v ∫v - Bildungsportal Sachsen

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Prof. Dr.-Ing. Herzig
Vorlesung " Elektrotechnik 1"
259
1etv45-1
4.5
Quasistationäres elektromagnetisches Feld
Wir wollen zunächst das quasistationäre Feld definieren. Bei der quasistationären
Betrachtung werden zeitliche Änderungen zugelassen, allerdings mit Einschränkungen.
Wir betrachten periodische zeitliche Größen mit der Periodendauer T. Hat die periodische
Größe z. B. 50 Perioden in einer Sekunde, so beträgt ihre Frequenz f = 50 Hz (Hertz). Die
Periodendauer ist dann
T=
1
1
=
= 20ms
f 50Hz
(4.5.01)
In einer elektrischen Schaltung, in einer elektrischen Anlage oder in einem elektrischen
Energieversorgungsnetz breiten sich die elektromagnetischen Erscheinung mit der
Lichtgeschwindigkeit c aus. Wir definieren eine Laufzeit TL der elektromagnetischen
Erscheinung in der Anlage, die durch deren größte Längenabmessung smax bestimmt
wird.
TL =
smax
c
(4.5.02)
Bei der quasistationären Betrachtung des elektromagnetischen Feldes gilt nun, dass
T TL ist. Damit spielen Laufzeiteffekte keine Rolle, es treten keine elektromagnetischen
Wellen auf. Alle Vorgänge können auch bei deren zeitlicher Änderung wie stationäre
Vorgänge behandelt werden. In den Maxwellschen Gleichungen müssen die zeitlichen
Änderung der Größen betrachtet werden. Besondere Bedeutung hat dabei das
Induktionsgesetz.
G
G G
∂B G
Induktionsgesetz
(4.5.03)
v∫ E ⋅ ds = −∫ ∂t ⋅ dA
G G
G G
H
⋅
ds
=
J
Durchflutungsgesetz
(4.5.04)
v∫
∫ ⋅ dA
Da die zeitliche Änderung der Flussdichte
G
∂B
≠0
∂t
wird der
Umlauf über die elektrische Feldstärke
G geschlossene
G
v∫ E ⋅ ds ≠ 0
Das bedeutet, dass die Spannung zwischen zwei Raumpunkten nicht mehr durch die
Differenz der Potenziale wie im elektrostatischen und im stationären elektrischen
Strömungsfeld bestimmt wird. Die Spannung wird wegabhängig, es liegt ein Wirbelfeld
vor. Nach dem Durchflutungsgesetz erzeugen zeitlich veränderliche Stromdichten und
damit zeitlich veränderliche Ströme zeitlich veränderliche Magnetfelder mit
Rückwirkungen auf das elektrische Feld. Die Vorgänge werden
Induktionserscheinungen genannt. Sie wurden Erstmalig durch Faraday beschreiben.
Hertz, Heinrich; deutsche Physiker (1857 - 1894)
Faraday, Michael; britischer Physiker und Chemiker (1791-1867)
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260
1etv45-1
Faraday formulierte 1831:
1.
2.
Jedes zeitlich veränderliche Magnetfeld wird von einem elektrischen Feld
umwirbelt.
Eine bewegte Ladung erfährt im Magnetfeld eine Kraft.
Untersuchen wir die Wirkung auf Leiteranordnungen, wobei ein Leiter durch eine große
Zahl frei beweglicher Ladungen gekennzeichnet ist, so stellen wir fest:
Das durch die zeitliche Änderung des Magnetfeldes entstehende elektrische Feld übt
Coulombsche Kräfte auf die frei beweglichen Ladungen in ruhenden Leitern aus. Es
erfolgt eine örtliche Ladungstrennung im Leiter wodurch eine Potenzialdifferenz und damit
eine Spannung entsteht. Diesen Vorgang bezeichnen wir als Ruheinduktion.
Wird ein Leiter durch ein Magnetfeld bewegt, so erfahren seine frei beweglichen
Ladungsträger eine Kraft. Es erfolgt ebenfalls eine örtliche Ladungstrennung im Leiter, es
entsteht eine Potentialdifferenz und damit eine Spannung. Diesen Vorgang nennen wir
Bewegungsinduktion.
Die große praktische Bedeutung der Induktionsvorgänge liegt darin, dass sich
Magnetfelder mit geringem energetischen Aufwand mit Energiedichten erzeugen lassen,
die für die Energiewandlung zwischen elektrischer und mechanischer Energie geeignet
sind. Die Wirkungsweise der elektrischen Generatoren und der Elektromotoren ohne die
eine moderne Antriebstechnik nicht möglich wäre, beruht auf der Wirkung der
Induktionserscheinungen. Diese werden durch das Induktionsgesetz beschrieben.
Induktionserscheinungen sind Ursache für Wirbelströme in massiven Eisenteilen bei
Wechselmagnetisierung und für die Stromverdrängung in Leitern, die von
Wechselströmen durchflossen werden
4.5.1
Induktionserscheinungen in ruhenden Leitern bei zeitlich
veränderlichen Magnetfeldern (Ruheinduktion)
a)
Induktionsgesetz
Der Lernende kann
- den Zusammenhang zwischen der zeitlichen Magnetfeldänderung und dem Vektor der elektrischen
Feldstärke angeben
- den Begriff Wirbelverkettung erklären und den Richtungszusammenhang zwischen Wirbelgrößen
nach dem Rechtswirbel erläutern
- den gleichungsmäßigen Zusammenhang zwischen induzierter Quellenspannung und der zeitlichen
Flussänderung formulieren und die zugehörige Zählzuordnung angeben
- bei vorgegebenem zeitlichen Verlauf des Flusses in einer Leiterschleife die induzierte
Quellenspannung in der Leiterschleife berechnen berechnen
- die Lenzsche Regel an einer geschlossenen Leiterschleife beweisen
Die von Faraday formulierten Gesetzmäßigkeiten lassen sich nur durch experimentelle
Ergebnisse nachweisen und stellen ein Naturverhalten dar.
Jedes zeitlich veränderliche Magnetfeld erzeugt einen Wirbel der elektrischen
Feldstärke.
In Abb.4.5.01 ist der Zusammenhang zwischen der zeitlichen Magnetfeldänderung und
dem Vektor des elektrischen Feldstärkewirbels dargestellt.
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1etv45-1
dΦ
Φ
dΦ
dΦ
>0
dt
Φ
dΦ
<0
dt
G
E
G
E
Abb.4.5.01 Zusammenhang zwischen
Magnetfeldänderung und dem Wirbel der
elektrischen Feldstärke
a) bei Magnetfeldvergrößerung
b) bei Magnetfeldverkleinerung
Wie Abb.4.501a zeigt, umwirbelt der Vektor der elektrischen Feldstärke das Magnetfeld
bei Magnetflussvergrößerung im Linksdrehsinn. Bei Magnetflussverkleinerung (Abb.4.501
b) erfolgt die Umwirbelung des Magnetfeldes im Rechtsdrehsinn.
Bildet man das Umlaufintegral der Feldstärke (Abb.4.5.02), so ergibt sich bei einer
zeitlichen Änderung des Magnetfeldes im Umlauf ein von Null verschiedener Wert K.
dΦ
dt
B
G
ds
G
E
A
Abb.4.5.02 Berechnung des Umlaufintegrals der Feldstärke
G G
E
v∫ ⋅ ds = K
(4.5.05)
Wird das Umlaufintegral in zwei Linienintegrale aufgeteilt
B G
G AG G
E
⋅
ds
+ ∫ E ⋅ ds = K
∫
(4.5.06)
so ergibt sich
B G
G AG G
E
⋅
ds
≠ ∫ E ⋅ ds
∫
(4.5.07)
A
A
B
B
Das ist im Gegensatz zum Potenzialfeld ein Wirbelfeld.
