Gesetzgebung und Grundgesetz

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Gesetzgebung und Grundgesetz
Bindungen des Bundes-Gesetzgebers durch die
“verfassungsmäßige Ordnung“ (Art. 20 Abs. 3 GG)
in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfGE 1 bis BVerfGE 141)
von Dr. Bernd Brunn
(RiBVerwG i.R.)
1. Auflage (Juni 2017)
.
Übersichts- und Inhaltsverzeichnis
A.
Aufgaben, Formen und das Entstehen von neuer Gesetzgebung und deren verfassungsrechtlicher Rahmen
B. Die Veränderung bestehenden Bundesrechts und die damit verbundenen verfassungsrechtlich bedeutsamen Risiken
C. Gesetzgebungskompetenzen
D. “Verfassungsfeste“ Grundsätze (Art. 79 Abs. 3 GG) sowie Demokratie-,
Sozialstaats- , Rechtsstaats- und Gewaltenteilungsgrundsätze (Art. 20 GG)
E. Gesetzgeber und Menschenwürde, Menschenrechte sowie (Bindungen an)
Grundrechte
F. Grundrechtsähnliche Verbürgungen (insb. Art. 19 Abs. 4, Art. 101 Abs. 1 Satz
2, Art. 103 sowie Art. 104 GG) - Verfahrensgrundrechte
Inhaltsverzeichnis
A. Aufgaben, Formen und das Entstehen von neuer Gesetzgebung und deren verfassungsrechtlicher Rahmen
I.
Anspruch der Handreichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Haupt- und Nebenzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Hauptzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Nebenzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Die (zumindest) Nützlichkeit der Beachtung verfassungsgerichtlicher Verfassungsauslegung bei Gesetzesvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Identität von verfassungsmäßiger Ordnung (Art. 20 Abs. 3 GG) und einschlägiger
Rechtsprechung des Verfassungsgerichts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Bundesverfassungsgericht und (verfassungsändernder) Gesetzgeber . . . . . . . . .
3. Gefahren und Hauptschwierigkeiten des Vorhabens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Schwierigkeiten (Fortentwicklung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Rechtsmaterien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Dank für die Grundlagen der Darstellung (BVerfGE 1 bis BVerfGE 141) . . . . . . . .
II.
Aufgaben sowie Grundlagen und taugliche Mittel der Gesetzgebung bei der Erzeugung neuen
Bundesrechts (Einführung in allgemeine sowie verfassungsbedingte Gesetzgebungsregeln) .
1. Die vom Bundestag wahrzunehmenden Aufgaben der Gesetzgebung (Schaffung “wirksamer“ Gesetze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Zweck der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Parlament als Aufgabenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Missbrauch der sowie Verpflichtung zur Gesetzgebung als Ausnahmen . . . . . . .
2. Rechtsetzung (Erzeugung und/oder Veränderung des Rechts) vermittels an Sachverhalten
anknüpfenden Rechtsfolgen-Bewirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Mittel der (an Sachverhalten anknüpfenden) Rechtsfolgen-Bewirkungen . . . . . .
b) Statische und dynamische Verweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Beispiele außergewöhnlicher Rechtsfolgen-Bewirkungen . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Tatsachen- und Rechtsfragen bei der Zuordnung von Normen sowie deren Rechtsfolgenbewirkungen auf die Zeit- und Sachebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Die tatsächlichen Grundlagen der neuen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Rechtliche Probleme bei der normativen Rechtsfolgenbewirkung (insbesondere auf der
Ebene der Vergangenheit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Pflicht zur Vermeidung paralleler Rechtsregime ohne zwingenden Grund (Pflicht zur
Einfügung von neuen Regelungen in bestehende Kodifikationen) . . . . . . . . . . .
d) Begründungspflichten im Recht (Funktionen von Begründungen) . . . . . . . . . .
e) Der gesetzgeberische Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum . . . . . . . . . . .
f) Ausblick: “Maßstäbe - bzw. Grundsätze - Gesetze“ . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Das “gelungene“ (reibungslos angewendete) Gesetz als Ideal . . . . . . . . . . . . . . .
III. Verfassungsrechtliche Bindungen und Prüfgesichtspunkte (insbesondere “Verfassungsauslegung“) bei der Erarbeitung einer Gesetzesvorlage des Bundesrechts . . . . . . . . . . . . .
1. Die Primärbindung des Gesetzgebers an die “verfassungsmäßige Ordnung“ (Art. 20 Abs.
3, 1. Alt. GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) “Gewisse“ Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) “Ungewisse“ Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Insbesondere: (Ungewisse) Bindungen von Gerichten und Behörden sowie des Gesetzgebers an verfassungsgerichtliche Verfassungsinterpretationen . . . . . . . . . . . . .
2. Allgemeingültige Regeln für die Auslegung von Verfassungsbestimmungen . . . . . . .
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Seite II
a) Aufgabe der Verfassungsauslegung und Einheit der Verfassung als vornehmstes Interpretationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Verbot der isolierten Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Bedeutungswandel einer Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Menschenrechtskonvention sowie deren Interpretation als Hilfe zur Auslegung . . .
3. Verfassungs-Bindungen des Gesetzgebers im Zusammenhang mit Gemeinschafts- bzw.
Unions- und Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht (Art. 23 GG i.V.m. Art. 24 GG sowie Art. 59 Abs.
2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Völker(vertrags-)recht als bindendes (meist nicht mehr fremdes) Recht . . . . . . .
4. Sonderfall der verfassungsrechtlichen Bindungen des Gesetzgebers als Folge von verfassungsgerichtlichen Entscheidungen über Bundesgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Unvereinbarkeit und Nichtigkeit von Gesetzen sowie Folgenbewältigung (§§ 78 f.
BVerfGG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Die Bindung nach Art. 94 GG i.V.m. § 31 BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Anhang: Überblick über die gebräuchlichsten (statistisch häufigsten) Formen der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B. Die Veränderung bestehenden Bundesrechts und die damit verbundenen verfassungsrechtlich
bedeutsamen Risiken
I.
Einführende Darlegungen in die Problematik der Aufhebung und Änderung vorhandenen
Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Die Zusammenhänge zwischen vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen tatsächlichen Sachverhalten und den sie regelnden (früheren, bestehenden und geplanten) Normen
(“anhaftendes Recht“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) “Anhaftendes“ Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Folgen von “Anhaftungen“ (“Geregeltsein“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. (Ersatzlose) Aufhebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Prüfung der Aufhebungsfähigkeit und -bedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Aufhebungsmodalitäten und -besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Folgen von (ersatzlosen) Aufhebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Abänderungen von Bundesrecht und Hauptgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Unpräzise Festlegungen der zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereiche . . . . .
b) (Unbewusste) “Regelungslücken“ bzw. “sich überschneidende Rechtsregime“ . . . .
c) Bewusste Entwertungen von Rechtspositionen (Rückwirkung) . . . . . . . . . . . .
d) Fehlerhafte “Klarstellungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Verfehlung des Ziel klarer, bestimmter, berechenbarer und “verlässlicher“ Normen .
II.
Die Sichtung und Auslegung des vorhandenen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. “Vorhandenes“ Recht (neben dem materiellen nachkonstitutionellen Recht) . . . . . .
a) Gültiges vorkonstitutionelles Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Gewohnheits- und obsoletes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Aufgehobenes bzw. “ausgelaufenes“ bzw. “auslaufendes“ (befristetes) altes Recht .
d) Gesetzestechnisches “Hilfsrecht“ sowie (meist materielles) Übergangs- bzw. Überleitungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Die Auslegung des “vorhandenen“ (gültigen) Bundesrechts . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Grundsatz der Auslegung “mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden“ . . . . . .
b) Verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Gebot gemeinschaftskonformer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Gebot völkerrechtskonformer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Gesetzgeber und Einwirkungen auf bestehende “geregelte“ Rechtslagen und Rechtsverhältnisse namentlich durch Gesetzesänderungen (Rückwirkungsverbot) . . . . . . . . . . . . .
1. Die grundsätzliche Befugnis des Gesetzgebers zu Regelungen (bereits) geregelter Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2.
3.
4.
5.
6.
7.
Seite III
Einführung in die für die Rückwirkungsproblematik maßgeblichen verfassungsrechtlichen
Grundprinzipien (Gerechtigkeit, Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit, Gesetzesbindung sowie Vertrauensschutz) und deren Konkretisierungspflichten durch den (abändernden) Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Konkretisierungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Grundprinzipien des Rechtsstaatsgebots (Gerechtigkeit, Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit, Gesetzesbindung, Vertrauensschutz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die drei Begriffspaare, die zum Verständnis der Rechtsprechung erforderlich sind . . .
a) Die Unterscheidung zwischen dem zeitlichen und dem sachlichen Anwendungsbereich
einer Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Die Unterscheidung zwischen der Rückbewirkung von Rechtsfolgen und der tatbestandlichen Rückanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Die Unterscheidung zwischen den “echten“ und “unechten“ Rückwirkungen (und damit zwischen “abgewickelten“ und den noch nicht abgeschlossenen Sachverhalten und
Rechtsbeziehungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Fehlen schutzwürdigen betätigten Vertrauens und Offenbleiben einer echten bzw. unechten Rückwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Der gesetzgeberische Eingriff in abgewickelte Sachverhalte bzw. Rechtsverhältnisse (“echte
Rückwirkung“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Grundsatz und Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Rechtfertigungs- bzw. Begründungspflicht als Folge einer echten Rückwirkung . . .
c) Sonderfall des Steuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Der Eingriff in noch nicht abgeschlossene Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Grenzen einer grundsätzlich zulässigen Rückwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Beispielfälle für (zulässige und unzulässige) unechte Rückwirkungen . . . . . . . . .
c) Bestehende Dauerrechtsverhältnisse als typische Anwendungsfälle der (zulässigen echten sowie) unechten Rückwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Fehlendes schutzwürdiges Vertrauen als - ausnahmsweise - rechtfertigender Grund sogar
für “echte“ Rückwirkung (Eingriffe in “abgewickelte“ Sachverhalte) . . . . . . . . . . .
a) Denkbare Zeitpunkte für den Verlust eines Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . .
b) Erfordernis des “sachlich gerechtfertigten“ Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . .
“Zwingende Gründe“ als Rechtfertigungsgründe für Rückwirkungen . . . . . . . . . . .
a) Rückwirkungsgrenze der Verletzung des “grundrechtlichen Schutzes des Lebenssachverhalts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Steuerrecht und (nicht-) “zwingende“ Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Pflicht zur Aufrechterhaltung von Übergangsregelungen und Ausnahmen . . . . . .
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C. Gesetzgebungskompetenzen
113
I.
Bedeutung von Kompetenznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
1. Umfang und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
a) Umfang der Regelungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
b) Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
c) Nichtigkeit des Gesetzes als Folge einer fehlenden Kompetenz . . . . . . . . . . . . 114
2. Regelmäßig keine Pflicht zum gesetzgeberischen Tätigwerden . . . . . . . . . . . . . . 114
a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
b) Denkbare Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
3. Gesetzgebungskompetenzen und (Pflicht zur) Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . 115
a) Grundsatz der Erkennbarkeit des Vorliegens der Kompetenz . . . . . . . . . . . . . 115
b) Ratsamkeit von Begründungen bei von vornherein umstrittenen Gesetzen . . . . . 115
II.
Die “Grundkompetenz“ von Bundestag und Bundesrat für das Zustandekommen von Bundesgesetzen (Art. 76 - 79 GG sowie Art. 82 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
1. Gesetzesvorlagen (Art. 76 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
2. Anrufung des Vermittlungsausschusses (Art. 77 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
a) Die Stellung des Vermittlungsausschusses im Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . 117
b) Zusammensetzung des Vermittlungsausschusses und Kompetenzen . . . . . . . . . 118
c) Folgen von Mängeln im Vermittlungsausschuss-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 119
3. Zustandekommen eines Gesetzes durch Zustimmung sowie Zustimmungsbedürftigkeit
(Art. 78 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
a) Art und Weise der Zustimmung bzw. deren Versagung . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Brunn - Inhaltsverzeichnis
III.
IV.
V.
Seite IV
b) Zustimmungsbedürftigkeit als von der Verfassung ausdrücklich zu regelnde Ausnahme
c) Umfang der Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Verkündung und Inkraftsetzen von Gesetzen im Sinne von Art. 82 GG . . . . . . . . .
a) Verkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Inkrafttreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Der Bundespräsident und die Ausfertigung von Gesetzen (formelles/materielles Prüfungsrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Neubekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(Materienübergreifende) Kompetenzen zur Übertragung von Normsetzungsbefugnissen und
Hoheitsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Die Übertragung der Befugnis zur Normsetzung auf den Verordnungsgeber (Art. 80 GG)
a) Rechtsverordnung und Gesetzesvorbehalt (“Wesentlichkeitsdoktrin“) . . . . . . . .
b) Die wichtigsten Verpflichtungen und Bindungen des Gesetzgebers sowie des Verordnungsgebers aus Art. 80 GG (insbesondere: Zusammenhänge zwischen den jeweiligen
Normtypen und “Ablösungen“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Anhang: Verfassungsgerichtlicher sowie einfach-rechtlicher Rechtsschutz gegen Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen (in Satzungsautonomie) . . . . . . . . . . . .
3. Die Befugnis zur Übertragung von Hoheitsrechten (Art. 24 GG im Allgemeinen und Art.
23 GG im Speziellen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gesetzgeber und Übertragungen von Hoheitsrechten (Art. 24 GG) . . . . . . . . .
b) Gesetzgeber und Mitwirkung bei der Entwicklung der Europäischen Union (Art. 23
GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die aus dem Prinzip der Länderkompetenz (Art. 70 GG i.V.m. Art. 30 GG) abzuleitenden
Regeln für die Erzeugung von Bundesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Grundsatz der Länderkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Keine Vermutung zugunsten des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Länder als Träger der Kulturhoheit (u.a. Rundfunk und Schule), des Kommunalrechts
sowie des Polizeirechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Das Verhältnis der Gesetzgebungs- zur Verwaltungskompetenz . . . . . . . . . . .
2. Die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln der Kompetenzzuordnung . . . . . . .
a) Unbedingt zu vermeidende “Doppelzuständigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Gegenstand des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Die Problematik der Zuordnung einzelner Teilregelungen eines umfassenden Regelungskomplexes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Sonderfall des Gewohnheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Zulässige und unzulässige Beanspruchungen der Gesetzgebungskompetenz . . . . . . .
a) Natur der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Sachzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Zulässige Beanspruchung einer Kompetenz zu Lenkungszwecken . . . . . . . . . . .
4. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Länderkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Fehlende Länderkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die ausschließliche Gesetzgebung (Art. 71 und 73 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Auswärtige Angelegenheiten (Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Auslandsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Rundfunk für das Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Wehrpflicht (Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Zulässigkeit einer “Freiwilligenarmee“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Spezieller Sachbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Bundesstaatsangehörigkeit (Art. 73 Abs. 1 Nr. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Freizügigkeit, Passwesen, Ein- und Auswanderung sowie Auslieferung (Art. 73 Abs. 1 Nr.
3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Währungs- und Geldwesen (Art. 73 Abs. 1 Nr. 4 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Einheit des Zoll- und Handelsgebiets u.a. (Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG) . . . . . . . . . .
7. Luftverkehr (Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8. Bundeseisenbahnen (Art. 73 Abs. 1 Nr. 6a GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9. Postwesen und Telekommunikation (Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG) . . . . . . . . . . . . . .
a) Telekommunikation im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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b) Telekommunikation im Speziellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10. Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes stehenden Personen (Art. 73 Abs. 1 Nr. 8
GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11. Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht und Verlagsrecht (Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 GG)
12. Terrorismusabwehr (Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 a GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13. Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Belangen der Sicherheit - Kriminalpolizei,
Verfassungsschutz, Bestrebungen mit Auslandsbezug - (Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG) . . .
a) “Zusammenarbeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Staatenübergreifende Verbrechensbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14. Statistik für Bundeszwecke (Art. 73 Abs. 1 Nr. 11 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Verbleibende Länderkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Erfassung von inneren Tatsachen und Meinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI. Konkurrierende Gesetzgebung des Bundes (Art. 72 und Art. 74 GG) . . . . . . . . . . . .
1. Überkommene Regeln zum Gebrauchmachen einer Kompetenz durch den Bund (Art. 72
Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Die Erfüllung des Tatbestandes des Gebrauchmachens . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Die Folgen eines (zulässigen) Gebrauchmachens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Neuere Regeln über die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung als Folge von
Verfassungsänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Die Beurteilung der Erforderlichkeit durch den Bundesgesetzgeber . . . . . . . . .
d) Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und verfassungsgerichtliche Überprüfung
von vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Tatsachen . . . . . . . . . . . . .
e) Einzelfälle, in denen die Voraussetzungen der Erforderlichkeit in jüngerer Zeit verneint
bzw. bejaht worden sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Abweichende Regelungen durch die Länder (Art. 72 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . .
4. Freigaben sowie Ersetzungen durch Landesrecht (Art. 72 Abs. 4 und Art. 125 a Abs. 2
GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) “Freigabe“ und “Ersetzung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Wahl zwischen “Modifizierung“ des Bundesrechts und Freigabe . . . . . . . . . . .
c) “Mischfälle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII. Die Materien des Art. 74 GG im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (BGB, Strafrecht, Gerichtsverfassung und -verfahren, Rechtsberatung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Bürgerliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Strafrecht (“weites“ Verständnis in kompetenzrechtlicher Hinsicht) . . . . . . . . .
c) Gerichtsverfassung und gerichtliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Rechtsanwaltschaft, Notariat und Rechtsberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Personenstandswesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Öffentliche Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Erfassung sowohl der “traditionellen“ als auch neuen Fürsorge . . . . . . . . . . . .
b) Erfassung auch (nicht notwendig akuter) präventiver Maßnahmen . . . . . . . . . .
c) Erfassung eines großen Personen- und Trägerkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Fürsorgerisches “Gesamtkonzept“ (verschiedene Arten von Fürsorgeleistungen) . .
e) Entschiedene Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Kriegsschäden und Wiedergutmachung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 9 GG), Kriegsbeschädigte
(Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Zweck und Umfang der Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Berufsordnende Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Einzelfälle für das Recht der Wirtschaft und Untergruppen . . . . . . . . . . . . .
6. Arbeitsrecht und Sozialversicherung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) . . . . . . . . . . . .
a) Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Sozialversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Enteignung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 14 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8. Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung u.a. (Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG)
9. Grundstücksverkehr, Bodenrecht, landwirtschaftliches Pachtwesen, Wohnungswesen,
Siedlungs- und Heimstättenwesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) . . . . . . . . . . . . . .
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a) Grundstücksverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Bodenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Wohnungswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Siedlungswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10. Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei Menschen und
Tieren, Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen u.a. (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG)
a) Maßnahmen gegen Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe . . . . . . .
11. Tierschutz u.a. (Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12. Schifffahrt und Wasserstraßen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG) . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Wasserstraßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13. Straßenverkehr u.a. (Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Straßenverkehrsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Bundesfernstraßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Straßenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14. Schienenbahnen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 23 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15. Abfallwirtschaft, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG) .
a) Abfallwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Sonstiges Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16. Staatshaftung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17. Medizinisch unterstützte Erzeugung menschlichen Lebens u.a. (Art. 74 Abs. 1 Nr. 26
GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Umfassende Zuständigkeit im Recht der Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) “Eingebettete“ Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18. Statusrechte und -pflichten (Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Ersetzung der früheren Art. 74 a GG und Art. 75 GG . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Denkbare Übernahmen früherer Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19. Jagdwesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 28 GG), Naturschutz und Landschaftspflege (Art. 74 Abs.
1 Nr. 29 GG), Bodenverteilung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 30 GG), Raumordnung (Art. 74 Abs.
1 Nr. 31 GG), Wasserhaushalt (Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG) sowie Hochschulzulassung und
Hochschulabschlüsse (Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Wasserhaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Hochschulzulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VIII. Bundesgesetzgebung und Verwaltungskompetenzen (Art. 83 ff. GG) . . . . . . . . . . . .
1. Die Bedeutung des Demokratieprinzips (Volkssouveränität), des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit sowie des Gebots der Bundesstaatlichkeit für die Regelung der Verwaltungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Demokratie und Volkssouveränität sowie problematische “Verflechtung von Zuständigkeiten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Rechtsstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Bundesstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Grundsatz der Verwaltung von Bundesgesetzen durch die Länder (Art. 83 und Art. 84
Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Ausführung von (Landesgesetzen und) Bundesgesetzen ohne Verwaltungsverfahrensregelungen, allgemeine Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Ausführung von Bundesgesetzen mit Verfahrensregelungen (Art. 84 Abs. 1 GG) . .
c) Kein Gesetzesvorbehalt für Verwaltungsaufbau, Behördenzuständigkeit und Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) “Regelungen“ von Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Abweichungsmöglichkeiten (Art. 84 Abs. 1 Sätze 2 - 6 GG) . . . . . . . . . . . . . . .
4. Pflicht zur Zustimmung des Bundesrats als Folge von bestimmten Verfahrensregelungen
(Art. 84 Abs. 1 Satz 6 sowie Abs. 5 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Zweck eines Zustimmungserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Voraussetzungen einer Zustimmungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Folgen des Vorliegens der Voraussetzungen der Zustimmungsbedürftigkeit . . . . .
5. Bundesaufsicht (Art. 84 Abs. 3 und Abs. 4 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Zwecke der Bundesaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) “Durchgriff“ auf die Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6.
IX.
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“Bundesauftragsverwaltung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Charakter der Bundesauftragsverwaltung der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Bundeseigene Verwaltung (Art. 86 ff. GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Bundesgrenzschutz (Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Soziale Versicherungsträger (Art. 87 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Errichtung selbständiger Bundesoberbehörden (Art. 87 Abs. 3 GG) . . . . . . . . .
d) Organisationsformen “funktionaler Selbstverwaltung“ . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Bundeswehrverwaltung (Art. 87 b GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
f) Luftverkehrsverwaltung (Art. 87 d GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
g) Eisenbahnverkehrsverwaltung (Art. 87 e GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
h) Postwesen und Telekommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
i) Bundesbank (Art. 88 Satz 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
j) Übertragungen auf die Europäische Zentralbank (Art. 88 Satz 2 GG) . . . . . . . .
k) Bundeswasserstraßen (Art. 89 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
l) Bundesstraßen (Art. 90 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
m) Gemeinschaftsaufgaben, Verwaltungszusammenarbeitsfälle (Art. 91 a ff. GG) . . .
Gesetzgeber und “Steuerstaat“ (Finanzverfassung gem. Art. 104 ff. GG); insbesondere Gesetzgebungskompetenz für nicht-steuerliche Abgaben sowie Steuern . . . . . . . . . . . . .
1. Grundsatz des “festen Rahmens“ der Finanzverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Finanzverfassung als für den Gesetzgeber “unübersteigbare“ Grenze . . . . . . . .
b) Verbot von Analogien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Grundsatz der strikten Kompetenztrennung bei Steuern (Art. 105 GG) einerseits und
nicht-steuerlichen Abgaben andererseits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Sonderfall der Finanzierung der Sozialversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Nichtsteuerliche Abgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Allgemeines (insb. Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen) . . . . . . . . . . .
b) Gebühren und Beiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Sonderabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Andere Abgaben (“eigener Art“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Gesetze gem. Art. 104 a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Gesetze gem. Art. 104 b Abs. 1 und Abs. 2 GG (Art. 104 a Abs. 4 GG a.F.) - Bundesfinanzhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) “Wesentliche“ Bestandteile eines entsprechenden Gesetzes . . . . . . . . . . . . . .
b) Keine Ermächtigung der Bundesverwaltung durch Art. 104 b Abs. 2 Satz 1 GG zur
Regelung von Verwaltungsbefugnissen gegenüber den Ländern . . . . . . . . . . . .
7. Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Steuern (Art. 105 GG) . . . . . . . . . . . .
a) Geltung des Art. 70 Abs. 1 GG auch für das Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . .
b) Ausschließliche Gesetzgebung des Bundes über Zölle und Finanzmonopole (Art. 105
Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Konkurrierende Gesetzgebung (Art. 105 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Bundesgesetze mit Zustimmungserfordernis (Art. 105 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . .
8. Der Bundesgesetzgeber und die Verteilung des Steueraufkommens (Art. 106 GG) . . .
a) Vertikale Steuerverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Einzelne in Art. 106 Abs. 1 und Abs. 2 GG genannte Steuern (Verkehr-, Erbschaftund Vermögensteuer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Art. 106 Abs. 3 ff. GG als erste Stufe der gesetzlichen Verteilung des Finanzaufkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Gewerbesteuer und Grundsteuer gem. Art. 106 Abs. 6 GG . . . . . . . . . . . . . .
9. Verkehrsbezogene Länderanteile (Art. 106 a GG sowie Art. 106 b GG) . . . . . . . . .
10. Art. 107 GG (Finanzausgleich; Ergänzungszuweisungen) . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) (Nicht allein durch Art. 107 GG erreichbare) Ziele und Zwecke des Art. 107 Abs. 1
GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Die für den Bundesgesetzgeber maßgeblichen Rechtsquellen und deren Umsetzung
11. Finanzverwaltung (Art. 108 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Verhältnis der einzelnen Absätze des Art. 108 GG zu den Art. 83 ff. GG . . . . . .
b) Oberfinanzdirektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12. Art. 109 GG (Haushaltswirtschaft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) “Schuldenbremse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Seite VIII
b)
Verantwortung des Haushaltsgesetzgebers für das “gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13. Art. 109 a GG (Haushaltsnotlagen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14. Art. 110 (Haushaltsplan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Die besondere Bedeutung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Die vier Haushaltsgrundsätze im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Haushaltsgesetz und Haushaltsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Ablauf des Verfahrens und Rechte sowie Pflichten von Beteiligten . . . . . . . . . .
15. Art. 111 GG und Art. 112 GG (Ausgaben vor Etatgenehmigung bzw. überplanmäßige
und außerplanmäßige Ausgaben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Art. 111 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Art. 112 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16. Art. 114 GG (Rechnungslegung und Rechnungsprüfung) . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Die gewöhnlichen Aufgaben des Bundesrechnungshofs . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Bundesrechnungshof und Länderbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17. Art. 115 GG (Kreditbeschaffung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Art. 115 Abs. 1 GG als Konkretisierung des demokratischen Parlamentsvorbehalts
b) Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigung, die zumindest bestimmbar den Höchstbetrag festlegen muss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Insbesondere: Gewährleistungsübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Insbesondere: Gewährleistungsermächtigungen im Rahmen internationaler Übereinkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. “Verfassungsfeste“ Grundsätze (Art. 79 Abs. 3 GG) sowie Demokratie-, Sozialstaats- ,
Rechtsstaats- und Gewaltenteilungsgrundsätze (Art. 20 GG)
215
I.
Überblick über (möglicherweise) veränderungsfeste Verfassungsgebote. . . . . . . . . . . . 215
1. Art. 79 Abs. 3 GG (Kriterien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
a) Allgemeines (Übersicht; BVerfGE 109, 279) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
b) “Ausnahmevorschrift“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
2. “Niedergelegte“ Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
a) Menschenwürde und Menschenrechte (Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 GG)
216
b) Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
c) Sozialstaatsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
d) Grundlegende Gerechtigkeitspostulate (grundlegende Elemente des Rechtsstaatsprinzips, insbesondere Rechtsgleichheit und Willkürverbot) . . . . . . . . . . . . . . . . 217
e) Gewaltenteilungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
II.
Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
1. Zusammenfassung des 1. Senats aus dem Jahre 2004 (BVerfGE 109, 279) . . . . . . . 219
a) Anknüpfung an historische Erfahrungen sowie Schwerpunkt-Verlagerungen . . . . . 219
b) “Objektformel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
c) “Heimliches“ staatliches Vorgehen und Beobachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
2. Vorläufige (neuere) Zusammenfassung aus dem 2. Senat (2 BvR 1111/13) . . . . . . . 220
3. Unionsrecht und geltend gemachte Verletzungen der Menschenwürde (“Identitätskontrolle“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
III. Demokratieprinzip und Volkssouveränität (Art 20 Abs. 1, 1. Alt. i.V.m. Abs. 2 Satz 1 GG) 220
1. Volkssouveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
a) Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft im Bund . . 225
b) Länderbereich (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
2. Staatsvolk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
a) Wahlvolk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
b) Deutscheneigenschaft i.S.v. Art. 116 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
c) Verlust der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
3. Wahlen als Legitimationsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
a) Periodische Wahlen als “Quelle der Staatsgewalt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
b) Verbot der (staatlichen) Beeinflussung von Wählern und Wahlen . . . . . . . . . . 228
c) Freie und offene Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten . . . . . . . 229
d) Einführung in die Grundsätze des Art. 38 GG (Zusammenhänge mit Art. 20 GG) . 229
4. Wahlgesetzgeber und Verwirklichung der Wahlrechtsgrundsätze (Wahrnehmung des Gesetzgebungsauftrags gem. Art. 38 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
Brunn - Inhaltsverzeichnis
IV.
V.
VI.
Seite IX
a) Zielsetzungen und zulässige Mittel der Zielerreichung . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Die Wahlrechtsgrundsätze in ihren Grundzügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Insbesondere: Wahlrechtsgleichheit (i.V.m. “Chancengleichheit“) . . . . . . . . . .
5. Legitimierungsbedürftige Wahrnehmung (vornehmlich behördlicher und richterlicher)
staatlicher Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Allgemeines (“Sachlich-inhaltliche Legitimation“, “Legitimationsniveau“ und “amtsgebundene Legitimation“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Legitimation für Exekutiv-Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Beleihung Privater mit hoheitlichen Befugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Die Parteien und der Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Reichweite und Grenzen des Art. 21 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Der Rang der Parteien als “verfassungsrechtliche Institutionen“ . . . . . . . . . . .
c) Die Beteiligung an Wahlen (als unverzichtbares Element) und die Chancengleichheit
Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 2. Alt. GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Bekenntnis zum Sozialstaat (Konkretisierung durch den - regelmäßig über einen Gestaltungsraum verfügenden - Gesetzgeber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Adressaten von Leistungen (Hilfs- und Schutzbedürftige) . . . . . . . . . . . . . . .
b) Grundaufgaben (Betreuung, Pflege, Krankheit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Menschenrecht und Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (auch)
durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Pflicht zur gesetzlichen Sicherung des unbedingt Erforderlichen . . . . . . . . . . .
b) Verfassungsrechtliche Vorgaben für das Vorgehen des Gesetzgebers (“Ergebnisorientierung“ des Verfahrens) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Sozialversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gesetzliche Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Arbeitslosenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Hinterbliebenenversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Unfallversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Fürsorge für (insbesondere altersbedingt) Pflegebedürftige . . . . . . . . . . . . . .
4. Steuerfreiheit des (zu “verschonenden“) Existenzminimums . . . . . . . . . . . . . . .
a) Bedarf (nach Erfüllung der Steuerschuld) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Bemessung des zu verschonenden Existenzminimums . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Sozialrechtlicher Mindestbedarf als Untergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Sonstige Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte im Steuerrecht . . . . . . . . . .
5. Anspruch auf Zutritt zu vom Staat geschaffenen Ausbildungseinrichtungen . . . . . . .
6. Wiedergutmachung von Vermögensverlusten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Resozialisierung von Straftätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8. Fremdrentengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
In Art. 20 GG “niedergelegte“ (oder zumindest vom einfachen Gesetzgeber zu beachtende)
Rechtsstaatsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Überblick über die vom Gesetzgeber möglicherweise zu beachtenden Rechtsstaatsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Erfordernis des Gemeinwohlbezugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) “Freiheit“ des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Bestimmtheitsgebot, Vorbehalt des Gesetzes, Vorrang des Gesetzes, Bindung an Gesetz
und Recht sowie Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . .
a) Erfordernisse der Bestimmt-, Klar- und Wahrheit eines Gesetzes . . . . . . . . . .
b) Vorbehalt des Gesetzes (Parlamentsvorbehalt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Vorrang des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3, 2. Alt. GG) . . . . . . . . . . . . .
e) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gewaltenteilungsgrundsatz (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 1, 1. Alt. GG)
1. Ableitung aus dem Demokratieprinzip (“gewaltenteilende Demokratie“) . . . . . . . .
a) Mäßigung der Staatsherrschaft (insbesondere: Parlamentarische Kontrolle von Regierung und Verwaltung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Unveränderbare Kernbereiche der Gewalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Gewaltenteilung zwischen erster und zweiter Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Seite X
a) Normsetzung und Kernbereich exekutiver Verantwortung als “eindringungsresistente“
Kernkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) (Bejahte bzw. verneinte) “Übergriffe“ der Legislative in den exekutiven Bereich (bzw.
wechselseitige “Preisgaben“ von Befugnissen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) “Übergriffe“ der Exekutive in den Bereich der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . .
3. Gewaltenteilung zwischen der ersten und der dritten Gewalt . . . . . . . . . . . . . . .
a) Wahrung des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Unzulässige Beanspruchungen der Fachgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) “Unüberprüfbare“ Gesetzgebungsakte als unzulässige Beanspruchungen des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Gewaltenteilung zwischen zweiter und dritter Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Eingriffe der Exekutive in den Bereich der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . .
b) “Übergriffe“ der Rechtsprechung in den Bereich der Verwaltung . . . . . . . . . . .
VII. Anhang: Die durch den Gesetzgeber beeinflussbare Rechtsstellung von Abgeordneten, Beamten und Richtern als den demokratisch legitimierten Trägern der drei voneinander getrennten
Staatsgewalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Der repräsentative Status des Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Freiheit des Mandats (Ausübungsfreiheit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Gleichheit der Abgeordneten und Beschränkungen der Statusrechte . . . . . . . . .
d) Gesetzgeber und die Art. 46 GG bis 48 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Beamte (Art. 33 Abs. 1 bis 5 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Zugang (Art. 33 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Die Regelung der Ausübung hoheitlicher Befugnisse (Art. 33 Abs. 4 GG); “Funktionsvorbehalt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Pflicht zur Berücksichtigung hergebrachter Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art.
33 Abs. 5 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Die Rechtsstellung der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Auswahl, Bestimmung und Besoldung der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Gesetzgeber und Menschenwürde, Menschenrechte sowie (Bindungen an) Grundrechte
337
I.
Art. 1 GG (i.V.m. Art. 19 Abs. 1 bis 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
1. Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und Konkretisierung (durch Grundrechte sowie Gesetzgebung und Rechtsprechung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
a) Menschenbild des Grundgesetzes als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
b) Berechtigte des Menschenrechts und Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
c) Umfang und Folgen einer (“unverfüg- und verabsolutierbaren“) Berechtigung . . . 345
d) Rechtsgebiete, in denen die Menschenwürdeproblematik angesprochen war . . . . . 347
e) Insbesondere: Menschenwürde im Strafrecht (Strafverfahren) . . . . . . . . . . . . 349
f) Insbesondere: Übergreifende Anforderungen (die aus den Grundrechten und dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne abgeleitet sind) für heimliche
Überwachungsmaßnahmen (gesetzliche Ermittlungs- und Überwachungsbefugnisse),
die tief in die Privatsphäre eingreifen (BVerfGE 141, 220 [269 ff.]) . . . . . . . . . . 353
2. Art. 1 Abs. 2 GG (Bekenntnis zu den Menschenrechten) . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
a) Kernbestand als (zumindest) Auslegungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
b) Zwingende Völkerrechtsnormen (Art. 1 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 25 Satz 1 GG) . . . 366
3. Art. 1 Abs. 3 GG (Bindung an Grundrechte) i.V.m. Art. 19 Abs. 1 bis 3 GG . . . . . 366
a) Umfang und Grenzen der gesetzgeberischen Befugnisse und Verpflichtungen . . . . 367
b) Grundrechts-Bindungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
c) Verbot der Einschränkung von Grundrechten durch Einzelfall- Gesetz sowie Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
d) Antastung des Wesensgehalts eines Grundrechts (Art. 19 Abs. 2 GG) . . . . . . . . 374
e) Grundrechtsgeltung auch für inländische juristische Personen (Art. 19 Abs. 3 GG)
374
4. Allgemeine Grundrechtslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
a) Grundrechtsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
b) Schutzbereiche bzw. Gewährleistungsinhalte der Grundrechte . . . . . . . . . . . . 379
Brunn - Inhaltsverzeichnis
Seite XI
c)
II.
III.
Schutz vor (unmittelbaren bzw. nicht erkennbaren) Grundrechtsbeeinträchtigungen
und auch schon -gefährdungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Von der Verfassung vorgesehene Grundrechtsschranken und zulässige Zwecke von
Grundrechtsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) “Beschränkungen“ uneinschränkbarer Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . .
f) Gesetzesvorbehalt für Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Art. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Art. 2 Abs. 1 GG (Handlungsfreiheit und/oder Persönlichkeitsrecht) . . . . . . . . . .
a) Gemeinsames (sowie Unterschiedliches) der Handlungsfreiheit und des Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) (Unzulässige) Eingriffe des Gesetzgebers in den “absolut geschützten Kernbereich
privater Lebensgestaltung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Schutz vor Eingriffen in die allgemeine Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Schutzbereiche bzw. Gewährleistungsinhalte (insbesondere: “Reiten im Wald“) . .
b) (Zulässige und unzulässige) Eingriffe des Gesetzgebers in die allgemeine Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Erlaubnisvorbehalt für Grundrechtsausübungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Schutz des Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Das Persönlichkeitsgrundrecht als - durch den Gesetzgeber zu konkretisierendes, insbesondere einschränkbares - “offenes“ Grundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Die in Betracht zu ziehenden Berechtigten (und Verpflichteten) des “eigenständigen“
Grundrechts (“unbenannten“ Freiheitsrechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Schutzbereiche im Einzelnen (Schutzbereichsschwerpunkte Ehe und Familie sowie Gesundheitsbereich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Die beiden aus dem Persönlichkeitsrecht abgeleiteten “Datengrundrechte“ . . . . . . .
a) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (und seine Einschränkungsmöglichkeiten auf gesetzlicher Grundlage) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer
Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 (1. und 2. Alt.) GG (Recht auf Leben sowie Recht auf körperliche
Unversehrtheit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Schutzbereich des Rechts auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, 1. Alt. GG) . . . . . . .
b) Schutzbereich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt.
GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Gesetzesvorbehalt (Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG) für Einschränkungen des Rechts auf
Leben, auf körperliche Unversehrtheit sowie auf Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Der “hohe Rang“ der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Allgemeine Schutz- und Anwendungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Spezielle strafverfahrensrechtliche Schutz- und Anwendungsbereiche . . . . . . . .
Art. 3 GG (Gleichheit vor dem Gesetz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. (Gesetzgeber und) Allgemeiner Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG “Alle Menschen sind
vor dem Gesetz gleich.“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Grundrechts- bzw. Gleichheitsverpflichtete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Grundrechts- bzw. Gleichheitsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Zulässige und unzulässige differenzierende Wertungen des Gesetzgebers je nach Sachund Regelungsbereich (“Gesamtüberblick“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Insbesondere: Rechtfertigungen für Generalisierungen und Typisierungen . . . . . .
f) Stichtagsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
g) Entscheidungsaussprüche bei Verstößen gegen Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . .
h) Gesetzgeber, Gleichheitssatz und Steuer- sowie Abgabenrecht (Grundsatz der Belastungsgleichheit) im Allgemeinen und Speziellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
i) Maßstabsbildende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in verschiedenen anderen Rechtsgebieten (alphabetische Reihenfolge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Art. 3 Abs. 2 GG (Männer und Frauen sind gleichberechtigt) . . . . . . . . . . . . . .
a) Art. 3 Abs. 2 GG und der Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Gleichberechtigungsgebot und Konkurrenzen (Verhältnis zu anderen Bestimmungen)
c) Ungleichbehandlungen in Form von Benachteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . .
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d) Rechtfertigungen für Ungleichbehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Art. 3 Abs. 3 GG (spezieller Gleichheitsgrundsatz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Abstammung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
f) Religiöse oder politische Anschauungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
g) Behinderung (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Art. 4 GG (Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Die Grundentscheidung der Verfassung für ein freiheitliches Religions- und Staatskirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Die inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung als “vollgültiges Verfassungsrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) “Interpretatorische Wechselwirkung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Staatliches Neutralitätsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Insbesondere: Die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an
eine Religionsgemeinschaft und deren Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Die schwierigen Aufgaben des Gesetzgebers vornehmlich angesichts der Vorbehaltlosigkeit
des Art. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Einschränkungen aus der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Schutzgebote (als Gewährleistungsinhalte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) “Selbstverständnis“ der Glaubensgemeinschaften und “Prüfbefugnisse“ des Staates
3. Konkurrenzen (Verhältnis zu anderen Grundrechten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Verhältnis zu Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Art. 5 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Art. 12a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Art. 140 GG (i. V. m. WRV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Grundrechtsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Individuelle Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Kollektive Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Der grundrechtsverpflichtete Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) “Weltanschaulich-religiöse Neutralität“ des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) (Kritische) Äußerungen von Staatsorganen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Schutzgüter bzw. Gewährleistungsinhalte des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG . . . . . .
a) Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Gewissensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Freiheit des religiösen Bekenntnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Grundrecht der ungestörten Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) . . . . . . . . .
7. “Ausgleich“ bei (Grundrechts-)Kollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Toleranzgebot und Ausgleich von “Spannungsverhältnissen“ . . . . . . . . . . . . .
b) Konfliktfälle im öffentlichen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Konfliktfälle im privaten Raum (Konflikte zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und Glaubensfreiheit von Arbeitnehmern bzw. Vertragspartnern; BVerfGE 137,
273) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8. Kriegsdienstverweigerungsgrundrecht (Art. 4 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . .
a) “Echtes Grundrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) “Kernbereich“ und Randbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Problematik des Schutzes der sog. situationsbedingten Kriegsdienstverweigerung .
d) Nachprüfung der Gewissensentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Art. 5 GG (Recht der freien Meinungsäußerung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Art. 5 Abs. 1 GG (Recht der freien Meinungsäußerung und -bildung) . . . . . . . . . .
a) Konkurrenzen (kursorischer Überblick) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Zwecke des (unterschiedlichen Ausmaßes des) Schutzes der Meinungsfreiheit (insbesondere: Meinungsäußerungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Freiheit der Berichterstattung durch insbesondere den Rundfunk (Art. 5 Abs. 1 Satz
2, 2. Alt. GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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e) Zensurverbot (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Schranken und Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Allgemeine Gesetze (Art. 5 Abs. 2, 1. Alt. GG) und “Sonderrechtsverbot“ . . . . .
b) Gesetzliche Bestimmungen zum Schutze der Jugend (Art. 5 Abs. 2, 2. Alt. GG) . .
c) Recht der persönlichen Ehre (Art. 5 Abs. 2, 3. Alt. GG) . . . . . . . . . . . . . . .
3. Kunst-, Wissenschafts-, Forschungs- und Lehrfreiheit sowie Beschränkungen (Art. 5 Abs.
3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Kunstfreiheit (und Schranken) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Wissenschaftsfreiheit (und Landesgesetzgeber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI. Art. 6 GG (Ehe, Familie und - nichteheliche - Kinder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. “Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“ (Art. 6
Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gesetzgeber und Ehe (Ausgestaltung unter Beachtung der “wesentlichen Strukturprinzipien“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Gesetzgeber und Familie (Strukturprinzipien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) (Gesetzlicher) Schutz von Ehe und Familie durch Förderungs- und Gleichbehandlungsgebote sowie Beeinträchtigungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Art 6 Abs. 2 GG (Eltern- und Kinder-Rechte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) “Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) . . . . . . . . . . . . .
c) Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG (Wächteramt des Staates) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Art. 6 Abs. 3 GG (Trennung des Kindes von der Familie) . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Verhältnismäßigkeitsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. “Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.“ (Art. 6
Abs. 4 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Bindender Auftrag an den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Einzelfragen zum Schutzauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Nichteheliche Kinder (Art. 6 Abs. 5 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Auftrag und Bindungen des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) (Zulässige und unzulässige) Ziele sowie Mittel der Regelung . . . . . . . . . . . . .
VII. Art. 7 GG (Schulwesen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Bedeutung des Art. 7 GG (Grundrecht und Institutsgarantie) . . . . . . . . . . . . . .
a) Aufsicht des Staates über das Schulwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Insbesondere: Bekenntnismäßige Gestaltung des Schulwesens . . . . . . . . . . . . .
c) Vorbehalt des Gesetzes, Wesentlichkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Einschränkungen der Gestaltungsfreiheit der Landesgesetzgeber . . . . . . . . . . . . .
a) Gesetzgeberischer Gestaltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Grenzen durch übergeordnete Normen des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . .
3. Insbesondere: Rechtschreibreform, Sexualkundeunterricht sowie “Kopftuchverbot“ . . .
a) Rechtschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Sexualerziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Religiöse Bekundungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VIII. Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. “Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und
ohne Waffen zu versammeln.“ (Art. 8 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) (Entscheidungen über den) Ort der Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) (Entscheidungen über die) Zeit bzw. das Stadium der Versammlung . . . . . . . .
d) (Entscheidungen über das) Thema der Veranstaltung . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) (Entscheidungen über die) Teilnehmer der Versammlung . . . . . . . . . . . . . . .
2. “Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder aufgrund
eines Gesetzes beschränkt werden.“ (Art. 8 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) “Versammlungen unter freiem Himmel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX. Art. 9 GG (Vereinigungsfreiheit ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. “Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.“ (Art. 9 Abs. 1
GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.
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a) Regelungen durch den - “gebundenen“ - Gesetzgeber (Regelungsbedürfnis) . . . . .
b) Grundrechtsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Verbotene Vereinigungen (Art. 9 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) “Ausfüllung“ des Art. 9 Abs. 2 GG durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . .
b) Erstreckung auf “abhängige“ Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) (Traditionelle) Aufgaben von Koalitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Gewährleistungsinhalte des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) (Zulässige und unzulässige) Zwecke und Mittel der koalitionsmäßigen Tätigkeiten .
d) Fehlender Gesetzesvorbehalt und Ausgestaltungen sowie Einschränkungen durch den
Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
X.
Art. 10 GG (Brief-, Post- und Fernmelde- bzw. Telekommunikationsgeheimnis) . . . . . .
1. “Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.“ (Art.
10 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Die Rolle des Staates (Gesetzgebers) im mehrpoligen Schutzverhältnis . . . . . . .
b) Brief- bzw. Postgeheimnis und Telekommunikationsgeheimnis . . . . . . . . . . . .
c) In Betracht zu ziehende Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Allgemeine gesetzliche Beschränkungen (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG) . . . . . . . . . . .
a) “Beschränkungen dürfen nur aufgrund eines Gesetzes angeordnet werden.“ (Art. 10
Abs. 2 Satz 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Gemeinwohlzwecke (Strafverfolgung, Gefahrenabwehr und Nachrichtendienste) als legitime (abstrakte und konkrete) Beschränkungszwecke; Zweckänderungen . . . . . .
c) (Nicht mit Art. 10 GG “schlechthin unvereinbare“) Gesetzliche Anordnungen zu vorsorglichen anlasslosen Erhebungen und Speicherungen von Telekommunikationsdaten
(zu Lasten nichtstaatlicher Datenspeicherer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Spezielle Beschränkungen (Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gesetzlich vorzusehende Ver- und Gebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Benachrichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Rechtsweg und/oder sonstige Nachprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI. Art. 11 GG (Freizügigkeitsrecht ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. “Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.“ (Art. 11 Abs. 1 GG)
a) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Problematische Rechtsprechung zum erzwungenen “Heimatverlust“ . . . . . . . . .
c) Kein Anspruch auf Wege und Beförderungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Einschränkungen bzw. Beschränkungen der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 2 GG) . . . . .
a) Gesetzgeberisches Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) (Einschränkungen bzw.) Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XII. Art. 12 GG (Berufsfreiheit) und (einschränkende sowie grundrechtsunterstützende) Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. “Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu
wählen.“ (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gesetzgeber (Befugnisse und Pflichten) sowie einzelne Grundrechtsgarantien (gegenüber Eingriffen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Grundrechtsinhaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Berufsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Freiheit der Berufswahl (und einschränkende Regelungen) . . . . . . . . . . . . . .
2. “Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden.“
(Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gesetzgeber und Regelungsbefugnis des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG . . . . . . . . .
b) Rechtfertigungen von eingreifenden Regelungen (“Stufentheorie“) . . . . . . . . . .
XIII. Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. “Die Wohnung ist unverletzlich“ (Art. 13 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Nicht dem Schutz des Art. 13 GG unterfallende Interessen sowie Konkurrenzen . .
b) Eingriffe in den Schutzbereich bzw. Gewährleistungsinhalte (Grundrechtsberechtigte
und Schutzgegenstände) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Durchsuchungen (Art. 13 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Begriff der Durchsuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) (Verfassungsrechtlicher) Richtervorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Seite XV
c) Einzelne gesetzliche Prüfpflichten des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Die Ausnahme der “Gefahr im Verzug“ (“Doppelnatur“ des Begriffs) . . . . . . . .
3. Die konstitutive Beschränkung des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG durch Art. 13
Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gesetzgeber und Pflicht zur Gewährleistung des Unverletztbleibens der Menschenwürde (im Allgemeinen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit der akustischen Wohnraumüberwachung und
die einzelnen Tatbestandsmerkmale des Art. 13 Abs. 3 Satz 1 GG (Verdacht besonders
schwerer Straftaten) unter der Voraussetzung, dass der Kernbereich nicht berührt ist
(BVerfGE 109, 279 [335 ff.]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Maßnahmen “aufgrund richterlicher Anordnung“ (qualifizierter Richtervorbehalt des
Art. 13 Abs. 3 sowie Abs. 4 GG; BVerfGE 109, 279 [357 ff.]) sowie Benachrichtigungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Das weitere Schicksal der gewonnenen Informationen (Zweckbindung; BVerfGE 109,
279 [374 ff.]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Maßnahmen zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit (Art. 13 Abs.
4 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Informationserhebung nach landesrechtlichen Normen und Zweckbindungen und änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Eingriffe durch (zweckändernde) Verwertung in gerichtlichen Entscheidungen . . .
c) Verfassungsgemäßheit von verwertenden Normen (wie § 261 StPO) zumindest bei
verfassungskonformer Auslegung (Verwertungsverbot im Einzelfall) . . . . . . . . .
5. Technische Mittel zum Schutz der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen
(Art. 13 Abs. 5 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Unterrichtungspflichten (Art. 13 Abs. 6 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Eingriffe und Beschränkungen (Art. 13 Abs. 7 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Unterscheidung zwischen Eingriffen aufgrund Gesetzes und zur Gefahrenabwehr . .
b) Schutz der Wohnräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Geschäfts- und Betriebsräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIV. Art. 14 GG (Eigentum, Erbrecht und Enteignung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Gesetzgeber und Gewährleistung von Eigentum und Erbrecht sowie Schranken (Art. 14
Abs. 1 Satz 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Die verantwortungsvollen und schwierigen Aufgaben der Gesetzgebung . . . . . . .
b) Gewährleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Bestimmung von Inhalt und Schranken durch Gesetze (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG)
d) Insbesondere: Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 GG und Auferlegung von steuerlichen Geldleistungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gesetzgeber und Sozialpflichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Besondere Bindungen des Grundeigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Sonstige Rechtspositionen und Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Enteignungen und Entschädigungen (Art. 14 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . .
a) “Junktim“ zwischen Enteignung und Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Mittel einer Enteignung (Legalenteignung bzw. Administrativenteignung) . . . . .
c) Gemeinwohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Entschädigung durch Gesetz (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . .
e) Bestimmung der (Art der) Entschädigung (Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG) . . . . . . .
f) Rechtsweg (Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XV. Art. 16 GG (Ausbürgerung, Auslieferung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Verlust und Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 GG) . . . . . .
a) Entziehung (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Verlust (Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Auslieferungen (von Deutschen und Ausländern; Art. 16 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . .
a) Grundsatz (Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Die Auslieferung eigener Staatsbürger als (u.U. zulässige) Ausnahme vom Grundsatz
c) Ausnahmen nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Auslieferungen Nichtdeutscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVI. Art. 16 a GG (Asylrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht (Art. 16 a Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . .
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a) Politisches bzw. rechtliches “Umfeld“ des Asylgrundrechts . . . . . . . . . . . . . .
b) Der (politisch) “Verfolgte“ (Flüchtender vor erlittenen oder drohenden asylerheblichen
Rechtsverletzungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Der/die Verfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Zusammenfassung: Die “Ausgrenzung“ und die “ausweglose Lage“ als die Hauptkriterien für das Vorliegen einer politischen Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Verfahrensfragen sowie “Nachfluchtgründe“ und Rechtsfolgen einer Asylberechtigung/nichtberechtigung (Unterscheidung zwischen dem Recht auf Asyl und den Rechten im
Asyl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Einreise aus einem Drittstaat (Art. 16 a Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) (Tatsächliche) Möglichkeiten eines Drittstaats-Kontakts . . . . . . . . . . . . . . .
b) Drittstaaten im Sinne des Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Die Sonderregelung des Art. 16 a Abs. 2 Satz 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . .
“Sichere“ Herkunftsstaaten (Art. 16 a Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) “Arbeitsteilung“ zwischen Gesetzgeber und Behörden sowie Gerichten (mit dem Ziel
der Verfahrensverkürzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) “Grundrechtsausfüllendes Gesetz“ (als Option des Art. 16 a Abs. 3 GG) . . . . . .
c) Die “Vermutungen“ des Art. 16 Abs. 3 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen (Art. 16 a Abs. 4 GG) . . . . . . . . .
a) Begrenzung des verfahrensrechtlichen Schutzbereichs des Asylgrundrechts aus Beschleunigungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Die in Betracht zu ziehenden Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Befugnisse und Pflichten des Gerichts im Falle ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit (Prüfungsgegenstand) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Insbesondere: Flughafenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Völkerrechtliche Verträge (Art. 16 a Abs. 5 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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F. Grundrechtsähnliche Verbürgungen (insb. Art. 19 Abs. 4, Art. 101 Abs. 1 Satz 2, Art. 103
sowie Art. 104 GG) - Verfahrensgrundrechte
699
I.
Gemeinsames für die “objektiven Verfahrensgrundsätze“ des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und
des Art. 103 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699
1. Geltendmachung durch juristische Personen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . 699
2. Geltendmachung durch (nach der Verfahrensordnung beteiligungsfähige) Behörden . . 699
II.
Art. 19 Abs. 4 GG (effektiver Rechtsschutz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700
1. Aufgaben des Gesetzgebers (und der Prozessordnungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . 702
a) Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702
b) Wahrung der gerichtlichen Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702
c) Effektiver Rechtsschutz (Ausgestaltung durch die Prozessordnungen und deren Handhabung durch die Gerichte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703
d) Insbesondere: Flankierender verfahrensrechtlicher Schutz in Verbindung mit Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704
2. “Zentrale Verbürgung gerichtlichen Rechtsschutzes durch Fachgerichte“ . . . . . . . . 706
a) Konkurrenzen und Ergänzungen (“Justizgewährungsansprüche“ sowie “Rechtsschutz
gegen den Richter“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706
b) Ausmaß des Schutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707
c) Denkbare Berechtigte (insb. Ausländer und Vereinigungen) . . . . . . . . . . . . . 708
3. Öffentliche Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 708
a) Deutsche öffentliche Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 708
b) Begrenzung auf die vollziehende Gewalt und deren “Selbstherrlichkeit“ . . . . . . . 709
4. Verletzung in Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 710
a) Konkretisierung durch Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 710
b) Gnadenentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 710
5. Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 710
6. Erforderliche Rechts-Maßstäbe für (Behörden und) Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . 711
a) Behördliche Spielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711
b) Entscheidungen ohne (vollständige) normative Entscheidungsprogramme . . . . . . 711
c) Verweisungen auf Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711
d) Zulässige und unzulässige Bindungen an tatsächliche und rechtliche Bewertungen . 711
7. Instanzenzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712
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a) Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Verbote bei gesetzlich vorgesehenem Instanzenzug . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8. “In-camera-Verfahren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Bestehendes Geheimhaltungsinteresse und effektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . .
b) Geringes Geheimhaltungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das (“ungeschriebene“) Prozessgrundrecht auf ein (faires und effektives) rechtsstaatliches
Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) auch in nicht öffentlich-rechtlichen
Verfahren (Justizgewährungsanspruch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Aufgaben des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Ausgestaltungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Gesetzgeberische “Ausgleichspflichten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Die wichtigsten Garantien des (“allgemeinen“) Justizgewährungsanspruchs . . . . . . .
a) “Allgemeine“ Effektivität des Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Grundsatz der umfassenden (tatsächlichen und rechtlichen) Prüfung des Streitgegenstands durch Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Einzelausformungen des gerichtlichen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Gehörsverstöße im fachgerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (gesetzlicher Richter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Zweck der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Adressaten der Gebote und Verbote sowie gesetzgeberische Mittel zur Vorbeugung . .
a) Erforderlicher Bestand an Rechtssätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Ergänzung einschlägiger Gesetze durch Geschäftsverteilungspläne . . . . . . . . . .
3. “Gewöhnliche“ und “außergewöhnliche“ Verletzungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . .
a) Verstöße im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Verstöße im Besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Anhang: Besondere Gerichte (Art. 101 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Beschränkung auf Sondergerichte der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Beispielsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Art. 103 Abs. 1 GG (rechtliches Gehör) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Ausgestaltung durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Einschränkungen von Äußerungsmöglichkeiten aus “sachlichen Gründen“ . . . . . .
b) Mindestmaß an Verfahrensbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Gericht als ausschließlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gerichtliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. “Dreistufigkeit“ des Gehörsrechts in gerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . .
4. Zulässige Einschränkungen des rechtlichen Gehörs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Ersetzung einer vorherigen Anhörung durch eine nachträgliche . . . . . . . . . . .
b) Präklusionsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) “In-camera-Verfahren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Die “Ausformung“ des Rechtsschutzsystems durch den Gesetzgeber und die Sanktionierung eines Gehörsverstoßes durch Fachgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Rechtsschutz gegen Gehörsverstöße in jeder gerichtlichen Instanz . . . . . . . . . .
b) Abhilfemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nulla poena sine lege (Art. 103 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Strafrecht, Strafe (Kriterien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Dem Strafrechtsbegriff unterfallende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Aus dem Strafrechtsbegriff ausgesonderte Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Gesetzesvorbehalt und Bestimmtheitsgebot im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gesetzesgebundenheit im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Grenzen des Bestimmtheits- und Einfachheitsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. (Absolutes) Rückwirkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Spezielle Anwendungsbereiche des Rückwirkungsverbots (insbes. Rechtfertigungen i.S.
des StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) (Nicht-)Anwendungsfälle (insbesondere Verjährungsvorschriften, Maßregeln der Sicherung und Besserung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII.
Seite XVIII
Ne bis in idem (Art. 103 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Dieselbe Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Folgen einer Tatidentität (Strafklageverbrauch auch hinsichtlich erschwerender Folgen
der Tat) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Entschiedene Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Allgemeine Strafgesetze (Abgrenzungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Entschiedene Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Problematischer Fall der Ersetzung einer verfassungswidrigen Norm . . . . . . . .
3. Auslandsbezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Verfolgung einer im Ausland abgeurteilten Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an “Zweitverfolgung“ im Ausland . .
VIII. Gesetzgeber und Rechtsstaatsprinzip (insbesondere: faires Verfahren) im Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Die Aufgaben des Strafrechts und -prozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Sicherung des Rechtsfriedens durch Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Ziel und Aufgabe von Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Pflicht zur Verfolgung bzw. Vollstreckung und Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . .
2. Gesetzgeber und Schuldgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Schuldgrundsatz als aus der Verfassung ableitbarer zentraler Grundsatz des Strafprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Insbesondere: Lebenslange Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Anhang: Auslieferungen und Schuldgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Pflicht zur Wahrheitsermittlung und Grenzen dieser Pflicht . . . . . . . . . . . . . . .
a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Kein Zwang zur Selbstbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Einführung von vereinfachten Verfahren zur Gewinnung von richterlichen Überzeugungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Einführung von strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechten und Beschlagnahmeverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Grenzen für Beweisverwertungen (Beweisverwertungsverbote als begründungsbedürftige Ausnahmen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Gesetzgeber und Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Konkretisierung durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Kein Schuldvorwurf vor Widerlegung der Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . .
5. Faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . .
a) Das Recht auf ein faires Verfahren im Strafverfahren und seine Konkretisierung durch
den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Recht auf aktive und wirkungsvolle Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Einzelfragen im Zusammenhang mit der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) “Missbrauch“ des Gebots der Verhandlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Faires Strafverfahren und Rechte ausländischer Beschuldigter . . . . . . . . . . . .
6. Beschleunigungsgebot im Strafprozess und überlange Verfahrensdauer . . . . . . . . .
a) Strafe als Reaktion auf geschehenes Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Von den Verfolgungsorganen (nicht) zu verantwortende Verzögerungen . . . . . . .
7. Verständigung im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Verbot einer Verständigung über den Schuldspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Einfluss der Wahrheitsermittlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Autonomie des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Belehrungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Verfahrensrechtliche Sicherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX. Freiheitsbeschränkung und -entziehung (Art. 104 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GG
) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Vorbehalt förmlichen Gesetzes (Art. 104 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Bestimmtheitsgebot und Konkretisierungspflicht des Gesetzgebers . . . . . . . . . .
b) Gesetzesvorbehalt und Rechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Abgrenzung der Freiheitsbeschränkung (Art. 104 Abs. 1 GG) von der Freiheitsentziehung
(Art. 104 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Freiheitsentziehung als schwerwiegendste Form der -beschränkung . . . . . . . . . .
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Brunn - Inhaltsverzeichnis
Seite XIX
b) Freiheitsentziehungen (Freiheitsstrafen sowie präventive Freiheitsentziehungen) und
Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Vorbehalt richterlicher Entscheidung (Art. 104 Abs. 2 und 3 GG) . . . . . . . . . . . .
a) Gebot grundsätzlich “vorgängiger“ richterlicher Anordnung bei Freiheitsentziehungen
b) Äußerste Grenze eines Festhaltens ohne (“unverzüglich“) richterliche Entscheidung
c) Gesetzgebungsauftrag des Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Art. 104 Abs. 4 GG (Benachrichtigung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Brunn - Kapitel A.I.0.
Seite 1
A. Aufgaben, Formen und das Entstehen von neuer Gesetzgebung
und deren verfassungsrechtlicher Rahmen
[1] “Lapidar“ bestimmt § 20 Abs. 3 GG, dass die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung (zum
anfänglichen Verständnis: v. Mangoldt, Bonner Grundgesetz, 1953, S. 140 sowie Wernicke in: Bonner Kommentar (Erstfassung) Art. 9, S. 7 f.) gebunden ist (nicht aber - im Gegensatz zu Exekutive und Judikative
- an “einfachrechtliche“ Regeln; vgl. BVerfGE 141, 1 [22] für Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen; dort [33] auch dazu, dass die Verfassung auch aus sie “innerlich zusammenhaltenden allgemeinen
Grundsätzen und Leitideen“ besteht), was die Fragen aufwirft, worin - erstens - das Kennzeichnende dieser
Ordnung liegt (ob es insbesondere die Ordnung “als solche“ oder die durch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts “geschaffene“ ist; nachfolgend A.I.2.a) (vgl. S. 3) sowie den “Beantwortungsversuch“ unter
A.III.1.c)bb) (vgl. S. 35) ), was - zweitens - in diesem Zusammenhang unter Bindung zu verstehen ist
und ob - drittens - die Gesetzgebung im Übrigen “ungebunden“ ist (oder quasi einfach-rechtlich gebunden
sein kann).
[2] Ebenso lapidar bestimmt die zweite Alternative des Art. 20 Abs. 3 GG, dass die vollziehende Gewalt und
die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sind, wodurch die in Art. 20 Abs. 2 GG aufgeführten
und dort eher im Sinne einer Gewaltenteilung charakterisierten drei Staatsgewalten in ihren wechselseitigen
Bindungen gekennzeichnet werden; man kann insoweit zwanglos von einer - neben einer selbstverständlichen
unmittelbaren - “mittelbaren“ Verfassungsbindung (nämlich vermittelt über die Gesetzgebung und die von
dieser erzeugten Gesetze) von vollziehender Gewalt und Rechtsprechung reden.
[3] Ist das Vorstehende (“aus sich heraus“) ohne weiteres verständlich, so folgt daraus nicht (mit der gleichen Selbstverständlichkeit) die verfassungsrechtlich zugewiesene Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts
in diesem Gewaltengeflecht (wahrscheinlich - sofern man hier zu “Recht“ nicht auch das Verfassungsrecht
rechnet - erscheint nur, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht der vorerwähnten
Rechtsprechung zuzuordnen ist); erst in den Art. 93 f. GG sind diese Aufgaben umfassend beschrieben.
I. Anspruch der Handreichung
1.
2.
Haupt- und Nebenzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Hauptzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Nebenzweck
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die (zumindest) Nützlichkeit der Beachtung verfassungsgerichtlicher Verfassungsauslegung bei
Gesetzesvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Identität von verfassungsmäßiger Ordnung (Art. 20 Abs. 3 GG) und einschlägiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichts? . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Bundesverfassungsgericht und (verfassungsändernder) Gesetzgeber . . . . . . .
2
2
2
3
3
aa) “Bindung“ des Bundesverfassungsgerichts durch den verfassungsändernden Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
bb) (Misslungene) Verfassungsänderungen und (misslungene) Nachzeichnungsversuche
durch den einfachen Gesetzgeber (Beispielfall “Europäischer Haftbefehl“) . . . .
3
3
(1) Die bereits bei der Verfassungsänderung (2000) sich aufdrängenden Fragen .
4
(2) Beachtlichkeit tradierter Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
(2a)
Zweck des Auslieferungsverbots
(2b)
Staatliches Interesse an internationaler Zusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
Grenze des Auslieferungsverbots (“gerechte“ Bestrafung im Ausland) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
(2c)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
Brunn - Kapitel A.I.1.
3.
4.
Seite 2
cc) “Gelungene“ Verfassungsänderung (und einigermaßen gelungene verfassungsausfüllende Gesetze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gefahren und Hauptschwierigkeiten des Vorhabens . . . . . . . . . . . . . .
a) Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Schwierigkeiten (Fortentwicklung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Rechtsmaterien)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
5
5
6
aa) Zivil- und öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
bb) Straf- und Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dank für die Grundlagen der Darstellung (BVerfGE 1 bis BVerfGE 141) . . . . . .
6
7
Weil der hier vorgelegten Zusammenstellung (“Handreichung“) kein eigener (wissenschaftlicher) Anspruch
zugrunde liegt, enthält sie (fast) nur Senats-Rechtsprechungszitate; wo das Bundesverfassungsgericht sich
(noch) nicht geäußert hat (wie zu einzelnen Überleitungsvorschriften, neu geschaffenen Vorschriften - wie
etwa Art. 45 d GG mit seinem Absatz 2 - sowie zu der Fülle von Gesetzesermächtigungen in den Art. 104 ff.
GG), müssen zwangsläufig Lücken bleiben, die mit Hilfe der ganz überwiegend hervorragenden Kommentare
zum Grundgesetz sowie Grundrechts- sowie Staatsrechtslehr- und -handbücher, zu denen die Handreichung
nicht in Konkurrenz treten will, geschlossen werden können.
1. Haupt- und Nebenzwecke
Das vom Bundesministerium der Justiz herausgegebene Handbuch der Rechtsförmlichkeit (3. Aufl., 2008)
enthält auf den Seiten 26 ff. ein Kapitel “Prüfung der Verfassungsmäßigkeit“.
a) Hauptzweck
Die vorliegende Handreichung, die sich zwar vorwiegend an die gesetzesvorbereitende Exekutive sowie die
Abgeordneten (und deren Mitarbeiter) wendet, aber (hoffentlich) auch von Studierenden und Praktikern
mit Gewinn gelesen werden kann, verfolgt den Zweck, diese Prüfung - im ersten Schritt des “Einstiegs“ in
die jeweilige Problematik - dadurch zu erleichtern, dass ausschließlich Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (dem “Hüter der Verfassung“, welcher aber auch den Gesetzgeber gegenüber den Fachgerichten
gewissermaßen in Schutz nimmt; BVerfGE 1, 184 [195 ff.]) zu den angesprochenen Fragen dargestellt wird,
die speziell die Pflichten und Befugnisse des Gesetzgebers , welcher gemäß Art. 20 Abs. 3 (1. Alt.) GG “an
die verfassungsmäßige Ordnung gebunden (ist)“, in den Blick genommen und das Vorgehen des Gesetzgebers
beurteilt hat.
Bevor eingangs des nachfolgenden Kapitels A.III. versucht wird, der Frage nachzugehen, was im Einzelnen
von dieser “bindenden“ Ordnung umfasst wird (A.III.1.c)bb) (vgl. S. 35) ; vgl. auch A.III.4.b)cc) (vgl. S.
60) und E.I.3.b)bb) (vgl. S. 370) ), was dann in den Kapiteln C. bis F. im Einzelnen behandelt wird, und
im nachfolgenden Kapitel C. II. der äußere Ablauf eines Gesetzesvorhabens (Art. 76 ff. GG) dargestellt
wird, wird im nachfolgenden Kapitel A.II. unternommen zu zeigen, dass bereits eine sorgfältige Bewältigung
der eher technischen Regeln gelungener Rechtsetzung nahezu zwangsläufig auf schwierige verfassungsrechtliche Probleme - nachfolgend A.III. - (die vor allem die Fragen um gesetzgeberische Prognosen sowie die
Rückwirkungsproblematik -nachfolgend B. - betreffen) hinführt.
b) Nebenzweck
Ein Nebenzweck der Darstellung ist es, den Bundestag zu ermuntern, es entweder selbst zu unternehmen oder
die Ministerien - als die “federführenden“ Gesetzesvorbereiter - zu “drängen“, der zunehmenden “Rechtszersplitterung“ (BVerfGE 138, 64 [91] für “Rechtsunsicherheit“ und “Rechtszersplitterung“ freilich durch
unterschiedliche gerichtliche Auslegungen) entgegenzuwirken und deshalb wieder “große Gesetzgebung“ (wie
in der Nachkriegszeit das Grundgesetz, die Strafrechtsreform, die Vereinheitlichung des - behördlichen - Verfahrensrechts, die Sozialrechtsbücher sowie in jüngerer Zeit die - allem Anschein nach gelungene - Reform
des FGG) zu “wagen“; insoweit hat das Bundesverfassungsgericht fast alles Notwendige gesagt.
Zu denken ist dabei vor allem an die (überfällige) vollständige Kodifizierung des Arbeitsrechts, eines einheitlichen Umweltrechts, einer einheitlichen öffentlich-rechtlichen Prozessordnung, einer (materienübergreifenden)
allgemeinen Prozessordnung und eines übersichtlichen Verbraucherschutzrechts (der Rechtsanwender bzw.
Brunn - Kapitel A.I.2.
Seite 3
-unterworfene muss sich - um ein Beispiel zu nennen - durch mehrere Abkommen über Fluggastrechte “hindurchkämpfen“, bis er zumindest ahnt, welches Abkommen für einen Flug einschlägig ist, wenn mehrere
“Flugfrachtführer“ beteiligt waren).
Oft liegt es allein am mehr oder weniger guten Willen des “federführenden“ Ressorts bzw. dessen Referatsleiters, ob eine überfällige Rechtsbereinigung in Angriff genommen wird oder nicht, und die Folgen haben
Behörden, Gerichte und Rechtsunterworfene zu tragen, wobei sie nicht zufriedengestellt werden können mit
dem (oft unzutreffenden, aber in den Materialien immer wieder zu lesenden) Hinweis, eine bestehende Regelung habe sich “in der Praxis bewährt“.
2. Die (zumindest) Nützlichkeit der Beachtung verfassungsgerichtlicher
Verfassungsauslegung bei Gesetzesvorhaben
In der Plenarentscheidung BVerfGE 2, 79 (86 f.) hat das Bundesverfassungsgericht davon gesprochen, dass
im Verfahren der Normenkontrolle der Feststellung über die Gültigkeit oder Ungültigkeit eines Gesetzes “eine
rechtssatzähnliche Kraft beigelegt“ wird.
a) Identität von verfassungsmäßiger Ordnung (Art. 20 Abs. 3 GG) und einschlägiger
Rechtsprechung des Verfassungsgerichts?
Es ist zwar keineswegs sicher, ob das vor allem in Art. 93 GG sowie Art. 100 GG zum Ausdruck kommende
“Monopol“ der verbindlichen Verfassungsauslegung (BVerfGE 19, 377 [392]; vgl. auch BVerfGE 138, 64 [90
f.] “alleinige Normverwerfungskompetenz“) durch das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus dazu führt,
dass die in Art. 20 Abs. 3 GG bestimmte Bindung - nicht nur, wie mit Gewissheit anzunehmen ist, faktisch
, sondern zwingend verfassungsrechtlich - sich erstreckt auf die “verfassungsmäßige Ordnung in der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht“ (nachfolgend A.III.1.c)bb) (vgl. S. 35) , A.III.4.b)cc) (vgl. S. 60)
und E.I.3.b)bb) (vgl. S. 370) ), aber - vorbehaltlich einer Absicht des Verfassungsorgans Gesetzgeber (vgl.
BVerfGE 97, 117 [122] “Autorität des konstitutionellen Gesetzgebers“), welcher aber gleichwohl durch sein
“Handeln“ die Verfassung verletzen kann (BVerfGE 6, 257 [264]), einen Konflikt mit dem Verfassungsorgan
Bundesverfassungsgericht zu suchen - ist es für den Gesetzgeber immer zumindest nützlich , vorhandene
Verfassungsauslegung in der Rechtsprechung zu sichten und darauf zu untersuchen, ob sie einem Gesetzesvorhaben (teilweise oder zur Gänze) “im Wege steht“, bzw. zu ermitteln, wie das Vorhaben - womöglich
auch in Anlehnung an überzeugende abweichende Meinungen (wie etwa BVerfGE 93, 121 [149 ff.]) - in einen
Einklang mit der Verfassung gebracht werden kann.
b) Bundesverfassungsgericht und (verfassungsändernder) Gesetzgeber
Diese “Nützlichkeitserwägungen“ (das “Auf der sicheren Seite-Stehen“) können sogar den verfassungsändernden Gesetzgeber welcher (vorbehaltlich Art. 79 Abs. 3 GG; hierzu im Einzelnen nachfolgend D.I.)
das Bundesverfassungsgericht regelmäßig durch neues Verfassungsrecht “übertrumpfen“ kann, betreffen, wie
unmittelbar nachfolgend zu zeigen ist.
aa) “Bindung“ des Bundesverfassungsgerichts durch den verfassungsändernden Gesetzgeber
Hierdurch darf allerdings nicht der Regelfall aus dem Blick verloren werden, dass der verfassungsändernde
Gesetzgeber (sogar) auch in der Gestaltung und Veränderung von Grundrechten - vorbehaltlich Art. 79
Abs. 3 GG i.V.m. Art. 1 GG bzw. Art. 19 Abs. 2 GG - rechtlich (vergleichsweise) frei ist und (auch) dem
Bundesverfassungsgericht den Maßstab vorgibt (BVerfGE 94, 49 [102 ff.]).
bb) (Misslungene) Verfassungsänderungen und (misslungene) Nachzeichnungsversuche durch den einfachen Gesetzgeber (Beispielfall “Europäischer Haftbefehl“)
Oft bleibt auch (sogar) dem verfassungsändernden Gesetzgeber nichts anderes übrig, als sich an Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu orientieren, die vor der beabsichtigten Verfassungsänderung
ergangen ist; unterlässt er dies, so kann die Folge sein, dass schon die Veränderung “misslingt“, und dann ist
die nahezu zwangsläufige Folge meist, dass der einfache Gesetzgeber ein ungenügendes Gesetz erzeugt, wie
Brunn - Kapitel A.I.2.
Seite 4
sich am Fall BVerfGE 113, 273 (Umsetzungsgesetz zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl; vgl. insoweit auch BVerfGE 140, 137: gegen die Menschenwürde verstoßende Auslieferung nach Italien)
nachvollziehen lässt:
Über ein halbes Jahrhundert hinweg hatte, was das Thema Auslieferung von Deutschen angeht, Art. 16 Abs.
2 Satz 1 GG, wonach kein Deutscher an das Ausland ausgeliefert werden darf, die Praxis gesteuert. Man
wird dieses Recht in seiner ursprünglichen Form als ein vorbehaltloses Deutschen-Grundrecht qualifizieren
dürfen, auch wenn das Bundesverfassungsgericht - soweit ersichtlich - sich nicht so geäußert hat.
(1) Die bereits bei der Verfassungsänderung (2000) sich aufdrängenden Fragen
Seit dem Jahr 2000 sieht Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG vor, dass durch Gesetz abweichende Regelungen für
Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof
getroffen werden können, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.
Bekanntlich ist der erste Versuch des einfachen Gesetzgebers misslungen, die sich aufdrängenden Fragen zu
beantworten, ob
• ein (überwiegender) Auslandsbezug der vorgeworfenen Tat, die die Auslieferung rechtfertigen soll, zur
Voraussetzung zu erheben ist,
• die Auslieferung (ausnahmslos) nur zulässig ist, wenn die vorgeworfene Tat, ihre Erwiesenheit unterstellt, auch eine Verurteilung in der Bundesrepublik Deutschland ermöglichen würde (oder ob umgekehrt eine Auslieferung nur möglich ist, wenn die Bundesrepublik Deutschland an der Durchführung
eines eigenen Strafverfahrens wegen der vorgeworfenen Tat gehindert wäre),
• durch Behörden und/oder Gerichte geprüft werden kann/soll/ muss, ob der Tatverdacht nach den
Auslieferungsunterlagen (nur) schlüssig oder (wenigstens) erheblich ist und schließlich
• durch Behörden und/oder Gerichte überprüft werden kann/soll/muss, ob das im ersuchenden Staat
anzuwendende Verfahrens- und materielle Strafrecht abstrakt und/oder konkret nur den traditionellen
Mindeststandard für gewöhnliche Auslieferungen erreicht oder in einer Weise übersteigt, dass er im
Wesentlichen dem Grundrechtsschutz entspricht.
Mit größter Sicherheit hätte der Bundesgesetzgeber diese Fragen besser beantworten können, wenn bereits
der verfassungsändernde Gesetzgeber sie ausdrücklich oder zumindest deutlich entnehmbar beantwortet hätte; indessen erschöpfen sich die Materialien zur Verfassungsänderung in den Aussagen, dass Art. 16 Abs.
2 Satz 2 GG dem rechtsstaatlichen Standard in den Staaten der Europäischen Union Rechnung trage und
auch die Überstellung Deutscher an einen internationalen Gerichtshof nur zulässig sei, “wenn die Sicherung
rechtsstaatlicher Gebote und insbesondere ein im Wesentlichen vergleichbarer Grundrechtsschutz gewährleistet sind“.
(2) Beachtlichkeit tradierter Rechtsprechung
Hätte der verfassungsändernde Gesetzgeber die vor der Verfassungsänderung ergangene Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 4, 299 [304 ff.], BVerfGE 8, 81 [84 ff.], BVerfGE 10, 136 [139 f.]
sowie BVerfGE 29, 183 [188 ff.]) berücksichtigt, so hätte er zumindest seiner Begründung die folgenden
maßgeblichen Aussagen zugrunde legen können:
(2a) Zweck des Auslieferungsverbots
Das Auslieferungsverbot Deutscher beruht “seinem Grundgedanken nach“ auf dem Recht jedes Staatsbürgers,
sich in seinem Heimatland aufhalten zu dürfen, und auf der Verpflichtung dieses Staates, seine im Staatsgebiet
lebenden Bürger in jeder Weise zu schützen. Dazu gehört insbesondere, dass er sie davor bewahrt, zwangsweise
in fremde Hoheitsgewalt verbracht und dort vor Gericht gestellt zu werden, und insbesondere soll er - soweit
er im Staatsgebiet lebt - “vor den Unsicherheiten einer Aburteilung unter einem ihm fremden Rechtssystem
und in für ihn schwer durchschaubaren fremden Verhältnissen“ bewahrt werden.
(2b) Staatliches Interesse an internationaler Zusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung
Demgegenüber beruht das Bedürfnis nach einer Auslieferung zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung auf
der Notwendigkeit einer internationalen Zusammenarbeit der Staaten bei der Bekämpfung des Verbrechens,
Brunn - Kapitel A.I.3.
Seite 5
die den einzelnen Staaten Anlass geben muss, im Ausland begangene Verbrechen entweder selbst zu verfolgen
oder den Täter zur Strafverfolgung an die Gerichte des Tatortes auszuliefern.
Diesem Bedürfnis darf im Hinblick auf die Auslieferung Deutscher nur dann genügt werden, wenn sie
wirksam davor geschützt sind, an Gerichte überstellt zu werden, die zur Wahrung der rechtsstaatlichen
Grundsätze des Grundgesetzes nicht verpflichtet sind und deren Entscheidungen der Nachprüfung durch
die Verfassungsgerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht unterliegen.
Womöglich war - vor diesem “gesicherten“ Hintergrund - von den vorbezeichneten Fragen sowohl vom verfassungsändernden als auch vom einfachen Gesetzgeber lediglich noch die Frage zu beantworten, wie es sich
mit Taten verhält, deren Folgen im Ausland eingetreten sind (Erfolgsort i.S.v. § 9 StGB), aber vom Inland
aus durch Deutsche ausgelöst worden sind:
(2c) Grenze des Auslieferungsverbots (“gerechte“ Bestrafung im Ausland)
Denn das Auslieferungsverbot gibt nichts her für einen Anspruch der Bundesrepublik Deutschland, für
Straftaten Deutscher im Ausland ausschließlich die deutsche Staatsgewalt auszuüben, und das Verbot der
Auslieferung Deutscher hat auch nicht den Zweck, sie einer gerechten Bestrafung im Ausland zu entziehen
(BVerfGE 29, 183 [193]).
cc)
ze)
“Gelungene“ Verfassungsänderung (und einigermaßen gelungene verfassungsausfüllende Geset-
“Vorbildlicher“ hat sich der verfassungsändernde Gesetzgeber nach den Gründen der Entscheidung BVerfGE
109, 279 (309 ff.) hingegen bei der Einführung des Art. 13 Abs. 3 GG (akustische Wohnraumüberwachung)
verhalten, indem er nicht nur ein - weil Art. 79 Abs. 3 GG (Menschenwürde) nicht verletzendes - verfassungsentsprechendes grundrechtseinschränkendes Gesetz erlassen hat (was überwiegend auf die Beachtung
vorliegender Rechtsprechung zurückzuführen ist), sondern auch zugleich darin dem einfachen Gesetzgeber
präzise Vorgaben gemacht hat, und dementsprechend der einfache Gesetzgeber “nur“ zum Teil das Ziel
verfehlt hat, verfassungsgemäße grundrechtsausfüllende bzw. grundrechtsbeschränkende Bestimmungen zu
erlassen.
In diesem Zusammenhang hat es sich (erneut) erwiesen, wie entscheidend es bisweilen sein kann, dass das
grundrechtsändernde Gesetz sorgfältig begründet wird, sei es in den Materialien, sei es im Parlament (a.a.O.
[315 f.]).
3. Gefahren und Hauptschwierigkeiten des Vorhabens
Der naive Kompilator glaubte, mit ca. 200 Seiten auszukommen, weil er vor allem die Fülle der verfassungsrechtlichen Probleme und der hierzu ergangenen Rechtsprechung weit unterschätzte.
a) Gefahren
Die Gefahren einer solchen Zusammenstellung liegen deshalb zum einen darin, dass - angesichts von
inzwischen Tausenden von Senatsentscheidungen in über 60 Jahren - keine Vollständigkeit möglich ist, und
zum anderen darin, dass der Zusammenstellende (“Kompilator“) etwas völlig übersehen bzw. missverstanden
hat oder sich ungenau bzw. missverständlich ausdrückt; es kann daher nur geraten werden, die angegebenen
Fundstellen kritisch selbst zu lesen und die Kompilation auf “Lücken“ zu überprüfen.
Damit hängt zusammen die Warnung vor “Fehlzitaten“, die der größte Feind eines Kompilators sind; ich bin
mir zwar ziemlich sicher, dass die Aussagen des Verfassungsgerichts (“als solche“) einigermaßen zuverlässig
zusammengetragen sind, aber bei vielfältigen Korrekturen, Umstellungen und Neudiktaten können durch
“Zahlendreher“ Fehlzitate auftreten, die ich (zum einen) zu entschuldigen und (zum anderen) mir anzuzeigen
bitte.
Brunn - Kapitel A.I.4.
Seite 6
b) Schwierigkeiten (Fortentwicklung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die
Rechtsmaterien)
[1] Die Hauptschwierigkeit einer solchen Zusammenstellung liegt darin begründet, dass sich für die einzelnen Hauptmaterien (Zivil-, Straf- und öffentliches Recht, insbesondere Sozial- und Steuerrecht) durch die
verfassungsgerichtliche Rechtsprechung unterschiedlich viele verschiedene (allerdings teils miteinander verschränkte), für den Gesetzgeber gleich- oder nachrangig zu beachtende verfassungsrechtliche Prüfmaßstäbe
ergeben haben (nachfolgend aa) und bb)).
