge von etwa 21 Basen mit überhängenden Enden am jeweiligen 3´-Ende die immunstimulatorische Eigenschaft, wobei die sequenzspezifische Hemmung des Zielproteins erhalten bleibt. Diese kurzen RNA-Moleküle wirken nicht nur bei exogener Zugabe, sondern sie werden von den Zellen selbst gebildet. Ursprünglich bei dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans beschrieben, werden mittlerweile auch in menschlichen Zellen bis zu 250 verschiedene dieser kurzen regulatorischen RNA-Moleküle vermutet. Damit wurde ein völlig neues Prinzip entdeckt, mit dem eine Zelle das Ablesen von Genen steuern kann. Das Gebiet der RNA-Interferenz hat sich in wenigen Jahren zu einem hoch aktiven Forschungsgebiet der Zellbiologie entwickelt. Ferner werden kurzkettige Doppelstrang-RNA-Moleküle derzeit intensiv auf eine mögliche therapeutische Anwendung beim Menschen hin untersucht. Die zentrale Bedeutung der immunstimulatorischen Komponente für die Entwicklung von Antisense-Oligonukleotiden (Erkennung von CpGMotiven über TLR9) und von siRNA (Erkennung von Doppelstrang-RNA über TLR3) ist in der Grafik 2 dargestellt Auswahl von Beiträgen des Symposiums Bei der Tagung in Berlin kamen erstmals in Deutschland Grundlagenwissenschaftler und Mediziner aus den Bereichen Antisense-Oligonukleotide, CpG-Oligonukleotide und siRNA zusammen. Jg. 100 Heft 47 21. November 2003 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N Antisense-Oligonukleotide Die Modulation von Apoptose-assoziierten Proteinen wie bcl-2 (anti-bcl-2 Antisense-Oligonukleotid G3139, Genasense) steht derzeit im Vordergrund der Bemühungen im Bereich der Hämatologie und Onkologie, so Ingo Tamm von der Charité in Berlin. Interessante neue Befunde zu diesem Oligonukleotid präsentierte Volker Gekeler, Konstanz. In Untersuchungen wurde die Antitumoraktivität von Genasense (G3139) mit einem etablierten CpGOligonukleotid (CpG ODN 1826) in verschiedenen Tumormodellen der Maus verglichen. Es zeigte sich, dass selbst in Xenograft-Modellen, bei denen humanes Tumorgewebe in immunsupprimierte Mäuse transplantiert wird, die Antitumoraktivität von ODN 1826 der Wirkung von Genasense (G3139) überlegen war. Ferner wurde für G3139 eine immunstimulatorische Aktivität in Zellkulturexperimenten nachgewiesen. Gekeler folgerte, dass die therapeutische Aktivität von G3139 auf die immunstimulatorische Komponente zurückzuführen sein könnte. Das CpG ODN 1826 ist dem G3139 in dieser Hinsicht jedoch überlegen. Damit könnte das therapeutische Potenzial von CpG-Oligonukleotiden mit optimaler Sequenz auch beim Menschen höher sein als das von G3139. Bcl-2 ist nicht das einzige Zielprotein aus dem Apoptose-Signalweg, für das Antisense-Oligonukleotide entwickelt werden. Von einem weiteren Zielprotein aus dem Apoptose-Signalweg, Clusterin, berichtete Burkhard Jansen, Vancouver, Kanada. Er zeigte, dass Clusterin beim Melanom für die Hochregulation von Bcl-xL, einem anti-apoptotischen Protein aus der Bcl-2-Familie, verantwortlich ist.Jansen stellte das Antisense-Oligonukleotid OGX-011 vor, ein Antisense-Oligonukleotid der zweiten Generation, das aufgrund der chemischen Struktur eine hohe Nukleasestabilität erreicht. Immunstimulatorische Effekte wurden bisher bei diesen Oligonukleotiden nicht nachgewiesen. Für OGX-011 konnte eine gegen Tumoren gerichtete Aktivität mehrfach nachgewiesen werden. OGX-011 wird derzeit in einer klinischen Studie bei Patienten mit Prostatakarzinom getestet. A 3106 Grafik 1 Neben Proteinen aus dem Apoptose-Signalweg gibt es weitere interessante Zielproteine für AntisenseOligonukleotide aus dem Bereich der Hämatologie und Onkologie. Transforming