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Experimentell ist nachweisbar:
G G
dΦ
(4.5.08)
E
v∫ ⋅ ds = K = dt
Der Betrag des Ringintegrals ist gleich dem Betrag der zeitlichen Änderung des Flusses,
der die vom Umlaufweg umrandete Fläche durchsetzt. Um Gl.(4.5.08) vorzeichenmäßig
zu formulieren muss die für Wirbelgrößen festgelegte positive Zählrichtung berücksichtigt
werden. Die positive Zählrichtung zwischen Wirbelgrößen ist der Rechtswirbel.
Diese Zuordnung hatten wir bereits bei der Zählrichtung zwischen Strom und
Durchflutung im Magnetfeld (Abb.4.4.14) eingeführt. Für die VerhältnisseGdes
Induktionsgesetzes gilt der Rechtswirbel zwischen dem Flächenvektor dA der vom Fluss
G
durchsetzten Fläche und dem Wegelement ds des Umlaufintegrals nach Abb.4.5.03.
G
dA
G
dA
G
ds
G
ds
Abb.4.5.03 Festlegung der positiven
Zählrichtung nach dem Rechtswirbel
Abb.4.5.04 Darstellung des Rechtswirbels
mit der rechten Hand
G
dΦ
; Φ und E gezeigt. Der
dt
Rechtswirbel lässt sich zweckmäßigerweise durch die rechte Hand nach Abb.4.5.04
nachbilden.
In Abb.4.5.03 ist die positive Zählzuordnung zwischen
G
dΦ dA
Φ
−
dt G
B
G
E
G
ds
Abb.4.5.05 Festlegung der positiven
Zählrichtung des Induktionsgesetzes nach
dem Rechtswirbel
G G
Φ = ∫ B ⋅ dA
(4.5.09)
G
G
Bei Richtungsgleichheit von B und dA
ergibt sich der in Abb.4.5.05 gezeigte
Zählpfeil des Flusses. Da das
Naturverhalten nach Abb.4.5.01b einen
Rechtswirbel bei Flussverkleinerung
 dΦ

 dt < 0  aufweist, muss Gl.(4.5.08)


mit Vorzeichen lauten
G G
dΦ
E
v∫ ⋅ ds = − dt
(4.5.10)
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mit Gl.(4.5.09) ergibt sich dann das Induktionsgesetz nach Maxwell Gl.(4.5.03)
G
G G
∂B G
v∫ E ⋅ ds = −∫ ∂t ⋅ dA
Betrachten wir nun eine Leiterschleife nach Abb.4.5.06 im zeitlich veränderlichem Feld.
Für das Magnetfeld soll sich dabei dΦ / dt > 0 gelten. Eine positive Ladung Q erfährt im
elektrischen Feld Kraft
G
G
F = Q ⋅E
(4.5.11)
Durch den Wirbel der elektrischen Feldstärke werden Kräfte auf die frei beweglichen
Ladungsträger im Leiter ausgeübt. Es erfolgt eine Ladungstrennung und an den
Anschlüssen der Leiterschleife entsteht die Spannung u mit der angegebenen Polarität.
Schließen wir die Leiterschleife fließt nach Abb.4.5.07 der Strom i.
dΦ
Φ
Φ
dΦ
>0
dt
uiq
_
uL
dΦ
dΦ
>0
dt
Q
+
+
Q
+
i
G G
E;F
uiq
G G
E;F
Abb.4.5.06 Offene Leiterschleife im zeitlich
veränderlichen Magnetfeld
Abb.4.5.07 Geschlossene Leiterschleife im
zeitlich veränderlichen Magnetfeld
Da in der Schleife ein Strom i fließt, muss die an der offenen Leiterschleife registrierte
Spannung eine Quellenspannung sein. Diese Spannung wird als induzierte
Quellenspannung uiq eingeführt. Der positive Zählpfeil der induzierten Quellenspannung
ist nach einem Rechtswirbel dem Zählpfeil der positiven Flussänderung dΦ / dt
beziehungsweise dem Zählpfeil des Flusses Φ zugeordnet (Abb.4.5.08). Damit ergibt
sich Gl.4.5.12 für den Zusammenhang zwischen induzierter Quellenspannung und
zeitlicher Flussänderung
Φ
dΦ
dt
uiq =
uiq
Abb.4.5.08 Zählpfeile des Flusses und der
induzierten Quellenspannung
dΦ
dt
(4.5.12)
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Der Zusammenhang zwischen induzierter Quellenspannung und dem Umlaufintegral der
elektrischen Feldstärke ergibt sich dann nach den Gl.(4.5.10) und (4.5.12) zu
G G dΦ
uiq = − v∫ E ⋅ ds =
dt
(4.5.13)
Im Folgenden sollen noch zwei weitere in der Fachliteratur verwendete Begriffe im
Zusammenhang mit dem Induktionsgesetz angegeben werden. In DIN 1323 wird die
Spannung ui als induzierte Spannung definiert nach Gl.(4.5.14)
G G
dΦ
(4.5.14)
ui = v∫ E ⋅ ds = −
dt
Nach Gl.(4.5.13) und (4.5.14) besteht zwischen induzierter Quellenspannung und
induzierter Spannung der Zusammenhang
uiq = −ui
(4.5.15)
Die induzierte Spannung ist als Spannungsabfall definiert.
Die Klemmenspannung der offenen Schleife (Abb.4.5.06) ist als induktive Spannung
definiert. Die Anwendung des Maschensatzes in Abb.4.5.06 liefert in Zusammenhang mit
Gl.4.5.12
uL = uiq =
dΦ
dt
(4.5.16)
Das negative Vorzeichen in Gl.(4.5.10) und (4.4.14) wird oft mit der Lenzschen Regel
begründet. Diese Regel besagt, dass die induzierte Spannung so gerichtet ist, dass das
Magnetfeld des durch sie verursachten Stromes der Induktionsursache entgegenwirkt.
Wie wir festgestellt hatten, ist das negative Vorzeichen durch die Festlegung des
positiven Zählzusammenhangs zwischen positiver Flussänderung und dem Vektor der
elektrischen Feldstärke nach dem Rechtswirbel begründet. In Abb.4.5.09 wird die
Lenzsche Regel angewendet.
Φ
Φ
Φ
dΦ
Φ i1
uiq
Φi2
uiq
uiq
i
uiq =
a)
dΦ
dt
dΦ
dΦ
>0
dt
Wirkung: Φ i1
Ursache:
b)
Abb.4.5.09 Anwendung der Lenzschen Regel
Lenz, Heinrich; deutscher Physiker (1804 - 1865)
i
dΦ
<0
dt
Wirkung: Φ i2
Ursache:
c)
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Abb.4.5.09a gibt den Zählpfeilzusammenhang zwischen Fluss und induzierter
Quellenspannung an mit der zugehörigen Gleichung. In den Bildern b und c sind die
tatsächlichen Richtungen der Größen eingetragen. In Abb.4.5.09b ist Ursache des
Induktionsvorgangs die positive Flussänderung, die Wirkung der durch den Strom i in der
geschlossenen Schleife aufgebaute Fluss Φ i1 . Er wirkt der Ursache entgegen.
In Abb.4.5.09c kehrt sich mit Richtungsumkehr der Ursache ( dΦ / dt < 0 ) auch die
Wirkung um. Φ i2 wirkt der Flussverkleinerung entgegen.
Die induzierte Quellenspannung ordnet sich in die Anwendung des Maschensatzes ein.
Aus Gl.(4.5.14) wird
G G dΦ
E
(4.5.17)
v∫ ⋅ ds + dt = 0
und mit Gl.(4.5.12)
G G
E
v∫ ⋅ ds + uiq = 0
(4.5.18)
In Abb.4.5.10 ist die gezeigte Masche mit dem zeitlich sich ändernden Fluss Φ verkettet.