[2] Hinzu kommt überdies, dass das Bundesverfassungsgericht in jüngerer Zeit (wohl in der Tendenz anders
als in den ersten Jahren und Jahrzehnten seiner Tätigkeit) dazu übergegangen ist, seine Entscheidungsgründe
länger und ausführlicher (mit einer Fülle von Eigen- und Fremdzitaten) zu fassen und bisweilen auch auf
sog. “obiter dicta“ zu erstrecken. Dies erschwert (für Gesetzgeber, Rechtsanwender, Kommentatoren und
Kompilatoren) die unbedingt notwendige Erkenntnis dessen, welche die tragenden Entscheidungsgründe
sind (und welche nicht); oft sind sie (nicht nur im sog. “Maßstabsteil“, sondern) auch in der sog. “Subsumtion“
(der Anwendung der entwickelten Maßstäbe auf den konkreten Fall) enthalten (und können deswegen leicht
übersehen werden); man könnte davon sprechen, dass das Verfassungsgericht das für den Gesetzgeber geltende
Gebot der Einfachheit von Gesetzen (BVerfGE 99, 280 [290]) selbst - im Hinblick auf seine (tragenden)
Entscheidungsgründe - bisweilen nicht beherzigt.
Damit soll hier aber nur verdeutlicht werden, dass das Kompilieren schwieriger geworden ist, weshalb
Fehlgriffe des Kompilators noch wahrscheinlicher geworden sind.
aa) Zivil- und öffentliches Recht
Während für das Zivilrecht regelmäßig “nur“ die Kompetenznorm, (selten die Menschenwürde,) einzelne
Grundrechte (insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG, der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG und Art. 6 GG), Art.
103 Abs. 1 GG sowie die Regeln des “Justizgewährungsanspruchs“ zu beachten sind, kennt das öffentliche
Recht darüber hinaus “eigene“ Maßstäbe (wie vor allem Art. 19 Abs. 4 GG, mannigfaltige Ausprägungen
des Rechtsstaatsprinzips sowie - für das Sozialrecht - den Sozialstaatsgrundsatz u.U. in Verbindung mit der
Menschenwürde und - vor allem für das Steuerrecht - spezifische Regeln des Rückwirkungsverbots bzw. der
Vertrauenstatbestände sowie des Gleichheitsgrundsatzes).
Einen “Höhepunkt“ an Schwierigkeiten (für Gesetzgeber, Rechtsanwender und Kommentatoren/Kompilatoren)
stellt die aus dem Jahre 2016 stammende Entscheidung BVerfGE 141, 220 dar, betreffend vor allem heimliche
Überwachungsmaßnahmen (zum Zweck vor allem der Straftatenverhütung und -verfolgung), welche tief in
der Privatsphäre (bis hinein in den Menschenwürdekern) eingreifen.
Sie unternimmt es, die bisherigen Erkenntnisse zu “bündeln“, welche vom Bundesverfassungsgericht vor allem
im Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG (Persönlichkeitsrecht und Datenschutz), Art. 10
GG (Telekommunikationsüberwachung) und Art. 13 GG (Wohnraumüberwachung) gewonnen worden sind;
auffällig ist dabei auch die Betonung des Rechtsstaatsprinzips (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im engeren
Sinne) und des Art. 19 Abs. 4 GG (effektiver - sowohl vorheriger als auch insbesondere nachfolgender Rechtsschutz), was für die Gesetzgeber eine Fülle von (schwierig zu bewältigenden) Gesetzgebungsaufgaben
hervorruft, welche nicht mit dem Argument “abgetan“ werden dürfen, “Karlsruhe“ habe es doch so nicht
meinen können.
bb) Straf- und Strafverfahrensrecht
Nahezu unübersehbar haben sich die verfassungsrechtlichen Maßstäbe im Straf- und Strafverfahrensrecht
fortentwickelt. Über bisher genannte zwingende Prüfungsmaßstäbe (insbesondere die Menschenwürde und
Art. 2 Abs. 1 GG) hinaus wurden durch die Rechtsprechung vor allem in den letzten Jahren die Bezüge zur
Menschenrechtskonvention (EMRK und deren Auslegung durch den EGMR) hergestellt bzw. präzisiert und
Art. 103 (Abs. 2 und Abs. 3) GG sowie Art. 104 GG (i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG) deutlicher konkretisiert;
schließlich hat sich für das Strafverfahren ein schwer zu überblickender Komplex des fairen, rechtsstaatlichen
Strafverfahrens entwickelt (manche einschlägige Entscheidung liest sich geradezu wie ein Handbuch des
verfassungsrechtlichen Straf- und Strafverfahrensrechts), was keineswegs zu kritisieren ist, aber dazu führt,
dass in der Darstellung hier Redundanzen nahezu unvermeidlich sind.
Brunn - Kapitel A.II.0.
Seite 7
4. Dank für die Grundlagen der Darstellung (BVerfGE 1 bis BVerfGE 141)
Dank ist zunächst denjenigen (bereits verstorbenen und noch lebenden) Mitarbeitern des Bundesverfassungsgerichts geschuldet, welche für die Registerbände der (hier nahezu ausschließlich verwerteten) Bände 1
bis 141 der amtlichen Entscheidungssammlung BVerfGE verantwortlich waren; ohne sie und die Sammlung
“Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ (NBVerfG) wäre der Versuch von
vornherein zum Scheitern verurteilt, aus dem riesigen “Ozean“ an bedeutenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und deren entscheidungstragenden Aussagen die geeigneten auszuwählen, die über Art.
94 Abs. 1 GG zumindest “Gesetzeskraft“ haben.
Dank gilt auch den Mitarbeitern der Bibliothek des Bundesministeriums der Justiz und Frau MinR Schade
für deren Unterstützung meines Vorhabens.
Ein ganz besonderer Dank gebührt dem Richterkollegen Jochen Gielau ([email protected]), der es unternommen
hat, mein Manuskript in die Form zu bringen, die es ermöglicht, es in das Internet zu “stellen“; sollte ein
Verlag (trotz des Gesamtumfangs von ca. 800 Seiten) an einer Veröffentlichung in Buchform interessiert sein,
könnte das ursprüngliche Manuskript (ergänzt um Randnummern und ein Stichwortverzeichnis) auch hierfür
ohne Probleme “wiederverwendet“ werden.
Ohne Frau Brigitte Ganze (brigitte [email protected]), Berlin, und ihre Sorgfalt und Geduld beim Schreiben
und Korrigieren meiner Diktate hätte ich längst aufgegeben; ein ganz herzlicher Dank gebührt ihr.
Gewidmet ist die Zusammenstellung Kurt Tucholsky, Georg Elser und Edward Snowden.
In memoriam Julius Brunn (1911-1975) und Janusz Brunn (1986-2007).
II. Aufgaben sowie Grundlagen und taugliche Mittel der Gesetzgebung bei der
Erzeugung neuen Bundesrechts (Einführung in allgemeine sowie
verfassungsbedingte Gesetzgebungsregeln)
1.
Die vom Bundestag wahrzunehmenden
Gesetze) . . . . . . . . . . .
a) Zweck der Gesetzgebung . . .
b) Parlament als Aufgabenträger .
Aufgaben
. . . .
. . . .
. . . .
der Gesetzgebung
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
(Schaffung
. . . .
. . . .
. . . .
aa) Geschäftsordnung als Ausdruck der Geschäftsordnungsautonomie
c)
9
10
10
. . . . . . . .
10
bb) Normsetzung durch den Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
(1) Demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
(2) Regierungsvorlagen als heutige Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
(3) Außerhalb der Normsetzung angesiedelte Parlamentsvorbehalte . . . . . . .
Missbrauch der sowie Verpflichtung zur Gesetzgebung als Ausnahmen . . . . .
11
11
aa) “Missbräuchliche“ Gesetzgebung
2.
“wirksamer“
. . . .
. . . .
. . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
(1) “Umsetzung“ der Geschäftsordnung durch Gesetz . . . . . . . . . . . . . . .
12
(2) “Verdrängung“ der Exekutive aus ihren typischen Verantwortungsbereichen
durch Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
bb) Konkreter Verfassungsauftrag sowie Auswirkungen tatsächlicher Veränderungen
auf gesetzgeberische Pflichten (Schutzpflichten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
cc) Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts als “Verfassungsaufträge“ . . . .
Rechtsetzung (Erzeugung und/oder Veränderung des Rechts) vermittels an Sachverhalten
anknüpfenden Rechtsfolgen-Bewirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Mittel der (an Sachverhalten anknüpfenden) Rechtsfolgen-Bewirkungen . . . . .
b) Statische und dynamische Verweisungen . . . . . . . . . . . . . . . .
12
12
13
13
aa) Verweisungsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
bb) Regelfall der statischen Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
cc) Dynamische Verweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
Brunn - Kapitel A.II.0.
c)
3.
Seite 8
Beispiele außergewöhnlicher Rechtsfolgen-Bewirkungen . . . . . . . . . . .
14
aa) Art. 134 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
bb) Art. 16 a GG (Verfassungs- und einfach-rechtliche Feststellungen in tatsächlicher
und rechtlicher Hinsicht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
cc) Ungewöhnliche Verweisungen in der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tatsachen- und Rechtsfragen bei der Zuordnung von Normen sowie deren Rechtsfolgenbewirkungen auf die Zeit- und Sachebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Die tatsächlichen Grundlagen der neuen Regelung . . . . . . . . . . . . .
16
16
aa) Verpflichtung zur Ausschöpfung aller zugänglichen (und “verlässlichen“) tatsächlichen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
bb) Die - zu ermittelnden und zu begründenden - tatsächlichen Grundlagen von
Prognose-Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
(1) Befugnisse des Gesetzgebers und Einschätzungsprärogative (“Prognosespielraum“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
(1a)
Differenzierte (Prognose-)Maßstäbe je nach dem Gewicht der
Schutzgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Ausreichende und unzureichende Begründungen . . . . . . . . . .
17
(2) Strenge Überprüfung der tatsächlichen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . .
17
(3) Beobachtungspflicht des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
(1b)
cc) Normative Bewältigung von in der Praxis auftretenden typischen und atypischen
Tatsachenermittlungs-Problemen in Vergangenheit und Gegenwart . . . . . . . .
18
(2) Gesetzliche Vorgaben für die Bewältigung tatsächlicher Ungewissheiten . . .
18
(3) Beispiele für sinnvolle (hilfreiche) Regelungen von vergangenheitsbezogenen
tatsächlichen Ungewissheiten (insbesondere: Darlegungs- und Beweislasten) .
18
dd) (Normative) Bewältigung von Tatsachenfragen auf der Zukunftsebene in der
Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
(1) Normierung von behördlichen und gerichtlichen Prognoseentscheidungen sowie
deren Korrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
(1b)
Prognosegrundlage, Prognoseerwartung und entsprechende Kausalverknüpfungen als Kennzeichen einer Prognoseentscheidung . . . .
19
Hauptanwendungsfelder für schwierige Prognoseentscheidungen
(und deren spätere “Korrektur“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
(2) Maßstäbe für die Gesetzesanwendung durch die Praxis . . . . . . . . . . . .
Rechtliche Probleme bei der normativen Rechtsfolgenbewirkung (insbesondere auf der
Ebene der Vergangenheit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
20
bb) Die notwendige Unterscheidung zwischen wirklicher und nur scheinbarer “(Noch)Nicht-Regelung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(2) Gefahren einer nur scheinbaren Nicht-Regelung
d)
20
aa) Die notwendige Unterscheidung zwischen “abgewickelten“ und noch offenen Verhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) “Wirkliche“ Nicht-Regelung
c)
18
(1) Hauptfälle schwieriger Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1a)
b)
15
. . . . . . . . . . . . . . . .
(3) Die “Überregelung“ durch unzulässige Normenwahl . . . . . . .
Pflicht zur Vermeidung paralleler Rechtsregime ohne zwingenden Grund
Einfügung von neuen Regelungen in bestehende Kodifikationen) . . . .
Begründungspflichten im Recht (Funktionen von Begründungen) . . .
. . . . .
(Pflicht
. . .
. . .
aa) “Selbstvergewisserung“ des Entscheiders als Funktion einer Begründung
. .
zur
.
.
. . . .
21
21
21
21
22
22
Brunn - Kapitel A.II.1.
e)
Seite 9
(1) Der Einfluss “tragfähiger“ Begründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
(2) Unzulässige “nicht nachvollziehbare“ Schätzungen . . . . . . . . . . . . . . .
22
bb) Überprüfungsmöglichkeit einer Entscheidung als Begründungsfolge
. . . . . . .
22
(1) Insbesondere: Begründungspflichten bei Anspruchsversagungen
. . . . . . .
23
(2) Der Einfluss gelungener Begründungen auf gerichtliche Entscheidungen . . .
Der gesetzgeberische Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum . . . . . . . .
23
23
aa) Regelfälle von Spielräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
(1) Neuregelungen von komplexen Sachverhalten bzw. von umfassenden Materien
23
(2) Typisierungen und Grundrechtsausgleich namentlich im Zivilrecht . . . . . .
23
bb) Verfassungsrechtliche Bindungen insbesondere im Grundrechtsbereich . . . . . .
24
cc) Insbesondere: Enger Spielraum in den Zusammenhängen des Art. 3 GG
24
. . . .
dd) Spielräume des Gesetzgebers und spätere Korrekturmöglichkeiten und verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) Veränderte (tatsächliche) Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
(2) Ungenügende Schutzpflicht-Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ausblick: “Maßstäbe - bzw. Grundsätze - Gesetze“ . . . . . . . . . . . .
24
25
aa) Vorzüge aus Sicht des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
bb) Vorzüge aus Sicht der Rechtsanwender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das “gelungene“ (reibungslos angewendete) Gesetz als Ideal . . . . . . . . . . .
25
25
f)
4.
24
Ausgangsthesen:
Gesetzgebung schafft (sollte schaffen) die Voraussetzungen dafür, dass für jeden beliebigen Sachverhalt (Tatbestand) - sowohl auf der Zeit - als auch auf der Sachebene - herausfindbar ist, (ob er überhaupt und ggf.)
von welchem “Rechtsregime“ er tatbestandlich erfasst wird mit der Folge, dass von den Rechtsunterworfenen
bzw. Rechtsanwendern (mehr oder weniger eindeutig) bestimmbar ist, welche Rechtsfolgen entweder zwingend (ius cogens; BVerfGE 112, 1 [27 f.] für Art. 25 GG) oder abdingbar (ius dispositivum) eingetreten oder
zu bewirken sind.
In scharfem Gegensatz zu der in der NS-Zeit üblichen Form des Regierungsgesetzes (“Der Führer schafft
das Recht“) ist - erstens - die Aufgabe der Gesetzgebung dem Bundestag vorbehalten und dienen - zweitens
- die geschaffenen Gesetze nicht der “bloßen“ Machtausübung (auch durch Private), sondern vor allem der
Befriedung (“Rechtsfrieden“).
Wenn die Gesetzgebung klare und befriedende (vgl. vor allem das rechtsstaatliche Gebot des Rechtsfriedens B.III.1. (vgl. S. 93) - sowie die Friedlichkeitsvorbehalte in Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 2 GG; vgl. auch
BVerfGE 1, 351 [359] zur Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit: Entwicklung des Verfassungsrechts und
Sicherung des Rechtsfriedens für die Zukunft) Normen mit bestimmten (oder bestimmbaren) Rechtsfolgen
für jeden (zunächst nur möglicherweise rechtsrelevanten) Sachverhalt(sausschnitt) erzeugen soll, so bildet
das Grundgesetz mit seiner Friedensordnung (selbstverständlich nicht vorrangig oder gar ausschließlich)
seit seinem Inkrafttreten (wohl mit Ablauf des 23. Mai 1949; BVerfGE 2, 237 [258] sowie BVerfGE 4, 331
[339]) einen - teils sehr präzisen (nachstehend C.II.), teils auslegungsbedürftigen (nachstehend A.III.2. (vgl.
S. 36) ) - Rahmen für diese Gesetzgebung mit der Folge, dass es ohne dessen zutreffendes Verständnis
fast nicht ausbleiben kann, dass ein Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht (als verfassungswidrig und
damit oft nichtig) scheitert oder von den Rechtsunterworfenen unzutreffend interpretiert werden kann (mit
der Folge, dass Sachverhalte mit unzutreffenden Rechtsfolgen versehen werden).
1. Die vom Bundestag wahrzunehmenden Aufgaben der Gesetzgebung (Schaffung
“wirksamer“ Gesetze)
“Der Gesetzgeber (schuldet) von Verfassungs wegen grundsätzlich nur ein wirksames Gesetz“ (BVerfGE 130,
263 [301]). So einleuchtend diese Aussage auch erscheinen mag, so schwer fällt es zu bestimmen, was diese
“geschuldete“ Wirksamkeit eines Gesetzes ausmacht.
Brunn - Kapitel A.II.1.
Seite 10
[1] Man wird insofern grob differenzieren dürfen zwischen - einerseits - “einfach-rechtlichen“ Wirksamkeitskriterien, die meist auch ohne Berücksichtigung des Verfassungsrechts gelten (und “schon immer“ gegolten
haben), und - andererseits - verfassungsrechtlichen Vorgaben, wobei man letztere unterteilen kann in - erstens - formelle Anforderungen (BVerfGE 125, 260 [313] einerseits), wie die Einhaltung der Regeln der Art.
76 ff. GG über den Gang eines Gesetzgebungsverfahrens sowie der Art. 70 ff. GG über die Kompetenzen des
Gesetzgebers (nachfolgend C.), und - zweitens - materielle Maßstäbe (a.a.O. [316] andererseits), denen ein
Gesetz genügen muss, um vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen zu können (nachfolgend D. E. und
F.).
Wie sich aber bereits bei näherer Betrachtung der “einfachen“ Gesetzgebungsregeln (nachfolgend 3. bis
4.) über beispielsweise die tatsächlichen Grundlagen der Gesetzgebung, der zu beachtenden Sach- und
Zeitebenen für Gesetzgebung und die Beurteilungs- und Entscheidungsspielräume des Gesetzgebers ergibt,
überschneiden und überlagern sich die Maßstäbe oft und letztlich kaum unterscheidbar.
[2] Eines der wichtigsten Verfassungsgebote im vorliegenden Zusammenhang dürfte deswegen oft missachtet
worden sein, weil es kaum in das Bewusstsein der Gesetzgeber und Rechtsanwender gelangt ist: Gebot der
Einfachheit einer Norm, welches aus dem Rechtsstaatsgebot in der Form der Rechtssicherheit (nachfolgend
B.III.2.b)cc) (vgl. S. 95) ) abgeleitet worden ist (BVerfGE 99, 280 [290] freilich im Zusammenhang mit
zulässigen Typisierungen).
a) Zweck der Gesetzgebung
Parlamentarische Gesetzgebung soll im Rahmen der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung die
grundlegenden und grundsätzlichen Entscheidungen des Lebens des Gemeinwesens regeln (BVerfGE 45,
297 [331 f.]; grundlegend: BVerfGE 33, 125 [158 f.]; vgl. demgegenüber BVerfGE 1, 351 [359] sowie BVerfGE
6, 55 [72] zur Aufgabe der Verfassungsrechtsprechung : Erschließung der verschiedenen Funktionen einer
Verfassungsnorm; Entfaltung der juristischen Wirkungskraft; vgl. auch BVerfGE 6, 222 [240] “Fortbildung
des Verfassungsrechts“).
Die Regelungskompetenz steht dem Bundestag zu:
b) Parlament als Aufgabenträger
Der Bundestag ist die Vertretung des Volkes, in der die Fragen der Staatsführung, insbesondere der Gesetzgebung, in Rede und Gegenrede der einzelnen Abgeordneten zu erörtern sind. Der Ausdruck “verhandeln“,
der in Art. 42 GG verwendet ist, um die Tätigkeit des Bundestages zu bezeichnen, hat diesen Sinn.
Dabei ist das Rederecht eng mit der Öffentlichkeitsfunktion des Parlaments verbunden. Öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion sind wesentliche Elemente der parlamentarischen Demokratie. Das im parlamentarischen Verfahren gewährleistete Maß
an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche eröffnet Möglichkeiten eines Ausgleichs
widerstreitender Interessen und verbindet das rechtstechnische Gesetzgebungsverfahren mit einer substantiellen, auf die Kraft des Arguments gegründeten Willensbildung, die es den Abgeordneten ermöglicht, die
Verantwortung für ihre Entscheidung zu übernehmen. Die Redefreiheit des Abgeordneten des Bundestages
ist daher eine unverzichtbare Voraussetzung für die Wahrnehmung der parlamentarischen Aufgaben, die den
Status als Abgeordneter wesentlich mitbestimmt.
aa) Geschäftsordnung als Ausdruck der Geschäftsordnungsautonomie
Die Aufstellung einer eigenen Geschäftsordnung ist für den Bundestag Ausdruck seiner in Art. 40 Abs. 1
Satz 2 GG verbürgten Geschäftsordnungsautonomie. Die Selbstorganisation des Bundestages ist zudem aus
Gründen der organisatorischen Effektivität notwendig, um der Komplexität der zu bewältigenden Aufgaben
gerecht werden zu können. Die Geschäftsordnung bestimmt die Bedingungen für die Wahrnehmung der
Rechte der Abgeordneten, die einander zugeordnet und aufeinander abgestimmt werden müssen, so dass
dem Parlament eine sachgerechte Erfüllung seiner Aufgaben - auch im Hinblick auf Repräsentationsfähigkeit
und Funktionstüchtigkeit - ermöglicht wird (BVerfGE 136, 277 [312 f.]).
Auch im Übrigen ist die Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens (etwa in Form von Anhörungen) Sache
des Gesetzgebungsorgans Bundestag (BVerfGE 139, 148 [177 f.] freilich für einen Landtag).
Brunn - Kapitel A.II.1.
Seite 11
bb) Normsetzung durch den Bundestag
Im System des Grundgesetzes fällt dem Parlament als Legislative die verfassungsrechtliche Aufgabe der
Normsetzung zu.
(1) Demokratische Legitimation
Nur das Parlament besitzt hierfür die demokratische Legitimation (BVerfGE 95, 1 [15 f.] sowie BVerfGE
139, 321 [362]; grundlegend: BVerfGE 34, 52 [59]. Deshalb trägt der Gesetzgeber, der - wie dargelegt (A.I.1.
(vgl. S. 2) ) - gemäß Art. 20 Abs. 3 (1. Alt) GG “an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden (ist)“,
darüber hinaus auch die politische Verantwortung für alle Folgen seiner gesetzgeberischen Entscheidungen
(BVerfGE 49, 89 [129 ff.]).
Daher macht auch die Tatsache, dass neben dem Parlament noch andere Organe am Gesetzgebungsverfahren
beteiligt sind, sie nicht zu Mitträgern der Gesetzgebung (BVerfGE 4, 144 [152]).
(2) Regierungsvorlagen als heutige Realität
In der Realität wird freilich das Parlament weitaus häufiger mit Regierungs- und Bundesratsvorlagen konfrontiert, als dass es selbst initiativ wird. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass das Parlament
über keinen ausreichenden eigenen “Gesetzesvorbereitungsapparat“ verfügt.
Wohl auch damit hängt zusammen, dass sich die Regierungsfraktionen oft ihre Vorlagen gewissermaßen durch
die Bundesministerien - und deren Helfer - “schreiben lassen“, was der Opposition nicht möglich ist, weil die
Ministerien den Oppositionsfraktionen nicht verpflichtet sind (und auch deshalb Oppositionsvorlagen so gut
wie nie zu einem Gesetz führen).
(3) Außerhalb der Normsetzung angesiedelte Parlamentsvorbehalte
Vom Bundesverfassungsgericht ist vornehmlich “aus dem Gesamtzusammenhang wehrverfassungsrechtlicher
Vorschriften“ ein allgemeines Prinzip abgeleitet worden, wonach jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte
der Zustimmung des Bundestages bedarf (BVerfGE 140, 160 [187]). Insoweit kann es hier mit folgenden
Leitsätzen - welche freilich nicht binden und bisweilen sogar den Gehalt eines Erkenntnisses ungenau bis
unzutreffend wiedergeben - sein Bewenden haben (BVerfGE 140, 160):
[1] Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist nicht auf Einsätze bewaffneter Streitkräfte innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit beschränkt, sondern gilt allgemein für bewaffnete
Einsätze deutscher Soldaten im Ausland und unabhängig davon, ob diese einen kriegerischen oder kriegsähnlichen Charakter haben.
[2] Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu beschließen. In diesem Fall muss sie das Parlament umgehend mit dem fortdauernden
Einsatz befassen und die Streitkräfte auf Verlangen des Bundestages zurückrufen.
[3] Die Voraussetzungen dieser Eilentscheidungsbefugnis der Bundesregierung sind verfassungsgerichtlich voll
überprüfbar.
[4] Ist ein von der Bundesregierung bei Gefahr im Verzug beschlossener Einsatz zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer nachträglichen Parlamentsbefassung bereits beendet und eine rechtserhebliche parlamentarische
Einflussnahme auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte deshalb nicht mehr möglich, verpflichtet der
wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt die Bundesregierung nicht, eine Entscheidung des Deutschen
Bundestages über den Einsatz herbeizuführen. Die Bundesregierung muss den Bundestag jedoch unverzüglich
und qualifiziert über den Einsatz unterrichten.
c) Missbrauch der sowie Verpflichtung zur Gesetzgebung als Ausnahmen
Während der Vorwurf der missbräuchlichen Gesetzgebung zu den ganz selten erhobenen (und bejahten) zu
rechnen ist, kommt der Vorwurf der verfassungswidrigen Unterlassung - zumindest seit der “Erfindung“ der
Schutzpflicht - häufiger vor.
Brunn - Kapitel A.II.2.
Seite 12
aa) “Missbräuchliche“ Gesetzgebung
Auf der einen Seite dürfte ein Missbrauch gesetzgeberischer Befugnisse selten sein, der darin bestehen kann,
dass die gesetzliche Regelung gänzlich überflüssig ist.
(1) “Umsetzung“ der Geschäftsordnung durch Gesetz
Ein solcher Missbrauch ließe sich nur dann feststellen, wenn sich für eine gesetzliche Regelung kein sachlicher
Grund finden ließe (BVerfGE 13, 230 [234 f.]), woran freilich im Falle BVerfGE 70, 324 - mit den Gründen
der abweichenden Meinungen BVerfGE 70, 324 [366, 376 ff.) sowie BVerfGE 70, 324 [380, 386 ff.) - zu denken
war.
(2) “Verdrängung“ der Exekutive aus ihren typischen Verantwortungsbereichen durch Gesetz
Der Vorwurf des Missbrauchs lässt sich womöglich auch erheben, wenn sich der Gesetzgeber die Wahrnehmung von Aufgaben (durch Gesetz) vorbehält, die nach dem Gewaltenteilungsgrundsatz der Verwaltung
vorbehalten sind, etwa indem sich ein Landesgesetzgeber die Prüfung von Verleihungsvoraussetzungen eines
verfassungsrechtlichen Anspruchs (etwa eines Körperschaftsstatus) zur Aufgabe setzt:
Die der Verleihung vorausliegende Prüfung kann nämlich regelmäßig nur entweder im bejahenden oder im
verneinenden Sinn erfolgen. Ein Entscheidungs- und Wertungsspielraum, der sich sonst regelmäßig aus der
allgemeinen politischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ableiten lässt, ist bei einer derart funktionalen
Verwaltungstätigkeit nicht gegeben. Es handelt sich insoweit nicht um eine gestaltende Tätigkeit, bei der der
Gesetzgeber zwischen möglichen Alternativen (bei der Konkretisierung eines Grundrechts) wählen könnte.
Bei einer solchen Prüfung der Verleihensvoraussetzungen handelt es sich mithin regelmäßig um eine hoheitliche Tätigkeit, die in den typischen Verantwortungsbereich der Exekutive fällt, und damit funktional
um Verwaltungshandeln. Mit dem formellen Gesetz, durch das der Körperschaftsstatus verliehen wird, wird
materiell ein Verwaltungsakt ersetzt (BVerfGE 139, 321 [367]).
bb) Konkreter Verfassungsauftrag sowie Auswirkungen tatsächlicher Veränderungen auf gesetzgeberische Pflichten (Schutzpflichten)
In Betracht zu ziehen ist auf der anderen Seite ein Verfassungsauftrag zur konkreten Gesetzgebung vor
allem im grundrechtsrelevanten Bereich (vgl. BVerfGE 53, 30 [57 f.]), insbesondere im Zusammenhang mit
grundrechtlichen Schutzpflichten (vgl. BVerfGE 88, 203 [309 ff.]; dort [310] auch zu einer Verletzung des
“Untermaßverbots“; vgl. noch nachfolgend C.I.2. (vgl. S. 114) ).
Ein ausdrücklicher Gesetzgebungsauftrag der Verfassung liegt vor, wenn Inhalt und Umfang der Pflicht
im Wesentlichen umgrenzt sind (BVerfGE 139, 321 [346]).
Weil eine - zunächst unbedenkliche - Norm (etwa des Wahlrechts) infolge einer Änderung der tatsächlichen
Verhältnisse verfassungswidrig werden kann, kann der Gesetzgeber zum Handeln verpflichtet sein, wenn
die gewandelte Sachlage für ihn hinreichend deutlich hervortritt (BVerfGE 88, 203 [309 ff.] sowie BVerfGE
95, 335 [405]; vgl. auch BVerfGE 131, 316 [372 f.] sowie BVerfGE 135, 259 [287 f.]).
cc) Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts als “Verfassungsaufträge“
Oft ergibt sich eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Tätigkeit aus Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu nichtigen oder mit der Verfassung unvereinbaren Bundesgesetzen (ausführlich nachfolgend
A.III.4. (vgl. S. 47) ).
2. Rechtsetzung (Erzeugung und/oder Veränderung des Rechts) vermittels an
Sachverhalten anknüpfenden Rechtsfolgen-Bewirkungen
Rechtsetzung allgemein kann entweder (völlig) neues Recht schaffen (Kapitel A.) oder bereits geschaffenes
Recht (ersatzlos) aufheben, ersetzen oder verändern (nachfolgend Kapitel B.).
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a) Mittel der (an Sachverhalten anknüpfenden) Rechtsfolgen-Bewirkungen
Für all diese Rechtsetzungs-Akte außer der reinen Aufhebung gilt, dass eine für den Rechtsverkehr und das
Rechtsleben maßgebliche (bloße “Programmsätze“ bleiben hier unerörtert) Rechtsetzung es - mit Hilfe von
generell-abstrakten, bisweilen auch mit Einzelfallgesetzen (insbesondere Planungsgesetzen, BVerfGE 95, 1)
- unternimmt (wobei zulässig auch zu den Mitteln der Tatsachen- und Rechtsvermutungen gegriffen werden
kann; BVerfGE 138, 136 [204] für sogar “unwiderlegliche Gefährdungsvermutung“),
• anknüpfend an vergangene, gegenwärtige oder zukünftige tatsächliche Gegebenheiten (Sachverhalte,
Tatbestandsmerkmale; BVerfGE 122, 210 [240 ff.] für typisierende bzw. generalisierende Tatbestände
im Steuerrecht)
• Rechtsfolgen (Rechts- bzw. Rechte- sowie Pflichtenbegründungen, -veränderungen und das Erlöschen
von Rechten und Pflichten) bzw. Rechtschancenbegründungen und -veränderungen (BVerfGE 137, 108
[153] für kontingentierte Zulassungen) entweder unmittelbar (kraft Gesetzes) oder mittelbar (über einen
umsetzenden Einzelakt) zu bewirken (BVerfGE 75, 108 [157] für die Auswahl der Sachverhalte, an die
der Gesetzgeber gleiche Rechtsfolgen anknüpft), die
• entweder (erst) nach dem Inkrafttreten des Gesetzes (mit Wirkung für die Zukunft, ex nunc) oder
(bereits) mit Wirkung auf den Zeitraum vor dem Inkrafttretens-Zeitpunkt (mit Wirkung für die
Vergangenheit, ex tunc) eintreten sollen (BT-Dr. 16/47, S. 34).
Dabei ist für das hiernach gesetzte Recht und die hierdurch ausgelösten “Rechtsfolgelagen“ zu unterscheiden
zwischen
• dem maßgeblichen (nämlich Rechtsfolgen anordnenden) materiellen Recht (zu dem insoweit auch das
Verfahrensrecht gehört),
• dem (nur) “maßstäblichen“ Gesetzesrecht (welches noch nicht unbedingt Rechtsfolgen enthalten muss,
sondern diese womöglich nur in tatbestandlicher Hinsicht vorbereitet, wie dies im Finanzausgleichsrecht
der Fall sein kann, wo oft erst das Finanzausgleichsgesetz die konkreten Folgerungen aus den Geboten
der Verfassung und eines “Maßstäbegesetzes“ bestimmt; BVerfGE 101, 158 [216 f.] “drei aufeinander
aufbauende Rechtserkenntnisquellen“) und
• dem (hier nur am Rande zu behandelnden) gesetzestechnischen Hilfsrecht (Änderungs-, Einfügungsund Aufhebungsbefehle etc., Inkraft- und Außerkrafttretensbestimmungen), hinsichtlich dessen Befehlen man bildlich von “Geburtshelfern“ oder “Totengräbern“ sprechen kann.
Was die Mittel solcher Rechtsfolgenbewirkungen angeht, so unterscheidet die Bundesrecht-Setzung zwischen
• (formeller und materieller) Gesetzgebung und Erlass von Rechtsverordnungen (C.III.1. (vgl. S. 123))
bzw. der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen sowie zwischen
• eigenständiger und in Bezug nehmender (verweisender; nachstehend b) sowie c)cc)) RechtsfolgenAnordnung, wobei bei letzterer - auch sogar hinsichtlich der Folgen einer verfassungsgerichtlichen
Aufhebung der Bezugsnorm (BVerfGE 28, 163 [172]; vgl. auch BVerfGE 139, 285 [299 ff.] für anderen Regelungszusammenhang einer Norm) infolge fehlender “Betroffenheit“ der Ausgangsnorm von
den verfassungswidrigen Merkmalen - unterschieden werden kann zwischen
• Rechtsgrundverweisungen ( alle tatbestandlichen Merkmale einer Bezugsnorm müssen vorliegen, damit
deren Rechtsfolgen auch in den von der Ausgangsnorm ins Auge gefassten Fällen eintreten; Beispiel: §
951 BGB, vgl. BGHZ 55, 176 [177]),
• (bloßen) Rechtsfolgenverweisungen (die Rechtsfolgen der Bezugsnorm sollen auch und gerade dann
eintreten, wenn deren Tatbestandsmerkmale nicht vorliegen; Beispiel: § 21 i.V.m. § 49 StGB) und
schließlich der
• vollständigen “Einverleibung“ einer anderen (Teil-) Rechtsordnung durch “in den gesetzgeberischen
Willen aufnehmenden“ Akt (BVerfGE 70, 126 [129 f.]; Beispiel: Die als Besatzungsrecht erlassene
Höfeordnung, die durch Gesetzgebungsakte Bundesrecht geworden ist).
b) Statische und dynamische Verweisungen
Der Bundesgesetzgeber ist befugt, im Wege der Verweisung (neuerdings BVerfGE 138, 64 [95] zu einer
“missglückten“ - verfassungskonformen - Auslegung einer Verweisungsnorm; dort [95] auch zu “generellen“
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Verweisungen, welche - im Gegensatz zu “partiellen“ Verweisungen - eine Ausnahme von den in Bezug
genommenen Normen regelmäßig ausschließen; dort [98 f.] auch zur Heranziehung von Gesetzesmaterialien)
auch auf fremdes, nicht von ihm formuliertes und in Kraft gesetztes Recht eines anderen Kompetenzbereichs
bzw. Gesetzgebers Bezug zu nehmen (vgl. auch vorstehend a) zu denkbaren verfassungsrechtlichen Folgen und
zu Rechtsgrund- und Rechtsfolgenverweisungen, und nachstehend c)cc) zu Verweisungen in der Verfassung).
aa) Verweisungsfolgen
Die Folge eines solchen Vorgehens ist regelmäßig, dass der Inhalt der fremden Norm im Anwendungsbereich
der bundesrechtlichen Verweisungsnorm zu Bundesrecht wird und als (partielles) Bundesrecht anzuwenden
ist (BVerfGE 47, 285 [310]; grundlegend: BVerfGE 26, 338 [368]).
Ohne dass dies ausdrücklich in der Entscheidung BVerfGE 139, 321 verlautbart worden wäre, ist ihr zu
entnehmen, dass eine Inbezugnahme einer nicht-verfassungsrechtlichen Norm durch die Verfassung (hier:
Art. 140 GG) zur Folge hat, dass diese in den “Verfassungsrang“ aufsteigt.
bb) Regelfall der statischen Verweisung
Verweist der Bundesgesetzgeber auf fremdes Recht, so kann es insbesondere unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten geboten sein, diese Bezugnahme als “statische Verweisung“ in dem Sinne auszulegen, dass lediglich
die bei Verabschiedung der Verweisungsnorm geltende Fassung des in Bezug genommenen Rechts in Geltung
gesetzt wird.
cc) Dynamische Verweisungen
Trotz gewichtiger Bedenken sind aber auch dynamische Verweisungen nicht schlechthin ausgeschlossen. Dynamische Verweisungen sind dadurch gekennzeichnet, dass das Bundesgesetz auf die fremde Vorschrift in
ihrem jeweiligen Bestand verweist (BVerfGE 47, 285 [311 ff.]; grundlegend: BVerfGE 26, 338 [365 ff.]).
c) Beispiele außergewöhnlicher Rechtsfolgen-Bewirkungen
Wenn der Grundgesetzgeber bzw. der verfassungsändernde Gesetzgeber “ungewöhnliche“ Wege beschritten
hat, dürfte der “einfache“ Gesetzgeber kein erhebliches Risiko eingehen, wenn er Ähnliches unternimmt.
aa) Art. 134 Abs. 1 GG
In Art. 134 Abs. 1 GG kann eine Vorschrift gesehen werden, die in dreifacher Hinsicht exemplarisch verdeutlicht, welche gewählten Formen von Normsetzung (zwar alltäglich sind, aber doch auch) auf eigentümliche
Weise Sachverhalte mit Rechtsfolgen versehen:
• Zum einen wirkt sie - ohne Umsetzungsnotwendigkeit - unmittelbar (“kraft Verfassungs-Gesetzes“)
auf die Sach- und Rechtsverhältnisse ein (BVerwGE 111, 188 [192]); das Wort “grundsätzlich“ bezieht
sich auf die - durch Gesetz i.S.v. Art. 134 Abs. 4 GG zu regelnden - Ausnahmen in Art. 134 Abs. 2
und Abs. 3 GG.
• Zum anderen regelt sie (bislang) “ungeregelte“ bzw. “nicht mehr (vollständig) geregelte“ Sachverhalte,
weil zwar bis zur Kapitulation im Jahre 1945 die entsprechenden Sach- und Rechtsverhältnisse eindeutig
geregelt waren , aber durch Besatzungsrecht manches obsolet geworden war, insbesondere die Folgen
der in der NS-Zeit erfolgten “Verreichlichung“ (zu Lasten der früheren Bundes-Staaten) zumindest
teilweise rückgängig gemacht werden sollten bzw. mussten.
• Schließlich zeigt sie (in der Form einer zulässigen Alternative, etwa einer konkreten - mit Blick auf
das Inkrafttreten des Grundgesetzes (1949) - künftigen Wirksamkeit [“... wird am 1.1.1955 ...“])
unproblematische und problematische Fälle von “prognostischen Regelungen“ (nachstehend 3.b)bb))
auf:
Treten nach dem Willen einer Norm Rechtsfolgen erst zukünftig (nach der Inkraftsetzung in Fällen
des unmittelbaren Eintritts der Rechtsfolgen bzw. nach einem normausführenden Akt) ein, so ist später eindeutig auszumachen, ob dann alle tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen, während bei
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der oft problematischen Variante der prognostischen Regelung die Rechtsfolgen (etwa Verpflichtungen
bzw. Vergünstigungen - wie in Art. 4 Abs. 3 GG oder Art. 16a GG - von Rechtsunterworfenen) bereits
unmittelbar nach (in Sonderfällen sogar vor ) dem Inkrafttreten der Norm eintreten (können),
während zu dieser Zeit tatsächliche Elemente der Normerfüllung (etwa der Eintritt von für wahrscheinlich gehaltenen Gefahren für bedrohte Rechtsgüter) schlechterdings nicht gewiss sein können
(“echte“ Prognoseentscheidungen) . Diesen notwendigen Ungewissheiten muss das Recht sachgerecht
Rechnung tragen.
bb) Art. 16 a GG (Verfassungs- und einfach-rechtliche Feststellungen in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht)
Mit Blick auf den Aspekt der Verknüpfung von - einerseits - tatsächlichen Erkenntnissen (in Vergangenheit
und Zukunft) und - andererseits - mit den angeordneten Rechtsfolgen noch außergewöhnlicher (freilich auch
kritikwürdiger) erscheint die im Jahre 1993 geschaffene Fassung des Art. 16 a GG mit seinen Absätzen 1
bis 5, wobei der außerordentlich “schöne“ und lapidare Absatz 1 demjenigen Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG
entspricht, welcher bereits in der Urfassung des Grundgesetzes enthalten war (im Einzelnen E.XVI.):
• Zum einen gewährt Art. 16 a Abs. 1 GG ( insoweit ähnlich Art. 4 Abs. 3 GG) einen unmittelbaren
verfassungsrechtlichen Anspruch (subjektives öffentliches Recht), an den Gesetzgeber, Verwaltungen
und Gerichte gebunden sind (BVerfGE 56, 216 [235]), auch wenn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur derjenige in den “Genuß des Asylrechts“ kommt, dem es - auf Antrag - in
einem rechtlich geregelten Prüfverfahren zuerkannt wird (BVerfGE 94, 166 [199 f.],
wobei er Ausländern vornehmlich im Ausland (Herkunftsstaat) angetane oder drohende Rechtsverletzungen - die an bestimmte (unverfügbare) Merkmale anknüpfen - zum Anlass für die Anspruchszuerkennung nimmt und
es dabei grundsätzlich nicht von entscheidender Bedeutung ist, ob die Verletzungen bereits vor der
Flucht erfolgt waren bzw. dort unmittelbar drohten (BVerfGE 83, 216 [230]) oder dort für die Zukunft
jedenfalls (ernsthaft) zu besorgen sind,
so dass der unverfolgt Ausgereiste (nach einer erzwungenen Rückkehr) erstmals verfolgt erneut flüchten müsste (BVerfGE 74, 51 [65] sowie BVerfGE 80, 315 [344]).
• Zum anderen ermächtigen die Vorschriften in Art. 16 a Abs. 2 bis 4 GG (über sichere Dritt- und
Herkunftsstaaten) den Gesetzgeber - vergleichbar den in Art. 80 GG vorgesehenen Ermächtigungen von
Rechtsverordnungsgebern durch den Gesetzgeber -, andere Staaten hinsichtlich ihrer Rechtsordnung,
Rechtspraxis und ihrer allgemeinen politischen Verhältnisse (verbindlich für Behörden und Gerichte)
zu bewerten (BVerfGE 94, 115 [133]),
wobei neben - kraft Verfassungs- bzw. Gesetzesrechts - verbindlichen “Sicherstellungen“ bestimmter
Verhältnisse (Abs. 2; BVerfGE 94, 49 [87 ff.])
auch gesetzliche Bestimmungen vorgesehen sind, welche - aufgrund eines “Gewährleistet-Erscheinens“
- zu einer (widerleglichen) gesetzlichen Vermutung führen (Abs. 3; BVerfGE 94, 115 [143 ff.]).
• Schließlich räumt Art. 16 a Abs. 5 GG von vornherein denkbare (tatsächliche und rechtliche) Bedenken aus, welche im Hinblick auf völkerrechtliche Verträge zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften und mit dritten Staaten vorzubringen sein könnten, welche zur Verteilung von
Flüchtlingen zukünftig abgeschlossen werden könnten (und auch zum Teil abgeschlossen worden sind;
BVerfGE 94, 49 [86]).
cc) Ungewöhnliche Verweisungen in der Verfassung
Die Verfassung selbst enthält Verweisungen (BVerfGE 138, 64 [95 ff.] für Verweisungen im Bundesrecht; vgl.
auch vorstehend a) sowie b)), die hinsichtlich ihrer Zulässigkeit bzw. ihrer Klar- und Bestimmtheit zunächst
Befremden auslösen:
• In Artikel 140 GG wird auf - jedenfalls als Verfassungsnormen nicht mehr aktuelle (BVerfGE 94, 12
[48] “einfaches Reichsgesetz ohne Verfassungsrang“) - Artikel der Weimarer Reichsverfassung von 1919
verwiesen (vgl. nachfolgend E.IV.1. (vgl. S. 493) zu den Folgen); wie jedoch bereits in der Entscheidung
BVerfGE 8, 274 (302 f.) erkannt worden ist; können Normsetzer regelmäßig unbedenklich sogar auf
bereits nicht mehr in Kraft befindliche andere Normen (anderer Normsetzer) verweisen.
Brunn - Kapitel A.II.3.
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• Auch in Artikel 44 Abs. 2 Satz 1 GG wird in Form einer dynamischen Verweisung (vorstehend b))
auf eine “unterverfassungsrechtliche“ Prozessordnung verwiesen, was diese in den Zusammenhängen
des Art. 44 GG (wohl) in den Verfassungsrang erhebt und Bestimmtheitsfragen aufwirft (nachfolgend
D.V.3.a)aa)(4) (vgl. S. 259) ).
3. Tatsachen- und Rechtsfragen bei der Zuordnung von Normen sowie deren
Rechtsfolgenbewirkungen auf die Zeit- und Sachebenen
Sieht man zunächst einmal davon ab, dass der Bundesgesetzgeber, gleichgültig, ob er eine eigene Vorlage
schaffen will oder sich mit einer Bundesrats- oder Regierungsvorlage zu beschäftigen hat, selbstverständlich
als Allererstes die Kompetenzfragen (nachfolgend C.) zu bedenken hat, so muss der zweite Blick darauf
gerichtet sein, den Gesetzgebungsbedarf sowie - bejahendenfalls - die denkbaren Mittel zur Deckung dieses
Bedarfs zu ermitteln.
Dabei stehen - neben der Beantwortung der sehr wichtigen Frage, ob durch Verfassungs-, Gemeinschafts- oder
zwingendes Völkerrecht ein konkreter Gesetzgebungsauftrag erteilt ist - zunächst die tatsächlichen Gegebenheiten (das tatsächliche Umfeld des Vorhabens) im Vordergrund, zumal diese (und die hieraus gezogenen
gesetzgeberischen Konsequenzen) im Falle einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung des vollendeten Gesetzes oft zu dessen Scheitern führen, weil sie oft nicht hinreichend “ausermittelt“ sind oder ihnen die auf
ihnen beruhende Begründung geradezu widerspricht:
a) Die tatsächlichen Grundlagen der neuen Regelung
Grob vereinfacht lässt sich sagen, dass - neben u.U. schwierigen Rechtsfragen (nachfolgend b)) - Tatsachenfragen für den Gesetzgeber zum einen sich auftun können, wenn sein Gesetz im Wesentlichen ohne Umsetzung
durch Behörden und Gerichte auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einwirken soll (aa) und bb)), und
zum anderen, wenn sein Gesetz einer Umsetzung bedarf, um solche Einwirkungen hervorzurufen (cc) und
dd)).
aa) Verpflichtung zur Ausschöpfung aller zugänglichen (und “verlässlichen“) tatsächlichen Grundlagen
Nach den bisherigen Erfahrungen sind vor allem (aber nicht nur) bei der Neuregelung von Materien oft die
tatsächlichen Hintergründe einer Regelung aus dem Blick verloren worden. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht insbesondere zu (grundrechtsrelevanten) gesetzgeberischen Entscheidungen mit prognostischem
Charakter (grundlegend BVerfGE 7, 377 [412] für Beurteilung zukünftiger hypothetischer Kausalverläufe;
vgl. auch BVerfGE 115, 320 [360 f.] sowie BVerfGE 131, 268 [286 ff.]) vergleichsweise strenge Maßstäbe
entwickelt.
Als allgemeiner Grundsatz gilt: Der Gesetzgeber muss sich über die tatsächlichen Grundlagen aller seiner
Abwägungen aufgrund verlässlicher Quellen ein eigenes Bild verschaffen (BVerfGE 86, 90 [112]; vgl. auch
BVerfGE 106, 62 [152 f.]).
bb) Die - zu ermittelnden und zu begründenden - tatsächlichen Grundlagen von Prognose-Gesetzen
Ungewissheit über die Auswirkungen eines Gesetzes in einer ungewissen Zukunft kann nicht die Befugnis des
Gesetzgebers ausschließen, ein Gesetz zu erlassen, auch wenn dieses von großer Tragweite ist. Umgekehrt kann
Ungewissheit nicht schon als solche ausreichen, einen (verfassungsgerichtlicher Kontrolle nicht zugänglichen)
Prognosespielraum des Gesetzgebers zu begründen. Prognosen enthalten stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil
, dessen Grundlagen ausgewiesen werden können und müssen; diese sind einer Beurteilung nicht entzogen.
(1) Befugnisse des Gesetzgebers und Einschätzungsprärogative (“Prognosespielraum“)
Im Einzelnen hängt die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers von Faktoren verschiedener Art ab,
besonders von der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend
sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter .
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(1a) Differenzierte (Prognose-)Maßstäbe je nach dem Gewicht der Schutzgüter
Demgemäß hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Beurteilung von Prognosen des
Gesetzgebers differenzierte Maßstäbe zugrunde gelegt, die von der Evidenzkontrolle über eine Vertretbarkeitskontrolle bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen (BVerfGE 50, 290 [332 f.]; vgl.
auch BVerfGE 88, 87 [97]; BVerfGE 106, 62 [150 ff.] sowie BVerfGE 134, 33 [83 ff., 86] wo - freilich mit
Blick auf das Bestimmtheitsgebot - eine äußerst intensive inhaltliche Kontrolle der psychiatrischen Grundlagen stattfindet, welche vom Gesetzgeber einem Gesetz zugrunde gelegt worden sind, das eine - weitere
- Unterbringung eines Straftäters an die Bejahung einer “besonderen Gefährlichkeitsprognose“ anknüpft
[“hohe Wahrscheinlichkeit“ von “erheblichen“ Beeinträchtigungen von “Leben, körperlicher Unversehrtheit,
persönlicher Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung einer anderen Person“]).
Bei einem geringen Gewicht des gefährdeten (und zu schützenden) Rechtsgutes steigen die Anforderungen
an die Prognosesicherheit sowohl hinsichtlich des Grads der Gefährdung als auch hinsichtlich ihrer Intensität
(BVerfGE 113, 348 [386]; dort auch zur Verpflichtung, die gefährdeten Schutzgüter und die gefährdenden
Handlungen normativ möglichst genau zu bestimmen, und [387] dazu, dass bei “offenen“ bzw. “weiten“
Umschreibungen der zu schützende Gemeinwohlbelang “überragend wichtig“ sein muss).
Sind Rechtsgüter von hohem Rang zu schützen (etwa vor drohenden schweren Delikten gegen Leib und
Leben), so darf - nur “in engen Grenzen“ (BVerfGE 134, 33 [92] freilich für Abwägung im Einzelfall) der Grad einer “Eintrittswahrscheinlichkeit“ herabgesetzt werden (a.a.O., mit anderen Worten: Da sich das
Gewicht eines Allgemeininteresses aus zwei Elementen zusammensetzt - der Schwere der Rechtsgutverletzung
einerseits und der Eintrittswahrscheinlichkeit andererseits - kann “ein Weniger des einen in engen Grenzen
durch ein Mehr des anderen ausgeglichen werden“.).
(1b) Ausreichende und unzureichende Begründungen
Gerade dann, wenn sich hohe und höchste Rechtswerte bzw. -güter gegenüberstehen und daher vom Gesetzgeber mit Hilfe einer prognostischen Bewertung in einen verfassungsgemäßen Ausgleich gebracht werden
müssen, steht und fällt diese Bewertung oft - und fast ohne Ausnahme - mit einer überzeugenden (zumindest
nachvollziehbaren) Begründung hierfür:
Die - zum Teil in der (Fach-)Öffentlichkeit gründlich missverstandene - Entscheidung BVerfGE 135, 259
(Europawahlrecht) hat dem Bundesgesetzgeber (nicht etwa verwehrt, Sperrklauseln im Allgemeinen und im
Besonderen zu errichten, um dem hohen Rechtswert Funktionsfähigkeit der Volksvertretung - a.a.O. [286]
- zur Geltung zu verhelfen, sondern “lediglich“) aufgegeben (Leitsatz 2), eine von ihm befürwortete wesentliche Veränderung der Verhältnisse (in Richtung zunehmender Funktionsbeeinträchtigungen) “aufgrund
hinreichend belastbarer tatsächlicher Anhaltspunkte“ bereits gegenwärtig (Erlass des Gesetzes) “verlässlich
zu prognostizieren“; mit anderen Worten hat das Bundesverfassungsgericht - angesichts des “schwerwiegenden Eingriffs in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der politischen Parteien“
(Leitsatz 1) - eine zumindest nachvollziehbare Begründung für diesen Eingriff in gewichtige demokratische
Grundsätze (D.III.) gefordert, und in den Urteilsgründen (a.a.O. [228 ff.]) hat es im Einzelnen dargelegt,
dass weder eine parlamentarische Anhörung von Sachverständigen noch das verfassungsgerichtliche Verfahren selbst (insbesondere die mündliche Verhandlung) insoweit verlässliche “Gesichtspunkte zutage gefördert“
hätten (a.a.O. [290 ff.]).
(2) Strenge Überprüfung der tatsächlichen Grundlagen
In tatsächlicher Hinsicht muss sich der Gesetzgeber - auch und gerade hier - an einer sachgerechten und
vertretbaren Beurteilung des erreichbaren Materials orientieren. Er muss die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft haben, um die voraussichtlichen Auswirkungen seiner Regelung so zuverlässig wie
möglich abschätzen zu können (BVerfGE 50, 290 [333 ff.]; vgl. auch BVerfGE 106, 62 [150 f.]).
Stets muss gewährleistet bleiben, dass Annahmen und Schlussfolgerungen einen konkret umrissenen Ausgangspunkt im Tatsächlichen haben (BVerfGE 113, 348 [386]).
(3) Beobachtungspflicht des Gesetzgebers
Auch hier (ausführlicher nachfolgend e)) gilt, dass ein Gesetzgeber gehalten sein kann, die weitere Entwicklung und insbesondere die Auswirkungen der Regelung zu beobachten, um diese ggf. für die Zukunft zu
korrigieren (grundlegend: BVerfGE 49, 89 [130, 132]; vgl. auch BVerfGE 110, 177 [194] sowie BVerfGE 120,
82 [108] für Normen des Wahlrechts; hierzu D.III.3. und D.III.4.).
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Ganz besonders gilt dies für den schnellen (und für insbesondere den Grundrechtsschutz riskanten) informationstechnischen Wandel, weswegen der Gesetzgeber die technischen Entwicklungen aufmerksam beobachten
und notfalls durch ergänzende Rechtssetzung korrigierend eingreifen muss. Dies betrifft auch und gerade
die Frage, ob die verfahrensrechtlichen Vorkehrungen angesichts zukünftiger Entwicklungen geeignet
sind, den Grundrechtsschutz effektiv zu sichern und etwa auch “unkoordinierte“ Ermittlungsmaßnahmen
verschiedener Behörden verlässlich zu verhindern (BVerfGE 112, 304 [320 f.]).
cc) Normative Bewältigung von in der Praxis auftretenden typischen und atypischen Tatsachenermittlungs-Problemen in Vergangenheit und Gegenwart
Während die juristische “Auslegungskunst“ (Methodenlehre) meist in hohem Ansehen steht, wird sehr oft unterschätzt, dass gerechte Rechtsanwendung zum überwiegenden Teil aus oft mühseliger Tatsachenermittlung
und -bewertung besteht.
Insoweit mag die Entscheidung BVerfGE 139, 64 (zur Frage, ob Richterbezüge “evident unangemessen“ sind)
ein (freilich auch in Teilen abschreckendes) Beispiel bieten; ob der Gesetzgeber etwa eines kleinen Landes
überhaupt in der Lage ist, die “haarfeinen“ tatsächlichen Vorgaben des Gerichts zukünftig zu beachten
(auch wenn dem Gesetzgeber “Indizien“ und “Vermutungen“ an die Hand gegeben werden), darf mit einiger
Berechtigung bezweifelt werden, zumal sich eine “evidente Unangemessenheit“ eigentlich ohne großen
Begründungs- und Erkenntnisaufwand erschließen müsste.
(1) Hauptfälle schwieriger Sachverhaltsermittlung
Sieht man zunächst von der unmittelbar nachfolgend angesprochenen Bewertung der zukünftigen Tatsachenlage ab, welche oftmals bereits zu einschneidenden Rechtsfolgen (vgl. BVerfGE 130, 1 [47] dazu, dass
u.U. sogar eine strafgerichtliche Verurteilung erfolgen kann, wenn “nur“ die konkrete Gefahr eines Vermögensschadens vorliegt und daraus i.S.v. § 263 StGB ein gegenwärtiger Vermögensschaden abgeleitet wird)
führt, so sind es - was die zumeist überschaubare Vergangenheit und Gegenwart (BVerfGE 106, 62 [150]
sowie BVerfGE 132, 39 [57]) anlangt - überwiegend lange zurückliegende Gegebenheiten (etwa in der NSbzw. Besatzungs- bzw. DDR-Zeit), innere Tatsachen (Motive, Absichten etc.; BVerfGE 88, 203 [276]) sowie
hypothetische Kausalverläufe (BVerfGE 7, 377 [412] freilich für Gesetzgeber; dort auch zu Vermutungen),
welche den Rechtsanwender zu schwierigen Beurteilungen zwingen.
In allen Fällen von “Unklarheiten in der Bewertung von Tatsachen“ muss gelten, dass sie regelmäßig nicht
zu Lasten eines Grundrechtsträgers gehen dürfen (BVerfGE 45, 187 [238] freilich für das Handeln des Gesetzgebers und die Überprüfung durch das Verfassungsgericht).
(2) Gesetzliche Vorgaben für die Bewältigung tatsächlicher Ungewissheiten
Bereits der Gesetzgeber muss dem dadurch Rechnung tragen, dass er insoweit den Grad einer geforderten
Überzeugungsgewissheit flexibel gestaltet, etwa durch
• Vermutungsregeln (BVerfGE 103, 287 [297] für eine Regelung des Parteiengesetzes; vgl. auch BVerfGE
138, 136 [204] für sogar “unwiderlegliche Gefährdungsvermutung“ sowie BVerfGE 139, 64 [120 f.] für
widerlegliche bzw. erhärtbare Vermutung für Unteralimentation) bzw.
• gesetzliche Regelungen über die Heranziehung des Anscheins- und Indizienbeweises (vgl. BVerfGE 63,
197 [206] sowie BVerfGE 83, 216 [235] und BVerfGE 88, 203 [276] zum Begriff des Indizes bzw. entsprechender Anhaltspunkte) im Einzelfall, was vorwiegend im anwendbaren materiellen, aber auch im
allgemeinen Prozessrecht geregelt werden kann, mit anderen Worten keine unerfüllbaren Anforderungen an die Rechtsanwender richtet, welche diese zu floskelhaften Begründungen oft geradezu zwingt.
(3) Beispiele für sinnvolle (hilfreiche) Regelungen von vergangenheitsbezogenen tatsächlichen Ungewissheiten (insbesondere: Darlegungs- und Beweislasten)
Beispielsweise könnte er - im BGB-AT oder Familienrecht - regeln, dass eine Schwangerschaft bei Abschluss eines Ehevertrages ein Indiz für eine “vertragliche Disparität“ sein kann (BVerfGE 103, 89 [102
ff.]; vgl. auch BVerfGE 138, 136 [207] für Beteiligungsquorum als Indiz für unternehmerische Einbindung
sowie BVerfGE 139, 64 [114 f.] für Tarifabschlüsse als “wichtiges Indiz“ und [128 ff.] für Indiz für “evidente
Unangemessenheit“ einer Alimentation).
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Hiermit eng verbunden ist die - (wohl) aus dem Rechtsstaatsprinzip (Normenklarheit; D.V.3.a) (vgl. S.
258) ) abzuleitende - Pflicht zur Beantwortung der in der Praxis alltäglich auftauchenden Frage, wer in
einem Parteienstreit (mit Klägern und Beklagten ) das Risiko zu tragen hat, dass eine - für das Bestehen
eines geltend gemachten Anspruchs erhebliche - tatsächliche Behauptung bzw. Gegenbehauptung nicht
so verifizier- bzw. falsifizierbar ist, dass darauf die (nach der jeweiligen Gesetzesgrundlage) ausreichende
Überzeugung des Gerichts gegründet werden könnte.
Mit anderen Worten muss der Gesetzgeber deutlich zu erkennen geben (und darf sich nicht mit Hinweisen auf angebliche “allgemeine Regeln des Beweisrechts“ begnügen), wie (in Anlehnung an den Titel einer
Monographie von Berg) die Entscheidung des Gerichts “bei ungewissem Sachverhalt“ ausfallen muss; mit
nochmals anderen Worten ist bereits normativ die Frage zu klären, wer die Darlegungs-, Beweis- und Begründungslast (BVerfGE 104, 87 [297] “Beweislastregel“ sowie BVerfGE 116, 327 [390 f.] für Verpflichtung
eines Landes im Zusammenhang mit Art. 107 GG) trägt; dies ist - entgegen immer wieder anzutreffender
Auffassung - (revisionsrechtlich) derzeit eine Frage des materiellen Rechts, könnte aber vom Gesetzgeber
in einer Prozessordnung auch einheitlich als Verfahrensregelung normiert werden.
dd) (Normative) Bewältigung von Tatsachenfragen auf der Zukunftsebene in der Rechtsanwendung
Während Verwaltungen und Gerichte hauptsächlich bisweilen äußerst schwierige Fragen zu beurteilen
haben, welche ihren Ursprung in nicht-zukünftigen Gegebenheiten haben, ist der Gesetzgeber hinsichtlich
einer zukünftigen Rechtsanwendungspraxis im Schwerpunkt gehalten, Prognosen “vorwegzunehmen“ bzw.
anzustellen (und die Ergebnisse überzeugend, zumindest nachvollziehbar zu begründen):
(1) Normierung von behördlichen und gerichtlichen Prognoseentscheidungen sowie deren Korrektur
Er muss bedenken, dass seine Gesetze Verwaltungen und Gerichte oft auch zu äußerst schwierigen Prognoseentscheidungen nötigen. Während nämlich bei “abgeschlossenen“ Sachverhalten (Sachverhalten, die sich
ausschließlich in der Vergangenheit bzw. Gegenwart abspielen) eine tatsächliche Aufklärung bis hin zur
absoluten Gewissheit zumindest möglich ist und für Fragen hypothetischer Kausalität wenigstens ein tatsächlich abgelaufener Kausalverlauf als Anknüpfungspunkt und Vergleichsgrundlage zur Verfügung steht,
liegt bei Prognoseentscheidungen ein Teil der zur Normerfüllung (und damit zur Auslösung von Rechtsfolgen) notwendigen tatsächlichen Merkmale im letztlich unaufklärbaren “Noch-Dunkel“ der Zukunft , und
derjenige, der einen zukünftigen hypothetischen Kausalverlauf darzulegen hat, muss sogar gewissermaßen
“mit zwei Unbekannten rechnen“.
(1a) Prognosegrundlage, Prognoseerwartung und entsprechende Kausalverknüpfungen als
Kennzeichen einer Prognoseentscheidung
Das gilt auch dann, wenn - über die zutreffende Erfassung des anzuwendenden Rechts hinaus - die sog.
Prognosegrundlage ausreichend ausermittelt ist, für die Prognoseerwartung anerkannte Methoden angewendet werden und auch im Bereich der notwendigen Kausalverknüpfungen zwischen Prognosegrundlage
und Prognoseerwartung keine wesentliche Fehler geschehen; sieht man von wenigen nahezu feststehenden
zukünftigen Ereignissen (Sonnenauf- und -untergänge) ab, so kann letztlich niemand mit Gewissheit vorhersagen, wie sich Gegebenheiten, insbesondere menschliche Verhaltensweisen, in Zukunft entwickeln und
äußern werden, weshalb - wofür etwa die Entscheidung BVerfGE 134, 33 (92 ff.) über eine konkret durchzuführende Gefährlichkeitsprognose ein beredtes Beispiel darstellt - ohne klare normative Vorgaben oft die
entscheidungswesentliche Begründung nahezu misslingen muss . Oft steht - schlagwortartig ausgedrückt
- nur fest, was nicht feststeht.
(1b) Hauptanwendungsfelder für schwierige Prognoseentscheidungen (und deren spätere
“Korrektur“)
Deshalb muss bereits der Gesetzgeber prüfen, ob die gesetzlichen Maßstäbe und Mittel, die er Rechtsanwendern an die Hand gibt, tauglich sind, diese schwierigen Prognoseentscheidungen treffen und überdies gut
begründen zu können.
Darüber hinaus dürfte der Gesetzgeber sogar verfassungsrechtlich verpflichtet sein, Regeln im Wiederaufnahme, Rücknahme- und Widerrufsverfahren vorzusehen, welche dann ein erleichtertes Vorgehen gegen eine
bestands- bzw. rechtskräftige Entscheidung ermöglichen, wenn diese auf einer tatsächlich schwierigen
Prognose beruhte und sich insoweit als “fehlgeschlagene“ Prognose erwiesen hat.
Brunn - Kapitel A.II.3.
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Denn wenn (sogar) das Verfassungsorgan Gesetzgeber bei “Fehlprognosen“ verfassungsrechtlich zur Gesetzeskorrektur verpflichtet sein kann / ist (BVerfGE 65, 1 [55 f.]), müssten die nach Art. 20 Abs. 3 (2. Alt.)
GG an Gesetz und Recht gebundenen Behörden und Gerichte erst recht von entsprechenden Fehlprognosen
abrücken, auch wenn dies das einfache Recht (noch) nicht ausdrücklich bestimmt; das Interesse an (einem
vermeintlichen) “Rechtsfrieden“ müsste dann nachranging sein.
(2) Maßstäbe für die Gesetzesanwendung durch die Praxis
Hat der Gesetzgeber ein Gesetz geschaffen, welches etwa für die Bewältigung einer konkreten Gefahr
einen Maßstab vorgibt (Beispiel: Bestehen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit, dass in absehbarer Zeit
ein Schaden für ein schutzwürdiges Rechtsgut eintreten wird), so dürfen sich Behörden und Gerichte zur
Begründung einer Maßnahme jedenfalls nicht auf vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen ohne greifbaren, auf den Einzelfall bezogenen Anlass stützen, sondern die Wahrscheinlichkeitsprognose muss sich auf
(nachprüfbare) Tatsachen beziehen (BVerfGE 115, 320 [364 f.]; dort auch zu einer sog. konkreten “Dauergefahr“, etwa durch sog. “terroristische Schläfer“, für welche regelmäßig hinreichend fundierte konkrete
Tatsachen erforderlich sind; vgl. auch BVerfGE 134, 33 [60 f., 63 ff.] für eine erforderliche “hochgradige
Gefahr schwerster“ Straftaten.
b) Rechtliche Probleme bei der normativen Rechtsfolgenbewirkung (insbesondere
auf der Ebene der Vergangenheit)
Wirft die - regelmäßig gesetzliche Neuschöpfungen (welche deshalb im Kapitel A. im Vordergrund stehen,
während den Gesetzesänderungen ein eigenes Kapitel B. gewidmet ist) kennzeichnende - RechtsfolgenBewirkung für den Zeitraum ab dem Inkrafttreten des Gesetzes regelmäßig keine besonderen (verfassungsrechtlichen) Probleme auf, gleichgültig ob an vergangene (vgl. aber nachfolgend b) aa) zu speziellen
Rechtsanwendungsproblemen ), gegenwärtige oder zukünftige tatbestandliche Gegebenheiten angeknüpft
wird, erzeugt schwierige (verfassungs-)rechtliche Probleme jeder Versuch, hinsichtlich von Rechtsfolgen auf
den Zeitraum vor dem Inkrafttreten des Gesetzes einzuwirken; und zwar gilt dies wiederum unabhängig
davon, ob die Rechtsfolgen-Bewirkung an vergangene, gegenwärtige oder gar zukünftige Gegebenheiten anknüpft.
Denn damit ergibt sich unausweichlich die Frage, ob etwa unzulässig auf eine bestehende (bereits durch
das alte Recht geschaffene) “ Rechtsfolgenlage “ eingewirkt wird (hierzu nachfolgend B.III.).
aa) Die notwendige Unterscheidung zwischen “abgewickelten“ und noch offenen Verhältnissen
Insoweit muss unterschieden werden zwischen - einerseits - “abgewickelten“ Sachverhalten (nämlich solchen,
die in tatsächlicher Hinsicht vollständig abgeschlossen waren und sind und deswegen einer abschließenden
Regelung zugänglich waren , welche regelmäßig einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand schafft) und andererseits - “noch andauernden“ Sach- bzw. Rechtsverhältnissen (beispielsweise Dauerrechtsverhältnissen,
wie Kindschaftsverhältnissen, Ehen und Mieten, deren Begründung zwar abgeschlossen ist, aber deren Entwicklung tatsächlichen und/oder rechtlichen Veränderungen noch leichter zugänglich ist); letztere begründen
regelmäßig keine unüberwindlichen Vertrauenstatbestände (hierzu ausführlich nachfolgend B.III.1.b) (vgl.
S. 93) ). Mit anderen Worten:
Zwar wird die rechtliche Beurteilung eines einen Status begründenden Vorgangs - wie etwa der einer
Eheschließung - durch eine spätere Änderung der Rechtslage nicht berührt (BVerfGE 29, 166 [175 f.]),
aber der Gesetzgeber darf - vorbehaltlich eines besonders schutzwürdigen Vertrauens - den Status in seinen
Auswirkungen für die Gegenwart und die Zukunft regelmäßig neu (ändern) bewerten.
bb) Die notwendige Unterscheidung zwischen wirklicher und nur scheinbarer “(Noch-)Nicht-Regelung“
Wie etwa der Fall BVerwGE 99, 276 (Global-Entschädigung durch zwischenstaatliche Vereinbarung) zeigt,
hängt die zutreffende Lösung eines Streitfalles oft (allein-)entscheidend davon ab, ob ein Sachverhalt schon
(einmal) geregelt war bzw. immer noch ist (im angesprochenen Fall durch eine Vereinbarung zwischen der
DDR und Schweden) oder eben gerade nicht. Dies hat zuerst der Gesetzgeber zu bewerten und entscheiden:
Brunn - Kapitel A.II.3.
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(1) “Wirkliche“ Nicht-Regelung
Regelmäßig - wie gerade angedeutet - unbedenklich ist es, wenn der Gesetzgeber einen in der Vergangenheit
liegenden oder für die Zukunft erwarteten Sachverhalt (mag er im vorstehenden Verständnis abgeschlossen
gewesen sein oder noch andauern oder sogar noch nicht einmal begonnen haben) erstmals gesetzlich regelt;
insoweit konnte regelmäßig noch kein Vertrauenstatbestand ausgelöst werden, wie er für bestehende und
Gültigkeit beanspruchende gesetzliche Regelungen typisch ist (BVerfGE 103, 271 [287]; vgl. auch BVerfGE
109, 96 [121 f.]).
(2) Gefahren einer nur scheinbaren Nicht-Regelung
Höchste Sorgfalt muss aber walten bei der Beantwortung der Frage, ob ein Sachverhalt wirklich noch
nicht (abstrakt oder konkret) geregelt ist, weil eine falsche Beantwortung mit der Gefahr - erstens - der
“Überregelung“ (ähnlich einer versehentlichen Doppelbelichtung bei der traditionellen Fotografie) oder zweitens - der “Regelungslücke“ (Nicht-Regelung; D.VI.3.c) (vgl. S. 277) zur zulässigen bzw. unzulässigen
Lückenfüllung ) verbunden ist:
Nur ohne vorherige Regelung eines solchen Sachverhalts darf ein Normsetzer den “ungeregelten“ Sachverhalt
“unbefangen regeln“, und Entsprechendes gilt deshalb auch dann, wenn etwa zwischen natürlichen Personen
im Streit ist, ob eine vertragliche Vereinbarung zustande gekommen ist und alle Rechtsfolgen abschließend
geregelt sind, oder wenn etwa zwischen Staaten im Streit ist, ob eine Kriegsfolgefrage (Reparationen) bereits
(abschließend) völker(vertrags)rechtlich geregelt war oder noch einer abschließenden Regelung harrt.
Es versteht sich zwar von selbst, dass auch “Überregelungen“ nicht von vornherein unzulässig sind (Kapitel
B.), aber immer muss bei solchen - mögen sie bewusst oder unbewusst erfolgen - Regelungs-Konstellationen
auch die Folgefrage zutreffend beantwortet werden, ob der hierfür gewählte Normentyp oder die Art der
vertraglichen Neugestaltung überhaupt tauglich ist, das angestrebte Ziel - etwa einer Verdrängung der
alten Regelung - mit Wirkung ex nunc oder sogar ex tunc (zulässig) zu erreichen:
(3) Die “Überregelung“ durch unzulässige Normenwahl
Der Fall BVerfGE 70, 324 ist dadurch gekennzeichnet, dass das Parlament sich der Frage hätte widmen müssen, ob der bereits durch die - in eigener Autonomie geschaffene - Geschäftsordnung (abstrakt) geregelte
Fall der Besetzung bestimmter Parlamentsausschüsse mit (fraktionsabhängigen) Abgeordneten aus verfassungsrechtlicher Sicht wirklich noch einer anderslautenden gesetzlichen Regelung zugänglich war, und
diese Frage hätte (sogar abgesehen davon, dass der damals verwirklichten gesetzlichen Regelung “unlautere
Motive“ zugrunde lagen, weil bestimmte Fraktionen bzw. deren Abgeordnete durch die gesetzliche Regelung
und die daraus folgende Möglichkeit der Mehrheitswahl “ausgeschaltet“ werden sollten und konnten) wegen
der Spezialität der Geschäftsordnung in parlamentsinternen Fragen (eigentlich) verneint werden müssen.
c) Pflicht zur Vermeidung paralleler Rechtsregime ohne zwingenden Grund (Pflicht
zur Einfügung von neuen Regelungen in bestehende Kodifikationen)
Oft lässt sich zwar (zu Recht) feststellen, dass eine Materie (“als solche“) tatsächlich noch nicht geregelt
war bzw. ist, aber auch, dass das gültige Recht bereits Regelungen enthält, die der neu zu regelnden - was
insbesondere Kompetenzen sowie die Sach- und/oder Zeitebene betrifft - benachbart sind; insoweit mag
an das ursprüngliche Verhältnis zwischen dem traditionellen Bürgerlichen Gesetzbuch und dem damals zu
kodifizierenden Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (im Zivilrecht) zu denken sein.
Insoweit hat der Gesetzgeber zu bedenken, dass es eine Teilanforderung des Grundsatzes der Einfachheit einer Norm (wohl abzuleiten aus den Rechtsstaatsgeboten der Rechtssicherheit - B.III.2.b (vgl. S. 94) ) - sowie
Rechtsklarheit (D.V.3.a) (vgl. S. 258) ) sein kann , im Interesse der Rechtsanwender bzw. -unterworfenen zu
vermeiden (und deshalb vorrangig eine Einfügung in das bestehende Regelwerk zu erwägen bzw. vorzunehmen), dass (Teil-)Materien (auch zeitlich) parallel zu existierenden (Gesamt-)Kodifikationen anzuwenden
sind.
Letzteres kann nämlich (sogar für Rechtskundige) erhebliche Schwierigkeiten hervorrufen, wenn es darum
geht, sich für ein Rechtsbegehren bzw. eine -verteidigung die in Betracht zu ziehenden Rechtsgrundlagen
“zusammensuchen“ zu müssen (und auf Spezialität bzw. Parallelität untersuchen zu müssen). Mit anderen
Worten muss gewährleistet sein, dass ein Rechtsstreit nicht von vornherein dadurch in eine “Schieflage“
Brunn - Kapitel A.II.3.
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gerät, dass erfahrungsgemäß die wirtschaftlich stärkere Partei aufgrund erwerbbaren “Insiderwissens“ über
die Möglichkeit verfügt, die richtigen prozesstaktischen Schritte zu unternehmen.
d) Begründungspflichten im Recht (Funktionen von Begründungen)
Nicht zufällig erfolgte im Vorstehenden die häufige Erwähnung des Begriffs “Begründung“. Die Erfahrung
im (tatsächlichen wie im) Rechtsleben lehrt nämlich, dass - erstens - eine gute (gelungene) Begründung für
einen schlechten (misslungenen) Akt (Gesetz, Verwaltungsakt, Urteil) sehr schwer fällt, während - zweitens
- eine gute Begründung für einen guten Akt sich oft von selbst ergibt. Deshalb lässt sich geradezu von einer
(tatsächlichen wie rechtlichen) Vermutung (hierzu in anderen Zusammenhängen BVerfGE 139, 64 [120 f.])
sprechen, dass ein schlechter Akt durch eine schlechte Begründung indiziert wird (und umgekehrt eine gute
Begründung einen guten Akt indiziert).
In verfassungsrechtlicher Hinsicht spricht das Bundesverfassungsgericht insoweit von prozeduralen Sicherungen (BVerfGE 130, 263 [301]) bzw. Anforderungen an den Gesetzgeber, welche insbesondere Begründungspflichten einschließen (BVerfGE 139, 64 [126 f.] für Alimentation und Landesgesetzgeber).
Freilich schreibt das Grundgesetz nicht grundsätzlich vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen - und zu berechnen - ist; entscheidend ist, dass im Ergebnis die Anforderungen der
Verfassung nicht verfehlt werden (BVerfGE 139, 148 [180]).
aa) “Selbstvergewisserung“ des Entscheiders als Funktion einer Begründung
Die Funktion einer - erforderlichen überzeugenden (BVerfGE 135, 48 [88]) - Begründung im Rechtsleben ist
es vor allem, eine gewisse Gewähr dafür zu geben, dass der Entscheidende seine Entscheidung aufgrund verlässlicher Tatsachenfeststellung , ausgewogener Tatsachenwürdigung und sorgfältiger rechtlicher Prüfung
trifft (BVerfGE 94, 166 [210 f.]; vgl. auch BVerfGE 94, 166 [223, 237 f.] abweichende Meinung).
(1) Der Einfluss “tragfähiger“ Begründungen
Entscheidend ist meist, ob der Gesetzgeber seine Entscheidungen (an konkreten Gegebenheiten ausrichtet
und ) “tragfähig begründet“ (BVerfGE 137, 34 [73] sogar für Existenzminimum).
Wie “hinnahmebereit“ das Bundesverfassungsgericht bisweilen ist, zeigt der Fall BVerfGE 137, 350 (381), wo
sogar “Verwerfungen“ innerhalb eines Steuertatbestandes als “aus Vereinfachungsgründen gleichheitsrechtlich
noch tragbar“ beurteilt worden sind.
Ähnliches gilt (vielleicht) für die Entscheidung BVerfGE 109, 279 (317 ff.), wo zur “Rettung“ des neu geschaffenen Art. 13 Abs. 3 GG Materialien und Einzeläußerungen herangezogen worden sind.
(2) Unzulässige “nicht nachvollziehbare“ Schätzungen
Demgegenüber reichen - soweit jedenfalls Grundrechtspositionen betroffen sind - regelmäßig “schlicht gegriffene Zahlen“ sowie “Schätzungen ins Blaue hinein“ nicht aus; insofern müssen namentlich Berechnungen
regelmäßig “nachvollziehbar“ sein und “sachlich differenziert tragfähig“ begründet sein (BVerfGE 137, 34
[75] freilich für Existenzminimum).
bb) Überprüfungsmöglichkeit einer Entscheidung als Begründungsfolge
Um den Entscheidungsbetroffenen überhaupt eine realistische Möglichkeit zu belassen, die Entscheidung zu
überprüfen bzw. überprüfen zu lassen, ist es unerlässlich, sie so zu begründen, dass sie taugliche Grundlage
für eine Billigung bzw. einen Entschluss zur Beschreitung des Rechtsweges sowie einer (gerichtlichen) Überprüfung ist. Dies gilt sogar im - hier nur als Beispiel aus einer anderen Verfassungsmaterie dienenden
und deshalb nicht näher darzustellenden - Verhältnis des Parlaments zur Regierung (D.VI.2. (vgl. S. 271)
):
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(1) Insbesondere: Begründungspflichten bei Anspruchsversagungen
Aus der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Pflicht der Bundesregierung, Informationsansprüche des
Deutschen Bundestages zu erfüllen, folgt, dass sie die Gründe darlegen muss, aus denen sie die erbetenen Auskünfte verweigert.
Denn der Bundestag kann seine Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle des Regierungshandelns nur dann
effektiv wahrnehmen, wenn er anhand einer der jeweiligen Problemlage angemessenen ausführlichen Begründung beurteilen und entscheiden kann, ob er die Verweigerung der Antwort akzeptiert oder welche weiteren
Schritte er unternimmt, sein Auskunftsverlangen ganz oder zumindest teilweise durchzusetzen. Hierzu muss
er Abwägungen betroffener Belange, die zur Versagung von Auskünften geführt haben, auf ihre Plausibilität
und Nachvollziehbarkeit überprüfen können.
Eine Begründung der Antwortverweigerung ist daher nur dann entbehrlich, wenn die Geheimhaltungsbedürftigkeit evident ist (BVerfGE 137, 185 [244]).
(2) Der Einfluss gelungener Begründungen auf gerichtliche Entscheidungen
Es kommt hinzu, dass gelungene Begründungen eine (oft) unentbehrliche Grundlage für (verfassungs)gerichtliche Prüfungen sind, welche den Gesetzgeber schon oft vor Fehldeutungen seiner Gesetze bewahrt
haben (BVerfGE 138, 64 [98 f.] für einen durch Gesetzesmaterialien eindeutigen Gesetzeswillen).
Hierauf wird vor allem im Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsgebot noch zurückzukommen sein.
e) Der gesetzgeberische Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum
Der Bundesgesetzgeber (hatte und) hat zwar - bei den vorstehend angesprochenen Fragen und allgemein nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts regelmäßig einen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum (beispielhaft BVerfGE 136, 9 [28] für “weiten Gestaltungsspielraum“ bei der den Ländern vorbehaltenen Ordnung des Rundfunkwesens; es gibt - ebensowenig wie es die “einzig richtige“ Behörden- oder
Gerichtsentscheidung gibt - nicht das “eine“ sachgerechte (insbesondere verfassungsgemäße) Gesetz.
Fast immer - und keineswegs nur in den häufig beurteilten Zusammenhängen des Art. 3 Abs. 1 GG - steht
einer (gebilligten) sachgerechten Nutzung eines Spielraums die (missbilligte) willkürliche Regelung gegenüber
(beispielhaft BVerfGE 122, 151 [179] für Stichtagsregelung).
aa) Regelfälle von Spielräumen
In nahezu allen Entscheidungen, die das Handeln eines Gesetzgebers beurteilen, ist die Rede von (mehr oder
weniger engen bzw. weiten) Spielräumen (Gestaltungs-, Einschätzungs-, Prognosespielräumen u.s.f.).
(1) Neuregelungen von komplexen Sachverhalten bzw. von umfassenden Materien
Insbesondere bei der Neuregelung eines komplexen Sachverhalts gebührt dem Gesetzgeber ein zeitlicher
Anpassungsspielraum; will er von seiner Regelungsbefugnis Gebrauch machen, so darf er sich zunächst mit
einer grob typisierenden Regelung begnügen, um diese nach hinreichender Sammlung von weiteren Erfahrungen allmählich durch eine differenzierte zu ersetzen (BVerfGE 54, 1 [37] sowie BVerfGE 132, 39 [57]).
Unternimmt es der Gesetzgeber, eine ganze Materie umfassend zu regeln, so ist er auch nicht gehalten, eine
solche komplexe Reform nur in einem Zuge oder gar nicht zu bewerkstelligen. Vielmehr muss es grundsätzlich
möglich sein, eine solche Reform in mehreren Stufen zu verwirklichen, um den Regelungsaufwand und die
organisatorischen und finanziellen Folgen jeweils zu begrenzen und zunächst in einem Teilbereich Erfahrungen
zu sammeln, die bei den weiteren Schritten berücksichtigt werden können (BVerfGE 85, 80 [91]).
(2) Typisierungen und Grundrechtsausgleich namentlich im Zivilrecht
Namentlich im Bereich des Zivilrechts (allgemein hierzu und zur - unzulässigen - Rechtsfortbildung BVerfGE 138, 377 [390 ff.]) muss der Gesetzgeber typisieren (E.III.1.e) (vgl. S. 460) ) und kann nicht allen
Einzelfallgestaltungen Rechnung tragen.
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Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn er dem Bedürfnis, Besonderheiten des Einzelfalles
zu berücksichtigen, dadurch Rechnung trägt, dass er eine Regelung als dispositives Recht (zum [zwingenden] ius cogens BVerfGE 112, 1 [27 f.] für Völkerrecht) ausgestaltet, es im Übrigen aber der Rechtsprechung überlasst, nach Treu und Glauben rechtsmissbräuchlichen Umsetzungsabsichten des vom Gesetzgeber
vorgegebenen Interessensausgleichs unter Berücksichtigung von Bedeutung und Tragweite der Grundrechte
entgegen zu treten (BVerfGE 67, 329 [347]).