growth factor beta-2 (TGF-beta-2) wird von verschiedenen Tumoren produziert und besitzt eine immunsuppressive Wirkung. Die Expression von TGFbeta-2 korreliert mit einer schlechten Prognose bei Glioblastom-Patienten. Eine Hemmung der Expression von TGF-beta-2 wird derzeit intensiv angestrebt. Peter Hau, Regensburg, referierte über den Stand der Die DNA von Bakterien und Viren enthält CpG-Motive (nicht methylierte Cytidin-Guanosin-Dinukleotide in bestimmtem Sequenzklinischen Entwicklung des kontext). DNA, die solche Motive enthält, wird von dendritischen Antisense-Oligonukleotids Zellen als molekulares Muster für mikrobielle Erreger erkannt und AP 12009, das gegen TGFaktiviert. Dann ist die dendritische Zelle in der Lage, eine antigenbeta-2 gerichtet ist. In einer spezifische T-Zellantwort zur Abwehr von Viren und Bakterien einklinischen Studie wurde AP zuleiten. Körpereigene DNA (ohne CpG-Motive) wird nicht als 12009 über einen implan„Alarmsignal“ erkannt. Modifiziert nach Rothenfußer et al., Dtsch Arztebl 2001; 89: A981–985. tierten Katheter intratumoral in den Hirntumor verab- Erkennung von CpG-DNA durch dendritische Zellen reicht. Bislang wurden 20 Patienten behandelt. Hau konnte über Spleißvariante der Acetylcholinesterase erste Erfolge mit diesem Antisense-Oli- (AChE-R) in der Maus und in der Ratte gonukleotid berichten. Vor einer endgül- (jeweils mit an die Spezies angepasster tigen Beurteilung müssen die ermutigen- Sequenz) in vivo korrigiert.Soreq berichden Befunde jedoch in einer Doppel- tete von einer offenen Pilotstudie, in der blindstudie erhärtet werden. ein humanes Homolog des AntisenseObwohl der Bereich der Hämatologie Oligonukleotids (hEN101) zu einer Besund Onkologie derzeit im Fokus der serung der klinischen Symptomatik bei Bemühungen steht, ist der Ansatz der Patienten mit Myasthenia gravis führte. Antisense-Strategie prinzipiell nicht auf dieses Gebiet beschränkt. Bei jeder Erkrankung, bei der die Überexpression ei- Immunstimulatorische nes bestimmten Proteins eine zentrale CpG-Oligonukleotide Rolle spielt, könnte die Antisense-Technologie eingesetzt werden. So kommt es Das Verständnis der immunologischen bei Patienten mit Myasthenia gravis zu Mechanismen, die durch CpG-Oligonueiner Akkumulation einer Spleißvarian- kleotide induziert werden, haben zu einer te (Spleißen ist ein enzymatischer Pro- Reihe von neuen Entwicklungen geführt. zess, bei dem in der Zelle aus einem Diese beziehen sich auf eine OptimieRNA-Molekül verschiedene Messen- rung der Technologie selbst und auf eiger-RNA-Moleküle hergestellt werden nen verbesserten Einsatz für die Imkönnen) der Acetylcholinesterase. Her- muntherapie von Tumoren in Tiermodelmona Soreq, Jerusalem, stellte die Ent- len und in ersten klinischen Studien. wicklung eines Antisense-Oligonukleo- Über die Entwicklung von drei verschietids (EN101) vor, mit dem das patholo- denen Klassen von CpG-Oligonukleotigische Spleißmuster korrigiert werden den: CpG-A, CpG-B, und CpG-C, berichkann. Mit diesem Antisense-Oligonu- tete Gunther Hartmann, München. Die kleotid wurde eine Überproduktion der Unterschiede bestehen in der molekula Jg. 100 Heft 47 21. November 2003 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N ren Struktur und der funktionellen Aktivität. Beim Menschen wird TLR9 (Rezeptor für CpG-Motive) ausschließlich in B-Zellen und plasmazytoiden dendritischen Zellen (auch IFN-α/β produzierende Zelle genannt) exprimiert. CpG-A induziert große Mengen von IFN-α und IFN-β wie bei einer Virusinfektion. CpGB aktiviert präferenziell B-Zellen. CpGC verbindet beide Aktivitäten von CpGA und CpG-B (6). Im