In der Masche wirkt die induzierte Quellenspannung uiq. Werden zwischen den Punkten 1
bis 4 in der Masche die Spannungsabfälle u1 bis u4 eingeführt, dann
liefert der Maschensatz
Φ
3
u3
4
M
u2
uiq
u4
u1
1
2
Abb.4.5.10 Induzierte Quellenspannung in der Masche
Σu = 0
u1 + u2 + u3 + u4 + uiq = 0
(4.5.19)
(4.5.20)
Die induzierte Quellenspannung kann in der Masche nicht an einer Stelle lokalisiert
werden. Da die Ursache die zeitliche Änderung des mit der Masche verketten Flusses ist,
wirkt sie entlang des gesamten Umfangs der Masche analog zur Durchflutung in einem
magnetischen Kreis.
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Bei der Spannungsmessung in einer Messung in einer offenen Leiterschleife ist für die
induzierte Quellenspannung der Fluss bestimmend, der die von der Leiterschleife
einschließlich Messleitungen und Messinstrumente umrandete Fläche durchsetzt oder
wie man auch sagt mit dieser Schleife verkettet ist. In Abb.4.5.11 sind für die Anordnung
der Messleitungen zwei Möglichkeiten angegeben, die zu völlig unterschiedlichen
Ergebnissen führen. Um die in der Leiterschleife induzierte Spannung möglichst genau zu
messen, sollten die Messleitungen verdrillt werden, um keine die Fläche zwischen den
Messleitungen zu Null zu machen.
uiq
Ψ
Ψ
G
B
V
G
B
uiq
V
Abb.4.5.11 Messung der Quellenspannung in einer Leiterschleife
Beispiel 4.5.01
Der mit einer Drahtschleife verkettete
Fluss Φ hat den nebenstehend
angegebenen zeitlichen Verlauf. Zu
berechnen und im Diagramm darzustellen
ist der zeitliche Verlauf der induzierten
Spannung uiq in der Schleife.
Φ/Vs
6⋅10 -4
1.5⋅10 -4
0.4
Φ
u
dΦ
dt
M
uiq =
M:
uiq
0 ≤ t ≤ 0.4s
Φ = 6 ⋅ 10 −4 Vs
0.4s ≤ t ≤ 0.8s
Φ = 6 ⋅ 10 −4 Vs −
0.8s ≤ t
Φ = 1.5 ⋅ 10−4 Vs
t/s
dΦ
dt
u − uiq = 0
u = uiq =
dΦ
dt
dΦ
=0
dt
dΦ
uiq =
= −1.125 ⋅ mV
dt
dΦ
uiq =
=0
dt
uiq =
4.5 ⋅ 10−4 Vs
⋅t
0.4s
0.8
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uiq
mV
0.4
0.8
t/s
−0.5
−1.0
b)
Spule im zeitlich veränderlichen Magnetfeld
Der Lernende kann
- den Begriff der Flussverkettung einer Spule erläutern und formelmäßig angeben
- die allgemeine Form des Induktionsgesetzes formulieren
- das Induktionsgesetz für Spulen mit Eisenkern angeben
- die Begriffe rechtsgänge und linksgänge Spulen erklären
- Spulen mit Zählpfeilen versehen
- die induzierte Quellenspannung bei vorgegebenem zeitlichen Verlauf des Spulenflusses berechnen
Bei Spulen wird das Umlaufintegral der elektrischen Feldstärke
G G
dΦ
E
v∫ ⋅ ds = − dt
entlang des gesamten Spulendrahtes gebildet. Das zeitlich veränderliche Magnetfeld wird
dabei entsprechend der Windungszahl N mal umfasst. Die Spule ist somit als
Reihenschaltung von N Leiterschleifen aufzufassen. Definiert man die induzierte
Quellenspannung der ν -ten Windung der Spule mit uiqν , dann ergibt der Maschensatz in
Abb.4.5.12
1
uiqv
N
u
2
uiq
Φ
Abb.4.5.12 Induzierte Quellenspannung in einer Spule
u = uiq
(4.5.21)
N
u = uiq1 + uiq2 + uiq3 + ... = ∑ uiν
ν=1
(4.5.22)
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Mit Gl.(4.5.12) erhalten wir
N
d Φ1 d Φ 2
dΦ ν
uiq =
+
+ ... = ∑
(4.5.23)
dt
dt
ν=1 dt
Φ1, Φ 2 , Φ 3 ... sind dabei die Windungsflüsse der N Windungen der Spule. Die zeitliche
Änderung des Magnetfeldes, in dem sich die Spule befindet , bestimmt die zeitliche
Änderung der Spulenflüsse. Damit wird Gl.(4.5.23) zu
d
d N

uiq = ( Φ1 + Φ 2 + ...) =  ∑ Φ ν 
(4.5.24)
dt
dt  ν=1 
Die Summe der Windungsflüsse wird als Flussverkettung Ψ eingeführt
N
Ψ = Φ1 + Φ 2 + ... = ∑ Φ ν
(4.5.25)
ν=1
Mit der Flussverkettung nach Gl.(4.5.25) ergibt sich die allgemeine Form des
Induktionsgesetzes
dΨ
uiq =
(4.5.26)
dt
Technisch wichtig ist der Spezialfall der Spule mit Eisenkern. Da der Fluss nahezu
vollständig im Eisen verläuft ( µFe µ0 ) sind die Spulenflüsse gleich groß
Φ1 = Φ 2 = Φ 3 = ... = Φ
Für diesen Spezialfall ist die Flussverkettung der Spule
(4.5.27)
Ψ = N⋅ Φ
Das Induktionsgesetz hat für diesen Spezialfall die Form
dΦ
uiq = N ⋅
dt
(4.5.28)
(4.5.29)
Spulen können rechts- oder linksgängig gewickelt werden. Rechts- und linksgängig
gewickelte Spulen unterscheiden sich in der Zuordnung der Zählpfeile des Flusses.
Φ
i
i
uiq
u
uiq
u
Φ
linksgängig
rechtsgängig
Abb.4.5.13 Zählpfeile und Wickelsinn von Spulen
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In Abb.4.5.12 sind die Zählpfeile für links- und rechtsgängige Spulen eingetragen. Wird an
die Klemmen der Spule die Spannung u angelegt, so fließt der Strom i. Die
Zählpfeileintragung erfolgt nach dem Verbraucherzählpfeilsystem (siehe 3.1.3). Der Strom
baut nach dem Durchflutungsgesetz ein Magnetfeld auf. Die Richtungszuordnung ist der
Rechtswirbel. Zwischen Fluss und induzierter Quellenspannung wird die Zählrichtung
ebenfalls nach dem Rechtswirbel bestimmt. Rechts- und linksgängige Spule
unterscheiden sich nur in der Richtung des magnetischen Flusses. Bei rechtsgängigen
Spulen werden Spannung u, Strom i, Fluss Φ und induzierter Quellenspannung uiq von
der oberen zur unter Klemme in der gleichen Richtung gezählt. Das Schaltzeichen der
Spule nach Abb.4.5.14 stellt grundsätzlich eine rechtsgängig gewickelte Spule dar.
Die Maschengleichung liefert unabhängig
vom Wickelsinn
i; Φ; uiq
u = uiq
u
(4.5.30)
Abb.4.5.14 Schaltzeichen der Spule
Beispiel 4.5.02
Eine Zylinderspule von s = 40cm Länge und d = 5cm Durchmesser hat N = 800
Windungen. Der Strom in der Spule wird in ∆t = 3s gleichmäßig von 0.1A auf 5A
gesteigert. Berechnen Sie die induzierte Quellenspannung während des Zeitintervalls ∆t !