Nur ausnahmsweise lassen sich aus den Grundrechten konkrete Regelungspflichten des Privatrechtsgesetzgebers ableiten. Bei der Ausgestaltung privater Rechtsbeziehungen kommen dem Gesetzgeber grundsätzlich
weite Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielräume zu; sie bestehen vor allem dort, wo es um die
Berücksichtigung widerstreitender Grundrechte geht (BVerfGE 141, 186 [205]; für “gleichberechtigte“ Grundrechtsträger [Kind und vermeintlicher Vater]; ob dies auch bei deutlichen “Ungleichgewichten“ gilt, lässt sich
bezweifeln, zumal die Rechtsprechung deutlich “väterfreundlicher“ ist; a.a.O. [206 f.]).
bb) Verfassungsrechtliche Bindungen insbesondere im Grundrechtsbereich
Der Gesetzgeber ist freilich durch Art. 20 Abs. 3 (1. Alt.) GG zum einen an das Bundesverfassungsrecht sowie
die Menschenrechtskonvention (nachfolgend A.III.2.d) (vgl. S. 39) ) und das Gemeinschaftsrecht (nachfolgend
A.III.3.a) (vgl. S. 43) ) gebunden und kann zum anderen an das Völkerrecht (nachfolgend A.II.3.b) (vgl. S. 20)
) gebunden sein; was die Bindungen an das Grundgesetz anbelangt, so stehen die Kompetenzen (nachfolgend
C.), die Menschenwürde und die Menschenrechte (nachfolgend E.I.), die Grundrechte (nachfolgend E.II. bis
XVI.), Art. 20 GG (nachfolgend D.) sowie Art. 103 GG und Art. 104 GG (nachfolgend F.) im Vordergrund.
Dies kann im Einzelfall den Spielraum des Gesetzgebers verengen (BVerfGE 88, 5 [12]) und nahezu
(BVerfGE 88, 203 [251 ff.]) “auf Null reduzieren“.
cc) Insbesondere: Enger Spielraum in den Zusammenhängen des Art. 3 GG
Insbesondere kann dies gelten, wenn sich der Gesetzgeber im Schutzbereich des Art. 3 GG (mit allen seinen Absätzen) bewegt; zwar darf der Gesetzgeber regelmäßig generalisieren (BVerfGE 11, 245 [254] und
typisieren (BVerfGE 17, 1 [23]; vgl. BVerfGE 111, 115 [137] sowie BVerfGE 132, 39 [57] zur Bedeutung),
aber der gesetzgeberische Spielraum für Typisierungen ist umso enger, je dichter die verfassungsrechtlichen
Vorgaben (innerhalb und außerhalb) des Art. 3 Abs. 1 GG sind; er endet dort, wo die speziellen Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG betroffen sind.
“Mildere“ Maßstäbe gelten freilich im Bereich der steuerlichen Gleichheit (E.III.1.h) (vgl. S. 465) ).
dd) Spielräume des Gesetzgebers und spätere Korrekturmöglichkeiten und -verpflichtungen
Anlass zu verfassungsrechtlichen Beanstandungen nach - entsprechend den vorstehenden Darlegungen unternommenen - Neuregelungen kann insbesondere dann bestehen, wenn der Gesetzgeber eine Überprüfung und
fortschreitende Differenzierung eines Regelungskomplexes trotz ausreichenden Erfahrungsmaterials für eine
sachgerechte Lösung unterlässt (BVerfGE 33, 171 [189 f.]). Insbesondere kann dies für unterlassene Regelungen gelten, die schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigungen, wie langfristige Freiheitsentziehungen,
ausgleichen könnten (vgl. BVerfGE 45, 187 [252] für bedingte Aussetzung der Vollstreckung lebenslanger
Freiheitsstrafe).
(1) Veränderte (tatsächliche) Umstände
Hat der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird, kann er von Verfassungs
wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrecht zu erhalten ist (BVerfGE 49, 89 [130 ff.]).
(2) Ungenügende Schutzpflicht-Maßnahmen
Stellt sich namentlich heraus, dass ein Gesetz ein von der Verfassung gefordertes Maß an Schutz nicht zu gewährleisten vermag, so ist der Gesetzgeber regelmäßig verpflichtet, durch Änderungen oder Ergänzungen der
bestehenden Vorschriften auf die Beseitigung der Mängel und die Sicherstellung eines dem Untermaßverbot
genügenden Schutzes hinzuwirken (BVerfGE 88, 203 [309 ff.]).
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f) Ausblick: “Maßstäbe - bzw. Grundsätze - Gesetze“
Sollten die - hier angerissenen oder zugrunde gelegten - Annahmen zutreffend sein, dass
• die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung der Verfassung (zwar keine ein für allemal gültigen - gewissermaßen “ehernen“ - zwingend bindenden Regeln hervorgebracht hat und bringt,
aber) zumindest äußerst nützliche maßstabsbildende Regeln (auch) für die Erzeugung, Auslegung und
Anwendung des “einfachen“ Rechts kreiert hat,
• zudem - ergänzend - die Rechtsprechung der EG-Gerichtshöfe zur Menschenrechtskonvention und
zum Gemeinschaftsrecht sowie die Rechtsprechung der Internationalen Gerichtshöfe zum Völkerrecht
Rechtssätze hervorgebracht hat, welche gewissermaßen zwischen Verfassungsrecht und einfachem
Recht angesiedelt sind und bei der Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts kaum mit guten
Gründen vernachlässigt werden können) und
• der Rechtsanwender in Vergangenheit und Gegenwart durch das einfache Gesetzesrecht oft im Stich
gelassen worden ist, was das Verständnis der vorgenannten Maßstäbe für die “Alltagsanwendung“
bedeutet,
so könnte sich aus der für das Finanzverfassungsrecht entwickelten Idee des “Maßstäbe-Gesetzes“ (BVerfGE
116, 327 [329 ff.]) bzw. des Grundsätze-Gesetzes eine allgemeine Erscheinungsform des Rechts ergeben,
die zwar (selbstverständlich) keinen Verfassungsanspruch erheben darf, aber gewissermaßen als “Mittler“
zwischen den Rechtsregimen dienen kann:
aa) Vorzüge aus Sicht des Gesetzgebers
Mit einer solchen Gesetzesform würde sich der Gesetzgeber gewissermaßen für die Zukunft selbst binden, er
müsste aber noch keine zwingenden Rechtsfolgen bestimmen und könnte in solchen Gesetzeswerken gewissermaßen konkretes Recht “ankündigen“, was zugleich das Vertrauen der Rechtsunterworfenen dahingehend
vermindern könnte, dass das bisherige Recht unverändert bestehen bleibt.
bb) Vorzüge aus Sicht der Rechtsanwender
Eine allgemeine Maßstabsgesetzgebung durch den einfachen Gesetzgeber, die vor allem das Verfassungsrecht
(etwa die “lapidare“ Fassung des Art. 2 GG; E.II.) “mit Leben erfüllt“, dürfte zwar die Verwaltung und die
Rechtsprechung bei der Anwendung und Auslegung der jeweils konkreten Ausführungsgesetze im Sinne der
Gesetzesbindung des Art. 20 GG (D.V.3.d) (vgl. S. 263) ) nicht binden, wäre aber
• immer vom einfachen Gesetzesrecht “einholbar“, wenn sich das Maßstäbegesetz als unzulänglich oder
gar ungenügend erweisen sollte, und
• würde den Rechtsanwendern die schwierige Aufgabe erleichtern, sich bei der Anwendung und Auslegung der Regeln des Bundesrechts zwischen einfachem Recht, übergeordnetem Gemeinschafts- bzw.
Völkerrecht und zwingendem oder gar “verfassungsfestem“ Verfassungsrecht “hindurchfinden“ zu müssen.
Bedenkt man, dass nach wie vor erstinstanzliche Einzelrichter (und in der Arbeitsgerichtsbarkeit sogar zweitinstanzlich tätige Vorsitzende mit lediglich fachkundigen Laienrichtern) Erledigungszahlen von jährlich bis
zu über 500 Verfahren zu bewältigen haben, so würden entsprechende Maßstabsgesetze solche Aufgaben
wesentlich erleichtern.
Zu denken könnte dabei sein an Maßstabsgesetze zur Beurteilung tatsächlicher Zweifelsfragen im Verfahrensrecht, zum Justizgewährungsanspruch, zur Strafzumessung, zur Anwendung des Gemeinschafts- und
Völkerrechts, zum Umweltrecht, zum Planungsrecht, zum individuellen und kollektiven Arbeitsrecht, zur
Gesetzgebung und schließlich womöglich sogar zur Umsetzung bzw. Konkretisierung des Verfassungsrechts.
4. Das “gelungene“ (reibungslos angewendete) Gesetz als Ideal
Abschließend lässt sich sagen, dass ein “wirksames“, ein “gutes Gesetz“ sich vor allem daran erweist, dass
es (obgleich massenhaft angewendet, was seinen Bedarf anzeigt) so gut wie nie in den Entscheidungsregistern des Verfassungsgerichts und der obersten Gerichtshöfe des Bundes auftaucht (was seine Klar- und
Widerspruchsfreiheit erweist); fragwürdig ist vor diesem Hintergrund der (oft in Gesetzesbegründungen auftauchende) Satz, eine bestimmte Frage zu beantworten werde der Rechtsprechung überlassen.
Brunn - Kapitel A.III.0.
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III. Verfassungsrechtliche Bindungen und Prüfgesichtspunkte (insbesondere
“Verfassungsauslegung“) bei der Erarbeitung einer Gesetzesvorlage des
Bundesrechts
1.
Die Primärbindung des Gesetzgebers an die “verfassungsmäßige Ordnung“ (Art. 20 Abs. 3, 1.
Alt. GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) “Gewisse“ Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
32
aa) Bindungen durch die Grundrechte (und durch die Staatszielbestimmungen in Art.
20 a GG?) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
b)
c)
(1) Umsetzungsauftrag des Art. 20 a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
(2) Ziel des Umweltschutzes und einzelne Schutzgüter . . . . . . . . . . . . . . .
32
(2a)
Biologische Vielfalt und Sorge für bedrohte Tier- und Pflanzenarten
32
(2b)
Tierschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
(2c)
Schutz vor denkbaren Gefahren der Gentechnik . . . . . . . . . . .
33
bb) Bindungen durch die Kompetenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
cc) Bindungen an die Grundsätze in Art. 20 GG sowie an die Verfahrensgrundrechte
33
dd) Bindungen an die Art. 76 ff. GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
“Ungewisse“ Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
33
aa) Identität der “verfassungsmäßigen“ Ordnungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
bb) Bedeutung des Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
cc) Bindungen an Menschenrechtskonvention, Gemeinschaftsrecht und Völkerrecht?
34
dd) Bindungen an die Geschäftsordnung des Bundestages?
34
ee) Bindungen an einfachrechtliche Aussagen des Verfassungsgerichts . . . . . . . .
Insbesondere: (Ungewisse) Bindungen von Gerichten und Behörden sowie des Gesetzgebers an verfassungsgerichtliche Verfassungsinterpretationen . . . . . . . . .
34
aa) Bindung des Gesetzgebers an verfassungsgerichtliche Interpretationen? . . . . .
34
(1) Ausgangsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
(2) “Erweiterung“ der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
bb) Beantwortungsversuch
2.
. . . . . . . . . . . . . .
34
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
(1) “Vorklärung“ durch die Entscheidung BVerfGE 77, 84 (104) . . . . . . . . .
35
(2) Aufgabenüberschreitung des Verfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . .
35
(3) Problem der “blockierten“ Fortbildung des Verfassungsrechts . . . . . . . .
Allgemeingültige Regeln für die Auslegung von Verfassungsbestimmungen . . . . . .
a) Aufgabe der Verfassungsauslegung und Einheit der Verfassung als vornehmstes Interpretationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Grundsatz der “inneren Harmonie“ der Verfassung
bb) Funktionsbedingte Auslegung als Durchbrechung
36
36
36
. . . . . . . . . . . . . . . .
37
. . . . . . . . . . . . . . . . .
37
(1) Beispielsfälle von Begriffen mit unterschiedlicher Bedeutung (insbesondere
“verfassungsmäßige Ordnung“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
(2) Sonderfall der Übernahme von Begriffen aus der WRV
. . . . . . . . . . . .
37
(3) Problematischer Begriff des “Strafrechts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
cc) Insbesondere: Auslegung des Grundgesetzes unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) Regelfall der nicht ausschlaggebenden Bedeutung
. . . . . . . . . . . . . . .
37
38
Brunn - Kapitel A.III.0.
b)
Seite 27
(2) Sachdienliche Heranziehung der Entstehungsgeschichte im Einzelfall . . . . .
Verbot der isolierten Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Spannungsverhältnis zwischen zwei Bestimmungen
. . . . . . . . . . . . . . . .
bb) Vorrang der speziellen Norm vor der allgemeinen Norm als auch im Verfassungsrecht gültiges allgemeines Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c)
d)
e)
cc) Die Auslegung von Regel-Ausnahme-Bestimmungen . . . . . . . . . . .
Bedeutungswandel einer Norm . . . . . . . . . . . . . . . . .
Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit . . . . . . . . . . . . .
Menschenrechtskonvention sowie deren Interpretation als Hilfe zur Auslegung
38
39
39
39
39
aa) Allgemeine Bedeutung der Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . .
39
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
(2) Geltendmachung einer Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
(2a)
Geltendmachung gegenüber dem Verfassungsgericht . . . . . . . .
40
(2b)
Konventionsfreundliche Auslegung und entsprechende EGMRRechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
bb) Spezielle Artikel der Menschenrechtskonvention
3.
. .
.
.
.
38
. .
.
.
.
(1) “Rang“ der Konvention (“Auslegungshilfe“)
.
.
.
.
38
38
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
(1) Art. 3 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
(2) Art. 5 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
(3) Art. 6 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
(3a)
Faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
(3b)
Unschuldsvermutung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
(4) Art. 7 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
(5) Art. 8 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
(6) Art. 9 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
(7) Art. 10 EMRK
42
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(8) Art. 14 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Verfassungs-Bindungen des Gesetzgebers im Zusammenhang mit Gemeinschafts- bzw. Unionsund Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht (Art. 23 GG i.V.m. Art. 24 GG sowie Art. 59 Abs. 2
GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Primäres Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
42
43
43
(1) Allgemeine und unmittelbare Geltung durch Zustimmungsgesetze (Art. 59 Abs.
2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
(2) Anwendungsvorrang
43
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
bb) Sekundäres Gemeinschaftsrecht
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
(1) Problematik der nicht durch nationales Recht umgesetzten Akte . . . . . . .
44
(2) Auslegung anhand der Vertragsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
cc) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
dd) (Verfassungsgerichtlicher) Rechtsschutz des Bürgers gegen Unionsrecht umsetzendes nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
44
(1) “Zurückhaltung“ des Verfassungsgerichts als Grundsatz . . . . . . . . . . . .
44
(2) Ausnahmen bei Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und Kompetenz- bzw.
Verstoß gegen eine europäische Grundrechtsverbürgung . . . . . . . . . . . .
44
Brunn - Kapitel A.III.0.
Seite 28
ee) Die verfassungsgerichtliche Prüfung (insbesondere im Normenkontrollverfahren)
von (auch “umgesetztem“) sekundärem Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht . . . .
b)
(1) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
(2) Ausnahme des Gemeinschafts-/Unionsrechts mit Umsetzungsspielraum . . .
Völker(vertrags-)recht als bindendes (meist nicht mehr fremdes) Recht . . . . .
45
45
aa) Art. 25 Abs. 1 GG (Allgemeines Völkerrecht)
4.
45
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
(1) Völkergewohnheitsrecht als Hauptgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
(2) Einzelne Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
bb) “Schlichtes“ Völkervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
(1) Völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
(2) Zustimmungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 Satz 1GG) als “Rechtsanwendungsbefehl“
46
(3) Veränderungsfähigkeit früherer Zustimmungsakte . . . . . . . . . . . . . . .
47
(4) Verfassungsverletzungen bei bindenden Verträgen . . . . . . . . . . . . . . .
Sonderfall der verfassungsrechtlichen Bindungen des Gesetzgebers als Folge von verfassungsgerichtlichen Entscheidungen über Bundesgesetze . . . . . . . . . . . . . . .
a) Unvereinbarkeit und Nichtigkeit von Gesetzen sowie Folgenbewältigung (§§ 78 f.
BVerfGG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Der gebotene Respekt des Verfassungsgerichts vor dem Gesetzgeber . . . . . . .
47
47
47
48
(1) Der Ausgleich zwischen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und dessen
Verfassungsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
(2) Vereinbarkeitserklärungen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
bb) Schwerpunkte für Unvereinbarkeitserklärungen sowie Nebenentscheidungen . . .
49
(1) Die in Betracht zu ziehenden Fallgruppen einer Unvereinbarkeitserklärung .
49
(1a)
Gleichheitsverstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
(1b)
Weitere denkbare Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
(1c)
Nichtigkeit eines (auch) begünstigenden Gesetzes . . . . . . . . . .
50
(1d)
Zeitliche (vergangenheitsbezogene) Einschränkungen . . . . . . . .
50
(1e)
Unvereinbarkeiten bei aufhebenden Gesetzen (“Aufleben“ früheren
Rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
(2) Weitergeltungsanordnungen (meist zu den Zwecken der Verhinderung eines
rechtlichen Vakuums sowie von Unsicherheiten über die Rechtslage) . . . . .
50
(2a)
Haushaltswirtschaftlich bedeutsame Steuernormen . . . . . . . . .
51
(2b)
(Weitere) Sonderkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
(2c)
Schlagwortartige Zusammenfassung (Abwägungsergebnis) . . . . .
51
(3) Insbesondere: Dauer der Weitergeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
(3a)
Kriterien für eine Zubilligung von Übergangsfristen . . . . . . . .
51
(3b)
Absehen von einer Fristsetzung bei absehbarer “Heilung“ . . . . .
52
(4) Vollstreckungsanordnungen und Übergangsregelungen (hauptsächlich gestützt
auf § 35 BVerfGG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
(4a)
Nebenentscheidungen zur Verwirklichung des gefundenen Rechts .
52
(4b)
Absehen von Nebenentscheidungen bei Absehbarkeit von alsbaldigen “Heilungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
(5) Erstreckungen von Unvereinbarerklärungen auf andere Normen
. . . . . . .
52
Brunn - Kapitel A.III.0.
Seite 29
(5a)
Erstreckung auf bereits aufgehobene Gesetze . . . . . . . . . . . .
52
(5b)
Erstreckung auf inhaltsgleiche Bestimmungen anderer Gesetze . .
53
cc) Die Folgen einer Unvereinbarerklärung für den Gesetzgeber
. . . . . . . . . . .
53
(1) Pflicht zur rückwirkenden Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes . .
53
(2) Ausnahmen
53
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(3) Spezielle Ausnahmefälle
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
(3a)
Steuerrecht (haushaltswirtschaftlich bedeutsame Vorschriften) . .
53
(3b)
Beamtenrecht (Alimentation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
dd) Nichtig- bzw. Unvereinbarkeitserklärung und spezielle Folgen (insbesondere “strukturbedingte normative Regelungsdefizite“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
(1) Die grundlegende Unterscheidung zwischen inhaltlicher Unvereinbarkeit der
Norm mit dem Grundgesetz und einem (“bloßen“ oder “evidenten“) Mangel im
Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
(1a)
“Bloßer“ Mangel im Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . .
54
(1b)
Verordnung und Nichterfüllung gesetzlicher Pflichten . . . . . . .
54
(2) Nichtigerklärungen von Ausschlussnormen als (ausnahmsweise) zulässige Ausnahme vom Verbot der Teilnichtigerklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
(2a)
Beispielsfälle für den Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
(2b)
Beispielsfälle für die Ausnahme (insbesondere Nichtigkeit von Begünstigungen und Ausschlussnormen) . . . . . . . . . . . . . . . .
55
(3) Folgen einer Nichtigerklärung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
(3a)
Entfallen einer Sperrwirkung nach Art. 72 GG . . . . . . . . . . .
55
(3b)
Nichtigkeit einer Bezugsnorm und Auswirkungen auf die verweisende Norm (Ausgangsnorm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
Prüfpflichten für Behörden und Gerichte . . . . . . . . . . . . . .
56
(3c)
ee) Wirkungen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf unanfechtbare
behördliche und gerichtliche Akte (§ 79 BVerfGG) . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) Wiederaufnahme bei Strafurteilen (§ 79 Abs. 1 BVerfGG)
. . . . . . . . . .
56
56
(2) Unberührtheit von nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen (§ 79 Abs. 2
BVerfGG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
(3) Normen, deren Rechtswirkungen ohne Zwischenschaltung von Behörden oder
Gerichten eintreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
(4) Sonderfälle (Rentenrecht, Beamtenrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
(5) Privatrechtliche Rechtsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
(6) Insbesondere: Vollstreckungsverbote (§ 79 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BVerfGG) .
57
ff) Schlagwortartige Zusammenfassung der Folgen von Nichtig- bzw. Unvereinbarkeitserklärungen im Hinblick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft . . . .
(1) Verbot der Anwendung verfassungswidriger Normen
b)
55
58
. . . . . . . . . . . . .
58
(2) Einfluss des § 79 BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
(3) “Heilungs- bzw. Abhilfepflichten“ des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . .
Die Bindung nach Art. 94 GG i.V.m. § 31 BVerfGG . . . . . . . . . . . .
58
58
aa) Sachentscheidungen über Vereinbarkeit/Unvereinbarkeit (Nichtigkeit) als Auslöser
von Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) Tenor und Bindung an Gründe
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
59
Brunn - Kapitel A.III.0.
Seite 30
(2) Beanstandende Entscheidungen und gesetzgeberische Hauptaufgaben . . . .
(2a)
Beseitigungspflichten (bzw. Heilungsoptionen) . . . . . . . . . . .
59
(2b)
“Wiederholungsverbote“
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
(1) Tenorbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
(2) Prozesshindernisse als denkbare Folgen einer Rechtskraft . . . . . . . . . . .
60
(3) Ausnahmemöglichkeit der Berufung auf veränderte Verhältnisse . . . . . . .
60
cc) Bindungswirkung (Gesetzeskraft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
bb) Rechtskraft
(1) Tenortragende Entscheidungsgründe
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
(2a)
Erfordernis der besonderen Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
(2b)
“Missachtung“ einer ergangenen Entscheidung des Verfassungsgerichts als Verstoß gegen verfassungsrechtliche Rücksichtnahmepflichten (Organtreue) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
(2) Verbot der Normwiederholung?
c)
59
(3) Verbot der inhaltsähnlichen Norm? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
(4) Bindungen früher unbeteiligter Beteiligter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
(5) “Gesetzeskraft“ (§ 31 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anhang: Überblick über die gebräuchlichsten (statistisch häufigsten) Formen der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
aa) Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
(1) Funktion der Verfassungsbeschwerde (Vorrang des individuellen Rechtsschutzes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
62
(1a)
Gegenstand) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
(1b)
Verfahrenserledigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
(1c)
Rechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
(2) Beschwerdebefugnis (Betroffenheit) als für alle Verfassungsbeschwerden geltende Zulässigkeitsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
(2a)
Selbstbetroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
(2b)
Gegenwärtige Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
(2c)
Unmittelbare Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
(2d)
Betroffenheit durch “Vorauswahlen“ . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
(3) Fristwahrung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
(3a)
Allgemeines zur Fristberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
(3b)
Monatsfrist und Möglichkeit der Wiedereinsetzung . . . . . . . . .
64
(3c)
Monatsfrist und (offensichtlich) unzulässiger vorgängiger Rechtsbehelf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
(Zulässige) Begründungsergänzung (und unzulässige Erweiterung
des Gegenstandes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
Begründung bei gerichtlichen Entscheidungen mit verschiedenen
(tragenden) Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
(3d)
(3e)
(4) Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungsgründe . . . .
64
(4a)
Grundsatz (Unzulässigkeit, Erfordernis der Tenorbeschwer) . . . .
65
(4b)
Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
Brunn - Kapitel A.III.1.
Seite 31
(5) “Erschöpfung“ des Rechtswegs (Subsidiarität) . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
(5a)
Begründungserfordernisse sowie Subsidiaritätsgrundsatz . . . . . .
65
(5b)
Gegenvorstellung (und gesetzlich geregelte Gehörsrüge) . . . . . .
66
(5c)
Unzulässiger Rechtsbehelf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
(5d)
Ausnahme bei “Unzumutbarkeit“ der Rechtswegerschöpfung . . .
66
(6) Die innerhalb einer Jahresfrist zu erhebende Verfassungsbeschwerde gegen
Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
(6a)
Unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . .
67
(6b)
Darlegung einer möglichen Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . .
67
(6c)
Sonderfall des Angriffs auf eine Verfassungsnorm und das ausfüllende Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
bb) Vorlage durch ein Fachgericht (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG)
(1) Darlegung der Entscheidungserheblichkeit
. . . . . . . . . . .
68
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
(2) Darlegung der (verfassungsrechtlichen) Vorlagegründe
. . . . . . . . . . . .
68
(3) “Vorentscheidung“ des Verfassungsgerichts und Vorlage . . . . . . . . . . . .
68
(4) Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
cc) Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . .
68
(1) Parteifähigkeit (§§ 13 Nr. 5, 63 BVerfGG)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
(1a)
Fraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
(1b)
Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
(2) Taugliche Antragsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
(3) Antragsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
(4) Frist (von sechs Monaten)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
(5) (Entfallenes) Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
dd) Abstrakte Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG)
. . . . . . . . . . . . . .
69
(1) Antragsberechtigung (Art. 93 Abs.1 Nr. 2 i.V.m. § 76 Abs. 1 BVerfGG . . .
70
(1a)
Die unterschiedlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten von § 76
Nr. 1 BVerfGG einerseits und § 76 Nr. 2 BVerfGG andererseits . .
70
Antragsberechtigung im Falle einer Zustimmung im Bundesrat . .
70
(2) Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
(3) Antrag und Prüfungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
(4) Objektives Klarstellungsinteresse (Indizierung und Ausnahmen) . . . . . . .
71
(1b)
ee) Bund-Länder-Streit i.S.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG
. . . . . . . . . . . . . . . .
ff) Allgemeiner Prüfungsmaßstab bei Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) Folgenabwägung (bei “offenem“ Ausgang des Hauptsacheverfahrens)
(2) Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes als seltene Ausnahme
71
71
. . . .
71
. . . . . . . .
71
Das Grundgesetz ist als ranghöchstes innerstaatliches Recht nicht nur Maßstab für die Gültigkeit von Rechtsnormen aus innerstaatlicher Rechtsquelle; jede dieser Rechtsnormen ist im Einklang mit dem Grundgesetz
auszulegen. Sie empfängt daraus im Rahmen ihres Wortlauts gegebenenfalls einen ergänzenden Sinn oder
ist, wenn die übrigen Voraussetzungen hierfür erfüllt sind, im Einklang mit dem Grundgesetz fortzubilden.
Denn das Grundgesetz ist Teil der Gesamtrechtsordnung, die als Sinnganzes verstanden werden muss und
jeglicher Auslegung innerstaatlichen Rechts zugrunde zu legen ist (BVerfGE 75, 201 [218 f.]).
Brunn - Kapitel A.III.1.
Seite 32
1. Die Primärbindung des Gesetzgebers an die “verfassungsmäßige Ordnung“ (Art.
20 Abs. 3, 1. Alt. GG)
Wie bereits eingangs (A. vor I. und A.I.2.a) (vgl. S. 3) ) angedeutet, sieht es einfacher aus als es ist,
zu bestimmen, worin im einzelnen diese verfassungsrechtliche Norm(en)bindung besteht (welche Verstöße
des Gesetzgebers in Betracht zu ziehen sind; vgl. ausführlicher nachfolgend A.III.1.c)bb) (vgl. S. 35) und
A.III.4.b)cc) (vgl. S. 60) sowie E.I.3.b)bb) (vgl. S. 370) ).
a) “Gewisse“ Bindungen
Soweit Art. 20 Abs. 3 (1. Alt.) GG den Gesetzgeber an die “verfassungsmäßige Ordnung“ bindet, erschließt
sich der Umfang dieser Ordnung nur durch eine ordnungsgemäße Verfassungsinterpretation (vgl. zu Einzelheiten der Verfassungsinterpretation nachfolgend 2.), wobei freilich eine Unterscheidung danach zulässig
erscheint, ob eine Bindung gewissermaßen “auf der Hand liegt“ oder nicht:
aa) Bindungen durch die Grundrechte (und durch die Staatszielbestimmungen in Art. 20 a GG?)
Gewiss ist - erstens -, dass (über die selbstverständliche Bindung an Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3
GG - Menschenwürde - hinaus) wegen Art. 1 Abs. 3 GG (nachfolgend E.I.3. (vgl. S. 366) ) die “nachfolgenden
Grundrechte“ den Gesetzgeber binden (BVerfGE 7, 377 [410] “Dem Verfassungsgericht ist der Schutz der
Grundrechte gegenüber dem Gesetzgeber übertragen.“).
Schon nicht mehr so gewiss ist, ob es gewissermaßen die Grundrechte “als solche“ sind, welche den Gesetzgeber binden, oder die Grundrechte in der Auslegung, wie sie durch das Bundesverfassungsgericht interpretiert
worden sind (ausführlich nachfolgend c)bb) sowie E.I.3.b)bb) (vgl. S. 370) ), weil durchaus in Frage zu stellen
ist, dass die in Art. 94 Abs. 1 GG vorgesehene “Gesetzeskraft“ dem Gesetzgeber von vornherein eine andere
Interpretation als die durch das Bundesverfassungsgericht gefundene verbietet.
Seit einer Grundgesetzergänzung des Jahres 1994 stellt sich die Frage, ob Art. 20 a GG den Gesetzgeber (zur
Kompetenz C.VII.11. (vgl. S. 166) ) überhaupt bzw. in ähnlicher Weise wie die Grundrechte bindet oder
nicht:
(1) Umsetzungsauftrag des Art. 20 a GG
Art. 20 a GG verpflichtet den Gesetzgeber, den in Art. 20 a GG enthaltenen Auftrag bei der Rechtsetzung
umzusetzen und geeignete Umweltschutzvorschriften zu erlassen. Dabei ist der Gesetzgeber zwar auf dem
Nachhaltigkeitsprinzip verpflichtet, ihm steht aber ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BVerfGE 118, 79
[110]).
(2) Ziel des Umweltschutzes und einzelne Schutzgüter
Das Ziel des Umweltschutzes ist ein Sachgrund, dessen Legitimität sich u.a. aus dem in Art. 20 a GG enthaltenen Auftrag ergibt, in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen
zu schützen. Dieser Auftrag kann sowohl Gefahrenabwehr gebieten als auch Risikovorsorge legitimieren
(BVerfGE 137, 350 [368 f.]).
(2a) Biologische Vielfalt und Sorge für bedrohte Tier- und Pflanzenarten
Zu den von Art. 20 a GG geschützten Umweltgütern gehören auch die Erhaltung der biologischen Vielfalt
und die Sicherung eines artgerechten Lebens bedrohter Tier- und Pflanzenarten (BVerfGE 128, 1 [37]).
(2b) Tierschutz
Als Belang von Verfassungsrang ist der Tierschutz, nicht anders als der in Art. 20 a GG zum Staatsziel
erhobene Umweltschutz, im Rahmen von Abwägungsentscheidungen zu berücksichtigen und kann geeignet
sein, ein Zurücksetzen anderer Belange von verfassungsrechtlichem Gewicht - wie etwa die Einschränkung
von Grundrechten - zu rechtfertigen. Er setzt sich aber andererseits gegen konkurrierende Belange von
verfassungsrechtlichem Gewicht nicht notwendigerweise durch (BVerfGE 127, 293 [328]).
Brunn - Kapitel A.III.1.
Seite 33
(2c) Schutz vor denkbaren Gefahren der Gentechnik
Angesichts eines noch nicht endgültig geklärten Erkenntnisstandes der Wissenschaft bei der Beurteilung der
langfristigen Folgen eines Einsatzes von Gentechnik trifft den Gesetzgeber eine besondere Sorgfaltspflicht ,
bei der er den in Art. 20 a GG enthaltenen Auftrag zu beachten hat, auch in Verantwortung für die künftigen
Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen (BVerfGE 128, 1 [37]).
bb) Bindungen durch die Kompetenzordnung
Gewiss ist - zweitens - auch, dass die Kompetenzordnung (nachfolgend Kapitel C.) der Art. 70 ff. GG
(i.V.m. Art. 30 GG) den Gesetzgeber bindet (BVerfGE 125, 260 [313] formelle Anforderungen), denn wenn
nach Art. 20 Abs. 1 GG die Bundesrepublik Deutschland ein Bundesstaat ist und die Länder mit Gewissheit zur (eigenen) Gesetzgebung berufen sind, kann schlechterdings nicht angenommen werden, dass der
Bundesgesetzgeber insoweit nicht gebunden sein könnte; auch hier kann freilich in Frage zu stellen sein, ob
der Gesetzgeber (gewissermaßen für alle Zeiten) an eine - von ihm als misslungen angesehene - Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (etwa zum kompetenzmäßigen Begriff “Strafrecht“, hierzu nachfolgend
C.VII.1.b) (vgl. S. 157) ) gebunden ist, oder ob er es wagen darf, mit guten Gründen einen erneuten Versuch
zu wagen.
cc) Bindungen an die Grundsätze in Art. 20 GG sowie an die Verfahrensgrundrechte
Aus Art. 20 Abs. 1 GG folgt - drittens - mit Gewissheit, dass (auch und gerade) der Gesetzgeber an die
Gebote des Demokratie- (nachfolgend D.III.) und des Sozialstaatsprinzips (nachfolgend D.IV.) gebunden ist,
und aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG folgt - viertens -, dass er mit Gewissheit an das Gewaltenteilungsprinzip
(nachfolgend D.VI.) gebunden ist.
Das Rechtsstaatsprinzip (nachfolgend D.V.), das sich vor allem (aber nicht nur) in den sog. Verfahrensgrundrechten und sonstigen Verbürgungen der Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 103 GG und Art. 104 GG (nachfolgend
Kapitel F.) ausdrückt, ist - fünftens - ebenso gewiss vom Gesetzgeber zu beachten, wobei sich freilich auch
hier sich immer die vorbezeichnete Frage stellt, ob das Bundesverfassungsgericht durch seine Maßstabsbildungen, d.h. die entscheidungstragenden Festlegungen von Umfang und Grenzen von Verfassungsbestimmungen,
gewissermaßen mit “Verfassungskraft“ den Gesetzgeber bindet, wodurch - so lässt sich argumentieren - das
Bundesverfassungsgericht die Rolle eines verfassungschaffenden und -verändernden Gesetzgebers einnehmen
würde.
dd) Bindungen an die Art. 76 ff. GG
Schließlich dürfte - sechstens - schlechterdings nicht zu verneinen sein, dass - wie die verfassungsgerichtliche
Prüfung etwa in der Entscheidung BVerfGE 125, 260 (313) erweist - der Gesetzgeber an die “Verfahrensregeln“ der Art. 76 ff. GG gebunden ist (hierzu nachfolgend C.II.).
b) “Ungewisse“ Bindungen
Die nachfolgend aufgeworfenen Fragen lassen sich jedenfalls nicht so eindeutig beantworten wie die gerade
aufgeworfenen:
aa) Identität der “verfassungsmäßigen“ Ordnungen?
Schon nicht mehr gewiss ist, ob sich die verfassungsmäßige Ordnung des Art. 20 Abs. 3 GG womöglich
mit derjenigen des Art. 2 Abs. 1 GG (in der tradierten und im wesentlichen unbestrittenen Auslegung
des Bundesverfassungsgerichts, E.II.2.b) (vgl. S. 399) ) deckt bzw. warum sich gerade nicht deckt (vgl.
nachfolgend 2.a)bb)(1)), weil dann der Gesetzgeber an seine eigene (frühere) Gesetzgebung gebunden wäre,
was schlechterdings ausgeschlossen erscheint.
bb) Bedeutung des Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG?
Mit der vorstehenden Frage hängt zusammen, was das Grundgesetz meint, wenn es bestimmt, dass ein
Bundesgesetz regeln darf, in welchen Fällen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts “Gesetzeskraft“
haben (hierzu ausführlich nachfolgend 4.).
Brunn - Kapitel A.III.1.
Seite 34
cc) Bindungen an Menschenrechtskonvention, Gemeinschaftsrecht und Völkerrecht?
Nicht völlig gewiss ist, ob der Gesetzgeber auch an die Menschenrechtskonvention (BVerfGE 138, 296
[155 ff.] für Art. 9 und Art. 14 EMRK und deren Auslegung durch den EGMR; freilich für Auslegung durch
Gerichte), das Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht und das Völkerrecht gebunden ist; aus einer Zusammenschau
des Art. 1 Abs. 2 GG (E. I. 2.), der Art. 23 bis 25 GG sowie des Art. 59 Abs. 2 GG dürfte sich freilich zwanglos
eine grundsätzlich (vollständig) bejahende Beantwortung der Frage ergeben (vgl. BVerfGE 141, 220 [341]
zur Einbindung in die internationale Gemeinschaft und zur Ausrichtung auf internationale Zusammenarbeit;
ausführlich nachfolgend A.III.2.d) (vgl. S. 39) und A.III.3. (vgl. S. 42) ).
dd) Bindungen an die Geschäftsordnung des Bundestages?
Gleichfalls zumindest nicht gewiss ist, dass der Gesetzgeber nicht an die Geschäftsordnung des Parlaments
(Art. 40 GG) gebunden ist, soweit diese die Zusammensetzung etwa eines Ausschusses (etwa einer parlamentarischen Kontrollkommission) regelt, und deshalb ohne weiteres zum Mittel der Gesetzgebung greifen darf,
um eine von der Mehrheit “unerwünschte“ Mitwirkung (in Ausschüssen) von Parlamentariern zu verhindern,
die zu Minderheitsfraktionen gehören.
Zwar darf - obgleich “die Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip keine Feststellung der Wahrheit ist“
(BVerfGE 70, 324 [366, 369]) abweichende Meinung) - das Mehrheitsprinzip (Art. 42 Abs. 2 GG) regelmäßig unbedenklich zum Zuge kommen, wenn das Parlament als Gesetzgeber agiert, aber es ist gerade
die Frage, ob das Parlament durch Gesetz (also regelmäßig durch Regelungen mit Außenwirkungen im gesamten Rechtsverkehr) eine bestehende, auf der Parlamentsautonomie beruhende Geschäftsordnung, die die
“inneren“ Angelegenheiten des Parlaments regelt (BVerfGE 130, 318 [348 ff.] sowie BVerfGE 131, 152 [213
f.]) und auch und gerade dem Minderheitenschutz dient, “aushebeln“ darf, wie dies entschieden worden ist
(BVerfGE 70, 324 [Ls. 6 und 361]; demgegenüber BVerfGE 70, 324 [380, 386 ff.] abweichende Meinung).
Ob entsprechende Fragen sich auch im Zusammenhang des (neuen) Art. 45 d GG ergeben, ist eine offene
Frage.
ee) Bindungen an einfachrechtliche Aussagen des Verfassungsgerichts
Eher ungewiss ist auch, ob und inwieweit der Gesetzgeber (über die angerissene Frage der Bindung des
Gesetzgebers an die Auslegung des Verfassungsrechts durch das Verfassungsgericht hinaus) an - freilich
meist sehr zurückhaltend formulierte - verfassungsgerichtliche Aussagen zum “einfachen“ Gesetzesrecht
gebunden ist; bei entscheidungstragenden Aussagen dürfte diese Frage wegen Art. 94 Abs. 1 Satz 1 GG
i.V.m. § 31 BVerfGG meist zu bejahen sein (nachfolgend 4. b)).
c) Insbesondere: (Ungewisse) Bindungen von Gerichten und Behörden sowie des
Gesetzgebers an verfassungsgerichtliche Verfassungsinterpretationen
Was zunächst die Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts angeht, Behörden und Gerichte zur verfassungsentsprechenden Auslegung und Anwendung des Rechts anzuhalten und sie insoweit hinsichtlich bereits
ergangener verfassungsgerichtlicher Auslegung des Verfassungsrechts zu binden, so ist diese im Wesentlichen
geklärt:
[1] Das Bundesverfassungsgericht hält die Gerichte dazu an, “die jeweils einschlägigen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene
gewahrt bleibt“ (BVerfGE 115, 51 [66 f.]), und es (beanstandet nicht nur Verfehlungen verfassungsrechtlicher Vorgaben bei Einzelfall-Subsumtionen, sondern) “setzt über den Einzelfall hinausreichende Maßstäbe,
an welche die ... Gerichte bei ihrer künftigen Rechtsprechung in gleichgelagerten Fällen ... gebunden sind“
(a.a.O. [67]; dort auch zum Ausschluss verfassungswidriger Interpretationsmöglichkeiten).
[2] Dies gilt gegenüber dem
A.III.4.b)cc) (vgl. S. 60) ):
Gesetzgeber so
zumindest nicht uneingeschränkt (vgl. u.a. nachfolgend
aa) Bindung des Gesetzgebers an verfassungsgerichtliche Interpretationen?
Sieht man von einigen wenigen Bestimmungen ab, welche im Hinblick auf ihre Bindungswirkung (meist “inter
partes“) verhältnismäßig einfach zu interpretieren sind (nachfolgend bb) sowie ausführlich nachfolgend 4.),
Brunn - Kapitel A.III.1.
Seite 35
so fällt es äußerst schwer, die Frage zu beantworten, ob insbesondere der Gesetzgeber einer “allgemeinen
Bindung“ an ausnahmslos alle (entscheidungstragenden) Verfassungsinterpretationen des Verfassungsgerichts
gebunden ist, bis dieses neu interpretiert.
(1) Ausgangsfrage
Ob eine vorliegende verfassungsgerichtliche Interpretation einer Verfassungsbestimmung zwingend zur
verfassungsmäßigen Ordnung i.S.v. Art. 20 Abs. 3 (1. Alt.) GG mit der Folge gehört, dass sie den Gesetzgeber
- welcher an die Verfassung “schlechthin“ gebunden ist (BVerfGE 6, 32 [38]) - bindet, ist - wie bereits
mehrfach angedeutet (A.I.2.a) (vgl. S. 3) und A.III.1. (vgl. S. 31) ) - zumindest keine (aus dem Wortlaut
des Grundgesetzes) leicht zu beantwortende Frage (vgl. auch nachstehend E.I.3.b)bb) (vgl. S. 370) ).
(2) “Erweiterung“ der Fragestellung
Man kann die Frage sogar noch “zuspitzend“ erweitern, indem man unterteilt zwischen vorliegender - erstens
- “konkreter“ (auf eine bestimmte Norm bezogener) und - zweitens - “abstrakter“ (im Sinne der Methodenlehre), nämlich normübergreifender (hierzu A.III.2. (vgl. S. 36) ) verfassungsgerichtlicher Auslegung der
Verfassung.
In beiden Fällen dürfte freilich die Beantwortung - vorbehaltlich einer “Missachtung“ des Verfassungsgerichts
durch den Gesetzgeber (BVerfGE 135, 259 [281 f.]; dort auch zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der
Organtreue) - gleichlautend sein:
bb) Beantwortungsversuch
Wenn das Bundesverfassungsgericht - sieht man von der materiellen Rechtskraft ab, die “denselben Streitgegenstand zwischen denselben Parteien“ erfordert (BVerfGE 104, 151 [196]) - sich selbst von den “Fesseln“
früherer Rechtsprechung befreien darf (BVerfGE 4, 31 [38 f.]; dort auch zum Unterschied zur Rechtskraft ,
deren Umfang sich ausschließlich nach dem Tenor bemisst; vgl. auch BVerfGE 20, 56 [86 f.]), spricht manches
dafür, dass der Gesetzgeber (zwar mit Gewissheit nicht immer wieder, aber doch zumindest bei - einmaliger
oder wiederholter - höchst umstrittener Interpretation) den möglichst gut begründeten Versuch unternehmen darf, bei Gelegenheit der Schaffung eines anderen Gesetzes oder einer anderen Einzelnorm (bei einem
lediglich wiederholten Gesetz bzw. einer bloß wiederholenden Einzelnorm dürfte regelmäßig - BVerfGE 96,
260 [263] - Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. § 31 BVerfGG einschlägig sein) eine vorliegende verfassungsgerichtliche Interpretation in Frage zu stellen (vgl. den Rechtsgedanken in der Entscheidung BVerfGE 39, 169
[181 ff.] zu Art. 100 Abs. 1 GG), freilich mit dem Risiko, dass dieser Versuch scheitert und der Gesetzgeber
(erneut) vor einem “Trümmerhaufen“ steht (keinesfalls ausreichend dürfte insoweit die Motivation sein, “das
Verfassungsgericht habe es doch so nicht meinen können“).
(1) “Vorklärung“ durch die Entscheidung BVerfGE 77, 84 (104)
Eine diese Fragen abschließende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht - soweit ersichtlich noch aus (vgl. aber BVerfGE 77, 84 [104] mit der verhältnismäßig eindeutigen Aussage, dass Gesetze “an
der Verfassung selbst und nicht an verfassungsgerichtlichen Präjudizien zu messen“ sind); mit Gewissheit
gilt daher zunächst “nur“, dass sich die Bindung des Gesetzgebers nicht in der Verpflichtung erschöpft, bei
Erlass eines Gesetzes die verfassungsrechtlichen Grenzen einzuhalten, sondern auch die Verantwortung dafür
umfasst, dass die Gesetze in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz bleiben (BVerfGE 88, 203 [310]).
(2) Aufgabenüberschreitung des Verfassungsgerichts
In die gleiche Richtung weist die Beantwortung der Frage, ob eine derart bindende Verfassungsinterpretation nicht zu einem “Rollentausch“ zwischen dem verfassungschaffenden bzw. -verändernden Gesetzgeber
und dem Verfassungsgericht führt , weil - zumindest bis in den Gesetzgebungsorganen die für Verfassungsänderungen notwendigen Quoren zustande gekommen sind - letzteres über seine ihm zustehende Rolle als
Verfassungsinterpret hinaus in diejenige des insoweit herrschenden Verfassungsorgans (nämlich des verfassungsändernden Gesetzgebers) “hineinwüchse“.
Im Extremfall könnte dies sogar dazu führen, dass - jedenfalls bis zu einem “Einschreiten“ des verfassungsändernden Gesetzgebers - das Verfassungsgericht i.S.v. Art. 79 Abs. 3 GG verfassungswidriges Verfassungsrecht
erzeugte.
Brunn - Kapitel A.III.2.
Seite 36
(3) Problem der “blockierten“ Fortbildung des Verfassungsrechts
Am überzeugendsten dürfte es sein, die Ausgangsfrage folgendermaßen zu beantworten:
Wenn es - erstens - richtig ist, dass das Verfassungsgericht eine - an sich zulässige - Korrektur der eigenen
Rechtsprechung nicht aus eigener Initiative vornehmen darf (BVerfGE 77, 84 [104]), und - zweitens - eine
der Hauptaufgaben der Verfassungsgerichtsbarkeit die “Fortbildung des Verfassungsrechts“ ist (BVerfGE 6,
222 [240]), so kann es weder im Interesse der Verfassung (“als solcher“) noch des Verfassungsgerichts selbst
liegen, dass eine gewissermaßen “überfällige“ Fortbildung des Verfassungsrechts dadurch - womöglich über
Jahre und Jahrzehnte - “blockiert“ sein kann, dass sich kein Streitverfahren auftut, welches Gelegenheit zu
entsprechender Fortentwicklung böte.
Damit wäre auch der Gesetzgeber dauerhaft blockiert, wenn ihm die Möglichkeit des “Anzweifelns“ vorhandener Verfassungsinterpretation durch “abweichende“ Gesetzgebung von vornherein verwehrt wäre.
Vor diesem Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gilt (gewissermaßen “vor die verfassungsrechtliche
Klammer gezogen“):
2. Allgemeingültige Regeln für die Auslegung von Verfassungsbestimmungen
Auch bei der Ermittlung des vom Verfassungsrecht gesteckten Rahmens für die parlamentarische Gesetzgebung kann es - jedenfalls dann, wenn zu einer Verfassungsnorm noch keinerlei einschlägige Rechtsprechung
des Verfassungsgerichts vorhanden ist - nicht ausbleiben, dass Zweifel über Zweck und Inhalt von Verfassungsnormen - seien es die meist einfach zu verstehenden Verfahrens- und Kompetenznormen, seien es die
gerade wegen ihres “lapidaren“ Wortlauts meist schwer zu interpretierenden Grundrechts- oder sonstigen
materiellen Normen - entstehen, die nur durch eine - bisweilen äußerst schwierige - Verfassungsauslegung
(vgl. B.II.2. (vgl. S. 85) zur “gewöhnlichen“ Gesetzesauslegung) behoben werden können.
[1] Ein nur vordergründig gut gangbarer Weg besteht darin, die zweifelhafte Verfassungsbestimmung durch
den (einfachen) Gesetzgeber “interpretieren“ zu lassen, wie es jahrzehntelang im Recht der Kriegsdienstverweigerung unternommen worden ist, indem - freilich mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts - die von
der Verfassung (Art. 4 Abs. 3 GG) vorausgesetzte Gewissensentscheidung durch einfaches Recht deutlich
eingegrenzt worden ist.
Solange sich nämlich durch Auslegung die Reichweite einer Verfassungsbestimmung, insbesondere eines
Grundrechts, unmittelbar erschließen lässt, bleibt kein Raum für eine konstitutive Regelung durch den einfachen Gesetzgeber. Ihm ist eine “authentische Interpretation“ der Verfassung verwehrt. Versucht ein Gesetz,
den Gehalt einer Verfassungsbestimmung mit eigenen Worten verdeutlichend zu umschreiben, so geschieht
dies auf die Gefahr, dass dieser Interpretationsversuch mit der Verfassung in Widerspruch gerät (BVerfGE
12, 45 [53]).
Deshalb lässt sich beispielsweise auch die Antwort auf die Frage, wie die Worte “Das Nähere regelt ein
Gesetz“ zu interpretieren sind, nur daraus entnehmen, was die Verfassung selbst bereits über die Materie
bestimmt und was sie zur näheren Regelung offen gelassen hat (BVerfGE 15, 126 [138]).
[2] Regelmäßig wird freilich dem Bundesgesetzgeber ein “nicht unerheblicher Spielraum“ bei der Ausgestaltung des Vollzugs einer Aufgabe eingeräumt (BVerfGE 137, 108 [173]).
a) Aufgabe der Verfassungsauslegung und Einheit der Verfassung als vornehmstes
Interpretationsprinzip
Aufgabe der Verfassungsauslegung (und -rechtsprechung) ist es, die verschiedenen Funktionen einer Verfassungsnorm zu “erschließen“. Dabei ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die die “juristische
Wirkungskraft der betreffenden Norm am stärksten entfaltet“ (BVerfGE 6, 55 [72]; vgl. auch BVerfGE 6,
222 [240] “Fortbildung des Verfassungsrechts“).
[1] Materienübergreifend - und über Kompetenzfragen hinaus - gilt allgemein, dass für die Auslegung einer
Verfassungsnorm “über das gängige Wortverständnis hinaus ... das rechtliche und historische Umfeld sowie
die Zielrichtung ... von Bedeutung“ sind (BVerfGE 138, 261 [275] für eine Verfassungsänderung). Mit anderen
Worten:
[2] Die Grenzen einer Auslegung von Verfassungsnormen liegen (auch für durch Verfassungsänderungen geschaffene Normen) dort, wo einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Vorschrift ein entgegengesetzter Sinn
Brunn - Kapitel A.III.2.
Seite 37
verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm grundlegend neu bestimmt oder das normative Ziel
in einem wesentlichen Punkt verfehlt würde (BVerfGE 109, 279 [316 f.]; dort [316] auch zur Interpretation
von Grundrechtsschranken : Berücksichtigung anderer Grundrechtsnormen und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes).
aa) Grundsatz der “inneren Harmonie“ der Verfassung
Vornehmstes Interpretationsprinzip ist die Einheit der Verfassung als eines logisch-teleologischen Sinngebildes, weil das Wesen der Verfassung darin besteht, eine einheitliche Ordnung des politischen und gesellschaftlichen Lebens der staatlichen Gemeinschaft zu sein (BVerfGE 19, 206 [220]; vgl. auch BVerfGE 6, 309 [361]
“innere Harmonie des Verfassungswerks“).
Insbesondere aus den - nachfolgend (Kapitel C.) behandelten - Kompetenzvorschriften der Verfassung folgt
eine grundsätzliche Anerkennung und Billigung des darin behandelten Gegenstandes durch die Verfassung
selbst, und dessen Verfassungsmäßigkeit könnte nicht aufgrund anderer Verfassungsbestimmungen grundsätzlich in Frage gestellt werden (BVerfGE 53, 30 [56]).
bb) Funktionsbedingte Auslegung als Durchbrechung
Trotz der - vorstehend erwähnten - “Einheit der Verfassung“ muss ein im Grundgesetz mehrmals verwendeter
Begriff nicht überall denselben Inhalt haben. Auch hier hängt die Auslegung vielmehr von der Funktion ab,
die der Begriff innerhalb der jeweiligen Norm zu erfüllen hat (BVerfGE 6, 32 [38]):
(1) Beispielsfälle von Begriffen mit unterschiedlicher Bedeutung (insbesondere “verfassungsmäßige
Ordnung“)
So hat etwa das Wort “Bundesgesetz“ (oder auch “Gesetz“) im Grundgesetz nicht überall dieselbe Bedeutung.
Welche Bedeutung das Wort hat, ist jeweils aus dem Zusammenhang, in dem es verwendet wird, aus dem
Zusammenhang der Vorschrift mit anderen Bestimmungen der Verfassung sowie aus ihrem Sinn und Zweck
zu ermitteln (BVerfGE 24, 184 [195 f.]). Auch der Art. 19 Abs. 4 GG zugrunde liegende Begriff “Gericht“ hat
hier und in Art. 100 Abs. 1 GG verschiedene Bedeutungen, weil beide Normen verschiedenen Zielen dienen
(BVerfGE 6, 55 [63]).
Während die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG die verfassungsmäßige Rechtsordnung ist, d. h. die Gesamtheit der Normen, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind (BVerfGE
6, 32 [38]), kann es in anderen Zusammenhängen - wie etwa bei Art. 9 GG und möglicherweise (höchstwahrscheinlich) bei der Bindung des Art. 20 Abs. 3 (1. Alt.) GG (vorstehend A.III.1.c)bb) (vgl. S. 35) ) geboten sein, den Begriff “verfassungsmäßige Ordnung“ auf gewisse elementare Grundsätze der Verfassung
zu beschränken (a. a. O.).
(2) Sonderfall der Übernahme von Begriffen aus der WRV
Soweit freilich das Grundgesetz Materien aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen hat, darf - allerdings nicht ausnahmslos, wie das Richterrecht zeigt - angenommen werden, dass diese in demselben Sinne zu
verstehen sind, wie dies in der Weimarer Reichsverfassung der Fall war (BVerfGE 67, 299 [320]; grundlegend:
BVerfGE 3, 407 [415]).
(3) Problematischer Begriff des “Strafrechts“
Wie die jüngere Rechtsprechung (etwa BVerfGE 134, 33 [50 ff. sowie 80 ff.]) erweist, ist es bisweilen zumindest
unglücklich, wenn etwa der Begriff “Strafrecht“ im Kompetenzteil (Art. 74 GG) anders als im Zusammenhang
der Verbürgungen des Art. 103 Abs. 2 und Abs. 3 GG zu verstehen sein soll, zumal dann, wenn damit auch
noch eine (zumindest nicht ohne weiteres vereinbare) Auslegung einer EMRK-Bestimmung durch den EGMR
in Übereinstimmung gebracht werden muss.
cc) Insbesondere: Auslegung des Grundgesetzes unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte
Nicht eindeutig ist die Bedeutung der historischen Auslegung.
Brunn - Kapitel A.III.2.
Seite 38
(1) Regelfall der nicht ausschlaggebenden Bedeutung
Während für den Regelfall vertreten worden ist, dass die Gesetzesgeschichte für die Auslegung der einzelnen
Bestimmungen des Grundgesetzes ausschlaggebende Bedeutung in der Regel nicht zukommen könne (BVerfGE 111, 54 [91] ; grundlegend: BVerfGE 6, 389 [431]), ist demgegenüber auch schon die Sachdienlichkeit und
Nützlichkeit dieser Methode betont worden:
(2) Sachdienliche Heranziehung der Entstehungsgeschichte im Einzelfall
Zum Verständnis eines Gesetzes die Entstehungsgeschichte heranzuziehen, könne sachdienlich und nach den
Grundsätzen der allgemeinen Rechtslehre jedenfalls bei neueren Vorschriften unbedenklich sein, für deren
Auslegung sich feste Grundsätze noch nicht hätten bilden können (BVerfGE 62, 1 [45] ; grundlegend: BVerfGE
1, 117 [127] “Der Sinn dieser Bestimmung des Grundgesetzes ist dunkel.“), und insbesondere bei “lapidarer
Sprachgestalt“ einer Bestimmung könne der Blick auf das rechtliche und historische Umfeld der Entstehung
der Norm sowie auf ihre Zielrichtung erforderlich sein, wie sie sich in den Beratungen darstellte und wie sie
schließlich im Normzusammenhang ihren Ausdruck gefunden habe (BVerfGE 79, 127 [143 f.]).
In jüngerer Zeit lässt sich eine Tendenz feststellen, der Entstehungsgeschichte insbesondere bei (noch nicht
lange zurückliegenden) Verfassungsänderungen größere Bedeutung zuzumessen (vgl. etwa BVerfGE 138, 261
[275 ff.] für Föderalismusreform).
b) Verbot der isolierten Auslegung
Eine einzelne Verfassungsbestimmung kann - ähnlich wie bei der (damit nicht zu verwechselnden) Zuordnung von Gesetzesmaterien zu Kompetenznormen, wo die einzelnen Vorschriften eines Gesetzes nicht isoliert
betrachtet werden dürfen (BVerfGE 138, 261 [274]) - nach dem Vorstehenden in aller Regel nicht isoliert
betrachtet und allein aus sich heraus ausgelegt werden.
Aus dem Gesamtinhalt der Verfassung ergeben sich gewisse verfassungsrechtliche Grundsätze und Grundentscheidungen, denen die einzelnen Verfassungsbestimmungen untergeordnet sind. Diese sind deshalb so
auszulegen, dass sie mit den elementaren Verfassungsgrundsätzen und Grundentscheidungen des Verfassungsgesetzgebers vereinbar sind (BVerfGE 1, 14 [32 f.]; ähnlich neuerdings BVerfGE 141, 1 [33]).
aa) Spannungsverhältnis zwischen zwei Bestimmungen
Sind zwei Verfassungsnormen nur schwer in Einklang zu bringen, so hat sich ihre Auslegung mit dem zwischen
ihnen bestehenden Spannungsverhältnis auseinanderzusetzen; die Lösung kann nur so erfolgen, dass ermittelt
wird, welches Prinzip bei der Entscheidung einer konkreten Frage jeweils das höhere Gewicht hat (BVerfGE
73, 40 [97]; grundlegend: BVerfGE 2, 1 [72 f.]).
Das Bundesverfassungsgericht hatte sich - soweit ersichtlich - noch nicht mit dem (eher theoretischen) Fall
zu befassen, wonach “perplexes Verfassungsrecht“ in dem Sinne vorliegt, dass zwei Bestimmungen eindeutig
miteinander im Widerspruch stehen, weil der gleiche Sachverhalt mit unterschiedlichen Rechtsfolgen verbunden wird; man wird die Lösung nicht im “verfassungswidrigen Verfassungsrecht“ suchen können, sondern
nur etwa darin, dass “neues“ Verfassungsrecht, welches mit “altem“ - möglicherweise bereits vom Verfassungsgericht geprüftem und nicht beanstandetem, jedenfalls nicht ausdrücklich aufgehobenem - Verfassungsrecht
nicht in Einklang zu bringen ist, als zu berichtigendes offensichtliches Versehen zu behandeln ist (Umkehr
der ohnehin zweifelhaften “Regel“, wonach jüngeres immer älteres Recht verdrängt).
bb) Vorrang der speziellen Norm vor der allgemeinen Norm als auch im Verfassungsrecht gültiges
allgemeines Prinzip
Eine generelle Norm tritt regelmäßig zurück, sofern für die Beurteilung eines Sachverhalts eine spezielle
Norm zur Verfügung steht (BVerfGE 13, 290 [296]). Der Vorrang einer Spezialnorm trifft immer zu, wenn
die spezielle Norm nur als Ausformung der allgemeinen Norm erscheint, so dass in jener notwendig diese
mitbetroffen ist.
Anders liegt es, wenn der Sinngehalt der “besonderen“ Norm zunächst von der “allgemeinen“ Norm unabhängig ist, also jede eine spezifische Bedeutung hat, so dass eine Verletzung der “speziellen“ Norm ohne
gleichzeitige Verletzung der “allgemeinen“ Norm denkbar ist. Daraus kann folgen, dass eine allgemeine Norm
Brunn - Kapitel A.III.2.
Seite 39
- ausnahmsweise - den primären Maßstab für die verfassungsrechtliche Prüfung abgibt, wenn ihr spezifischer
Schutzgedanke zu der zu beurteilenden Frage die stärkere Affinität hat (BVerfGE 13, 290 [296, 298]).
cc) Die Auslegung von Regel-Ausnahme-Bestimmungen
Bei solchen Bestimmungen, die - wie etwa bei Art. 33 Abs. 4 GG (D.VII.3.) - eine von vornherein durch
Ausnahmen durchbrechbare Regel aufstellen, (darf nicht etwa die immer wieder zu vernehmende “Regel“,
die dadurch nicht richtiger wird, herangezogen werden, wonach Ausnahmebestimmungen “eng“ auszulegen
seien, sondern) ist die Heranziehbarkeit meist daran geknüpft, dass die Abweichungsmöglichkeit einer “Rechtfertigung durch einen spezifischen, dem Sinn der Ausnahmemöglichkeit entsprechenden Ausnahmegrund[es]“
bedarf (BVerfGE 130, 76 [114 f.]), was auch für die Auslegung “einfachen Rechts“ (B.II.2. (vgl. S. 85) ) gilt.
Im Übrigen kennt die Verfassung sogar “spezifische Ausnahmevorschriften von ihrerseits abschließenden
Spezialregelungen“ (BVerfGE 137, 108 [174 ff.] für Art. 91 e Abs. 2 GG).
c) Bedeutungswandel einer Norm
Auch eine Verfassungsbestimmung kann einen Bedeutungswandel erfahren, wenn in ihrem Bereich neue,
nicht vorausgesehene Tatbestände auftauchen oder bekannte Tatbestände durch ihre Einordnung in den
Gesamtablauf einer Entwicklung in neuer Beziehung oder Bedeutung erscheinen (BVerfGE 2, 380 [401]).
d) Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit
Obgleich dieser Grundsatz “Verfassungsrang“ hat, beinhaltet er keine Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller völkerrechtlichen Normen; er kann aber als “Auslegungshilfe“ für die Grundrechte, die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verfassung und das einfache Recht dienen (BVerfGE 141, 1 [28 ff., 29]; dort [30
ff.] auch ausführlich zu Art. 59 Abs. 2 GG).
e) Menschenrechtskonvention sowie deren Interpretation als Hilfe zur Auslegung
Bei der Auslegung des Grundgesetzes, insbesondere bei der Auslegung der Grundrechte (vgl. E.I.2. (vgl. S.
366) zu Art. 1 Abs. 2 GG), sind auch Inhalt und Entwicklungsstand der Europäischen Menschenrechtskonvention in Betracht zu ziehen (BVerfGE 138, 296 [355 ff.] für Art. 9 und Art. 14 EMRK und deren Interpretation
durch den EGMR), sofern dies nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach
dem Grundgesetz führt.
aa) Allgemeine Bedeutung der Menschenrechtskonvention
Im Einzelnen gilt insoweit: Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle nur im Range eines Bundesgesetzes (BVerfGE 111, 307 [317]). Die
Konvention überlässt den Vertragsparteien, in welcher Weise sie ihrer Pflicht zur Beachtung der Vertragsvorschriften genügen (a. a. O. [316]).
(1) “Rang“ der Konvention (“Auslegungshilfe“)
Zwar steht die Konvention innerstaatlich im Rang unter dem Grundgesetz, aber da (auch) die Bestimmungen
des Grundgesetzes völkerrechtsfreundlich auszulegen sind, sind der Konventionstext und die entsprechende
Rechtsprechung des Gerichtshofs auf der Ebene des Verfassungsrechts geeignet, als Auslegungshilfen für
die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundgesetzes des
Grundgesetzes zu dienen (BVerfGE 128, 326 [367 f.] sowie BVerfGE 134, 33 [60 ff.]; grundlegend BVerfGE
74, 358 [370]; vgl. auch BVerfGE 138, 296 [355 f.] für Art. 31 GG und Vorrang gegenüber Landesrecht).
Dabei werden die Wertungen der EMRK im Sinne eines “möglichst schonenden Einpassens“ in das vorhandene (dogmatisch ausdifferenzierende) nationale Rechtssystem aufgenommen (BVerfGE 137, 273 [321]; dort
auch zu Grenzen sowie “Rezeptionshemmnissen“ bei sog. mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen).
Brunn - Kapitel A.III.2.
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(2) Geltendmachung einer Verletzung
In einem Kammerbeschluss (2 BvR 209/14 [41]) ist die einschlägige Rechtsprechung wie folgt zusammengefasst worden:
Zwar kann ein Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht nicht unmittelbar die Verletzung eines
in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthaltenen Rechts mit der Verfassungsbeschwerde rügen
(vgl. BVerfGE 74, 102 [128]; BVerfGE 111, 307 [317] sowie BVerfGE 128, 326 [367]).
(2a) Geltendmachung gegenüber dem Verfassungsgericht
Er kann jedoch, gestützt auf das einschlägige Grundrecht, in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zum einen geltend machen, die Fachgerichte hätten eine Entscheidung des Gerichtshofs missachtet
oder nicht berücksichtigt (vgl. BVerfGE 111, 307 [329 f.]; vgl. auch BVerfGE 128, 326 [368]).
Denn zur Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) gehört auch die Berücksichtigung der
Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Gerichtshofs im
Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung (vgl. BVerfGE 111, 307 [323]).
Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Gerichtshofs als auch deren gegen vorrangiges Recht verstoßende schematische “Vollstreckung“ können deshalb gegen Grundrechte in Verbindung
mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen (vgl. BVerfGE 111, 307 [323 f.]).
(2b) Konventionsfreundliche Auslegung und entsprechende EGMR-Rechtsprechung
Im Rahmen der konventionsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes ist zum anderen die Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf der Ebene des Verfassungsrechts möglichst schonend
in das vorhandene, dogmatisch ausdifferenzierte nationale Rechtssystem einzupassen (vgl. BVerfGE 111,
307 [327] sowie BVerfGE 128, 326 [371]).
Die Möglichkeiten einer konventionsfreundlichen Auslegung enden dort, wo diese nach den anerkannten
Methoden der Gesetzesauslegung nicht mehr vertretbar erscheint (vgl. BVerfGE 111, 307 [329] sowie BVerfGE
128, 326 [371]).
bb) Spezielle Artikel der Menschenrechtskonvention
Hier werden nur (und auch nur partiell) solche Bestimmungen (und deren Interpretation durch die Gerichtshöfe) erwähnt, welche das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung (zustimmend) angesprochen
hat:
(1) Art. 3 EMRK
Der Begriff “unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung“ erfasst staatliche Maßnahmen,
die nicht notwendig zugleich politische Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsrechts sind. Die Folter wird vom
Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung erfasst (BVerfGE 94, 115 [136 f.]).
(2) Art. 5 EMRK
Artikel 5 Abs. 1 EMRK enthält eine abschließende Auflistung zulässiger Gründe für eine Freiheitsentziehung
(BVerfGE 128, 326 [394]; vgl. auch BVerfGE 133, 40 [56] sowie BVerfGE 134, 33 [60]). Eine “rechtmäßige
Freiheitsentziehung nach Verurteilung“ (Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a) setzt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs voraus, dass ein ausreichender Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung und
der Freiheitsentziehung besteht; die Anordnung der Freiheitsentziehung muss jeweils eine Schuldfeststellung
enthalten (BVerfGE 128, 326 [394 ff.]; vgl. auch BVerfGE 133, 40 [57]).
Nach Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe c) EMRK ist eine Freiheitsentziehung zur Vorführung “vor die
zuständige Gerichtsbehörde“ zu rechtfertigen, “wenn begründeter Anlass zur der Annahme besteht, dass sie
notwendig ist, die Person an der Begehung einer Straftat zu hindern“. Dieser Haftgrund bietet lediglich ein
Mittel zur Verhütung einer konkreten und spezifischen Straftat und steht unter formellen Voraussetzungen.
Die Existenz von Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe c) bestätigt auf der Wertungsebene, dass die Europäische Menschenrechtskonvention eine präventive Freiheitsentziehung zulässt, wenn eine Gefahr konkret und
spezifisch genug ist (BVerfGE 128, 326 [396] vgl. auch BVerfGE 131, 268 [305]).
Brunn - Kapitel A.III.2.
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Für das Tatbestandsmerkmal der psychischen Störung (“unsound mind“) muss es sich um eine zuverlässig
nachgewiesene psychische Störung handeln, die eine zwangsweise Unterbringung erfordert und fortdauert.
Wenngleich eine abschließende Definition des Begriffs der zuverlässig nachgewiesenen psychischen Störung
nicht existiert, stellt jedenfalls lediglich sozial abweichendes Verhalten keine Störung im Sinne dieser Vorschrift dar. Demgegenüber können eine dissoziale Persönlichkeitsstörung oder eine Psychopathie darunter
fallen. Bei der Beurteilung der Frage, ob das Erfordernis der psychischen Störung und ihrer Fortdauer erfüllt
ist, besitzen die Mitgliedstaaten zudem einen Beurteilungsspielraum. Gesetzliche Regelungen des betreffenden Anordnungs- oder Überprüfungsverfahrens müssen die Feststellung einer psychischen Störung im Sinne
einer ausdrücklichen Tatbestandsvoraussetzung vorsehen (BVerfGE 128, 326 [396 f.]; vgl. auch BVerfGE 134,
33 [69 ff.]; dort [71 ff.] auch dazu, dass der durch das Therapieunterbringungsgesetz eingeschlagene “dritte
Weg“ mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchst. e EMRK vereinbar ist).
Das Tatbestandsmerkmal der rechtmäßigen Freiheitsentziehung (“lawfulness“) dient der Vermeidung von
Willkür und verlangt insbesondere die Vorhersehbarkeit der Freiheitsentziehung (BVerfGE 134, 33 [72 ff.,
78 ff.]. Allerdings geht es bei diesen Voraussetzungen nicht um eine in der Vergangenheit liegende Handlung, sondern um einen gegenwärtigen Zustand (BVerfGE 128, 326 [398]). Wegen der Notwendigkeit eines
Zusammenhangs zwischen dem Zweck der Freiheitsentziehung und der Einrichtung, in der der Betreffende
untergebracht ist, ist vorausgesetzt, dass der Betroffene an einem Ort und unter Umständen untergebracht
ist, die der Tatsache Rechnung tragen, dass er (auch) aufgrund einer psychischen Störung untergebracht ist
(BVerfGE 134, 33 [72 f.]).
(3) Art. 6 EMRK
Art. 6 EMRK mit seinen Hauptprinzipien “Faires Verfahren“ und “Unschuldsvermutung“ dürfte zu den in
der hiesigen Rechtsordnung am meisten akzeptierten EMRK-Artikeln zählen (vgl. etwa BVerfGE 140, 317
[362 ff.] zur Gefahr einer unmenschlichen Behandlung als Folge einer Auslieferung):
(3a) Faires Verfahren
Was das “heikle“ Thema der (rechtswidrigen) Tatprovokation anbelangt, so nimmt der EGMR im Hinblick
auf die Bejahung einer Verletzung der Grundsätze über das faire Verfahren (Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK)
einen anderen Standpunkt (zusammenfassend 2 BvR 209/14 [42 f.]) ein als das Bundesverfassungsgericht
(a.a.O.). Im Übrigen gilt:
Die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise ist an den Maßstäben des fairen Verfahrens nach Art.
6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu messen. Ob ein Verfahren fair war, ist nach Prüfung der Gesamtumstände zu
entscheiden. In diesem Rahmen findet Berücksichtigung, welches Gewicht der Verstoß gegen innerstaatliches
Recht oder gegen ein Konventionsrecht hat.
Dies gilt auch für die Verwertung von Beweismitteln, die unter Verletzung von Art. 8 EMRK gewonnen
worden sind (BVerfGE 130, 1 [30]).
(3b) Unschuldsvermutung
Die Unschuldsvermutung ist durch Art. 6 Abs. 2 EMRK in das positive Recht der Bundesrepublik eingeführt
worden.
Sie schließt es aus, auch bei noch so dringendem Tatverdacht gegen einen Beschuldigten Maßregeln zu
verhängen, die in ihrer Wirkung einer Freiheitsstrafe gleichkommen (BVerfGE 133, 1 [31]).
(4) Art. 7 EMRK
Der EGMR legt den Begriff der Strafe (Art. 7 Abs. 1 EMRK) autonom aus, d.h. unabhängig von der
Klassifikation einer Maßnahme nach innerstaatlichen Recht.
Ausgangspunkt der Beurteilung ist demnach, ob die in Rede stehende Maßnahme infolge einer oder im
Anschluss an eine Verurteilung wegen einer Straftat verhängt wird, was bereits dazu geführt hat, dass der
EGMR etwa die Maßregel der Sicherungsverwahrung (vor allem wegen des Bezugs zur Anlasstat, aber auch
wegen der Art und Weise der Vollstreckung) als Strafe qualifiziert hat, zumal sie in einem strafrechtlichen
Verfahren angeordnet wird und - bezogen auf die Dauer der Freiheitsentziehung - einen der schwersten
Eingriffe darstellt (BVerfGE 134, 33 [67 f.], was allerdings keine Anpassung an den Strafbegriff in Art. 103
Abs. 2 GG, sondern nur eine deutlichere Konturierung des Abstandsgebots verlangen soll).
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(5) Art. 8 EMRK
In Übereinstimmung mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Persönlichkeitsschutz stellt auch der von Artikel 8 Abs. 1 EMRK dem privaten Leben des Einzelnen gewährte Schutz auf die Summe der persönlichen,
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen ab, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind. Bei der Bestimmung der Reichweite dieses Schutzes ist der situationsbezogene Umfang der
berechtigten Privatheitserwartungen des Einzelnen zu berücksichtigen.
Die Gewährleistung des Artikel 8 Abs. 1 EMRK kann auch einen (gesetzlichen) Anspruch auf Schutz durch
die staatlichen Gerichte vor Veröffentlichung von Bildnissen des Betreffenden aus seinem Alltagsleben einschließen, über dessen Reichweite im konkreten Fall unter Berücksichtigung der von Artikel 10 EMRK gewährleisteten Äußerungsfreiheit und ihrer in Artikel 10 Abs. 2 EMRK geregelten Schranken im Wege einer
Abwägung zu entscheiden ist (BVerfGE 120, 180 [201]).
Das Recht auf Achtung des Privatlebens schließt das Recht auf Identität ein, zu dem auch das Recht auf
Kenntnis der eigenen Abstammung gehört (BVerfGE 141, 186 [218 f.]).
(6) Art. 9 EMRK
Art. 9 Abs. 1 EMRK schützt neben der individuellen Religionsfreiheit auch ihre korporative Seite. Da die
Kirchen- und Religionsgemeinschaften traditionell in der Form organisierter Strukturen existieren, deren
autonomer Bestand für die Vielfalt in einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbar ist und die Glaubensfreiheit in ihrem Kerngehalt berührt, muss Art. 9 Abs. 1 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Lichte des Art. 11 Abs. 1 EMRK ausgelegt werden.
Unter diesem Blickwinkel bedingt die Glaubensfreiheit des Einzelnen auch den Schutz der rechtlich verfassten
Kirchen und Religionsgemeinschaften vor ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen im Hinblick sowohl auf
religiöse als auch auf organisatorische Fragen. Ohne diesen Schutz der Organisation nach Maßgabe des
religiösen Selbstverständnisses durch die Konvention wäre auch die effektive Wahrnehmung der individuellen
Religionsfreiheit beeinträchtigt (BVerfGE 137, 273 [321]; vgl. auch BVerfGE 138, 296 [356 f.] für Art. 9 Abs.
2 EMRK und Schutz der negativen Religionsfreiheit Dritter).
(7) Art. 10 EMRK
Die Tätigkeit der Presse ist von der in Artikel 10 Abs. 1 Satz 1 EMRK gewährleisteten Äußerungsfreiheit
sowie den von Artikel 10 Abs. 1 Satz 2 EMRK gewährleisteten Freiheiten der Übermittlung und des Empfangs
von Informationen und Meinungen umfasst. Der Schutz des Artikel 10 Abs. 1 EMRK schließt insbesondere
die Veröffentlichung von Fotoaufnahmen zur Bebilderung einer Medienberichterstattung ein (BVerfGE 120,
180 [202 f.]).
Nach der Auslegung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verpflichtet Art. 10 EMRK die
Konventionsstaaten, durch gesetzliche Ausgestaltung die Vielfalt im Rundfunk zu gewährleisten und diese
Pflicht insbesondere nicht dadurch zu unterwandern, dass eine gewichtige ökonomische oder politische Gruppe
oder der Staat eine dominante Position über eine Rundfunkanstalt oder innerhalb einer Rundfunkanstalt
einnehmen kann und hierdurch Druck auf die Veranstalter ausüben kann (BVerfGE 136, 9 [36]).
(8) Art. 14 EMRK
Ein Verbot religiöser Symbole, das sich nicht direkt gegen eine bestimmte Religionszugehörigkeit richtet,
kann auch im Lichte des Diskriminierungsverbots von Art. 14 EMRK aus denjenigen Gründen unbedenklich
sein, aus denen auch ein (darin liegender) Eingriff in Art. 9 EMRK gerechtfertigt sein kann, etwa weil die
Regelung alle religiösen Bekundungen gleichermaßen trifft (BVerfGE 138, 296 [357]).
3. Verfassungs-Bindungen des Gesetzgebers im Zusammenhang mit Gemeinschaftsbzw. Unions- und Völkerrecht
Das Grundgesetz bindet die Bundesrepublik Deutschland mit der Präambel, Art. 1 Abs. 2 GG, Art. 9 Abs. 2
GG, Art. 16 Abs. 2 GG, Art. 23 bis Art. 26 GG und Art. 59 Abs. 2 GG in die internationale Gemeinschaft ein
und hat die deutsche öffentliche Gewalt programmatisch auf internationale Zusammenarbeit ausgerichtet.
Hierzu gehört ein Umgang mit anderen Staaten auch dann, wenn deren Rechtsordnungen und -anschauungen
Brunn - Kapitel A.III.3.
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nicht vollständig mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen. Dies zielt auch darauf,
die zwischenstaatlichen Beziehungen im gegenseitigen Interesse wie auch die außenpolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung zu erhalten (BVerfGE 141, 220 [341]).
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts finden sich folglich immer wieder Aussagen des Inhalts,
dass - erstens - der Gesetzgeber einen Vorrang des Gemeinschaftsrechts zu beachten hat (BVerfGE 126,
286 [301 f.]; vgl. auch BVerfGE 116, 271 [314] für Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts “in
Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts“ sowie BVerfGE 129, 78 [99 f.]) und zweitens - nationales Recht (sogar u.U. Verfassungsrecht) “ völkerrechtsfreundlich “ auszulegen sein kann
(BVerfGE 128, 326 [366 ff.]), was im Ergebnis zweifelsfrei eine - freilich nicht absolute - verfassungsrechtliche
Bindung des Gesetzgebers bereits bei der Schaffung neuen Rechts (und der Veränderung bestehenden Rechts)
bedeuten kann . Deshalb die wichtigsten Aussagen zu diesen Rechtsquellen (speziell zur EMRK vorstehend
2. d)):
a) Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht (Art. 23 GG i.V.m. Art. 24 GG sowie Art. 59
Abs. 2 GG)
Das Recht der Europäischen Gemeinschaft, deren Mitglied die Bundesrepublik Deutschland ist, ist nicht
als fremdes Recht zu qualifizieren (BVerfGE 45, 142 [169]). Es ist deshalb teils unmittelbar, teils mittelbar
anzuwenden.
In letzter Zeit hat sich die Frage in den Vordergrund (der verfassungsgerichtlichen Befassung) geschoben,
inwieweit Art. 23 GG (i.V.m. Art. 24 GG) die Übertragung von Hoheitsrechten erlaubt und wo verfassungsrechtliche Grenzen zu ziehen sein könnten (nachfolgend C.III.3. (vgl. S. 130) ).
aa) Primäres Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts finden sich zwar - soweit ersichtlich - keine Aussagen,
was im Einzelnen das primäre (und sekundäre) EU-Recht ausmacht (dies dürfte Aufgabe der Gerichtshöfe
sein), aber solche zu den innerstaatlichen Folgen einer zutreffenden Qualifizierung:
(1) Allgemeine und unmittelbare Geltung durch Zustimmungsgesetze (Art. 59 Abs. 2 GG)
Was zunächst das primäre Gemeinschaftsrecht anbelangt, so gilt es für den Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland kraft des Rechtsanwendungsbefehls, den die Zustimmungsgesetze gem. Art. 59 Abs. 2 GG
den Gemeinschaftsverträgen erteilt haben, allgemein und unmittelbar (a.a.O.).
Auch im Übrigen kommt “Rechtsakten“ das Gemeinschaftsrecht für den Fall eines Widerspruchs zu innerstaatlichem Gesetzesrecht ein Anwendungsvorrang zu.
(2) Anwendungsvorrang
Dieser Anwendungsvorrang gegenüber (späterem wie früherem) nationalem Gesetzesrecht beruht auf
einer ungeschriebenen Norm des primären Gemeinschaftsrechts, der durch die Zustimmungsgesetze zu den
Gemeinschaftsverträgen i.V.m. Art. 24 Abs. 1 GG der innerstaatliche Rechtsanwendungsbefehl erteilt worden ist (BVerfGE 75, 223 [244]; vgl. auch BVerfGE 85, 191 [204]; BVerfGE 123, 267 [400] sowie BVerfGE
126, 286 [301 f.]; dort auch zu Art. 23 Abs. 1 GG sowie zu nationalem Recht , welches “jenseits des
Anwendungsbereichs einschlägigen Unionsrechts“ einen Regelungsbereich behalten kann).
bb) Sekundäres Gemeinschaftsrecht
War niemals ernsthaft streitig, dass Rechtsverordnungen des Gemeinschaftsrechts eine “unmittelbare“ Geltung anhaftet, so hat das Bundesverfassungsgericht auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
als mit Verfassungsrecht vereinbar beurteilt, wonach eine “unmittelbare“ Rechtswirkung anderer Rechtsakte,
vor allem von Richtlinien (vgl. als Beispiel einer Heranziehung einer Richtlinie für die verfassungsrechtliche
Überprüfung einer Landesnorm BVerfGE 139, 19 [50 ff.]), keineswegs ausgeschlossen sei.
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(1) Problematik der nicht durch nationales Recht umgesetzten Akte
Namentlich gilt dies, wenn Richtlinien noch nicht durch nationales Recht umgesetzt worden sind; in diesen
Fällen können sich auch Bürger unter Umständen gegenüber dem eigenen Mitgliedstaat auf die Richtlinie “berufen“, und der Staat kann ihnen gegenüber die Nichterfüllung der Richtlinie nicht entgegenhalten
(BVerfGE 75, 223 [237 ff., 240 ff.]).
(2) Auslegung anhand der Vertragsziele
Insoweit gilt übergreifend, dass es zulässig ist, vorhandene Kompetenzen der Gemeinschaft im Lichte und
im Einklang mit den Vertragszielen auszulegen und zu konkretisieren (a.a.O. [242]).
cc) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
Bei dieser Auslegung ist auch immer zu berücksichtigen, wie der Gerichtshof das primäre und sekundäre
Gemeinschaftsrecht interpretiert und fortgebildet hat (BVerfGE 126, 286 [305 f.]; vgl. auch BVerfGE 135,
155 [230 ff.] für gerichtliche Vorlagepflichten und damit in Zusammenhang stehende Ermittlungs- und Prüfpflichten).
Wo Grenzen einer solchen Auslegung und Rechtsfortbildung zu ziehen sein könnten, ist bisher im Einzelnen
unerörtert geblieben; eine Grenze ist mit Sicherheit erreicht, wenn von dem Grundsatz, dass jede Strafe
Schuld voraussetzt, abgewichen wird, weil das Schuldprinzip zu der wegen Art. 79 Abs. 3 GG (hierzu:
BVerfGE 109, 279 [310] und BVerfGE 123, 267 [341, 344]; hier: D. I.; vgl. auch BVerfGE 135, 317 [386]
für Vorgänge, welche demokratische Grundsätze berühren, die Art. 79 Abs. 3 GG auch dem Zugriff des
verfassungsändernden Gesetzgebers entzieht) unverfügbaren Verfassungsidentität gehört, die auch vor
Eingriffen durch die supranational ausgeübte öffentliche Gewalt geschützt ist (BVerfGE 123, 267 [413]; vgl.
auch BVerfGE 140, 317 [362 ff.] freilich im Zusammenhang mit Auslieferungen).
dd) (Verfassungsgerichtlicher) Rechtsschutz des Bürgers gegen Unionsrecht umsetzendes nationales
Recht
Sehr schwierig ist es, die Frage zu beantworten, wie ein Bürger mit Aussicht auf Erfolg die Verfassungswidrigkeit von nationalem Recht geltend machen kann, welches Unionsrecht umsetzt:
(1) “Zurückhaltung“ des Verfassungsgerichts als Grundsatz
Das Bundesverfassungsgericht übt seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von Gemeinschafts- oder
nunmehr Unionsrecht, das als Grundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, grundsätzlich nicht aus (vgl. auch
nachfolgend ee)) und überprüft dieses Recht nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, solange
die Europäischen Gemeinschaften (bzw. heute die Europäische Union), insbesondere die Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs, einen wirksamen Schutz der Grundrechte generell gewährleisten, der dem vom
Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist,
zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt (BVerfGE 73, 339 [387] sowie BVerfGE 102,
147 [162 f.]).