Gegensatz zu anderen Therapieformen wie der Chemotherapie gibt es hinsichtlich des optimalen Einsatzes von immunstimulatorischen Oligonukleotiden in der Tumortherapie wenig Information. Einen Beitrag zur Klärung dieser Frage stellte Stefan Endres, München, mit tierexperimentellen Befunden zur Kombination von dendritischen Zellen und immunstimulatorischen CpG-Oligonukleotiden in der Immuntherapie des Kolonkarzinoms vor. Dabei wurden Mäuse, bei denen sich bereits subkutan ein Tumor aus implantierten Kolonkarzinomzellen gebildet hatte, mit dendritischen Zellen und abgetöteten Tumorzellen als Antigenquelle vakziniert. Damit lässt sich eine Tumorzell-spezifische T-Zellantwort induzieren, die zur Rückbildung von kleinen Tumoren führt (therapeutische Vakzine). Wird zusätzlich zur tumorfernen Gabe von dendritischen Zellen tumornah, das heißt in den Tumorrand, CpG-Oligonukleotid injiziert, so lässt sich ein deutlicher Synergismus erzielen mit der Rückbildung von auch großen Tumoren bis zu einem Durchmesser von 1 cm (7). Vor der Testung einer Kombination von CpG-Oligonukleotiden und dendritischen Zellen müssen jedoch erst die einzelnen Komponenten klinisch untersucht werden. Christian Schetter, Langenfeld, stellte eine klinische Studie zur Monotherapie mit dem CpG-Oligonukleotid CpG 7909 vor. In der Untersuchung wurde eine Antitumoraktivität bei Tumorpatienten im fortgeschrittenen Stadium (Melanom, Non-HodgkinLymphom) dokumentiert. In einer Reihe von Phase-2-Studien wird CpG 7909 nun in Kombination mit den monoklonalen Antikörpern Rituximab und Herceptin eingesetzt. In einer weiteren Studie wird CpG 7909 als Vakzineadjuvans mit Tumorantigen kombiniert. Die niedrige Fallzahl erlaubt jedoch noch keine endgültige Beurteilung. RNA-Interferenz In ähnlicher Weise wie bei Antisense-Oligonukleotiden ist auch die Technik der RNA-Interferenz in der Zellkultur gut etabliert. Bislang war unklar, ob die spezifische Hemmung von Zielproteinen in vitro auch auf die In-vivo-Situation übertragen werden kann und damit möglicherweise auch klinisch verwendet werden könnte. Hierzu machte Stefan Limmer, Kulmbach die Beobachtung, dass mit einer systemischen Verabreichung dieser kurzkettigen Doppelstrang-RNAMoleküle, ohne weitere Mechanismen der Aufnahmesteigerung, eine gezielte Verminderung der Expression eines bestimmten Zielgens in verschiedenen Geweben erreicht wird. Eine mögliche klinische Anwendung von siRNA ist die gezielte Hemmung von Fusionsproteinen bei Leukämien. Arndt Borkhardt, Gießen, berichtete über den Einsatz von siRNA zur selekti- ven Hemmung der Expression von Fusionsgenen bei Leukämien und Lymphomen (zum Beispiel dem Fusionsgen BCR-ABL bei der chronischen myeloischen Leukämie). Die Sequenzspezifität der Wirkung von siRNA wurde über den Einbau von Punktmutationen im Zielgen nachgewiesen. Anders als bei den Experimenten von Limmer und Borkhardt benutzte Hiroshi Takaku, Ciba,Japan,langkettige Doppelstrang-RNA-Moleküle zur Hemmung der Expression verschiedener HIV-Gene in Zelllinien. Dabei konnte eine Inhibition der Genexpression von mehr als 95 Prozent erreicht werden. Ein sequenzunspezifischer Anteil bei der Hemmung der Genexpression wurde jedoch nicht ausgeschlossen. Ein solcher Effekt ist bei der verwendeten Länge der Doppelstrang-RNA-Moleküle möglich. Außerdem scheint eine Übertragung auf die In-vivo-Situation problematisch, weil davon ausgegangen werden kann, dass die Grafik 2 Das Immunsystem besitzt zwei Proteinrezeptoren, Toll-like receptor 3 und 9 (TLR3, TLR9), die auf die Erkennung von bestimmten Merkmalen von Nukleinsäuren spezialisiert sind: TLR3 erkennt DoppelstrangRNA-Moleküle