0.1A

t < t1
 4.9A

i=
( t − t1 ) t1 ≤ t ≤ t 2
3s

t > t2
5A

i
Φ; uiq
t < t1
0
di1 
t1 ≤ t ≤ t 2
= K
dt 
t > t2
0
dΦ
i ⋅ N d2 ⋅ π
uiq = N ⋅
Φ = B ⋅ A1 = µ0 ⋅ H ⋅ A = µ0 ⋅
⋅
dt
s
4
2
2
dΦ µ0 ⋅ N ⋅ d1 ⋅ π di
uiq = N ⋅
=
⋅
dt
4⋅s
dt
(
)
2
0.4π ⋅ 10−6 Vs ⋅ 8002 ⋅ 5 ⋅ 10−2 m ⋅ π 4.9A
t1 ≤ t ≤ t 2 uiq =
⋅
= 2.58mV
Am ⋅ 4
3s
t < t1
 0

uiq = 2.58mV
t1 ≤ t ≤ t 2
 0
t > t2

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c)
Spannungsstoß
Der Lernende kann
- den zeitlichen Verlauf der induzierten Spannung in Abhängigkeit vom zeitlichen Flussverlauf angeben
und ein Beispiel skizzieren
- den Begriff Spannungsstoß aus dem Induktionsgesetz definieren
- nachweisen, warum der Spannungsstoß unabhängig vom zeitlichen Flussverlauf ist und nur durch
Anfangs- und Endwert des Flusses bestimmt wird
- die Wirkungsweise eines Flussmessers erklären
Nach Gl.(4.5.29) und (4.5.30) entsteht zwischen den Anschlüssen einer Spule entsteht
solange eine Spannung, solange sich der in ihr herrschenden magnetische Feldzustand
zeitlich ändert.
dΦ
(4.5.31)
dt
Lösen wir Gl.(4.5.31) nach dΦ auf, so erhalten wir
1
dΦ = ⋅ uiq ⋅ dt
(4.5.32)
N
Die Spulenflüsse betragen zu zwei Zeiten t1 und t2 mit t 2 > t1 Φ(t1 ) = Φ1 Φ(t 2 ) = Φ 2
Die Integration der linken Seite von Gl.(4.5.32) liefert die Differenz zwischen den
Spulenflüssen. Die rechte Seite ergibt das Zeitintegral der induzierten Quellenspannung
innerhalb der Zeiten t1 und t2.
Φ2
t
1 2
∆Φ = ∫ dΦ = Φ 2 − Φ1 = ∫ uiq ⋅ dt
(4.5.33)
N t1
Φ1
u = uiq = N ⋅
Für die Flussverkettung einer Spule mit Eisenkern ergibt sich nach Gl.(4.5.28)
t2
∆Ψ = N ⋅ ∆Φ = N ⋅ ( Φ 2 − Φ1 ) = ∫ uiq ⋅ dt
(4.5.34)
t1
Für Spulen beliebiger Ausführung erhalten wir
t2
∆Ψ = Ψ 2 − Ψ1 = ∫ uiq ⋅ dt
(4.5.35)
t1
Die Differenz der Flussverkettungen ∆Ψ zwischen zwei Zeitpunkten wird als
Spannungsstoß bezeichnet.
Wie rasch die Änderung von Φ1 nach Φ 2 erfolgt ist dabei gleichgültig. In Abb.4.5.15 ist
der zeitliche Flussverlauf und der zugehörige Verlauf der induzierten Quellspannung für
zwei unterschiedliche Fälle dargestellt. Einmal erfolgt die Flussänderung von Φ1 nach Φ 2
im Zeitintervall ∆t a = t 2a − t1 , zum andren im Zeitintervall ∆t a = t 2b − t1 . Nach Gl.4.5.34 sind
die Flächen unter Kurven a und b gleich groß.
t 2a
∫u
iq
t1
⋅ dt =
t 2b
∫u
iq
t1
⋅ dt
(4.5.36)
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1etv45-1
Φ
Φ2
a
b
Φ1
t 2b
t1
t 2a
t
b
uiq
Ψ
Ψ
a
t1
t 2b
t 2a
t
Abb.4.5.15 Zeitlicher Fluss- und Spannungsverlauf in einer Spule
Die Messung des Spannungsstoßes erfolgt
mit einem Flussmesser. Das ist ein
Drehspulinstrument ohne Rückstellfeder
und mit hoher Dämpfung. Solange eine
konstante Spannung U an dieses
Instrument angelegt wird, solange bewegt
sich der Zeiger mit konstanter
Geschwindigkeit, wobei der Betrag der
Geschwindigkeit von der Größe der
Spannung abhängig ist. Durch die Polarität
der Anschlussklemmen wird der Zählpfeil
des Spannungsstoßes ∆Ψ festgelegt. In
Abb.4.5.16 ist der Anschluss des
Flussmessers an eine Spule gezeigt.
i
+
uiqν
∆Ψ
uiq
Vs
−
N
Φ
Abb.4.5.16 Anschluss des Flussmessers an eine
Spule
Da der Flussmesser den Spannungsstoß anzeigt, kann nach Gl. 4.5. 35 nur die
Flussdifferenz zwischen zwei Flusszuständen gemessen werden.
Beispiel 4.5.03
Eine rechtgängig gewickelte Spule mit der Windungszahl N = 300 und der Spulenfläche A
= 1cm2 wird in einem homogenen Magnetfeld der Dichte B = 1.2T aus Stellung a um 90o
in Stellung b gedreht. Zu berechnen ist der Spannungsstoß.
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1etv45-1
∆Ψ
Vs
G
B
uiq
Vs
G
Φ sp ;A sp
G
B
∆Ψ
uiq
G
Φ sp ;A sp
Stellung b
Abb.4.5.17 Beispiel 4.5.03 Stellung a
Zunächst muss der Zählpfeil des Spulenflusses festgelegt werden. Der Zählpfeil des
Spulenfluss ergibt
G sich nach Gl.4.4.07 durch die willkürliche Festlegung des
Flächenvektors A . Der Flusszählpfeil in einer Spule ist immer identisch mit der Richtung
des Flächenvektors. In einer rechtsgängigen Spule bestimmt der Flusszählpfeil einen
richtungsgleichen Zählpfeil der induzierten Quellenspannung uiq. Der Flussmesser in
Abb.4.5.17 ist so angeschlossen, dass eine positive Spannung uiq einen positiven
Spannungsstoß anzeigt.
Die Flüsse für die Stellungen a und b werden nach Gl.4.4.07 bestimmt
G G
Φ1 = B ⋅ A sp,a = B ⋅ A ⋅ cos α a
αa = 90o
cos α a = 0
Φ1 = 0
G G
Φ b = B ⋅ A sp,b = B ⋅ A ⋅ cos αb
αb = 180o
cos αb = −1
Φ b = −B ⋅ A
Mit Gl.(4.5.34) ist der Spannungsstoß in einer Spule
∆Ψ = N ⋅ ( Φ b − Φ a )
∆Ψ = N ⋅ B ⋅ A sp ⋅ ( cos αb − cos α a )
∆Ψ = N ⋅ B ⋅ A sp ⋅ ( −1 − 0 ) = −N ⋅ B ⋅ A sp
∆Ψ = −300 ⋅ 1
Vs
⋅ 10 −4 m2 = −30mVs
m2
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273
1etv45-1
4.5.2
Bewegter Leiter im Magnetfeld, Bewegungsinduktion
Der Lernende kann
- die Lorentzkraft auf frei Ladungsträger in geraden Leitern, die sich im Magnetfeld bewegen,
anwenden
- den Begriff der Ladungstrennung in einem geraden Leiter, der sich im Magnetfeld bewegt, erläutern
- die als Ergebnis der Ladungstrennung auftretende induzierte Quellenspannung vorzeichenmäßig
angeben
- das Induktionsgesetz der Bewegung formulieren
- das Induktionsgesetz der Bewegung für die Anwendung in elektrischen Maschinen formulieren
a)
Lorentzkraft
In 4.4.8Ga hatten wir die Lorentzkraft definiert und festgestellt, dass im Magnetfeld der
G
G
Dichte B eine Ladung Q, die mit der
Geschwindigkeit v bewegt wird, die Kraft F
erfährt Gl.(4.5.31).