Diese Grundsätze gelten auch für innerstaatliche Rechtsvorschriften, die zwingende Vorgaben einer Richtlinie in deutsches Recht umsetzen. Verfassungsbeschwerden, die sich gegen die Anwendung von in diesem
Sinne verbindlichem Recht der Europäischen Union richten, sind grundsätzlich unzulässig (BVerfGE 118, 79
[95] sowie BVerfGE 121, 1 [15]).
(2) Ausnahmen bei Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und Kompetenz- bzw. Verstoß gegen eine
europäische Grundrechtsverbürgung
Beschwerdeführer können sich auf die Grundrechte des Grundgesetzes jedoch insoweit berufen, als der Gesetzgeber bei der Umsetzung von Unionsrecht Gestaltungsfreiheit (vgl. auch nachfolgend ee) für Normenkontrollverfahren) hat, das heißt durch das Unionsrecht nicht determiniert ist (BVerfGE 121, 1 [15]).
Darüber hinaus können Verfassungsbeschwerden aber auch insoweit zulässig sein, als die angegriffenen Vorschriften auf Richtlinienbestimmungen beruhen, die einen zwingenden Inhalt haben.
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Das kann dann der Fall sein, wenn Beschwerdeführer geltend machen, dass es einer Richtlinie an einer
gemeinschafts- bzw. unionsrechtlichen Kompetenzgrundlage fehle oder sie gegen europäische Grundrechtsverbürgungen verstoße.
Jedenfalls dann, wenn sie dies nicht vor den Fachgerichten geltend machen konnten, können sie eine Vorlage
an den Europäischen Gerichtshof mit dem Ziel erstreben, dass dieser die Richtlinie für nichtig erkläre - und
damit eine uneingeschränkte verfassungsrechtliche Prüfung des Umsetzungsgesetzes ermögliche - (BVerfGE
125, 260 [306 f.] für Speicherungspflichten).
ee) Die verfassungsgerichtliche Prüfung (insbesondere im Normenkontrollverfahren) von (auch “umgesetztem“) sekundärem Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht
Das Bundesverfassungsgericht ist grundsätzlich gehindert, über die Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht zu
entscheiden, weil es sich hierbei nicht um Akte deutscher Staatsgewalt handelt.
(1) Grundsatz
Über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht in Deutschland, das von deutschen Hoheitsträgern als Rechtsgrundlage in Anspruch genommen wird, übt das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit nicht mehr aus und überprüft dieses Recht mithin nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften, einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der
Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu erachten ist, zumal den Wesensgehalt der jeweiligen Grundrechte
generell verbürgt.
Dies gilt für gemeinschaftsrechtliche Verordnungen und Richtlinien, aber auch für innerstaatliche Rechtsvorschriften, die eine Richtlinie in deutsches Recht umsetzen, soweit das Gemeinschaftsrecht keinen Umsetzungsspielraum lässt.
(2) Ausnahme des Gemeinschafts-/Unionsrechts mit Umsetzungsspielraum
Anders ist es aber, wenn das (umsetzende) nationale Recht auf Gemeinschafts-/Unionsrecht beruht, welches
einen Umsetzungsspielraum lässt (BVerfGE 122, 1 [20 f.] für ein Gesetz, welches von einer Option zur
Regionalisierung Gebrauch gemacht hat; dort [21] auch - nicht entscheidungstragend - zu denkbaren Folgen
einer Unvereinbarkeitsentscheidung).
b) Völker(vertrags-)recht als bindendes (meist nicht mehr fremdes) Recht
Mehrfach hat das Bundesverfassungsgericht (etwa BVerfGE 132, 134 [161 f.] zum “Existenzminimum“)
zum Ausdruck gebracht, dass der (einfache) Gesetzgeber (über verfassungsrechtliche Verpflichtungen hinaus) durch “Vorgaben verpflichtet“ sein kann, welche sich (neben Recht der EU) aus völkerrechtlichen Verpflichtungen - wie etwa dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (vom
19. Dezember 1966) sowie dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes (vom 20. November 1989) ergeben.
Für den Gesetzgeber ist wichtig, dass - erstens - (auch) der Einzelne zunehmend als Subjekt des Völkerrechts
angesehen werden kann (BVerfGE 94, 315 [329 ff.]) und - zweitens - allgemein bei der “Gestaltung der
innerstaatlichen Rechtsordnung“ die in Art. 25 GG angesprochenen Regeln zu beachten sind (BVerfGE 75,
1 [18 f.] sowie BVerfGE 109, 13 [26]).
aa) Art. 25 Abs. 1 GG (Allgemeines Völkerrecht)
Art. 25 GG betrifft das allgemeine Völkerrecht, nicht das Völkervertragsrecht - nachfolgend bb) - (BVerfGE
100, 266 [269]; vgl. auch BVerfGE 117, 141 [149]).
Seine Existenz und Tragweite muss (regelmäßig erst) festgestellt werden (BVerfGE 23, 288 [317]; vgl.
auch BVerfGE 118, 124 [134]).
Allgemeine Völkerrechtsregeln werden Bestandteil des Bundesrechts nur mit ihrem jeweiligen Inhalt und
in ihrer jeweiligen Tragweite (BVerfGE 18, 441 [448]; vgl. auch BVerfGE 41, 126 [160]).
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(1) Völkergewohnheitsrecht als Hauptgruppe
Es handelt sich um (vorwiegend universell geltendes) Völkergewohnheitsrecht - ergänzt durch anerkannte allgemeine Rechtsgrundsätze, wie etwa “pacta sunt servanda“ - (BVerfGE 31, 145 [178]; beispielhaft
BVerfGE 109, 13 [27 f.] “an zwei Voraussetzungen geknüpft“; vgl. auch BVerfGE 118, 244 [271] “völkergewohnheitsrechtliches Gewaltverbot“ sowie BVerfGE 118, 124 [139] für Berücksichtigung von Entscheidungen
von internationalen Schiedsgerichten).
(2) Einzelne Fallgruppen
In jüngerer Zeit hat sich das Bundesverfassungsgericht u.a. mit einer Auslieferung eines mit “List“ in den ersuchten Staat gelockten Ausländers (BVerfGE 109, 13), mit der “Staatenimmunität“ (BVerfGE 117, 141 [150
ff.]), der “Berufung auf Staatsnotstand“ (BVerfGE 118, 124 [135 ff.]) sowie dem völkergewohnheitsrechtlichen
“Austritt aus einem Vertrag“ (BVerfGE 132, 195 [286]) befasst.
bb) “Schlichtes“ Völkervertragsrecht
Während mithin Art. 25 GG sogar dazu führen kann, dass die Bundesrepublik Deutschland - in Form von
Gesetzgeber, Exekutive und Rechtsprechung - (die Völkerrechtsordnung nicht nur zu respektieren hat,
sondern sogar) verpflichtet ist, auf ihrem Territorium die Unversehrtheit der elementaren Grundsätze des
Völkerrechts zu garantieren und bei Völkerrechtsverletzungen (durch Dritte) “einen Zustand näher am
Völkerrecht herbeizuführen“ (BVerfGE 112, 1 [24]), was auch bewirken kann, dass sie verpflichtet ist, bestimmte Handlungen - wie etwa Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen unter Strafe zu stellen (BVerfGE 123, 267 [409]), genießen vertragliche Vereinbarungen, auch wenn sie
objektives Recht setzen, diese Vorrangstellung nicht (BVerfGE 6, 309 [363]; vgl. auch BVerfGE 41, 88 [120
f.]).
(1) Völkerrechtliche Verträge
Völkerrechtliche Verträge (ausführlich BVerfGE 141, 1 [15 ff.] Rang eines einfachen Bundesgesetzes; im
Falle ihrer Verfassungswidrigkeit binden sie nicht ) sind alle Übereinkünfte zwischen zwei oder mehr
Völkerrechtsubjekten, durch welche die zwischen ihnen bestehende Rechtslage verändert werden soll. Auch
Übereinkünfte zur Änderung bestehender Verträge gehören dazu (BVerfGE 104, 151 [200]; dort auch zu
Formfragen sowie zu Indizien für und gegen den Vertragscharakter; vgl. zu bloßen “Abmachungen“ BVerfGE
68, 1 [84 f.]).
Bei offener Auslegung muss “im Lichte des nationalen Verfassungsrechts“ ausgelegt werden (BVerfGE 99,
145 [158]; dort auch zur Heranziehung allgemeiner Regeln des Völkerrechts). Die Regel des Vorbehalts der
“clausula rebus sic stantibus“ kann im Völkerrecht eine Rolle spielen (BVerfGE 34, 216 [230]).
(2) Zustimmungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 Satz 1GG) als “Rechtsanwendungsbefehl“
Das Völkervertragsrecht ist zwar auf der einen Seite innerstaatlich nicht unmittelbar, d.h. ohne Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG (hierzu grundlegend: BVerfGE 1, 396 [410 f.]; vgl. auch BVerfGE 104,
151 [209] sowie BVerfGE 118, 244 [259 f.]; dort auch zu wesentlichen Abweichungen), als geltendes Recht zu
behandeln und - wie auch das Völkergewohnheitsrecht (vgl. Art. 25 GG, hierzu vorstehend aa) - nicht mit
dem Rang des Verfassungsrechts ausgestattet (BVerfGE 111, 307 [318]).
Aber auf der anderen Seite - weil nicht anzunehmen ist, dass der Gesetzgeber, sofern er das nicht klar
bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen abweichen will - sind Gesetze im Einklang mit völkerrechtlichen Verpflichtungen (zu gestalten,) auszulegen und anzuwenden, auch und gerade wenn sie später
erlassen worden sind als ein solcher Vertrag (BVerfGE 74, 358 [370]; einschränkend aber BVerfGE 112, 1
[25]).
Ein Zustimmungsgesetz erteilt - ähnlich wie Art. 25 Satz 1 GG (BVerfGE 46, 342 [363]) - einen “Rechtsanwendungsbefehl“ (BVerfGE 111, 307 [316 f.] sowie BVerfGE 118, 244 [259]; zur verfassungskonformen
Auslegung des Völkerrechts grundlegend: BVerfGE 36, 1 [14]); soweit der Vertrag transformierbares Recht
enthält, erlangt dieses die Qualität innerstaatlichen Rechts durch das Zustimmungsgesetz (BVerfGE 42, 263
[284]).
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(3) Veränderungsfähigkeit früherer Zustimmungsakte
Entgegen einer beachtlichen Mindermeinung lässt es die Verfassung zu, dass ein späterer Gesetzgeber innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen - Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber (Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen) revidiert; insoweit gilt (auch hier) der Grundsatz lex posterior
derogat legi priori (BVerfGE 141, 1 [15 ff, 20]; dort [26 ff.] auch ausführlich zum “ungeschriebenen“ Grundsatz
der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes).
(4) Verfassungsverletzungen bei bindenden Verträgen
Schwierig ist der Fall zu lösen, dass ein Vertragsgesetz die Verfassung verletzt, aber der Vertrag bindet; der
verfassungswidrige Zustand muss - soweit möglich - “beseitigt“ werden (BVerfGE 45, 83 [96 f.]; vgl. auch
BVerfGE 84, 90 [113] für Verfassungsbeschwerde gegen das Vertragsgesetz).
4. Sonderfall der verfassungsrechtlichen Bindungen des Gesetzgebers als Folge von
verfassungsgerichtlichen Entscheidungen über Bundesgesetze
Die statistisch am häufigsten auftretenden Fälle von konkreten “Verfassungsaufträgen“ zur Gesetzgebung
dürften, nachdem die Aufträge des Urgrundgesetzes (1949) “abgearbeitet“ sein dürften (vgl. etwa BVerfGE
119, 394 [409] für Art. 134 Abs. 3 und 4 GG), nach Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auftreten,
welche Normen des Bundesrechts (zumindest zum Teil) beanstanden, wobei freilich selbst bei (noch) unbeanstandeten Normen aus den Gründen des Erkenntnisses (bzw. einer abweichenden Meinung) möglicherweise
gefolgert werden kann, dass es für den Bundesgesetzgeber zumindest nützlich sein könnte, vorsorglich künftigen Beanstandungen durch Gesetzesverbesserungen vorzubeugen (“Ankündigungsrechtsprechung“; vgl.
beispielhaft BVerfGE 138, 64 für Aufhebung eines fachgerichtlichen Urteils wegen Verletzung von Art. 101
Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. Art. 100 Abs. 1 GG [unterlassene Vorlage] infolge missglückter verfassungskonformer Auslegung [86 ff.] und ausdrückliches Offenhalten der Frage der Verfassungswidrigkeit einer Norm des
Bundesrechts [101]).
Was die Folgen von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (für den Gesetzgeber und die Rechtsunterworfenen) anbelangt, so ist der Gesetzgeber gut beraten, sehr präzise zu unterscheiden zwischen den
unmittelbaren und den mittelbaren Folgen; während die erstgenannten gewissermaßen “Sofortreaktionen“
des Gesetzgebers (und der Rechtsanwender) erfordern (nachfolgend a) ff)) schlagwortartig zu den Folgen),
wirken sich die “mittelbaren“ Folgen oft erst sehr viel später aus, nämlich dann, wenn ein ähnliches Gesetzesvorhaben (wie das auf dem Prüfstand gestanden habende) in Angriff genommen werden soll (Stichworte:
“Normwiederholungen“ und “inhaltsähnliche“ Gesetze).
In der Folge werden daher - überblicksartig - erstens denkbare Aussprüche des Bundesverfassungsgerichts
- nachfolgend a) - sowie zweitens deren “Bindungen“ - nachfolgend b) - dargestellt:
a) Unvereinbarkeit und Nichtigkeit von Gesetzen sowie Folgenbewältigung (§§ 78 f.
BVerfGG)
[1] Zwar ist grundsätzlich ein gegen die Verfassung verstoßendes Gesetz - entsprechend den Darlegungen
unter nachfolgend dd) - für nichtig zu erklären (BVerfGE 8, 1 [19 f.]; vgl. auch BVerfGE 113, 1 [25]). Aber
das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) bestimmt als Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit nicht
ausnahmslos die Nichtigkeit der Norm, sondern es lässt auch eine bloße Verfassungswidrigerklärung zu (§ 31
Abs. 2, § 79 Abs. 1 BVerfGG; BVerfGE 87, 153 [177 f.]).
[2] Das Letztere ist vor allem dann geboten, wenn durch eine Nichtigerklärung ein Zustand geschaffen würde,
der der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünde als die verfassungswidrige Regelung:
Neben den Grundrechten werden vor allem das Rechts- und das Sozialstaatsprinzip als verfassungsrechtliche
Gründe anerkannt, welche die befristete Weitergeltung einer nicht verfassungskonformen Regelung rechtfertigen können. Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn mit der Nichtigerklärung der angegriffenen
Regelung ein rechtliches Vakuum aufträte und sowohl bei den Behörden als auch bei den Rechtsunterworfenen
Unsicherheit über die Rechtslage entstünde.
Die Feststellung der Unvereinbarkeit einer Rechtslage mit dem Grundgesetz darf auch nicht dazu führen,
dass der Verwaltung zeitweilig die Erfüllung verfassungsrechtlicher Pflichtaufgaben mangels hinreichender
gesetzlicher Grundlage unmöglich gemacht wird (BVerfGE 137, 108 [171 f.]).
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[3] Außerdem ist eine bloße Unvereinbarkeitserklärung angezeigt, wenn der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten hat, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (BVerfGE 87, 153 [177 f.] ; vgl. auch BVerfGE
132, 134 [173 f.]).
Dies trifft nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (ausführlich nachfolgend bb)(1a))
insbesondere dann zu, wenn die Norm wegen eines Gleichheitsverstoßes (E.III.1.) verfassungsrechtlich beanstandet wird, der auf verschiedene Weise geheilt werden kann (grundlegend: BVerfGE 22, 349 [361 f.]; vgl.
auch BVerfGE 133, 377 [423 f.]).
[4] Es verbleibt dann bei einer bloßen Beanstandung der Verfassungswidrigkeit ohne den Ausspruch der
Nichtigkeit.
Die Unvereinbarkeitserklärung kann das Bundesverfassungsgericht dabei zugleich mit der Anordnung einer
befristeten Fortgeltung der verfassungswidrigen Regelung verbinden. Dies kommt in Betracht, wenn die
sofortige Ungültigkeit der zu beanstandenden Norm dem Schutz überragender Güter des Gemeinwohls die
Grundlage entziehen würde und eine Abwägung mit den betroffenen Grundrechten ergibt, dass der Eingriff
für eine Übergangszeit hinzunehmen ist.
Für die Übergangszeit kann das Bundesverfassungsgericht vorläufige Anordnungen treffen, um die Befugnisse der Behörden bis zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes durch den Gesetzgeber auf das zu
reduzieren, was nach Maßgabe dieser Abwägung geboten ist (BVerfGE 141, 220 [351]; dort [351 ff.] zu einer
ca. zweijährigen Fortgeltung und [352] zu - sehr detaillierten - einschränkenden Maßgaben zur Fortgeltung).
aa) Der gebotene Respekt des Verfassungsgerichts vor dem Gesetzgeber
Der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht sehr häufig von der bloßen Unvereinbarkeitserklärung
Gebrauch macht (weshalb sie hier auch als erste Möglichkeit dargestellt wird), liegt letztlich in dem Respekt
des Bundesverfassungsgerichts vor dem Verfassungsorgan Bundesgesetzgeber (vgl. BVerfGE 35, 193 [199]
“Oberste Verfassungsorgane haben von Verfassungs wegen aufeinander Rücksicht zu nehmen.“) begründet:
Durch mehrere Vorschriften des Grundgesetzes (insbesondere durch Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 20 Abs.
3 GG und Art. 100 Abs. 1 GG) wahrt die Verfassung die “Autorität“ des Gesetzesgebers:
Gesetze , die unter der Herrschaft des Grundgesetzes erlassen worden sind, sollen (solange nicht das
Bundesverfassungsgericht ihre Nichtigkeit oder Unwirksamkeit allgemeinverbindlich festgestellt hat) befolgt
werden; insbesondere Fachgerichte dürfen sich nicht über den Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen, indem
sie seinem Gesetz die Anerkennung versagen.
Zudem soll es über die Gültigkeit von Gesetzen keine einander widersprechenden Gerichtsentscheidungen
geben (BVerfGE 138, 64 [90 f.]; dort [90] auch zum “Verwerfungsmonopol“ des Verfassungsgerichts und dort
[91] auch zu “Rechtsunsicherheit“ und “Rechtszersplitterung“).
(1) Der Ausgleich zwischen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und dessen Verfassungsbindung
Zwar lässt sich nicht behaupten, dass das Bundesverfassungsgericht immer in die Gestaltungsfreiheit des
Gesetzgebers dadurch eingreift, dass es unmittelbar durch seine Entscheidung eine neue Rechtslage in
einem bestimmten Sinne schafft (BVerfGE 87, 114 [135 f.]), aber für alle Fälle einer (tenormäßig) verfassungsrechtlichen Beanstandung, sei es eine Nichtigerklärung, sei es nur eine Unvereinbarkeitserklärung, gilt,
dass das Verfassungsgericht die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (zumindest berührt, meistens) beeinträchtigt, denn die Folgen einer solchen Erklärung (vgl. nachstehend cc) und dd)) sind zumindest die, dass
die betreffende Norm in der Regel (durch Behörden und Gerichte) nicht mehr angewendet werden darf.
Die Verfassungsbindung des Gesetzgebers und die Forderung nach Verfassungsmäßigkeit des einfachen
Rechts stehen - unbeschadet des verfassungsgerichtlichen Respekts - gleichwohl nicht unter einem generellen
Vorbehalt des Möglichen.
Grundsätzlich, soweit keine besonderen, schwerwiegenden Gründe entgegenstehen, sind deshalb die zeitlichen und sachlichen Grenzen der Möglichkeiten verfassungsmäßigen gesetzgeberischen Handelns allenfalls
im Rahmen differenzierender Bestimmung der Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zu berücksichtigen (BVerfGE 105, 73 [132]).
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(2) Vereinbarkeitserklärungen
Die den Gesetzgeber “schonendste“ Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist und bleibt freilich die
Vereinbarkeitserklärung mit der Verfassung; ist die Vereinbarkeitserklärung lediglich auf bestimmte Artikel
des Grundgesetzes bezogen, so lässt sich gut vertreten, dass im Übrigen ohne wesentliche Bindungen in
künftigen Verfahren “neu“ entschieden werden kann.
Allgemein gilt für die Gültigkeitserklärung, dass das Bundesverfassungsgericht ihre Gültigkeit positiv feststellen muss, wenn eine Rechtsvorschrift mit dem Grundgesetz nicht unvereinbar ist, soweit dies angängig
ist, was regelmäßig der Fall ist, wenn es sich um Bundesrecht handelt (grundlegend: BVerfGE 1, 14 [64]; vgl.
auch BVerfGE 95, 1 [15] sowie BVerfGE 95, 243 [248]).
Erklärt das Bundesverfassungsgericht eine Norm des Bundesrechts für vereinbar mit der Verfassung, so
hat dies (neben der Gewissheit für den Gesetzgeber) auch die Folge, dass etwa ein (nicht) vorlegendes
Fachgericht i.S.d. § 31 Abs. 2 BVerfGG hieran gebunden wäre und in seinem abschließenden Erkenntnis
von der Gültigkeit der Norm ausgehen müsste (BVerfGE 138, 64 [101] für eine unzulässig unterbliebene
Vorlage).
bb) Schwerpunkte für Unvereinbarkeitserklärungen sowie Nebenentscheidungen
Wie bereits angedeutet, haben sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf
die Unvereinbarkeitserklärung folgende Schwerpunkte herausgebildet:
Erstens: die in Betracht zu ziehenden Fallgruppen - nachstehend (1) -;
zweitens: die Weitergeltungsanordnungen - nachstehend (2) sowie (3) -;
drittens: die Vollstreckungsanordnungen und Übergangsregelungen - nachstehend (4) -;
viertens: die Erstreckung von Unvereinbarkeitserklärungen auf andere Normen - nachstehend (5) -; fünftens:
die Folgen für den Gesetzgeber - nachstehend cc) -.
(1) Die in Betracht zu ziehenden Fallgruppen einer Unvereinbarkeitserklärung
Wie bereits angedeutet (vorstehend a)), ist eine Haupt-Fallgruppe der Unvereinbarkeitserklärung die Feststellung eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz, weil dann der Gesetzgeber in der Regel die Möglichkeit
hat, auf verschiedene Weise den Verstoß zu beseitigen (BVerfGE 139, 19 [63]; dort [63 f.] auch zu einer
unzureichenden bzw. fehlenden Ermächtigungsnorm für eine Verordnung).
(1a) Gleichheitsverstöße
Beruht die Verfassungswidrigkeit ausschließlich auf einem solchen Verstoß, so gilt inzwischen nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geradezu ein umgekehrtes Regel-AusnahmeVerhältnis: Regelfolge ist die Unvereinbarkeit, während Nichtigkeit die Ausnahme darstellt (BVerfGE
110, 94 [138]; dort [138 f.] auch zur ausnahmsweisen Nichtigerklärung; hierzu auch BVerfGE 104, 74 [91 f.]
Sonderfall einer Pflicht zur Einbeziehung einer bisher ausgeschlossenen Personengruppe).
Stellt das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit einer Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG fest, folgt daraus in der Regel die Verpflichtung des Gesetzgebers , rückwirkend, bezogen auf den in der gerichtlichen
Feststellung genannten Zeitpunkt, die Rechtslage verfassungsgemäß umzugestalten. Hierzu kann das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Frist setzen. Gerichte und Verwaltungsbehörden dürfen die
Norm im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden , laufende Verfahren sind
auszusetzen.
Im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs für Zeiträume einer weitgehend schon abgeschlossenen Veranlagung hat das Bundesverfassungsgericht
allerdings wiederholt die weitere Anwendbarkeit verfassungswidriger Normen für gerechtfertigt erklärt und
dem Gesetzgeber eine Frist eingeräumt, um binnen angemessener Zeit verfassungsgemäße Regelungen zu
erlassen (BVerfGE 138, 136 [250 f.] sowie BVerfGE 139, 64 [147 f.]).
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(1b) Weitere denkbare Fälle
Im Übrigen sind Unvereinbarkeitserklärungen in Betracht gezogen worden,
• wenn der verfassungswidrige Teil einer Norm nicht klar abgrenzbar ist (BVerfGE 92, 158 [186]),
• wenn die Norm verfassungsrechtlich beanstandet wird, weil sie nicht ergänzend grundrechtliche Schutzpflichten normiert (BVerfGE 114, 1 [70 f.]),
• wenn zwar Normen erlassen worden sind, die einem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag dienen, aber
deren Nichtigerklärung wegen dadurch entstehender Schutzlücken zu einem noch verfassungsferneren Zustand führen würde (BVerfGE 127, 293 [333 f.]; vgl. aber auch BVerfGE 133, 241 [260 f.] die
Schutzlücke ist - nicht durch das einfache Recht, sondern - durch die Verfassung selbst bedingt, was zur
Folge hat, dass das Bundesverfassungsgericht nicht befugt ist, eine von der Verfassung vorgegebene
Rechtslage als verfassungsfern zu qualifizieren),
• wenn die Verfassungswidrigkeit der Norm nicht in deren Regelungsgehalt, sondern im Unterlassen
einer Übergangsbestimmung liegt (BVerfGE 107, 150 [185]).
(1c) Nichtigkeit eines (auch) begünstigenden Gesetzes
Einen sehr typischen Anwendungsfall einer Unvereinbarkeitserklärung stellt die Konstellation dar, dass für
eine Begünstigung eine gesetzliche Grundlage vorhanden sein muss und infolge dessen eine Nichtigkeitserklärung dem zu Begünstigenden die gesetzliche Grundlage entziehen würde, so dass er noch schlechter
als bisher stünde. Dies kann u.a. bei Besoldungsregelungen im Beamten- und Richterrecht der Fall sein
(BVerfGE 139, 64 [147]).
Da Art. 33 Abs. 5 GG (D.VII.2.c) (vgl. S. 307) ) verlangt, dass generelle gesetzliche Besoldungsregelungen
überhaupt vorhanden sind, würde durch eine Nichtigerklärung ein Zustand herbeigeführt werden, welcher der
verfassungsmäßigen Ordnung noch weniger entsprechen würde, wenn die Verfassungswidrigkeit darin liegt,
dass die bisherige Besoldungsregelung unzulänglich geworden ist; das Bundesverfassungsgericht ist in solchen
Fällen auf die Feststellung beschränkt, dass der Gesetzgeber durch das Unterlassen einer Besoldungsänderung
das Recht des/der Beamten verletzt hat (BVerfGE 8, 1 [19 f.]; vgl. auch BVerfGE 130, 263 [312]; vgl. zum
verwandten und schwierigen Problem der nichtigen Rechtsverordnung nachstehend C.III.1.c)bb) (vgl. S. 129)
).
(1d) Zeitliche (vergangenheitsbezogene) Einschränkungen
Einen Unterfall einer solchen Unvereinbarkeitserklärung kann es darstellen, dass die aus Anlass eines Ausgangsverfahrens getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht ausreichen, um die Unvereinbarkeit einer Bestimmung bereits mit Wirkung von einem bestimmten Zeitpunkt anzugeben; so kann sich das Bundesverfassungsgericht darauf beschränken auszusprechen, dass die Bestimmung jedenfalls vom Zeitpunkt der
Klageerhebung an nicht mit der Verfassung vereinbar ist (BVerfGE 21, 292 [305]).
(1e) Unvereinbarkeiten bei aufhebenden Gesetzen (“Aufleben“ früheren Rechts)
Weil jedenfalls die Nichtigerklärung einer gesetzlichen Vorschrift, welche eine frühere gesetzliche Regelung
aufhebt, die “unangenehme“ Folge hat, dass die alte Vorschrift wieder auflebt (BVerfGE 102, 197 [208] fragwürdig; vgl. indessen BVerfGE 131, 316 [376] dazu, dass ein solches Wiederaufleben ausscheidet, wenn das
Bundesverfassungsgericht die früheren Vorschriften in wesentlichen Teilen ebenfalls für verfassungswidrig und womöglich nur für eine Übergangsfrist für weiter anwendbar - erklärt hatte), kann das Bundesverfassungsgericht die Wiederauflebens-Folgen dadurch umgehen, dass es eine mit einer Unvereinbarkeitserklärung
verbundene Weitergeltungsanordnung erlässt:
(2) Weitergeltungsanordnungen (meist zu den Zwecken der Verhinderung eines rechtlichen Vakuums
sowie von Unsicherheiten über die Rechtslage)
Ausnahmsweise sind verfassungswidrige Vorschriften (vollständig oder teilweise) weiter anzuwenden, wenn
die Besonderheit der für verfassungswidrig erklärten Norm es aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbesondere aus solchen der Rechtssicherheit (B.III.2.b)cc) (vgl. S. 95) ),notwendig macht, die verfassungswidrige
Vorschrift als Regelung für die Übergangszeit fortbestehen zu lassen, damit in dieser Zeit nicht ein Zustand
besteht, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als der bisherige (vgl. bereits a)).
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Meist muss nämlich dem Gesetzgeber ausreichend Zeit zur Verfügung stehen, um eine Neuregelung zu schaffen, die oft umfangreiche und zeitraubende Vorarbeiten erfordert, und für die Übergangszeit muss deshalb
verhindert werden, dass ein rechtliches Vakuum entsteht und bei den Betroffenen wie bei den Behörden
und Gerichten Unsicherheit über die Rechtslage herrscht (BVerfGE 61, 319 [356]; vgl. auch BVerfGE 132,
372 [394]).
(2a) Haushaltswirtschaftlich bedeutsame Steuernormen
Einen typischen Anwendungsfall hierfür stellen haushaltswirtschaftlich bedeutsame steuerrechtliche Normen
dar; für sie hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt im Interesse verlässlicher Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs für Zeiträume einer weitgehend schon abgeschlossenen
Veranlagung die weitere Anwendbarkeit verfassungswidriger Normen für gerechtfertigt erklärt (BVerfGE 105,
73 [134]; vgl. auch BVerfGE 125, 175 [258]; vgl. indessen auch BVerfGE 122, 210 [246] “Pendlerpauschale“
und vergleichsweise kurzer Anwendungszeitraum, umstrittene Verfassungsmäßigkeit).
(2b) (Weitere) Sonderkonstellationen
Einen sehr schwer zu bewältigenden Sonderfall stellt es dar, wenn der Bundesgesetzgeber fälschlich von
seiner Nicht-Kompetenz ausgeht und deshalb (nach einer entsprechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts) Zeit benötigt, um schwierigste Abwägungsentscheidungen für ein nunmehr zu erlassendes
Bundesgesetz zu treffen (BVerfGE 109, 190 [237 f.] sowie die abweichende Meinung BVerfGE 109, 190 [244,
253] für “rechtsgrundlose“ weitere Inhaftierung).
Schließlich kann es in Ausnahmefällen geboten sein, für eine Übergangszeit die Ausdehnung einer gleichheitswidrigen steuerlichen Begünstigungsnorm auch auf benachteiligte Gruppen anzuordnen; jedenfalls in
den Fällen, in denen die mit einer Unvereinbarerklärung verbundenen Unsicherheiten für die Betroffenen
gravierende Auswirkungen haben, die Ausdehnung der steuerlichen Begünstigung durch den Gesetzgeber
sehr wahrscheinlich ist und die fiskalischen Auswirkungen überschaubar sind, kommt die weitere Anwendbarkeit der gleichheitswidrigen Begünstigungsnorm unter gleichzeitiger Ausdehnung der Begünstigung für
eine Übergangszeit in Betracht (BVerfGE 121, 108 [133]).
(2c) Schlagwortartige Zusammenfassung (Abwägungsergebnis)
Schlagwortartig kommt nach allem die bloße Unvereinbarerklärung, verbunden mit der Anordnung befristeter Fortgeltung der verfassungswidrigen Regelung, in Betracht, wenn die sofortige Ungültigkeit der zu
beanstandenden Norm dem Schutz überragender Güter des Gemeinwohls die Grundlage entziehen würde
und eine Abwägung mit den betroffenen Grundrechten ergibt, dass der Eingriff für eine Übergangszeit hinzunehmen ist (BVerfGE 109, 190 [235 f.]; vgl. indessen auch die beachtlichen Gründe der abweichenden
Meinung BVerfGE 109, 190 [244 f.]; vgl. auch BVerfGE 119, 331 [382 f.] sowie BVerfGE 128, 282 [322]).
(3) Insbesondere: Dauer der Weitergeltung
Ist bereits eine Weitergeltungsanordnung als solche meist nicht unproblematisch, so kann es zusätzlich
Probleme bereiten, die Dauer der Übergangsregelung zu bestimmen bzw. beschränken. Weil der Gesetzgeber
meist durch die konkret getroffenen Anordnungen des Bundesverfassungsgerichts nicht im Unklaren sein
kann, was seine Anstrengungen für eine Neuregelung anbelangt, hier nur die Grundsätze:
(3a) Kriterien für eine Zubilligung von Übergangsfristen
Bei der Zubilligung von Übergangsfristen ist nach der Schwere des Eingriffs zu differenzieren; je tiefergreifend etwa eine Verwaltungsmaßnahme Grundrechte der Betroffenen berührt, desto strengere Anforderungen
sind an die Einräumung von Übergangsfristen und die innerhalb dieser Fristen unerlässlichen Maßnahmen zu
stellen; ist der Eingriff weniger schwerwiegend, kann eine großzügigere Anerkennung von Übergangsfristen
in Betracht kommen.
Das Bundesverfassungsgericht hat verschiedentlich darauf abgestellt, dass eine gesetzliche Regelung jedenfalls
bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode erfolgen müsse; eine Übergangsfrist kann nicht mehr länger
anerkannt werden, wenn der Gesetzgeber eine Neuregelung ungebührlich verzögert (BVerfGE 51, 268 [287
ff.]; vgl. auch BVerfGE 91, 186 [207] “schonender Übergang“).
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Das “schärfste Schwert“ ist die bundesverfassungsgerichtliche Festlegung eines Zeitpunktes, zu dem eine
Vorschrift in ihre endgültige Nichtigkeit umschlägt (BVerfGE 130, 240 [262]).
(3b) Absehen von einer Fristsetzung bei absehbarer “Heilung“
Bisweilen sieht das Bundesverfassungsgericht indessen auch davon ab, dem Gesetzgeber eine Frist für eine
vorzunehmende Neuregelung zu setzen, zumal dann, wenn die Bundesregierung im Verfahren erklärt hat, dass
es schon Vorüberlegungen für eine gesetzliche Neuregelung gebe (BVerfGE 127, 132 [165]; dort [163 f.] zu dem
Sonderfall einer Anordnung weiterer Anwendbarkeit einer Norm, die auch vom EGMR für unvereinbar mit
der EMRK erklärt worden war); in dem erwähnten Fall hat das Bundesverfassungsgericht das Unterlassen
einer Fristsetzung auch und gerade damit begründet, dass gleichzeitig mit der Weitergeltungsanordnung eine
Übergangsregelung getroffen worden ist, wobei regelmäßig eine Lösung gewählt wird, die der gesetzlichen
Regelung nicht vorgreift und sie nicht erschwert (a.a.O. [164]):
(4)
Vollstreckungsanordnungen und Übergangsregelungen (hauptsächlich gestützt auf § 35
BVerfGG)
Weil auch insoweit der Bundesgesetzgeber den jeweiligen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in
aller Regel sehr konkret entnehmen kann, wie viel Zeit ihm bleibt, eine verfassungsgemäße Regelung zu
treffen, auch hier nur die Grundsätze:
(4a) Nebenentscheidungen zur Verwirklichung des gefundenen Rechts
Neben der Verwerfung einer Norm (Nichtigkeit oder Unvereinbarkeit) und gegebenenfalls der Anordnung
weiterer Anwendbarkeit werden auch “Anordnungen“ getroffen, die erforderlich sind, um verfahrensabschließenden Sachentscheidungen Geltung zu verschaffen.
Es handelt sich dabei um den “Inbegriff aller Maßnahmen, die erforderlich sind, um solche Tatsachen zu
schaffen, wie sie zur Verwirklichung des vom Bundesverfassungsgericht gefundenen Rechts notwendig sind“
(BVerfGE 68, 132 [140]); mit anderen Worten sind Übergangsregelungen und Rechtsfolgenanordnungen die
Nebenentscheidungen , die ergehen, um der Sachentscheidung Geltung zu verschaffen und das vom Bundesverfassungsgericht gefundene Recht zu verwirklichen; sie wirken nur in den Grenzen des jeweiligen Tenors
und der ihn tragenden Entscheidungsgründe (BVerfGE 112, 268 [277]).
Einen Beispielsfall für eine Anordnung einer Abhilfemöglichkeit stellt die Plenarentscheidung BVerfGE 107,
395 (418) dar; insoweit ist für den Fall des nicht rechtzeitigen Ergehens einer erforderlichen gesetzlichen
Regelung eine Abhilfemöglichkeit angeordnet worden.
(4b) Absehen von Nebenentscheidungen bei Absehbarkeit von alsbaldigen “Heilungen“
Auch insoweit ist es schon vorgekommen, dass das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich davon abgesehen
hat, durch Erlass einer Anordnung selbst die rechtlichen Grundlagen (hier für die Durchführung von Wahlen)
bereitzustellen (BVerfGE 82, 322 [352] mit der Begründung, dass Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung
in der mündlichen Verhandlung erklärt hätten, sie seien bei Ergehen einer die Verfassungswidrigkeit der
streitbefangenen Vorschriften feststellenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts willens und in der
Lage, rechtzeitig die erforderlichen Änderungen vorzunehmen).
(5) Erstreckungen von Unvereinbarerklärungen auf andere Normen
Im Regelfall kann der Gesetzgeber aus dem Tenor der normverwerfenden Entscheidung entnehmen, hinsichtlich welcher Bestimmungen dringender Nachbesserungsbedarf besteht. In Sonderfällen ist es auch schon
vorgekommen, dass das Bundesverfassungsgericht (über die konkret angegriffene Norm hinaus) auch noch
die Unvereinbarkeit anderer Bestimmungen ausgesprochen hat:
(5a) Erstreckung auf bereits aufgehobene Gesetze
Beispielsweise hinsichtlich einer inzwischen bereits aufgehobenen Gesetzesvorschrift hat es sich nicht darauf
beschränkt, die Feststellung der Verfassungswidrigkeit nur hierauf zu erstrecken, sondern auch auf die nicht
zur Prüfung gestellte gleichlautende Vorschrift in einer neuen, gültigen Fassung des Gesetzes (BVerfGE 28,
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324 [363]; vgl. auch BVerfGE 127, 293 [333] sowie BVerfGE 129, 49 [75 f.]; vgl. auch BVerfGE 109, 279 [347]
wonach der Überprüfung und Bewertung “auch die nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde erfolgten
Gesetzesänderungen“ unterliegen).
(5b) Erstreckung auf inhaltsgleiche Bestimmungen anderer Gesetze
Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht seine Unvereinbarerklärung auch schon erstreckt auf inhaltsgleiche Bestimmungen anderer Gesetze: Nach § 78 Satz 2 BVerfGG, der im Verfahren der Verfassungsbeschwerde entsprechend anwendbar ist, ist im Interesse der Rechtsklarheit (D.V.3.a)bb) (vgl. S. 260)
) eine Fülle solcher anderer Bestimmungen für unvereinbar mit der Verfassung erklärt worden (BVerfGE 94,
241 [265 f.]; vgl. auch BVerfGE 99, 202 [216] sowie BVerfGE 104, 126 [150] für Nachfolgevorschriften).
cc) Die Folgen einer Unvereinbarerklärung für den Gesetzgeber
Vor diesem Hintergrund gilt hinsichtlich der Folgen für den Gesetzgeber Folgendes:
(1) Pflicht zur rückwirkenden Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes
Weil - wie bereits vorstehend (bb) (1)) dargestellt - die Wirkung einer Unvereinbarerklärung regelmäßig
ist, dass ab dem Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die betreffende Regelung nicht
(mehr) angewendet werden darf (BVerfGE 105, 73 [134]), ist in der Folge einer solchen Entscheidung der
Gesetzgeber grundsätzlich berechtigt und verpflichtet , den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen, und
zwar (soweit nicht eine Weitergeltungsanordnung - vorstehend (2) - ausgesprochen worden ist) rückwirkend
für den gesamten Zeitraum, auf den sich die Unvereinbarerklärung bezieht (BVerfGE 110, 94 [138]; vgl. auch
BVerfGE 129, 49 [76] sowie BVerfGE 131, 239 [265]).
Eine solche vom Gesetzgeber zu treffende (rückwirkende) Regelung ist zunächst und vor allem für alle noch
nicht bestandskräftigen Entscheidungen zu treffen (BVerfGE 120, 125 [167]).
(2) Ausnahmen
Allgemein können Ausnahmen von der (Pflicht zur) rückwirkenden Umgestaltung der Rechtslage nach
zugelassen werden, wenn die Verfassungsrechtslage bisher nicht hinreichend geklärt gewesen und dem
Gesetzgeber aus diesem Grund eine angemessene Frist zur Schaffung einer Neuregelung zu gewähren ist
(BVerfGE 131, 239 [265 f.]; vgl. auch BVerfGE 133, 377 [423 f.]; vgl. indessen BVerfGE 132, 179 [193 f.]
dazu, dass allein das Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts, dass ein Gesetz gegen Bestimmungen
des Grundgesetzes verstößt, nicht ohne weiteres eine zuvor ungeklärte Verfassungsrechtslage zu indizieren
vermag).
(3) Spezielle Ausnahmefälle
Weitere Ausnahmen von dieser Pflicht sind insbesondere auf den Gebieten des Steuerrechts und der Beamtenbesoldung in Erwägung gezogen worden:
(3a) Steuerrecht (haushaltswirtschaftlich bedeutsame Vorschriften)
Von dem Grundsatz der Verpflichtung des Gesetzgebers zur rückwirkenden Umgestaltung der verfassungswidrigen Rechtslage können im Interesse verlässlicher Finanz- und Haushaltsplanung bei haushaltswirtschaftlich
bedeutsamen Normen Ausnahmen zugelassen werden (BVerfGE 125, 175 [258]; vgl. auch BVerfGE 132, 179
[193] sowie BVerfGE 133, 377 [423]).
Im Übrigen sind im Regelfall die Folgen einer Entscheidung, mit der das Bundesverfassungsgericht eine
steuerliche Begünstigungsnorm wegen Verletzung des Gleichheitssatzes für mit dem Grundgesetz unvereinbar
erklärt hat, vom Steuerpflichtigen hinzunehmen. Derjenige, der zur Gruppe der gleichheitswidrig Begünstigten gehört, muss nach einer solchen Entscheidung damit rechnen , dass der Gesetzgeber die gleichheitswidrige Steuerbegünstigung aufhebt und den Begünstigten - wie die anderen auch - der Regelbesteuerung
unterwirft (BVerfGE 121, 108 [132]). Hiervon kann aber in Ausnahmefällen abgewichen werden (a.a.O.
[132 f.]).
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(3b) Beamtenrecht (Alimentation)
Im Bereich der Beamtenalimentation ist zu berücksichtigen, dass die im Beamtenverhältnis bestehende
Pflicht zu gegenseitiger Rücksichtnahme zwischen Beamten und Dienstherren (D.VII.2.c) (vgl. S. 307) )
sowie der Umstand, dass die Alimentation des Beamten der Sache nach die Befriedigung eines gegenwärtigen Bedarfs aus gegenwärtig zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln darstellt, dagegen sprechen, den
Dienstherrn ohne jede Einschränkung in Bezug auf den Kreis der betroffenen Beamten zu rückwirkenden
Erhöhungen der Besoldung zu verpflichten; deshalb darf sich die rückwirkende Heilung von Verfassungsverstößen auf diejenigen Beamten beschränken, welche den ihnen von Verfassungs wegen zustehenden Alimentationsanspruch zeitnah, also während des jeweils laufenden Haushaltsjahres, gerichtlich geltend gemacht
haben, ohne dass über ihren Anspruch schon abschließend entschieden worden ist (BVerfGE 131, 239 [266]).
Auch insoweit lässt sich konstatieren, dass - bei Lichte besehen - die Folgen einer Unvereinbarerklärung sich
nicht wesentlich von den Folgen einer Nichtigerklärung unterscheiden:
dd) Nichtig- bzw. Unvereinbarkeitserklärung und spezielle Folgen (insbesondere “strukturbedingte normative Regelungsdefizite“)
Normen sind (nur) nichtig, wenn ein grober Mangel im Gesetzgebungsverfahren vorliegt, wenn sie inhaltlich
mit übergeordnetem Recht unvereinbar sind oder wenn eine inkompetente Stelle sie erlassen hat (BVerfGE
31, 47 [53]).
Eine gesetzliche Regelung hingegen, die nach ihren Voraussetzungen und Folgen zwar der Verfassung entspricht, gegen die aber in der Rechtsanwendungspraxis in erheblichem Umfang verstoßen wird, verletzt nur
dann auch selbst das Grundgesetz, wenn die verfassungswidrige Praxis auf die Vorschrift selbst zurückzuführen, mithin Ausdruck eines strukturbedingt zu dieser Praxis führenden normativen Regelungsdefizits ist.
Solch ein gesetzliches Regelungskonzept ist nicht dann bereits strukturell defizitär, wenn die massenweisen
Verstöße auf interessengeleitete Missverständnisse und Bestrebungen hindeuten, die gesetzliche Regelung
wegen ihrer - als unpraktisch empfundenen - Schutzmechanismen zu umgehen .
Hiervon unberührt ist die in solchen Fällen bestehende Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht des
Gesetzgebers, bei deren Unterbleiben - ex nunc - ein verfassungswidriger Zustand eintreten würde (BVerfGE
133, 168 [233 ff.]).
(1) Die grundlegende Unterscheidung zwischen inhaltlicher Unvereinbarkeit der Norm mit dem Grundgesetz und einem (“bloßen“ oder “evidenten“) Mangel im Gesetzgebungsverfahren
Ein inhaltlicher Fehler (mit der Folge der Nichtigkeit) liegt dann vor, wenn ein Gesetz inhaltlich den Rahmen
überschreitet, den eine kompetenzbegründende Norm dem Gegenstand gesetzt hat, über den “legiferiert“
worden ist; dabei dürfte man mit der Annahme nicht fehl gehen, dass sich die “kompetenzbegründenden“
Normen nicht auf die Regeln der Art. 70 ff. GG (nachfolgend Kapitel C.) beschränken, sondern den gesamten
verfassungsmäßigen Rahmen des Gesetzgebers abdecken.
(1a) “Bloßer“ Mangel im Gesetzgebungsverfahren
Ein (“bloßer“) Mangel im Gesetzgebungsverfahren muss nicht immer zur Nichtigkeit des Gesetzes führen, sondern nur dann, wenn er evident ist (Rücksicht auf die Rechtssicherheit); der Umstand, dass das
Bundesverfassungsgericht - soweit ersichtlich - eine genauere Definition eines solchen bloßen Mangels im Gesetzgebungsverfahren unterlassen hat, wird dadurch erträglicher, dass mit einer Klarstellung der Rechtslage
durch eine Entscheidung des Verfassungsgerichts ein verfassungsrechtlicher Mangel im Gesetzgebungsverfahren für die Zukunft evident (geworden) ist, wenn etwa der verfassungsrechtliche Mangel auf einer bisherigen
entsprechenden Staatspraxis oder darauf beruhte, dass bisher ungeklärte Rechtsfragen stets offengelassen
wurden (grundlegend: BVerfGE 34, 9 [25 f.]; vgl. auch BVerfGE 91, 148 [175]; BVerfGE 120, 56 [79 f.] sowie
BVerfGE 125, 104 [132]).
(1b) Verordnung und Nichterfüllung gesetzlicher Pflichten
Sollte es um die Beantwortung der Frage gehen, ob ein Verstoß gegen Anhörungs- und Beteiligungspflichten, welche der Gesetzgeber für das Verfahren des Erlasses von Rechtsverordnungen vorgesehen hat, zur
Ungültigkeit der Verordnung führt, so ist immer zu berücksichtigen, ob der Verstoß zugleich einen Verfassungsverstoß darstellt, weil dies das Gewicht des Verfahrensfehlers erhöht und dagegen spricht, dass er
ohne Folgen für die Gültigkeit der Norm bleibt (BVerfGE 127, 293 [332 f.]).
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(2) Nichtigerklärungen von Ausschlussnormen als (ausnahmsweise) zulässige Ausnahme vom Verbot
der Teilnichtigerklärungen
Auszugehen ist von dem Grundsatz , dass eine Teilnichtigerklärung mit Rücksicht auf die weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung von Tatbeständen ausscheidet (BVerfGE 132, 334
[359] für Gebührensätze und Anteile hiervon). Namentlich gilt dies, wenn ein Gesetz in seinem Kernbestand
als verfassungswidrig erkannt worden ist; dann muss es als Ganzes beseitigt werden, weil anderenfalls die
innere Ausgewogenheit des Systems so gestört werden würde, dass geradezu von einer Verfälschung der
gesetzgeberischen Idee gesprochen werden müsste (BVerfGE 10, 200 [220]; vgl. auch BVerfGE 22, 134 [152]
für Vertragsgesetze sowie BVerfGE 61, 149 [206 f.]).
(2a) Beispielsfälle für den Grundsatz
Vor diesem Hintergrund ist in jüngerer Zeit in der Entscheidung BVerfGE 111, 226 (273) die Nichtigerklärung
eines gesamten Gesetzes bei einheitlichem gesetzgeberischen Reformkonzept erfolgt (vgl. indessen auch die
beachtlichen Gründe der abweichenden Meinung BVerfGE 111, 226 [274, 285]).
Ähnliches ist mit Blick auf Rechtsklarheit und Rechtssicherheit in der Entscheidung BVerfGE 113, 273 (315
f.) entschieden worden (vgl. auch insoweit die beiden abweichenden Meinungen BVerfGE 113, 273 [327, 338]
sowie BVerfGE 113, 273 [339, 347]).
Ausnahmen von dem Grundsatz hat das Verfassungsgericht nicht häufig zugelassen:
(2b) Beispielsfälle für die Ausnahme (insbesondere Nichtigkeit von Begünstigungen und Ausschlussnormen)
[1] Es ist zwar nicht möglich, eine Norm insoweit für nichtig zu erklären, als sie etwas nicht anordnet (BVerfGE
18, 288 [301] sowie BVerfGE 23, 1 [11]), aber es besteht bisweilen die Möglichkeit, einen Verfassungsverstoß
dadurch zu beseitigen, dass eine Ausschlussvorschrift oder einschränkende Satzteile oder Worte für nichtig
erklärt werden - was die Folge hat, dass eine Vergünstigung nunmehr auch der zunächst ausgeschlossenen
Gruppe zugutekommt - (BVerfGE 22, 349 [360]; vgl. indessen auch zu Fällen, die eine solche Nichtigerklärung
von Ausnahmevorschriften nicht ermöglichen: BVerfGE 43, 58 [74] sowie BVerfGE 131, 239 [264 f.]).
[2] Dieses Vorgehen ist meist dann möglich, wenn der Gesetzgeber bei Kenntnis der Verfassungswidrigkeit
seiner Regelung ohnehin die Einschränkung hätte streichen müssen , eine dementsprechende Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts also nicht als Eingriff in den der Legislative vorbehaltenen Bereich gewertet
werden kann (BVerfGE 21, 329 [337 f.]; vgl. auch BVerfGE 22, 163 [174 f.] sowie BVerfGE 27, 220 [230 f.]).
[3] Freilich muss sich eine entsprechende Prüfung und Beurteilung auch mit der Frage befassen, ob der
Gesetzgeber die gesetzliche Regelung im Übrigen auch ohne den verfassungswidrigen Teil aufrecht erhalten
hätte (BVerfGE 88, 203 [333]).
(3) Folgen einer Nichtigerklärung
Stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass ein nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes erlassenes Gesetz
wegen Widerspruchs mit dem Grundgesetz nichtig ist, so ist - wie bereits angesprochen (a) aa) (1)) - dieses
Gesetz grundsätzlich von Anfang an (ex tunc) rechtsunwirksam (grundlegend: BVerfGE 1, 14 [37]; vgl.
auch BVerfGE 132, 334 [359]).
Sollte es sich - was inzwischen höchst selten der Fall sein dürfte - um nachkonstitutionell gewordenes Recht
(Art. 123 ff. GG) handeln, ist die Nichtigkeit von dem Zeitpunkt an festzustellen, an dem es nachkonstitutionelles Recht geworden ist (BVerfGE 14, 174 [190]).
(3a) Entfallen einer Sperrwirkung nach Art. 72 GG
Wirkt die Feststellung der Nichtigkeit - wie im Regelfall - im Einzelfall ex tunc, so kann ein solches für
nichtig erklärtes Bundesgesetz nicht die Sperrwirkung nach Art. 72 GG auslösen (BVerfGE 7, 377 [387]).
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(3b) Nichtigkeit einer Bezugsnorm und Auswirkungen auf die verweisende Norm (Ausgangsnorm)
Der Umstand allein, dass eine Norm auf eine Norm verweist, die später für nichtig erklärt wird, führt nicht
ohne weiteres dazu, dass jene Norm auch nichtig ist; maßgebend ist vielmehr, ob die verweisende Norm einen
Regelungsgehalt hat, der nicht von den die Verfassungswidrigkeit auslösenden Tatbestandsmerkmalen der
nichtigen Norm betroffen ist (BVerfGE 28, 163 [172]).
(3c) Prüfpflichten für Behörden und Gerichte
Bisweilen verbindet das Bundesverfassungsgericht eine Nichtigerklärung mit (nicht nur einer Übergangsregelung bzw. Anordnung, sondern) einer Prüfpflicht für Behörden und Gerichte, ob womöglich die Folgen der
Nichtigerklärung wegen betätigten Vertrauens (B.III.4.b) (vgl. S. 101) ) abzumildern sind (BVerfGE 73, 40
[102] für nachträglich in Wegfall geratene Steuervorteile; vgl. auch BVerfGE 82, 126 [155] für Pflicht der
Gerichte, ausgesetzte Verfahren fortzuführen, wenn der Gesetzgeber unzumutbar lang untätig bleibt; ähnlich
dürfte es sich bei einer “Untätigkeit“ eines Verordnungsgebers verhalten).
ee) Wirkungen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf unanfechtbare behördliche und
gerichtliche Akte (§ 79 BVerfGG)
Bei der gesetzlichen Regelung der Frage, welche Wirkungen die Nichtigerklärung einer Rechtsnorm für die
nicht mehr anfechtbaren Hoheitsakte hat, die auf der nachträglich für nichtig erklärten Norm beruhen, treten
notwendig zwei Grundsätze in Widerstreit, nämlich die Forderung nach Rechtssicherheit (B.III.2.b.cc) (vgl.
S. 95) ), wozu auch die Rechtsbeständigkeit rechtskräftiger Entscheidungen gehört (BVerfGE 2, 380 [403]),
und die Forderung nach Gerechtigkeit im Einzelfall.
In § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG - nachstehend (2) - hat der Gesetzgeber die Rechtssicherheit höher bewertet.
Das Grundgesetz hat er hierdurch zwar nicht verletzt, weil sowohl der Grundsatz der Rechtssicherheit wie
das Prinzip der Gerechtigkeit im Einzelfall Verfassungsrang haben (grundlegend: BVerfGE 7, 194 [195 ff.];
vgl. auch BVerfGE 115, 51 [63]), aber er wäre - entgegen fragwürdiger Andeutungen in der Entscheidung
BVerfGE 72, 302 (328) - weder durch die Verfassung noch durch entsprechende Rechtsprechung gehindert,
“bürgerfreundlicheres“ Recht zu schaffen.
(1) Wiederaufnahme bei Strafurteilen (§ 79 Abs. 1 BVerfGG)
§ 79 Abs. 1 BVerfGG liegt der Rechtsgedanke zugrunde, dass niemand gezwungen sein soll, den Makel einer
Strafe auf sich lasten zu lassen, die auf einem verfassungswidrigen Strafgesetz beruht (grundlegend: BVerfGE
12, 338 [340]; vgl. auch BVerfGE 115, 51 [63]). Gleichwohl führt die Nichtigerklärung einer Norm nicht schon
allein deswegen zur Unwirksamkeit aller auf ihr beruhender Strafurteile (BVerfGE 15, 303 [307 f.]).
Ob es heutzutage noch richtig ist, dass nicht auch Strafurteile betroffen seien, die auf nichtigen Normen des
Gerichtsverfassungs- oder des Verfahrensrechts beruhen (BVerfGE 11, 263 [265]), ist zu bezweifeln; gerade auf
dem Gebiet des Strafrechts ist in den letzten Jahren zunehmend ins Bewusstsein gerückt, dass ein “gerechtes“
Strafurteil ebenso sehr auf gültigem Verfahrensrecht beruhen muss wie auf gültigem materiellen Strafrecht
(vgl. im Einzelnen F.VIII.).
Ebenso lässt sich heute bezweifeln, dass - erstens - die in § 79 Abs. 1 BVerfGG für rechtskräftige Strafurteile
zugelassene Wiederaufnahme kein Vollstreckungsverbot beinhaltet (BVerfGE 15, 309 [312] sowie BVerfGE
16, 246 [250]) und - zweitens - keine nochmalige Bestrafung i.S.v. Art. 103 Abs. 3 GG (F.VII.) vorliegt,
wenn nur die (materiell verfassungswidrige) nichtige durch eine (verfassungsgemäße) gültige Rechtsgrundlage
eines Strafurteils ersetzt wird (BVerfGE 15, 303 [308]).
(2) Unberührtheit von nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen (§ 79 Abs. 2 BVerfGG)
Aus § 79 Abs. 2 BVerfGG folgt der allgemeine Rechtsgedanke, dass unanfechtbar gewordene verfassungswidrige Akte der öffentlichen Gewalt nicht rückwirkend aufgehoben und die in der Vergangenheit von ihnen
ausgegangenen nachteiligen Wirkungen nicht beseitigt werden, dass aber für die Zukunft die aus einer
zwangsweisen Durchsetzung der verfassungswidrigen Entscheidung sich ergebenden Folgen abgewendet werden sollen (BVerfGE 20, 230 [236]; vgl. auch BVerfGE 115, 51 [63]).
Hierbei handelt es sich freilich nicht um einen “ehernen“ Grundsatz; es wäre dem Gesetzgeber nämlich
unbenommen, die Wirkung einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit auch
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auf bereits bestandskräftige Hoheitsakte zu erstrecken, er ist jedoch von Verfassungs wegen nicht hierzu
verpflichtet (BVerfGE 100, 138 [195]; vgl. auch BVerfGE 132, 72 [99]).
(3) Normen, deren Rechtswirkungen ohne Zwischenschaltung von Behörden oder Gerichten eintreten
Ähnlich verhält es sich mit den Möglichkeiten des Gesetzgebers, soweit es um die Wirkungen einer verfassungswidrigen Norm geht, welche ohne Zwischenschaltung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts
eintreten, für welche § 79 Abs. 2 BVerfGG nicht (auch nicht entsprechend) gilt; soweit der Gesetzgeber im
Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens Auswirkungen einer festgestellten Verfassungswidrigkeit einzuschränken gedenken sollte, müsste er aber (wohl) den vorstehend beschriebenen Rechtsgedanken
beachten (BVerfGE 37, 217 [263]).
Ist eine dem Staat geschuldete Leistung fällig geworden und bereits erfüllt worden, ohne dass ein behördliches Verfahren im vorstehenden Verständnis “zwischengeschaltet“ worden war, ist der Staat nicht vor
entsprechenden Rückforderungen durch § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG geschützt (BVerfGE 108, 1 [33]; dort
auch dazu, dass der Gesetzgeber ohne weiteres einen solchen selbständigen Rechtsgrund für die Gebührenforderung hätte festlegen können; vgl. auch BVerfGE 132, 334 [359]).
(4) Sonderfälle (Rentenrecht, Beamtenrecht)
Nur mit Vertrauensgesichtspunkten (B.III.2.b)ee) (vgl. S. 97) ) lässt sich die (im Ergebnis sicherlich zutreffende) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begründen, wonach bestandskräftige Rentenbescheide
, die auf einer später für nichtig erklärten Norm beruhen, von der Nichtigerklärung für die Zeit vor Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unberührt bleiben (BVerfGE 100, 138 [195]); schwierig
ist die Beantwortung der Frage, was für die Zeit danach gilt (vgl. für Beamtenversorgung BVerfGE 117, 372
[391]).
Ähnlich verhält es sich mit verfassungsrechtlich gebotenen Beamten-Besoldungskorrekturen; eine solche
braucht sich grundsätzlich nur auf denjenigen Zeitraum zu erstrecken, der mit dem Haushaltsjahr beginnt, in
dem die Verfassungswidrigkeit der bisherigen Regelung verfassungsgerichtlich festgestellt worden ist (BVerfGE 81, 363 [384 f.]; vgl. auch BVerfGE 131, 239 [266]).
(5) Privatrechtliche Rechtsbeziehungen
Was schließlich privatrechtliche Rechtsbeziehungen angeht, welche auf Rechtsnormen gründen, die später
vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werden, so gilt für die vollständig abgewickelten Beziehungen
(B.III.3.c) (vgl. S. 99)), dass wegen der unabsehbaren Folgen für den Rechtsverkehr dem Gedanken der
Rechtssicherheit der Vorrang gebührt vor der Berücksichtigung der Einzelfallgerechtigkeit (BVerfGE 32,
387 [390]; vgl. auch BVerfGE 97, 35 [48] sowie BVerfGE 98, 365 [402 f.]).
Bei noch nicht abgewickelten Rechtsbeziehungen muss indessen das Recht grundsätzlich für Anpassungen
offen sein (BVerfGE 98, 365 [403] für denkbare Pflicht des Gesetzgebers, Neuberechnungen bestimmter Versorgungsrenten für die Zukunft vorzunehmen), zumindest dann, wenn die Rechtsfolgen der unveränderten
Rechtsbeziehung für eine Partei nicht schwerwiegend bis unzumutbar sind.
Ähnliches müsste gelten, wenn die Folgen von in der Vergangenheit erfüllten Ansprüchen in Gegenwart und
Zukunft fortbestehen und schwerwiegend sind (zu denken ist dabei insbesondere an das Unterhalts- und
Kindschaftsrecht).
(6) Insbesondere: Vollstreckungsverbote (§ 79 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BVerfGG)
Über den Wortlaut des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG (“für nichtig erklärte“ Norm) hinaus geht das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass auch das Vollstreckungsverbot analog
anzuwenden ist, wenn das Gericht sich darauf beschränkt hat, die Unvereinbarkeit einer Norm mit dem
Grundgesetz festzustellen (BVerfGE 115, 51 [65]).
Darüber hinaus macht es - wie im Rahmen des § 79 Abs. 1 BVerfGG - auch im Anwendungsbereich des §
79 Abs. 2 BVerfGG sachlich keinen wesentlichen Unterschied, ob eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung
im Sinne dieser Regelung auf der verfassungswidrigen Auslegung einer Rechtsnorm oder auf einer verfassungswidrigen Vorschrift beruht (a.a.O. [65 f.]; vgl. auch die abweichende Meinung BVerfGE 115, 51 [72, 74
ff.]).
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Die soeben dargestellten Fallgruppen betreffen zwar in erster Linie die Gerichte; wie im übrigen Bereich
der §§ 78 und 79 BVerfGG (sowie im Rahmen des § 31 BVerfGG) auch, hat aber auch der Gesetzgeber
zu prüfen, ob er berechtigt ist (was er meist ist), die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in das
materielle Recht durch entsprechende Normen “einzufügen“. Hierfür bestünde angesichts einer Fülle neuerer
einschlägiger Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ein ernst zu nehmender Bedarf.
ff) Schlagwortartige Zusammenfassung der Folgen von Nichtig- bzw. Unvereinbarkeitserklärungen im
Hinblick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Vor diesem Hintergrund lassen sich die angerissenen Fragen, die die unmittelbaren Folgen von Nichtigkeitsbzw. Unvereinbarkeitserklärungen betreffen, schlagwortartig wie folgt beantworten:
(1) Verbot der Anwendung verfassungswidriger Normen
Stellt das Bundesverfassungsgericht - in welcher Form auch immer - die Verfassungswidrigkeit einer Norm
fest, so darf diese Norm vom Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an in dem sich aus
dem Tenor der Entscheidung ergebenden Ausmaß nicht mehr angewendet werden (BVerfGE 37, 217 [262 f.];
vgl. auch BVerfGE 93, 386 [402]).
(2) Einfluss des § 79 BVerfGG
Um zu verhindern, dass diese Wirkung ex tunc zu Rechtsunsicherheit und zu schwer erträglichen Folgen
für die Betroffenen führt, hat § 79 BVerfGG für den Regelfall die Konsequenzen solcher verfassungsgerichtlichen Entscheidungen für die in der Vergangenheit entstandenen Rechtsverhältnisse wesentlich eingeschränkt
(a.a.O.).
In Fällen, in denen diese Norm nicht eingreift, weil die Rechtswirkungen der verfassungswidrigen Norm
ohne Zwischenschaltung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts (d.h. ohne eine rechtskräftige oder
unanfechtbare Entscheidung i.S.d. § 79 Abs. 2 BVerfGG eingetreten sind), wird der Gesetzgeber eine besondere Regelung treffen müssen. Soweit er darin im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens
die Auswirkungen der festgestellten Verfassungswidrigkeit einschränkt , wird er jedenfalls den allgemeinen
Rechtsgedanken des § 79 Abs. 2 BVerfGG zu beachten haben, wonach für die Zukunft die sich aus der
Durchsetzung nicht mehr anfechtbarer Akte ergebenden Folgen abgewendet werden sollen (a.a.O.).
(3) “Heilungs- bzw. Abhilfepflichten“ des Gesetzgebers
Allgemein darf der Gesetzgeber - auch für die Vergangenheit - eine mit der Verfassung unvereinbare Rechtslage nicht fortbestehen lassen. Grundsätzlich ist eine zeitlich umfassende Heilung eines vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Verfassungsverstoßes geboten (BVerfGE 81, 363 [384] zu Ausnahmen).
Abhilfe (“Heilung“) kann freilich dann nicht verlangt werden, wenn diese praktisch nicht mehr durchführbar
ist oder den Betroffenen keinen Nutzen mehr bringen kann oder wenn sie nur unter unverhältnismäßiger
Beeinträchtigung anderer schutzwürdiger Belange möglich wäre (BVerfGE 87, 114 [137]; vgl. auch BVerfGE
94, 241 [266]).
b) Die Bindung nach Art. 94 GG i.V.m. § 31 BVerfGG
Bereits in der Plenarentscheidung BVerfGE 2, 79 (86 f.) hat das Verfassungsgericht davon gesprochen, dass
seinen Feststellungen über die (Un-)Gültigkeit eines Gesetzes eine “rechtssatzähnliche Kraft beigelegt“ wird.
Vollständig geklärt sind jedoch die damit zusammenhängenden Fragen bis heute nicht (vgl. etwa BVerfGE
139, 64 [147 f.]).
aa) Sachentscheidungen über Vereinbarkeit/Unvereinbarkeit (Nichtigkeit) als Auslöser von Bindungen
Ist durch eine Sachentscheidung (BVerfGE 78, 320 [328] zum Unterschied zur Prozessentscheidung ) über
die Vereinbarkeit (BVerfGE 85, 117 [121] für Vereinbarkeit nach den Gründen) - welche für den Bundesgesetzgeber regelmäßig nur die Folge hat, dass er sich bestätigt fühlen darf - oder Unvereinbarkeit mit
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der Verfassung bzw. Nichtigkeit (BVerfGE 37, 217 [262 f.]; vgl. auch BVerfGE 93, 386 [402]) einer Bundesrechtsnorm befunden worden, so kommen - für Verfahrensbeteiligte (also u.U. auch für den Gesetzgeber) sowohl eine Rechtskraft (BVerfGE 128, 326 [364 f.]) als auch eine Bindungswirkung bzw. “Gesetzeskraft“
(grundlegend: BVerfGE 1, 14 [64] sowie BVerfGE 1, 89 [90]; vgl. auch BVerfGE 85, 117 [121]; vgl. demgegenüber BVerfGE 115, 97 [108] für Bindungen der Gerichte und daraus womöglich folgende Verstöße
gegen Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 19 Abs. 4 GG; vgl. auch BVerfGE 40, 88 [94]
für Unzulässigkeit einer verfassungskonformen Auslegung) als Bindungen bzw. “Prozesshindernisse“ im
weitesten Sinne in Betracht.
(1) Tenor und Bindung an Gründe
Vornehmlich hinsichtlich letzterer ist in letzter Zeit zunehmend erörtert worden, ob (nicht nur die Aussagen im Tenor, sondern) womöglich auch die “tragenden Entscheidungsgründe“ den Umfang der Bindung
beeinflussen bzw. bestimmen können (BVerfGE 115, 97 [109 f.]).
(2) Beanstandende Entscheidungen und gesetzgeberische Hauptaufgaben
Sieht man hier zunächst von der Vereinbarkeitsentscheidung ab, so können beanstandende Entscheidungen
für den Gesetzgeber im Wesentlichen zwei Hauptpflichten bzw. -lasten auslösen:
(2a) Beseitigungspflichten (bzw. Heilungsoptionen)
Der Gesetzgeber kann - erstens - verpflichtet sein, die mit der Verfassung nicht vereinbare Rechtslage - für
die Vergangenheit oder für die Zukunft - zu beseitigen (BVerfGE 81, 363 [384] - möglicherweise nur begrenzte
- “Heilung“ sowie BVerfGE 87, 114 [137] “Abhilfe“; vgl. auch BVerfGE 94, 241 [266]).
Insoweit ist der Gesetzgeber zumindest gut beraten, die in den Entscheidungsgründen enthaltenen Maßstäbe
und Anleitungen gründlichst zu befolgen, will er nicht zu gewärtigen haben, dass seine “Heilungsanstrengungen“ erneut nicht die Billigung des Bundesverfassungsgerichts finden.
(2b) “Wiederholungsverbote“
Der Gesetzgeber kann aber auch - zweitens - daran (rechtlich bzw. faktisch) gehindert sein, ein gleiches
(BVerfGE 69, 112 [115 f.]) sowie (BVerfGE 96, 260 [263]; vgl. auch BVerfGE 102, 122 [141 f.]) oder ähnliches
(BVerfGE 77, 84 [103] Gesetz zu erlassen.
In der Folge wird es unternommen, die wesentlichen Unterschiede zwischen einer in Betracht zu ziehenden
Rechtskraft und einer “bloßen“ Bindungswirkung (Gesetzeskraft) darzustellen:
bb) Rechtskraft
Gleich denen anderer Gerichte kann auch den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Rechtskraftwirkung zukommen, welche allein schon deswegen von der Bindungswirkung gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG zu
unterscheiden ist, weil letztere nicht für das Bundesverfassungsgericht besteht (BVerfGE 20, 56 [86 f.]; vgl.
auch BVerfGE 104, 151 [196]).
(1) Tenorbindung
Diese bezieht sich nur auf die Entscheidungsformel (Tenor), nicht auch auf die in den Entscheidungsgründen
enthaltenen Urteilselemente, wenn auch die Entscheidungsgründe zur Ermittlung des Sinnes der Urteilsformel
herangezogen werden können (grundlegend: BVerfGE 4, 31 [38 f.]; vgl. auch BVerfGE 33, 199 [203]; dort auch
zu Darlegungspflichten vorlegender Gerichte und zur - zulässigen und notwendigen - Berufung auf veränderte
Umstände nach dem Ergehen der früheren Entscheidung).
Im späteren Prozess bindet die Rechtskraft das Bundesverfassungsgericht nur dann, wenn es sich um denselben Streitgegenstand zwischen denselben Parteien handelt; die Gleichheit wesentlicher Rechtsfragen genügt
nicht (BVerfGE 4, 31 [39]; vgl. auch BVerfGE 86, 148 [211] für verschiedene Verfahrensgegenstände).
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(2) Prozesshindernisse als denkbare Folgen einer Rechtskraft
Was die Folgen einer eingetretenen Rechtskraft anbelangt, so stellt sie im Falle einer Vereinbarkeitserklärung
(im Tenor) im Hinblick auf eine erneute Überprüfung grundsätzlich ein Prozesshindernis dar (BVerfGE
128, 326 [364 f.]; vgl. auch BVerfGE 131, 316 [333]).
Im Falle einer stattgebenden Entscheidung stellen Nichtigkeit und Unvereinbarkeit eines Gesetzes regelmäßig auch ein “Hindernis“ - freilich für Gesetzgeber im Sinne eines “Wiederholungsverbots“ - dar, weil der
Ausspruch des Bundesverfassungsgerichts für und gegen alle wirkt (BVerfGE 69, 92 [103]; dort [104] auch
zur Frage der Gültigkeit bzw. Ungültigkeit von mehreren Tatbestände enthaltenden Rechtsvorschriften).
(3) Ausnahmemöglichkeit der Berufung auf veränderte Verhältnisse
Was denkbare Ausnahmen von den vorbezeichneten Grundsätzen angeht, so ist es in den “einfachrechtlichen“ Prozessarten allgemein anerkannt, dass eine Berufung auf eine Änderung der tatsächlichen
Verhältnisse nicht von vornherein durch die Rechtskraft gehindert wird, was im Ansatz auch für Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gilt (BVerfGE 33, 199 [204]; vgl. auch BVerfGE 120, 1 [23] zu
“erhöhten Anforderungen“ bei wiederholten Vorlagen sowie BVerfGE 128, 326 [365] “rechtserhebliche Änderungen der Sach- und Rechtslage“; dort auch dazu, dass Entscheidungen des EGMR, welche neue Aspekte
für die Auslegung des Grundgesetzes enthalten, zu einer Überwindung der Rechtskraft einer Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts führen können).
In jedem Fall müssen sowohl Angreifer als auch Verteidiger der früheren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem neuen Verfahren darlegen, welche eingetretenen bzw. nicht eingetretenen Veränderungen
nach ihrer Auffassung die erneute verfassungsgerichtliche Prüfung entweder veranlassen oder gerade nicht
veranlassen (BVerfGE 65, 179 [181]; vgl. auch BVerfGE 94, 315 [323]).
Bei Lichte besehen unterscheiden sich diese Voraussetzungen und Folgen der Rechtskraft nicht so wesentlich
von denjenigen der Bindungswirkung (Gesetzeskraft):
cc) Bindungswirkung (Gesetzeskraft)
Gegenstand der Bindungswirkung gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG ist die konkrete Entscheidung; das ist das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die streitgegenständliche Frage (BVerfGE 104, 151 [197]; dort
auch zu den Begriffen “Entscheidungsformel“ sowie “Entscheidungssatz“ und dazu, dass auch Teile von
Verfassungsorganen gebunden sein können).
Wie bereits angedeutet (A.III.1.c) (vgl. S. 34) ; dort [A.III.1.c)bb) (vgl. S. 35) ] auch zur mehrfach angerissenen Frage, ob der Gesetzgeber an die Verfassung “als solche“ oder die Verfassung in der Auslegung durch
das Verfassungsgericht gebunden ist), besteht die Bindungswirkung nicht für das Bundesverfassungsgericht
selbst (BVerfGE 82, 198 [205] keine Bindung an die Entscheidungen und “die dort entwickelten verfassungsrechtlichen Grundsätze“) und kommt es in Betracht, die Bindungswirkung auch an den tragenden Gründen
von Entscheidungen zu orientieren.
(1) Tenortragende Entscheidungsgründe
Tenortragende Entscheidungsgründe sind jene Rechtssätze , die nicht hinweg gedacht werden können,
ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen
Gedankengang entfällt, und nicht tragend sind demgegenüber bei Gelegenheit der Entscheidung gemachte
Rechtsausführungen, welche außerhalb des Begründungszusammenhanges stehen (BVerfGE 115, 97 [110];
verneint für “Halbteilungsgrundsatz“ als Belastungsobergrenze).
(2) Verbot der Normwiederholung?
Während - was die Folgen einer eingetretenen Bindungswirkung anbelangt - in der früheren Rechtsprechung
noch ziemlich eindeutig von einem Verbot einer bloßen Normwiederholung ausgegangen worden ist (BVerfGE 69, 112 [115 f.]), dürften inzwischen (BVerfGE 98, 265 [320 f.] kein “absolutes Normwiederholungsverbot“)
insoweit ähnliche Grundsätze gelten wie für die inhaltsähnliche Neuregelung.
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(2a) Erfordernis der besonderen Gründe
Ähnlich wie bei der Rechtskraft (vorstehend bb)) verlangen allerdings Normwiederholungen (und inhaltsähnliche Regelungen) besondere Gründe, die sich vor allem aus einer wesentlichen Änderung der für die
verfassungsrechtliche Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse oder der ihr zugrunde liegenden Anschauung ergeben können. Fehlen aber solche Gründe, ist das Bundesverfassungsgericht
nicht gehalten, die bereits entschiedenen verfassungsrechtlichen Fragen erneut zu erörtern (BVerfGE 96,
260 [263]; vgl. auch BVerfGE 98, 265 [320 f.] dazu, dass regelmäßig einem Gesetzgeber die Einschätzung
von Gefahren und die Beurteilung wirksamer Mittel zu ihrer Abwehr vom Bundesverfassungsgericht nicht
vorgegeben werden können, sowie BVerfGE 102, 122 [141 f.]).
(2b) “Missachtung“ einer ergangenen Entscheidung des Verfassungsgerichts als Verstoß gegen
verfassungsrechtliche Rücksichtnahmepflichten (Organtreue)
Darüber hinaus kann zwar ein Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Rücksichtnahmepflicht (Grundsatz
der Organtreue ) erblickt werden, wenn der Gesetzgeber die Grenzen der legislativen Gestaltungsfreiheit
dadurch überschreitet, dass er eine frühere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bewusst missachtet
bzw. sich über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und ihre tragenden Gründe ohne nähere Auseinandersetzung “hinwegsetzt“ (BVerfGE 135, 259 [281 f.] für veränderte tatsächliche Verhältnisse
im Wahlrecht), aber für gewöhnlich ist eine solche Vorgehensweise nicht zu erwarten (und sie ist - soweit
ersichtlich - in der Vergangenheit auch noch nicht vorgekommen).
(3) Verbot der inhaltsähnlichen Norm?
Die Bindungswirkung normverwerfender verfassungsgerichtlicher Entscheidungen hindert den Gesetzgeber zwar nicht , eine inhaltsähnliche Neuregelung zu beschließen (BVerfGE 77, 84 [103 ff.]), wobei der
Gesetzgeber aber die vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Gründe der Verfassungswidrigkeit des ursprünglichen Gesetzes (selbstverständlich) nicht übergehen darf (BVerfGE 96, 260 [263]; vgl. auch BVerfGE
102, 122 [141 f.] für Normwiederholung, die nachvollziehbar begründet worden ist).
Zur Begründung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 77, 84 [104] darauf abgestellt, dass - zum einen
- eine einfachgesetzliche Bindung den Gesetzgeber (selbstverständlich) nicht binden kann und - zum anderen
- das Bundesverfassungsgericht Akte der gesetzgebenden Gewalt “an der Verfassung selbst und nicht an
verfassungsgerichtlichen Präjudizien zu messen hat“ (und seine Rechtsprechung nicht aus eigener Initiative korrigieren kann); dies lässt aber immer noch die Fragen offen, ob die “Verfassung selbst“ womöglich
hinsichtlich der präjudizierten Fragen identisch ist mit der “Verfassung im Lichte der verfassungsrechtlichen Auslegung“, weil die gleiche Entscheidung auch von der Pflicht des Bundesverfassungsgerichts “zur
rechtsverbindlichen Auslegung der Verfassung“ ausgeht (vgl. auch BVerfGE 69, 112 [117] “letztverbindliche
Auslegung“ sowie BVerfGE 85, 117 [121] “geklärte Rechtslage“).
(4) Bindungen früher unbeteiligter Beteiligter?
Alle bisher dargelegten Grundsätze dürften (ausnahmslos) auch zutreffen, wenn es darum geht, dass ein Beteiligter am früheren Verfahren nicht teilgenommen hatte (Wirkung für und gegen alle); in der Entscheidung
BVerfGE 8, 122 (141) beispielsweise ist entschieden worden, dass eine am früheren Verfahren nicht beteiligte
Landesregierung an die tragenden Gründe der getroffenen Entscheidung ebenso gebunden sein kann wie die
beteiligte Landesregierung (vgl. aber BVerfGE 69, 112 [117] dazu, dass etwa ein Landesverfassungsgericht
nicht an Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Vereinbarkeit einer Landesrechtsnorm mit dem
Grundgesetz oder mit Bundesrecht gebunden ist, sondern die Landesrechtsnorm unter dem Gesichtspunkt
der Vereinbarkeit mit der Landesverfassung prüfen und evtl. für nichtig erklären kann).
(5) “Gesetzeskraft“ (§ 31 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG)
Was speziell den - in Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG “angelegten“ und - in § 31 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG bezeichneten Begriff der Gesetzeskraft anbelangt, so tritt eine solche nur ein, wenn das überprüfte Gesetz im
Entscheidungssatz für mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt worden ist.
Wird hingegen im Tenor nur ausgesprochen, dass ein Antrag zurückgewiesen wird (enthält er also keine ausdrückliche Vereinbarkeitserklärung), so erwächst die Entscheidung regelmäßig nicht in Gesetzeskraft
(BVerfGE 85, 117 [121]).
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c) Anhang: Überblick über die gebräuchlichsten (statistisch häufigsten) Formen der
Anrufung des Bundesverfassungsgerichts
Die nachfolgend abgehandelten Formen einer Anrufung bergen eine Fülle von “Klippen“, an denen sie trotz
materieller Begründetheit scheitern können; hier nur das Allernotwendigste:
aa) Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a)
Unübersehbar ist die einschlägige Rechtsprechung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Verfassungsbeschwerde; hier nur einige Grundsätze zu den Stichworten Beschwerdebefugnis (Betroffenheit), Fristenwahrung
und Subsidiarität (Erschöpfung des Rechtswegs):
(1) Funktion der Verfassungsbeschwerde (Vorrang des individuellen Rechtsschutzes)
Neben der Funktion, das objektive Verfassungsrecht zu wahren, auszulegen und fortzubilden, dient die Verfassungsbeschwerde primär dem individuellen Rechtsschutz für die Durchsetzung der in Art. 93 Abs. 1 Nr.
4 a GG genannten Rechte.
(1a) Gegenstand)
Der Gegenstand des Verfassungsbeschwerdeverfahrens bestimmt sich folglich, ausgehend von der subjektiven
Beschwer, nach der behaupteten Verletzung eines der in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG genannten Rechte.
(1b) Verfahrenserledigungen
Auch nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde steht es deshalb dem Beschwerdeführer grundsätzlich frei,
seinen Antrag zurückzunehmen oder seine Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache für erledigt zu erklären. Beide Erklärungen haben zur Folge, dass ds Beschwerdebegehren nicht mehr zur Entscheidung steht
(BVerfGE 126, 1 [17]; dort [17 f.] auch zur Dispositionsfreiheit eines Beschwerdeführers, zum Grundsatz
der Subsidiarität, zur fachgerichtlichen Anhörungsrüge und zur Möglichkeit der Auslegung der Rüge einer
Gehörsverletzung als Rüge des unzureichenden Rechtsschutzes, Art. 19 Abs. 4 GG).
(1c) Rechtsnachfolge
Eine Rechtsnachfolge im Verfassungsbeschwerdeverfahren kommt grundsätzlich nicht in Betracht, weil
diese Verfahrensart regelmäßig der Durchsetzung höchstpersönlicher Rechte dient. Ausnahmen sind im Hinblick auf solche Rügen zugelassen worden, die der Rechtsnachfolger im eigenen Interesse geltend machen
kann (BVerfGE 109, 279 [304]).
(2) Beschwerdebefugnis (Betroffenheit) als für alle Verfassungsbeschwerden geltende Zulässigkeitsvoraussetzung
Um beschwerdebefugt zu sein, muss ein Beschwerdeführer behaupten können, selbst , gegenwärtig und unmittelbar in einem seiner Grundrechte oder einem der diesen gleichgestellten Rechte (§ 90 Abs. 1 BVerfGG)
verletzt zu sein. Diese Formel wurde ursprünglich (seit BVerfGE 1, 97 [101 f.]) für Verfassungsbeschwerden
unmittelbar gegen Gesetze entwickelt, ist aber auch bei Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen anzuwenden.