ab einer Größe von 30 Basen. Um diesen immunstimulatorischen Effekt zu umgehen, werden bei der RNA-Interferenz (sequenzspezifische Ausschaltung von Zielgenen) kurzkettige Doppelstrang-RNAMoleküle von etwa 21 Basen eingesetzt (small interfering RNA, siRNA). Auf der anderen Seite wurde das Doppelstrang-RNA-Molekül poly (I.C) (Inosin:Cytidin) entwickelt, um die immunstimulatorische Komponente von Doppelstrang-RNA zu nutzen. Ein Mechanismus von RNA-Interferenz findet wegen der fehlenden Zielsequenz für poly (I:C) im Genom nicht statt. TLR9 erkennt CpG-Motive in Einzelstrang-DNA-Molekülen. Einzelstrang-DNA-Moleküle werden als Antisense-Oligonukleotide eingesetzt. Um hierbei eine Immunstimulation zu vermeiden, muss bei Antisense-Oligonukleotiden darauf geachtet werden, dass keine CGDinukleotide in der Sequenz vorkommen. Andererseits wurden CpG-Oligonukleotide entwickelt, die das Immunsystem über TLR9 selektiv stimulieren. CpG-Oligonukleotide werden derzeit als Vakzineadjuvans und für die Therapie von Allergien und Tumorerkrankungen entwickelt. Erkennung von Nukleinsäuren durch das Immunsystem Jg. 100 Heft 47 21. November 2003 Deutsches Ärzteblatt A 3107 M E D I Z I N langkettigen RNA-Moleküle wesentlich schlechter in Zellen aufgenommen werden. In vitro werden für die Steigerung der Aufnahme in der Regel kationische Lipide eingesetzt, die mit den Nukleinsäuren Komplexe eingehen und so von der Zelle vermehrt aufgenommen werden. Es wird daher bereits lange nach einer Methode gesucht, wie kurzkettige Nukleinsäuren leichter in die Zelle transferiert werden können. Hierzu machte Georg Sczakiel, Lübeck, eine wichtige Entdeckung. So gelang die Identifizierung von bestimmten Nukleinsäuresequenzen, für die offenbar ein spezieller zellulärer Aufnahmemechanismus existiert. Solche Sequenzen können nun an Antisense-Oligonukleotide oder an siRNA angehängt werden, um deren Aufnahme in die Zelle zu steigern. Die für diesen Zweck in Lübeck entwickelte molekularbiologische Screeningtechnik wird möglicherweise zur Identifizierung weiterer Nukleinsäuresequenzen führen, mit der die Antisenseund die siRNA-Technologie weiter verbessert werden könnte. Beurteilung und weitere Entwicklung Die Synthese kurzkettiger Nukleinsäuremoleküle ist heute in großem Maßstab möglich. Damit ergibt sich die Möglichkeit der Entwicklung von auf Oligonukleotiden basierenden Therapeutika, einer neuen Substanzklasse von Arzneimitteln. Zudem können Antisense-Oligonukleotide und siRNA als Werkzeuge eingesetzt werden, um Zielgene für neue Medikamente zu identifizieren. Zwischen CpG-Oligonukleotiden einerseits und den beiden Antisense-Strategien (Oligonukleotide und siRNA) sind grundsätzliche Unterschiede zu beachten, betonte Fritz Eckstein, Göttingen.Während die beiden Antisense-Strategien auf der Ebene der mRNA wirken, kommt es bei CpG-Oligonukleotiden zu einer Erkennung durch einen Proteinrezeptor. Ferner spielt bei CpG-Oligonukleotiden die Aufnahme in die Zelle eine untergeordnete Rolle, wohingegen bei Antisense-Oligonukleotiden als auch bei siRNA eine genügend hohe Wirkstoffkonzentration am Wirkort, dem Zellkern, erforderlich ist. Obwohl erste Da- A 3108 ten darauf hindeuten, dass siRNA auch ohne Aufnahmeverstärkung in vivo aktiv ist, bleibt die Bestätigung dieser Befunde abzuwarten. Wie bei Antisense-Oligonukleotiden, ist auch bei siRNA eine unspezifische Wirkkomponente sorgfältig auszuschließen. Grundsätzlich sind bei der Entwicklung von kurzkettigen Nukleinsäuren (therapeutische Oligonukleotide) die regulatorischen Aspekte zu beachten, die für die Entwicklung von anderen Arzneimitteln gelten. Regulatorische Hürden über diesen Rahmen hinaus, wie etwa bei der Gentherapie, sind bei therapeutischen Oligonukleotiden deshalb nicht zu erwarten, weil hier nicht in das Genom selbst, sondern lediglich in die Genexpression eingegriffen wird, erläuterte Klaus Cichutek, Langen, die Auffassung des Paul-Ehrlich-Instituts. Weiterführende Literatur bei den Verfassern Anschrift für die Verfasser: Priv.