G
G G
G G
F = Q ⋅ (vxB)
α = )v;B
(4.5.37)
F = Q ⋅ v ⋅ B ⋅ sin α
In Abb.4.5.18 sind die Vektoren des Kreuzproduktes und die Richtungsfestlegung
mit Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand dargestellt.
G
v
G
F
G
B
G
B
G
F
α
Q
Abb.4.5.18 Lorentkraft,
a) Richtungsfestlegung nach der rechten Hand
G
v
b) Vektoren der Gleichung (4.5.37)
Die Lorentzkraft auf die frei beweglichen Ladungsträger ist die Ursache für die
Spannungsinduktion in Leitern, die durch ein Magnetfeld bewegt werden.
b)
Induktionsgesetz der Bewegung
Im Leiter ist eine große Zahl frei bewegliche Ladungsträger vorhanden. Wird ein Leiter im
Magnetfeld bewegt, so werden diese frei beweglichen Ladungsträger mitbewegt und
erfahren die Lorentzkraft. Das Ergebnis ist eine Ladungstrennung. Es entsteht ein
Überschuss an positiven Ladungsträgern an einem Leiterende und ein Mangel positiver
Ladungsträger am anderen. Das durch die Ladungstrennung aufgebaute elektrische Feld
bewirkt über dem Leiter eine Quellenspannung, die beim Anschluss des Leiters an einen
Verbraucher einen Strom antreiben kann. In Abb.4.5.19 sind die Zusammenhänge für
einen geraden Leiter dargestellt., der senkrecht durch ein homogenes Magnetfeld bewegt
wird.
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274
1etv45-1
Auf den freien Ladungsträger q wirkt die Lorentzkraft:
G
G G
FL = q ⋅ (vxB)
(4.5.38)
Die positive Ladung q wird an das Leiterende 1, eine negative -q an das Leiterende 2
bewegt. Es entstehen Polladungen, die ein elektrisches Feld von der positiven Polladung
zur negativen (von 1 nach 2) erzeugen. Dieses Feld wirkt auf den Ladungsträger q mit der
Coulombkraft:
G
G
FC = q ⋅ EC
(4.5.39)
Die Ladungstrennung erfolgt solange, bis der Gleichgewichtszustand erreicht ist:
G G
FL + FC = 0
(4.3.40)
Der direkte experimentelle Nachweis der an den Leiterenden vorhandenen Ladungen
gelingt, wenn ein zunächst leitende Stab während seiner Bewegung durch das
Magnetfeld zum Nichtleiter wird, z.B. durch die Abkühlung eines heißleitenden
Wachsstabes. Im kalten Zustand ist der Stab ein Isolator, die getrennten Ladungen sind
dann nicht mehr frei beweglich, der Stab wird zum Elektret.
1
+ dsG G
EC
s
G
E
G
FL
q +
G
FC
G
B
G
v
uiq
_
2
Abb.4.5.19 Kräfte auf eine positive Ladung im bewegten Leiter im Magnetfeld
Setzen wir Gl.(4.5.38) und (4.5.39) in Gl.(4.5.40) ein, so können wir die Coulobsche
Feldstärke bestimmen.
G
G G
q ⋅ (v x B) + q ⋅ EC = 0
G
G G
EC = −(v x B)
(4.5.41)
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275
1etv45-1
Das Linienintegral über die Leiterlänge ist die induzierte Quellenspannung. Das
G
Wegelement ds führen wir dabei in Richtung der Potenzialdifferenz ein.
2 G
G
uiq = u12 = ∫ EC ⋅ ds
(4.5.42)
1
Mit Gl.(4.5.41) ergibt sich:
G
G G
uiq = ∫ −(v x B) ⋅ ds
2
(4.5.43)
1
G
Bewegen wir einen geraden Leiter mit der konstanten Geschwindigkeit
v unter einem
G
beliebigen Winkel α durch ein homogenes Magnetfeld der Dichte B , so ergeben sich die
G G
in Abb.4.5.20 dargestellten Beziehungen. Der Kreuzproduktvektor v x B schließt dann
G
zum Wegelement ds den Winkel β ein.
1
G G G
E = v xB
+
uiq
β
G
s
G
EC
2
−
G
v
α
G
B
G
B
G
B
Abb.4.5.20 Bewegter Leiter im Magnetfeld
Mit den konstanten Werten von Geschwindigkeit und Flussdichte ergibt Gl.(4.5.43)
2
G
G G
G G 2 G
uiq = ∫ −(v x B) ⋅ ds = −(v x B) ⋅ ∫ ds
1
2
G
(4.5.44)
1
G
∫ ds = s
1
G
s ist ein Vektor mit dem Betrag s (Leiterlänge) und der Richtung des Leiters von 1 nach
2. Der Betrag der induzierten Spannung ergibt sich nach Gl.(4.5.45)
G G G
uiq = −(v x B) ⋅ s = −(v ⋅ B ⋅ sin α ) ⋅ s ⋅ cos β
(4.5.45)
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276
1etv45-1
Für die technische Anwendung ist der Spezialfall wichtig, bei dem ein gerader Leiter der
G
Länge s wird mit der konstanten Geschwindigkeit v senkrecht durch ein Magnetfeld
bewegt wird, dessen Dichte B über der Leiterlänge konstant ist.
In elektrischen Maschinen werden z. B. gerade Leiter im Luftspalt zwischen Ständer- und
Läufereisen bewegt. Die Feldlinien des Magnetfeldes auf Eisenoberflächen senkrecht und
der Geschwindigkeitsvektor ist wegen der Drehbewegung des Läufers tangential zum
Läuferumfang gerichteten. Dadurch ergeben sich die konstanten Winkel α = 90o und
β = 180o . Damit wird sin α = 1 und cos β = −1. Gl.(4.5.45) geht damit über in
uiq = v ⋅ B ⋅ s
(4.5.46)
Das Vorzeichen der Spannung uiq wird nach Abb.4.5.18 aus der Lorentzkraft bestimmt.
Der Zählpfeil der induzierten Quellenspannung liegt dann in Gegenrichtung zur
Lorentzkraft. Gl.(4.5.43) sollten Sie nurGfür Aufgaben verwenden, bei denen sich der
G
Winkel zwischen den Vektoren v und B bei der Bewegung nicht ändert. Ändert sich
dieser Winkel ist die Anwendung des Induktionsgesetzes nach Gl.(4.5.26) vorzuziehen.
Gl.(4.5.43) gilt auch in beliebig geformten Leitern bei inhomogener Induktionsverteilung
und zeit- und richtungsveränderlicher Geschwindigkeit. Die Lösung des Integrals wird
dann allerdings sehr kompliziert.
Beispiel 4.5.04
Zu berechnen ist die Spannung am Messgerät, wenn der blanke Leiter entsprechend
G
Abb.4.5.21 auf den beiden parallelen
G Metallschienen mit der Geschwindigkeit v durch ein
homogenes Magnetfeld der Dichte B rollt.