Bei Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen liegt die Trias des eigenen, gegenwärtigen
und unmittelbaren Betroffenseins des Beschwerdeführers regelmäßig vor. Daher bedarf es in der Regel
keiner näheren Prüfung dieser Voraussetzung, weil sie in dieser Konstellation regelmäßig keinen besonderen
Erkenntnisgewinn erbringt. Ein Rückgriff auf die Betroffenheitstrias ist jedoch in Sonderfällen angezeigt,
etwa wenn sich die Beschwer aus anderen Umständen als dem für den Beschwerdeführer eigentlich günstigen
Tenor ergeben soll.
(2a) Selbstbetroffenheit
Selbstbetroffenheit liegt vor, wenn der Beschwerdeführer Adressat der Norm, des betreffenden Urteils oder
ausnahmsweise auch eines Einzelakts ist.
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(2b) Gegenwärtige Betroffenheit
Gegenwärtige Betroffenheit ist das Abgrenzungskriterium gegenüber zukünftigen Beeinträchtigungen. Gefordert ist eine “aktuelle“ Betroffenheit. Sie liegt vor, wenn der Beschwerdeführer schon oder noch von dem
angegriffenen Akt öffentlicher Gewalt betroffen ist. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem die Verfassungsbeschwerde erhoben wird.
Gegenwärtigkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn eine angegriffene Vorschrift auf die Rechtsstellung des
Beschwerdeführers aktuell und nicht nur potentiell einwirkt, wenn das Gesetz die Normadressaten mit Blick
auf seine künftig eintretende Wirkung zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwingt oder wenn
klar abzusehen ist, dass und wie der Beschwerdeführer in der Zukunft von der Regelung betroffen sein wird.
Allein die vage Aussicht, dass der Beschwerdeführer irgendwann einmal in der Zukunft von der beanstandeten
Gesetzesvorschrift betroffen sein könnte, genügt hingegen nicht. Diese Grundsätze gelten gleichermaßen für
Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen.
(2c) Unmittelbare Betroffenheit
Unmittelbarkeit setzt voraus, dass die Einwirkung auf die Rechtsstellung des Betroffenen nicht erst vermittels eines weiteren Akts bewirkt werden darf oder vom Ergehen eines solchen Akts abhängig ist. Soweit
das Bundesverfassungsgericht dazu Grundsätze anhand von Verfassungsbeschwerden gegen Rechtsnormen
entwickelt hat, gelten diese auch für Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen.
[1] Eine Vorschrift muss - ohne dass es eines weiteren Vollzugsaktes bedarf - in den Rechtskreis des Beschwerdeführers dergestalt einwirken, dass etwa konkrete Rechtspositionen unmittelbar kraft Gesetzes zu einem
dort festgelegten Zeitpunkt erlöschen oder eine zeitlich oder inhaltlich genau bestimmte Verpflichtung begründet wird, die bereits spürbare Rechtsfolgen mit sich bringt. Damit scheitert eine Verfassungsbeschwerde
regelmäßig, wenn es noch einer Umsetzung des “Gesetzesbefehls“ durch Gesetz, Verordnung, Satzung oder
einen Vollzugsakt der Exekutive bedarf.
[2] Das Erfordernis der Unmittelbarkeit dient auch dazu, dem Bundesverfassungsgericht die Fallanschauung der Fachgerichte zu vermitteln. Die Unmittelbarkeit der Betroffenheit ist damit auch eine Frage der
Zumutbarkeit der vorherigen Durchführung eines fachgerichtlichen Verfahrens , innerhalb dessen die Verfassungsmäßigkeit einer Norm inzident geprüft werden kann.
[3] Die Unmittelbarkeit ist zu verneinen , wenn eine Rechtsnorm nur eine Ermächtigung für ein Tätigwerden
der öffentlichen Gewalt darstellt, das seinerseits die Rechtsstellung des Adressaten schmälert oder faktisch
seine Grundrechte beeinträchtigt. Es muss gerade die angefochtene Norm und nicht eine andere Maßnahme
des Staates oder eines Dritten sein, die die Betroffenheit des Beschwerdeführers bewirkt.
[4] Dass ein Vollzugsakt erforderlich ist, um für einzelne Adressaten der Norm individuell bestimmte Rechtsfolgen eintreten zu lassen, ist lediglich Anzeichen für ein denkbares Fehlen der unmittelbaren Grundrechtsbetroffenheit. Ob es ausschlaggebend ist, bedarf in jedem Fall der Überprüfung anhand des Verfassungsprozessrechts.
Insbesondere wenn die angegriffene Norm keinen Auslegungs- und Entscheidungsspielraum lässt, kann
ausnahmsweise ein Rechtsschutzbedürfnis für die unmittelbare Anfechtung des Gesetzes bereits vor Erlass
des Vollziehungsaktes zu bejahen sein. Dies ist der Fall, wenn das Gesetz den Betroffenen schon vorher zu
entscheidenden Dispositionen veranlasst, die er nach dem späteren Gesetzesvollzug nicht mehr nachholen
oder korrigieren könnte. Auch wenn eine Rechtsnorm, obwohl sie vollzugsbedürftig ist, unabhängig davon
schon die Rechtsposition des Betroffenen nachteilig verändert, kann die Unmittelbarkeit zu bejahen sein
(BVerfGE 140, 42 [57 ff.]).
(2d) Betroffenheit durch “Vorauswahlen“
Eine unmittelbare Betroffenheit kann auch vorliegen bei einer einer gerichtlichen Entscheidung (Bestellung
zum Insolvenzverwalter) vorausliegenden Verweigerung einer Aufnahme in die Vorauswahlliste (BVerfGE
141, 121 [128 f.]).
(3) Fristwahrung
Im Wesentlichen hat ein Beschwerdeführer zwei Fristen zu beachten, nämlich - erstens (unmittelbar nachfolgend) - eine Monatsfrist gegen verfahrensabschließende Gerichtsentscheidungen und - zweitens (nachfolgend
(6)) - eine Jahresfrist gegen Normen (Gesetze und Rechtsverordnungen):
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(3a) Allgemeines zur Fristberechnung
Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass für die Berechnung von Fristen auch im Bereich des öffentlichen
Rechts die §§ 187 ff. BGB herangezogen werden können und dass nach diesen Vorschriften auch die in §
93 BVerfGG bestimmten Fristen zu berechnen sind (BVerfGE 102, 254 [295]; dort auch zu einer konkreten
Berechnung einer Jahresfrist).
(3b) Monatsfrist und Möglichkeit der Wiedereinsetzung
Die einmonatige Frist zur Einlegung und Begründung einer Verfassungsbeschwerde beginnt gemäß § 93 Abs.
1 Satz 2 und Satz 3 BVerfGG mit der - der Form nach im jeweils einschlägigen Verfahrensrecht geregelten Bekanntgabe der Entscheidung, die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen wird.
Ist der Beschwerdeführer - wie im Regelfall nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG - gehalten, vor Einlegung der
Verfassungsbeschwerde den Rechtsweg zu erschöpfen, so wird der Lauf der Monatsfrist mit der Bekanntgabe
der nach der jeweiligen Verfahrensordnung letztinstanzlichen Entscheidung in Gang gesetzt. Muss der Beschwerdeführer aus Gründen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde über die Erschöpfung des Rechtswegs hinaus von einer Möglichkeit zur Beseitigung der von ihm gerügten Grundrechtsverletzung Gebrauch
machen, dann ist erst die Entscheidung über diesen Rechtsbehelf für den Beginn der Monatsfrist maßgebend.
Dagegen hindert die Einlegung eines offensichtlich unzulässigen Rechtsbehelfs den Ablauf der Monatsfrist
nicht (BVerfGE 122, 190 [197]; dort [198 f.] auch zur Frage, inwieweit eine Gehörsrüge zum Fachgericht zu dem
Rechtsweg zu rechnen ist, welcher zum Zweck der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde zu “erschöpfen“
ist; nachfolgend (5)).
(3c) Monatsfrist und (offensichtlich) unzulässiger vorgängiger Rechtsbehelf
Die Einlegung eines offensichtlich unzulässigen Rechtsbehelfs ist - wie bereits erwähnt - für die Monatsfrist
aus § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ohne Bedeutung, weshalb die hierauf ergangene gerichtliche Entscheidung
die Frist nicht erneut in Lauf setzt (BVerfGE 122, 190 [199]; dort [199 f.] auch ausführlich zur Frage, inwieweit
eine Gegenvorstellung aus verfassungsrechtlichen Gründen statthaft bzw. unstatthaft ist).
(3d) (Zulässige) Begründungsergänzung (und unzulässige Erweiterung des Gegenstandes)
Bei Rügen handelt es sich oft nicht lediglich um eine nach Ablauf der Beschwerdefrist erfolgte Ergänzung des
Vortrags in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, sondern um eine nach Fristablauf unzulässige Erweiterung
des Verfahrensgegenstands. Nach § 92 BVerfGG bedarf es der genauen Bezeichnung des Hoheitsakts, der mit
der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden soll.
Bei Rechtsnormen reicht es daher regelmäßig nicht aus, das gesamte Gesetz zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde zu machen. Notwendig ist vielmehr die exakte Bezeichnung der einzelnen mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Bestimmungen (BVerfGE 109, 279 [305]; ähnlich ist es bei mehreren belastenden Gerichtsentscheidungen).
(3e) Begründung bei gerichtlichen Entscheidungen mit verschiedenen (tragenden) Gründen
Werden mehrere gerichtliche Entscheidungen, die auf verschiedenen Gründen beruhen, mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen, bedarf es der fristgerechten Auseinandersetzung mit jeder einzelnen Entscheidung
(BVerfGE 128, 90 [99]).
(4) Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungsgründe
In einer Entscheidung ist die - auch aus dem gewöhnlichen Verfahrensrecht bekannte - Problematik der
Beschwer durch Gründe einer gerichtlichen Entscheidung und Zulässigkeit einer hiergegen gerichteten
Verfassungsbeschwerde wie folgt zusammengefasst worden (BVerfGE 140, 42 [54 ff.] für Rechtsprechung des
BAG zu kirchlichem Arbeitsrecht; dort [56 ff.] auch zu weiteren denkbaren Ausnahmefällen im Strafprozess):
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(4a) Grundsatz (Unzulässigkeit, Erfordernis der Tenorbeschwer)
Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen, kann sich die Beschwer in aller
Regel nur aus dem Tenor der Entscheidung ergeben; er allein bestimmt verbindlich, welche Rechtsfolgen
aufgrund des festgestellten Sachverhalts eintreten.
Erforderlich ist eine Beschwer im Rechtssinne ; eine faktische Beschwer allein genügt nicht. Rechtsausführungen sowie nachteilige oder als nachteilig empfundene Ausführungen in den Gründen einer Entscheidung
allein begründen keine Beschwer. Dieser im Verfahrensrecht allgemein anerkannte Rechtsgrundsatz gilt auch
für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde, da sie in erster Linie dem Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber der Staatsgewalt dient. Deshalb kann eine Verfassungsbeschwerde nicht darauf gestützt werden,
dass ein Gericht lediglich in den Gründen seiner Entscheidung eine Rechtsauffassung vertreten hat, die der
Beschwerdeführer für grundrechtswidrig erachtet.
(4b) Ausnahmen
Analog zur Rechtsprechung zu faktischen Grundrechtseingriffen hat das Bundesverfassungsgericht in eng
begrenzten Ausnahmefällen Verfassungsbeschwerden gegen die allein in den Gründen einer gerichtlichen
Entscheidung liegende Belastung für möglich gehalten.
Bei strafprozessualen Einstellungsentscheidungen können Schuldzuweisungen oder -feststellungen in den
Gründen einen selbständigen Grundrechtsverstoß bedeuten, wenn durch diese dem Beschuldigten strafrechtliche Schuld attestiert wird, obwohl das Verfahren eingestellt, also dem Tatverdacht nicht weiter nachgegangen worden ist und das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren zum Nachweis der Schuld nicht stattgefunden
hat. Denn ein derartiger richterlicher Spruch zur Schuldfrage hat Gewicht, auch wenn er dem Betroffenen
im Rechtsverkehr nicht vorgehalten werden darf.
Auch freisprechende Urteile können durch die Art ihrer Begründung Grundrechte verletzen, wenn die
Entscheidungsgründe - für sich genommen - den Angeklagten so belasten, dass eine erhebliche, ihm nicht
zumutbare Beeinträchtigung eines grundrechtlich geschützten Bereichs festzustellen ist, die durch den Freispruch nicht aufgewogen wird.
Soweit das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf ehrverletzende Äußerungen eine Grundrechtsverletzung durch die Gründe einer gerichtlichen Entscheidung in Erwägung gezogen hat, kam es in der Entscheidung letztlich nicht darauf an (BVerfGE 15, 283 [286 f.]).
(5) “Erschöpfung“ des Rechtswegs (Subsidiarität)
Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist jede gesetzlich normierte Möglichkeit der Anrufung
eines Gerichts.
(5a) Begründungserfordernisse sowie Subsidiaritätsgrundsatz
Nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG mus sich die Verfassungsbeschwerde mit dem zugrundeliegenden
einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Sachverhalts auseinandersetzen und
hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden
argumentativen Auseinandersetzung mit ihr und ihrer Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit
das jeweils bezeichnete Grundrecht verletzt sein und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die
angegriffene Maßnahme kollidieren soll. Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits
verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe dargelegt werden, inwieweit
Grundrechte durch die angegriffenen Maßnahmen verletzt werden.
[1] Der aus § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG abgeleitete Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde
fordert, dass ein Beschwerdeführer - über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne
hinaus - alle ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend
gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern.
[2] Dem Bundesverfassungsgericht soll vor seiner Entscheidung unter anderem ein regelmäßig in mehreren
Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet und die Fallanschauung der Gerichte, insbesondere der
obersten Bundesgerichte, vermittelt werden.
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Deswegen ist dem Subsidiaritätsgrundsatz auch nicht genügt, wenn im Instanzenzug ein Mangel nicht
nachgeprüft werden konnte, weil er nicht oder nicht in ordnungsgemäßer Form gerügt worden war. Zwar
resultiert daraus keine allgemeine Pflicht, verfassungsrechtliche Erwägungen und Bedenken schon in das
fachgerichtliche Verfahren einzuführen. Dies lässt aber die Obliegenheit der Parteien unberührt, die für die
Entscheidung maßgeblichen Tatsachen bereits im Ausgangsverfahren vollständig vorzutragen; ein grundsätzlich neuer Tatsachenvortrag ist im Verfahren der Verfassungsbeschwerde ausgeschlossen. Hat der Beschwerdeführer die Tatsachen dort nicht vollständig vorgebracht, hat er nicht alles ihm Zumutbare getan,
um eine fachgerichtliche Entscheidung zu seinem Gunsten herbeizuführen (BVerfGE 140, 229 [232 f.]).
(5b) Gegenvorstellung (und gesetzlich geregelte Gehörsrüge)
Die Gegenvorstellung war (und ist wohl immer noch) kein gesetzlich geregelter Rechtsbehelf. Mit der Gegenvorstellung wendet sich der Betroffene nämlich außerhalb der einschlägigen Verfahrensordnung und außerhalb
förmlicher Verfahrensrechte an das Gericht mit dem Ziel der Überprüfung seiner Entscheidung. Die Gerichte sind bei der sachlichen Entscheidung über eine Gegenvorstellung von der Beachtung der einschlägigen
gesetzlichen Regelungen namentlich des Verfahrensrechts nicht befreit.
So ist es ausgeschlossen, gesetzlich geregelte Bindungen des Gerichts an seine eigenen Entscheidungen, wie
insbesondere die Innenbindung während des laufenden Verfahrens nach § 318 ZPO, ohne gegenläufige gesetzliche Grundlage zu übergehen. Vor allem aber ist dann, wenn ein Gericht auf eine Gegenvorstellung an
seiner eigenen, von ihm selbst als fehlerhaft erkannten Entscheidung nicht festhalten will, zu beachten, dass
die Lösung des hier zu Tage tretenden Konflikts zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit in
erster Linie dem Gesetzgeber übertragen ist. Auch insoweit können sich die Gerichte mithin nicht von der
maßgeblichen gesetzlichen Regelung lösen.
Dies gilt insbesondere für gerichtliche Entscheidungen, die ungeachtet etwaiger Rechtsfehler nach dem jeweiligen Verfahrensrecht in Rechtskraft erwachsen und deshalb weder mit ordentlichen Rechtsbehelfen angegriffen noch vom erkennenden Gericht selbst abgeändert werden können. Die Bindung der Gerichte ist hier
von besonderer Bedeutung, weil der materiellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen auch wesentliche
rechtsstaatliche Funktionen zukommen, indem sie Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zwischen den Beteiligten herstellt (BVerfGE 122, 190 [203]; dort (204 f.] auch zur denkbaren Wiedereinsetzung trotz “eigentlicher“
Fristversäumnis).
Für eine gesetzlich vorgesehene Gehörsrüge dürften teilweise andere Maßstäbe gelten (a.a.O. [198 f.]).
(5c) Unzulässiger Rechtsbehelf
Zwar ist eine Verfassungsbeschwerde mangels ordnungsgemäßer Rechtswegerschöpfung in der Regel unzulässig, wenn ein an sich gegebenes Rechtsmittel mangels Nutzung der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten
erfolglos bleibt. Es ist verfassungsrechtlich dabei insbesondere unbedenklich, die Beschreitung des Rechtswegs
von der Erfüllung bestimmter formaler Voraussetzungen abhängig zu machen.
Da aber ein Beschwerdeführer wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde auch dann verpflichtet ist,
von einem Rechtsbehelf Gebrauch zu machen, wenn dessen Zulässigkeit im konkreten Fall unterschiedlich
beurteilt werden kann, können ihm keine Nachteile daraus erwachsen, wenn sich ein solcher Rechtsbehelf
später als unzulässig erweist.
Anders liegen die Dinge nur bei einem offensichtlich unzulässigen oder nicht ordnungsgemäß genutzten
Rechtsbehelf (BVerfGE 128, 90 [99 f.]).
(5d) Ausnahme bei “Unzumutbarkeit“ der Rechtswegerschöpfung
Eine Ausnahme vom Subsidiaritätsgrundsatz ist dann gerechtfertigt, wenn es dem Beschwerdeführer im
konkreten Fall unzumutbar ist, vor Einlegung der Verfassungsbeschwerde eine andere an sich gegebene Möglichkeit zur Beseitigung der geltend gemachten Grundrechtsverletzung nutzen zu sollen (BVerfGE 110, 177
[189] für Spätaussiedler betreffende Verteilungsentscheidungen; dort [188] auch zum Rechtsschutzbedürfnis
wegen fortdauernder Belastung trotz vermeintlicher Erledigung; vgl. auch BVerfGE 122, 190 [201]; dort
[200 f.] auch zum Verhältnis der Verfassungsbeschwerde zu einer landesverfassungsrechtlichen Möglichkeit;
“grundsätzlich getrennte Verfassungsbereiche“).
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(6) Die innerhalb einer Jahresfrist zu erhebende Verfassungsbeschwerde gegen Rechtsnormen
Nicht minder schwierig kann - trotz “größerer Bedenkzeit“ - eine Verfassungsbeschwerde sein, die unmittelbar
gegen eine Rechtsnorm gerichtet ist, weil insoweit das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit (sog.
Beschwerdebefugnis) gilt:
Die Beschwerdebefugnis setzt, wenn eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz erhoben wird,
voraus, dass der Beschwerdeführer durch die angegriffene Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar in
Grundrechten betroffen ist (BVerfGE 109, 279 [305]; vgl. bereits BVerfGE 102, 254 [296]; dort auch zu
Substantiierungserfordernissen).
Ein “Unterlassen“ eines Gesetzgebers kann Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sein, wenn sich die Beschwerde auf einen ausdrücklichen Auftrag des Grundgesetzes berufen kann, der Inhalt und Umfang der
Gesetzgebungspflicht im Wesentlichen umgrenzt hat (BVerfGE 139, 321 [346]).
(6a) Unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung
Grundsätzlich ist - wie bereits unter (2) dargelegt - die Voraussetzung einer unmittelbaren Rechtsbeeinträchtigung, dass ein Akt der Rechtsanwendung zwischen die abstrakte gesetzliche Regelung und die Rechtssphäre
der Beschwerdeführer tritt. Ein Beschwerdeführer, der das Gesetz selbst angreift, muss deshalb geltend machen können, gerade durch die angegriffene Rechtsnorm und nicht erst durch ihren Vollzug in seinen Rechten
verletzt zu sein.
Setzt das Gesetz zu seiner Durchführung rechtsnotwendig oder auch nur nach der tatsächlichen staatlichen
Praxis einen besonderen, vom Willen der vollziehenden Stelle beeinflussten Vollziehungsakt voraus, muss der
Beschwerdeführer grundsätzlich zunächst diesen Akt angreifen und den gegen ihn eröffneten Rechtsweg
erschöpfen, bevor er die Verfassungsbeschwerde erhebt.
Die Verfassungsbeschwerde kann sich jedoch ausnahmsweise unmittelbar gegen ein vollziehungsbedürftiges
Gesetz richten, wenn der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht beschreiten kann, weil es ihn nicht gibt oder
weil er keine Kenntnis von der Maßnahme erlangt. In solchen Fällen steht ihm die Verfassungsbeschwerde
unmittelbar gegen das Gesetz ebenso zu wie in jenen Fällen, in denen die grundrechtliche Beschwer ohne
vermittelnden Vollzugsakt durch das Gesetz selbst eintritt (BVerfGE 109, 279 [306 f.]; dort [307] auch
dazu, dass auch eine gesetzlich vorgesehene nachträgliche Benachrichtigungspflicht der Zulässigkeit nicht
entgegenstehen muss).
Trotz Nichtbeschreiten des fachgerichtlichen Rechtswegs kann dem Grundsatz der Subsidiarität genügt sein,
wenn spezifisch verfassungsrechtliche Voraussetzungen in Rede stehen, die keine verbesserte Entscheidungsgrundlage durch eine vorausgegangene fachgerichtliche Prüfung erwarten lassen (BVerfGE 139, 321 [347]).
(6b) Darlegung einer möglichen Betroffenheit
Die Möglichkeit der eigenen und gegenwärtigen Betroffenheit ist grundsätzlich erfüllt, wenn der Beschwerdeführer darlegt, dass er mit einiger Wahrscheinlichkeit durch die auf den angegriffenen Rechtsnormen beruhenden Maßnahmen in seinen Grundrechten berührt wird.
Der geforderte Grad der Wahrscheinlichkeit wird davon beeinflusst, welche Möglichkeit der Beschwerdeführer hat, seine Betroffenheit darzulegen. So ist bedeutsam, ob die Maßnahme auf einen tatbestandlich eng
umgrenzten Personenkreis zielt oder ob sie eine große Streubreite hat und Dritte auch zufällig erfassen kann.
Darlegungen, durch die sich der Beschwerdeführer selbst einer Straftat bezichtigen müsste, dürfen zum Beleg
der eigenen gegenwärtigen Betroffenheit nicht verlangt werden (BVerfGE 109, 279 [307 f.]; dort [308] auch
dazu, dass praktisch jedermann Objekt einer akustischen Wohnraumüberwachung werden kann).
(6c) Sonderfall des Angriffs auf eine Verfassungsnorm und das ausfüllende Gesetz
Greift ein Beschwerdeführer zugleich eine Grundgesetzänderung und ein entsprechendes grundrechtsausfüllendes Gesetz an, so sind Einwendungen gegen die Grundgesetzänderung (gestützt womöglich auf Art. 79
Abs. 3 GG) unter Umständen nicht als selbständige Rügen anzusehen, deren Unzulässigkeit gesondert festzustellen wäre, sondern als Anregung zur inzidenten Nachprüfung der Zulässigkeit der Verfassungsänderung,
soweit sie für die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Vorschriften von Bedeutung ist (BVerfGE 109, 279
[306]).
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bb) Vorlage durch ein Fachgericht (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG)
Eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG (sog. “konkrete Normenkontrolle“; vgl. zum Prüfungsmaßstab
BVerfGE 126, 369 [388]) ist nur zulässig, wenn das vorgelegte Gesetz für das von dem vorlegenden Gericht
zu entscheidende Verfahren entscheidungserheblich ist. Die Erheblichkeit kann entfallen sein, wenn die Norm
außer Kraft getreten ist und für das Ausgangsverfahren (und womöglich auch nicht für andere Verfahren)
bedeutungslos geworden ist (BVerfGE 141, 143 [163]).
(1) Darlegung der Entscheidungserheblichkeit
Das ist die zur Prüfung gestellte Norm nur, wenn es für die Endentscheidung auf den Bestand der Regelung
ankommt. Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das
vorlegende Gericht daher darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten
Norm abhängt. Dazu muss der Vorlagebeschluss mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das
vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis käme
als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie das Gericht dieses Ergebnis begründen würde.
Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist dabei grundsätzlich
die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist
(BVerfGE 139, 1 [14 f.]; dort [16 ff.] im Übrigen ausführlich zu Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Angelegenheiten
der örtlichen Gemeinschaft); das vorlegende Gericht muss nicht auf jede denkbare Rechtsauffassung eingehen
(BVerfGE 141, 1 [13 f.]).
(2) Darlegung der (verfassungsrechtlichen) Vorlagegründe
Für eine zulässige Vorlage muss das Fachgericht ferner deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist und aus welchen
Gründen es zu dieser Auffassung gelangt. Hierzu bedarf es eingehender, Rechtsprechung und Schrifttum
einbeziehender Darlegungen (BVerfGE 138, 136 [171 f.]; dort [175] auch zur - bejahten - Erheblichkeit für die
Fälle einer Aussetzung des Ausgangsverfahrens nach der Entscheidung bzw. einer begrenzten Weitergeltung
des beanstandeten Rechts; vgl. auch BVerfGE 138, 64 [92 f.] zum Vorrang einer - zulässigen - verfassungskonformen Auslegung vor einer Vorlage).
(3) “Vorentscheidung“ des Verfassungsgerichts und Vorlage
Hat das Bundesverfassungsgericht beispielsweise die Unvereinbarkeit einer Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG festgestellt (und deren Weitergeltung für einen bestimmten Zeitraum angeordnet), so steht dies einer Vorlage
(auch im Hinblick auf den Weitergeltungszeitraum) nicht entgegen, sofern die Norm in einem anderen
Regelungszusammenhang steht (BVerfGE 139, 285 [299 ff.]; dort [297 ff.] auch zu Präzisierungen und Erweiterungen von Vorlagen; “Befriedungsfunktion“ der Normenkontrollentscheidung).
(4) Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichts
Ist eine Richtervorlage zumindest unter einem Aspekt zulässig, prüft das Bundesverfassungsgericht die vorgelegte Norm unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten (BVerfGE 141, 1 [14 f.]).
cc) Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG
Bei diesem Verfahren handelt es sich um ein “kontradiktorisches“. Es dient maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihren Teilen in einem Verfassungsrechtsverhältnis,
nicht der davon losgelösten Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns.
Der Organstreit ist keine objektive Beanstandungsklage (BVerfGE 140, 1 [21]).
(1) Parteifähigkeit (§§ 13 Nr. 5, 63 BVerfGG)
Verhältnismäßig häufig wird inzwischen - außer von Parteien (nachstehend (1b)) - von Fraktionen (meist der
Minderheit) eine Organstreitigkeit eingeleitet, die sich meist - zulässig - gegen die Bundesregierung richtet.
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(1a) Fraktionen
Regelmäßig ist eine Fraktion berechtigt, sowohl eigene Rechte als auch Rechte des Deutschen Bundestages im
Wege der Prozessstandschaft geltend zu machen. Dies ist Ausdruck der Kontrollfunktion des Parlaments
und zugleich ein Instrument des Minderheitenschutzes (BVerfGE 139, 194 [220] sowie BVerfGE 140, 160
[185]).
(1b) Parteien
Auch eine politische Partei gemäß Art. 21 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 PartG kann andere
Beteiligte im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG sein. Als solche ist sie berechtigt, im Weg des Organstreits
diejenigen Rechte geltend zu machen, die sich aus dem besonderen verfassungsrechtlichen Status einer politischen Partei ergeben. Dazu zählt auch das Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb gem.
Art. 21 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG (BVerfGE 140, 1 [23]).
(2) Taugliche Antragsgegenstände
Tauglicher Antragsgegenstand kann sowohl ein Handeln als auch ein Unterlassen sein, welche als verletzende
Maßnahme(n) konkret bezeichnet (§ 64 BVerfGG) werden müssen; die Maßnahmen müssen immer “rechtserheblich“ sein (BVerfGE 139, 194 [220 f.] für Antworten auf parlamentarische Anfragen sowie BVerfGE
140, 1 [21] für Verletzung der Chancengleichheit einer nicht im Bundestag vertretenen Partei).
(3) Antragsbefugnis
Grundvoraussetzung für die Antragsbefugnis (eines “Beteiligten mit eigenen Rechten“ i.S. von Art. 93 Abs.
1 Nr. 1 GG) ist ein den Antragsteller und den Antragsgegner “umschließendes Verfassungsrechtsverhältnis“ (BVerfGE 139, 194 [221 f.] für parlamentarische Anfragen; vgl. auch BVerfGE 140, 1 [22] “mögliche“
Rechtsverletzung).
(4) Frist (von sechs Monaten)
Ein Antrag muss gemäß § 64 Abs. 3 BVerfGG binnen sechs Monaten gestellt werden, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist. Mit dieser Ausschlussfrist sollen
im Organstreitverfahren angreifbare Rechtsverletzungen nach einer bestimmten Zeit im Interesse der Rechtssicherheit außer Streit gestellt werden. Richtet sich der Antrag gegen den Erlass eines Gesetzes, beginnt die
Sechs-Monats-Frist mit der Verkündung des Gesetzes zu laufen. Richtet sich das Organstreitverfahren gegen
ein (auch fortdauerndes) Unterlassen des Antragsgegners, wird die Frist spätestens dadurch in Lauf gesetzt,
dass sich der Antragsgegner erkennbar eindeutig weigert, in der Weise tätig zu werden, die der Antragsteller
zur Wahrung der Rechte aus seinem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält (BVerfGE 140, 1
[22]).
(5) (Entfallenes) Rechtsschutzbedürfnis
Das Rechtsschutzbedürfnis eines Antragstellers kann entfallen (etwa infolge eines Ausscheidens aus dem
Bundestag). Gleichwohl kann dann ein Bedürfnis bestehen, dass das Verfassungsgericht die verfassungsrechtlich problematischen Grundlagen klärt (BVerfGE 139, 239 [244 f.]).
Nicht unbedingt entfallen sein muss ein Rechtsschutzbedürfnis etwa einer Bundestagsfraktion durch den
Ablauf einer Legislaturperiode (BVerfGE 139, 194 [223] für erneute Mitgliedschaft im Bundestag; dort auch
zur Ausnahme der “nicht wiederholbaren Verhältnisse“ der abgelaufenen Legislaturperiode).
Im Organstreit entfällt ein Rechtsschutzbedürfnis grundsätzlich nicht
Rechtsverletzung abgeschlossen ist (BVerfGE 140, 160 [185 f.]).
deshalb, weil eine beanstandete
dd) Abstrakte Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG)
Normenverwerfende Entscheidungen aufgrund eines Normenkontrollantrags (vgl. hierzu auch vorstehend
A.III.3.a)aa) (vgl. S. 43) für “umgesetztes“ Unionsrecht) sind häufig erfolgt aus Gründen formellen (etwa
Gesetzgebungskompetenz) oder materiellen Verfassungsrechts; zulässig waren die Anträge meist.
Gleichwohl werden hier kursorisch einige Zulässigkeitsfragen angesprochen:
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(1) Antragsberechtigung (Art. 93 Abs.1 Nr. 2 i.V.m. § 76 Abs. 1 BVerfGG
§ 76 BVerfGG umschreibt die Voraussetzungen, unter denen die Durchführung eines Verfahrens der abstrakten Normenkontrolle beantragt werden kann, und unterscheidet dabei hinsichtlich der sachlichen Voraussetzungen der Antragsbefugnis entsprechend dem Antragsziel danach, ob eine Normenverwerfung beantragt
ist (Nr. 1) oder ob die Vereinbarkeit der zur Überprüfung gestellten Vorschrift mit dem Grundgesetz oder
sonstigem Bundesrecht bestätigt werden soll (Nr. 2).
(1a) Die unterschiedlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten von § 76 Nr. 1 BVerfGG
einerseits und § 76 Nr. 2 BVerfGG andererseits
Diese vom Gesetzgeber auf der Grundlage des Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG getroffene Regelung ist mit Verfassungsrecht vereinbar; sie konkretisiert Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet,
wie es bereits mehrfach festgestellt hat, im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle gemäß Art. 93 Abs. 1
Nr. 2 GG nur, wenn und solange ein “besonderes objektives Interesse“ an der Klarstellung der Geltung der
zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellten Norm gegeben ist.
Ein solches Interesse liegt bei einem Antrag auf Normenverwerfung gemäß § 76 Nr. 1 BVerfGG schon
dann vor, wenn ein - als Organ oder Organteil auf die Bundesverfassung in besonderer Weise verpflichteter
- Antragsteller von der Unvereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Bundesrecht überzeugt ist.
Demgegenüber kann ein besonderer Anlass für die in § 76 Nr. 2 BVerfGG geregelte Bestätigung einer
Norm, von deren Verfassungsmäßigkeit in der Regel auszugehen ist, erst dann bestehen, wenn diese Norm
von den dafür zuständigen Stellen wegen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht
nicht angewandt, nicht vollzogen oder in sonst relevanter Weise missachtet und ihre Geltung damit in einer
ihre praktische Wirksamkeit beeinträchtigenden Weise in Frage gestellt wird.
Die im Falle des § 76 Nr. 2 BVerfGG durch Nichtanwendung der Norm bewirkte - ein objektives Klärungsinteresse begründende - Rechtsunsicherheit kann vom Bundesverfassungsgericht nur dann mit verbindlicher
Wirkung (§ 31 BVerfGG) behoben werden, wenn die Geltung der Norm ausschließlich darum in Frage
gestellt wird, weil sie mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar sei. Nur insoweit steht
dem Bundesverfassungsgericht, das Garant der Bundesverfassung und einer den Vorrang des Bundesrechts
wahrenden Normenordnung ist, ein Prüfungsmaßstab zur Verfügung. Wird die Norm aber zusätzlich aus
anderen Gründen nicht angewandt, etwa weil sie als Rechtsverordnung auch von einer landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage nicht gedeckt sei, so kann das Bundesverfassungsgericht die zur Frage der Geltung der
Norm bestehende Rechtsunsicherheit insgesamt nicht verbindlich ausräumen. Hieraus folgt, dass das besondere objektive Interesse an der Feststellung der Gültigkeit einer Norm gemäß § 76 Nr. 2 BVerfGG nur dann
gegeben ist, wenn gerade die Unvereinbarkeit der Norm mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht
für deren Nichtanwendung entscheidungserheblich war. Nur dann kann das Bundesverfassungsgericht hierzu
Rechtssicherheit schaffen (BVerfGE 96, 133 [137 f.]).
(1b) Antragsberechtigung im Falle einer Zustimmung im Bundesrat
Die Frage, ob eine Zustimmung im Bundesrat die Antragsberechtigung eines Bundeslandes entfallen lässt,
ist geklärt:
Der objektive Charakter des abstrakten Normenkontrollverfahrens macht die Antragsbefugten zu Garanten
einer verfassungsgemäßen Rechtsordnung. Deshalb müssen sie sich nicht schon im Normenentstehungsverfahren bei ihrer Stimmabgabe im Bundesrat schlüssig sein, ob sie später eine abstrakte Normenkontrolle
herbeiführen wollen (BVerfGE 122, 1 [17]).
(2) Begründungspflicht
Ein Normenkontrollantrag ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG zu begründen. Hierzu ist substantiiert
darzutun, aus welchen rechtlichen Erwägungen die angegriffene Norm mit welcher höherrangigen Norm für
unvereinbar gehalten wird (BVerfGE 128, 1 [32]; dort auch dazu, dass eine nicht in den Antrag einbezogene
Norm gleichwohl Prüfungsgegenstand sein kann, wenn ihre Verfassungswidrigkeit auf eine zulässig angegriffene Bestimmung “ausstrahlt“ oder sie notwendiger Bestandteil einer Gesamtregelung ist).
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(3) Antrag und Prüfungsumfang
Der Prüfungsumfang bestimmt sich im Normenkontrollverfahren nach dem gestellten Antrag; dieser kann
auslegungsbedürftig sein (BVerfGE 122, 1 [18 f.] für eine Umfangsbegrenzung trotz in der Antragsschrift
unterbliebener Beschränkung; vgl. auch BVerfGE 119, 394 [408 f.]; dort [409] auch dazu, dass die Überzeugung
eines Antragstellers von der Unvereinbarkeit einer Norm derjenigen von der Nichtigkeit gleichzustellen sein
kann).
(4) Objektives Klarstellungsinteresse (Indizierung und Ausnahmen)
Das objektive Klarstellungsinteresse wird im Falle des Normverwerfungsantrags nach § 76 Nr. 1 BVerfGG
durch die Antragstellung und einen Antragsgrund indiziert.
Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die zum Prüfungsgegenstand erhobene Norm außer Kraft getreten
oder auf andere Wiese gegenstandslos geworden ist.
Nur wenn von der als verfassungswidrig gerügten Norm unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Rechtswirkungen ausgehen, ist das objektive Klarstellungsinteresse zu verneinen. Dies könnte auch dann der Fall
sein, wenn eine Norm dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung unterbreitet wird, die offensichtlich und in
jeder Hinsicht gegenstandslos und damit obsolet geworden ist (BVerfGE 119, 394 [410]; vgl. auch BVerfGE
127, 293 [319]; dort [318 f.] auch zur Prüfung - als “Vorfrage“ - einer einfachgesetzlichen Norm als Grundlage
für eine zur Prüfung gestellte Rechtsverordnung).
ee) Bund-Länder-Streit i.S.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG
Nach § 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, § 13 Nr. 7 BVerfGG entscheidet das Bundesverfassungsgericht bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung
von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht.
Die Zulässigkeit eines Bund-Länder-Streits nach den genannten Vorschriften setzt eine Maßnahme oder
Unterlassung voraus, die innerhalb eines Bund und Land umspannenden materiellen Verfassungsrechtsverhältnisses eine verfassungsrechtliche Rechtsposition des Landes verletzen oder unmittelbar gefährden kann
(BVerfGE 109, 1 [5]; dort [6 ff.] auch zu Kriterien für die Bestimmung eines Bund und Land umschließenden
materiellen Verfassungsrechtsverhältnisses, [10] zu einer äußerst schwierigen Fristwahrung in Verfahren mit
unklarer Zuständigkeit entweder eines obersten Bundesgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts und [12]
zu einer Ausschlussfrist).
ff) Allgemeiner Prüfungsmaßstab bei Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
Bei der Entscheidung über eine begehrte einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es
sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese
sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet.
(1) Folgenabwägung (bei “offenem“ Ausgang des Hauptsacheverfahrens)
Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der
Antrag aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte
einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre
(BVerfGE 140, 99 [106]; dort [107] auch speziell zu beantragten Außervollzugsetzungen von Gesetzen).
(2) Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes als seltene Ausnahme
Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsrechtlichen Verfahren auslöst, gilt für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab.
Soll der Vollzug eines Gesetzes ausgesetzt werden, erhöht sich diese Hürde noch, denn das Bundesverfassungsgericht darf von seiner Befugnis, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, nur mit größter Zurückhaltung
Gebrauch machen, weil dies einen erheblichen Eingriff in die originäre Zuständigkeit des Gesetzgebers darstellt.
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Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechende Gründe schon im Regelfall so schwer wiegen, dass sie
den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen, so müssen sie im Fall der begehrten Außervollzugsetzung eines Gesetzes darüber hinaus besonderes Gewicht haben. Insoweit ist von entscheidender
Bedeutung, ob die Nachteile irreversibel oder nur sehr erschwert revidierbar sind, um das Aussetzungsinteresse durchschlagen zu lassen (BVerfGE 140, 211 [219 f.] im Zusammenhang mit Art. 9 GG; dort [224] auch
zu einstweiligen Anordnungen “von Amts wegen“ - ohne Antrag -).
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B. Die Veränderung bestehenden Bundesrechts und die damit
verbundenen verfassungsrechtlich bedeutsamen Risiken
I. Einführende Darlegungen in die Problematik der Aufhebung und Änderung
vorhandenen Rechts
1.
Die Zusammenhänge zwischen vergangenen, gegenwärtigen und
Sachverhalten und den sie regelnden (früheren, bestehenden und
haftendes Recht“) . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) “Anhaftendes“ Recht . . . . . . . . . . . . . .
b)
zukünftigen tatsächlichen
geplanten) Normen (“an. . . . . . . . .
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aa) Abgeschlossene Rechtsverhältnisse (“abgewickelte“ Sachverhalte) und “offene“
Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) “Recht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Folgen von “Anhaftungen“ (“Geregeltsein“) . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Umfang der “Regelung“
2.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
bb) Folgen einer ex nunc- (bzw. ex tunc-)Aufhebung
(Ersatzlose) Aufhebungen . . . . . . . . . . . .
a) Prüfung der Aufhebungsfähigkeit und -bedürftigkeit .
b) Aufhebungsmodalitäten und -besonderheiten . . . .
c)
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aa) Endgültiges Erlöschen einer Norm mit dem Inkrafttreten der Aufhebungsvorschrift
(keine Möglichkeit der “Wiederbelebung“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(1) “Verlängerungen“ auslaufenden bzw. ausgelaufenen Rechts und “Pauschalaufhebungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(2) Folgen einer Nichtigerklärung durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . .
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bb) Einfluss des Rechtsstaatsprinzips auf bestimmte Aufhebungen . . . . . . . . . .
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(1) Aufhebungen ex nunc (mit Wirkung für die Zukunft) und u.U. Pflicht zur
Schaffung von Übergangsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(2) Aufhebungen ex tunc (mit Wirkung für die Vergangenheit) . . . . . . . . . .
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(3) Ex tunc-Aufhebungen von NS-Unrecht
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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cc) Aufhebung “als Bundesrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Folgen von (ersatzlosen) Aufhebungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) “Nachwirkungen“ aufgehobenen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(1) Grundsatz des fortdauernden “Geregeltseins und -bleibens“
. . . . . . . . .
(2) Fortwirken aufgehobenen Rechts durch Wiederaufgreifensverfahren
3.
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(3) Fortwirken aufgehobenen Übergangsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) Aufhebungen strafrechtlicher Normen zwischen Tat und Aburteilung . . . .
Abänderungen von Bundesrecht und Hauptgefahren . . . . . . . . . . . . .
a) Unpräzise Festlegungen der zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereiche . . .
b) (Unbewusste) “Regelungslücken“ bzw. “sich überschneidende Rechtsregime“ . .
c) Bewusste Entwertungen von Rechtspositionen (Rückwirkung) . . . . . . .
d) Fehlerhafte “Klarstellungen“
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Verfehlung des Ziel klarer, bestimmter, berechenbarer und “verlässlicher“ Normen
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Die Wörter “aufheben“ und/oder “ändern“ kennzeichnen (im Gegensatz zur Tätigkeit der Gerichte) grundsätzlich eine Tätigkeit des Gesetzgebers (BVerfGE 15, 337 [346]).
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Entscheidet das Bundesverfassungsgericht , dass eine Norm nichtig bzw. mit der Verfassung unvereinbar
ist (vorstehend A.III.4. (vgl. S. 47) ), so bedeutet das zwar in der Regel, dass die Norm (von Anfang an)
rechtsunwirksam ist (grundlegend: BVerfGE 1, 14 [37]; vgl. auch BVerfGE 132, 334 [359]), was der Sache
nach auch eine Aufhebung (ex tunc) ist; bei Handlungen des Gesetzgebers kann aber durchaus Anderes
gelten (beispielsweise kann eine Aufhebung zulässig nur dann sein, wenn sie ex nunc - mit Wirkung nur
für die Zukunft - erfolgt).
1. Die Zusammenhänge zwischen vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen
tatsächlichen Sachverhalten und den sie regelnden (früheren, bestehenden und
geplanten) Normen (“anhaftendes Recht“)
Während die - inzwischen statistisch die absolute Ausnahme darstellende - erstmalige Regelung einer Materie, wie in den vorstehenden Ausführungen dargelegt (A.II.1. (vgl. S. 9) bis 4.), eher Probleme im Hinblick auf
die (ab den Verkündungs- bzw. Inkrafttretenszeitpunkten) zu gestaltende Gegenwart und Zukunft aufwirft
und die erstmalige Regelung abgeschlossener oder noch offener tatsächlicher Sachverhalte regelmäßig
unproblematisch ist, weil für gewöhnlich keine Rechtspositionen beeinträchtigt werden können, welche verfassungsrechtlich “aufrechterhaltungsbedürftig“ (BVerfGE 30, 367 [386 f.] sowie BVerfGE 126, 369 [391 f.]
für Grundsatz der Aufrechterhaltung materieller und BVerfGE 87, 48 [63 f.] für Aufrechterhaltung verfahrensrechtlicher Positionen; vgl. auch BT-Dr. 16/47, S. 39 f. sowie BT-Dr. 16/5051, S. 24) sind, ist dies bei der
- statistisch eindeutig dominierenden - Aufhebung und Veränderung bereits bestehenden Rechts regelmäßig
eher umgekehrt.
Der Gesetzgeber muss viel Sorgfalt auf die Beantwortung der Frage verwenden, ob er mit seinen Gesetzesänderungen nicht etwa “nur“ i.S.v. Art. 19 Abs. 1 GG Grundrechte für die Zukunft einschränkt, sondern
darüber hinaus - bewusst oder unbewusst - aufgrund des alten Rechts entstandene schutzwürdige Rechtspositionen unzulässig beeinträchtigt. Hierbei mag die Idee des an Sachverhalten “anhaftenden Rechts“
hilfreich sein:
a) “Anhaftendes“ Recht
Bei der exakten Überprüfung und Beurteilung von vorliegenden - früheren bzw. gegenwärtigen - Regelungen (abgeschlossener Sachverhalte oder Rechtsverhältnisse) geht es vorrangig darum, herauszufinden und zu
bestimmen, welches (früher oder aktuell) gültige Recht - gleichgültig, ob materielles, (spezielles oder allgemeines) Verfahrens-, Dauer- oder Übergangsrecht - mit welchen Rechtsfolgen diesen tatsächlichen Verhältnissen
(immer noch) regelnd “anhaftet“ (BT-Dr. 16/5051, S. 24 r. Sp., unter Anlehnung an Klein/Barbey, 1964),
und zwar gleichgültig, ob die Rechtsfolgen durch den Gesetzgeber unmittelbar bewirkt, vertraglich herbeigeführt, behördlich verfügt oder gerichtlich zugesprochen bzw. gestaltet worden sind, gleichgültig zunächst
auch, ob die Rechtsfolgen (einzelne oder mehrere oder alle Regelungsadressaten) belasten oder begünstigen.
aa) Abgeschlossene Rechtsverhältnisse (“abgewickelte“ Sachverhalte) und “offene“ Rechtsverhältnisse
Nur eingeschränkt “anhaftend“ ist Recht, wenn nicht von “abgeschlossenen“ Rechtsverhältnissen bzw. “abgewickelten“ Sachverhalten oder Tatbeständen (BVerfGE 126, 369 [391] die Rede sein kann, sondern lediglich
von (noch) “offenen“, nicht endgültig geregelten Rechtsverhältnissen, was vor allem bei sog. Dauerrechtsverhältnissen der Fall sein dürfte:
Zwar wird man eine nach dem damals gültigen Recht geschlossene Ehe als “abgeschlossenen“ tatsächlichen
wie rechtlichen Vorgang bewerten müssen (mit der Folge, dass sie als solche auch vom Gesetzgeber regelmäßig nicht mehr in Frage gestellt werden darf), womit aber nicht verbunden sein muss, dass der Gesetzgeber
auch auf das Dauerverhältnis Ehe nicht mehr einwirken dürfte; insoweit wird maßgeblich sein, ob Betroffene
zulässig ein Vertrauen auf den Fortbestand auch von gesetzlichen Begleitfolgen entwickeln durften (vgl. zur
sog. echten und unechten Rückbewirkung nachfolgend B.III.4. (vgl. S. 99) und B.III.5. (vgl. S. 101) ).
bb) “Recht“
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Seite 75
Unter “Recht“ in diesem Verständnis kann dabei - über die traditionellen Rechtsquellen (Verfassung, Gesetze,
Rechtsverordnungen, Satzungen) hinaus - auch (wie unter A.III.3. (vgl. S. 42) dargelegt) umzusetzendes oder
unmittelbar verbindliches (primäres oder sekundäres) Gemeinschaftsrecht verstanden werden.
Untergesetzliche Regelwerke oder Verwaltungsvorschriften können nur dann “Recht“ darstellen, wenn durch
eine entsprechende gesetzliche Verweisung auf sie etwa die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe erfolgt ist oder wenn die konkretisierende Heranziehung solcher Vorschriften oder Regelwerke in vergleichbarer
Weise auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruht (BVerfGE 129, 1 [21 f.]).
b) Folgen von “Anhaftungen“ (“Geregeltsein“)
Im Falle solcher “Anhaftungen“ ist es zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, dass Neuregelungen erfolgen,
sei es ex tunc (von Anfang an), sei es ex nunc (nur mit Wirkung für die Zukunft), und es ist auch schon in
seltenen Fällen vorgekommen, dass der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise rückwirkend in eine Vielzahl bereits abschließend geregelter Sachverhalte oder Rechtsverhältnisse eingegriffen und
Neuregelungen vorgenommen hat (etwa BVerfGE 72, 302 [318 ff.] für rückwirkende Heilungen), wodurch ein
Vertrauen in den Fortbestand solcher “Anhaftungen“ hat zerstört werden können, aber regelmäßig ist dieses Vertrauen durch die Verfassung, allgemeine Bestands- bzw. Rechtskraftregelungen oder Rechtsgrundsätze
dauerhaft geschützt.
aa) Umfang der “Regelung“
Aus den “Anhaftungen“ des Rechts an den Sachverhalten ergeben sich nicht nur die eingetretenen unmittelbaren Rechtsfolgen (Ansprüche sind entstanden; Dauerrechtsverhältnisse, wie beispielsweise Ehen, sind
begründet oder - ex tunc oder ex nunc - beendet worden; Belastungen sind auferlegt worden; Verbindlichkeiten sind begründet worden), sondern auch weitere Folgen für den Fall eines Streits über das Ob und
Wie des “Geregeltseins“.
So ist regelmäßig unmittelbar der regelnden Norm zu entnehmen (sollte durch Auslegung entnehmbar sein),
wann etwa eine hierauf gestützte Verfügung hinreichend bestimmt ist, wer im Streitfall die Darlegungsund Beweislast tragen muss und auf welchen Zeitpunkt bzw. welche Zeiträume bei der tatsächlichen wie
rechtlichen Bewertung abzustellen ist, wenn hierfür mehrere in Betracht kommen; revisionsrechtlich handelt
es sich hierbei regelmäßig um Rechts- und nicht um Tatsachen-bzw. Verfahrensfragen.
bb) Folgen einer ex nunc- (bzw. ex tunc-)Aufhebung
Die “Anhaftungen“ sind im Regelfall so beständig, dass sie sogar eine spätere ex nunc-Aufhebung der Rechtsgrundlage überdauern; die zum Zeitpunkt der - kraft Gesetzes erfolgten, verfügten oder vertraglich geschaffenen - Regelung hierfür maßgebliche gültige Norm war, ist und bleibt Rechtsgrundlage für das geschaffene
Rechtsverhältnis (im Einzelnen nachfolgend c)).
Auch in der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird dies dadurch “anerkannt“, dass
es eine Prüfung bereits außer Kraft getretener Normen davon abhängig macht, ob von ihnen “noch Rechtswirkungen ausgehen“, die entscheidungserheblich sein können (BVerfGE 130, 1 [42]).
Anders kann es sich verhalten, wenn es zulässig unternommen wird, durch eine Aufhebung ex tunc (von
Anfang an) eine Ablösung der Rechtsfolgen von den (geregelten) Sachverhalten vorzunehmen.
2. (Ersatzlose) Aufhebungen
Einmal verkündete und in Kraft gesetzte Rechtsvorschriften gehören - vorbehaltlich des (sehr seltenen)
Sonderfalls eines evidenten Obsoletgewordenseins (nachfolgend B.II.1.b)aa) (vgl. S. 82) sowie B.II.1.c)aa)(3)
(vgl. S. 83) ) - so lange zum geltenden Bundesrecht, bis sie förmlich außer Kraft gesetzt bzw. aufgehoben
worden sind.
Brunn - Kapitel B.I.2.
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a) Prüfung der Aufhebungsfähigkeit und -bedürftigkeit
Einmal gesetztes Recht ist aber praktisch nur so lange als geltendes Recht erhaltungsbedürftig, wie es (noch)
zur Bewertung von neuen oder noch nicht (gänzlich) abgeschlossenen Sachverhalten und der damit verbundenen rechtlichen Verhältnisse geeignet und erforderlich ist, und sei es auch nur in wenigen Fällen (BT-Dr.
16/47, S. 34).
Überholte und inhaltsleere Vorschriften sollten daher regelmäßig aus dem Bestand des geltenden Rechts
entfernt werden, schon um dem Eindruck vorzubeugen, dass sie für die Bewertung heutiger bzw. zukünftiger
Sachverhalte noch maßgeblich wären.
Bereits nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 und Nr. 6 des Gesetzes über die Sammlung des Bundesrechts vom 10. Juli
1958 (BGBl. I, S. 437) war für die Aufnahme bzw. Nichtaufnahme von Vorschriften in die Sammlung des
Bundesrechts (BGBl. III) maßgeblich, ob und inwieweit Vorschriften oder Teile von Vorschriften
• “einen überholten Tatbestand oder ein überholtes Rechtsverhältnis voraussetzen“ oder
• “vollzogen sind“.
b) Aufhebungsmodalitäten und -besonderheiten
Regelmäßig erlischt eine Vorschrift mit dem Inkrafttreten des Außerkrafttretensbefehls, was u.a. zur Folge
hat, dass danach diese Bestimmung - als solche - nicht “wiederbelebt“ werden kann.
aa) Endgültiges Erlöschen einer Norm mit dem Inkrafttreten der Aufhebungsvorschrift (keine Möglichkeit der “Wiederbelebung“)
Ein alter Rechtszustand kann - zwar regelmäßig nicht durch den Gesetzgeber, womöglich (nachfolgend
(2)) aber durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 102, 197 [208] sowie BVerfGE
104, 126 [150] fragwürdig; vgl. aber die Einschränkung in BVerfGE 131, 316 [376]) - nicht vermittels einer
Aufhebung eines bereits vollzogenen Aufhebungsbefehls wieder hergestellt werden.
Anders kann es sein bei zeitlich verzögerten oder bedingten Aufhebungsbefehlen, die regelmäßig zulässig
sind.
(1) “Verlängerungen“ auslaufenden bzw. ausgelaufenen Rechts und “Pauschalaufhebungen“
Greift ein späterer Gesetzgeber eine bereits außer Kraft gesetzte Regelung gleichwohl wieder auf, so kann
dies äußerstenfalls bedeuten, dass eine wortgleiche neue Regelung geschaffen wird, wobei dies meist in Form
einer Verweisung (BVerfGE 47, 285 [311 ff.]) geschieht.
Mit anderen Worten hat die “Verlängerung“ einer bereits außer Kraft getretenen Regelung die Schaffung einer
inhaltsgleichen neuen Regelung zur Folge (BVerfGE 8, 274 [Leitsatz 1]). Diese neue Regelung beansprucht
Geltung regelmäßig erst ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Verlängerungsbefehls; der Umstand allein,
dass das vom Gesetzgeber in Bezug genommene Recht - für sich gesehen - bereits außer Kraft ist, bedingt aber
unter der Voraussetzung, dass die Inbezugnahme zu einer insgesamt klaren Regelung führt, keine Ungültigkeit
des neu geschaffenen Rechts (a.a.O. [302 ff.]).
Gültiges Recht kann auch dadurch aufgehoben werden, dass der Gesetzgeber eine positive, allgemeine Rechtsnorm setzt, aus deren Inhalt sich das Außerkrafttreten entgegenstehenden Rechts von selbst ergibt (grundlegend: BVerfGE 3, 225 [243]; vgl. indessen auch die Problematik in BVerfGE 119, 394 [411 f.]; hierzu
nachfolgend II.1.c)aa)(1)).
(2) Folgen einer Nichtigerklärung durch das Bundesverfassungsgericht
Was dem Gesetzgeber nicht möglich ist, nämlich eine außer Kraft getretene Vorschrift “wiederzubeleben“,
ist dem Bundesverfassungsgericht möglich: Wird eine Norm für nichtig erklärt, welche eine frühere Norm
aufgehoben hatte, so lebt letztere wieder auf (BVerfGE 102, 197 [208] sowie BVerfGE 104, 126 [150]).
Anders ist es aber jedenfalls dann, wenn dadurch (erneut) ein verfassungswidriger Rechtszustand eintreten würde (BVerfGE 131, 316 [376]); dann dürfte keine andere Möglichkeit verbleiben als diejenige, dass
das Bundesverfassungsgericht (mit Wirkung ex tunc) Übergangsrecht (in Form einer - je nach Ausgangslage
Brunn - Kapitel B.I.2.
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womöglich begrenzten - “Weitergeltungsanordnung“) setzt und den Gesetzgeber auffordert, den Zustand baldestmöglich zu beseitigen, wozu dieser dann berechtigt und verpflichtet ist (BVerfGE 110, 94 [138], allerdings
für Unvereinbarkeitserklärung; vgl. auch BVerfGE 132, 179 [193 f.]).
bb) Einfluss des Rechtsstaatsprinzips auf bestimmte Aufhebungen
Neben dem Rechtsstaatsprinzip dürfte bisweilen auch der Vertrauensgrundsatz (auf geschaffenes Recht und
dessen Gültigkeit) im Zusammenhang mit problematischen Aufhebungen in Betracht zu ziehen sein.
(1) Aufhebungen ex nunc (mit Wirkung für die Zukunft) und u.U. Pflicht zur Schaffung von Übergangsregelungen
Wegen des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (nachfolgend D.V.3.e) (vgl. S. 264) )
kann es vorkommen, dass der Gesetzgeber bei der Aufhebung von Normen, die etwa subjektive Rechte
vermitteln, angemessene Übergangsregelungen treffen muss, weil es sich hierbei um die Aufhebung oder
Modifizierung geschützter Rechtspositionen handeln kann (grundlegend: BVerfGE 21, 173 [183]; vgl. auch
BVerfGE 43, 242 [288 f.] sowie BVerfGE 75, 40 [72]; nachfolgend 7. c) zur “vorzeitigen“ Aufhebung einer
solchen Übergangsregelung).
(2) Aufhebungen ex tunc (mit Wirkung für die Vergangenheit)
Noch problematischer kann es sein, wenn der Gesetzgeber (etwa, weil er zur Auffassung gelangt ist, dass
es sich um verfassungswidriges Gesetzesrecht handelt) eine Vorschrift nicht nur mit Wirkung ex nunc (mit
Wirkung für die Zukunft), sondern sogar mit Wirkung ex tunc (von Anfang an) aufhebt. In solchen Fällen
kann das schutzwürdige Vertrauen der Betroffenen (vgl. nachfolgend B.III.6. (vgl. S. 104) und B.III.7. (vgl.
S. 109) ) so bedeutend sein, dass es zumindest einer übergangslosen ersatzlosen Aufhebung entgegen steht.
(3) Ex tunc-Aufhebungen von NS-Unrecht
Dieser Grundsatz dürfte indessen kaum zum Zuge kommen, wenn der Gesetzgeber auf den Gedanken kommen sollte, mit Wirkung ex tunc rechtsstaatswidriges NS-Recht aufzuheben (vgl. nachstehend B.II.1.a)aa)
(vgl. S. 81) ); insoweit dürfte der Einwand - den die Bundesregierung regelmäßig gegenüber entsprechenden
Anregungen vorgebracht hat -, bei dem betreffenden Recht handele es sich um längst nicht mehr gültiges,
weil es entweder nicht in das BGBl. III aufgenommen oder durch Besatzungs- oder nachkonstitutionelles
Recht (mit Wirkung für die Zukunft) aufgehoben wurde, nicht sehr stichhaltig sein, weil zwar eine “derogierende Norm nicht derogierbar ist“ (Kelsen), aber nichts von Bedeutung dagegen spricht, den bisherigen
Außerkrafttretenszeitpunkt von Normen nochmals “vorzuverlegen“, weil nämlich bis zum bisherigen Außerkrafttretenszeitpunkt zumindest ein Anschein einer gültigen Norm vorgelegen hat, welcher indessen in den
genannten Fällen meist keinen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand hat begründen können. Dies gilt auch
und gerade dann, wenn es nicht zu einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht (Art. 126 GG)
gekommen ist.
cc) Aufhebung “als Bundesrecht“
Ist der Bundesgesetzgeber in berechtigtem Zweifel, ob bundesrechtliche Normen entweder bei ihrem Erlass
kompetenzgerecht erlassen worden sind bzw. ob inzwischen noch eine Bundeskompetenz besteht, so darf er
- unabhängig von speziellem Übergangsrecht im Grundgesetz (nachfolgend C.VI.4. (vgl. S. 153) ) - auch zu
dem Mittel der Aufhebung der Norm “als Bundesrecht“ greifen. Dadurch ist jeglicher Anschein, es könne sich
immer noch um Bundesrecht handeln, zum einen beseitigt, und zum anderen schützt diese Vorgehensweise
möglicherweise entstandenes Landesrecht (BT-Dr. 16/5051 [S. 25 f. sowie S. 27]).
c) Folgen von (ersatzlosen) Aufhebungen
Bisweilen herrscht selbst bei erfahrenen Juristen die Annahme vor, nicht nur eine Aufhebung ex tunc (von
Anfang an) stelle die durch die Rechtsgrundlage ausgelösten Rechtsfolgen in Frage, sondern diese Wirkung
trete auch bei Aufhebungen ex nunc (mit Wirkung für die Zukunft) ein (vgl. bereits vorstehend b)bb)).
Dies ist zumeist eine verhängnisvolle Fehleinschätzung:
Brunn - Kapitel B.I.3.
Seite 78
aa) “Nachwirkungen“ aufgehobenen Rechts
Mit Wirkung für die Zukunft ersatzlos aufgehobenes bzw. außer Anwendung gesetztes Recht, sei es Daueroder Übergangsrecht, sei es materielles oder Verfahrensrecht, bleibt auch ohne jeweils gesondert ausgesprochenen Gesetzesbefehl über das jeweilige Datum seines Außerkrafttretens hinaus für alle Fälle, Rechtsverhältnisse und Verfahren, welche von ihm tatbestandlich erfasst worden sind, anzuwendendes Recht (BT-Dr.
16/5051, S. 23 f.).
(1) Grundsatz des fortdauernden “Geregeltseins und -bleibens“
Dies liegt darin begründet, dass die tatbestandlich erfassten Sachverhalte durch die zu diesem Zeitpunkt
hierfür angeordneten Rechtsfolgen - vorbehaltlich einer späteren, ausdrücklich gegenläufigen Gesetzesbestimmung - abschließend geregelt sind und bleiben. Denn das Vertrauen darauf, “dass die mit abgeschlossenen Tatbeständen verknüpften gesetzlichen Rechtsfolgen anerkannt bleiben“, ist von der Verfassung
grundsätzlich geschützt (BVerfGE 63, 215 [223 f.]).
Anders kann es nur dann sein, wenn von einer abschließenden Regelung noch nicht zu sprechen ist (BT-Dr.
16/5051, S. 24).
(2) Fortwirken aufgehobenen Rechts durch Wiederaufgreifensverfahren
Die vorstehenden Erwägungen können auch zutreffen in dem eher theoretischen Fall, dass zwar ein an sich
beendetes Verfahren wiederaufzunehmen bzw. -greifen ist, aber die frühere Rechtsgrundlage inzwischen durch
Aufhebungen entfallen ist.
Das alte Recht bleibt die für das neue Verfahren maßgebliche Rechtsgrundlage, es sei denn, der Aufhebungsbefehl reicht ausdrücklich in die Zeit zurück, die vor dem Ergriffenwerden des Sachverhaltes durch das
(danach neue) alte Recht lag; dann liegt sogar eine ausfüllungsbedürftige Lücke vor (denkbare Alternativen:
fortwirkendes Uralt-Recht oder neues).
(3) Fortwirken aufgehobenen Übergangsrechts
Auch spezielles Übergangsrecht regelt im vorstehenden Verständnis die tatbestandlich erfassten Übergangsfälle “abschließend“ und bleibt daher auf die erfassten Übergangsfälle so lange anwendbar, wie es nicht durch
anders lautendes Recht in rückwirkender Weise abgeändert wird (a.a.O. [S. 24]).
Deshalb träfe eine Annahme nicht zu, an die Stelle des ersatzlos aufgehobenen Übergangsrechts trete infolge
dessen Außerkrafttretens auch für die bereits erfassten und damit abschließend geregelten Übergangsfälle
das allgemeine (normale) Verfahrensrecht mit der Folge, dass die erfassten Übergangsfälle nunmehr nach
diesem (oder gar nach dem früheren) Recht zu Ende zu führen seien.
bb) Aufhebungen strafrechtlicher Normen zwischen Tat und Aburteilung
Was speziell Aufhebungen von strafrechtlichen Normen anbelangt, so hat zwar eine (ersatzlose) Aufhebung
eines Strafgesetzes zwischen Begehung und Aburteilung einer Straftat regelmäßig zur Folge, dass sie dem
Täter als “äußerste Milderung“ i.S.v. § 2 Abs. 3 StGB zugutekommt.
Dies ist aber keine Frage zwingenden Verfassungsrechts, namentlich nicht des Rückwirkungsverbots, und
deshalb kann der Gesetzgeber auf geeignete Weise (ausdrücklich oder hinreichend deutlich der Sache nach)
festlegen, dass einer Aufhebung eines Strafgesetzes zwar die selbstverständliche Bedeutung zu entnehmen ist,
zukünftige Taten dürften nach dem Außerkrafttreten des Gesetzes hiernach nicht mehr geahndet werden,
wohl aber dürften zuvor beendete Taten auch nach dessen Aufhebung gemäß dem zur Tatzeit geltenden
Strafgesetz bestraft werden (BT-Dr. 16/5051, S. 24).
3. Abänderungen von Bundesrecht und Hauptgefahren
Die Sorgfalt und Genauigkeit, zu der das Handbuch der Rechtsförmlichkeit (2008, 3. Auflage) auf den Seiten
147 ff. bei Änderungsgesetzen rät, hat viele berechtigte Gründe; der wichtigste ist wohl, dass es bei Änderungsgesetzen am schwierigsten ist, vornehmlich die Rechtsanwender in den Stand zu versetzen, unmittelbar
aus dem Gesetzestext (Gebot der - wohl aus dem Verfassungsgebot der Rechtssicherheit abzuleitenden Einfachheit : BVerfGE 99, 280 [290]) oder zumindest durch einfache Auslegung zu ermitteln, welches (altes
oder neues) Recht welchem (einmaligen oder dauerhaften) Sachverhalt “anhaftet“ (vorstehend 1. a)).
Brunn - Kapitel B.I.3.
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a) Unpräzise Festlegungen der zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereiche
Mit anderen Worten fällt es oft schwer, den zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich eines neuen Gesetzes (nachstehend B.III.3. (vgl. S. 98) ) so - zum einen - miteinander und - zum anderen - mit diesen beiden
Anwendungsbereichen des alten , abzulösenden Rechts abzustimmen, dass gewissermaßen für jeden Tag in
der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft feststeht bzw. leicht ermittelt werden kann, welches (früheres
oder jetziges) gültiges Recht welche (kurzfristig oder unbestimmt lange andauernden, “abgewickelten“ oder
noch andauernden) Sachverhalte mit welchen zulässigen Rechtsfolgen mit der Konsequenz regelt, dass sich
für einen zu bewertenden bzw. zu beurteilenden Einzelfall die Rechtsfolgen gewissermaßen wie von selbst
ergeben. Diesem Ziel können viele Hindernisse entgegenstehen:
b) (Unbewusste) “Regelungslücken“ bzw. “sich überschneidende Rechtsregime“
So kann durch Ungenauigkeit bei einem Änderungsgesetz sowohl der Fall eintreten, dass für bestimmte Sachverhalte Regelungslücken auftreten, als auch derjenige, dass sich zwei (oder gar noch mehr) “Rechtsregime“
für bestimmte Zeiträume überschneiden (überlagern), was beides zu schwierigen Anwendungsfragen führen
kann.
Ähnlich verhält es sich, wenn versehentlich der zeitliche Anwendungsbereich für (einen Teil) von dem vorgesehenen sachlichen Anwendungsbereich erfasste Sachverhalte (Tatbestände) zu vorzeitig mit der Folge
festgelegt wird, dass nach altem Recht zulässig erworbene (verfahrens- wie materiellrechtliche) Rechtspositionen in Frage gestellt werden (oder zumindest erscheinen).
c) Bewusste Entwertungen von Rechtspositionen (Rückwirkung)
Noch verhängnisvoller kann es sich auswirken, wenn solche Entwertungen von erworbenen Rechtspositionen
bewusst und unzweideutig geschehen, weil dann zwangsläufig die Frage auftaucht, ob es sich um - vielleicht
gerade noch verfassungsgemäße - “unechte“ oder - womöglich sogar ausnahmsweise verfassungsrechtlich zulässige - “echte“ (retroaktive) Rückwirkungen handelt (hierzu ausführlich nachfolgend B.III.4. (vgl. S. 99)
); denn bei “bewusster“ Gesetzgebung kann der Rechtsanwender das Gesetz nicht dahin auslegen (nachfolgend B.II.2. (vgl. S. 85) ), dass der Gesetzgeber mit Sicherheit eine den Einzelnen möglichst schonende
Belastung erzielen wollte.
d) Fehlerhafte “Klarstellungen“
Schwierige Anwendungsprobleme können weiterhin Gesetzesänderungen hervorrufen, welche vom gesetzgeberischen Bemühen getragen sind, frühere Versäumnisse oder Ungenauigkeiten (seien es zu weit oder zu
eng gefasste Tatbestände, seien es unklare Rechtsfolgen, seien es aufgetretene enttäuschte Erwartungen im
Prognosebereich) zu korrigieren, indem “Klarstellungen“ vorgenommen werden, welche nicht die Zukunft
(zeitlicher Anwendungsbereich nach dem In-Kraft-Treten) betreffen, sondern vielmehr bereits die Anwendung und Auslegung des “alten“ Rechts beeinflussen sollen.
Besonders kritisch zu bewerten sind solche Versuche dann, wenn sogar die höchstrichterliche Rechtsprechung
darauf erkannt hatte, dass das früher gültige Recht (schlechterdings) nicht so auszulegen war, wie es
vom Gesetzgeber “an sich“ gedacht war; aber auch dann erweist sich ein Versuch einer “authentischen
Interpretation“ früheren Rechts durch den neuen Gesetzgeber erfahrungsgemäß als problematisch, wenn eine
höchstrichterliche Klärung noch nicht erfolgt war und die Auslegung “nur“ umstritten bzw. verworren war
(hierzu ausführlich nachfolgend B.III.6.b)bb) (vgl. S. 107) ).
e) Verfehlung des Ziel klarer, bestimmter, berechenbarer und “verlässlicher“
Normen
Bei allen diesen Konstellationen muss nämlich bedacht werden, dass - erstens - aus dem Rechtsstaatsprinzip
folgt, dass Gesetze verfassungsgemäß, insbesondere (klar - möglichst einfach - und bestimmt sowie) berechenbar und verlässlich sein müssen (BVerfGE 132, 302 [317]), und - zweitens - der Einzelne darauf vertrauen
darf, dass von der höchstrichterlichen Rechtsprechung in einer bestimmten Richtung ausgelegtes Recht für
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die Vergangenheit in dieser Richtung erhalten bleiben muss (grundlegend: BVerfGE 18, 429 [436 ff.]; vgl.
auch BVerfGE 135, 1 [21 ff.] und den Sonderfall - zulässige rückwirkende Heilung von Rechtsgeschäften BVerfGE 72, 302 [321 ff.]).
II. Die Sichtung und Auslegung des vorhandenen Rechts
1.
“Vorhandenes“ Recht (neben dem materiellen nachkonstitutionellen Recht) . . . . .
a) Gültiges vorkonstitutionelles Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Fragwürdiges vorkonstitutionelles Recht
b)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
bb) In den Willen des Gesetzgebers “aufgenommenes“ Recht . . . . . . . . . . . . .
Gewohnheits- und obsoletes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
82
aa) “Derogierendes“ Gewohnheitsrecht (obsoletes Recht)
c)
. . . . . . . . . . . . . . .
82
bb) Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Aufgehobenes bzw. “ausgelaufenes“ bzw. “auslaufendes“ (befristetes) altes Recht .
82
82
aa) Zulässige gesetzgeberische Handlungen und Unterlassungen
(1) “Übergreifende“ Aufhebungsnormen
. . . . . . . . . . .
82
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
(2) Befristetes Recht und “Verlängerungen“
d)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
(3) Aufhebungen obsoleten Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
(4) Aufhebungen aufgehobener Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
(4a)
“Nochmalige“, auf einen früheren Zeitpunkt bezogene Aufhebungen
83
(4b)
Folgen solcher nochmaligen Aufhebungen (etwa von NS-Unrecht) .
83
bb) Nichtigerklärungen von Aufhebungsnormen durch das Bundesverfassungsgericht
und Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gesetzestechnisches “Hilfsrecht“ sowie (meist materielles) Übergangs- bzw. Überleitungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) In- und Außerkrafttretensbefehle
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) Vollzogene verändernde Gesetzesbefehle
2.
81
81
83
83
84
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
(2) Vollzogene Inkrafttretensbefehle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
bb) Übergangs- bzw. Überleitungsvorschriften als zumeist materielle Regelungen . .
84
(1) “Spielraum“ des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
(2) Aufhebungen früherer Übergangs- bzw. Überleitungsvorschriften . . . . . . .
84
(3) Setzung neuen Übergangsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
(4) Geeignete Orte für Übergangsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Auslegung des “vorhandenen“ (gültigen) Bundesrechts
. . . . . . . . . . .
a) Grundsatz der Auslegung “mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden“ . . . . .
85
85
86
aa) Parallelen (und Unterschiede) der Gesetzesauslegung zur Verfassungsauslegung
86
(1) Auslegung auch bei “Zweifeln“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
(2) Bedeutungswandel
86
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(3) Auslegung von verfassungsrechtliche Ansprüche “nachzeichnenden“ Normen
86
(4) Deklaratorische “Klarstellung“ einer Rechtslage
. . . . . . . . . . . . . . . .
87
bb) Objektivierter Wille des Gesetzgebers als maßgebliches Auslegungskriterium . .
87
(1) Insbesondere: Wortlaut der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
(2) Insbesondere: systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
(3) Insbesondere: teleologische Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
Brunn - Kapitel B.II.1.
b)
Seite 81
(4) Insbesondere: historische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
(5) Meist unbeachtliche “Meinungen“ im Gesetzgebungsverfahren
. . . . . . . .
88
(6) Berichtigung eines “technischen Versehens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
88
aa) Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
bb) Gebotensein einer verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . .
88
cc) Grenzen
89
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) Die Voraussetzung der “Wiedererkennbarkeit“ der Norm durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c)
d)
(2) Widerspruch zum Wortlaut und erkennbaren Gesetzeswillen . . . . . . . . .
Gebot gemeinschaftskonformer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . .
Gebot völkerrechtskonformer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . .
89
89
89
89
[1] Die wichtigste (und wohl schwierigste) Aufgabe des Bundesgesetzgebers bei der Veränderung von Recht
ist zunächst die Sichtung (nachfolgend 1.) und Auslegung des vorhandenen Rechts (nachfolgend 2.). Denn
ohne ein zutreffendes Verständnis vom gültigen Normenbestand lässt sich eine befriedigende und befriedende
neue Rechtsetzung schlechterdings nicht bewerkstelligen.
[2] Was das derzeit gültige Bundesrecht angeht, so muss es nicht nur ermittelt (gesichtet), sondern nötigenfalls auch ausgelegt werden. Zwar ist - wie nachstehend (2.) noch zu präzisieren ist - die Auslegung
von Gesetzesrecht zuallererst Aufgabe der Dritten Gewalt (vgl. zu den Grenzen richterlicher Auslegung
BVerfGE 133, 168 [205], zu der Rechtsfortbildung durch Auslegung sowie deren Grenzen BVerfGE 111, 54
[82]) sowie zur Lückenfüllung als richterliche Aufgabe BVerfGE 3, 225 [242 f.]); vgl. auch BVerfGE 82, 6
[12]), indessen bleibt dem Gesetzgeber , der bestehendes Recht verändern will (oder gar muss, weil das
Recht in verfassungswidriger Weise unbestimmt, unklar oder gar “verworren“ ist), oft - mangels vorliegender
höchstrichterlicher Auslegung von Normen - nichts anderes übrig, als selbst die (“objektive“) Bedeutung der
von ihm selbst geschaffenen Normen zu ermitteln, um darauf Aufhebungen bzw. Veränderungen zu gründen.
1. “Vorhandenes“ Recht (neben dem materiellen nachkonstitutionellen Recht)
Durch das Bundesgesetzblatt III ist gewährleistet, dass es kein vorkonstitutionelles Recht (vgl. BVerfGE 11,
126 [129]) mehr gibt, welches unbemerkt noch im Bundesrechtsbestand zu beachten wäre.
a) Gültiges vorkonstitutionelles Recht
Was zunächst das vorkonstitutionelle Recht, welches nach den Art. 123 ff. GG in Bundesrecht überführt
und später weder aufgehoben worden noch durch Nichtaufnahme in das Bundesgesetzblatt III erloschen ist,
anlangt, so muss es zwar von den Wertvorstellungen des Grundgesetzes her ausgelegt werden (BVerfGE 19,
1 [8]), ob es aber formell ordnungsgemäß zustande gekommen ist, beurteilt sich nach den staatsrechtlichen
Verhältnissen zur Zeit seiner Entstehung. Noch nicht einmal der Umstand, dass es als sog. Regierungsgesetz
erlassen ist, steht seiner Wirksamkeit von vornherein entgegen (BVerfGE 10, 354 [360 f.]).
aa) Fragwürdiges vorkonstitutionelles Recht
Freilich kann nationalsozialistischen Rechtsvorschriften die Geltung als Recht abgesprochen werden, wenn
sie fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit so evident widersprechen, dass der Richter, der sie anwenden
oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht statt Recht sprechen würde (BVerfGE 23, 98 [106] sowie
BVerfGE 95, 96 [134 f.]). Indessen kann auch hier zutreffen, dass trotz Nichtigkeit einzelner Bestimmungen
andere Bestimmungen der gleichen Rechtsmaterie gültig bleiben (BVerfGE 7, 29 [37]).
Deshalb könnte sich auch die Notwendigkeit ergeben, mit Wirkung für die Vergangenheit (ex tunc) ehemaliges Reichsrecht (insbesondere als von Anfang an nichtiges, weil rechtsstaatswidriges NS-Recht; vgl. BVerfGE
23, 98 [106]; vgl. aber auch BVerfGE 21, 292 [295 f.] für 1945 gegenstandslos gewordenes “typisches nationalsozialistisches Recht“) aufzuheben, um auf dieses gestützten Maßnahmen und Rechtsgeschäften die “causa“,
also den Rechtsgrund zu entziehen (vorstehend B.I.2.b)bb)(3) (vgl. S. 77) sowie nachstehend B.II.1.c)aa)(4)
(vgl. S. 83) ).
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bb) In den Willen des Gesetzgebers “aufgenommenes“ Recht
Lässt sich feststellen, dass der nachkonstitutionelle Gesetzgeber vorkonstitutionelles Recht (vorkonstitutionelle Gesetze bzw. gesetzesvertretende Verordnungen) oder Besatzungsrecht - wie etwa die Höfeordnung in seinen Willen aufgenommen hat, so hat dies Bedeutung nur für die Frage der Zulässigkeit einer Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG (BVerfGE 12, 341 [353]).
b) Gewohnheits- und obsoletes Recht
Was sodann das Gewohnheitsrecht anbelangt, so ist Gewohnheitsrecht das Recht, das nicht durch förmliche Setzung, sondern durch längere tatsächliche Übung entstanden ist, die eine dauernde und ständige,
gleichmäßige und allgemeine sein muss, und von den beteiligten Rechtsgenossen als verbindliche Rechtsnorm
anerkannt wird (BVerfGE 22, 114 [121] zu vorkonstitutionellem Gewohnheitsrecht; vgl. auch BVerfGE 122,
248 [269] für die Möglichkeit der Entstehung durch ständige Rechtsprechung).
aa) “Derogierendes“ Gewohnheitsrecht (obsoletes Recht)
Wenn von “derogierendem“ Gewohnheitsrecht die Rede ist, so ist damit obsolet gewordenes - und damit ohne Aufhebung außer Kraft getretenes - Recht gemeint; Voraussetzung hierfür ist eine lang dauernde
Nichtanwendung einer Rechtsnorm und die gemeinsame Rechtsüberzeugung, dass sie außer Kraft getreten
sei (BVerfGE 9, 213 [221]).
bb) Einzelfragen
Gewohnheitsrecht kann sich freilich in kodifizierten Materien, sei es Verfahrens-, sei es materielles Recht,
so gut wie nie bilden (BVerfGE 9, 109 [117]). Vollends ausgeschlossen erscheint eine gewohnheitsrechtliche
Beschränkung von Freiheitsrechten (BVerfGE 32, 54 [75]).
Mit Gewohnheitsrecht darf auch eine ständige Rechtsprechung nicht unbesehen gleichgesetzt werden (BVerfGE 122, 248 [269]); freilich kann sich in Einzelfällen ein schutzwürdiges Vertrauen hierauf entwickeln.
c) Aufgehobenes bzw. “ausgelaufenes“ bzw. “auslaufendes“ (befristetes) altes
Recht
Bisweilen kann es unklar sein, ob wirksam in Kraft gesetztes altes Recht noch gilt, etwa ob es bereits
wirksam aufgehoben, wegen seiner Befristung oder gar als “obsolet gewordenes“ Recht (vorstehend b) aa))
ohne förmliche Aufhebung außer Kraft getreten ist. Was zunächst Aufhebungen durch den Gesetzgeber
anbelangt, so gilt Folgendes:
aa) Zulässige gesetzgeberische Handlungen und Unterlassungen
Das Handbuch der Rechtsförmlichkeit (3. Aufl., S. 161 ff.) empfiehlt (zu Recht), aufzuhebendes Recht (Normen, Gesetze) sehr genau zu bezeichnen, was indessen schon öfter nicht beherzigt worden ist.
(1) “Übergreifende“ Aufhebungsnormen
Gültiges Recht kann auch dadurch aufgehoben werden (worden sein), dass der Gesetzgeber eine positive,
allgemeingefasste Rechtsnorm setzt, aus deren Inhalt sich das Außerkrafttreten entgegenstehenden Rechts
von selbst ergibt (BVerfGE 3, 225 [243]).
Der Rechtsklarheit (D.V.3.a) (vgl. S. 258) ) dürfte es jedoch regelmäßig dienlicher sein, das aufzuhebende
Recht konkret zu benennen, wie die Entscheidung BVerfGE 119, 394 belegen dürfte (weil sogar das Land
Berlin nicht in der Lage war, eine “versteckte“, nämlich in einer pauschalen “Geltungsbestimmung“ verborgene, Aufhebung einer früheren - nur Berlin betreffenden - Sperrnorm zu registrieren; vgl. bereits vorstehend
I.2.b)aa)(1)).
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(2) Befristetes Recht und “Verlängerungen“
Was sodann befristete Gesetze angeht, so ist ein befristetes Gesetz mit dem Ablauf der im Gesetz vorgesehenen Frist außer Kraft getreten. Ein solches Gesetz kann “als solches“ nicht mehr “wiederbelebt“ werden,
hingegen kann bis zum Ablauf der Frist das alte Recht “verlängert werden“:
Verlängert der Gesetzgeber die Geltungsdauer eines befristeten Gesetzes rechtzeitig, so ist dies dem Erlass
eines neuen Gesetzes mit dem Inhalt des befristeten Gesetzes gleich zu erachten (BVerfGE 8, 274 [302
ff.]); ist ein Gesetz wegen Ablaufs der Geltungsfrist bereits außer Kraft getreten, hat die Verlängerung der
Geltungsdauer die Bedeutung, dass das Gesetz mit identischem Inhalt erneut in Geltung gesetzt wird (a. a.
O.)
(3) Aufhebungen obsoleten Rechts
Was obsoletes Recht (BVerfGE 9, 213 [221]) anbelangt, so sollte es der Gesetzgeber aus Gründen der
Rechtsklarheit auch förmlich (zumindest mit Wirkung ex nunc, besser noch mit Wirkung von dem Zeitpunkt
an, an dem spätestens aus gültigem obsoletes Recht geworden ist) aufheben.