-Doz. Dr. med. Gunther Hartmann Prof. Dr. med. Stefan Endres Abteilung für Klinische Pharmakologie Medizinische Klinik Innenstadt Klinikum der Universität München Ziemssenstraße 1 80336 München Zur Förderung dieser wissenschaftlichen Thematik wurde im Dezember 2002 die internationale Gesellschaft „Oligonucleotide Therapeutics Society“ mit Sitz in Boston, Massachusetts, USA, gegründet. Gründungsmitglieder aus Deutschland sind Fritz Eckstein, Max-Planck Institut in Göttingen; Gunther Hartmann, Universitätsklinikum München; Georg Sczakiel, Universitätsklinikum Lübeck; und Tom Tuschl, Max-Planck Institut in Göttingen, derzeit Rockefeller Universität in New York. Die Arbeiten der Abteilung werden unterstützt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG HA 2780/4-1, DFG EN 169/7-1), durch das BMBF und Coley Pharmaceutical GmbH, Langenfeld (03-12235-6, GH), durch die Deutsche Krebshilfe (10-2074, GH), die Human Science Foundation (GH) in Japan, die Friedrich-Baur-Stiftung in München und das Programm für Forschung und Lehre der Universität München. Die Autoren danken der PaulMartini-Stiftung (Leiter des wissenschaftlichen Beirats: Prof. Dr. Dr. h. c. Peter C. Scriba) für die Möglichkeit zur Ausrichtung der Tagung. MEDIZINGESCHICHTE(N) AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT Ethik in der Medizin Sterbehilfe Zitat: „Am [...] 21. September [1939] ergriff Freud, als ich an seinem Bett saß, meine Hand und sagte zu mir: Lieber Schur, Sie erinnern sich wohl an unser erstes Gespräch. Sie haben mir damals versprochen, mich nicht im Stich zu lassen, wenn es soweit ist. Das ist jetzt nur noch Quälerei und hat keinen Sinn mehr. Ich [Max Schur] sagte ihm, ich hätte mein Versprechen nicht vergessen. Er seufzte erleichtert auf, hielt meine Hand noch einen Augenblick fest und sagte: Ich danke Ihnen. Nach einem Augenblick des Zögerns fügte er hinzu: Sagen Sie es Anna [1].All das sagte er ohne eine Spur von Gefühlsüberschwang oder Selbstmitleid und in vollem Bewußtsein der Realität. Ich teilte Anna unsere Unterhaltung mit, wie Freud es gewollt hatte. Als er von neuem schreckliche Schmerzen hatte, gab ich ihm eine Injektion von zwei Zentigramm Morphium. Er spürte schon bald Erleichterung und fiel in friedlichen Schlaf. Der Ausdruck von Schmerz und Leiden war gewichen. Nach ungefähr zwölf Stunden wiederholte ich die Dosis. Freud war offensichtlich so am Ende seiner Kräfte, daß er in ein Koma fiel und nicht mehr aufwachte. Er starb um 3 Uhr morgens am 23. September 1939.“ Über Sigmund Freud (1939). In: Max Schur: Sigmund Freud. Leben und Sterben. Frankfurt/M, 1973; S. 620 f. [1] Jüngste Tochter Freuds, Kinderpsychoanalytikerin. – Schur emigrierte mit der Freud-Familie 1938 nach London. Der Begründer der Psychoanalyse litt seit etwa 1920 an einem höchst quälenden Krebs des harten Gaumens und schied schließlich mit Unterstützung seines „Leibarztes“ aus dem Leben. Berichtigung Die Überschrift des Beitrags „Insulin glargin – das erste lang wirkende Insulinanalogon; Ergebnisse einer Anwendungsbeobachtung mit 10 258 Patienten“ (erschienen in Heft 46) wurde aufgrund eines technischen Versehens in einem MWR Teil der Auflage falsch geschrieben. Jg. 100 Heft 47 21. November 2003 Deutsches Ärzteblatt