G
B
V
RM → ∞
uiq
uAB
G G
vxB
G
v
s
+
M
G G
α = )v;B = 90o
G G
Der Vektor v x B zeigt damit in Leiterrichtung
und bewirkt die Ladungstrennung. Der Zählpfeil
von uiq zeigt damit in Gegenrichtung dieses
Vektors. Die induzierte Quellenspannung wird
nach Gl.4.5.46 berechnet
uiq = v ⋅ B ⋅ s
−
Abb.4.5.21 Anordnung zum Beispiel 4.5.04
Die Anwendung des Maschensatzes ergibt:
M: uAB = uiq = v ⋅ B ⋅ s
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277
1etv45-1
Beispiel 4.5.05
Gegeben ist der Querschnitt einer elektrischen Maschine nach Abb.4.5.21. Der
Windungsdurchmesser der Spule beträgt D = 10cm, die Spule hat N = 10 Windungen, die
axiale Magnetfeldlänge beträgt s = 5cm . Im Luftspalt unter den Polen ist der Betrag der
Induktion B0 = 1.1T , außerhalb der Pole wird B = 0 angenommen. Der Läufer der
Maschine wird mit der Drehzahl n = 1000min−1 angetrieben. Zu berechnen ist die
Spannung an den Spulenklemmen.
N
uiq1
x
G
B1
G
v1
n
D
H
v2
uiq2
G
S B2
Abb.4.5.21 Maschinenanordnung zu Beispiel 4.5.05
uiq1
u
M
uiq1 = uiq2 = N ⋅ B0 ⋅ s ⋅ v = N ⋅ B0 ⋅ s ⋅ D ⋅ π ⋅ n
Die Vorzeichen der Spannungen uiq1 und uiq2
werden nach Abb.4.5.18 bestimmt.
An den Klemmen der Spule entsteht die
Spannung
u = uiq1 + uiq2 = 2 ⋅ N ⋅ ( ±B0 ) ⋅ s ⋅ D ⋅ π ⋅ n
1000
= ±5.76V
60s
Abb.4.5.22 Spule in Beispiel 4.5.05
solange sich die Spulenseiten unter den Polen
befinden. Für alle anderen Spulenstellungen ist u
=0
Befindet sich die Spule in der in Abb.4.5.21 gezeigten Stellung, hat die Spannung u
positives Vorzeichen. Ist die Spule um 180o weiter gedreht, hat die Spannung negatives
Vorzeichen. Es entsteht eine Wechselspannung mit der Frequenz f = n. Die Spannung
kann über Schleifringe abgegriffen werden.
uiq2
u = 2 ⋅ 10 ⋅ ( ±1.1T ) ⋅ 0.05m ⋅ 0.1m ⋅ π ⋅
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1etv45-1
4.5.3
Zusammenhang Ruhe- und Bewegungsinduktion
Bei der Ruhe - und der Bewegungsinduktion handelt es sich um zwei physikalisch
unterschiedliche Vorgänge. Bei der Ruheinduktion ist die induzierte Spannung das
Ergebnis einer zeitlichen Flussänderung in der Leiterschleife:
dΨ
(4.5.47)
uiq =
dt
Bei der Bewegungsinduktion entsteht die Ladungstrennung durch die Loretzkraft
G
G G
uiq = v∫ −(v x B) ⋅ ds
(4.5.48)
Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass bei der zeitlichen Flussänderung ein Wirbel der
elektrischen Feldstärke entsteht, wobei diese Feldstärke ebenfalls eine Ladungstrennung
in der Leiterschleife bewirkt.
Die Spannungsinduktion ist als einheitlicher Vorgang darstellbar, wobei Frage des
örtlichen Standpunktes (Bezugssystem), von dem aus der Induktionsvorgang beobachtet
wird, entscheidet, welche der beiden Betrachtungsweisen angewandt wird.
Die allgemeingültige Form des Induktionsgesetzes ergibt sich damit zu:
uiq =
4.5.4
G
G G
dΨ
+ v∫ −(v x B) ⋅ ds
dt
(4.5.49)
Selbstinduktion
Der Lernende kann
- den Begriff Selbst- und Gegeninduktion definieren
- die ideale Ringkernspule beschreiben und deren Induktivität definieren
- die Gleichung für den Strom-Spannungs-Zusammenhang an einer idealen Spule in Verbindung mit
der Zählrichtungszuordnung nennen und anwenden
- die in einer Spule mit der Induktivität L gespeicherte magnetische Energie angeben
- die Unterschiede zwischen einer idealen und einer technischen Spule erläutern und die
Ersatzschaltbilder technischer Spulen angeben
Treten in der Masche eines Netzwerkes induzierten Quellenspannungen auf, so werden
sie bei der Stromkreisberechnung im Maschensatz erfasst (Abb. 4.5.10 und Gl.(4.5.20).
Ursache der induzierten Quellenspannungen sind nach dem Induktionsgesetz zeitliche
Änderungen magnetischer Flüsse, die im allgemeinen durch Ströme in den betrachteten
Stromkreisen aufgebaut werden. Die induzierten Quellenspannungen stehen demzufolge
in funktionellem Zusammenhang mit diesen Strömen. Es ist deshalb zweckmäßig, ein
Schaltelement mit einem definierten Strom-Spannungs-Zusammenhang einzuführen, das
diesen funktionellen Zusammenhang beschreibt. Dieses Schaltelement ist die Spule,
wobei der Zusammenhang zwischen Strom und Magnetfluss durch die Induktivität L
erfasst wird. Beim Zusammenhang zwischen Strom und induzierter Quellenspannung
müssen zwei Fälle unterschieden werden
Wir sprechen von Selbstinduktion, wenn die induzierte Quellenspannung im Stromkreis
durch eine zeitliche Flussänderung entsteht, die durch den Strom des Kreises selbst
hervorgerufen wird. Wir bezeichnen den Vorgang als Gegeninduktion, wenn die
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induzierte Quellenspannung im Stromkreis durch eine zeitliche Flussänderung entsteht,
deren Ursache der Strom eines zweiten mit dem Stromkreis magnetisch verketteten
Stromkreises ist.
a) Ideale Ringkernspule
Wir betrachten zunächst die Verhältnisse in einer idealen Ringkernspule nach Abb.4.5.22.
Die ideale Ringkernspule ist gleichmäßig dicht mit der Windungszahl N gewickelt. Die
elektrische Leitfähigkeit des Wicklungsdrahtes ist κ W = ∞ , der Wicklungswiderstand
R = 0 . Der Radius des kreisförmigen Kernquerschnitts ist r, der mittlere Durchmesser des
Ringkerns D. Mit r D wird das Magnetfeld im Kern homogen. Wegen der dichten
Wicklung ist das Magnetfeld auf den Kern beschränkt, außerhalb des Kerns gibt es kein
Magnetfeld. Im Kern treten bei Wechselmagnetisierung keine Hysterese- und
Wirbelstromverluste auf.