(4) Aufhebungen aufgehobener Gesetze
Wie anderenorts bereits angedeutet (vorstehend B.I.2.b)bb)(3) (vgl. S. 77) sowie B.II.1.a)aa) (vgl. S. 81) ),
kann es (wohl) auch zulässig sein, bereits ex nunc aufgehobenes Recht “nochmals“ unter der Voraussetzung
aufzuheben, dass der Außerkrafttretensbefehl einen früheren Zeitpunkt als den bereits bestimmten festlegt.
(4a) “Nochmalige“, auf einen früheren Zeitpunkt bezogene Aufhebungen
Beispiel: Ist NS-“Recht“ bereits mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes (oder später durch Nichtaufnahme
in das BGBl. III) außer Kraft getreten, so spricht nichts dagegen, dass es der nachkonstitutionelle Gesetzgeber
(beispielsweise) mit Wirkung ex tunc (von Anfang an) aufhebt, wodurch die durch das “Recht“ ausgelösten
Rechtsfolgen in Frage gestellt werden.
(4b) Folgen solcher nochmaligen Aufhebungen (etwa von NS-Unrecht)
Ob die früher ausgelösten Rechtsfolgen (etwa Eigentumsübergänge aufgrund rassistischer Gesetze) tatsächlich
rückabzuwickeln sein würden, dürfte dann im Wesentlichen davon abhängen, ob ein Vertrauen auf den
Fortbestand der Rechtsfolgen (des geschaffenen “Rechtszustands“) schutzwürdig ist. Dies würde maßgeblich
vom Grad des legislatorisch gesetzten Unrechts abhängen.
Insoweit gilt allgemein, dass ein “Vertrauen“ in den Fortbestand unredlich erworbener Rechte grundsätzlich
nicht schutzwürdig ist (BVerfGE 101, 239 [266]); die Unredlichkeit im Einzelfall hängt selbstverständlich
auch von der zugrundeliegenden Rechtsgrundlage ab.
bb) Nichtigerklärungen von Aufhebungsnormen durch das Bundesverfassungsgericht und Folgen
Wie bereits dargestellt (vorstehend B.I.2.b)aa)(2) (vgl. S. 76) ), kann nach der (fragwürdigen) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 102, 197 [208] sowie BVerfGE 104, 126 [150]; einschränkend
BVerfGE 131, 316 [376]) der Fall eintreten, dass nach einer Nichtig- bzw. Unvereinbarkeitserklärung einer
Aufhebungsvorschrift (nicht etwa insoweit ein “Vakuum“ entsteht, sondern) unvermittelt der alte (aufgehobene) Rechtzustand “wiederauflebt“.
Besser wäre es, wenn das Bundesverfassungsgericht diese Frage vermittels (begrenzter) Weiteranwendbarkeitsbzw. Übergangsregelungen (ausführlich A.III.4.a)bb) (vgl. S. 49) ) beantwortete, weil so dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers (der schließlich seinen Aufhebungswillen deutlich verlautbart hatte) noch am
ehesten entsprochen würde.
d) Gesetzestechnisches “Hilfsrecht“ sowie (meist materielles) Übergangs- bzw.
Überleitungsrecht
Vor dem Hintergrund der vorstehend dargelegten Gegebenheiten ist - unabhängig von einzusetzenden Mitteln
der Rechtsetzung und von Überlegungen darüber, ob durch neues Recht womöglich unzulässig in bestehende Rechtspositionen eingegriffen wird - bei allen Aufhebungen bzw. Ersetzungen oder Veränderungen von
Brunn - Kapitel B.II.1.
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altem Recht zunächst zu bestimmen, ob sich das aufzuhebende bzw. zu verändernde Recht als materielles
darstellt oder (nur) als gesetzestechnisches Hilfsrecht , welches regelmäßig sogleich nach der Erfüllung der
entsprechenden Befehle außer Kraft gesetzt werden könnte (und damit “vollzogen“ ist).
aa) In- und Außerkrafttretensbefehle
Lediglich “Hilfsrecht“ stellen meist die folgenden Befehle dar:
(1) Vollzogene verändernde Gesetzesbefehle
Das liegt vor allem bei früheren Einfügungs-, Abänderungs- oder Aufhebungsbefehlen vor, die dadurch
vollzogen worden sind, dass eine hierdurch angestoßene materielle Rechtsänderung im Stammgesetz vollends
durchgeführt worden ist. Mit dem Inkrafttreten eines solchen Gesetzes ist der Einfügungs-, Abänderungsoder Aufhebungsbefehl mit der Folge erfüllt worden, dass seither das materielle Recht die intendierte neue
Fassung aufweist.
Unzutreffend wäre deshalb eine Annahme, eine Aufhebung eines solchen Befehls berge die Gefahr, dass
damit auch gewissermaßen versehentlich das geschaffene materielle Recht außer Wirksamkeit gesetzt werden
könnte.
(2) Vollzogene Inkrafttretensbefehle
Eine ähnlich eingeschränkte Bedeutung wie die vorgenannten Veränderungsbefehle weisen regelmäßig auch
Inkrafttretens-Vorschriften auf; auch sie erschöpfen sich in ihrer gewissermaßen eindimensionalen Funktion
der Bestimmung des Wirksamwerdens der materiellen gesetzlichen Neuschöpfungen; ihnen ist regelmäßig
keine darüber hinausgehende Wirkung zuzusprechen. Insbesondere hängt der Bestand der materiellen gesetzlichen Neuschöpfungen (wohl) nicht dergestalt vom Bestand der Inkrafttretensnorm ab, dass mit deren
Aufhebung das geschaffene materielle Recht entfiele; vielmehr müsste dieses förmlich außer Kraft gesetzt
werden.
Freilich ließe sich auch mit guten Gründen vertreten, dass in Fällen der Nichtigkeit von Inkrafttretensbefehlen
eine gesetzgeberische Heilung notwendig und zulässig ist.
bb) Übergangs- bzw. Überleitungsvorschriften als zumeist materielle Regelungen
Solche Vorschriften, die sich meist erheblich vom vorgenannten “Hilfsrecht“ unterscheiden, haben die
Funktion, Rechtsanwendern in Fällen wechselnden materiellen Rechts darüber Auskunft zu geben, welches
Recht im Einzelfall gilt, wenn allein aus einem Vergleich des vor dem Inkrafttreten eines Gesetzes gültigen
Rechts mit dem nach dem Inkrafttreten gültigen Recht nicht sicher zu ermitteln ist, ob und inwieweit ein
bestimmter (tatsächlicher) Sachverhalt von den Rechtsfolgen des alten oder des neuen Rechts erfasst wird
(worden ist).
(1) “Spielraum“ des Gesetzgebers
Allgemein ist dem Gesetzgeber für die Regelung des Übergangs von einer älteren zu einer neueren (den
rechtspolitischen Vorstellungen der Gegenwart besser entsprechenden) Regelung “notwendig ein gewisser
Spielraum“ einzuräumen; freilich muss er die in Betracht zu ziehenden Faktoren hinreichend würdigen, und
die Lösung muss “sachlich vertretbar“ erscheinen (BVerfGE 136, 127 [143 f.]).
Namentlich bei der Umstrukturierung komplexer Regelungssysteme ist dem Gesetzgeber ein besonders weiter
Spielraum bei der Ausgestaltung der Übergangsvorschriften einzuräumen (BVerfGE 125, 1 [18]; grundlegend:
BVerfGE 43, 242 [288 f.]).
(2) Aufhebungen früherer Übergangs- bzw. Überleitungsvorschriften
Für die Aufhebung von (früher in Kraft gesetzten) Übergangsvorschriften bedeutet dies, dass Aufhebungen
bzw. Veränderungen zumindest untunlich sind, wenn durch die Übergangsvorschrift allein oder mit ihrer
Hilfe auch zukünftig noch Rechtsfolgen eintreten oder bewirkt werden können, die ohne sie nicht oder so
nicht eintreten würden (vgl. auch nachfolgend B.III.7.c) (vgl. S. 110) zu dem Sonderfall der “vorzeitigen“
Aufhebung einer gebotenen Übergangsregelung).
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Ohne Bedenken können hingegen solche Überleitungsvorschriften aufgehoben werden, denen keine Möglichkeit mehr innewohnt, dass durch sie oder mit ihrer Hilfe zukünftig Rechtsfolgen erzeugt werden, die sich also
mit anderen Worten nunmehr darin erschöpfen, dazu beizutragen, einen endgültig abgeschlossenen Rechtszustand abzubilden. Denn auch insoweit gilt, dass Aufhebungen derartiger Übergangs- bzw. Überleitungsvorschriften nicht in dem Sinne missverstanden werden dürfen, dass mit ihnen (unzulässig) auf abgeschlossene
(“abgewickelte“) Rechtsverhältnisse eingewirkt werden könnte.
(3) Setzung neuen Übergangsrechts
Was im Übrigen die Frage neuer Übergangs- bzw. Überleitungsvorschriften anbelangt, so ist keine Überleitungsvorschrift dann erforderlich, wenn
• das neue Recht ohnehin nur Sachverhalte betrifft, deren Rechtsfolgen ausschließlich nach dem Inkrafttreten des Gesetzes eintreten können oder
• die durch das alte Recht ausgelösten (abgeschlossenen oder unabgeschlossenen) Rechtsfolgen ausdrücklich und ausnahmslos unberührt bleiben sollen oder
• das neue Recht ausdrücklich und uneingeschränkt auf bereits nach altem Recht ausgelöste Rechtsfolgen
einwirken soll (extremer Ausnahmefall).
Einer Übergangs- bzw. Überleitungsvorschrift bedürfen hingegen Neuregelungen, die
• (zum Teil) auf nach altem Recht abgeschlossene Rechtsfolgenlagen einwirken sollen bzw. können oder
• nach altem Recht noch unabgeschlossene Rechtsfolgenlagen (in der einen oder anderen Richtung) abändern sollen.
Es kann sogar - vornehmlich bei ersatzlosen Aufhebungen - eine Pflicht bestehen, überhaupt Übergangsregelungen zu treffen (BVerfGE 43, 242 [288 f.]; vgl. auch BVerfGE 76, 256 [360]; dort auch zum gesetzgeberischen
Gestaltungsspielraum).
(4) Geeignete Orte für Übergangsvorschriften
Was schließlich eine sachgerechte Bestimmung dessen betrifft, an genau welcher Stelle neues spezielles (einzelnormbezogenes) Übergangs- sowie Überleitungsrecht zu verorten ist, ist es im Interesse der Rechtsklarheit
dringend anzuraten, solches Recht möglichst in unmittelbarer Nähe des zu regelnden materiellen Rechts
anzusiedeln, also beispielsweise in einem letzten Absatz eines neu geschaffenen gesetzlichen Anspruchstatbestands. Dort werden solche Bestimmungen von Rechtsanwendern naturgemäß zuerst gesucht, und dort
“stören“ sie später selbst dann nicht, wenn sie inhaltlich gegenstandslos geworden sind.
Hingegen führt die Verortung solchen Rechts außerhalb des Stammgesetzes zum einen zu Auffindungsschwierigkeiten und zum anderen später zu unerfreulichen gegenstandslosen “Regelungs-Resten“. Nichtsdestoweniger kann sich der Gesetzgeber auch auf folgende Aussagen in der Rechtsprechung zurückziehen:
Dem Gesetzgeber ist es grundsätzlich überlassen, für Übergangsvorschriften die geeignete gesetzestechnische
Form zu bestimmen, also sie etwa einem Gesetz anzufügen (BVerfGE 68, 193 [225]; dort auch dazu, dass mit
“Übergangsvorschriften“ bezeichnete Gesetzesabschnitte nicht notwendig formelles Recht enthalten müssen,
sondern auch und gerade materielles Recht enthalten können).
2. Die Auslegung des “vorhandenen“ (gültigen) Bundesrechts
Wenn der Gesetzgeber sein Werk in die Rechtswirklichkeit “entlassen“ hat (nachstehend C.II.) ist die Gesetzesauslegung die “Domäne“ (der Behörden und) der Gerichte:
[1] Die Auslegung (und Anwendung) einfacher Gesetze ist Sache der (sachnäheren) Fachgerichte , und das
Bundesverfassungsgericht hat (nur) “die aus dem Verfassungsrecht sich ergebenden Maßstäbe oder Grenzen
für die Auslegung eines einfachen Gesetzes verbindlich zu bestimmen“ (BVerfGE 40, 88 [94]; vgl. auch
BVerfG-K 7, 229 [236 f.] für stattgebende (Kammer-)Eilentscheidungen), was aber keine Bindungswirkung
hinsichtlich der “zu Inzidentfragen entwickelten Rechtsansichten“ auslöst (BVerfGE 2, 181 [191]; vgl. auch
BVerfGE 78, 320 [328]).
Freilich darf (einerseits) ein Gericht eine “an sich mögliche Interpretation“ nicht für verfassungsgemäß
halten, wenn das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit einer verfassungskonformen Auslegung
Brunn - Kapitel B.II.2.
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einer Gesetzesnorm eine solche Interpretationsmöglichkeit für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar erklärt
hat (BVerfGE 40, 88 [94]; vgl. auch BVerfGE 72, 119 [121].
Gesetzgeber und Gerichte dürfen (andererseits) Nichtannahmeentscheidungen des Verfassungsgerichts
auch nicht “überinterpretieren“, zumal dann (nicht), wenn sie gänzlich ohne Begründungen oder nur mit
einer Begründung versehen sind, welche die getroffene Entscheidung entweder ausdrücklich oder sinngemäß
nicht “tragen“ (BVerfGE 138, 64 [100 f.]), was im Übrigen auch für sonstige nicht entscheidungstragende
Begründungen des Verfassungsgerichts gilt (vgl. indessen a.a.O. [101] für Entscheidungen mit “Gesetzeskraft“).
[2] Hier geht es aber darum, dass der Gesetzgeber in Vorbereitung eines neuen Gesetzes das bisherige
Recht selbst - anhand von “Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang der Regelung und
deren Sinn und Zweck“ (BVerfGE 138, 64 [93 f.]) - zu interpretieren hat. Auch insoweit gilt:
a) Grundsatz der Auslegung “mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden“
Meist lässt sich (auch wenn der Wortlaut einer Vorschrift nicht eindeutig oder “unbestimmt“ ist) “mit
Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften derselben
Gesetze, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung
eine zuverlässige Grundlage für eine Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen“ (BVerfGE 134, 33
[82]; dort [82 ff.] auch zur Heranziehung der EMRK [in der Auslegung durch den EGMR] sowie zu den
entsprechenden Konkretisierungs- und Präzisierungspflichten der Rechtsprechung); dies gilt - im Grundsatz
und mit denkbaren Modifikationen - auch für die hier behandelte Auslegung des bestehenden Rechts durch
einen zu Veränderungen neigenden oder entschlossenen Gesetzgeber:
aa) Parallelen (und Unterschiede) der Gesetzesauslegung zur Verfassungsauslegung
Auch insoweit gilt - ähnlich wie bei der Verfassungsauslegung (vorstehend A.III.2. (vgl. S. 36) ), welche allerdings regelmäßig öfter als bei der gewöhnlichen Auslegung mit dem “Problem der Offenheit des Normtextes
zu tun“ hat (BVerfGE 62, 1 [45]) -, dass Ziel jeder Auslegung die Feststellung des Inhalts einer Norm ist,
wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (BVerfGE 35,
263 [278 f.]).
(1) Auslegung auch bei “Zweifeln“
Dass sich bei jeder Gesetzesauslegung Zweifel ergeben können, berechtigt nicht dazu, eine Auslegung überhaupt abzulehnen; denn eine jeden Rechtszweifel ausschließende und jeden Sonderfall ausdrücklich berücksichtigende Regelung eines Rechtsgebiets ist kaum oder ohnehin nicht möglich (BVerfGE 3, 187 [198]).
(2) Bedeutungswandel
Auch insoweit gilt, dass eine gültige Gesetzesbestimmung bei gleich gebliebenem Wortlaut durch Veränderung
der Verhältnisse einen Bedeutungswandel erfahren haben kann (BVerfGE 7, 342 [351]).
Auch insoweit ist zu berücksichtigen, welche vernünftige Funktion eine Gesetzesnorm im Zeitpunkt der
jeweiligen Anwendung (hier also im Zeitpunkt der Veränderung) haben kann. Eine Norm steht ständig im
Kontext der Sozialverhältnisse und der gesellschaftlich-politischen Anschauungen, auf die sie wirken soll; ihr
Inhalt kann und muss sich unter Umständen mit ihnen wandeln. Das gilt insbesondere, wenn sich zwischen
Entstehung und Anwendung eines Gesetzes die Lebensverhältnisse und Rechtsanschauungen tiefgreifend
geändert haben (BVerfGE 34, 269 [288 f.]).
(3) Auslegung von verfassungsrechtliche Ansprüche “nachzeichnenden“ Normen
Weiterhin gilt, dass Normen, die einen verfassungsrechtlichen Anspruch “nachzeichnen“ bzw. ergänzen, insbesondere dann kritischer Auslegung mit Blick auf die Verfassungsnorm bedürftig sind, wenn sich der verfassungsrechtliche Anspruch präzisiert haben sollte (vgl. BVerfGE 43, 154 [168]).
Brunn - Kapitel B.II.2.
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(4) Deklaratorische “Klarstellung“ einer Rechtslage
Schließlich gilt, dass ein Gesetzgeber zwar - ohne Nachteile - eine früher von ihm geschaffene Rechtslage “deklaratorisch klarstellen“ kann, d.h. dasjenige “bestätigen“ kann, was von vornherein aus der ursprünglichen
Norm folgte.
Anderes kann aber dann gelten (insbesondere kann es sich um eine unzulässige Rückwirkung handeln; hierzu
im Einzelnen nachfolgend III.), wenn in Wahrheit dem (neuen) Gesetz ein “konstitutiver Regelungsgehalt“
zukommt. Das kann dann der Fall sein, wenn die frühere Norm von den Gerichten nach den anerkannten
Methoden der Gesetzesauslegung in einem Sinn (ausgelegt werden konnte und) ausgelegt worden ist, der ihr
nach der Neuregelung aberkannt wird (BVerfGE 131, 20 [37]).
bb) Objektivierter Wille des Gesetzgebers als maßgebliches Auslegungskriterium
Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist - wie sinngemäß vorstehend dargelegt - der in
dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der
Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist (grundlegend: BVerfGE 1, 299 [312]; vgl. auch BVerfGE 105, 135 [157] sowie BVerfGE 138, 261 [280] freilich für Sperrwirkung
nach Art. 72 Abs. 1 GG).
[1] Ein - wie auch immer zum Ausdruck gekommener - “Wille des Gesetzgebers“ kann bei der Auslegung einer
Norm allerdings nur insoweit berücksichtigt werden, als er in dem Gesetz selbst einen hinreichend bestimmten
Ausdruck (“Niederschlag“) gefunden hat (grundlegend: BVerfGE 11, 126 [130]; vgl. auch BVerfGE 133, 168
[205] für Beachtlichkeit einer vom Gesetzgeber verfolgten - “intendierten“ - “Regelungskonzeption“). Ohne
Bedeutung ist es, ob eine bestimme Regelung etwa auf einem Versehen des früheren Gesetzgebers beruht
(BVerfGE 18, 38 [45]).
[2] Dem Ziel , diesen objektivierten Willen des Gesetzgebers zu erfassen, dienen die grammatische, die
systematische, die teleologische und die historische Auslegung. Diese Methoden schließen einander nicht aus,
sondern ergänzen sich gegenseitig.
(1) Insbesondere: Wortlaut der Norm
Zwar hat - erstens - unter den vorgenannten Auslegungsmethoden - die bei der Auslegung “helfen“ - keine
einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (BVerfGE 105, 135 [157]). Und zwar gibt - zweitens - der
Wortlaut einer Norm nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers, weil unter Umständen erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten
die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich wird (BVerfGE 133,
168 [205 f.]), weil - mit anderen Worten - “andere Indizien“ deutlich belegen, dass der Sinn im Wortlaut
unzureichend Ausdruck gefunden hat (BVerfGE 138, 64 [97]).
Aber oft - und nicht nur im Strafrecht , wo der mögliche Wortsinn einer Vorschrift gerade mit Blick auf
Art. 103 Abs. 2 GG (F.VI.) der Auslegung eine Grenze zieht, die unübersteigbar ist (BVerfGE 105, 135 [157];
ferner BVerfGE 110, 226 [248] sowie BVerfGE 126, 170 [197 ff.]) - kommt der grammatischen Auslegung eine
herausgehobene Bedeutung (BVerfGE 138, 64 [95] für den seltenen Fall eines eindeutigen Wortlauts) zu.
Auch wenn der Wortlaut einer Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, und selbst wenn diese
Deutungen nicht offensichtlich eher fernliegend sind, muss eine im Wortlaut ausgedrückte, vom (früheren)
Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption akzeptiert werden (BVerfGE 133, 168 [205 f.]).
(2) Insbesondere: systematische Auslegung
Bei der systematischen Auslegung (BVerfGE 138, 64 [95] für “Eindeutigkeit“ von [Wortlaut und] Systematik)
ist darauf abzustellen, dass einzelne Rechtssätze, die der (frühere) Gesetzgeber in einen sachlichen Zusammenhang gestellt hat, grundsätzlich so zu interpretieren sind, dass sie logisch miteinander vereinbar sind.
Denn es ist davon auszugehen, dass der (frühere) Gesetzgeber sachlich Zusammenhängendes so geregelt hat,
dass die gesamte Regelung einen durchgehenden, verständlichen Sinn ergibt (BVerfGE 48, 246 [257]; vgl.
auch BVerfGE 124, 25 [40 f.] ausdrücklich für “kollidierende“ Rechtssätze).
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(3) Insbesondere: teleologische Reduktion
Ebenso wie eine “Erweiterung“ einer Norm gehört eine teleologische Reduktion im Grundsatz zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen (BVerfGE 88, 145 [167]; dort auch zu einer Rechtsfortbildung “praeter
legem“; vgl. auch BVerfGE 82, 6 [11 f.] für analoge Anwendung, auf die sich allerdings vornehmlich die
Bürger einstellen können müssen).
(4) Insbesondere: historische Methode
Die Vorarbeiten eines Gesetzes (“Materialien“; BVerfGE 135, 155 [218]) sind für dessen Auslegung immer
nur mit einer gewissen Zurückhaltung, in der Regel bloß unterstützend, zu verwerten. Sie dürfen nicht dazu
verleiten, die Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektivierten Gesetzesinhalt gleichzusetzen
(BVerfGE 11, 126 [130]; vgl. auch BVerfGE 62, 1 [45]; dort sowie in der abweichenden Meinung BVerfGE
119, 247 [279, 290] auch zu Verfassungsmaterialien).
Bedeutsam ist die Entstehungsgeschichte aber vor allem dann, wenn sich aus ihr gesetzgeberischer Wille und
Gesetzeszweck ergeben (BVerfGE 138, 64 [96 ff.]).
(5) Meist unbeachtliche “Meinungen“ im Gesetzgebungsverfahren
Deshalb kann die Meinung einer einzelnen, an der Gesetzgebung beteiligten Person über Sinn und Bedeutung einer Norm für ihre Auslegung niemals maßgebend sein (BVerfGE 6, 55 [75]). Ebenso wenig kann es
maßgebend sein, welche Meinung von einem Unterausschuss eines Gesetzgebungsorgans, von dessen Mitgliedern oder von Vertretern einer Bundesregierung geäußert worden ist, sofern nicht diese Meinung dem
Wortlaut und dem Sinn der Vorschrift entnommen werden kann (BVerfGE 20, 238 [253]; vgl. allerdings freilich für Verfassungsinterpretation - auch BVerfGE 109, 279 [317 ff.] für Heranziehung von Materialien
und Einzeläußerungen im Bundestag).
(6) Berichtigung eines “technischen Versehens“
Allerdings ist eine berichtigende Auslegung einer Norm zulässig, wenn sich aus der Entstehungsgeschichte
eines Gesetzes eindeutig ein “technisches Versehen“ ergibt (BVerfGE 11, 139 [149] zur Ausräumung der
Möglichkeit, dass eine bewusste Rückwirkung beabsichtigt war).
b) Verfassungskonforme Auslegung
Ein Gesetz ist nicht verfassungswidrig, wenn (zumindest) eine Auslegung möglich ist, die im Einklang mit
dem Grundgesetz steht, und das Gesetz bei dieser Auslegung sinnvoll bleibt (grundlegend: BVerfGE 2, 266
[282]; vgl. auch BVerfGE 122, 39 [60 f.] sowie BVerfGE 138, 64 [88 ff.] für eine missglückte verfassungskonforme Auslegung durch ein Fachgericht [94, 96 f.]).
aa) Ziel
Das Ziel einer verfassungskonformen Auslegung muss sein, in den Grenzen der Verfassung das Maximum
dessen aufrechtzuerhalten, was der Gesetzgeber gewollt hat (BVerfGE 134, 33 [63] sowie BVerfGE 138, 64
[99] “Grundsatz der Normerhaltung“).
Es soll vor allem dasjenige aufrechterhalten werden, was der Gesetzgeber mit der von ihm ins Werk gesetzten
Gesamtregelung vor allem zu erreichen bestrebt war (BVerfGE 86, 288 [320 f.]).
bb) Gebotensein einer verfassungskonformen Auslegung
Geboten ist eine verfassungskonforme Auslegung einer Norm dann, wenn unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck mehrere Deutungen möglich sind, von denen
nicht alle, aber zumindest eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt (BVerfGE 112, 164 [182 f.] für
eine “näher liegende Alternative bei der Suche nach einem verfassungsmäßigen Ergebnis“; vgl. auch BVerfGE
73, 322 [329] dazu, dass von mehreren vertretbaren Auffassungen eine von Verfassungs wegen naheliegend[er]
sein kann).
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cc) Grenzen
Die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung ergeben sich grundsätzlich aus dem ordnungsgemäßen Gebrauch der anerkannten Auslegungsmethoden (vorstehend A.III.2. (vgl. S. 36) für Auslegung der Verfassung
und B.II.2 (vgl. S. 85) für “gewöhnliche“ Auslegung).
Hiernach darf einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Vorschrift - erstens - kein entgegengesetzter
Sinn verliehen werden, - zweitens - der normative Gehalt der Norm nicht grundlegend neu bestimmt und
- drittens - das normative Ziel in einem wesentlichen Punkt nicht verfehlt werden (BVerfGE 109, 279 [316
f.] freilich für Interpretation einer Verfassungsänderung).
Eine Norm ist nur dann für verfassungswidrig zu erklären, wenn keine zulässige und mit der Verfassung
vereinbare Auslegung möglich ist (BVerfGE 138, 64 [93 f.]).
(1) Die Voraussetzung der “Wiedererkennbarkeit“ der Norm durch den Gesetzgeber
Ist eine (einschränkende) verfassungskonforme Auslegung möglich , kommt es zwar nicht darauf an, ob dem
subjektiven Willen des Gesetzgebers die weitergehende, dem Grundgesetz nicht entsprechende Auslegung
eher entsprochen hätte (BVerfGE 9, 194 [200]), aber es darf nicht zu befürchten sein, dass ein Gesetzgeber
die von ihm getroffene Regelung nach der verfassungskonformen Auslegung inhaltlich nicht wiedererkennt
(BVerfGE 119, 247 [278] “Prüffrage“ der verfassungskonformen Auslegung).
(2) Widerspruch zum Wortlaut und erkennbaren Gesetzeswillen
Mit anderen Worten findet sie ihre Grenzen dort, wo sie zum Wortlaut und zum klar erkennbaren Willen
des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (BVerfGE 134, 33 [63 f.] sowie BVerfGE 138, 64 [94, 97]), und
sie darf den normativen Gehalt der auszulegenden Vorschrift nicht grundlegend neu bestimmen (BVerfGE
8, 71 [78 f.]). Überdies muss die Auslegung auch die “prinzipielle Zielsetzung“ des Gesetzgebers wahren; das
gesetzgeberische Ziel darf nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht werden (BVerfGE 138,
64 [94]).
c) Gebot gemeinschaftskonformer Auslegung
Neben dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts (BVerfGE 126, 286 [301 f.]; dort auch zur
weiteren Geltung des “mitgliedschaftlichen“ Rechts) gilt auch das Gebot gemeinschaftskonformer Auslegung.
Das nationale Recht ist “in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts“ auszulegen
und anzuwenden (BVerfGE 116, 271 [314]; vgl. auch BVerfGE 129, 78 [99]; dort [100] auch zu Änderungen
und Ergänzungen der Gewährleistungen des Grundgesetzes).
d) Gebot völkerrechtskonformer Auslegung
Wenn sogar Normen des Grundgesetzes völkerrechtsfreundlich auszulegen sein können (BVerfGE 128, 326
[366 ff.]), gilt dies umso mehr bei der “einfachen“ Auslegung (a.a.O. [367] für EMRK, welche im Rang
eines Bundesgesetzes steht; ausführlich zum “ungeschriebenen“ Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit
des Grundgesetzes: BVerfGE 141, 1 [26]).
Was die wesentlichen Dimensionen der Pflicht, das Völkerrecht zu respektieren, anbelangt, so hat speziell der
Gesetzgeber für die deutsche Rechtsordnung zu gewährleisten, dass durch eigene Staatsorgane begangene
Völkerrechtsverstöße korrigiert werden können (BVerfGE 141, 1 [29]).
III. Gesetzgeber und Einwirkungen auf bestehende “geregelte“ Rechtslagen und
Rechtsverhältnisse namentlich durch Gesetzesänderungen (Rückwirkungsverbot)
1.
Die grundsätzliche
hältnisse . . . .
a) Grundsatz .
b) Grenzen . .
Befugnis
. . .
. . .
. . .
des Gesetzgebers
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
zu
.
.
.
Regelungen (bereits)
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
geregelter Rechtsver. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
93
93
93
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2.
Seite 90
Einführung in die für die Rückwirkungsproblematik maßgeblichen verfassungsrechtlichen
Grundprinzipien (Gerechtigkeit, Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit, Gesetzesbindung sowie
Vertrauensschutz) und deren Konkretisierungspflichten durch den (abändernden) Gesetzgeber
a) Konkretisierungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b)
aa) Sicherung des Gebrauchs der Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
bb) Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege . . . .
Grundprinzipien des Rechtsstaatsgebots (Gerechtigkeit, Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit, Gesetzesbindung, Vertrauensschutz) . . . . . . . . . . . . . . . .
94
94
aa) Materielle (“materiale“) Gerechtigkeit (und Berücksichtigung der Erfordernisse
einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
(1) Wiederaufnahme- und -aufgreifensverfahren und Gerechtigkeit . . . . . . . .
95
(2) Gerechtigkeitsgebote bei schwierigen Tatsachenlagen im (rechtskräftig abgeschlossenen) Erstverfahren (insbesondere: Prognoseentscheidungen) . . . . .
95
bb) Grundsatz der Rechtsgleichheit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
cc) Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
(1) “Verlässlichkeit der Rechtsordnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
(2) Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit (Verbot der Anknüpfung neuer
Lasten an alte Vorgänge; “Erschütterung“ von Vertrauen vornehmlich durch
Rechtsprechung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
(2a)
Unzulässigkeit der Auferlegung von Lasten in Anknüpfung an abgeschlossene Vorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
Vertrauensenttäuschung durch rückwirkende Rechte-Beseitigung .
96
(3) Bestands- und Rechtskraft (Rechtsfrieden und Rechtssicherheit) . . . . . . .
96
(2b)
(3a)
Materielle Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
(3b)
Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
(3c)
Kein Vertrauensschutz des “missbräuchlich“ Handelnden . . . . .
97
(4) Fristen und Rechtsbehelfsklarheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
(4a)
Verbot der unangemessenen Kürze von Fristen . . . . . . . . . . .
97
(4b)
Rechtsmittelklarheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
(4c)
Rechtsbehelfsbelehrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
dd) Gesetzesbindung
3.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
ee) Vertrauensschutz (Einzelfälle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die drei Begriffspaare, die zum Verständnis der Rechtsprechung erforderlich sind . . .
a) Die Unterscheidung zwischen dem zeitlichen und dem sachlichen Anwendungsbereich
einer Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Die Unterscheidung zwischen der Rückbewirkung von Rechtsfolgen und der tatbestandlichen Rückanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c)
97
98
98
98
98
aa) Rückbewirkung bzw. retroaktive Rückwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
bb) Tatbestandliche Rückanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Unterscheidung zwischen den “echten“ und “unechten“ Rückwirkungen (und damit zwischen “abgewickelten“ und den noch nicht abgeschlossenen Sachverhalten und
Rechtsbeziehungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
aa) Eingriffe nach Anspruchsentstehung (Tatbestandsverwirklichung)
d)
93
94
99
. . . . . . . .
99
bb) Nachträgliche “Entwertung“ von Rechtspositionen (unechte Rückwirkung) . . .
99
cc) Entscheidend: Vorliegende “Regelung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Fehlen schutzwürdigen betätigten Vertrauens und Offenbleiben einer echten bzw. unechten Rückwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
99
Brunn - Kapitel B.III.0.
4.
Seite 91
Der gesetzgeberische Eingriff in abgewickelte Sachverhalte bzw. Rechtsverhältnisse (“echte
Rückwirkung“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Grundsatz und Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
100
(1) Freiheitsgefährdung durch eine Rückwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
100
(2) Besonderes Rechtfertigungsbedürfnis für eine Rückwirkung . . . . . . . . . .
100
bb) Ausnahmen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) Vertrauensschutz als (Grundlage und) Grenze des Rückwirkungsverbots
100
. . . . .
100
(3) Überragende Belange des Gemeinwohls bzw. Geringfügigkeitsvorbehalt . . .
100
cc) Problematische “Aufweichungen“
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) Rückwirkende Anordnungen (nachträgliche Verlängerungen) von Freiheitsentziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.
(2) Unklare Rechtslage im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rechtfertigungs- bzw. Begründungspflicht als Folge einer echten Rückwirkung
Sonderfall des Steuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Eingriff in noch nicht abgeschlossene Verhältnisse . . . . . . . . . .
Grenzen einer grundsätzlich zulässigen Rückwirkung . . . . . . . . .
Beispielfälle für (zulässige und unzulässige) unechte Rückwirkungen . . .
6.
.
.
.
.
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.
101
101
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101
101
101
101
102
102
aa) Unzweifelhaft noch nicht abgeschlossener Beispielsfall . . . . . . . . . . . . . . .
102
bb) Bezweifelbar noch nicht abgeschlossener Beispielsfall (Therapieunterbringungsgesetz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
102
(1) Kritik
c)
100
. .
(2) Fehlendes “Vertrauendürfen“ (von vornherein fragwürdiges Recht)
b)
c)
Der
a)
b)
99
100
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
102
(2) Verfassungsrechtlich zulässiger “Ausweg“ (Annahme eines zulässigen Präventivgesetzes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bestehende Dauerrechtsverhältnisse als typische Anwendungsfälle der (zulässigen echten
sowie) unechten Rückwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103
aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103
bb) “Betätigtes Vertrauen“ (“Ins-Werk-Setzen“) als maßgebliches Kriterium für die
Zulässigkeit/ Unzulässigkeit eines Gesetzes mit tatbestandlicher Rückanknüpfung
103
cc) Typische Materien
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103
(1) Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
104
(2) Beamtenrecht
104
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103
(3) Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Fehlendes schutzwürdiges Vertrauen als - ausnahmsweise - rechtfertigender Grund sogar für
“echte“ Rückwirkung (Eingriffe in “abgewickelte“ Sachverhalte) . . . . . . . . . .
a) Denkbare Zeitpunkte für den Verlust eines Vertrauensschutzes . . . . . . . .
104
104
aa) Grundsätze der Abstellung auf den endgültigen Gesetzesbeschluss des Bundestags
und/oder auf den Zeitpunkt, zu dem ernsthaft mit einer Neuregelung zu rechnen
ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
104
(1) Gesetzesbeschluss des Bundestags als Beseitigung des wesentlichen Unsicherheitsfaktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105
(2) Vertrauensgrenze des Zeitpunkts, zu dem ernsthaft mit einer Neuregelung zu
rechnen war . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105
bb) Verkündung des Gesetzes als spätester Zeitpunkt für einen Vertrauensverlust
.
cc) Denkbare Zeitpunkte für einen Vertrauensverlust bei Anrufung des Vermittlungsausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
104
105
105
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b)
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dd) Sonderfall des Steuerrechts und der Einbringung eines entsprechenden Gesetzentwurfs im Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105
(1) Kein Vertrauen des Steuerpflichtigen auf den künftigen Fortbestand einer geltenden Gesetzeslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105
(2) Einzelfälle eines (zu- und unzulässigen) “Unterlaufens“ verlautbarter Absichten
Erfordernis des “sachlich gerechtfertigten“ Vertrauens . . . . . . . . . . .
106
106
aa) Vertrauensverlustgründe in Fällen “unechter“ sowie “echter“ Rückwirkung . . .
106
(1) Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht und Rückwirkung . . . . . . . . . . . . . .
106
(2) Rückwirkende Ersetzung einer verfassungswidrigen Norm durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106
(3) Unredlich erworbene Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106
(4) “Geringfügige“ Eingriffe
107
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
bb) Problematik der “Erwartbarkeit“, insbesondere bei unklarer und/oder verworrener
Gesetzeslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) Die “ernsthafte“ Erwartbarkeit einer rückwirkenden Gesetzesänderung
. . .
107
(2) Die “Enttäuschung“ der Erwartungen des Gesetzgebers durch Rechtsprechung
107
(3) Die unklare (“verworrene“) Rechtslage
107
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(4) “Wiederaufleben“ des früheren Rechts und Interpretationsbefugnis der Fachgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
cc) Entschiedene Fälle von (nicht) schutzwürdigem Vertrauen
. . . . . . . . . . . .
(1) Änderungen des Verfahrensrechts (insbesondere: Grundsätze des “intertemporalen Prozessrechts“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1a)
(1b)
108
108
108
Grundsätze des intertemporalen Prozessrechts und Rechtsmittelsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108
(3) Beamtenrecht
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108
(4) Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109
(5) Steuerrecht
109
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(6) Sonderfall einer Rückgängigmachung einer unter Verstoß gegen Art. 3 GG
gewährten Vergünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
“Zwingende Gründe“ als Rechtfertigungsgründe für Rückwirkungen . . . . . . . .
a) Rückwirkungsgrenze der Verletzung des “grundrechtlichen Schutzes des Lebenssachverhalts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Steuerrecht und (nicht-) “zwingende“ Gründe . . . . . . . . . . . . . .
aa) “Überragende“ bzw. zumindest “wichtige“ Gemeinwohlbelange
c)
108
Einwirkungen auf vorliegende verfahrensrechtliche Lagen (insbesondere anhängige Verfahren) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(2) Mietrecht
7.
107
109
109
110
110
. . . . . . . . .
110
(1) “Bloße“ Absicht der Erzielung staatlicher Mehreinkünfte . . . . . . . . . . .
110
(2) Ausgleich unerwarteter Mindereinnahmen oder “notwendige“ Korrekturen
.
110
bb) Sonstige denkbare Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Pflicht zur Aufrechterhaltung von Übergangsregelungen und Ausnahmen . . . .
110
110
aa) Die Schaffung eines Vertrauenstatbestandes durch (verfassungsentsprechendes)
Übergangsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111
bb) Rechtfertigung für “vorzeitige“ Aufhebung eines Vertrauenstatbestandes
111
. . . .
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Wie bereits eingangs (A.II.3.b) (vgl. S. 20) sowie B.I.1. (vgl. S. 74) ) dargelegt, begegnet regelmäßig die
erstmalige gesetzliche Regelung von in der Vergangenheit, der Gegenwart und auch in der Zukunft liegenden
Sachverhalten und Rechtsverhältnissen keinen Bedenken; es gibt keinen Vertrauensschutz dagegen, dass der
Gesetzgeber eine noch nicht geregelte Frage nunmehr für regelungsbedürftig hält und dabei an solche
Sachverhalte anknüpft (BVerfGE 103, 271 [287]; vgl. auch BVerfGE 109, 96 [121 f.]).
1. Die grundsätzliche Befugnis des Gesetzgebers zu Regelungen (bereits) geregelter
Rechtsverhältnisse
Aber auch bisher schon geregelte Sachverhalte dürfen im Ansatz einer anderen gesetzlichen Regelung
zugänglich gemacht werden:
a) Grundsatz
Es ist seit jeher unbestritten das Recht des Gesetzgebers, bestehende Sachverhalte, Rechte und Rechtsbeziehungen durch eine Gesetzesänderung einer neuen Rechtslage zu unterwerfen. Denn die Möglichkeit, durch
neue Gesetze auf bestehende Rechtslagen und Rechtsverhältnisse einzuwirken, ist jeglicher Gesetzgebung
immanent (BVerfGE 48, 403 [415]; vgl. auch BVerfGE 128, 90 [107] kein Schutz vor nachteiliger Veränderung
der geltenden Rechtslage sowie BVerfGE 132, 302 [319] “Lähmung“ des Gesetzgebers in wichtigen Bereichen
als Alternative).
b) Grenzen
Begrenzt werden die vorbezeichneten Befugnisse des Gesetzgebers durch das aus dem Rechtsstaatsgebot
abgeleitete Rückwirkungsverbot (vgl. zum speziellen strafrechtlichen Rückwirkungsverbot F.VI.3. (vgl. S.
727) ).
Dieses Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes (nachfolgend B.III.2.b)ee) (vgl. S.
97) sowie B.III.6. (vgl. S. 104) ) nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze. Es gilt nicht, soweit sich
kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte oder ein Vertrauen auf eine bestimmte
Rechtslage nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war und ist. Von besonderer Bedeutung ist
dabei, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen von Betroffenen
oder Gruppen von betroffenen Gruppen auf ihren Fortbestand zu begründen (BVerfGE 135, 1 [21 f.]).
Zum Verständnis der Rechtsprechung, ob und unter welchen Voraussetzungen sich ein zu einem Rückwirkungsverbot führendes (schutzwürdiges) Vertrauen bilden konnte, ist es unerlässlich, sich - zunächst (nachfolgend 2.) - die fünf wesentlichen verfassungsrechtlichen (rechtsstaatsgemäßen) Grundprinzipien abstrakt
und - sodann (nachfolgend 3. bis 5.) - konkret die insoweit einschlägigen Schlüsselbegriffe, insbesondere die
drei wesentlichen Begriffspaare vor Augen zu führen; nur unter dieser Voraussetzung ist es möglich, zur
Beantwortung der Frage vorzudringen, ob ein Vertrauen schutzwürdig ist (aber womöglich gleichwohl überwindbar ist - 7. -) oder nicht (hierzu nachfolgend 6. und äußerst lesens- und beachtenswert die abweichende
Meinung BVerfGE 135, 1 [29, 36 ff.], wo zu Recht ein schutzwürdiges Vertrauen verneint worden ist):
2. Einführung in die für die Rückwirkungsproblematik maßgeblichen
verfassungsrechtlichen Grundprinzipien (Gerechtigkeit, Rechtsgleichheit,
Rechtssicherheit, Gesetzesbindung sowie Vertrauensschutz) und deren
Konkretisierungspflichten durch den (abändernden) Gesetzgeber
Wie anderenorts dargelegt (vor D.I.) sowie D.V.), ist - im Sinne der Formulierung des Art. 79 Abs. 3 GG
- in Art. 20 Abs. 3 GG nicht der Grundsatz des Rechtsstaatsprinzips “niedergelegt“, sondern es sind nur
ganz bestimmte Grundsätze des Rechtsstaatsprinzips. Aus dem Rechtstaatsprinzip lassen sich folglich mehr
als die in Art. 79 Abs. 3 GG in Bezug genommenen Rechtsgrundsätze des Art. 20 GG entwickeln (BVerfGE
30, 1 [24 f.]).
Es enthält keine in allen Einzelheiten eindeutig bestimmten Gebote oder Verbote von Verfassungsrang,
sondern ist ein Verfassungsgrundsatz, der der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten bedarf,
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wobei allerdings fundamentale Elemente des Rechtsstaats und die Rechtsstaatlichkeit im ganzen gewahrt
bleiben müssen (BVerfGE 7, 89 [92 f.]; vgl. auch BVerfGE 116, 24 [52]).
a) Konkretisierungspflicht
Diese Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips ist Sache der zuständigen Organe, zuvörderst des Gesetzgebers . Angesichts der Weite und Unbestimmtheit des Rechtsstaatsprinzips ist bei der Ableitung konkreter
Bindungen des Gesetzgebers mit Behutsamkeit vorzugehen (BVerfGE 90, 60 [86]; vgl. auch BVerfGE 111,
54 [82]).
aa) Sicherung des Gebrauchs der Freiheitsrechte
Bei allen Ableitungen und Konkretisierungen ist zu berücksichtigen, dass das Rechtsstaatsprinzip den
Gebrauch der Freiheitsrechte sichert, indem es Rechtssicherheit gewährt, die Staatsgewalt an das Gesetz
bindet sowie Vertrauen schützt; darüber hinaus umfasst es als eine der Leitideen des Grundgesetzes auch
die Forderung nach materieller Gerechtigkeit und schließt den Grundsatz der Rechtsgleichheit als eines
der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate ein (BVerfGE 133, 168 [198]):
bb) Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege
Das Rechtsstaatsprinzip gestattet und verlangt (aber auch und gerade etwa) die Berücksichtigung der Belange
einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden
kann. Es besteht daher die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege
zu gewährleisten (BVerfGE 130, 1 [26]).
b) Grundprinzipien des Rechtsstaatsgebots (Gerechtigkeit, Rechtsgleichheit,
Rechtssicherheit, Gesetzesbindung, Vertrauensschutz)
In der Folge werden daher - in der hier gebotenen und ausreichenden Kürze - die Grundbegriffe “materielle
Gerechtigkeit“ (anfänglich auch “materiale Gerechtigkeit“) - nachfolgend aa) -, Grundsatz der Rechtsgleichheit - nachfolgend bb) -, Rechtssicherheit - nachfolgend cc) -, Gesetzesbindung - nachfolgend dd) - und
Vertrauensschutz - nachfolgend ee) - behandelt.
aa) Materielle (“materiale“) Gerechtigkeit (und Berücksichtigung der Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege)
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 7, 89 [92]; 7, 194 [196]; 45, 187 [246]; 74,
129 [152], BVerfGE 122, 248 [272] sowie BVerfGE 130, 1 [26]) ist die Gerechtigkeit zwar meist nur im
Zusammenhang mit und im Gegensatz zu den Begriffen “Rechtssicherheit“ und “Vertrauensschutz“ erwähnt
worden; materielle (der in der frühen Rechtsprechung verwendete Begriff der “materialen“ Gerechtigkeit
dürfte identisch sein) Bestandteile des Gerechtigkeitsgebots sind so gut wie nicht auszumachen (vgl. aber
BVerfGE 72, 302 [329] dazu, dass es ein berechtigtes “Anliegen der Gerechtigkeit“ sein kann, mit nicht
sachwidrig typisierenden Regelungen auch für “untypische Einzelfälle“ weniger erwünschte Folgen mit in
Kauf zu nehmen).
[1] Es ist aber immer wieder betont worden, dass die Forderung nach “materialer“ Gerechtigkeit häufig im
Widerstreit mit dem Prinzip der Rechtssicherheit liegt und es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers
sein muss, einen solchen Widerstreit bald nach der Seite der Rechtssicherheit, bald nach der Seite der
materiellen Gerechtigkeit zu entscheiden; geschieht dies ohne Willkür, so kann ein solches Verfahren nicht
beanstandet werden (grundlegend: BVerfGE 3, 225 [237 f.]; vgl. auch BVerfGE 60, 253 [268 f.]).
[2] Wie gerade erwähnt (a)aa) sowie b)aa)), taucht als “Gegengewicht“ der Gerechtigkeit beispielsweise oft
die “funktionstüchtige Strafrechtspflege“ auf, die aber ihrerseits hohen Anforderungen unterliegt:
Sie muss dem Schuldgrundsatz Rechnung tragen, der sich aus der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG) sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art.
20 Abs. 3 GG) ergibt. Danach ist jede strafende Ahndung einer Tat ohne Schuld des Täters ausgeschlossen.
Außerdem muss bei der Festsetzung der Strafe das gerechte Verhältnis zwischen Tatschwere und Verschulden des Täters unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des einzelnen Falles beachtet werden. Aus
Brunn - Kapitel B.III.2.
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diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben folgt (im Übrigen), dass ein zentrales Anliegen des Strafprozesses
(auch und gerade) die bestmögliche Ermittlung des wahren Sachverhalts sein muss (BVerfGE 130, 1 [26]).
(1) Wiederaufnahme- und -aufgreifensverfahren und Gerechtigkeit
Ein Hauptanwendungsbereich für die Gerechtigkeit dürfte deshalb die Regelung von Verfahren sein, die
abgeschlossene Verfahren wiederaufgreifen (Wiederaufnahmen sowie Verfahren zur Rücknahme bzw. zum
Widerruf von Verwaltungsakten).
Insbesondere das Rechtsinstitut der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen (Zivilrechts-,
Straf- und öffentlich-rechtlichen)Verfahrens ist eine typische Ausprägung der Konfliktsituation zwischen
materialer Gerechtigkeit und Rechtssicherheit . In diesem Rechtsinstitut wird um des Grundsatzes der
materialen Gerechtigkeit willen das Prinzip der Rechtssicherheit durchbrochen.
Dabei wirkt sich zwar dieses Prinzip dahin aus, dass die Durchbrechung an eine eng begrenzte Anzahl
besonderer Ausnahmetatbestände gebunden ist (BVerfGE 22, 322 [329]; dort auch dazu, dass Wiederaufnahmemöglichkeiten ausgeschlossen werden dürfen, wenn die Rechtsstellung eines Betroffenen vergleichsweise
gering beeinträchtigt worden ist); gerade deswegen muss aber der Gesetzgeber besondere Sorgfalt darauf
verwenden, welche Konfliktsituationen aus welchen Gründen eine Bevorzugung (zugunsten der zunächst
Unterlegenen) aus Gerechtigkeitsgründen verdienen (und welche nicht).
(2) Gerechtigkeitsgebote bei schwierigen Tatsachenlagen im (rechtskräftig abgeschlossenen) Erstverfahren (insbesondere: Prognoseentscheidungen)
Unter diesem Aspekt müsste es sich eigentlich von selbst verstehen, dass die “Durchbrechungsmöglichkeiten“
von Bestands- und Rechtskraft (nachfolgend b)cc)(3)) gesetzlich umso großzügiger gestaltet werden müssten
, je schwieriger in tatsächlicher Hinsicht eine getroffene (belastende) Entscheidung fallen musste, weil - wie
dies vor allem und fast regelmäßig bei Prognoseentscheidungen (A.II.3.a)dd) (vgl. S. 19) ) mit bisweilen
harten Rechtsfolgen für die Betroffenen der Fall ist - die Erkenntnismöglichkeiten aus der Natur der Sache
heraus nur eingeschränkte sein konnten, was vornehmlich auf (zukünftige) menschliche Verhaltensweisen
sowie innere Tatsachen zutrifft; insoweit dürfte gesetzgeberischer Handlungsbedarf auf allen vorgenannten
Gebieten bestehen.
bb) Grundsatz der Rechtsgleichheit
Der Grundsatz der Rechtsgleichheit ist als eines der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate - welche auch
der verfassungsändernde Gesetzgeber beachten muss - in das Rechtsstaatsprinzip eingeschlossen (BVerfGE
84, 90 [121]). Im Einzelnen wird er hier im Zusammenhang mit dem Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 GG
behandelt (E.III.1. (vgl. S. 448) ).
cc) Rechtssicherheit
Die Rechtssicherheit ist zwar meist, keineswegs aber immer zugunsten der Bürger als Maßstab verwendet
worden; mit den Begriffen Rechtsfrieden und Rechtssicherheit (BVerfGE 122, 190 [203] zum Thema Erschöpfung des Rechtswegs und Gegenvorstellung für gerichtliche Entscheidungen, die - “ungeachtet etwaiger
Rechtsbehelfe“ - nicht angegriffen bzw. abgeändert werden können) ist oft begründet worden, weshalb ein
Belasteter eine getroffene Entscheidung weiterhin hinnehmen muss (nachfolgend (3)).
Freilich dürfte es sich für Rechts- bzw. Gesetzesunterworfene meist günstig auswirken, wenn die Frage bejahend zu beantworten ist, ob durch einen Gesetzgeber gegen das Verfassungsgebot der Einfachheit (einer)
Norm verstoßen worden ist, welches aus dem Rechtsstaatsgebot allgemein (und speziell wohl aus dem Verfassungsgebot der Rechtssicherheit) abgeleitet wird (BVerfGE 99, 280 [290]; dieses Gebot scheint wenig bekannt
zu sein, woraus folgt, dass (vielleicht unbewusst) oft hiergegen verstoßen worden sein dürfte (im vereinigungsbedingten Recht sind bzw. waren Normen enthalten, die bspw. mit dem folgenden Norm-Aufbau aufwarten:
§ ... a, Abs. ... a, Satz ... a).
(1) “Verlässlichkeit der Rechtsordnung“
Die - den Gebrauch der Freiheitsrechts “fundierende“ - Rechtssicherheit wird in der Regel mit der Bindung
der Staatsgewalt an das Gesetz und mit dem Vertrauensschutz in Zusammenhang gebracht (BVerfGE 95,
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96 [130]). Sie gilt als wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips (BVerfGE 7, 194 [196]; vgl. auch
BVerfGE 13, 261 [271]).
Rechtssicherheit (und Vertrauensschutz) ist in wesentlichen Teilen identisch mit der “Verlässlichkeit der
Rechtsordnung“ (BVerfGE 135, 1 [21]), die wesentliche Voraussetzung für Freiheit ist, d.h. für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug (BVerfGE 133, 143 [158]).
Insbesondere zieht die Rechtssicherheit (in Verbindung mit dem Vertrauensschutz) allen Hoheitsakten, die
belastend in verfassungsmäßig verbürgte Rechtsstellungen eingreifen, enge Grenzen (BVerfGE 67, 1 [14 f.]).
(2) Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit (Verbot der Anknüpfung neuer Lasten an alte Vorgänge;
“Erschütterung“ von Vertrauen vornehmlich durch Rechtsprechung)
Das Rechtsstaatsprinzip kann unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit sogar dann bieten, wenn
gerade keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem
solchen Vertrauen sogar entgegenstehen.
(2a) Unzulässigkeit der Auferlegung von Lasten in Anknüpfung an abgeschlossene Vorgänge
In seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit kann es davor schützen ,
dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung
neuer Lasten herangezogen werden können, selbst wenn sie damals oder unmittelbar danach in dieser Weise
hätten geregelt werden können; als Elemente des Rechtsstaatsprinzips sind Rechtssicherheit und Vertrauensschutz eng miteinander verbunden, da sie gleichermaßen die Verlässlichkeit der Rechtsordnung gewährleisten
(BVerfGE 133, 143 [158 f.]).
(2b) Vertrauensenttäuschung durch rückwirkende Rechte-Beseitigung
Im Regelfall schützt das Rechtsstaatsprinzip in Form der Rechtssicherheit die rechtsunterworfenen Bürger
freilich davor, durch die rückwirkende Beseitigung erworbener Rechte in ihrem Vertrauen auf die Verlässlichkeit der Rechtsordnung enttäuscht werden (BVerfGE 126, 286 [313]; dort auch zum Vertrauen in den
Fortbestand eines Gesetzes, welches entweder durch die rückwirkende Feststellung seiner Nichtigkeit durch
das Bundesverfassungsgericht oder seiner Nichtanwendbarkeit durch den Europäischen Gerichtshof in Wegfall
geraten ist; vgl. darüber hinaus zum - freilich lediglich eingeschränkten - Vertrauen in die höchstrichterliche
Rechtsprechung BVerfGE 122, 248 [267 ff.], BVerfGE 126, 369 [395] “Die höchstrichterliche Rechtsprechung
ist nicht Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung.“ sowie BVerfGE 131, 20 [42];
dort auch zu “gefestigter und langjähriger Rechtsprechung“).
(3) Bestands- und Rechtskraft (Rechtsfrieden und Rechtssicherheit)
Während für das Gebot der materialen Gerechtigkeit (wohl) hauptsächlich die Fälle des Wiederaufgreifens im
Vordergrund stehen (vorstehend b)aa)), spielt hinsichtlich der Rechtssicherheit die Rechts- bzw. Bestandskraft von Rechtsakten eine große Rolle:
(3a) Materielle Rechtskraft
Was zunächst die materielle Rechtskraft anbelangt, so ist es ihre Funktion , durch die Maßgeblichkeit
und Rechtsbeständigkeit des Inhalts der Entscheidung über den Streitgegenstand für die Beteiligten und die
Bindung der öffentlichen Gewalt an die Entscheidung die Rechtslage verbindlich zu klären und damit dem
Rechtsfrieden zwischen den Beteiligten zu dienen, ihnen insbesondere zu ermöglichen, ihr Verhalten gemäß
dieser Rechtslage einzurichten (BVerfGE 47, 146 [161]).
Rechtsfrieden und Rechtssicherheit sind von so zentraler Bedeutung für die Rechtsstaatlichkeit, dass um ihretwillen die Möglichkeit einer im Einzelfall vielleicht unrichtigen Entscheidung in Kauf genommen werden
muss, und eine Ausnahme von dieser Regel kann (nur) dann gerechtfertigt sein, wenn besonders zwingende und schwerwiegende, den Erwägungen der Rechtssicherheit übergeordnete Gründe dazu Anlass geben
(BVerfGE 2, 380 [403 ff., 405]); vor dem Hintergrund gemachter Erfahrungen wirkt diese “Zementierung“
heute eher fragwürdig.
Brunn - Kapitel B.III.2.
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Beim Vorliegen solcher Gründe dürfte (wohl) - entgegen Andeutungen in der Entscheidung BVerfGE 72, 302
(328) - auch der Gesetzgeber (ohne Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz bzw. andere Verfassungsgrundsätze) in bereits rechtskräftig entschiedene Fälle eingreifen; entscheidend ist auch hier das Maß des
schutzwürdigen Vertrauens (insbesondere des Prozessgegners).
(3b) Bestandskraft
Entsprechendes gilt für die Bestandskraft von Verwaltungsakten. Die Fristen für Widerspruch und Klage
in Bezug auf Verwaltungsakte sind ebenso Instrumente zur Gewährleistung von Rechtssicherheit wie die
Fristen für Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen (BVerfGE 60, 253 [270]). Dem Grundgesetz ist
folglich keine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt zu entnehmen, rechtswidrig belastende und rechtswidrig
begünstigende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer formellen Bestandskraft von Amts wegen
oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben oder abzuändern (BVerfGE 117, 302 [315]; im Einzelfall kann
dieser Grundsatz zu bedrückenden Ergebnissen führen).
Freilich dürfen Verwaltungsbehörden Verwaltungsakte auch nach deren Unanfechtbarkeit zugunsten der
Betroffenen ergänzen - und wohl auch aufheben - (BVerfGE 27, 297 [305 f.]).
(3c) Kein Vertrauensschutz des “missbräuchlich“ Handelnden
In der Regel keinen Bestandsschutz gewährt das Recht indessen dem missbräuchlich Handelnden für
Rechtspositionen, die er im Widerspruch zum geltenden Recht durch Täuschung oder noch schwerwiegendere Missbräuche erwirkt hat, sondern ermöglicht es, mindestens innerhalb gewisser Fristen den Erwerb der
Rechtsposition rückgängig zu machen (BVerfGE 116, 24 [49 f.]).
(4) Fristen und Rechtsbehelfsklarheit
Was allgemein Fristen (vgl. BVerfGE 102, 254 [295] zur Fristberechnung) und deren Einhaltung anbelangt,
müssen sie - als formale Ordnungsvorschriften, die als “jus strictum“ allein der Rechtssicherheit dienen aus dem Gesetzestext sofort, eindeutig und klar erkennbar sein und können nicht erst aus Sinn und Zusammenhang eines Gesetzes durch ausdehnende und vielleicht sogar überraschende Auslegung gefunden werden
(BVerfGE 4, 31 [37]).
(4a) Verbot der unangemessenen Kürze von Fristen
Obgleich Fristen nicht unangemessen kurz sein dürfen, können u.U. auch einwöchige Fristen zulässig sein
(BVerfGE 77, 275 [285 f.]).
(4b) Rechtsmittelklarheit
Namentlich im gerichtlichen Verfahren gilt das Postulat der Rechtsmittelklarheit . Das rechtsstaatliche
Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns führt zu dem Gebot, dem Rechtsuchenden den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen klar vorzuzeichnen.
(4c) Rechtsbehelfsbelehrungen
Sind die Formerfordernisse so kompliziert und schwer zu erfassen, dass nicht erwartet werden kann, der
Rechtschutzsuchende werde sich in zumutbarer Weise darüber Aufklärung verschaffen können, muss die
Rechtsordnung zumindest für eine das Defizit ausgleichende Rechtsmittelbelehrung sorgen. Diese kann aber
zuverlässig nur erteilt werden, wenn die Zulässigkeitsvoraussetzungen des jeweiligen Rechtsbehelfs in der
Rechtsordnung geregelt sind (BVerfGE 107, 395 [416 f.]).
dd) Gesetzesbindung
Die wesentlichen Grundsätze zur Gesetzesbindung sind in anderem Zusammenhang (D.V.3.d) (vgl. S. 263)
) dargelegt.
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ee) Vertrauensschutz (Einzelfälle)
Außerhalb der Materie der Rückwirkung von Gesetzen (nachfolgend 3. bis 7.) hat der Vertrauensschutz
(zusammenfassend: BVerfGE 135, 1 [21 ff.] sowie BVerfGE 135, 1 [29, 35 ff.] beachtenswerte abweichende
Meinung) keine große Bedeutung:
Während sich dem Rechtsstaatsprinzip keine bestimmten Aussagen dazu entnehmen lassen, in welchem
Verhältnis für die Verkündung einer Rechtsnorm ausreichend sein kann, sie nicht in einem gedruckten Publikumsorgan zu veröffentlichen (sondern nur auf einer Dienststelle zu jedermanns Einsicht bereit zu halten;
BVerfGE 65, 283 [291]), können Hoheitsakte - ein Hauptanwendungsfall hierfür sind Verkehrszeichen - erst
dann gegenüber dem Bürger Rechtswirkungen entfalten, wenn sie ihm persönlich oder in ordnungsgemäßer
Form öffentlich bekannt gemacht worden sind, was aus den Prinzipien der Rechtssicherheit und des
Vertrauensschutzes folgt (BVerfGE 84, 133 [159]).
Im Übrigen hat sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Vertrauensschutz u.a. befasst im Zusammenhang
mit der Ablehnung einer Auslieferung durch die Bundesregierung (BVerfGE 50, 244 [249 f.]), mit dem
Vertrauen des Bürgers in die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes (BVerfGE 53, 115 [128 ff.]) sowie mit
(fehlendem) Vertrauen auf mangelnde Vollstreckbarkeit oder Vollstreckungshindernisse (BVerfGE 63, 343
[364 f.] “Ein Vertrauen darauf, dass materielles Recht nicht durchgesetzt werde, ist grundsätzlich nicht
geschützt.“).
3. Die drei Begriffspaare, die zum Verständnis der Rechtsprechung erforderlich sind
[1] Möglicherweise wird man zukünftig von vier Begriffspaaren ausgehen müssen, nämlich von - nimmt man
die Entscheidung BVerfGE 135, 1 (14 ff.) zum Maßstab, wo von dieser Unterscheidung im Wesentlichen
die Frage der Zulässigkeit/Unzulässigkeit einer echten Rückwirkung abhing (kritisch BVerfGE 135, 1 [29 ff.]
abweichende Meinung) - der Unterscheidung “konstitutive“ bzw. “deklaratorische“ Wirkung einer nachträglichen (rückwirkenden) Rechtsänderung:
Während bis zur genannten Entscheidung (fehlendes) Vertrauen in den Bestand des alten Rechts für
sowohl “echte“ als auch “unechte“ Rückwirkungen als letztlich entscheidendes Merkmal zu begreifen war,
dürften nunmehr bei echter Rückwirkung mit der Bejahung der konstitutiven Wirkung einer Änderung
im Wesentlichen “die Würfel gefallen“ sein, sieht man von wenigen Fällen besonderer - und deswegen
korrekturbedürftiger - Unklarheit ab (a.a.O. [22 ff., 24] “zusätzliche qualifizierende Umstände“; vgl. auch
a.a.O. [41 ff.] “grundlegende Umwertung der bisherigen Maßstäbe“ [47] “Irrweg“). Im Ansatz gilt jedoch
unverändert:
[2] Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet bei rückwirkenden Gesetzen in ständiger Rechtsprechung
zwischen Gesetzen mit echter Rückwirkung, die grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar sind, und
solchen mit unechter Rückwirkung, die grundsätzlich zulässig sind.
Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt
ändernd eingreift. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor
dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll (“Rückbewirkung von
Rechtsfolgen“; BVerfGE 135, 1 [13]; dort auch zum Sonderfall des Steuerrechts).
a) Die Unterscheidung zwischen dem zeitlichen und dem sachlichen
Anwendungsbereich einer Norm
Der zeitliche Anwendungsbereich einer Norm bestimmt, in welchem Zeitpunkt die Rechtsfolgen einer
gesetzlichen Regelung eintreten sollen. Der sachliche Anwendungsbereich einer Norm wird durch ihre
Tatbestandsmerkmale bestimmt (BVerfGE 97, 67 [78 f.]).
b) Die Unterscheidung zwischen der Rückbewirkung von Rechtsfolgen und der
tatbestandlichen Rückanknüpfung
Eine Rechtsnorm entfaltet Rückwirkung, wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs auf einen
Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm gültig geworden ist.
Brunn - Kapitel B.III.4.
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aa) Rückbewirkung bzw. retroaktive Rückwirkung
Die Anordnung, eine Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden
Zeitraum eintreten (Rückbewirkung von Rechtsfolgen, “echte“ Rückwirkung; BVerfGE 135, 1 [13]), ist grundsätzlich - ebenso wie die nachfolgend behandelte, insoweit vom Bundesverfassungsgericht als gleichermaßen
problematisch angesehene retroaktive Rückwirkung (BVerfGE 126, 369 [391] “oder“) - unzulässig.
bb) Tatbestandliche Rückanknüpfung
Demgegenüber betrifft die tatbestandliche Rückanknüpfung (“unechte“ Rückwirkung) nicht den zeitlichen,
sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm. Die Rechtsfolgen eines Gesetzes treten erst nach
Verkündung der Norm ein, deren Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor der Verkündung “ins
Werk gesetzt“ worden sind (BVerfGE 97, 67 [78 f.]; vgl. auch BVerfGE 131, 20 [36 f.]).
c) Die Unterscheidung zwischen den “echten“ und “unechten“ Rückwirkungen (und
damit zwischen “abgewickelten“ und den noch nicht abgeschlossenen
Sachverhalten und Rechtsbeziehungen)
Echte (retroaktive) Rückwirkung eines Gesetzes liegt vor, wenn das Gesetz nachträglich ändernd in “abgewickelte“, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (grundlegend: BVerfGE 11, 139 [145 f.]; vgl.
auch BVerfGE 95, 64 [86 f.] sowie BVerfGE 132, 302 [318]).
aa) Eingriffe nach Anspruchsentstehung (Tatbestandsverwirklichung)
Dabei ist ein Tatbestand bei (früheren) Rechtssätzen, die unmittelbar Rechtsansprüche einräumen, nicht
erst abgewickelt, wenn ein Anspruch durch Bescheid (bzw. Urteil) zuerkannt wird, der Anspruch entsteht
vielmehr schon mit der Verwirklichung der (aller) gesetzlichen Tatbestandsmerkmale ; es genügt daher
für die Annahme echter Rückwirkung in formaler Hinsicht, dass der Gesetzgeber in Sachverhalte eingreift,
die vor der Gesetzesverkündung die Voraussetzungen des bisher geltenden Anspruchstatbestandes erfüllten
(grundlegend: BVerfGE 30, 367 [386 f.]; vgl. auch BVerfGE 126, 369 [391]).
bb) Nachträgliche “Entwertung“ von Rechtspositionen (unechte Rückwirkung)
Demgegenüber liegt eine - grundsätzlich zulässige - unechte Rückwirkung vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit
zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (BVerfGE 95, 64 [86 f.]; vgl. auch BVerfGE
135, 1 [13]).
cc) Entscheidend: Vorliegende “Regelung“
Schlagwortartig (ähnlich BVerfGE 127, 1 [19 f.]) ließe sich vielleicht mit guten Gründen sagen, dass entscheidend ist, ob ein Sachverhalt (Tatbestand, Rechtsverhältnis) entweder bereits einmal (abschließend)
geregelt war oder nicht; war er es, darf er nur unter besonderen Voraussetzungen neu geregelt werden, war
er es (noch) nicht, unter erleichterten.
d) Fehlen schutzwürdigen betätigten Vertrauens und Offenbleiben einer echten bzw.
unechten Rückwirkung
Eine genauere Zuordnung zu den vorbezeichneten Merkmalen kann offenbleiben, wenn es in jedem Fall an
dem erforderlichen schutzwürdigen betätigten Vertrauen fehlt, welches durch die Neuregelung hat enttäuscht
werden können (BVerfGE 123, 111 [129]).
4. Der gesetzgeberische Eingriff in abgewickelte Sachverhalte bzw.
Rechtsverhältnisse (“echte Rückwirkung“)
Die Verfassungsmäßigkeit eines rückwirkenden Gesetzes ist nur dann fraglich, wenn es sich um ein den Bürger
belastendes Gesetz handelt.
Brunn - Kapitel B.III.4.
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a) Grundsatz und Ausnahmen
Das grundsätzliche Verbot echt rückwirkender belastender Gesetze beruht auf den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes.
aa) Grundsatz
Es schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes
geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte.
(1) Freiheitsgefährdung durch eine Rückwirkung
Es würde die Betroffenen in ihrer Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an ihr Verhalten
oder an sie betreffende Umstände ohne Weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als
sie zum Zeitpunkt ihres rechtserheblichen Verhaltens galten. Ausgehend hiervon sind Gesetze mit echter
Rückwirkung grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar.
(2) Besonderes Rechtfertigungsbedürfnis für eine Rückwirkung
Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens gleichwohl nachträglich belastend ändert , bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den
Grundrechten des Grundgesetzes. Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung
über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen.
bb) Ausnahmen
Von diesem grundsätzlichen Verbot echt rückwirkender Gesetze bestehen jedoch Ausnahmen .
(1) Vertrauensschutz als (Grundlage und) Grenze des Rückwirkungsverbots
Das Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch
seine Grenze.
Es gilt nicht , soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte oder ein
Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war.
Bei den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten, nicht abschließend definierten
Fallgruppen handelt es sich um Typisierungen ausnahmsweise fehlenden Vertrauens in eine bestehende
Gesetzeslage. Für die Frage, ob mit einer rückwirkenden Änderung der Rechtslage zu rechnen war, ist von
Bedeutung, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen
Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen.
(2) Fehlendes “Vertrauendürfen“ (von vornherein fragwürdiges Recht)
Eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit echter Rückwirkungen ist gegeben, wenn die Betroffenen
schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird, nicht auf den Fortbestand einer gesetzlichen
Regelung vertrauen durften, sondern mit deren Änderung rechnen mussten.
Vertrauensschutz kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn die Rechtslage so unklar und
verworren war, dass eine Klärung erwartet werden musste, oder wenn das bisherige Recht in einem Maße
systemwidrig und unbillig war, dass ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit bestanden.
(3) Überragende Belange des Gemeinwohls bzw. Geringfügigkeitsvorbehalt
Der Vertrauensschutz muss ferner zurücktreten, wenn überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip
der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Beseitigung erfordern, wenn der Bürger sich nicht auf den
durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen durfte oder wenn durch die sachlich begründete
rückwirkende Gesetzesänderung kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht wird (BVerfGE 135,
1 [20 ff.]; vgl. noch nachfolgend B.III.6.b)aa)(4) (vgl. S. 106) ).
Brunn - Kapitel B.III.5.
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cc) Problematische “Aufweichungen“
Wie in der abweichenden Meinung der Entscheidung BVerfGE 135, 1 dargelegt worden ist (BVerfGE 135, 1
[29 ff., 35 ff.]), war das Bundesverfassungsgericht bis zum Jahre 2013 mit der Nichtigerklärung von Gesetzen
wegen des Verbots echter Rückwirkung sehr zurückhaltend, wie auch das nachfolgende Beispiel zeigt:
(1) Rückwirkende Anordnungen (nachträgliche Verlängerungen) von Freiheitsentziehungen
Soweit die frühere gesetzliche Zehn Jahre-Höchstfrist für Sicherungsverwahrungen nachträglich verlängert
worden ist, handelt es sich nämlich hierbei um einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das Vertrauen
des betroffenen Personenkreises darauf, dass spätestens nach zehn Jahren die Freiheit wieder erlangt werden
wird (gewissermaßen ein zulässiges und wohlbegründetes “prognostisches“ - und damit bereits verfassungsrechtlich schützenswertes - Vertrauen).
Angesichts des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 2
Satz 2 GG; vgl. hierzu nachfolgend E.II.6.) ist eine entsprechende Anordnung nur nach Maßgabe strikter
Verhältnismäßigkeitsprüfung und zum Schutz höchster Verfassungsgüter zulässig.
Das hat zur Folge, dass eine rückwirkend angeordnete oder verlängerte Freiheitsentziehung durch Sicherungsverwahrung nur noch als verhältnismäßig angesehen werden kann, wenn der gebotene Abstand zur Strafe
gewahrt wird, eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen
in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und die Voraussetzungen des Art. 5
Abs. 1 Satz 2 e) EMRK (vorstehend A.III.2.e)bb)(2) (vgl. S. 40) ) erfüllt sind.
Lediglich in solchen Ausnahmefällen kann noch von einem Überwiegen der öffentlichen Sicherheitsinteressen
ausgegangen werden (BVerfGE 128, 326 [388 ff., 399]; vgl. auch BVerfGE 129, 37 [45 ff.] sowie BVerfGE
134, 33 [59 ff.]; dort [61] ist allerdings eine echte Rückwirkung - mit wenig überzeugender Begründung, wie
nachfolgend [5. b)] dargelegt - verneint worden).
(2) Unklare Rechtslage im Steuerrecht
Demgegenüber erscheint die Strenge der Entscheidung BVerfGE 135, 1 im Hinblick auf das Vermögen des
Gesetzgebers, eine unklare Rechtslage im Steuerrecht zugunsten der Allgemeinheit ohne gravierende Folgen
nachträglich “zurechtrücken“ zu dürfen, als geradezu unverhältnismäßig (beachtliche Kritik in BVerfGE 135,
1 [29 ff.], abweichende Meinung).
b) Rechtfertigungs- bzw. Begründungspflicht als Folge einer echten Rückwirkung
Vor dem Rechtsstaatsprinzip bedarf es - wie bereits unter a) aa) (2) dargelegt - besonderer Rechtfertigung,
wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines in der Vergangenheit liegenden Verhaltens nachträglich belastend
ändert (BVerfGE 97, 67 [78 f.]; vgl. auch BVerfGE 127, 1 [16]). Denn das Vertrauen in die Verlässlichkeit
und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer
Grundlage erworbenen Rechte wird geschützt (BVerfGE 132, 302 [317]).
Nachfolgend (5. bis 7.) werden Fallgruppen zulässiger (begründeter) Rückwirkung vorgestellt.
c) Sonderfall des Steuerrechts
Zwar liegt auch im Steuerrecht eine echte Rückwirkung vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert. Aber für die meisten Steuerarten gilt, dass eine Steuerschuld erst
entstanden ist mit dem Ablauf eines Kalenderjahres, nämlich mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums
bzw. des Erhebungszeitraums (BVerfGE 132, 302 [319] sowie BVerfGE 135, 1 [13 f.]), weswegen regelmäßig nur eine unechte Rückwirkung vorliegt, die indessen ebenfalls verfassungsrechtlich zweifelhaft sein kann
(nachfolgend 5. c) cc) und 6. b) cc) (5)).
5. Der Eingriff in noch nicht abgeschlossene Verhältnisse
Eine unechte Rückwirkung liegt - wie unter 3. c) bereits dargestellt - vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige,
noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich
Brunn - Kapitel B.III.5.
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die betroffene Rechtsposition entwertet, so wenn belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden
(“tatbestandliche Rückanknüpfung“). Sie ist grundsätzlich zulässig .
a) Grenzen einer grundsätzlich zulässigen Rückwirkung
Allerdings können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip
Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Diese Grenzen sind erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder
wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (BVerfGE 132, 302 [318]).
Umgekehrt gilt, dass eine unechte Rückwirkung - erstens - zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und
erforderlich sein muss und - zweitens - bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die “Grenze des Zumutbaren gewahrt bleibt“ (BVerfGE
136, 127 [148 f.]).
b) Beispielfälle für (zulässige und unzulässige) unechte Rückwirkungen
Die Erfahrung lehrt, dass selbst erfahrene Rechtsanwender bei den im vorliegenden Zusammenhang vorzunehmenden Zuordnungen ins Grübeln geraten können; hilfreich können dann (leicht nachvollziehbare)
Beispielsfälle sein.
aa) Unzweifelhaft noch nicht abgeschlossener Beispielsfall
Einen nachvollziehbaren Beispielsfall für einen Eingriff in ein noch nicht endgültig abgeschlossenes Sachund Rechtsverhältnis stellt die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe (mit Wirkung zum 1.1.2005) dar. Diese
Maßnahme hat keine echte Rückwirkung entfaltet. Der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe in früheren, bereits
vollständig abgeschlossenen Bewilligungsabschnitten blieb unberührt. Es fand lediglich eine Auswirkung auf
zukünftige Bewilligungsabschnitte statt.
Die Abschaffung bewirkte auch keine unechte Rückwirkung oder tatbestandliche Rückanknüpfung. Der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hatte durch die Rechtsordnung keine Ausgestaltung erfahren, die über das Ende
des jeweiligen Bewilligungsabschnitts hinaus eine verfestigte Anspruchsposition begründete. Die Arbeitslosenhilfe wurde vielmehr abschnittsweise und nur nach einer Neuprüfung der Anspruchsvoraussetzungen
bewilligt (BVerfGE 128, 90 [105 ff.]).
bb) Bezweifelbar noch nicht abgeschlossener Beispielsfall (Therapieunterbringungsgesetz)
Weniger nachvollziehbar ist die Begründung dafür, dass das Therapieunterbringungsgesetz - welches den
Zweck verfolgt, Straftäter, deren Gefährlichkeit für hochrangige Rechtsgüter fortbesteht , im Anschluss an
eine verbüßte Strafhaft zum Schutz der Allgemeinheit sicher unterzubringen (BVerfGE 134, 33 [57]) - mit
seinen Freiheitsentziehungen, die hinsichtlich der Eingriffsintensität einer (zumal zunächst unbefristeten)
Sicherungsverwahrung entsprechen und auf einer “aktuellen“ Gefährlichkeitsprognose basieren müssen, das
Vertrauen der Betroffenen nicht in “echter“ Weise rückwirkend zerstöre (a.a.O. [61]; zwar greife die (neue)
Rechtsfolge Unterbringung erst nach Verkündung des Gesetzes ein, sie werde aber tatbestandlich von einem
vor diesem Zeitpunkt liegenden rechtserheblichen Verhalten - was das sein kann, wird leider nicht näher
dargelegt - ausgelöst).
(1) Kritik
Diese Begründung “überspielt“ den Umstand, dass das (wohl) auslösende Element - die (auf der Gefährlichkeit des Täters beruhende) Straftat (samt Schuldspruch) - bereits einmal - mit der Rechtsfolge einer
(ausdrücklich) zeitlich begrenzten Freiheitsentziehung - abschließend (auf gesetzlicher Grundlage) geregelt
war (zum Grundsatz BVerfGE 126, 369 [391] “oder“) und deswegen auf neuer gesetzlicher Grundlage (und
aufgrund aktueller Tatsachengrundlage) neu (anders) geregelt wird im Sinne einer weiteren (zusätzlichen)
Freiheitsentziehung.
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Auch soweit das vor der Verkündung des neuen Gesetzes liegende “rechtserhebliche“ Verhalten in einem
andauernden “Gefährlich-Sein“ zu sehen sein sollte, war es durch die auf dem Schuldspruch beruhende
Strafhaft gewissermaßen “abgegolten“, weswegen ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG (F.VII.) bzw. Art.
104 Abs. 1 GG (F.IX.) in Rede stehen dürfte.
Schlagwortartig: Die “Klammer“ des Strafrechts und der darauf beruhenden Verurteilung zur begrenzten
Freiheitsentziehung “verklammert“ Straftat und “Gefährlichsein“ zu einem (abschließend geregelten) Sachverhalt (anders aber bereits BVerfGE 109, 133 [184]).
(2) Verfassungsrechtlich zulässiger “Ausweg“ (Annahme eines zulässigen Präventivgesetzes)
Sieht man es hingegen so, dass das (immer noch oder wieder vorhandene) “Gefährlich-Sein“ des (früheren)
Straftäters - welches mit ganz erheblichen, unmittelbar drohenden Gefahren für Höchstwerte der Verfassung
(Leib und Leben) verbunden ist -, als neuer (vom strafrechtlich abschließend “geregelten“) abtrennbarer
Sachverhalt zu bewerten ist, so ist eine bereits im Ansatz verfassungsgemäße Problemlösung nur darin zu
sehen, dass dieser neue Sachverhalt (auch) neu geregelt wird; auf der Grundlage eines (wohl) polizeilichen (gefahrenabwehrenden bzw. straftatenverhütenden) Präventivgesetzes darf die Freiheit des “GefährlichSeienden“ präventiv entzogen werden.
Freilich müsste auch ein solches Gesetz allen Anforderungen des Art. 104 GG entsprechen und müsste
(wohl) aus Kompetenzgründen ein Landesgesetz sein (welches aber durchaus bundeseinheitlich gestaltet
sein könnte: nachfolgend C.IV.1.a)bb) (vgl. S. 137)), weil die Strafrechtskompetenz des Bundes (wohl) nicht
(mehr) für die Regelung solcher neuen Sachverhalte hinreicht; Rückwirkungsprobleme entstünden - anders
als beim verfassungsgerichtlichen Ansatz - jedenfalls (so gut wie) keine (vgl. noch nachstehend 7.).
c) Bestehende Dauerrechtsverhältnisse als typische Anwendungsfälle der (zulässigen
echten sowie) unechten Rückwirkung
Im Gegensatz zu den (tatsächlich und rechtlich) “abgewickelten“ Sachverhalten und Rechtsverhältnissen
lässt sich für die im Folgenden - beispielhaft - abgehandelten Fallgruppen noch nicht sagen, dass sie bereits
abschließend geregelt waren. Deswegen sind gesetzgeberische “Eingriffe“ regelmäßig zulässig.
aa) Grundsatz
Anpassungen eines in der Vergangenheit begründeten und noch bestehenden Rechtsverhältnisses für die
Zukunft unterliegen weniger strengen Beschränkungen als sog. echte Rückwirkungen. Sie sind zulässig, wenn
die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, das Vertrauen des Einzelnen auf die
Fortgeltung der bestehenden Rechtslage überwiegen (BVerfGE 88, 384 [406 f.]; vgl. auch BVerfGE 127, 61
[76]).
bb) “Betätigtes Vertrauen“ (“Ins-Werk-Setzen“) als maßgebliches Kriterium für die Zulässigkeit/ Unzulässigkeit eines Gesetzes mit tatbestandlicher Rückanknüpfung
Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz bei Gesetzen mit tatbestandlicher Rückanknüpfung - “rückanknüpfenden Regelungen“ (BVerfGE 76, 256 [356]) - geht jedenfalls nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder
Enttäuschung zu bewahren.
Schutzwürdig ist von Verfassungs wegen überhaupt nur das betätigte Vertrauen, also die “Vertrauensinvestition“, die zur Erlangung einer Rechtsposition geführt hat; der durch die Neuregelung verursachte Vertrauensschaden muss - im Verhältnis zur Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens - hinreichend gewichtig sein
(BVerfGE 75, 246 [280]; vgl. auch BVerfGE 109, 133 [182] sowie BVerfGE 132, 302 [320] die “Grenze der
Zumutbarkeit“ muss gewahrt bleiben).
cc) Typische Materien
Die in der Folge erwähnten Materien stellen nur einen kleinen Ausschnitt der vom Bundesverfassungsgericht
beurteilten Dauerrechtsverhältnisse und entsprechenden gesetzgeberischen Maßnahmen dar; das Steuerrecht
dürfte die am meisten umkämpfte Materie sein.
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(1) Sozialrecht
Auch und gerade im Sozialrecht sind zwar gesetzgeberische “Anpassungen“ zulässig; aber oft ist auch
der Sozialstaatsgrundsatz (D.IV.) zu berücksichtigen (BVerfGE 40, 65 [76] für erworbenen Krankenversicherungsschutz, bejaht; vgl. auch BVerfGE 69, 272 [309 f.] für Rentenversicherung, freilich im Einzelfall
verneint, sowie BVerfGE 103, 392 [404] für gesetzliche Krankenversicherung, ebenfalls im Ergebnis verneint).
(2) Beamtenrecht
Auch im Beamtenrecht (nachfolgend D.VII.2.) kann ein Vertrauen auf einen Fortbestand eines (gesetzlich
begründeten) Dauerrechtsverhältnisses schutzbedürftig sein (BVerfGE 31, 94 [99]).
(3) Steuerrecht
Sogar im Steuerrecht kann schutzwürdiges Vertrauen entstanden sein, auch wenn der Gesetzgeber noch
während des Veranlagungszeitraums (vorstehend 4. c.) die Rechtslage verändert (BVerfGE 127, 1 [19 f.]; vgl.
auch BVerfGE 127, 31 [48] sowie BVerfGE 127, 61 [77]).
6. Fehlendes schutzwürdiges Vertrauen als - ausnahmsweise - rechtfertigender
Grund sogar für “echte“ Rückwirkung (Eingriffe in “abgewickelte“ Sachverhalte)
[1] Art. 20 Abs. 3 GG schützt in den hier in Rede stehenden Varianten den Einzelnen (auch Ausländer,
BVerfGE 30, 367 [386]) davor, dass ein vom Gesetzgeber des Grundgesetzes (Rechtspositionen aus der DDRZeit sind weniger schutzwürdig: BVerfGE 101, 239 [262 f.]) bereits früher geregelter Sachverhalt nachteilig
(BVerfGE 105, 17 [44 f.] allerdings für Steuerrecht) anders (neu) geregelt wird, dass insbesondere eine
entstandene Rechtsposition (ein Anspruch, ein sog. subjektiv-öffentliches Recht) nicht erhalten bleibt und
in Wegfall gerät (Grundsatz der Aufrechterhaltung materieller und verfahrensrechtlicher Rechtspositionen:
BVerfGE 63, 343 [359] sowie BVerfGE 87, 48 [62 ff.]; grundlegend: BVerfGE 30, 367 [386 f.]).
Denn das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes
geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte wird geschützt (BVerfGE 132,
302 [317]).
[2] Um einen solchen Eingriff des Gesetzgebers (oder auch des Verordnungsgebers, BVerfGE 45, 142 [174])
gleichwohl rechtfertigen zu können, muss entweder das Vertrauen - aus Zeitpunkts- (nachfolgend a)) oder
Sachgründen (nachfolgend b)) - weniger schutzwürdig sein (BVerfGE 122, 374 [394]), oder die Gründe für
einen Eingriff müssen besonders gewichtig sein (nachfolgend 7.):
a) Denkbare Zeitpunkte für den Verlust eines Vertrauensschutzes
Jede Festlegung eines für das Ende eines schutzwürdigen Vertrauens in die bisherige Rechtslage maßgeblichen
Zeitpunkts stellt notwendig einen Ausgleich zwischen gegenläufigen Interessen dar.
[1] Bei diesen handelt es sich zum einen um das - rechtsstaatliche, aber auch aus dem Inbegriff der Grundrechte und letztlich aus dem Freiheitsverständnis entspringende - Interesse des Einzelnen , dass er sich
eine Neuregelung erst entgegenhalten lassen muss, wenn sie endgültig verbindlich geworden ist und er sich
über ihren vollständigen Inhalt genau unterrichten konnte. Bestmögliche Lösung aus dieser Sicht wäre das
Fortbestehen des Vertrauensschutzes, bis die neue Regelung verkündet worden ist.
[2] Diesem Interesse steht das staatliche Interesse gegenüber, dass eine vom Gesetzgeber für geboten
erachtete Neuregelung alsbald “greift“ und so die zeitlichen Möglichkeiten weitgehend eingeschränkt werden,
sie zu umgehen und damit den angestrebten (politischen) Erfolg zu mindern. Diesem Zweck diente es am
besten, den Vertrauensschutz spätestens mit der Einbringung des Gesetzentwurfs der Neuregelung entfallen
zu lassen (grundlegend: BVerfGE 72, 200 [261]; vgl. auch BVerfGE 131, 47 [61]):
aa) Grundsätze der Abstellung auf den endgültigen Gesetzesbeschluss des Bundestags und/oder auf
den Zeitpunkt, zu dem ernsthaft mit einer Neuregelung zu rechnen ist
In dem vorbezeichneten Spannungsfeld ist es der verhältnismäßig beste Ausgleich, auf den Zeitpunkt des
- vorbehaltlich neuerlicher Beschlussfassung gem. Art. 77 Abs. 2 bis 4 GG (hierzu C.II.2. (vgl. S. 117) ) -
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Gesetzesbeschlusses des Bundestages abzustellen. Er setzt keines der beiden gegenläufigen Interessen über
Gebühr hintan und läuft nicht ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Verankerungen zuwider (BVerfGE 72,
200 [261 f.]):
(1) Gesetzesbeschluss des Bundestags als Beseitigung des wesentlichen Unsicherheitsfaktors
Weil nämlich mit dem Gesetzesbeschluss des Bundestages der wesentliche - wenn auch nicht der einzige
und nicht der letzte - Unsicherheitsfaktor beseitigt ist, was das “Ob“ und “Wie“ der Neuregelung angeht, ist
es zum einen gerechtfertigt und geboten, den Vertrauensschutz nicht vor dem Gesetzesbeschluss enden zu
lassen, und zum anderen auch gerechtfertigt, den Vertrauensschutz nicht erst später entfallen zu lassen.
(2) Vertrauensgrenze des Zeitpunkts, zu dem ernsthaft mit einer Neuregelung zu rechnen war
Dass möglicherweise der Bundesrat zu diesem Zeitpunkt noch nicht am Zustandekommen des Gesetzes
mitgewirkt hat und sich der Bundestag nochmals mit dem Gesetz befassen muss, wenn er einen Einspruch
des Bundesrats überstimmt, führt nicht zu einer anderen Beurteilung, weil ein schutzwürdiges Vertrauen
nicht erst entfällt, wenn eine Änderung der Rechtslage sicher ist, sondern schon, wenn mit einer Neuregelung
ernsthaft zu rechnen ist (BVerfGE 126, 369 [396]; vgl. auch BVerfGE 131, 20 [39]).
bb) Verkündung des Gesetzes als spätester Zeitpunkt für einen Vertrauensverlust
Spätestens mit der Verkündung (nachfolgend C.II.4. (vgl. S. 120) ), das heißt mit der Ausgabe des ersten
Stücks des Verkündungsblattes, kann das Vertrauen zerstört sein, weil dann die Norm rechtlich existent ist
(BVerfGE 127, 1 [17]).
Weil - jedenfalls in Fällen der sog. unechten Rückwirkung - auch differenzierende Lösungen denkbar sind
(BVerfGE 127, 31 [59]), können freilich auch andere (frühere) Zeitpunkte zwischen dem Gesetzesbeschluss
des Bundestags und der Verkündung der Norm in Frage kommen:
cc) Denkbare Zeitpunkte für einen Vertrauensverlust bei Anrufung des Vermittlungsausschusses
Die Zerstörung schutzwürdigen Vertrauens kann auch schon mit dem Zeitpunkt eines Vorschlags des Vermittlungsausschusses eintreten. Das ist jedenfalls der Fall, wenn die Annahme des Vermittlungsvorschlags
nach den politischen Verhältnissen in hohem Maße wahrscheinlich ist und der Grad geschützten Vertrauens
nicht durch Dispositionsentscheidungen des Betroffenen geprägt ist.
Schutzwürdiges Vertrauen in den künftigen Bestand der bisherigen Rechtslage besteht erst recht nicht mehr
ab der Zustimmung des Bundestags zum Vermittlungsvorschlag des Vermittlungsausschusses, weil dieser
Zeitpunkt in jeder Hinsicht dem des endgültigen Gesetzesbeschlusses des Bundestages über den Gesetzentwurf entspricht (BVerfGE 132, 302 [326]).
dd) Sonderfall des Steuerrechts und der Einbringung eines entsprechenden Gesetzentwurfs im Bundestag
Zwar sind grundsätzlich Berichte über einen Regierungsentwurf und über Arbeiten von Parlamentsausschüssen an einem Neuregelungsgesetz noch nicht geeignet, das Vertrauen des Bürgers in den Bestand des
geltenden Rechts zu zerstören (BVerfGE 14, 288 [298]). Aber gleichwohl werden mit der Einbringung eines
Gesetzentwurfs im Bundestag durch ein initiativberechtigtes Organ geplante Gesetzesänderungen öffentlich. Ab diesem Zeitpunkt sind mögliche zukünftige Gesetzesänderungen in konkreten Umrissen allgemein
vorhersehbar.
(1) Kein Vertrauen des Steuerpflichtigen auf den künftigen Fortbestand einer geltenden Gesetzeslage
Deshalb können Steuerpflichtige regelmäßig nicht mehr darauf vertrauen, das gegenwärtig geltende Recht
werde auch im Folgejahr unverändert fortbestehen; es ist ihnen vielmehr grundsätzlich möglich, ihre wirtschaftlichen Dispositionen durch entsprechende Anpassungsklauseln auf mögliche zukünftige Änderungen
einzustellen (BVerfGE 127, 31 [50]; vgl. auch BVerfGE 132, 302 [324]).
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(2) Einzelfälle eines (zu- und unzulässigen) “Unterlaufens“ verlautbarter Absichten
Zwar stellt es grundsätzlich keinen Missbrauch dar, sondern gehört zu den legitimen Dispositionen im
grundrechtlich geschützten Bereich der Handlungsfreiheit, wenn Steuerpflichtige darum bemüht sind, die
Vorteile geltenden Rechts mit Blick auf mögliche Nachteile einer künftigen Gesetzeslage für sich zu nutzen
(BVerfGE 127, 31 [60]).
Anders kann es sich aber in Sondersituationen verhalten. So darf es dem Steuerpflichtigen nach Ankündigung des Wegfalls einer für verfehlt erachteten Subvention verwehrt werden, die Gestaltungskompetenz
und den Gestaltungswillen des Gesetzgebers zu unterlaufen, etwa wenn dieser die Steuervergünstigung für
Verträge entfallen lassen will, die zwischen dem Bekanntwerden der beabsichtigten Gesetzesänderung und
deren Beschluss durch den Gesetzgeber geschlossen worden sind, deren steuererheblicher Vollzug aber erst
nach dem Gesetzesbeschluss zu erwarten ist (BVerfGE 97, 67 [81 f.]).
b) Erfordernis des “sachlich gerechtfertigten“ Vertrauens
Das Vertrauen auf die geltende Rechtslage ist nur schutzwürdig , wenn die gesetzliche Regelung generell
geeignet ist, ein Vertrauen auf ihr Fortbestehen zu begründen und darauf gegründete Entscheidungen - insbesondere Vermögensdispositionen - herbeizuführen, die sich bei der Änderung der Rechtslage als nachteilig
erweisen.
Ist darüber hinaus das Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand einer bestimmten (im Vorstehenden bezeichneten) Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig, sind Formen rückwirkender belastender Eingriffe (ausnahmsweise) zulässig (BVerfGE 131, 20 [41]). Wie bereits erwähnt (vorstehend
4. a) bb)), findet das Rückwirkungsverbot nämlich im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen
Grund, sondern auch seine Grenze (BVerfGE 101, 239 [266]). Deshalb gilt im Einzelnen:
aa) Vertrauensverlustgründe in Fällen “unechter“ sowie “echter“ Rückwirkung
Die in der Folge dargestellten Fallgruppen (können, müssen aber nicht kumulativ vorliegen, sondern) rechtfertigen jede für sich die Zulässigkeit einer - sogar “echten“ - Rückwirkung (BVerfGE 45, 142 [174]).
(1) Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht und Rückwirkung
Hat ein Gemeinschaftsorgan verlautbart, welche Maßnahmen ein Mitgliedstaat (etwa zur Abwehr einer bestehenden oder drohenden Marktstörung zufolge einer besonders erteilten Ermächtigung) ergreifen darf, dann
müssen die betroffenen Kreise damit rechnen, dass der Mitgliedstaat - schon im Hinblick auf seine eigenen
Interessen und die ihm aus dem Gemeinschaftsvertrag erwachsenden Mitgliedschaftspflichten - die entsprechenden Maßnahmen für seinen Hoheitsbereich ergreift und dabei auch den zeitlichen Anwendungsbereich,
der ihm vom Gemeinschaftsrecht her eröffnet wird, voll ausschöpft (BVerfGE 45, 142 [175]).
(2) Rückwirkende Ersetzung einer verfassungswidrigen Norm durch den Gesetzgeber
Der Staatsbürger kann sich zumindest nicht immer auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen. Unter Umständen kann der Gesetzgeber eine verfassungswidrige Bestimmung rückwirkend
durch eine rechtlich nicht zu beanstandende Norm ersetzen (BVerfGE 13, 261 [272]; vgl. aber auch BVerfGE
99, 68 [83]); ob es dabei (un-)erheblich ist, ob die frühere Norm in Wahrheit nicht verfassungswidrig war,
ist schwer zu beantworten, weil immerhin ein Vertrauen in eine (bis zur Aufhebung) gültige Vorschrift ins
Feld geführt werden kann.
Auch ob die neue Norm zumindest nicht schwerwiegender (gewissermaßen als Verbot einer “reformatio in
peius“) als die alte Norm in die Rechtspositionen der Betroffenen eingreifen darf - wie es hier vertreten wird
-, ist (soweit ersichtlich) noch nicht entschieden worden.
(3) Unredlich erworbene Rechte
Das Vertrauen in den Fortbestand unredlich erworbener Rechte ist grundsätzlich nicht schutzwürdig (BVerfGE 101, 239 [266]).
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(4) “Geringfügige“ Eingriffe
Das Vertrauen der Betroffenen auf die geltende Rechtslage bedarf auch dann nicht des Schutzes gegenüber
sachlich begründeten rückwirkenden Gesetzesänderungen, wenn dadurch kein oder nur ganz unerheblicher
Schaden verursacht wird (vgl. bereits vorstehend B.III.4.a)bb)(3) (vgl. S. 100) ). Auch das Rechtsstaatsprinzip schützt nicht vor jeglicher Enttäuschung.
Die gesetzliche Regelung muss nämlich - wie bereits dargelegt (b)) - generell geeignet sein, aus dem Vertrauen auf ihr Fortbestehen heraus Entscheidungen und Dispositionen herbeizuführen oder zu beeinflussen,
die sich bei der Änderung der Rechtslage als (erheblich) nachteilig erweisen (BVerfGE 30, 367 [389]; vgl.
auch BVerfGE 95, 64 [87]).
bb) Problematik der “Erwartbarkeit“, insbesondere bei unklarer und/oder verworrener Gesetzeslage
Ob angesichts neuerer Rechtsprechung noch an früherer Rechtsprechung festzuhalten ist, wonach ein Schutz
des Vertrauens generell - wie die Rechtsprechung wohl zu verstehen ist - bereits dann nicht gefordert ist,
wenn in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird, “mit einer
solchen Regelung zu rechnen war“ (BVerfGE 30, 367 [387]), muss hier dahingestellt bleiben.
(1) Die “ernsthafte“ Erwartbarkeit einer rückwirkenden Gesetzesänderung
Ernsthaft “zu rechnen“ (vorstehend a)aa); BVerfGE 126, 369 [396]) ist mit einer Gesetzesänderung vornehmlich jedenfalls dann, wenn die bisherige Rechtslage erhebliche Anwendungs- und Auslegungsschwierigkeiten
bereitet hat. Hierzu gilt neuerdings Folgendes:
(2) Die “Enttäuschung“ der Erwartungen des Gesetzgebers durch Rechtsprechung
Interpretiert die (insbesondere höchstrichterliche) Rechtsprechung eine Norm anders als der Gesetzgeber
sie verstanden wissen will, so kann der Gesetzgeber zwar - im Rahmen der Verfassung - die Rechtsprechung
für die Zukunft durch ein neues Gesetz korrigieren. Will der Gesetzgeber den Interessenkonflikt zwischen
ihm und der Rechtsprechung (und damit auch zwischen ihm und den Normbetroffenen) aber rückwirkend
in seinem Sinne entscheiden, muss er die Grundsätze rückwirkender Gesetzesänderung beachten (BVerfGE
126, 369 [392]).
Mit anderen Worten kann der Gesetzgeber den Inhalt geltenden Rechts mit Wirkung für die Vergangenheit
nur in den verfassungsrechtlichen Grenzen für eine rückwirkende Rechtsetzung feststellen oder klarstellend
präzisieren (BVerfGE 135, 1 [15]; vgl. aber die beachtlichen Gründe der abweichenden Meinung BVerfGE 135,
1 [29, 35 ff.], wo - zu Recht - beklagt wird, dass die Senatsentscheidung die “Obersätze von ihrer bisherigen
Einbindung an die Grundsätze des Vertrauensschutzes ablöst und sie zu für sich selbst stehenden abstrakten
Regeln verselbständigt“).
Anders ist es - zum einen - dann, wenn die Neuregelung lediglich “deklaratorischer Art“ ist, also nur
bestätigt, was von vornherein aus der ursprünglichen Norm folgte (BVerfGE 131, 20 [37]). Das ist aber - bei
Fehlen einer höchstrichterlichen Rechtsprechung im Sinne des Gesetzgebers - bereits dann nicht mehr der
Fall, wenn die Auslegung in der Fachgerichtsbarkeit als “offen“ zu bezeichnen ist (BVerfGE 135, 1 [15 ff.]);
bei Offenheit liegt mit anderen Worten bereits ein konstitutiver Regelungsgehalt der neuen Regelung vor
(a.a.O.).
(3) Die unklare (“verworrene“) Rechtslage
Vertrauensschutz kommt - zum anderen - dann nicht in Betracht, wenn die bisherige Rechtslage so unklar
und verworren war, dass eine Klärung erwartet werden musste . Freilich rechtfertigt allein die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm nicht deren rückwirkende Änderung; erst wenn die Auslegungsoffenheit ein Maß
erreicht, das zur Verworrenheit der Rechtslage führt, darf der Gesetzgeber eine klärende Neuregelung auf
die Vergangenheit erstrecken (BVerfGE 135, 1 [21 ff.]; dort auch dazu, dass eine solche Verworrenheit insbesondere dann vorliegt, wenn auch unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik und Normzweck vgl. hierzu vorstehend B.II.2.a) (vgl. S. 86) - völlig unverständlich ist, welche Bedeutung die fragliche Norm
haben soll).
Brunn - Kapitel B.III.6.
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(4) “Wiederaufleben“ des früheren Rechts und Interpretationsbefugnis der Fachgerichtsbarkeit
Ist ein “Reparaturversuch“ des Gesetzgebers im vorstehenden Sinne misslungen, hat also das Bundesverfassungsgericht die “klarstellende“ Norm wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot aufgehoben, so obliegt
es allein der Fachgerichtsbarkeit, das nunmehr allein gültige frühere Recht auszulegen und anzuwenden
(BVerfGE 135, 1 [18 ff.]; vgl. aber auch die beachtlichen Gründe der abweichenden Meinung: BVerfGE 135,
1 [29, 32 ff.]).
Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts setzt im Übrigen voraus, dass - entweder ausdrücklich oder
der Sache nach - ein Aufhebungsbefehl bzw. Veränderungsbefehl des neuen (“gescheiterten“) Gesetzgebers
hinsichtlich des alten und zu ersetzenden Rechts durch das Bundesverfassungsgericht “derogiert“ werden
kann (was dem Gesetzgeber so nicht möglich wäre; vorstehend B.I.2.b) (vgl. S. 76) ).
cc) Entschiedene Fälle von (nicht) schutzwürdigem Vertrauen
Die folgenden Beispiele sind keineswegs immer zwingend nur der “echten“ Rückwirkung zuzuordnen; womöglich gelten sie “nur“ für unechte Rückwirkungen, weil sich das Verfassungsgericht nicht immer eindeutig
festgelegt hat (vgl. auch vorstehend B.III.3.d) (vgl. S. 99) ).
(1) Änderungen des Verfahrensrechts (insbesondere: Grundsätze des “intertemporalen Prozessrechts“)
Prozess- und auch Prozesskostenrecht erfasst in der Regel zum Zeitpunkt seines In-Kraft-Tretens (zwar
regelmäßig keine bereits abgeschlossenen, wohl aber) auch anhängige Verfahren; sie unterstehen von diesem
Augenblick an dem neuen Recht (grundlegend: BVerfGE 1, 4 [4]; vgl. auch BVerfGE 11, 139 [146]).
(1a) Einwirkungen auf vorliegende verfahrensrechtliche Lagen (insbesondere anhängige Verfahren)
Indessen sind Rechtssicherheit und Vertrauensschutz als verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstäbe auch dann
gefordert, wenn der Gesetzgeber auf eine bislang gegebene verfahrensrechtliche Lage, in der der Bürger sich
befindet, einwirkt. Auch Verfahrensordnungen können Vertrauensdispositionen, zumal im Rahmen bereits
anhängiger Verfahren oder gegebener Verfahrenslagen, begründen. Auch wenn in gewissem Umfang das
Vertrauen in den Fortbestand verfahrensrechtlicher Regelungen von Verfassungs wegen weniger geschützt ist
als das Vertrauen in die Aufrechterhaltung materieller Rechtspositionen, können doch verfahrensrechtliche
Positionen im Einzelfall ihrer Bedeutung und ihres Gewichts wegen im gleichen Maße schutzwürdig sein wie
Positionen des materiellen Rechts (BVerfGE 63, 343 [359]).
(1b) Grundsätze des intertemporalen Prozessrechts und Rechtsmittelsicherheit
Namentlich die nach Maßgabe der Grundsätze des intertemporalen Prozessrechts gewährleistete Rechtsmittelsicherheit gebietet, dass bei einem gesetzlich festgelegten Rechtsmittelausschluss ein bereits eingelegtes
Rechtsmittel zulässig bleibt, sofern das Gesetz nicht mit hinreichender Deutlichkeit - zulässig - Abweichendes bestimmt (BVerfGE 87, 48 [62]).
(2) Mietrecht
Auf dem sozialpolitisch umstrittenen Gebiet des sozialen Mietrechts muss der Bürger mit häufigen Gesetzesänderungen rechnen und kann nicht ohne weiteres auf das unveränderte Fortbestehen einer ihm günstigen
Rechtslage vertrauen (BVerfGE 71, 230 [252]; vgl. auch BVerfGE 95, 64 [92] für staatliche Wohnungsförderung).
(3) Beamtenrecht
Weil (für die Zukunft) auch Bezüge von Beamten herabgesetzt werden können, liegt - weil kein Beamter einen
Anspruch auf unverändertes Erhaltenbleiben seiner Gehalts- und Versorgungsverhältnisse hat - in einer für
einen Beamten ungünstigen Neuregelung etwa des Besoldungsdienstalters noch keine mit dem Grundsatz
der Rechtsstaatlichkeit nicht zu vereinbarende Rückwirkung (BVerfGE 18, 159 [166 f.]).
Im Beamten-Versorgungsrecht kann es jedoch zu unzulässigen Rückwirkungen kommen (BVerfGE 31, 94 [99]
für Dispositionen, die nicht mehr korrigiert werden können).
Brunn - Kapitel B.III.7.
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(4) Sozialrecht
Im Sozialrecht kann sich das Sozialstaatsprinzip (hierzu D.IV.) dahin auswirken, dass das Vertrauen des
Bürgers umso weniger enttäuscht werden darf, je mehr er dadurch gegenüber den Risiken des Lebens, die
durch die Sozialversicherung gerade abgedeckt werden sollen, in eine wesentlich ungünstigere Lage gerät,
welche er aus eigener Kraft nicht mehr bewältigen kann (BVerfGE 40, 65 [76]).
Entsprechendes kann - muss aber nicht - in den Zusammenhängen der Rentenversicherung gelten (BVerfGE
69, 272 [309 f.]). Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes darf der Gesetzgeber insbesondere danach
differenzieren, ob ein Versicherter bereits ein “Vollrecht auf Rente“ erworben hat (BVerfGE 117, 272 [302]
“abgeschlossene Rentenbiographie“).
Maßgeblich ist in solchen Zusammenhängen immer, ob die vertrauensbegründende Rechtslage “für die Zukunft gesichert erscheinen konnte“ oder nicht (BVerfGE 103, 392 [404]; vgl. auch BVerfGE 128, 90 [105 ff.],
freilich für Arbeitslosenhilfe, wonach maßgeblich ist, ob Ansprüche für frühere, bereits vollständig abgeschlossene Abschnitte unberührt bleiben und Auswirkungen lediglich auf zukünftige Abschnitte stattfinden).
(5) Steuerrecht
Sogar im Steuerrecht, wo - wie dargelegt - unangenehme Folgen für den Gesetzgeber dadurch “abgemildert“
werden, dass regelmäßig auf abgelaufene Kalenderjahre als Veranlagungszeiträume abzustellen ist, kann
eine Gesetzesänderung mit belastenden Folgen einer unechten Rückwirkung verbunden sein, welche den
Grundsätzen des Vertrauensschutzes widersprechen können (BVerfGE 127, 1 [20 ff.] für Verlängerung von
Spekulationsfristen; vgl. auch BVerfGE 127, 31 [54]).
(6) Sonderfall einer Rückgängigmachung einer unter Verstoß gegen Art. 3 GG gewährten Vergünstigung
Hatte der Gesetzgeber eine Gruppe von einer Begünstigung (unzulässig) ausgeschlossen, so bleibt es dem
(neuen) Gesetzgeber überlassen, die gleichheitswidrig ausgeschlossene Gruppe in die Begünstigung einzubeziehen, die Begünstigung insgesamt abzuschaffen oder den Kreis der Begünstigten neu zu bestimmen, wenn
das Bundesverfassungsgericht auf einen Verstoß gegen Art. 3 GG durch den Ausschluss erkannt hat.
Weil aber eine vollständige Abschaffung der Begünstigung als rückwirkende Erweiterung des Kreises der
Steuerpflichtigen für abgeschlossene Veranlagungszeiträume wegen des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots ausgeschlossen sein kann , kann für den Zeitraum bis zur Neuregelung des Gesetzgebers die erkannte Ungleichbehandlung möglicherweise nur dadurch ausgeräumt werden, dass die bisher Nicht-Begünstigten
in die Steuerbefreiung einbezogen werden, wenngleich es für die Zukunft dem Gesetzgeber unbenommen
bleibt, eine andere, gleichheitskonforme Regelung zu schaffen (BVerfGE 99, 69 [83]).
7. “Zwingende Gründe“ als Rechtfertigungsgründe für Rückwirkungen
Zwingende Gründe des gemeinen Wohls können dem - vorstehend behandelten - Vertrauensschutz vorgehen
und sogar eine “echte“ Rückwirkung rechtfertigen. Dafür gelten strengere Voraussetzungen als im Falle
einer unechten Rückwirkung, bei der lediglich die Anforderungen des Gemeinwohls mit dem Ausmaß des
Vertrauensschadens abzuwägen sind (BVerfGE 30, 367 [390 f.]; vgl. auch BVerfGE 122, 374 [394 f.] für
“überragende Belange des Gemeinwohls“, die “eine rückwirkende Beseitigung erfordern“).
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind solche Rechtfertigungsgründe falltypisch, aber
(noch) nicht erschöpfend entwickelt worden (BVerfGE 72, 200 [258 ff.]; dort auch zum “Bagatellvorbehalt“).
Deswegen könnte hier die eigentliche Rechtfertigung für alle Formen einer (nachträglichen bzw. zusätzlichen)
Sicherungsverwahrung bzw. “Therapieunterbringung“ mit “echter“ Rückwirkung - wie es hier vorstehend
B.III.5.b)bb)(2) (vgl. S. 103) zu begründen unternommen wird - gefunden werden, und zwar auch und gerade
dann, wenn man diese (zwar kompetenzrechtlich wegen ihrer Anknüpfung an die Straftat dem Strafrecht
zuordnet - C.VII.1.b) (vgl. S. 157) -, aber materiellrechtlich trotz ihrer Anknüpfung an eine Straftat aus
dem Strafrecht “ausklammert“ (anders aber BVerfGE 134, 33 [61] ohnehin nur “unechte“ Rückwirkung):
Brunn - Kapitel B.III.7.
Seite 110
a) Rückwirkungsgrenze der Verletzung des “grundrechtlichen Schutzes des
Lebenssachverhalts“
Liegt in diesem Sinn ein Grund vor, der es von Verfassungs wegen rechtfertigt, (sogar) das rechtsstaatliche
Rückwirkungsverbot zu durchbrechen, so darf diese Durchbrechung gleichwohl nicht zu Ergebnissen führen, die den grundrechtlichen Schutz des Lebenssachverhalts verletzen, der von dem Eingriff betroffen ist
(BVerfGE 97, 67 [80]; vgl. auch BVerfGE 131, 20 [39] für “besondere Momente der Schutzwürdigkeit“).
b) Steuerrecht und (nicht-) “zwingende“ Gründe
Die mithin regelmäßig erforderliche Abwägung zwischen dem Vertrauen des Einzelnen in den Fortbestand
der für ihn günstigen Rechtslage und der “Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der
Allgemeinheit“ (BVerfGE 70, 69 [84 f.]; vgl. auch BVerfGE 128, 90 [106 f.]) hat gerade im Steuerrecht
zu einer nahezu unübersehbaren Fülle von Gesichtspunkten geführt, die als zwingend bzw. nicht zwingend
angesehen worden sind, wobei immer wieder betont worden ist, dass ein allgemeines Interesse an der
Regelung als solche nicht ausreicht, sondern ein spezifischer Grund zu verlangen ist, welcher geeignet ist,
gerade die Rückwirkung einer Regelung zu legitimieren (BVerfGE 127, 1 [25 f.] sowie BVerfGE 127, 61 [78];
vgl. auch BVerfGE 135, 1 [23] “Auslegungsbedürftigkeit“ reicht nicht aus):
aa) “Überragende“ bzw. zumindest “wichtige“ Gemeinwohlbelange
Das an sich wünschenswerte Bestreben etwa nach Vereinfachung des Steuerrechts rechtfertigt für sich allein
nicht, ein schutzwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen zurücktreten zu lassen. Kommt jedoch hinzu, dass
etwa ein zusätzliches Ziel angestrebt wird, so kann es sich um einen “überragenden Belang des Gemeinwohls“
handeln (BVerfGE 105, 17 [44 f.] vornehmlich für Kosten des Beitritts).
(1) “Bloße“ Absicht der Erzielung staatlicher Mehreinkünfte
Die bloße Absicht, staatliche Mehreinkünfte zu erzielen, ist - für sich genommen - noch kein den Vertrauensschutz regelmäßig überwindendes Gemeinwohlinteresse, schon weil dieses Ziel durch jedes, auch durch
sprunghaftes und willkürliches Besteuern erreicht würde.
(2) Ausgleich unerwarteter Mindereinnahmen oder “notwendige“ Korrekturen
Kommt jedoch das Interesse des Staates hinzu, durch die Änderung von Steuergesetzen unerwartete Mindereinnahmen auszugleichen oder bestimmte Lenkungseffekte des Steuerrechts zu korrigieren, kann hingegen
wieder ein “wichtiger Gemeinwohlbelang“ vorliegen (a.a.O.; vgl. auch BVerfGE 127, 1 [26 f.] für “Bedürfnis
nach Gegenfinanzierung“).
bb) Sonstige denkbare Rechtfertigungsgründe
Schließlich sind in den Entscheidungen BVerfGE 127, 1 (27); 127, 31 (55) und BVerfGE 127, 61 (85) u.a.
folgende Rechtfertigungsgründe genannt worden:
• ordnungspolitische Sachziele, die einen Finanzierungsbedarf möglicherweise begleiten,
• die Notwendigkeit rascher Korrektur offensichtlicher Fehlsubventionierungen, die durch Ankündigungsoder Mitnahmeeffekte gefährdet wäre,
• Gesichtspunkte der Praktikabilität unter bestimmten Voraussetzungen und
• das Ziel, zweckwidrig überschießende Vergünstigungseffekte einer Regelung abzubauen, wenn die Realisierung dieses Ziels dringlich ist.
c) Pflicht zur Aufrechterhaltung von Übergangsregelungen und Ausnahmen
Der Gesetzgeber muss - wie bereits dargelegt (vorstehend B.I.2.b)bb) (vgl. S. 77) ) - oft bei der Aufhebung
oder Modifizierung geschützter Rechtspositionen (auch dann, wenn der Eingriff an sich verfassungsrechtlich
zulässig ist) aufgrund des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zumindest eine angemessene
Brunn - Kapitel B.III.7.
Seite 111
Übergangsregelung treffen (BVerfGE 43, 242 [288]; vgl. auch BVerfGE 68, 272 [284] für erlaubte Ausübung
einer zukünftig unzulässigen Tätigkeit).
aa) Die Schaffung eines Vertrauenstatbestandes durch (verfassungsentsprechendes) Übergangsrecht
Hat er sich entsprechend verhalten und enttäuscht der Gesetzgeber später das Vertrauen in den Fortbestand einer solchen Übergangsvorschrift, die er aus Vertrauensschutzgründen erlassen hat, indem er sie
nämlich vor Ablauf der ursprünglich vorgesehenen Frist zu Lasten der Berechtigten beseitigt, so ist dies
unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes oft nur unter besonderen Anforderungen
möglich.
bb) Rechtfertigung für “vorzeitige“ Aufhebung eines Vertrauenstatbestandes
Um einen solchen besonderen (gesetzlichen) Vertrauenstatbestand vorzeitig aufzuheben, genügt es nicht
, dass sich die für den Erlass der Übergangsregelung ursprünglich maßgeblichen Umstände geändert haben.
Es müssen darüber hinaus - vorausgesetzt, das Interesse der Betroffenen auf einen Fortbestand der Regelung
ist schutzwürdig und hat hinreichendes Gewicht - schwere Nachteile für wichtige Gemeinschaftsgüter zu
erwarten sein, falls die geltende Übergangsregelung bestehen bleibt (BVerfGE 102, 68 [97 f.]).
Brunn - Kapitel C.I.1.
Seite 113
C. Gesetzgebungskompetenzen
Keinesfalls sind die Gesetzgebungskompetenzen auf die Art. 70 ff. GG beschränkt (wo sie sich freilich - im
Gegensatz zur Ur-Fassung des Grundgesetzes, in der man die Kompetenzen noch gewissermaßen “an zwei
Händen“ abzählen konnte - auffällig, oft in einem Artikel, häufen; vgl. etwa Art. 104 a ff. GG, insbesondere
Art. 106 sowie Art. 107 GG).
[1] Vielmehr sind sie - wenn man den Grundrechtsteil außer Betracht lässt, wo es verfehlt wäre, die Befugnis
zu einschränkenden Gesetzen als “Gesetzgebungskompetenz“ zu qualifizieren - bereits in den Art. 21 ff. GG,
insbesondere in neuer Zeit in Art. 23 GG (A.III.3.a) (vgl. S. 43) ), auszumachen, wo freilich die materiellen
Maßstäbe (und weniger die eher formellen “Kompetenzen“, wie dies meist in den Art. 70 ff GG der Fall
ist) im Vordergrund stehen, weshalb hier (und folgend C.III.3. (vgl. S. 130)) das eher Formelle bei den
Übertragungen von Hoheitsrechten in den Blick genommen wird.
[2] Ebenfalls zu Kompetenzvorschriften werden hier die Art. 76 ff. GG (nachfolgend C.II.) über das Zustandekommen von Bundesgesetzen gerechnet, weil sie die Befugnisse von (sogar Bundespräsident) Bundestag,
Bundesrat (Vermittlungsausschuss) und Bundesregierung im Gesetzgebungsprozess festlegen.
[3] Wegen inhaltlicher Nähe zum Gewaltenteilungsprinzip (nachstehend D.VI.) werden allerdings die Kompetenzen zur Regelung der Rechtsstellungen der Abgeordneten, Beamten und Richter im Anschluss daran
(als Anhang D.VII.) behandelt. Ähnliches gilt - wegen der Zusammenhänge mit dem Wahlrecht - für Art.
21 GG (D.III.6. (vgl. S. 244)).
I. Bedeutung von Kompetenznormen
1.
2.
Umfang und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Umfang der Regelungsbefugnis . . . . . . . . . . .
b) Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Nichtigkeit des Gesetzes als Folge einer fehlenden Kompetenz
Regelmäßig keine Pflicht zum gesetzgeberischen Tätigwerden . .
a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Denkbare Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . .
aa) Ausdrückliche Verfassungsaufträge
3.
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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115
bb) Gesetzgeberische Pflichten nach verwerfenden Verfassungsgerichtsentscheidungen
Gesetzgebungskompetenzen und (Pflicht zur) Begründung . . . . . . . . . . . .
a) Grundsatz der Erkennbarkeit des Vorliegens der Kompetenz . . . . . . . . .
b) Ratsamkeit von Begründungen bei von vornherein umstrittenen Gesetzen . . . .
115
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Das Hauptziel aller Kompetenznormen dürfte es sein, einander widersprechende Normbefehle zu vermeiden
(BVerfGE 141, 1 [35]; “Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“).
Für nahezu alle Kompetenzen dürfte inzwischen gelten, dass man sie - wie vorstehend unter A.II.1. (vgl. S.
9) bereits angedeutet - gewissermaßen als “Mischwesen“ charakterisieren kann, welche in sich formelle wie
materielle Kriterien enthalten, die den Gesetzgeber in beiderlei Hinsicht binden.
Daher erscheint es nicht verfehlt, auch solche Verfassungsbestimmungen als Kompetenzvorschriften zu behandeln, die zwar - wie etwa Art. 23 GG und Art. 24 GG (nachfolgend C.III.3.) - die Übertragung von
Hoheitsrechten dem Gesetzgeber vorbehalten, ihm aber gleichzeitig inhaltliche Schranken errichten.
1. Umfang und Grenzen
Wie sehr sich die in den Kapiteln A. und B. eingeforderte - aber oftmals vernachlässigte - Sorgfalt hinsichtlich der (zu unterscheidenden, aber auch gleichzeitig in ihren Zusammenhängen zu sehenden) Sach- und
Brunn - Kapitel C.I.2.
Seite 114
Zeitebenen verhängnisvoll oder segensreich auswirken kann, zeigt sich am Beispiel der Kompetenznorm für
das Strafrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG; nachfolgend VII.1.b)):
[1] Wer Straftaten begeht bzw. begangen hat (Zeitebenen Vergangenheit und Gegenwart), ist Straftäter oder
Teilnehmer (Sachebene Strafrecht), wer sie zu begehen droht (Zeitebene Zukunft), ist eine Gefahr für die
öffentliche Sicherheit (Sachebene Gefahrenabwehrrecht bzw. “Straftatenverhütungs-Recht“).
[2] Weil die Materie Strafrecht zwingend vom Schuldgrundsatz beherrscht wird, der für die Zeitebenen Vergangenheit und Gegenwart nach der Sachebene Strafrecht (abstrakt und im Einzelfall) im Vordergrund zu
stehen hat, was insbesondere die Rechtsfolgen angeht (Bestrafung, Freispruch, Maßregeln, Vollstreckung
und Vollzug), darf/kann (“eigentlich“) der frühere Straftäter, dessen Tat und die damit verbundene Schuld
hinsichtlich der ausgesprochenen Rechtsfolgen “abgegolten“ ist (beispielsweise durch eine zeitlich begrenzte
Freiheitsstrafe und eine anschließende zeitlich begrenzte Sicherungsverwahrung), nicht mehr nach der Sachebene Strafrecht beurteilt werden, wenn er auf der Zeitebene Zukunft (erneut) zum Straftäter (dessen Schuld
noch ungewiss ist) zu werden droht; vielmehr ist ihm exklusiv die Sachebene “ Gefahrenabwehrrecht “
zugeordnet.
[3] Weil das Bundesverfassungsgericht dies in ständiger Rechtsprechung nicht immer so sieht, dürfte der
verfassungsändernde Gesetzgeber gut beraten sein, die vorbezeichnete Kompetenznorm um die Teilmaterie
Straftatenverhütungsrecht zu ergänzen, was freilich eine (wohl unbedenkliche) Reduzierung der Länderkompetenzen (nachfolgend IV.4.a)aa)) zur Folge hätte.
a) Umfang der Regelungsbefugnis
Die Kompetenznormen des Grundgesetzes bestimmen nicht nur, welcher Gesetzgeber zum Erlass einer
Regelung zuständig ist, sondern legen zugleich auch den Umfang der Regelungsbefugnis fest (BVerfGE 55,
274 [298] ; grundlegend: BVerfGE 34, 139 [146]).
Beispielsweise ergibt sich aus dem Text der Norm des Art. 91 e Abs. 2 und 3 GG sowie den Materialien,
dass ein Bundesgesetz u.a. Regelungen zur Kostentragung, Aufsicht, Finanzkontrolle und Rechnungsprüfung
treffen darf (BVerfGE 137, 108 [181]).
b) Grenzen
Die Grenzen für die Ausnutzung einer durch das Grundgesetz gewährten Gesetzgebungskompetenz werden
ausschließlich durch die Grundrechte und sonstigen Verfassungsgrundsätze bestimmt (BVerfGE 4, 7 [15]).
Unüberschreitbare Schranken können einer Gesetzgebung auch dadurch gesetzt werden, dass der Verfassungsgesetzgeber direkt oder indirekt auf Begriffe Bezug genommen hat, die er der allgemeinen Rechtsordnung
entlehnt hat, so dass diese nicht mit einem beliebigen Inhalt gefüllt werden dürfen (BVerfGE 31, 314 [331] ;
vgl. allgemein zur Verfassungsinterpretation vorstehend A.III.2. (vgl. S. 36) ).
Schließlich kann sich eine Rechtsschranke für die Gesetzgebungsbefugnis auch aus dem ungeschriebenen
Verfassungsgrundsatz der Bundestreue ergeben (BVerfGE 4, 115 [140]).
c) Nichtigkeit des Gesetzes als Folge einer fehlenden Kompetenz
Ein Gesetz, das ausgefertigt wird zu einem Zeitpunkt, an dem die dazu ermächtigende Verfassungsnorm noch
nicht in Kraft war, ist nichtig (BVerfGE 34, 9 [25 f.]). Freilich kann es den an die Korrektur eines mangelhaften
Gesetzgebungsverfahrens zu stellenden Anforderungen genügen, wenn in einem ordnungsgemäß zu Stande
gekommenen Gesetz eine Fiktion eines späteren Erlasses des Gesetzes enthalten ist (BVerfGE 44, 227 [240]).
2. Regelmäßig keine Pflicht zum gesetzgeberischen Tätigwerden
Mit einer Kompetenznorm ist regelmäßig lediglich eine Befugnis zur Gesetzgebung verbunden, regelmäßig
aber - wie bereits erwähnt (A.II.1.c) (vgl. S. 11) ) - keine Verpflichtung zum Handeln zu begründen.
Brunn - Kapitel C.I.3.
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a) Grundsatz
Nicht einmal dann, wenn der Gesetzgeber selbst zu erkennen gegeben hat, dass er eine Regelung für notwendig hält, ist er verfassungsrechtlich verpflichtet, diese Regelung zu erlassen (BVerfGE 11, 255 [261 f.]).
Grundsätzlich hat auch der einzelne Staatsbürger keinen - etwa mit einer Verfassungsbeschwerde verfolgbaren - Anspruch auf ein Handeln des Gesetzgebers (BVerfGE 1, 97 [100]; vgl. jedoch A.II.1.c)bb) (vgl. S. 12)
zu den grundrechtlichen Schutzpflichten).
Dem Grundgesetz liegt nämlich nicht die Vorstellung zu Grunde, dass sich jede vom Staat ergriffene Maßnahme auf eine Ermächtigung zurückführen lassen müsse. Es geht vielmehr von der generellen Befugnis des
Staates zum Handeln im Gemeinwohlinteresse aus, erlegt ihm dabei aber sowohl formell als auch materiell
bestimmte Beschränkungen auf (BVerfGE 98, 218 [246]).
b) Denkbare Ausnahmen
Eine Verpflichtung zu gesetzgeberischem Handeln kann indessen zu bejahen sein, wenn durch ein (teilweises)
Unterlassen die Verfassung verletzt wird.
aa) Ausdrückliche Verfassungsaufträge
Führt beispielsweise der Gesetzgeber einen ausdrücklichen Verfassungsauftrag zum Erlass eines bestimmten
Gesetzes - etwa in Folge unrichtiger Auslegung des Grundgesetzes - nur teilweise aus und verletzt er durch
die Nichtberücksichtigung eines bestimmten Bevölkerungskreises Grundrechte aus Art. 3 GG, so kann auch
dies verfassungsrechtlich gerügt werden (BVerfGE 6, 257 [264]).
Die Verfassung kann auch verletzt sein, wenn der Gesetzgeber es unterlässt, einen Verfassungsauftrag in
angemessener Frist auszuführen (BVerfGE 8, 210 [216]).
bb) Gesetzgeberische Pflichten nach verwerfenden Verfassungsgerichtsentscheidungen
Ähnliches kann dann gelten, wenn ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu der Feststellung
geführt hat, dass zwar ein Gesetz verfassungswidrig ist, aber dies zunächst weiter bestehen bleibt ; in diesen
Fällen ist der Gesetzgeber regelmäßig (vorstehend A.III.4. zu Einzelheiten) verfassungsrechtlich zum Erlass
eines verfassungsgemäßen Gesetzes verpflichtet (BVerfGE 6, 257 [265 f.]).
3. Gesetzgebungskompetenzen und (Pflicht zur) Begründung
Zwar ist es für sich genommen regelmäßig unschädlich, wenn nicht bereits aus den Gesetzgebungsmaterialien
eine das Gesetz verfassungsrechtlich tragende Begründung (allgemein A.II.3.d) (vgl. S. 22) ) erkennbar ist.
a) Grundsatz der Erkennbarkeit des Vorliegens der Kompetenz
Vielmehr genügt es für die Gesetzgebungskompetenz (wie auch für die sonstigen Voraussetzungen der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes) in der Regel, dass deren Vorliegen im verfassungsgerichtlichen Verfahren
erkennbar wird. Das Grundgesetz schreibt grundsätzlich nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen ist. Es lässt Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss.
Entscheidend ist, dass im Ergebnis die Anforderungen des Grundgesetzes nicht verfehlt werden (BVerfGE
139, 148 [180]).
b) Ratsamkeit von Begründungen bei von vornherein umstrittenen Gesetzen
Aber die Erfahrung lehrt, dass insbesondere dann, wenn - wie dies etwa während der Vorgeschichte der
Entscheidungen BVerfGE 138, 261 und BVerfGE 140, 65 erkennbar der Fall war - bereits im Vorfeld einer
Gesetzesinitiative Kompetenzfragen zwischen dem Bund und den Ländern oder innerhalb des Parlaments
diskutiert werden (wenn insbesondere die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG - nachfolgend C.VI.2.
Brunn - Kapitel C.II.0.
Seite 116
(vgl. S. 149) - umstritten sind), der Bundesgesetzgeber gut beraten ist, in den Materialien seine Überzeugung
(nachvollziehbar und überzeugend) zu begründen (vgl. auch die - zu - hohen Begründungsanforderungen freilich in materieller Hinsicht, Art. 33 Abs. 5 GG - in BVerfGE 139, 64 [126 f.]).
II. Die “Grundkompetenz“ von Bundestag und Bundesrat für das Zustandekommen
von Bundesgesetzen (Art. 76 - 79 GG sowie Art. 82 GG)
1.
2.
Gesetzesvorlagen (Art. 76 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anrufung des Vermittlungsausschusses (Art. 77 GG) . . . . . . . . . . . . . .
a) Die Stellung des Vermittlungsausschusses im Gesetzgebungsverfahren . . . . . .
aa) Zweck und Ziel des Vermittlungsverfahrens
b)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
117
(1) Begrenzte Befugnis zur Erarbeitung (insbesondere) von Kompromissen . . .
117
(2) Weiter Spielraum autonomer Verfahrensgestaltung
. . . . . . . . . . . . . .
118
(3) Fehlendes Gesetzesinitiativrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
118
bb) Fragwürdigkeit der Nichtöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zusammensetzung des Vermittlungsausschusses und Kompetenzen . . . . . . .
118
118
(1) Beschränkung der Gestaltungsmacht durch die verfassungsrechtliche Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.
(2) Erfordernis der - vorgängigen - vollständigen Befassung des Parlaments mit
Anträgen und Stellungnahmen vor dem Gesetzesbeschluss . . . . . . . . . . .
c) Folgen von Mängeln im Vermittlungsausschuss-Verfahren . . . . . . . . . .
Zustandekommen eines Gesetzes durch Zustimmung sowie Zustimmungsbedürftigkeit (Art. 78
GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Art und Weise der Zustimmung bzw. deren Versagung . . . . . . . . . . .
b) Zustimmungsbedürftigkeit als von der Verfassung ausdrücklich zu regelnde Ausnahme
aa) Aufhebungen und Änderungen zustimmungsbedürftiger Gesetze . . . . . . . . .
4.
bb) Einzelfälle . . . . . . . . . . . .
c) Umfang der Zustimmung . . . . .
Verkündung und Inkraftsetzen von Gesetzen
a) Verkündung
. . . . . . . . .
b)
c)
d)
117
117
117
. . . . . . . .
. . . . .
im Sinne von
. . . . .
. . . . . . .
. . . . .
Art. 82 GG
. . . . .
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120
120
aa) Prinzip der formellen Gesetzesverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120
bb) “Ausgabe“ des Gesetzblatts als maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . .
Inkrafttreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120
120
aa) Erfordernis der Klarheit über den Zeitpunkt der Normverbindlichkeit . . . . . .
121
bb) Gesetzgeber und Wahl des Zeitpunkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Der Bundespräsident und die Ausfertigung von Gesetzen (formelles/materielles Prüfungsrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Neubekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
121
121
121
Für das Parlament (in seiner Gesamtheit oder durch Ausschüsse handelnd) als Verfassungsorgan, welches zur
Aufgabe der Gesetzgebung berufen ist, beginnt das Gesetzgebungsverfahren mit einer eigenen oder seitens der
Bundesregierung bzw. seitens des Bundesrats eingebrachten Gesetzesvorlage, wobei Gesetzesinitiativen des
Bundesrats (Art. 76 GG) eher selten sind; bedauerlich ist, wie in A.II.1.b)bb) (vgl. S. 10) ausgeführt ist, dass
auch die Vorlagen “aus der Mitte des Parlaments“ eher selten geworden sind. Es endet mit der Verkündung
eines Gesetzes (Art. 82 GG) bzw. mit einem Scheitern einer Vorlage, wie unmittelbar nachfolgend dargestellt
wird.
[1] Indessen wird die “Haupt- und Knochenarbeit“ zunächst bei der Erarbeitung einer Vorlage erbracht, weil
in dieser Zeit die (politischen,) “gesetzestechnischen“ sowie verfassungsrechtlichen Prüfungen und (ressortinternen und -übergreifenden) Abstimmungen erfolgen, bevor (meist nach “Außenanhörungen“) - entsprechend
den jeweiligen Geschäftsordnungen - die Vorlagen durch Fraktionen und/oder das Kabinett und schließlich
durch die jeweiligen Parlamentsausschüsse “abgesegnet“ werden.
Brunn - Kapitel C.II.2.
Seite 117
[2] Angesichts der Detailliertheit der Art. 76 ff GG ist es nicht verwunderlich, dass hierzu nur wenige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erforderlich waren. Lediglich die Fragen, die sich um die Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes (nachfolgend 3.) sowie (bejahendenfalls) um die Anrufung des Vermittlungsausschusses (Art. 77 GG) ranken, bedurften der Beantwortung. Deshalb enthalten die folgenden
Darstellungen nur die Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts, deren Kenntnis u.U. notwendig ist, um
abschätzen zu können, ob ein - insbesondere zwischen Bundestag und Bundesrat umstrittenes - Gesetz wirksam i.S.v. Art. 78 GG zustande gekommen, verkündet worden und in Kraft getreten ist (vgl. B.I.2. (vgl. S.
75) ) zu den Formen des Außerkrafttretens).
1. Gesetzesvorlagen (Art. 76 GG)
Das Verfassungsorgan, dem das Recht zur Gesetzesinitiative nach Art. 76 Abs. 1 GG zusteht, darf sich
verpflichten, von seinem Recht einen bestimmten Gebrauch zu machen, wenn es nur bezüglich des Inhalts
des Gesetzesvorschlages die Schranken der Verfassung beachtet und nicht den Versuch macht, auch andere
Staatsorgane zu binden (BVerfGE 1, 351 [366]).
Das Initiativrecht steht (nicht dem Bundestag als solchem, sondern) den Abgeordneten in einer zahlenmäßig bestimmten Gruppierung zu (BVerfGE 1, 144 [153]; dort [158] auch dazu, dass das Initiativrecht
der Abgeordneten nicht sachlich beschränkt werden darf, etwa durch einen Zwang, eine Gesetzesvorlage mit
einem Deckungsvorschlag zu verbinden).
Das Initiativrecht hat zum Inhalt, dass das Gesetzgebungsorgan sich mit dem Gesetzesvorschlag beschäftigt, d.h. darüber berät und beschließt (a.a.O. [153]). Einzelnen ist Gelegenheit zu geben, über eine
Initiative eine allgemeine Aussprache zu führen, weil vor einer Beschlussfassung des Parlaments über eine
Gesetzesinitiative notwendig die Möglichkeit vorgängiger Rede und Gegenrede steht. Freilich kann eine
Beteiligung anderer Abgeordneter an einer Debatte nicht erzwungen werden (BVerfGE 84, 304 [329]).
Behauptet der Bundesrat beim ersten Durchgang gem. Art. 76 Abs. 2 Satz 2 GG, dass ein von ihm von der
Bundesregierung zugeleiteter Gesetzentwurf seiner Zustimmung bedürfe, so kommt dieser Äußerung dem
Bundestag gegenüber keine rechtserhebliche Bedeutung zu (BVerfGE 3, 12 [17 f.]).
2. Anrufung des Vermittlungsausschusses (Art. 77 GG)
Systematisch erscheint es angezeigt, die Fragen der Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen und deren
denkbaren Folgen in Art. 78 GG zu behandeln (nachfolgend 3.); deshalb an dieser Stelle nur einige Aussagen
zum Vermittlungsausschuss (ausführlich zu dessen Zusammensetzung BVerfGE 140, 115 [153] “Grundsatz
der Spiegelbildlichkeit“).
a) Die Stellung des Vermittlungsausschusses im Gesetzgebungsverfahren
Der Vermittlungsausschuss ist die institutionelle Konsequenz der Grundentscheidung des Verfassungsgebers,
an der Gesetzgebung im Bund mit dem Bundestag und dem Bundesrat zwei Entscheidungsträger konstitutiv
zu beteiligen. Er eröffnet das Gesetzgebungsverfahren in einer bestimmten Konstellation für institutionelle
Verhandlungslösungen. Der Vermittlungsausschuss hat im Gesetzgebungsverfahren eine herausgehobene und
in gewissem Umfang verselbständigte Stellung (BVerfGE 112, 118 [138]).
aa) Zweck und Ziel des Vermittlungsverfahrens
Zweck und Ziel des Vermittlungsverfahrens ist das Erzielen eines politischen Kompromisses zwischen den
beiden Gesetzgebungskörperschaften, nicht die nochmalige freie Beratung des Gesetzgebungsvorschlages, zu
dem diese unterschiedliche Positionen eingenommen haben. Dieses Ziel soll dadurch erreicht werden, dass
auf höherer politischer Ebene und unter übergeordneten Gesichtspunkten ein Interessenausgleich gesucht
wird.
(1) Begrenzte Befugnis zur Erarbeitung (insbesondere) von Kompromissen
Das Vermittlungsverfahren dient folglich nicht der öffentlichen parlamentarischen Verhandlung und Beschlussfassung i.S.v. Art. 42 Abs. 1 und Abs. 2 GG, auf die sich die aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG abzuleitende
Brunn - Kapitel C.II.2.
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gleiche Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten des Deutschen Bundestags in erster Linie bezieht. Vielmehr
eröffnet das Grundgesetz um der Effizienz der Gesetzgebung willen die Möglichkeit, die Beratung von Vorlagen einem Ausschuss zu übertragen, der nach seiner Zusammensetzung und seinem Verfahren in besonderem
Maße geeignet ist, einen Kompromiss zu erarbeiten.
(2) Weiter Spielraum autonomer Verfahrensgestaltung
Um diese ihm zugewiesene Aufgabe erfüllen zu können, ist diesem Ausschuss - innerhalb des von Bundestag
und Bundesrat gemeinsam gesetzten Rahmens seiner Geschäftsordnung - ein weiter Spielraum autonomer
Verfahrensgestaltung eingeräumt. Damit verbunden ist die Befugnis, sich formeller und informeller Gremien
zur Vorbereitung der Beschlussfassung zu bedienen, die im Hinblick auf das jeweils anstehende Thema nach
anderen Kriterien als demjenigen der Spiegelbildlichkeit zusammengesetzt sind.
(3) Fehlendes Gesetzesinitiativrecht
Der Vermittlungsausschuss ist kein Entscheidungsorgan , er verfügt aber über eine den Kompromiss vorbereitende, ihn aushandelnde und damit faktisch gestaltende Kompetenz, die jeder Vermittlungstätigkeit
innewohnt. Er hat kein Gesetzesinitiativrecht und verantwortet seine Beratungen und Empfehlungen nicht
vor einer parlamentarischen Öffentlichkeit, sondern tagt im Interesse seiner Effizienz nichtöffentlich und
vertraulich (BVerfGE 140, 115 [156]).
bb) Fragwürdigkeit der Nichtöffentlichkeit
Bedauerlich ist gleichwohl, dass der Vermittlungsausschuss im Interesse der Effizienz seiner Arbeit unter
Ausschluss der Öffentlichkeit tagt und seine Empfehlungen nicht unmittelbar vor der Öffentlichkeit verantworten muss; seine Protokolle werden nach interner Übung erst in der dritten Wahlperiode nach der
betreffenden Sitzung zugänglich gemacht (BVerfGE 125, 104 [124]).
Erfahrungsgemäß stehen Rechtsanwender nämlich oft “vor verschlossenen Türen“, wenn es darum geht, Sinn
und Zweck einer erst im Vermittlungsausschuss ohne weitere Begründung eingearbeiteten Gesetzesänderung
zu ermitteln.
b) Zusammensetzung des Vermittlungsausschusses und Kompetenzen
Im vorliegenden Zusammenhang muss es zunächst sein Bewenden haben mit einem Hinweis auf die grundlegende Entscheidung BVerfGE 112, 118 (138 ff.; vgl. auch BVerfGE 101, 297 [306 ff.] sowie BVerfGE 125,
104 [122 ff.] und neuerdings BVerfGE 140, 115 zum Grundsatz der Spiegelbildlichkeit und zur Besetzung von
Arbeitsgruppen).
(1) Beschränkung der Gestaltungsmacht durch die verfassungsrechtliche Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens
Wichtig ist für den “eigentlichen“ Gesetzgeber vor allem, dass der Vermittlungsausschuss zwar keine Entscheidungskompetenz hat, wohl aber eine den Kompromiss vorbereitende , ihn aushandelnde und faktisch
gestaltende Kompetenz. Diese faktische Gestaltungsmacht ist durch die verfassungsrechtliche Ausgestaltung
des Gesetzgebungsverfahrens beschränkt. Insbesondere hat der Vermittlungsausschuss kein eigenes Gesetzesinitiativrecht , sondern wird nur tätig, sofern er nach Zustimmung des Bundestages zu einem Gesetzentwurf
von einem der in Art. 76 Abs. 1 GG genannten Initiativberechtigten angerufen wird (BVerfGE 120, 56 [73
f.]; vgl. auch BVerfGE 125, 104 [122]).
(2) Erfordernis der - vorgängigen - vollständigen Befassung des Parlaments mit Anträgen und Stellungnahmen vor dem Gesetzesbeschluss
Entscheidend ist, dass die das Anrufungsbegehren bestimmenden, in das Gesetzgebungsverfahren eingeführten Anträge und Stellungnahmen vor dem Gesetzesbeschluss bekanntgegeben worden waren und die
Abgeordneten in Wahrnehmung ihrer ihnen aufgrund ihres freien Mandats obliegenden Verantwortung die
Möglichkeit hatten, diese zu erörtern, Meinungen zu vertreten, Regelungsalternativen vorzustellen und hierfür eine Mehrheit im Parlament zu suchen (BVerfGE 120, 56 [75 f.]; vgl. auch BVerfGE 125, 104 [123]).
Brunn - Kapitel C.II.3.
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c) Folgen von Mängeln im Vermittlungsausschuss-Verfahren
Beansprucht der Vermittlungsausschuss der Sache nach ein Gesetzesinitiativrecht, welches - wie vorstehend
ausgeführt - ausschließlich dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung zusteht, so verstößt
ein so zustande gekommenes Gesetz wegen der unterbundenen Möglichkeit der parlamentarischen Beratung
gegen die Verfassung (BVerfGE 120, 56 [78]; vgl. auch BVerfGE 125, 104 [132] “Evidenz des Mangels“).
3. Zustandekommen eines Gesetzes durch Zustimmung sowie
Zustimmungsbedürftigkeit (Art. 78 GG)
Soweit gemäß Art. 78 GG ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz u.a. zustande kommt, wenn der Bundesrat
(einer aufgrund einer Norm des Verfassungsrechts - vgl. beispielsweise die Fülle der zustimmungsbedürftigen
Gesetze in den Art. 104 ff. GG - zustimmungsbedürftiger Vorlage) zustimmt (die sonstigen Bestimmungen
haben in der Praxis des Verfassungsgerichts keine besondere Rolle gespielt), gilt das Gebot, den Willen der
beteiligten Verfassungsorgane zurechenbar festzustellen , was also gilt für den förmlichen Gesetzesbeschluss
des Bundestages ebenso wie für die Zustimmung des Bundesrates (BVerfGE 106, 310 [332]).
Nur ganz ausnahmsweise ist die Berichtigung eines Gesetzesbeschlusses zulässig, wenn nämlich eine offensichtliche Unrichtigkeit vorliegt (BVerfGE 105, 313 [334 f.]).
a) Art und Weise der Zustimmung bzw. deren Versagung
Das Grundgesetz schreibt für die Beschlussfassung über die Zustimmung zu Gesetzen eine bestimmte Form
oder eine bestimmte Formulierung der gefassten Beschlüsse nicht vor (BVerfGE 28, 66 [79 f.]). Gleichwohl
muss der Bundesrat, falls er einem Gesetz zustimmen will, grundsätzlich seine Zustimmung ausdrücklich
beschließen, und grundsätzlich kann ein Beschluss, von der Anrufung des Vermittlungsausschusses abzusehen,
nicht als Zustimmung des Bundesrates zu einem Gesetz gewertet werden (BVerfGE 8, 274 [296 f.]; vgl. aber
auch BVerfGE 9, 305 [315 f.] für “tatsächliche Zustimmung“).
Was auf der anderen Seite die Entschließung des Bundesrates anbelangt, dem Gesetz die Zustimmung zu
verweigern, so ist diese “unverrückbar“ (BVerfGE 55, 274 [327 f.] dazu, dass eine Umdeutung ebenso wenig
möglich ist wie eine Rückgängigmachung der Versagung der Zustimmung). Freilich hat der Bundesrat das
Recht, neben der Verweigerung der Zustimmung zu einem nach seiner Meinung zustimmungsbedürftigen
Gesetz gleichzeitig für den Fall, dass das Gesetz nicht zustimmungsbedürftig sein sollte, dagegen vorsorglich
Einspruch einzulegen (BVerfGE 37, 363 [396]).
b) Zustimmungsbedürftigkeit als von der Verfassung ausdrücklich zu regelnde
Ausnahme
Weil das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrats zu einem Gesetz nach dem Grundgesetz - zumindest
in seiner Urfassung - die Ausnahme ist (BVerfGE 37, 363 [380 f.]; vgl. auch BVerfGE 126, 77 [106]), gilt der
Grundsatz, dass eine Zustimmung des Bundesrates nur dort erforderlich ist, wo das Grundgesetz sie - wie
gerade erwähnt - ausdrücklich vorsieht ( Enumerationsprinzip ; grundlegend: BVerfGE 1, 76 [79]; vgl. auch
BVerfGE 108, 370 [397]).
aa) Aufhebungen und Änderungen zustimmungsbedürftiger Gesetze
Wie auch anderenorts dargelegt (nachfolgend C.VIII.4. (vgl. S. 177) ), erstreckt sich jedoch das Zustimmungserfordernis für beispielsweise eine Verfahrensregelung nicht auf die Aufhebung der Verfahrensregelung
(BVerfGE 126, 77 [110 f.]).
Schwierig wird es, wenn ein mit Zustimmung des Bundesrates ergangenes Gesetz durch ein Gesetz geändert
wird; entscheidend ist dann regelmäßig, ob das Änderungsgesetz neue Vorschriften enthält, die ihrerseits die
Zustimmungsbedürftigkeit auslösen (grundlegend BVerfGE 37, 363 [382 f.]; vgl. auch BVerfGE 114, 196 [231]
sowie BVerfGE 48, 127 [177 ff.], allerdings für Art. 87 b Abs. 2 Satz 1 GG).
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Seite 120
bb) Einzelfälle
Im Einzelnen ist vor allem darüber gestritten worden, wann eine Regelung über die Einrichtung von Behörden vorliegt (BVerfGE 126, 77 [98 ff.]), wann bestimmte Aufgaben auf die Länder übertragen werden (a.a.O.
[103 ff.]) und unter welchen Voraussetzungen es möglich ist, eine Gesetzesmaterie in ein nicht zustimmungsbedürftiges und in ein zustimmungsbedürftiges Gesetz aufzuteilen (BVerfGE 105, 313 [338 ff.]; vgl. auch
BVerfGE 114, 196 [230] sowie BVerfGE 128, 1 [35]).
c) Umfang der Zustimmung
Liegt Zustimmungsbedürftigkeit objektiv vor, so bezieht sich die Zustimmung des Bundesrates zu einem
Bundesgesetz auf alle Normen des Gesetzes, nicht nur auf die, die seine Zustimmungsbedürftigkeit ausgelöst
haben.
Weil der Bundesrat durch seine Zustimmung die Verantwortung für das Gesetz als Ganzes übernimmt (BVerfGE 24, 184 [197 f.]), soll er auch einem Gesetz, das sowohl materielle Normen als auch beispielsweise Vorschriften über das Verfahren der Landesverwaltung enthält, deshalb die Zustimmung versagen dürfen, weil er
nur mit der materiellen Regelung nicht einverstanden ist (BVerfGE 37, 363 [381]; vgl. indessen auch BVerfGE
105, 313 [339]).
4. Verkündung und Inkraftsetzen von Gesetzen im Sinne von Art. 82 GG
Besondere Sorgfalt ist - wozu zu Recht das Handbuch der Rechtsförmlichkeit (3. Aufl., S. 131 ff.) rät - angezeigt, wenn es darum geht, den Verkündungs- und den Inkrafttretenszeitpunkt aufeinander abzustimmen:
a) Verkündung
Die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Verkündung ist nicht bloß eine Zutat, sondern ein integrierender
Bestandteil des Rechtssetzungsaktes selbst (BVerfGE 7, 330 [337]).
aa) Prinzip der formellen Gesetzesverkündung
Nach dem Prinzip der formellen Gesetzesverkündung, das den ursprünglichen Grundsatz der materiellen Gesetzesverkündung abgelöst hat, ist für das Inkrafttreten eines Gesetzes nicht erforderlich, dass es tatsächlich
allgemein bekannt geworden ist; es genügt, dass es in einer Weise der Öffentlichkeit zugänglich ist, die es
dem Bürger gestattet, sich Kenntnis vom Inhalt des Gesetzes zu verschaffen (BVerfGE 16, 6 [16 f.]).
bb) “Ausgabe“ des Gesetzblatts als maßgeblicher Zeitpunkt
Der Zeitpunkt, in dem die Äußerung des Verkündungswillens unwiderruflich wird, ist der Zeitpunkt des
“Ausgebens“ des Gesetzesblattes. Es ist der Zeitpunkt, in dem in Übereinstimmung mit dem Willen und der
Weisung des für die Verkündung zuständigen Verfassungsorgans das erste Stück der Nummer des Gesetzblattes “in Verkehr gebracht“ wird; in diesem Augenblick ist das Gesetz durch das zuständige Verfassungsorgan
verkündet (BVerfGE 16, 6 [18 ff.]).
Wird die Unrichtigkeit der Angabe im Kopf einer Nummer des Gesetzblattes über den Tag ihrer Ausgabe
geltend gemacht, so muss die Unrichtigkeit nachgewiesen werden; bloße Zweifel oder Bedenken gegen die
Richtigkeit der Angabe im Gesetzblatt genügen nicht (BVerfGE 81, 70 [83 f.]).
b) Inkrafttreten
Ist mit der Verkündung das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen, so ist hiervon zu unterscheiden das in
Art. 82 Abs. 2 GG geregelte Inkrafttreten des Gesetzes, das den Inhalt des Gesetzes betrifft und daher
materielle Bedeutung hat (BVerfGE 42, 263 [283]). Die Bestimmung des Inkrafttretens eines Gesetzes kann
grundsätzlich nur durch den Gesetzgeber selbst erfolgen (a.a.O. [283 f.]).
Brunn - Kapitel C.III.0.
Seite 121
aa) Erfordernis der Klarheit über den Zeitpunkt der Normverbindlichkeit
Durch Art. 82 Abs. 2 Satz 1 GG soll sichergestellt werden, dass über den Zeitpunkt der Normverbindlichkeit
Klarheit herrscht; alle Normadressaten müssen den Beginn ihres jeweiligen Berechtigt- und Verpflichtetseins
in ausreichender Weise erkennen können. Die Bestimmung dient somit den rechtsstaatlichen Geboten der
Rechtssicherheit und Rechtsklarheit (allgemein D.V.3.a) (vgl. S. 258) ) über die zeitliche Geltung des Gesetzes
(a.a.O. [285]); damit freilich ist nicht schlechthin unvereinbar, wenn der Gesetzgeber das Inkrafttreten von
einer Bedingung abhängig macht, ohne ausdrücklich ein Datum zu bestimmen (a.a.O. [283 f.]).
bb) Gesetzgeber und Wahl des Zeitpunkts
Die Bestimmung des Zeitpunkts für das Inkrafttreten eines Gesetzes bedarf im Regelfall keiner Rechtfertigung. Allerdings gilt auch für die Anordnung des Inkrafttretens eines Gesetzes der allgemeine Gleichheitssatz
(Art. 3 Abs. 1 GG). Darüber hinaus können besondere Lagen die Freiheit des Gesetzgebers bei der Wahl des
Zeitpunkts für das Inkrafttreten eines Gesetzes begrenzen (BVerfGE 47, 85 [93 f.]; die Wahl des Zeitpunkts
muss “am gegebenen Sachverhalt orientiert, d.h. sachlich vertretbar sein“; vgl. auch BVerfGE 21, 173 [184]
für Gewährung einer Übergangszeit).
c) Der Bundespräsident und die Ausfertigung von Gesetzen (formelles/materielles
Prüfungsrecht)
Weil sie vom Gesetzgeber nicht (bzw. kaum, nämlich allenfalls in Form einer überzeugenden Gesetzesbegründung) beeinflusst werden kann, braucht hier der - soweit ersichtlich - nach wie vor letztlich nicht
verbindlich geklärten (vgl. BVerfGE 1, 396 [413]; BVerfGE 2, 143 [169] sowie BVerfGE 34, 9 [22 f.]) Frage
nicht näher nachgegangen werden, welche(n) Umfang und Grenzen Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE
131, 47 [53] “...Kompetenz zur Prüfung ...“) bezüglich des Bundespräsidenten (vgl. allgemein BVerfGE 136,
277 [310 f.]) hat; im Ergebnis wird man dem im Schrifttum herrschenden und in ständiger Staatspraxis ohne
ersichtliche Ausnahmen praktizierten Auffassung folgen müssen, wonach - neben einem “formellen“ - auch
ein “materielles“ Prüfungsrecht jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn es um evidente Verstöße gegen die
Verfassung bzw. Rechtsprechung des Verfassungsgerichts geht.
d) Neubekanntmachung
Die verkündete Fassung eines Gesetzes bleibt auch dann maßgeblich, wenn einem Bundesminister eine Ermächtigung erteilt wird, ein Gesetz neu bekannt zu machen. Eine solche lediglich deklaratorische Klarstellung des Gesetzestextes lässt den rechtlich erheblichen Inhalt des Gesetzes unberührt (BVerfGE 18, 389
[391]).
III. (Materienübergreifende) Kompetenzen zur Übertragung von
Normsetzungsbefugnissen und Hoheitsrechten
1.
Die Übertragung der Befugnis zur Normsetzung auf den Verordnungsgeber (Art. 80 GG)
a) Rechtsverordnung und Gesetzesvorbehalt (“Wesentlichkeitsdoktrin“) . . . . . .
b)
123
124
aa) Zwecke des Art. 80 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
124
(1) Gebot für das Parlament, sich nicht seiner Verantwortung zu entäußern . . .
124
(2) Pflicht, Umfang und Grenzen der Befugnisse zu “bedenken“
. . . . . . . . .
124
bb) Gesetzgeber und “Eingriffe“ in Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . .
124
cc) “Selbstbindung“ des verordnungsändernden Gesetzgebers? . . . . . . . . . . . .
Die wichtigsten Verpflichtungen und Bindungen des Gesetzgebers sowie des Verordnungsgebers aus Art. 80 GG (insbesondere: Zusammenhänge zwischen den jeweiligen Normtypen und “Ablösungen“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
124
aa) Abschließender Charakter von Artikel 80 Abs. 1 Satz 1 GG
125
. . . . . . . . . . .
125
(1) Adressatenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
125
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Seite 122
(2) Auswahl des Ermächtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
bb) Die Erfordernisse des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG (insbesondere Bestimmtheit)
.
125
(1) Bindungen und Spielräume der Verordnungsgeber . . . . . . . . . . . . . . .
126
(1a)
“Überschreitung“ des gesetzlichen Rahmens . . . . . . . . . . . . .
126
(1b)
“Unterschreitung“ des gesetzlichen Rahmens . . . . . . . . . . . .
126
(2) Bestimmtheit und Auslegung der Ermächtigungsnorm
. . . . . . . . . . . .
126
(2a)
Interpretation nach allgemeinen Auslegungsregeln . . . . . . . . .
126
(2b)
Parlamentsvorbehalt und “wesentliche Entscheidungen“ . . . . . .
126
(2c)
Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127
(3) “Ungewisse“ und vielschichtige Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127
cc) (Strengere) Anforderungen des Gesetzesvorbehalts und der Bestimmtheit bei einzelnen Materien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) Strafrecht
127
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128
(3) Beamtenrecht
(4) Berufsbeschränkungen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128
(4a)
Berufswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128
(4b)
Berufsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128
(5) Eigentumsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128
dd) Zitiergebot (Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128
(1) Verordnungsgeber und Pflicht zur Angabe aller einschlägigen Grundlagen
128
.
(2) Keine Pflicht zur Angabe der Grundlagen für jede gesonderte Verordnungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anhang: Verfassungsgerichtlicher sowie einfach-rechtlicher Rechtsschutz gegen Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128
129
aa) Verfassungsgerichtliche Überprüfung von Rechtsverordnungen . . . . . . . . . .
129
(1) Unvereinbarkeit mit der Verfassung und/oder Bundesrecht . . . . . . . . . .
129
(2) Die Überprüfung auf die Einhaltung des Art. 80 Abs. 1 GG
. . . . . . . . .
129
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129
bb) Rechtsschutz wegen Missachtung des Zitiergebots . . . . . . . . . . . . . . . . .
130
(3) “Klarstellungsinteresse“
2.
3.
127
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(2) Steuerrecht
c)
125
cc) Rechtsschutz wegen Missachtung des Gleichheitssatzes . . . . . . . . . . . . . .
Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen (in Satzungsautonomie) . . . . . . . . .
Die Befugnis zur Übertragung von Hoheitsrechten (Art. 24 GG im Allgemeinen und Art. 23
GG im Speziellen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gesetzgeber und Übertragungen von Hoheitsrechten (Art. 24 GG) . . . . . . .
aa) Zwischenstaatliche Einrichtungen i.S.v. Art. 24 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . .
(1) Gesetzesvorbehalt in Art. 24 Abs. 1 GG
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(2) Gesetzeserfordernis bei weiterem Integrationsprozess
130
130
130
130
131
131
. . . . . . . . . . . . .
131
bb) Einordnung in ein System kollektiver Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG) . . . . . .
131
(1) Beginn der Mitgliedschaft (Zustimmungsgesetz gem. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG)
und regelmäßige Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131
(1a)
Übernahme von Aufgaben als typische Folgen
. . . . . . . . . . .
131
(1b)
“Fortentwicklungen“ (ohne förmliche Vertragsänderungen) . . . .
132
Brunn - Kapitel C.III.1.
Seite 123
(2) Verfassungsrechtliche Folgenbegrenzungen nach dem Beitritt . . . . . . . . .
b)
132
(3) Aufteilung der Staatsgewalten im Hinblick auf Systeme gegenseitiger kollektiver
Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
Gesetzgeber und Mitwirkung bei der Entwicklung der Europäischen Union (Art. 23 GG) 132
aa) Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
bb) Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG (Anwendungsvorrang)
. . . . . . . . . . . . . . . . .
132
132
(1) Folgen des Anwendungsvorrangs (insbesondere Ausübung öffentlicher Gewalt
in Deutschland durch Unionsorgane und -stellen) . . . . . . . . . . . . . . . .
132
(2) Grenzen des Anwendungsvorrangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133
cc) Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG (Verfassungsidentität)
. . . . . . . . . . . . . . . . .
133
(1) Identitätskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht (insbesondere Prüfung,
ob Unionsorgane bzw. -stellen “ultra vires“ handeln) . . . . . . . . . . . . . .
133
(2) Anrufungsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts sowie dessen “Prüfprogramm“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133
dd) Insbesondere: Die Auslegung des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG im Lichte der Wahrung
der Integrationsverantwortung (aller Verfassungsorgane) . . . . . . . . . . . . . .
134
(1) Verfassungsrechtliche Pflichten des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
134
(1a)
Verbot der Aufgabe der (völkerrechtlichen) Souveränität
134
(1b)
Verbot der “irreversiblen rechtlichen Präjudizierung künftiger Generationen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
134
(2) Pflichten des Gesetzgebers bei “Grenzfällen des noch verfassungsrechtlich Zulässigen“ bzw. bei der Gefahr der “Bemächtigung“ der “Kompetenz-Kompetenz“
durch die EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
134
(3) Gebote und Verbote bei “Kompetenzanmaßungen“ (“ultra-vires“) . . . . . .
134
(3a)
Mitwirkungsverbot an kompetenzüberschreitenden Handlungen . .
134
(3b)
Pflicht zur aktiven Hinwirkung auf die Einhaltung des Integrationsprogramms (bei “Usurpationen“ von Hoheitsrechten) . . . . . . .
135
Nachträgliche Legitimierungen von Kompetenzanmaßungen . . . .
135
(3c)
ee) Der Haushaltsgesetzgeber und verfassungsrechtliche Bindungen (Erhalt der Budgetverantwortung des Parlaments) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135
(1) Verbot der Zustimmung zu “Automatismen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135
(2) Gesetzgeber und Währungsunion
135
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
ff) Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts, seine Grenzen und seine Beachtung
durch die Behörden und Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135
Bereits das Ur-Grundgesetz des Jahres 1949 enthält in Art. 24 GG Gesetzgebungskompetenzen zur Übertragung von Hoheitsrechten und in Art. 80 GG die Kompetenz zur Übertragung von Normsetzungskompetenzen
(auf den Verordnungsgeber).
Wie eingangs des Kapitels C. dargelegt, wird man die in der Folge angesprochenen Befugnisse des Bundesgesetzesgebers aus Art. 80 GG sowie Art. 23 GG und Art. 24 GG als solche charakterisieren dürfen, welche
zwischen einer (bloß) formellen und einer materiellen Kompetenz angesiedelt sind.
1. Die Übertragung der Befugnis zur Normsetzung auf den Verordnungsgeber (Art.
80 GG)
[1] Wenngleich die in den Artikeln 70-75 GG enthaltenen Kompetenzvorschriften die Befugnis zum Erlass von
förmlichen Gesetzen betreffen (BVerfGE 55, 7 [21]), schließt die Gesetzgebungskompetenz grundsätzlich
Brunn - Kapitel C.III.1.
Seite 124
- in den Grenzen des Art. 80 Abs. 1 GG - die partielle Übertragung der Normsetzungsbefugnis auf den
Verordnungsgeber ein (BVerfGE 106, 1 [19]).
Weil es grundsätzlich der Entscheidung des Gesetzgebers zu überlassen ist, welche normative Regelungsdichte
er auf einem Rechtsgebiet für erforderlich hält, kann er dabei auch den Verordnungsgeber zum Erlass von
Normen verpflichten (BVerfGE 79, 174 [193 f.]).
[2] Für landesgesetzliche Verordnungsermächtigungen ist zwar Art. 80 Abs. 1 GG nicht unmittelbar anwendbar. Die in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG festgelegten, aus dem rechtsstaatlichen und demokratischen
Verfassungssystem des Grundgesetzes folgenden Grundsätze sind aber auch für die Landesgesetzgebung
verbindlich (BVerfGE 139, 19 [48] für Landesbeamtenrecht; dort [45 ff.] sehr ausführlich zu den aus dem
Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot folgenden Pflichten des Gesetzgebers, die für die Verwirklichung
der Grundrechte wesentlichen Regelungen selbst zu treffen, und den daraus - im Einzelnen im Folgenden
behandelten - resultierenden Anforderungen an Verordnungsermächtigungen).
a) Rechtsverordnung und Gesetzesvorbehalt (“Wesentlichkeitsdoktrin“)
Grundsätzlich können zwar auch Gesetze, die zu Rechtsverordnungen und Satzungen ermächtigen, den Voraussetzungen des Gesetzesvorbehalts genügen, die wesentlichen Entscheidungen müssen aber durch den
parlamentarischen Gesetzgeber selbst erfolgen. Die Wesentlichkeitsdoktrin beantwortet daher nicht nur die
Frage, ob überhaupt ein bestimmter Gegenstand gesetzlich zu regeln ist. Sie ist vielmehr auch dafür maßgeblich, wie genau diese Regelungen im Einzelnen sein müssen. Das Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit
der Ermächtigungsgrundlage bei Delegation einer Entscheidung auf den Verordnungsgeber stellt insoweit
eine notwendige Ergänzung und Konkretisierung des Gesetzesvorbehalts und des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dar (BVerfGE 139, 19 [47]; dort auch im Einzelnen zur nachfolgend behandelten
Bestimmtheit der Ermächtigung).
aa) Zwecke des Art. 80 Abs. 1 GG
Nach dem Vorstehenden begibt sich der parlamentarische Gesetzgeber durch eine Verordnungsermächtigung
gerade nicht seiner Regelungskompetenz; er bleibt weiter regelungsbefugt und behält sein Zugriffsrecht auf
die von der Verordnungsermächtigung umfasste Materie (BVerfGE 114, 196 [232]).
(1) Gebot für das Parlament, sich nicht seiner Verantwortung zu entäußern
Mit anderen Worten ist es Sinn der Regelung des Art. 80 Abs. 1 GG, das Parlament daran zu hindern, sich
seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft zu entäußern (“Parlamentsvorbehalt“; BVerfGE 136,
69 [114] vor allem für den grundrechtsrelevanten Bereich).
(2) Pflicht, Umfang und Grenzen der Befugnisse zu “bedenken“
Es soll nicht einen Teil seiner Gesetzgebungsmacht der Exekutive übertragen können, ohne die Grenzen
dieser Befugnis bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, dass schon aus
der Ermächtigung erkennbar und vorhersehbar ist, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll (BVerfGE
78, 249 [272] ; grundlegend: BVerfGE 58, 257 [277]).
bb) Gesetzgeber und “Eingriffe“ in Rechtsverordnungen
Gleichwohl ist ein entstandenes Normgebilde aus Gründen der Normenklarheit insgesamt als Rechtsverordnung zu qualifizieren, wenn das Parlament eine bestehende Rechtsverordnung ändert oder in diese neue
Regelungen einführt (BVerfGE 114, 196 [235 ff., 238 ]), auch wenn der parlamentarische Gesetzgeber bei
diesem Verfahren an das Verfahren nach den Artikeln 76 ff. GG gebunden ist (BVerfGE 114, 196 [238 f.]).
cc) “Selbstbindung“ des verordnungsändernden Gesetzgebers?
Dass der parlamentarische Gesetzgeber bei der Änderung einer Verordnung auch an die Grenzen der Ermächtigungsgrundlage gebunden ist (BVerfGE 114, 196 [239]), lässt sich mit guten Gründen bezweifeln (BVerfGE
114, 196 [250, 256 f.] abweichende Meinung).
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Seite 125
b) Die wichtigsten Verpflichtungen und Bindungen des Gesetzgebers sowie des
Verordnungsgebers aus Art. 80 GG (insbesondere: Zusammenhänge zwischen den
jeweiligen Normtypen und “Ablösungen“)
Bei der Schaffung einer Ermächtigungsgrundlage für eine Verordnung braucht der Gesetzgeber nicht im
Einzelnen zu bedenken, wie lange die Ermächtigungsgrundlage gültig sein wird; sowohl das nachträgliche
Erlöschen als auch die nachträgliche Änderung einer Ermächtigung ist ohne Einfluss auf den Rechtsbestand der ordnungsgemäß erlassenen Rechtsverordnung (BVerfGE 14, 245 [249]).