Mit Gl.(4.4.41),(4.4.23) und (4.4.05) erhalten wir Flussdichte und Fluss im Kern
µ ⋅I⋅N
D⋅π
µ ⋅I⋅N ⋅ A
Φ = B⋅A =
D⋅π
B = µ ⋅H =
(4.5.50)
(4.5.51)
µ
Φ
I
:
:
:
:
:
:
:
:
:
⊗
⊗
⊗
⊗N
⊗
⊗
⊗
⊗
⊗
⊗
s
D
A
r
Abb.4.5.22 Ringkernspule
b)
Induktivität der idealen Ringkernspule
Spulen sind wie Kondensatoren energetische Speicherelemente im Stromkreis. Die
Energiespeicherung erfolgt im Magnetfeld. Das Speichervermögen der Spule wird durch
die Induktivität bestimmt. Die Induktivität ist nach Gl.(4.5.52) definiert
L=
Ψ
I
(4.5.52)
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Für die ideale Ringkernspule ergibt sich die Flussverkettung nach Gl.(4.5.53)
Ψ = N⋅ Φ
(4.5.53)
Ist die Induktivität konstant, das heißt keine Funktion des Flusses oder des Stromes, so
sprechen wir von einer linearen Induktivität. Die Funktion Ψ = f(I) ist für diesen Fall eine
Ursprungsgerade nach Abb.4.5.23
Die Maßeinheit der Induktivität ist:
Ψ
[L ] =
[ Ψ ] = [Φ ] = Vs = H
[I] [I] A
(Henry)
L=konstant
I
Abb.4.5.23 Lineare Induktivität
Mit Gl.(4.4.88) ergibt sich der magnetische Leitwert des Kerns der Ringkernspule
µ⋅A µ⋅A
Λ=
=
(4.5.54)
s
D⋅π
Damit wird Gl.(4.5.51) zu
Φ = I⋅N⋅ Λ
(4.5.55)
Aus Gl.(4.5.52), (4.5.53) und (4.5.55)
L = N2 ⋅ Λ
(4.5.56)
Für die Ringkernspule wird die Induktivität mit Gl.(4.5.54)
N2 ⋅ µ ⋅ A N2 ⋅ µ ⋅ r 2 ⋅ π N2 ⋅ µ ⋅ r 2
=
=
L=
D⋅π
D⋅π
D
Beispiel 4.5.06
Gegeben ist eine Ringkern-Luftspule mit folgenden Abmessungen:
D = 10cm; r = 1cm; N = 1000. Zu berechnen ist die Induktivität.
−6
2
N2 ⋅ µ0 ⋅ r 2 1000 ⋅ 0.4π ⋅ 10 Vs ⋅ (1cm )
=
= 1.26mH
L=
D
Am ⋅ 10cm
2
Henry, Joseph (1797 - 1878), amerikanischer Physiker
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c)
Strom-Spannungs-Verhalten
Φ
Legen wir eine ideale Ringkernspule
an die Spannung u, so ergibt der
Maschensatz
und das Induktionsgesetz
dΨ
(4.5.57)
u = uiq =
dt
Aus Gl.(4.5.52) erhalten wir
µ
uiq
i
R
u
A
r
Ψ = L ⋅i
sm
N
Abb.4.5.24 Strom-Spannungs-Verhalten der Spule
und mit L = konstant, wird Gl.(4.5.57)
di
u =L⋅
(4.5.58)
dt
u
i
L
i
Das Schaltbild der idealen Spule ist in Abb.4.5.25
gezeigt. Gl.(4.5.58) gilt nur in Verbindung mit den
u
Zählpfeilen für Spannung und Strom nach
Abb.4.5.25 Schaltbild der idealen Spule
Abb.4.5.25.
Beispiel 4.5.07
Der zeitliche Stromverlauf durch die
Induktivität L = 1mH ist in Abb.4.5.26
gegeben. Zu bestimmen ist der zeitliche
Verlauf der Spulenspannung. Die
Vorzeichenfestlegung ist nach
Abb.4.5.25 vorzunehmen.
u =L⋅
i
A
u
V
L=1mH
1
i
u
40
10
di
di
= 10mH ⋅
dt
dt
20
30
40
50
t
µs
-200
Abb.4.5.26 Zeitverläufe von Strom und Spannung nach
Beispiel 4.5.07
0 ≤ t ≤ 10µs
10µs ≤ t ≤ 15µs
15µs ≤ t ≤ 40µs
40µs ≤ t
di
dt
di
dt
di
dt
di
dt
=0
u=0
= −0.2A / µs
u = −200V
= 0.04A / µs
u = 40V
=0
u=0
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1etv45-1
Beispiel 4.5.08
Durch eine Induktivität L fließt der Gleichstrom I0. Zur Zeit t = 0 wird die Gleichspannung
U an die Induktivität gelegt. Zu bestimmen ist der zeitliche Stromverlauf.
t ≤ 0 i = I0
u=0
t ≥0 u=U
Aus Gl.(4.5.58) erfolgt durch Integration
t
1
i = ⋅ ∫ u ⋅ dt + I0
L 0
i
I0
t
1
U
i = ⋅ U ⋅ ∫ dt + I0 = ⋅ t + I0
L
L
0
Der zeitliche Stromverlauf ist in Abb.4.5.27
dargestellt.
d)
t
Abb.4.5.27 Zeitverlauf des Stromes nach Beispiel
4.5.08
Energiespeicherung
Im Folgenden soll die im Magnetfeld der Spule gespeicherte Energie durch die Induktivität
ausgedrückt werden. Bei der idealen Ringkernspule liegt eine homogenes Magnetfeld
vor. Damit hat im gesamten Feldvolumen die Energiedichte einen konstanten Wert. Die
gespeicherte Energie können wir dann nach Gl.(4.4.101) bestimmen. Unter Verwendung
von Abb.4.5.22 erhalten wir:
B2
(4.5.59)
W = wm ⋅ V =
⋅s⋅A
2⋅µ
Φ
µ⋅A
I2 2
I2 ⋅ L
Λ=
Φ = I⋅N⋅ Λ
ergibt sich: W = ⋅ N ⋅ Λ =
(4.5.60)
Mit B =
A
s
2
2
Bei Spulen mit Eisenkern ist der
Ψ
= L max
 I 
Ψ

 m ax
Zusammenhang Ψ = f(I) ein direktes Abbild
der Magnetisierungskennlinie. Die
Induktivität wird dann nach Gl.(4.5.52) eine
Funktion des Stromes. In Abb.4.5.28 sind
beide Größen als Funktion des Stromes
dargestellt.
Ψ
Abb.4.5.28 Flussverkettung und Induktivität als
Funktion des Stromes bei Spulen mit Eisenkern
L
I
Lmax
I
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1etv45-1
Um in Spulen mit Eisenkern eine annähernd lineare Induktivität zu erhalten, werden die
Magnetkreise dieses Spulen mit einem Luftspalt versehen. In magnetischen Kreisen mit
Luftspalt (Beispiel 4.4.07) ist die Flussdichte B im Eisen und im Luftspalt etwa gleich.
Die Feldstärken im Eisen und Luftspalt verhalten sich dann reziprok zu den
Permeabilitäten (Gl.4.5.61).
H0 µFe
=
= µr,Fe
HFe µ0
(4.5.61)
Führen wir das Eisenkernvolumens mit VFe und das Luftspaltvolumen mit V0 ein, so
ergeben sich die im Eisenkern und im Luftspalt gespeicherten magnetischen Energien
nach Gl.(4.5.59) zu:
B ⋅ H0
B ⋅ HFe
⋅ V0
⋅ VFe
WFe = w mFe ⋅ VFe =
2
2
Das Verhältnis der gespeicherten Energie ist
W0 = w m0 ⋅ V0 =
W0
H V
= 0 ⋅ 0
(4.5.62)
WFe HFe VFe
Für einen Magnetkreis mit Luftspalt können etwa folgende Verhältnisse angenommen
werden:
Mit H0 / HFe = 5000 und V0 / VFe = 100
Damit wird W0 / WFe = 50 . Die gespeicherte magnetische Energie ist fast vollständig im
Luftspalt gespeichert und die Induktivität der Spule ist konstant.
e)
Technische Spulen
Der wesentliche Unterschied zwischen einer idealen Spule und einer technischen Spule
besteht im Widerstand der Wicklung. Mit der mittleren Länge einer Windung smW kann
dieser Widerstand nach Gl.(4.5.63) berechnet werden.
RW =
N ⋅ smW
κ⋅A
(4.5.63)
In elektrischen Netzwerken werden technische
Spulen durch Ersatzschaltungen mit idealen Spulen
L
RW
a)
und Widerständen dargestellt. Wird nur der
Wicklungswiderstand berücksichtigt verwenden wir
das Ersatzschaltbild in Abb.4.5.29 a). Bei
technischen Spulen mit Eisenkern, treten bei
RW
L
Wechselmagnetisierung Ummagnetisierungsverluste
b)
auf. Es wird dann die Ersatzschaltung b) verwendet.
In den Ersatzschaltungen ist L die ideale lineare
RFe
Induktivität, RW der Wicklungswiderstand und RFe ein
Abb.4.5.29 Ersatzschaltungen
Widerstand, der die Ummagnetisierungsverluste im
technischer Spulen
Kern bei Wechselmagnetisierung modelliert.
a) Berücksichtigung Wicklungswiderstand
b) Berücksichtigung Wicklungswiderstand
und Ummagnetisierungsverluste
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1etv45-1
4.5.5
Gegeninduktion
Der Lernende kann
- den Kopplungsfaktor und den Streufaktor zwischen zwei magnetische gekoppelten Spulen definieren
- die Begriffe ideale Kopplung und völlige Entkopplung beschreiben
- die Gegeninduktivität definieren
- die Begriffe Mit- und Gegenkopplung am Beispiel erläutern
a)
Definition der Gegeninduktivität
Zwei Spulen (1) und (2) sind entsprechen Abb.4.5.30 magnetisch miteinander gekoppelt.
In a) wird die Quellenspannung in Spule (2) durch die von Spule (1) verursachte zeitliche
Flussverkettungsänderung induziert, in b) sind die Rollen von Spule (1) und (2)
vertauscht.
I1
(1)
(1)
N1
N1
Φ12
Φ11
I1
N2
N2
( 2)
( 2)
Φ 21
Abb.4.5.30 Gekoppelte Spulen
a) Einspeisung in Spule (1)
Φ 22
b) Einspeisung in Spule (2)
Wir gehen davon aus, dass der von einem Strom in der einen Spule aufgebaute Fluss
nicht vollständig mit der anderen Spule verkettet ist und definieren einen Kopplungsfaktor.
Bei Einspeisung in Spule (1) Abb.4.5.30 a ergibt sich der Kopplungsfaktor k1 nach
Gl.4.5.64, bei Einspeisung in Spule (2) Abb.4.5.30 b der Kopplungsfaktor k2 nach
Gl.4.5.65
Φ
k1 = 21
0 ≤ k1 ≤ 1
(4.5.64)
Φ11
Φ
k 2 = 12 0 ≤ k 2 ≤ 1
(4.5.65)
Φ 22
Mit Gl.(4.5.52) ergeben sich die Selbstinduktivitäten der beiden Spulen
Ψ11 N1 ⋅ Φ11
=
I1
I1
Ψ
N ⋅Φ
L 2 = 22 = 2 22
I2
I2
L1 =
(4.5.66)
(4.5.67)
Analog lassen sich Gegeninduktivitäten zwischen den Spulen definieren, indem die
Flussverkettung in Spule (2) durch den Strom in Spule (1) dividiert wird oder die
Flussverkettung in Spule 1 durch den Strom in Spule (2).
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285
1etv45-1
M21 =
Ψ 21 N2 ⋅ Φ 21 N2 ⋅ k1 ⋅ Φ11
=
=
I1
I1
I1
(4.5.68)
Ψ12 N1 ⋅ Φ12 N1 ⋅ k 2 ⋅ Φ 22
=
=
(4.5.69)
I2
I2
I2
In linearen Kreisen gibt es nur eine Gegeninduktivität zwischen zwei gekoppelten Spulen:
M12 =
M21 = M12 = M
(4.5.70)
Bildet man das Produkt aus M21 und M12, dann ergibt sich eine Beziehung zwischen den
Selbstinduktivitäten und der Gegeninduktivität.
M21 ⋅ M12 = M2 =
N2 ⋅ k1 ⋅ Φ11 N1 ⋅ k 2 ⋅ Φ 22
N ⋅Φ N ⋅Φ
⋅
= k1 ⋅ k 2 1 11 ⋅ 2 22
I1
I2
I1
I2
M2 = k1 ⋅ k 2 ⋅ L1 ⋅ L 2
(4.5.71)
Hinsichtlich der Kopplungsfaktoren gibt es zwei Grenzfälle:
Ideale Kopplung:
k1 = k 2 = 1
M2 = L1 ⋅ L 2
Völlige Entkopplung: k1 = k 2 = 0
M2 = 0
Aus den Kopplungsfaktoren k1 und k2 wird der Kopplungsfaktor k definiert.
k = k1 ⋅ k 2
(4.5.72)
Neben dem Kopplungsfaktor beschreibt der Streufaktor σ die magnetische Kopplung der
beiden Spulen
σ = 1− k2
(4.5.73)
Mit dem Kopplungsfaktor k ergibt sich die Beziehung zwischen den Selbstinduktivitäten
der beiden Spulen und der Gegeninduktivität
M = k ⋅ L1 ⋅ L 2
b)
(4.5.74)
Induktivitätsschaltungen
Bei Induktivitätsschaltungen muss unterschieden werden, ob es sich um ungekoppelte
oder gekoppelte Spulen handelt. Bei zwei ungekoppelten Spulen ergibt sich die
Gesamtinduktivität wie bei den Widerstandsschaltungen
LR = L1 + L 2
L ⋅L
Parallelschaltung: LP = 1 2
L1 + L 2
Reihenschaltung:
(4.5.75)
(4.5.76)
Prof. Dr.-Ing. Herzig
Vorlesung " Elektrotechnik 1"
286
1etv45-1
Bei gekoppelten Spulen treten zusätzlich zu den Selbstinduktivitäten die
Gegeninduktivitäten auf, wobei je nach Schaltung eine Mitkopplung oder Gegenkopplung
entsteht. Bei Mitkopplung bauen beide Spulen bei positivem Strom Magnetflüsse in der
gleichen Richtung auf. Bei Gegenkopplung wirken die Magnetflüsse gegeneinander. Um
Mit- und Gegenkopplung zu erkennen, werden die rechtsgängig vereinbarten Spulen, wie
in Abb.4.5.31 dargestellt, durch einen Punkt am Spulenanfang gekennzeichnet.
u2
u1
L1
i
M
u1
L2
L1
i
u
M
L2
u
u1
u
u2
u1
u
u2
Abb.4.5.31 Gekoppelte Spulen
a) Mitkopplung
u2
b) Gegenkopplung
Beispiel 4.5.09
Es ist die zwischen Klemmen der Schaltungen a) und b) nach Abb.4.5.30 wirksame
ungekoppelte Induktivität LG zu bestimmen.
a) Mitkopplung
di
di
di
u1 = L1 ⋅ + M ⋅ = (L1 + M) ⋅
dt
dt
dt
di
di
di
u2 = L 2 ⋅ + M ⋅ = ( L 2 + M ) ⋅
dt
dt
dt
u = u1 + u2
di
di
u = (L1 + M) ⋅ + (L 2 + M) ⋅
dt
dt
di
u = (L1 + L 2 + 2 ⋅ M) ⋅
dt
LGa = L1 + L 2 + 2 ⋅ M
b) Gegenkopplung
di
di
di
u1 = L1 ⋅ − M ⋅ = (L1 − M) ⋅
dt
dt
dt
di
di
di
u2 = −L 2 ⋅ + M ⋅ = − (L 2 − M) ⋅
dt
dt
dt
u = u1 − u2
di
di
u = (L1 − M) ⋅ + (L 2 − M) ⋅
dt
dt
di
u = (L1 + L 2 − 2 ⋅ M) ⋅
dt
LGb = L1 + L 2 − 2 ⋅ M
Verwenden wir folgende Dimensionierung der Schaltung:
L1 = L 2 = L
k = 1 M = k ⋅ L1 ⋅ L 2 = L , so erhalten wir
LGa = 4 ⋅ L
LGb = 0
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