[1] Indessen wäre es unzulässig, wenn der Gesetzgeber eine Rechtsverordnung, die ohne gesetzliche Ermächtigung erlassen worden ist, mit rückwirkender Kraft nachträglich genehmigte (BVerfGE 22, 330 [346]). Dies
schließt aber nicht aus, gesetzliche Ermächtigungen zum Erlass rückwirkender Verordnungen zu erteilen; eine
solche Ermächtigung braucht nicht ausdrücklich erteilt zu werden, sondern sie kann sich auch aus dem Sinn
und Zweck des Gesetzes ergeben (BVerfGE 45, 142 [163 f.]).
[2] Knüpft eine gesetzliche Ermächtigung die Gültigkeit einer Rechtsverordnung an eine weitere Voraussetzung, wie beispielsweise die vorherige Anhörung von Sachverständigen, so folgt aus der Nichtbefolgung der
Verpflichtung regelmäßig die Nichtigkeit der Verordnung (BVerfGE 10, 221 [227]).
Zumindest gilt das dann, wenn der Verstoß (gegen Anhörungs- und Beteiligungspflichten, die der Gesetzgeber
vorgesehen hat) zugleich einen Verfassungsverstoß darstellt, weil dies das Gewicht des Verfahrensverstoßes
“erhöht“ und dagegen spricht, dass er ohne Folgen für die Gültigkeit der Norm bleibt (BVerfGE 127, 293
[332 f.]).
aa) Abschließender Charakter von Artikel 80 Abs. 1 Satz 1 GG
Zu einer anderen Regelungsform als einer Rechtsverordnung kann vermittels Art. 80 GG nicht ermächtigt
werden (BVerfGE 12, 319 [325]; vgl. auch BVerfGE 73, 388 [400]).
(1) Adressatenkreis
Auch der Adressatenkreis einer zulässigen Rechtsverordnung ist in Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG abschließend
bestimmt. Weder kann durch Bundesgesetz i.S.d. Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG der Leiter einer Bundesoberbehörde (BVerfGE 8, 155 [163]) noch ein Landesminister zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigt
werden (BVerfGE 11, 77 [86]).
Die Folge einer gültigen Ermächtigung an eine Landesregierung kann nur die Setzung von Landesrecht, nicht
von Bundesrecht sein (BVerfGE 18, 407 [414, 418 f.]).
(2) Auswahl des Ermächtigten
Innerhalb des von Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG abgesteckten Adressatenkreises steht es dem Bundesgesetzgeber
in Wahrnehmung seiner Kompetenzen frei, wen er zum Verordnungsgeber berufen will (BVerfGE 56, 298
[311]; zu den Anforderungen an eine gültige Verordnung einer Bundesregierung als Kollegium: BVerfGE 91,
148 [165, 166, 169 ff.]).
bb) Die Erfordernisse des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG (insbesondere Bestimmtheit)
Jede Ermächtigungsnorm ist an den rechtsstaatlichen Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG zu
messen, wonach Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden müssen. Art. 80
Abs. 1 Satz 2 GG führt als eine Ausprägung des “allgemeinen Gesetzesvorbehalts“ den staatlichen Eingriff
durch die Exekutive nachvollziehbar auf eine parlamentarische Willensäußerung zurück.
[1] Die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm muss der Grundrechtsrelevanz der Regelung entsprechen,
zu der ermächtigt wird: Je erheblicher diese in die Rechtsstellung des Betroffenen eingreift, desto höhere
Anforderungen müssen an den Bestimmtheitsgrad der Ermächtigung gestellt werden. Eine Ermächtigung
darf daher nicht so unbestimmt sein, dass nicht mehr vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit
welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung
erlassenen Verordnungen haben können. Schon aus der Ermächtigung muss daher erkennbar und vorhersehbar
sein, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll (BVerfGE 139, 19 [47]).
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[2] Zwar stellen Art. 80 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG unmittelbar Anforderungen nur an das ermächtigende
Gesetz. Aus dem Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes (nachfolgend D.V.3.b) (vgl. S. 261) ) folgt jedoch auch,
dass eine Rechtsverordnung sich in den Grenzen der gesetzlichen Ermächtigung halten muss (BVerfGE 136,
69 [92]; dort [102 ff.] auch zu Art. 80 Abs. 2 GG und dessen Zweck: Zustimmungsrechte des Bundesrates
sollen nicht durch Delegation der Rechtsetzung auf die Exekutive erlöschen).
(1) Bindungen und Spielräume der Verordnungsgeber
Im Grundsatz können sowohl “Kann-Ermächtigungen“ als auch “Muss-Ermächtigungen“ geschaffen werden;
“Kann-Ermächtigungen“ sind regelmäßig unbedenklich, wenn die Anwendbarkeit des Gesetzes nicht davon
abhängt, ob von ihnen Gebrauch gemacht wird oder nicht (BVerfGE 78, 249 [272]); ist ohne eine vorgesehene Durchführungsverordnung die gesetzliche Regelung nicht praktikabel, so ist der Ermächtigungsadressat
freilich verpflichtet, von der Ermächtigung Gebrauch zu machen (BVerfGE 13, 248 [254]).
(1a) “Überschreitung“ des gesetzlichen Rahmens
Macht ein Verordnungsgeber von einer Ermächtigung Gebrauch, so darf er - erstens - keine Differenzierungen
vornehmen, wenn sie über die Grenzen einer formell und materiell verfassungsmäßigen Ermächtigung hinaus
eine Korrektur der Entscheidungen des Gesetzgebers bedeuten würden (BVerfGE 16, 332 [338 f.]); niemals
darf in einer Rechtsverordnung originärer politischer Gestaltungswille der Exekutive zum Ausdruck kommen
(BVerfGE 78, 249 [273]).
Und - zweitens - muss er beachten, dass für jede seiner Vorschriften eine gesetzliche Grundlage vorhanden
sein muss (BVerfGE 136, 69 [93]).
(1b) “Unterschreitung“ des gesetzlichen Rahmens
Sieht das Gesetz für den Erlass einer Norm ein Anhörungserfordernis vor, so zielt es darauf, dass das Ergebnis
der Anhörung als informatorische Grundlage in die Abwägungsentscheidung des Normgebers einfließt.
Dem Anhörungserfordernis wird daher nicht ordnungsgemäß entsprochen, wenn die Anhörung nur pro
forma durchgeführt wird, ohne dass noch die Möglichkeit oder Bereitschaft bestünde, das Ergebnis in der
Abwägungsentscheidung des Normgebers zu berücksichtigen (BVerfGE 127, 293 [321]).
(2) Bestimmtheit und Auslegung der Ermächtigungsnorm
Soweit nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung “im Gesetz“ bestimmt
werden müssen, besagt dies nicht, dass sie im Text des Gesetzes ausdrücklich zu bestimmen sind.
(2a) Interpretation nach allgemeinen Auslegungsregeln
Für die Interpretation von Ermächtigungsnormen gelten vielmehr die allgemeinen Auslegungsgrundsätze;
mithin können auch hier der Sinnzusammenhang der Norm mit anderen Vorschriften und das Ziel, das die
gesetzliche Regelung insgesamt verfolgt, maßgeblich sein; maßgebend ist mit anderen Worten der in der
Bestimmung zum Ausdruck kommende objektive Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut
der Ermächtigungsnorm und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Ermächtigung gestellt ist, und auch
die Entstehungsgeschichte kann - vor allem zur Bestätigung des Ergebnisses der Auslegung - herangezogen
werden (BVerfGE 123, 39 [78]; grundlegend: BVerfGE 8, 274 [307]).
Auch etwa aus der Bezeichnung eines Gesetzes als “Übergangsgesetz“ lassen sich konkrete Schlüsse auf die
Tendenz ziehen, die das Gesetz verfolgt (BVerfGE 8, 274 [312]). Bezieht sich eine Ermächtigung auf einen
Sachbereich, der bereits durch eine Verordnung geregelt war, so geht der Gesetzgeber, wenn er nichts anderes
zum Ausdruck bringt, in der Regel davon aus, dass der Verordnungsgeber sich an den bisherigen Grundsätzen
orientieren wird (BVerfGE 62, 203 [210]).
(2b) Parlamentsvorbehalt und “wesentliche Entscheidungen“
Wie nämlich vorstehend schon dargelegt (a)aa)), soll die Vorschrift des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG den
Gesetzgeber zwingen, die für die Ordnung eines Lebensbereiches entscheidenden Vorschriften selbst zu setzen (der Parlamentvorbehalt gebietet, dass die “wesentlichen Entscheidungen“ vom Gesetzgeber getroffen
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werden; BVerfGE 136, 69 [114]) und, sofern Einzelregelungen der Exekutive überlassen bleiben, sie nach
Tendenz und Ausmaß soweit selbst zu bestimmen, dass der mögliche Inhalt der zu erlassenden Verordnung
voraussehbar ist (BVerfGE 7, 282 [301]).
(2c) Einzelfragen
Dies schließt nicht von vornherein aus, dass der Gesetzgeber in der Ermächtigungsnorm Generalklauseln
und unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet (BVerfGE 106, 1 [19]). All dies gilt im Grundsatz sowohl für
belastende als auch für begünstigende Regelungen (BVerfGE 23, 62 [73]).
Speziell im Recht der Steuern ist eine Ermächtigung grundsätzlich hinreichend bestimmt, wenn der steuerliche Belastungstatbestand - Steuerschuldner, Steuergegenstand, Bemessungsgrundlage und Steuersatz - im
Gesetz festgelegt wird (BVerfGE 137, 350 [365]).
(3) “Ungewisse“ und vielschichtige Sachverhalte
Regelmäßig dürften geringere Anforderungen bei vielgestaltigen Sachverhalten zu stellen sein oder dann,
wenn zu erwarten ist, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse alsbald ändern werden (BVerfGE 58, 257
[277 f.]; vgl. auch BVerfGE 123, 39 [80] für Spielraum des Verordnungsgebers unter Berücksichtigung von
“Komplexität und Dynamik einer zu regelnden Materie“).
Wird durch den Gesetzgeber (zulässig) eine Prognoseentscheidung (vorstehend A.II.3.a)bb) (vgl. S. 16) )
auf den Verordnungsgeber übertragen, so gelten für die Überprüfung regelmäßig die gleichen differenzierten
Maßstäbe wie bei der Prognoseentscheidung des Gesetzgebers selbst (BVerfGE 106, 1 [17]).
cc) (Strengere) Anforderungen des Gesetzesvorbehalts und der Bestimmtheit bei einzelnen Materien
Allgemein gilt, dass die Bestimmtheit (hierzu ausführlich, freilich nicht zu Art. 80 GG: BVerfGE 134, 33 [81
f.] zu Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG) der Ermächtigungsnorm der Grundrechtsrelevanz der Regelung entsprechen
muss, zu der ermächtigt wird; greift die Regelung erheblich in die Rechtsstellung des Betroffenen ein, so
müssen höhere Anforderungen an den Bestimmtheitsgrad der Ermächtigung gestellt werden, als wenn
es sich um einen Regelungsbereich handelt, der die Grundrechtsausübung weniger tangiert (BVerfGE 58,
257 [278]; vgl. auch BVerfGE 85, 386 [403 f.] zur Verpflichtung zur “Offenlegung“ einer Ermächtigung zum
Freiheitseingriff).
Jedenfalls fehlt es an der notwendigen Bestimmtheit, wenn die Ermächtigung so unbestimmt ist, dass nicht
mehr vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht
werden wird und welchen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können
(BVerfGE 101, 1 [31]; grundlegend: BVerfGE 1, 14 [60]; vgl. auch BVerfGE 123, 39 [78] sowie BVerfGE 137,
108 [180] “hinreichende Bestimmtheit“).
(1) Strafrecht
An die inhaltliche Bestimmtheit von Ermächtigungsnormen müssen deshalb insbesondere für strafrechtliche
Maßnahmen strenge Anforderungen gestellt werden. Der Gesetzgeber muss die Ermächtigung zur Strafandrohung unzweideutig aussprechen und dabei Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung so genau umreißen,
dass die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe für den Bürger schon aus der Ermächtigung
und nicht erst aus der auf sie gestützten Verordnung voraussehbar sind (BVerfGE 14, 174 [185 f.]).
(2) Steuerrecht
Deshalb darf auch ein Gesetz, das eine Steuer (vgl. auch vorstehend bb)(2)(2c)) einführt, es dem Verordnungsgeber nicht überlassen, das für die Steuer Wesentliche zu bestimmen (BVerfGE 7, 282 [302]; vgl. auch
für die Ausgestaltung einer Gebührenordnung BVerfGE 20, 257 [269 f.], für die Ermächtigung zur Festsetzung von Entgelten BVerfGE 58, 283 [292] und eine Ermächtigung zur Erhebung kostenorientierter Abgaben
BVerfGE 124, 348 [382]).
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(3) Beamtenrecht
Die Regelungsform des Gesetzes ist für das Beamtenverhältnis typisch und sachangemessen; die wesentlichen
Inhalte des Beamtenrechts sind daher durch Gesetz zu regeln. Ob bestimmte Regelungen in der Vergangenheit
durch Rechtsverordnung erfolgt sind, ist dabei nicht entscheidend. Die Frage der Wesentlichkeit und damit
der Ermächtigungsgrundlage kann sich unter einem aktualisierten verfassungsrechtlichen Blickwinkel anders
darstellen als noch vor einigen Jahren oder gar Jahrzehnten (BVerfGE 139, 19 [48]).
(4) Berufsbeschränkungen
Art. 12 Abs. 1 GG (nachfolgend E.XII.) schützt unter anderem die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Art. 12
Abs. 1 GG entfaltet seinen Schutz gegen alle staatlichen Maßnahmen, die diese Wahlfreiheit beschränken.
(4a) Berufswahl
Die Berufsfreiheit steht allerdings unter dem spezifischen Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 2 GG. Ein
wesentlicher Eingriff in dieses Grundrecht ist anzunehmen, wenn die Eingriffsregelung die Freiheit der
Berufswahl betrifft oder statusbildenden Charakter hat.
(4b) Berufsausübung
Auch bei Regelungen, die nur die Freiheit der Berufsausübung betreffen, muss das zulässige Maß des
Eingriffs umso deutlicher in der gesetzlichen Ermächtigung bestimmt werden, je empfindlicher die berufliche Betätigung beeinträchtigt wird: Einschneidende, das Gesamtbild der beruflichen Betätigung wesentlich
prägende Vorschriften über die Ausübung des Berufs sind dem Gesetzgeber zumindest in den Grundzügen
vorzubehalten (BVerfGE 139, 19 [48 f.]).
(5) Eigentumsbeschränkungen
Vergleichbar strenge Voraussetzungen gelten im Blick auf die elementare freiheitsichernde Bedeutung des
Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, unter denen der Gebrauch des Eigentums beschränkt werden darf (BVerfGE 58,
137 [146]).
dd) Zitiergebot (Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG)
Die besondere Bedeutung des Bestimmtheitsgebots kommt schließlich auch im Zitiergebot des Art. 80 Abs.
1 Satz 3 GG (zusammenfassend BVerfGE 136, 69 [113 f.]) zum Ausdruck (vgl. zum Zitiergebot des Art. 19
Abs. 1 Satz 2 GG nachfolgend E.I.3.c) (vgl. S. 371) ).
(1) Verordnungsgeber und Pflicht zur Angabe aller einschlägigen Grundlagen
Gerade weil sichergestellt werden muss, dass sich - erstens - der Gesetzgeber über die Bedeutung der Ermächtigungsnorm im Klaren ist und dass sich - zweitens - der Verordnungsgeber seiner gesetzlichen Grundlage
bewusst wird, erfordert Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG, dass nicht nur das ermächtigende Gesetz als solches,
sondern die ermächtigende Einzelvorschrift aus dem Gesetz in der Verordnung genannt wird (BVerfGE
101, 1 [41]), was bedingt, dass bei inhaltlicher Überschneidung mehrerer (aktuell gültiger und einschlägiger)
Ermächtigungsgrundlagen diese gemeinsam angegeben werden müssen (a.a.O. [42]; vgl. auch BVerfGE 136,
69 [113]).
(2) Keine Pflicht zur Angabe der Grundlagen für jede gesonderte Verordnungsnorm
Allerdings muss nicht zu jeder Bestimmung der Verordnung angegeben werden, auf welcher der Ermächtigungen sie beruht (BVerfGE 136, 69 [113]).
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c) Anhang: Verfassungsgerichtlicher sowie einfach-rechtlicher Rechtsschutz gegen
Verordnungen
Verfassungsgerichtliche Rechtsprechung ist zwar spärlich, soweit es aufgrund einer Verfassungsbeschwerde
um die Folgen von - trotz ausreichender Grundlage - “missglückten“ Verordnungen geht. Oft haben insoweit
bereits die Fachgerichte die Verordnungen für unanwendbar erklärt.
Aber häufiger kommt es vor, dass das Bundesverfassungsgericht in einem abstrakten Normenkontrollverfahren (vorstehend A.III.4.c)cc) (vgl. S. 68) ) angerufen wird mit dem Ziel der Unvereinbarkeitserklärung einer
Rechtsverordnung.
aa) Verfassungsgerichtliche Überprüfung von Rechtsverordnungen
Auch Rechtsverordnungen können - beispielsweise aufgrund eines Antrags gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG
und § 76 Abs. 1 BVerfGG - Antragsgegenstand sein.
(1) Unvereinbarkeit mit der Verfassung und/oder Bundesrecht
Zwar bildet gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, soweit es im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle um
Normen des Bundesrechts geht, allein deren behauptete Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz, nicht die
behauptete bloße Unvereinbarkeit mit einfachem Bundesrecht, einen zulässigen selbständigen Antragsgrund.
Dies schließt aber nicht aus, dass das Bundesverfassungsgericht, wenn eine Rechtsverordnung des Bundes
mit zulässigem, ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz betreffenden Antragsgrund zur Prüfung gestellt ist,
als Vorfrage oder im Hinblick auf eine spezifische verfassungsrechtliche Bedeutung bestimmter Vorgaben des
einfachen Rechts auch die Vereinbarkeit der Verordnung mit einfachgesetzlichen Normen prüft (BVerfGE
127, 293 [318 f.]; dort [320 f.] auch zu einem Verstoß gegen eine gesetzliche Anhörungspflicht vor Erlass der
Verordnung, “Anhörung pro forma“).
(2) Die Überprüfung auf die Einhaltung des Art. 80 Abs. 1 GG
Das Bundesverfassungsgericht prüft im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle Rechtsverordnungen des
Bundes auch daraufhin, ob sie sich im Rahmen der nach Art. 80 Abs. 1 GG erforderlichen gesetzlichen
Ermächtigungsgrundlage halten.
Zur gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im Sinne dieser Regel gehören nicht nur die materiellrechtlichen,
sondern auch die verfahrensrechtlichen Vorgaben, an die das ermächtigende Gesetz den ermächtigten Verordnungsgeber bindet, soweit ihre Beachtung für die Gültigkeit der angegriffenen Verordnungsbestimmungen
von Bedeutung sein kann.
Ob die betreffenden Vorgaben sich im selben Satz, Absatz oder Gesetzesparagraphen finden wie der Ausspruch, dass der Verordnungsgeber ermächtigt werde, kann für die Zugehörigkeit zur gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im vorliegenden Zusammenhang nicht entscheidend sein; denn dies ist eine für den rechtlichen
Status der Regelung belanglose Frage gesetzestechnischer Zweckmäßigkeit (BVerfGE 127, 293 [320]).
(3) “Klarstellungsinteresse“
Ein objektives Klarstellungsinteresse (BVerfGE 113, 167 [193]) ist indiziert , wenn ein auf die Bundesverfassung in besonderer Weise verpflichtetes Organ oder ein besonders verpflichteter Organteil von der
Unvereinbarkeit der Norm mit höherem Bundesrecht überzeugt ist. Dies gilt auch, wenn die zum Prüfungsgegenstand erhobene Norm außer Kraft getreten oder auf andere Weise gegenstandslos geworden ist.
Das objektive Klarstellungsinteresse entfällt lediglich , wenn von der zur Prüfung gestellten Norm unter
keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr Rechtswirkungen ausgehen können. Dies ist vor allem dann nicht der
Fall, wenn Rechtsstreitigkeiten , für die es auf die Vereinbarkeit dieser Norm mit dem Grundgesetz beispielsweise auch noch nach Ablauf der darin vorgesehenen Übergangsfristen ankommt, nicht von vornherein
auszuschließen sind (BVerfGE 127, 293 [319]).
Brunn - Kapitel C.III.3.
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bb) Rechtsschutz wegen Missachtung des Zitiergebots
Eine Missachtung des Zitiergebots führt unmittelbar zur Nichtigkeit der Verordnung (BVerfGE 101, 1 [42
f.]), welche das Fachgericht feststellen kann (BVerfGE 139, 19 [64]), was zwar bei belastenden Akten, die
hierauf gestützt wurden, (wohl zwingend) zur (teilweisen) Aufhebung führt.
Schwierig ist aber die Frage zu beantworten, was bei Verpflichtungsklagen an die Stelle der nichtigen Verordnung als Anspruchsgrundlage tritt (bis zur Schaffung einer neuen Verordnung kommt wohl nur eine - auf
die gesetzliche Grundlage bezogene - verfassungsentsprechende (teilweise) Weitergeltungsanordnung (ähnlich wie beim verfassungswidrigen Gesetz; vgl. vorstehend A.III.4.a)bb)(1)(1c) ) der nichtigen Verordnung
in Betracht (vgl. zu den Aufhebungen von Gesetzen wegen Verfassungswidrigkeit vorstehend B.I.2.b.aa)(2)
(vgl. S. 76) ; vgl. auch BVerfGE 115,81 [92 ff] für Verordnung sowie BVerfGE 124, 199 [233 f.] für Satzung
zum effektiven Rechtsschutz).
cc) Rechtsschutz wegen Missachtung des Gleichheitssatzes
Ein ähnliches Problem entsteht, wenn ein Fachgericht zur Überzeugung gelangt, dass eine Verordnung wegen
Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist. Zwar stellt das einfache Recht die Möglichkeit zur
Verfügung, durch Feststellungsklage die Grundrechtswidrigkeit feststellen zu lassen, aber es kann - nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 115, 81 [94]; vgl. auch BVerfGE 124, 199 [233 f.]
für Satzung) - oft zu der Konstellation kommen, dass im Hinblick auf ein Verpflichtungsbegehren erst die
“Nachbesserung“ der Verordnung abzuwarten ist, was zu äußerst unbefriedigenden “Wartezeiten“ führen
kann; auch insoweit dürfte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein.
2. Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen (in Satzungsautonomie)
Die Einrichtung funktionaler Selbstverwaltung als Ausprägung des Demokratieprinzips mit dem Ziel der
Verwirklichung der freien Selbstbestimmung darf nicht dazu führen, dass ein Gesetzgeber sich seiner Regelungsverantwortung entäußert. Überlässt er öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten als Trägern
funktionaler Selbstverwaltung bestimmte Aufgaben zur Regelung in Satzungsautonomie, darf er ihnen die
Rechtsetzungsbefugnis nicht zur völlig freien Verfügung überlassen.
Dies gilt insbesondere bei Regelungen, die mit Grundrechtseingriffen verbunden sind (BVerfGE 111, 192
[216]; dort [217 f.] auch dazu, dass Aufgaben und Handlungsbefugnisse sowie Bildung der Organe der Selbstverwaltung in einem parlamentarischen Gesetz ausreichend bestimmt sein müssen, der Gesetzgeber institutionelle Vorkehrungen zur Wahrung der Interessen der von der Selbstverwaltung erfassten Personen treffen
sowie sicherstellen muss, dass sich die gesetzten Regelungen mit Eingriffscharakter als Ergebnis eines demokratischen Willensbildungsprozesses im Innern darstellen und schließlich im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes zu beurteilen ist, wie weit die gesetzlichen
Vorgaben ins Einzelne gehen müssen).
Bei einer solchen autonomen Selbstverwaltung ist regelmäßig eine Staatsaufsicht erforderlich (a.a.O. [218]).
3. Die Befugnis zur Übertragung von Hoheitsrechten (Art. 24 GG im Allgemeinen
und Art. 23 GG im Speziellen)
Weil die Bestimmung des Art 24 GG die historisch ältere ist (Art. 23 GG gilt in dieser Form erst seit
1993), zunächst die maßgeblichen Grundsätze zu Art. 24 GG:
a) Gesetzgeber und Übertragungen von Hoheitsrechten (Art. 24 GG)
Während über die Absätze 1 und 2 von Art. 24 GG, die der Sache nach bereits im Herrenchiemseer Entwurf enthalten waren, bereits heftig vor dem Verfassungsgericht gestritten worden ist, ist der Absatz 3 im
Wesentlichen “unbeurteilt“ geblieben.
Brunn - Kapitel C.III.3.
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aa) Zwischenstaatliche Einrichtungen i.S.v. Art. 24 Abs. 1 GG
Zwischenstaatliche Einrichtungen können nur durch Verträge zwischen Völkerrechtssubjekten geschaffen
werden (BVerfGE 2, 347 [377 f.]). Die - soweit ersichtlich - erste bedeutsame “Einrichtung“, welche vom
Bundesverfassungsgericht als zwischenstaatliche anerkannt worden ist, war die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), welcher bestimmte Hoheitsrechte übertragen worden sind (BVerfGE 22, 293 [296] vgl.
auch BVerfGE 58, 1 [31] Euro-Control).
Sehr umstritten war , ob die NATO eine solche ist (BVerfGE 68, 1 [93] bejahend).
(1) Gesetzesvorbehalt in Art. 24 Abs. 1 GG
Weder ist eine Übertragung von Hoheitsrechten - welche durch Gesetz (und nicht etwa durch eine Rechtsverordnung) erfolgen muss, um innerstaatliche Wirkung zu entfalten (BVerfGE 58, 1 [35 f.]) - unwiderruflich
(BVerfGE 68, 1 [93]), noch eröffnet Art. 24 Abs. 1 GG einen Weg, das “Grundgefüge“ der Verfassung anzutasten (BVerfGE 58, 1 [40 ff.]; dort [28] auch zum gesetzgeberischen Ermessen; vgl. auch BVerfGE 73, 339
[376] “hinlängliche Gerichtsbarkeit“ sowie BVerfGE 89, 155 [175 sowie Ls 7] zum Grundrechtsschutz).
Das verfassungsrechtliche Erfordernis der Übertragung durch Gesetz ist strikt auszulegen, weil letztlich in
materieller Hinsicht eine Verfassungsänderung bewirkt wird (BVerfGE 58, 1 [35 f.]).
(2) Gesetzeserfordernis bei weiterem Integrationsprozess
Was einen weiteren Integrationsprozess angeht, so bedarf es für einzelne Vollzugsschritte nicht jeweils eines
gesonderten Gesetzes, wenn der Gründungsvertrag , dem der Gesetzgeber zugestimmt hat, diesen künftigen
Vollzugsverlauf hinreichend bestimmbar normiert hat; anders ist es bei wesentlichen Änderungen eines
Integrationsprogramms (a.a.O. [36 f.]; vgl. auch BVerfGE 123, 267 [349 ff.]).
bb) Einordnung in ein System kollektiver Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG)
Die wichtigsten Beispiele für Systeme kollektiver Sicherheit sind die Vereinten Nationen sowie die NATO:
Die Vereinten Nationen sind ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit i.S.v. Art. 24 Abs. 2 GG. Sie
sind darauf angelegt, Streitigkeiten unter ihren Mitgliedern auf friedliche Weise beizulegen und notfalls
durch Einsatz von Streitkräften den Friedenszustand wieder herzustellen. Dabei sind die Mitgliedstaaten zu
entsprechender Zusammenarbeit verpflichtet. Die Charta der Vereinten Nationen beschränkt die einzelnen
Mitglieder in der Wahrnehmung ihrer Hoheitsrechte; insbesondere sind die Beschlüsse des Sicherheitsrats
bindend und müssen nach Maßgabe dieser Bindung von den Mitgliedstaaten ausgeführt werden (BVerfGE
90, 286 [349 f.]).
Auch die NATO ist durch ein friedensicherndes Regelwerk und den Aufbau einer Organisation gekennzeichnet, die es zulassen, sie als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zu bewerten (a.a.O. [351]; vgl. auch
BVerfGE 104, 151 [206 ff.]; BVerfGE 118, 244 [261 f.] “Vorbehalt der Friedenswahrung“ sowie BVerfGE 121,
135 [156 f.]).
(1) Beginn der Mitgliedschaft (Zustimmungsgesetz gem. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) und regelmäßige
Folgen
Art. 24 Abs. 2 GG enthält keinen eigenen besonderen Gesetzesvorbehalt (wie Art. 24 Abs. 1 GG oder
Art 23 Abs. 1 GG), weil das Grundgesetz davon ausgeht, dass die Einordnung in ein System gegenseitiger
kollektiver Sicherheit nur durch völkerrechtlichen Vertrag i.S.d. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erfolgen kann. Der
Vertrag verleiht dem System kollektiver Sicherheit eine dauerhafte rechtliche Grundlage (BVerfGE 104, 151
[194 f.]).
(1a) Übernahme von Aufgaben als typische Folgen
Mit einem vollzogenen Beitritt ist in der Regel verbunden, dass der Bund zur Einwilligung in damit
verbundene Beschränkungen seiner Hoheitsrechte berechtigt ist; darüber hinaus bietet Art. 24 Abs. 2 GG
auch die verfassungsrechtliche Grundlage für die Übernahme der mit der Zugehörigkeit zu einem solchen
System typischerweise verbundenen Aufgaben - und damit auch für etwa eine Verwendung der Bundeswehr
zu Einsätzen, die im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems stattfinden - (BVerfGE 90, 286 [351]; vgl.
auch BVerfGE 121, 135 [156 f.] sowie BVerfGE 126, 55 [71]).
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(1b) “Fortentwicklungen“ (ohne förmliche Vertragsänderungen)
Die Regierung ist in der Regel ermächtigt, in den Organen und Institutionen des Vertrags an dessen
Fortentwicklung auch ohne eine förmliche Vertragsänderung mitzuwirken (BVerfGE 104, 151 [195]). Denn
die nicht als Vertragsänderung erfolgende Fortentwicklung eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit
bedarf keiner gesonderten Zustimmung des Bundestages , und Art. 59 Abs. 2 GG ist keiner erweiternden
Auslegung zugänglich (a.a.O. [206]; vgl. auch BVerfGE 121, 135 [158]).
(2) Verfassungsrechtliche Folgenbegrenzungen nach dem Beitritt
Die tatbestandliche Formulierung des Art. 24 Abs. 2 GG schließt aus, dass die Bundesrepublik Deutschland
sich in ein System militärischer Sicherheit einordnet, welches nicht der Wahrung des Friedens dient.
Auch die Umwandlung eines ursprünglich den Anforderungen des Art. 24 Abs. 2 GG entsprechenden
Systems in eines, das nicht mehr der Wahrung des Friedens dient oder sogar Angriffskriege vorbereitet,
ist verfassungsrechtlich untersagt und kann deshalb nicht vom Inhalt des auf der Grundlage des nach Art.
59 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 24 Abs. 2 GG ergangenen Zustimmungsgesetzes gedeckt sein (BVerfGE 104, 151
[212 f.]; vgl. auch BVerfGE 118, 244 [261]; dort [270 f.] auch zum Ziel der “Herbeiführung und Sicherung
einer friedlichen und dauerhaften Ordnung in Europa und der Welt“).
(3) Aufteilung der Staatsgewalten im Hinblick auf Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit
Nach allem gestaltet sich die funktionsgerechte Teilung der Staatsgewalt (im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten) im Hinblick auf Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit so, dass das Parlament durch
seine Mitentscheidung grundlegende Verantwortung für die vertragliche Grundlage des Systems einerseits
und für die - im Rahmen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts zu treffende - Entscheidung
über den konkreten bewaffneten Streitkräfteeinsatz andererseits übernimmt, während im Übrigen die nähere
Ausgestaltung der Bündnispolitik als Konzeptverantwortung ebenso wie konkrete Einsatzplanungen der
Bundesregierung obliegen (BVerfGE 121, 135 [162]).
b) Gesetzgeber und Mitwirkung bei der Entwicklung der Europäischen Union (Art.
23 GG)
Während die Übertragung von Hoheitsrechten gem. Art. 24 GG noch einigermaßen überschaubau ist, ist
die Rechtsprechung zu Art. 23 GG in den letzten Jahren und Jahrzehnten (zumindest in ihren Feinheiten
und Verästelungen) völlig unübersehbar geworden. Deshalb hier nur ein kursorischer Überblick:
aa) Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG
Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG wirkt die Bundesrepublik Deutschland an der Gründung und Fortentwicklung
der Europäischen Union mit. Für den Erfolg der Europäischen Union ist die einheitliche Geltung ihres Rechts
von zentraler Bedeutung. Als Rechtsgemeinschaft von derzeit 28 Mitgliedstaaten könnte sie nicht bestehen,
wenn die einheitliche Geltung und Wirksamkeit ihres Rechts nicht gewährleistet wäre. Art. 23 Abs. 1 GG
enthält insoweit auch ein Wirksamkeits- und Durchsetzungsversprechen für das unionale Recht.
bb) Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG (Anwendungsvorrang)
Mit der in Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltenen Ermächtigung, Hoheitsrechte auf die Europäische Union zu
übertragen, billigt das Grundgesetz daher die im Zustimmungsgesetz zu den Verträgen enthaltene Einräumung eines Anwendungsvorrangs zugunsten des Unionrechts. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts
vor nationalem Recht gilt grundsätzlich auch mit Blick auf entgegenstehendes nationales Verfassungsrecht
und führt bei einer Kollision im konkreten Fall in aller Regel zu dessen Unanwendbarkeit.
(1) Folgen des Anwendungsvorrangs (insbesondere Ausübung öffentlicher Gewalt in Deutschland durch
Unionsorgane und -stellen)
Auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 GG kann der Integrationsgesetzgeber nicht nur Organe und Stellen der
Europäischen Union, soweit sie in Deutschland öffentliche Gewalt ausüben, von einer umfassenden Bindung
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an die Grundrechte und andere Gewährleistungen des Grundgesetzes freistellen , sondern auch deutsche
Stellen, die Recht der Europäischen Union vollziehen.
Das gilt nicht zuletzt für die Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene, wenn diese Sekundär- oder
Tertiärrecht umsetzen, ohne dabei über einen Gestaltungsspielraum zu verfügen. Umgekehrt sind die bei
Bestehen eines Gestaltungsspielraums zur Ausfüllung erlassener Rechtsakte einer verfassungsgerichtlichen
Kontrolle zugänglich.
(2) Grenzen des Anwendungsvorrangs
Der Anwendungsvorrang reicht jedoch nur soweit, wie das Grundgesetz und das Zustimmungsgesetz die
Übertragung von Hoheitsrechten erlauben oder vorsehen. Der im Zustimmungsgesetz enthaltene Rechtsanwendungsbefehl kann nur im Rahmen der geltenden Verfassungsordnung erteilt werden.
Grenzen (nachfolgend cc)) für die Öffnung deutscher Staatlichkeit ergeben sich - jenseits des im Zustimmungsgesetz niedergelegten Integrationsprogramms in seiner konkreten Ausgestaltung - aus der in Art. 79
Abs. 3 GG niedergelegten Verfassungsidentität des Grundgesetzes. Dies ist mit dem Grundsatz der loyalen
Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) vereinbar und wird auch dadurch bestätigt, dass sich im Verfassungsrecht der meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vergleichbare Grenzen finden.
cc) Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG (Verfassungsidentität)
Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts wird - wie soeben angedeutet - im Wesentlichen durch die in Art.
23 Abs. 1 Satz 3 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG verfassungsänderungs- und integrationsfest
ausgestaltete Verfassungsidentität des Grundgesetzes begrenzt. Zu deren Sicherstellung dient die Identitätskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht.
(1) Identitätskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht (insbesondere Prüfung, ob Unionsorgane
bzw. -stellen “ultra vires“ handeln)
Soweit Maßnahmen eines Organs oder einer sonstigen Stelle der Europäischen Union Auswirkungen zeigen,
die die durch Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit den in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätzen
geschützte Verfassungsidentität berühren, gehen sie über die grundgesetzlichen Grenzen offener Staatlichkeit hinaus. Auf einer primärrechtlichen Ermächtigung kann eine derartige Maßnahme nicht beruhen,
weil auch der mit der Mehrheit des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 GG entscheidende Integrationsgesetzgeber der Europäischen Union keine Hoheitsrechte übertragen kann, mit deren
Inanspruchnahme eine Berührung der von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität einherginge.
Auf eine Rechtsfortbildung zunächst verfassungsmäßiger Einzelermächtigungen kann sie ebenfalls nicht gestützt werden, weil das Organ oder die Stelle der Europäischen Union damit ultra vires handelte.
(2) Anrufungsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts sowie dessen “Prüfprogramm“
Im Rahmen der Identitätskontrolle ist zu prüfen, ob die durch Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten
Grundsätze durch eine Maßnahme der Europäischen Union berührt werden. Diese Prüfung kann - wie der
Solange-Vorbehalt oder die ultra-vires-Kontrolle - im Ergebnis dazu führen, dass Unionsrecht in Deutschland
in eng begrenzten Einzelfällen für unanwendbar erklärt werden muss.
Um zu verhindern, dass sich deutsche Behörden und Gerichte ohne weiteres über den Geltungsanspruch des
Unionsrechts hinwegsetzen, verlangt die europarechtsfreundliche Anwendung von Art. 79 Abs. 3 GG zum
Schutz der Funktionsfähigkeit der unionalen Rechtsordnung und bei Beachtung des in Art. 100 Abs. 1 GG
zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens aber, dass die Feststellung einer Verletzung der Verfassungsidentität dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten bleibt. Dies wird auch durch die Regelung des Art.
100 Abs. 2 GG unterstrichen, nach der bei Zweifeln, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts Rechte und
Pflichten für den Einzelnen erzeugt, das Bundesverfassungsgericht angerufen werden muss.
Mit der Identitätskontrolle kann das Bundesverfassungsgericht auch im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde
(Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG) befasst werden.
Die Identitätskontrolle verstößt nicht gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit im Sinne von Art.
4 Abs. 3 EUV. Sie ist vielmehr in Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV der Sache nach angelegt (BVerfGE 140, 317
[335 ff.]; dort [341] auch zum Verbot einer Relativierung der “integrationsfesten“ Schutzgüter, insbesondere
der Menschenrechte).
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dd) Insbesondere: Die Auslegung des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG im Lichte der Wahrung der Integrationsverantwortung (aller Verfassungsorgane)
Für die europäische Integration gilt der besondere Gesetzesvorbehalt des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach
Hoheitsrechte nur durch Gesetz (und mit Zustimmung des Bundesrates) übertragen werden können. Dieser
Gesetzesvorbehalt ist zur Wahrung der Integrationsverantwortung und zum Schutz des Verfassungsgefüges
so auszulegen , dass jede Veränderung der textlichen Grundlagen des europäischen Primärrechts (vgl.
bereits A.III.3.a)aa) (vgl. S. 43) ) erfasst wird (BVerfGE 123, 267 [355]).
(1) Verfassungsrechtliche Pflichten des Gesetzgebers
Die Ermächtigung steht aber unter der Bedingung, dass dabei die souveräne Verfassungsstaatlichkeit auf der
Grundlage eines Integrationsprogramms nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und unter
Achtung der verfassungsrechtlichen Identität als Mitgliedstaaten gewahrt bleibt und zugleich die Mitgliedstaaten ihre Fähigkeit zu selbstverantwortlicher politischer und sozialer Gestaltung der Lebensverhältnisse
nicht verlieren.
(1a) Verbot der Aufgabe der (völkerrechtlichen) Souveränität
Mithin ermächtigt das Grundgesetz nicht , durch einen Eintritt in einen Bundesstaat das Selbstbestimmungsrecht des Deutschen Volkes in Gestalt der völkerrechtlichen Souveränität Deutschlands aufzugeben.
Dieser Schritt ist wegen der mit ihm verbundenen unwiderruflichen Souveränitätsübertragung auf ein neues
Legitimationssubjekt allein dem unmittelbar erklärten Willen des Deutschen Volkes vorbehalten ; nach
Maßgabe der Integrationsermächtigung kann es für die Europäische Unionsgewalt kein eigenständiges Legitimationssubjekt geben, das sich unabgeleitet von fremden Willen und damit aus eigenem Recht gleichsam
auf höherer Ebene verfassen könnte (a.a.O. [347 ff.]).
(1b) Verbot der “irreversiblen rechtlichen Präjudizierung künftiger Generationen“
Insbesondere muss durch den Gesetzgeber vermieden werden eine “irreversible rechtliche Präjudizierung
künftiger Generationen“; der demokratische Prozess muss offen bleiben, und es müssen rechtliche Umwertungen (aufgrund anderer Mehrheitsentscheidungen) erfolgen können (BVerfGE 135, 317 [404 f.]).
Freilich erlaubt Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 GG sogar, unter Wahrung der in Art. 79 Abs. 2 und Abs.
3 GG genannten Voraussetzungen Hoheitsgewalt auch insoweit auf die EU zu übertragen, als dadurch die
Reichweite der Gewährleistungen des Grundgesetzes geändert oder ergänzt wird - ohne dass dabei das
Zitiergebot des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG eingreift - (BVerfGE 129, 78 [100]).
(2) Pflichten des Gesetzgebers bei “Grenzfällen des noch verfassungsrechtlich Zulässigen“ bzw. bei
der Gefahr der “Bemächtigung“ der “Kompetenz-Kompetenz“ durch die EU
Zustimmungsgesetze und “Begleitgesetzgebung“ müssen so beschaffen sein, dass die Integration weiter nach
dem “Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung“ erfolgt, ohne dass für die EU die Möglichkeit besteht, sich
der “ Kompetenz-Kompetenz “ zu bemächtigen (oder die Verfassungsidentität zu verletzen); der Gesetzgeber
muss wirksame Vorkehrungen dafür treffen, dass die Integrationsverantwortung der Verfassungsorgane sich
hinreichend entfalten kann (BVerfGE 123, 267 [353]; vgl. auch BVerfGE 135, 317 [399]).
(3) Gebote und Verbote bei “Kompetenzanmaßungen“ (“ultra-vires“)
Weil auch der Mitgliedstaat Bundesrepublik Deutschland (und seine Verfassungsorgane) - neben den Organen der “Rechtsgemeinschaft“ (BVerfGE 126, 286 [301]) Europäische Union - Verantwortung trägt für die
Einhaltung des Integrationsprogramms (Integrationsverantwortung), ist die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung Aufgabe aller bundesdeutschen Verfassungsorgane. Dies bedeutet insbesondere:
(3a) Mitwirkungsverbot an kompetenzüberschreitenden Handlungen
Handelt ein Organ oder eine sonstige Stelle der Europäischen Union “ultra-vires“, so dürfen deutsche Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte an solchen kompetenzüberschreitenden Handlungen nicht mitwirken
(was auch etwa für die Deutsche Bundesbank gegolten hat).
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(3b) Pflicht zur aktiven Hinwirkung auf die Einhaltung des Integrationsprogramms (bei
“Usurpationen“ von Hoheitsrechten)
Darüber hinaus dürfen der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung eine offensichtliche und strukturell
bedeutsame Usurpation von Hoheitsrechten durch Organe der EU nicht einfach geschehen lassen; sie müssen
aktiv auf die Einhaltung des Integrationsprogramms hinwirken.
(3c) Nachträgliche Legitimierungen von Kompetenzanmaßungen
Zwar können sie eine “Kompetenzanmaßung“ nachträglich legitimieren, indem sie eine - die Grenzen von
Art. 79 Abs. 3 GG wahrende - entsprechende Änderung des Primärrechts anstoßen und die in Anspruch
genommenen Hoheitsrechte in Verfahren nach Art. 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GG förmlich übertragen.
Soweit aber dies nicht möglich oder nicht gewollt ist, sind und bleiben sie grundsätzlich verpflichtet, im
Rahmen ihrer jeweiligen Kompetenzen mit rechtlichen oder mit politischen Mitteln auf die Aufhebung von
- vom Integrationsprogramm nicht gedeckten - Maßnahmen hinzuwirken sowie - solange die Maßnahmen
fortwirken - geeignete Vorkehrungen dafür zu treffen, dass die innerstaatlichen Auswirkungen der Maßnahmen
so weit wie möglich begrenzt bleiben (BVerfGE 134, 366 [394 ff.]).
ee) Der Haushaltsgesetzgeber und verfassungsrechtliche Bindungen (Erhalt der Budgetverantwortung
des Parlaments)
Der Haushaltsgesetzgeber (nachfolgend C.IX.12. (vgl. S. 205) ) muss seine Entscheidungen über Einnahmen
und Ausgaben frei von Fremdbestimmung seitens der Organe und anderer Mitgliedstaaten der EU treffen
und dauerhaft “Herr seiner Entschlüsse“ bleiben können.
(1) Verbot der Zustimmung zu “Automatismen“
Deshalb darf der Bundestag einem - wie auch immer vereinbarten - nicht an strikte Vorgaben gebundenen
und in seinen Auswirkungen nicht begrenzten Bürgschafts- oder Wirkungsautomatismus nicht zustimmen,
der - einmal in Gang gesetzt - seiner Kontrolle und Einwirkung entzogen ist (BVerfGE 135, 317 [401 f.]).
(2) Gesetzgeber und Währungsunion
Weil die Entwicklung der Währungsunion als “voraussehbar normiert“ und “parlamentarisch verantwortbar“ zu beurteilen ist (“Stabilitätsgemeinschaft“), durfte der Gesetzgeber (verfassungsrechtlich unbedenklich) zustimmen (BVerfGE 129, 124 [181 ff., 184]; vgl. auch BVerfGE 135, 317 [420 ff.] zu Einzelheiten der
Finanzierung des Europäischen Stabilitätsmechanismus).
ff) Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts, seine Grenzen und seine Beachtung durch die Behörden
und Gerichte
Weil beispielsweise der Schuldgrundsatz zur Verfassungsidentität gehört, müssen Behörden und Gerichte
selbst dann auf seine Einhaltung (etwa als Folge einer ersuchten Auslieferung) dringen, wenn das einschlägige Unionsrecht ein Handeln ermöglichen sollte und damit die Voraussetzungen eines Vorrangs gegenüber
nationalem Gesetzesrecht gegeben sein sollten (BVerfGE 140, 317 [352]).
IV. Die aus dem Prinzip der Länderkompetenz (Art. 70 GG i.V.m. Art. 30 GG)
abzuleitenden Regeln für die Erzeugung von Bundesrecht
1.
Grundsatz der Länderkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Keine Vermutung zugunsten des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . .
b)
c)
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aa) Keine “Verfügungskompetenz“ der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) Zulässige einvernehmliche bundeseinheitliche Ländervorschriften . . . . . . . . .
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cc) Zulässige Länderregeln für Steuern und Abgaben . . . . .
Länder als Träger der Kulturhoheit (u.a. Rundfunk und Schule),
sowie des Polizeirechts . . . . . . . . . . . . . . . .
Das Verhältnis der Gesetzgebungs- zur Verwaltungskompetenz .
. . . . . . . . . . . .
des Kommunalrechts
. . . . . . .
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2.
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Die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln der Kompetenzzuordnung . . . . . .
a) Unbedingt zu vermeidende “Doppelzuständigkeit“ . . . . . . . . . . . . .
aa) Konflikte zwischen Bund und Ländern
b)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) Unbedenkliche “mehrfache“ Zuständigkeiten (etwa des Bundes) . . . . . . . . .
138
cc) “Belassung“ einer Länderkompetenz durch den Bund . . . . . . . . . . . . . . .
Gegenstand des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Kriterien für die Zuordnung zu einer Kompetenznorm
c)
3.
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aa) Wesentliches Kriterium des Schwerpunkts der Teilregelung . . . . . . . . . . . .
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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) Unzulässige Beanspruchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sachzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Verbot des umfassenden “An-sich-Ziehens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) Gebrauchmachung durch “absichtsvollen Regelungsverzicht“ . . . . . . . . . . .
140
cc) Unzulässige Beanspruchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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dd) Zulässige Beanspruchungen . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Zulässige Beanspruchung einer Kompetenz zu Lenkungszwecken
Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Länderkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . .
. .
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bb) Bildung und Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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cc) Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Fehlende Länderkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Verfassungsschutz und Verhütung von Straftaten
b)
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bb) Bezugnahmen auf Begriffe in der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Problematik der Zuordnung einzelner Teilregelungen eines umfassenden Regelungskomplexes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Zulässige Beanspruchungen
4.
. . . . . . . . . . . . . .
bb) Hauptanwendungsfälle (Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Sonderfall des Gewohnheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zulässige und unzulässige Beanspruchungen der Gesetzgebungskompetenz . . . . . .
a) Natur der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b)
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Die Systematik des Grundgesetzes fordert im Sinne einer möglichst eindeutigen vertikalen Gewaltenteilung
eine strikte, dem Sinn der Kompetenznorm gerecht werdende Auslegung (vgl. auch nachfolgend 2.) der Art.
70 ff. GG (BVerfGE 138, 261 [273]; vgl. auch BVerfGE 139, 194 [226] freilich für “Unverfügbarkeit“ der
Verwaltungskompetenz).
1. Grundsatz der Länderkompetenz
Das Grundgesetz geht bei der Ordnung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern vom Grundsatz der Länderkompetenz aus. Der Bund hat Gesetzgebungsbefugnisse nur, soweit das Grundgesetz sie
ihm verleiht. In der Regel können daher Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes nur auf eine ausdrückliche
Verleihung durch das Grundgesetz gestützt werden.
a) Keine Vermutung zugunsten des Bundes
Bei Zweifeln über die Zuständigkeit des Bundes spricht keine Vermutung zugunsten einer Bundeskompetenz. Die Systematik des Grundgesetzes fordert vielmehr eine strikte Interpretation der Kompetenzregeln
(BVerfGE 12, 205 [228 f.]).
Gegen unzulässige (ungeschriebene) Kompetenzzuschreibungen zugunsten des Bundes spricht auch, dass
sich aus ihnen nur schwer Klarheit über die Rechtsnatur der jeweils zugeschriebenen Kompetenz - ausschließlich oder konkurrierend - gewinnen ließe (BVerfGE 132, 1 [6]).
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aa) Keine “Verfügungskompetenz“ der Länder
Aus diesen Gründen kann ein Land über seine Gesetzgebungskompetenz nicht verfügen; mit anderen Worten
kann der Bund eine Gesetzgebungszuständigkeit, die ihm das Grundgesetz nicht gewährt, nicht durch die
Zustimmung des Landes gewinnen (BVerfGE 55, 274 [301]; grundlegend: BVerfGE 1, 14 [35]). Allenfalls
dann, wenn eine Regelung bspw. 20 Jahre lang einverständlich und unangefochten angewendet worden ist,
könnte eine eine “exzeptionelle Sonderlage regelnde Vorschrift“ als zulässig angesehen werden (BVerfGE 32,
145 [155 f.]).
bb) Zulässige einvernehmliche bundeseinheitliche Ländervorschriften
Ist man sich zwischen Bund und den Ländern zwar einerseits einig, dass eine Materie in die Länderkompetenz
fällt, aber andererseits eine bundeseinheitliche Regelung angezeigt ist, so lässt die Verfassung gleichlautende
Ländervorschriften zu (BVerfGE 40, 237 [253]).
cc) Zulässige Länderregeln für Steuern und Abgaben
Die Konsequenz der strikten Länderzuständigkeit kann u.a. sein, dass auch die Kompetenz zu gesetzlichen
Sonderregelungen grundsätzlich den Ländern zusteht (BVerfGE 10, 89 [101]).
Auch für das Gebiet des Steuerrechts (hierzu nachfolgend C.IX.7. (vgl. S. 194) ) gilt die Grundregel des
Art. 70 Abs. 1 GG (BVerfGE 16, 64 [78 f.]); im Einzelnen ist im Steuerrecht jedoch manches fraglich (vgl.
BVerfGE 98, 83 [97 f.]; BVerfGE 98, 106 [118, 119]).
Auch für nicht steuerliche Abgaben (u.a. Gebühren; nachfolgend C.IX.4. (vgl. S. 189) ) sind die Gesetzgebungskompetenzen aus den allgemeinen Regeln der Art. 70 ff. GG herzuleiten (BVerfGE 108, 1 [13]).
b) Länder als Träger der Kulturhoheit (u.a. Rundfunk und Schule), des
Kommunalrechts sowie des Polizeirechts
Insbesondere anhand der Verfassungsentwicklung lassen sich Sachmaterien (im Einzelnen nachfolgend 4.)
ermitteln, die nach dem Willen des Verfassungsgebers (zumindest in wesentlichen Hinsichten) in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen sollen (vgl. insoweit auch Art. 23 Abs. 6 GG “ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder“).
In diesem Sinne gelten die Länder - erstens - als Träger der Kulturhoheit, woraus aber nicht folgen muss, dass
die Gesetzgebungskompetenz des Bundes Einwirkungen auf den Kulturbereich (und eine Berücksichtigung
kultureller Belange) von vornherein nicht ermöglichen (BVerfGE 135, 155 [196 ff.] “Filmförderung“ als Recht
der Wirtschaft - Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG - fragwürdig); das Rundfunkwesen und das Recht der schulischen
Bildung dürften diesem Bereich der Kulturhoheit zuzurechnen sein.
Das Grundgesetz weist - zweitens - die Gesetzgebungskompetenz für das Kommunalrecht den Ländern zu.
Es umfasst die Summe der Rechtssätze, die sich mit der Rechtsstellung, der Organisation, den Aufgaben
sowie den Handlungsformen der kommunalen Körperschaften befassen; darunter fällt auch das Gemeindeverfassungsrecht und insbesondere die Art und Weise der kommunalen Willensbildung (BVerfGE 137, 108
[164]).
Schließlich ist - drittens - das Polizeirecht (zumindest im engen Sinne) ein traditionell in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallender Sachbereich (BVerfGE 8, 143 [150]; vgl. auch BVerfGE 132, 1 [6] sowie freilich für polizeiliches Handeln - BVerfGE 139, 194 [Ls. 3]).
c) Das Verhältnis der Gesetzgebungs- zur Verwaltungskompetenz
Die Verwaltungskompetenzen (Art. 83 ff. GG; hierzu nachfolgend C.VIII.) folgen den Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und nicht umgekehrt. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes bezeichnet die äußerste
Grenze seiner Verwaltungszuständigkeit (BVerfGE 15, 1 [16]). Deshalb wäre eine bundesgesetzliche Regelung,
welche dem Bund eine Verwaltungskompetenz zuweist, die das Grundgesetz ihm verwehrt, nichtig (BVerfGE
26, 338 [395]).
Brunn - Kapitel C.IV.2.
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2. Die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln der Kompetenzzuordnung
Für die Zuweisung einer Gesetzgebungsmaterie an Bund oder Länder ist der in Betracht kommende Kompetenztitel “anhand des Wortlauts, historisch, systematisch und mit Blick auf den Normzweck“ auszulegen
(BVerfGE 138, 261 [273]; dort [273 f.] vor allem zum “Traditionellen oder Herkömmlichen“).
a) Unbedingt zu vermeidende “Doppelzuständigkeit“
Vorrangiges Prinzip bei der Kompetenzzuschreibung ist die Vermeidung einer “Doppelzuständigkeit“.
aa) Konflikte zwischen Bund und Ländern
Es muss mit anderen Worten vermieden werden, dass aufgrund einer solchen Doppelzuständigkeit Bund und
Länder ein- und denselben Gegenstand in unterschiedlicher Weise regeln könnten (BVerfGE 106, 62 [114];
grundlegend: BVerfGE 36, 193 [202 f.]).
bb) Unbedenkliche “mehrfache“ Zuständigkeiten (etwa des Bundes)
Im Grundsatz unbedenklich ist freilich etwa eine “doppelte Gesetzgebungszuständigkeit“ des Bundes (BVerfGE 138, 261 [275 f.] für Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 [a.F.] GG und Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG “Ladenschluss“).
cc) “Belassung“ einer Länderkompetenz durch den Bund
Freilich schließt das Erfordernis einer überschneidungsfreien Zuständigkeitsabgrenzung nicht aus, dass der
Bund im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung den Ländern die Befugnis belässt, Regelungen in Bezug
auf einen bereits bundesrechtlich geregelten Sachverhalt zu treffen (BVerfGE 136, 194 [268]).
b) Gegenstand des Gesetzes
Der Begriff Gegenstand des Gesetzes könnte auch durch den Begriff Materie des Gesetzes ersetzt werden
(vgl. BVerfGE 116, 202 [216]; grundlegend: BVerfGE 4, 60 [67 ff.]).
Über die Zuordnung einer Norm zu einer solchen Gesetzgebungsmaterie entscheidet weder der äußere
Regelungszusammenhang noch der Wille des Gesetzgebers; maßgebend ist allein der Gehalt der Regelung
(BVerfGE 70, 251 [264]).
Unerheblich für die kompetenzrechtliche Zuordnung ist es auch, ob die Kompetenz für eine inhaltlich
rechtmäßige oder rechtswidrige Regelung in Anspruch genommen wird; entscheidend ist, ob die Regelung
gegenständlich in den Kompetenzbereich fällt (BVerfGE 88, 203 [313]; vgl. auch BVerfGE 135, 155 [196]
“der maßgebliche objektive Regelungsgegenstand und -gehalt“).
aa) Kriterien für die Zuordnung zu einer Kompetenznorm
Mithin geschieht die Zuordnung einer bestimmten Regelung zu einer Kompetenznorm anhand von unmittelbarem Regelungsgegenstand, Normzweck, Wirkung und Adressat der zuzuordnenden Norm sowie der
Verfassungstradition. Auch die bisherige Staatspraxis kann großes Gewicht haben (BVerfGE 121, 30 [47]).
bb) Bezugnahmen auf Begriffe in der Verfassung
Hat der Verfassungsgesetzgeber direkt oder indirekt auf Begriffe Bezug genommen, die er der allgemeinen
Rechtsordnung entlehnt hat, so dürfen diese nicht mit einem beliebigen Inhalt gefüllt werden; die der allgemeinen Rechtsordnung entlehnten Begriffe setzen mit den ihnen immanenten objektiven Kriterien deshalb
auch der Gesetzgebungskompetenz unüberschreitbare Schranken (BVerfGE 31, 314 [331]; vgl. auch BVerfGE
109, 190 [218] für “normativ ausgeformte Materie“, die vorgefunden und als solche gleichsam nachvollziehend
benannt worden ist, sowie BVerfGE 138, 261 [274]).
Brunn - Kapitel C.IV.3.
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c) Die Problematik der Zuordnung einzelner Teilregelungen eines umfassenden
Regelungskomplexes
Allgemein lässt sich sachgebietsübergreifend sagen, dass eine Zuständigkeit des Bundes für grundsätzlich der
Zuständigkeit der Länder zuzuordnende Materien dann bestehen kann, wenn der Bund eine ihm zur Gesetzgebung zugewiesene Materie verständigerweise nicht regeln kann, ohne dass die besagten Bestimmungen
mitgeregelt werden (BVerfGE 125, 260 [314] für Datenschutzrecht).
Umgekehrt kann es zugunsten der Länder ausschlagen, wenn “das Übergreifen unerlässliche Voraussetzung
für die Regelung der zugewiesenen Materie ist“ (BVerfGE 138, 261 [274]).
aa) Wesentliches Kriterium des Schwerpunkts der Teilregelung
Teilregelungen eines umfassenden Regelungskomplexes dürfen bei der Zuordnung nicht aus ihrem Regelungszusammenhang (BVerfGE 138, 261 [274]; dort auch zu “ungeschriebenen“ Gesetzgebungskompetenzen
“kraft Sachzusammenhangs“ [auch zugunsten der Länder]) gelöst und für sich betrachtet werden.
Aus dem Regelungszusammenhang ist zu erschließen, wo die Teilregelungen ihren Schwerpunkt haben, wobei
insbesondere ins Gewicht fallen kann, wie eng die fragliche Teilregelung mit dem Gegenstand der Gesamtregelung verbunden ist. Regelmäßig spricht für die Zugehörigkeit einer Teilregelung zum Kompetenzbereich
der Gesamtregelung eine enge Verzahnung und ein dementsprechend geringer eigenständiger Regelungsgehalt der Teilregelung (BVerfGE 121, 30 [47 f.] sowie BVerfGE 137, 108 [161]; dort auch zur “wesensmäßigen
und historischen Zugehörigkeit“; grundlegend: BVerfGE 97, 228 [251 f.]).
bb) Hauptanwendungsfälle (Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung)
Deshalb können Normen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in einem bestimmten Sachbereich dienen, dem Sachbereich zuzurechnen sein, zu dem sie in einem notwendigen Zusammenhang stehen (BVerfGE 8, 143 [150]); geht es demgegenüber um Regelungen, bei denen die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung der alleinige und unmittelbare Gesetzeszweck ist, so handelt
es sich hierbei um Polizeirecht im engeren Sinn, ein in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallender
Sachbereich (a.a.O.; vgl. auch BVerfGE 132, 1 [6]).
d) Sonderfall des Gewohnheitsrechts
Gewohnheitsrecht (vorstehend B.II.1.b) (vgl. S. 82) ) ist dem Kompetenzrecht zuzuordnen, das es durch
seine Übung aktualisiert.
Wächst es auf einem Felde, das dem Gesetzgebungsrecht der Länder unterliegt, so verbleibt es auch dort,
unbeschadet dessen, ob es bundesweit gilt; mit anderen Worten hat das Entstehen von Gewohnheitsrecht
nicht zur Folge, dass sich die Kompetenzordnung des Grundgesetzes für das gesetzte Recht verwandelte
und die Regelungsbereiche in die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes hinüber wanderten, die ihm vorher
verschlossen waren (BVerfGE 61, 149 [203 f.]).
3. Zulässige und unzulässige Beanspruchungen der Gesetzgebungskompetenz
Seit jeher ist vor dem Verfassungsgericht (vor allem zwischen Bund und Ländern) darüber gestritten worden,
ob vornehmlich die Bundeskompetenz auch “ungeschriebene“ Materien und Zuordnungen kennt.
a) Natur der Sache
Schlussfolgerungen “aus der Natur der Sache“ müssen begriffsnotwendig sein und eine bestimmte Lösung
unter Ausschluss anderer Möglichkeiten sachgerechter Lösung zwingend fordern. Es muss sich also um ein
Sachgebiet handeln, das seiner Natur nach eine eigenste, der partikularen Gesetzgebungszuständigkeit a
priori entrückte Angelegenheit des Bundes ist, welches nur vom Bund geregelt werden kann (BVerfGE 11,
89 [98 f.]).
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aa) Zulässige Beanspruchungen
Raumplanung für den Gesamtstaat kann eine solche Materie sein (BVerfGE 3, 407 [427 f.]). Auch Aufgaben
der Jugendhilfe, die einen eindeutig überregionalen Charakter haben, können eine solche Materie darstellen
(BVerfGE 22, 180 [217]). Für die unaufschiebbaren gesetzgeberischen Aufgaben im Zusammenhang mit dem
Beitritt ergab sich ebenfalls eine aus der Natur der Sache folgende Gesetzgebungskompetenz (BVerfGE 95,
243 [249]; grundlegend: BVerfGE 84, 133 [148]).
bb) Unzulässige Beanspruchungen
Ist hingegen eine einheitliche Regelung lediglich etwa zweckmäßig, so reicht dies für die Annahme einer
Bundeskompetenz nicht aus (BVerfGE 26, 246 [257]). Die Notwendigkeit der Reinhaltung von Bundeswasserstraßen löst daher nicht zwingend eine Bundeskompetenz aus (BVerfGE 15, 1 [24]).
Schließlich ist auch die Veranstaltung von Rundfunksendungen “nach innen“ keine Materie, die dem Bundesgesetzgeber vorbehalten wäre (BVerfGE 12, 205 [242]).
b) Sachzusammenhang
Wie bereits erwähnt (vorstehend 2.c.), stützt und ergänzt die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs eine
zugewiesene Zuständigkeit zwar dann, wenn die entsprechende Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird, wenn
also das Übergreifen unerlässliche Voraussetzung für die Regelung der zugewiesenen Materie ist (BVerfGE
138, 261 [274]).
aa) Verbot des umfassenden “An-sich-Ziehens“
Dies bedeutet aber nicht, dass der Bund aus diesen Gründen das Recht hätte, die gesamte den Ländern
vorbehaltene Materie an sich zu ziehen; er darf vielmehr nur diejenigen Einzelregelungen treffen, ohne die
er seine ausdrücklich zugewiesene Kompetenz nicht sinnvoll nutzen könnte (BVerfGE 106, 62 [115] sowie
BVerfGE 137, 108 [170]).
bb) Gebrauchmachung durch “absichtsvollen Regelungsverzicht“
Ob der Bund von einer Kompetenz kraft Sachzusammenhangs auch durch erkennbaren, absichtsvollen Regelungsverzicht mit Sperrwirkung gegenüber den Ländern Gebrauch machen - allgemein nachstehend C.VI.1.
(vgl. S. 147) - kann (so bejahend BVerfGE 98, 265 [313 ff.]), kann mit guten Gründen bezweifelt werden
(BVerfGE 98, 265 [329, 352] abweichende Meinung).
cc) Unzulässige Beanspruchungen
Eine Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs ist beispielsweise verneint worden für das Baurecht
(BVerfGE 40, 261 [265]), für die Veranstaltung von Rundfunksendungen (BVerfGE 12, 205 [237] und für ein
Ingenieurgesetz (BVerfGE 26, 246 [256]).
dd) Zulässige Beanspruchungen
Bejaht worden ist sie für den Datenschutz und Sachzusammenhang mit einer Sachkompetenz (BVerfGE 125,
260 [314]), für Altenpflege (BVerfGE 106, 62 [120 f.]), für das Beurkundungswesen (BVerfGE 11, 192 [199])
sowie für das ärztliche Berufsrecht im Zusammenhang mit dem Schutz ungeborenen Lebens (BVerfGE 98,
265 [301 ff.]; vgl. indessen auch BVerfGE 98, 265 [329, 347 ff.] abweichende Meinung).
c) Zulässige Beanspruchung einer Kompetenz zu Lenkungszwecken
Der Gesetzgeber darf seine Gesetzgebungskompetenz grundsätzlich auch ausüben, um Lenkungswirkungen
zu erzielen. Er darf also nicht nur durch Ge- und Verbote, sondern ebenso mittelbar verhaltenssteuernd auf
Wirtschaft und Gesellschaft gestaltend Einfluss nehmen. Der Lenkungszweck muss aber von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen und gleichheitsgerecht ausgestaltet sein (BVerfGE 118, 79 [101
f.]).
Brunn - Kapitel C.V.0.
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4. Einzelfälle
Wie bereits dargelegt (vorstehend 1.b)), gibt es Materien “ausschließlicher Länderkompetenz“, um die oft
erbittert gerungen und gestritten wurde.
a) Länderkompetenzen
In Art. 23 Abs. 6 GG gibt die Verfassung zu erkennen, was zum unbestreitbaren Mindestbestand an den
Ländern verbliebenen Gesetzgebungskompetenzen zu rechnen ist; viel ist es nicht mehr:
aa) Verfassungsschutz und Verhütung von Straftaten
Der Bund hat keine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Verfassungsschutz allgemein; insoweit ergibt sich die Gesetzgebungskompetenz der Länder aus Art. 70 Abs. 1 GG. Die Länder sind zum
Erlass von Gesetzen zur Abwehr von Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung selbstverständlich befugt, soweit sich diese im jeweiligen Land auswirken und damit dort Gefahren hervorrufen
können. Einem Landesgesetzgeber ist es darüber hinaus auch nicht grundsätzlich verwehrt, zur Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu Maßnahmen zu ermächtigen, deren Wirkungen die Grenzen des Landes
unvermeidbar überschreiten (BVerfGE 113, 63 [79]).
Auch die Verhütung einer Straftat liegt in der Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Gefahrenabwehr;
allenfalls sind derartige Maßnahmen insoweit der Bundeskompetenz zuzuordnen, als sie zu einem von ihr
erfassten Sachbereich in einem notwendigen Zusammenhang stehen, insbesondere für den wirksamen Vollzug
der Bundesregelung erforderlich sind (BVerfGE 113, 348 [368 f.]).
Wie in der Entscheidung BVerfGE 130, 1 zum Verhältnis zwischen einer präventiv-polizeilichen Landesnorm
über Informationserhebungen und einer Vorschrift der Strafprozessordnung über die Vertretung im Strafverfahren ausgeführt worden ist, kann zwar letztere (selbstverständlich) nicht über den Regelungsgehalt
ersterer disponieren, aber bestimmen, dass beispielsweise von einer nach Landesrecht zulässigen Zweckänderung im Strafverfahren nicht (oder nur eingeschränkt) Gebrauch gemacht werden darf.
bb) Bildung und Kommunen
Die Länder können auch befugt sein, arbeitsrechtliche Regelungen zur Arbeitnehmerweiterbildung zu treffen
(BVerfGE 77, 308 [328 ff.]). Das Schulwesen ist im Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit der Länder
zugewiesen (BVerfGE 75, 40 [66 f.]). Auch Regelungen über die richtige Schreibung für den Unterricht in
den Schulen fallen in die Zuständigkeit der Länder (BVerfGE 98, 218 [248]). Grundsätzlich der Länderkompetenz unterliegen darüber hinaus das Pflichtexemplarrecht (BVerfGE 58, 137 [146]), das Kommunalrecht
(BVerfGE 58, 177 [191 f.]) sowie das Recht zur Regelung der Rechtsverhältnisse an den öffentlichen Straßen
und Wegen (BVerfGE 42, 20 [28 f.]). Schließlich fallen die Sorge für die Gemeindefinanzen (BVerfGE 26,
172 [181]) sowie das Spielbankenrecht in die Kompetenz der Länder (BVerfGE 28, 119 [151]).
cc) Staatshaftung
Für den Bereich der Staatshaftung schließlich ist dem Bund zugunsten der Länder die Kompetenz abgesprochen worden (BVerfGE 61, 149 [11, 173 ff.]).
b) Fehlende Länderkompetenzen
Hingegen sind die Länder mangels Kompetenz nicht befugt, im Rahmen von Enteignungsgesetzen Regelungen
über Schadensersatz zu treffen (BVerfGE 45, 297 [338 ff.]). Ein Land kann sich auch nicht dagegen wehren,
dass sein Landesrecht durch den Bund mit einer Kriminalstrafe bewehrt wird, weil dadurch seine Kompetenz
zur inhaltlichen Ausgestaltung des so geschützten Landesrechts nicht beeinträchtigt wird und erst recht nicht
ausgehöhlt werden kann (BVerfGE 13, 367 [373]).
Brunn - Kapitel C.V.1.
Seite 142
V. Die ausschließliche Gesetzgebung (Art. 71 und 73 GG)
1.
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Auswärtige Angelegenheiten (Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG) . . . . . . . . . . . . .
a) Auslandsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Rundfunk für das Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wehrpflicht (Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Zulässigkeit einer “Freiwilligenarmee“ . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Spezieller Sachbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bundesstaatsangehörigkeit (Art. 73 Abs. 1 Nr. 2 GG) . . . . . . . . . . . . .
Freizügigkeit, Passwesen, Ein- und Auswanderung sowie Auslieferung (Art. 73 Abs. 1 Nr. 3
GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Währungs- und Geldwesen (Art. 73 Abs. 1 Nr. 4 GG) . . . . . . . . . . . . .
Einheit des Zoll- und Handelsgebiets u.a. (Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG) . . . . . . . .
Luftverkehr (Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bundeseisenbahnen (Art. 73 Abs. 1 Nr. 6a GG) . . . . . . . . . . . . . . .
Postwesen und Telekommunikation (Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG) . . . . . . . . . .
a) Telekommunikation im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Telekommunikation im Speziellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes stehenden Personen (Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG)
Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht und Verlagsrecht (Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 GG) . .
Terrorismusabwehr (Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 a GG) . . . . . . . . . . . . . . .
Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Belangen der Sicherheit - Kriminalpolizei,
Verfassungsschutz, Bestrebungen mit Auslandsbezug - (Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG) . . .
a) “Zusammenarbeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Zusammenarbeit “über Kreuz“
14.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
bb) “Kriminalpolizei“ . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Staatenübergreifende Verbrechensbekämpfung . .
Statistik für Bundeszwecke (Art. 73 Abs. 1 Nr. 11 GG) .
a) Verbleibende Länderkompetenzen . . . . . . .
b) Erfassung von inneren Tatsachen und Meinungen .
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Den schärfsten Gegensatz zum zuvor beschriebenen Grundsatz der Länderkompetenz stellt die ausschließliche Bundesgesetzgebung dar. Sie ist in den Artikeln 71 und 73 GG geregelt. In der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts hat die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes - soweit ersichtlich - keine besonderen Schwierigkeiten bereitet; die relativ größten Probleme sind dort aufgetreten, wo es darum ging, ob
von einer einwandfrei gegebenen Gesetzgebungskompetenz des Bundes auch umgriffen ist, Regelungen zu
treffen über die damit zusammenhängende Gefahrenabwehr (die traditionell den Ländern vorbehalten ist).
1. Auswärtige Angelegenheiten (Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG)
Nicht alle Tatbestände mit Auslandsbezug zählen zu den auswärtigen Angelegenheiten. Darunter sind nur
diejenigen Fragen zu verstehen, die für das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten
oder zwischenstaatlichen Einrichtungen Bedeutung haben (BVerfGE 100, 313 [368 f.]); mit anderen Worten sind auswärtige Angelegenheiten (nur) die Beziehungen, die sich aus der Stellung der Bundesrepublik
Deutschland als Völkerrechtssubjekt zu anderen Staaten ergeben (BVerfGE 33, 52 [60]).
a) Auslandsaufklärung
Deswegen hat der Bund zwar die Kompetenz zur Regelung der Erfassung, Verwertung und Weitergabe von
Telekommunikationsdaten durch den Bundesnachrichtendienst, aber der Bundesgesetzgeber ist nicht dazu
befugt, dem Bundesnachrichtendienst Befugnisse einzuräumen, die auf die Verhinderung oder Verfolgung
von Straftaten als solche gerichtet sind (BVerfGE 100, 313 [314 sowie LS]).
Mit anderen Worten müssen Regelungen in einen Regelungs- und Verwendungszusammenhang eingebettet
sein, der auf die Auslandsaufklärung bezogen ist und der politischen Information der Bundesregierung dient
(BVerfGE 133, 277 [319]).
Brunn - Kapitel C.V.7.
Seite 143
b) Rundfunk für das Ausland
Letztlich ungeklärt ist, ob es dem Bund gestattet ist, umfassende Regelungen für solche Rundfunksendungen
zu erlassen, die für das Ausland oder für Deutsche bestimmt sind, welche außerhalb der Bundesrepublik
Deutschland wohnen (vgl. BVerfGE 12, 205 [241 f.]).
2. Wehrpflicht (Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG)
Die - derzeit ausgesetzte - allgemeine Wehrpflicht verstößt als solche weder gegen die Menschenwürde noch
sonst gegen die Grundlagen des verfassungsrechtlichen Wertsystems (BVerfGE 12, 45 [50 ff.]).
a) Zulässigkeit einer “Freiwilligenarmee“
Militärische Landesverteidigung kann aber verfassungsrechtlich unbedenklich auch durch eine Freiwilligenarmee sichergestellt werden (BVerfGE 48, 127 [160 f.]).
b) Spezieller Sachbereich
Die Gesetzgebungsbefugnis für die Verteidigung ist gegenüber anderen Kompetenzen für die Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts
stehenden Personen die speziellere (BVerfGE 62, 354 [367]); deswegen gehört(e) das Dienstrecht der Zivildienstleistenden ebenfalls zu dem speziellen Sachbereich des Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG (a.a.O. [368]).
3. Bundesstaatsangehörigkeit (Art. 73 Abs. 1 Nr. 2 GG)
Diese Kompetenz wirft als solche keine ersichtlichen Schwierigkeiten auf; ob jedoch Regelungen der Voraussetzungen für Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit und damit auch der Kriterien, nach denen sich
die Zugehörigkeit zum Staatsvolk (nachfolgend D.III.2. (vgl. S. 225) ) bestimmt (BVerfGE 83, 37 [52]),
die Grenzen einhalten, die andere Verfassungsbestimmungen stecken, kann äußerst fraglich sein (vgl. im
Einzelnen E.XV.1. (vgl. S. 666) zu Art. 16 Abs. 1 GG).
4. Freizügigkeit, Passwesen, Ein- und Auswanderung sowie Auslieferung (Art. 73
Abs. 1 Nr. 3 GG)
Ähnlich verhält es sich mit der Kompetenz der Nr. 3; insbesondere war immer fraglich, ob überhaupt und
inwieweit Deutsche ausgeliefert werden dürfen (vgl. im Einzelnen E.XV.2. (vgl. S. 667) zu Art. 16 Abs. 2
GG).
5. Währungs- und Geldwesen (Art. 73 Abs. 1 Nr. 4 GG)
Das Währungs- und Geldwesen umfasst nicht allein die besondere institutionelle Ordnung der Geldrechnung und der in ihr gültigen Zahlungsmittel, sondern auch die tragenden Grundsätze der Währungspolitik
(BVerfGE 4, 60 [73]).
Ob sich die Erhebung eines Konjunkturzuschlages auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 4 GG stützen ließe, ist offen
geblieben (BVerfGE 29, 402 [410]; vgl. im Übrigen auch BVerfGE 89, 155 [199 ff.]).
6. Einheit des Zoll- und Handelsgebiets u.a. (Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG)
Zur ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes gehört hiernach das gesamte Zollwesen (BVerfGE 8, 260
[268 ff.]). Die Kompetenz betrifft auch alle Wareneinfuhr- und -ausfuhr-verbote (BVerfGE 110, 141 [158]);
dies betrifft auch Verbote “aus polizeilichen Gründen“ (BVerfGE 33, 52 [61 ff., 64]; vgl. auch BVerfGE 110,
33 [48] für auf den Außenwirtschaftsverkehr bezogene präventiv-polizeiliche Maßnahmen).
Brunn - Kapitel C.V.10.
Seite 144
Ob auch Filme “Waren“ im Sinne des Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG sind (so BVerfGE 33, 52 [60 ff.]), kann mit
guten Gründen verneint werden (BVerfGE 33, 52 [78, 79] abweichende Meinung).
7. Luftverkehr (Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG)
Die Gesetzgebungszuständigkeit für den Luftverkehr umfasst auch die Befugnis, Regelungen zur Abwehr
solcher Gefahren zu treffen, die gerade aus dem Luftverkehr herrühren. Allerdings bedarf - hier wie auch
ansonsten - die Notwendigkeit des Zusammenhangs zwischen einer dem Bund zugewiesenen Regelungskompetenz für ein bestimmtes Sachgebiet und einschlägigen Regelungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit
und Ordnung strenger Prüfung (BVerfGE 132, 1 [6]; vgl. auch BVerfGE 133, 241 [261]).
8. Bundeseisenbahnen (Art. 73 Abs. 1 Nr. 6a GG)
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Bundeseisenbahnen umfasst (auch) die Befugnis, die Planfeststellung für den Bau und die Veränderung des an einer Kreuzung mit einem Schienenweg der Bundesbahn
beteiligten Stückes einer Straße sowie das Verwaltungsverfahren dieser Planfeststellung zu regeln (BVerfGE
26, 338 [369]). Wie bei allen anderen ausschließlichen Bundeskompetenzen darf der Bund hiervon nur in Einklang mit den übrigen Bestimmungen des Grundgesetzes Gebrauch machen. Deshalb kann es rechtswidrig
sein, dass einem Land Ausgaben für die Wahrung einer Bundesaufgabe auferlegt werden, wie es etwa die
Beseitigung, Entlastung oder Veränderung eines Bahnübergangs der Fall sein kann (a.a.O. [389 f.]).
Auch hier schließt die Kompetenzvorschrift auch die Regelungen über die traditionell dem Bund zukommende
Aufgabe der Abwehr von konkreten Gefahren für die Sicherheit und Ordnung auf den Bahnanlagen der
Eisenbahnen des Bundes mit ein (BVerfGE 97, 198 [221]).
9. Postwesen und Telekommunikation (Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG)
Die in der Vergangenheit äußerst wichtige Frage der Kompetenz im Rundfunkwesen ist in der sog. Rundfunkentscheidung (BVerfGE 12, 205) beantwortet worden in dem Sinne, dass Art. 73 Abs. 1 Nr. GG dem
Bund nicht die Befugnis gibt, die Organisation der Veranstaltung und die der Veranstalter von Rundfunksendungen zu regeln (vgl. auch BVerfGE 114, 371 [385] und BVerfGE 121, 30 [46]).
a) Telekommunikation im Allgemeinen
In der unmittelbaren Vergangenheit und der Gegenwart ist die Telekommunikation in den Vordergrund
gerückt; diese Kompetenz betrifft die technische Seite der Errichtung einer Telekommunikations-Infrastruktur
und der Informationsübermittlung, nicht aber Regelungen, die auf die übermittelten Inhalte oder die Art
der Nutzung der Telekommunikation ausgerichtet sind (BVerfGE 113, 348 [368]).
b) Telekommunikation im Speziellen
Was speziell die Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten anbelangt, so berechtigt die Kompetenznorm auch zur Anordnung einer Verpflichtung zur Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten
seitens der Anbieter öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste; untrennbarer Bestandteil der Anordnung dieser Speicherverpflichtung ist dann auch die verfassungsrechtlich gebotene Gewährleistung der
Sicherheit der gespeicherten Daten, ihrer Übermittlung sowie hierbei die Gewährleistung des Schutzes besonderer Vertrauensbeziehungen der Kommunikationsteilnehmer (BVerfGE 125, 260 [314 f., 344 ff.]).
10. Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes stehenden Personen (Art. 73
Abs. 1 Nr. 8 GG)
Wie bereits erwähnt (vorstehend 2.), werden von Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG nicht erfasst Regelungen
hinsichtlich sämtlicher Angehörigen der Bundeswehr (und der Zivildienstleistenden; vgl. BVerfGE 62, 354
[367]). Gleichfalls nicht erfasst wird das Arbeitsrecht für die Angestellten und Arbeiter des öffentlichen
Dienstes (BVerfGE 51, 43 [55 f.]).
Brunn - Kapitel C.V.13.
Seite 145
Unmittelbar gegen den Staat gerichtete Ansprüche werden im Rahmen der Staatshaftung und nicht nach
Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG geregelt (BVerfGE 61, 149 [155 ff.]).
Das Recht über die Personalvertretungen im öffentlichen Dienst bildet einen Teil des öffentlichen Dienstrechts
(BVerfGE 7, 120 [127]).
11. Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht und Verlagsrecht (Art. 73 Abs. 1 Nr.
9 GG)
Im Vordergrund stehen bei diesem Kompetenztitel der Schutz des geistigen Eigentums (die in einem Werk
verkörperte geistige Leistung; vgl. BVerfGE 49, 382 [392]) sowie der lautere Wettbewerb (vgl. BVerfGE 32,
311 [319]).
Die Ablieferungspflicht von Pflichtexemplaren zählt nicht zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 GG (BVerfGE 58, 137 [145
f.]).
12. Terrorismusabwehr (Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 a GG)
Gegen die Gesetzgebungskompetenz und die Übertragung der Aufgaben an das BKA ist weder unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr (Straftatenverhütung) noch der Verwaltungskompetenz verfassungsrechtlich
etwas zu erinnern (BVerfGE 141, 220 [263 f.]).
Man wird davon ausgehen müssen, dass diese Form der Straftatenverhütung kompetenzrechtlich eine
Spezialregelung darstellt, welche sich (zumindest) nicht ohne weiteres auf die “allgemeine“ Gefahrenabwehr
(beinhaltend auch Straftatenverhütung) übertragen lässt.
13. Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Belangen der Sicherheit Kriminalpolizei, Verfassungsschutz, Bestrebungen mit Auslandsbezug - (Art. 73
Abs. 1 Nr. 10 GG)
Der Schlüsselbegriff von Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG ist derjenige der “Zusammenarbeit“; er darf bei der
Auslegung der Bestimmung nicht aus den Augen verloren werden, was aber geschähe, wenn man die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz etwa auf den Bereich des Verfassungsschutzes allgemein ausdehnen
würde (BVerfGE 113, 63 [79]). Insoweit bleibt es für den Bereich des Landesverfassungsschutzes bei der
Gesetzgebungskompetenz der Länder.
a) “Zusammenarbeit“
Zusammenarbeit ist eine auf Dauer angelegte Form der Kooperation, die die laufende gegenseitige Unterrichtung und Auskunftserteilung, die wechselseitige Beratung sowie gegenseitige Unterstützung und Hilfeleistung
in den Grenzen der je eigenen Befugnisse umfasst und funktionelle und organisatorische Verbindungen, gemeinschaftliche Einrichtungen und gemeinsame Informationssysteme erlaubt (BVerfGE 133, 277 [317 f.]).
aa) Zusammenarbeit “über Kreuz“
Entgegen einer lange vorherrschenden Auffassung darf eine Zusammenarbeit zwischen den benannten Institutionen auch gewissermaßen “über Kreuz“ erfolgen. Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG erlaubt auch fachübergreifende
Regelungen und will eine Effektivierung der Zusammenarbeit der verschiedenen Sicherheitsbehörden über
föderale Kompetenzgrenzen hinweg ermöglichen (BVerfGE 133, 277 [318]).
bb) “Kriminalpolizei“
Der Begriff “Kriminalpolizei“ schließt nicht aus, dass der Bund eine Zusammenarbeit auch zur Verhinderung
von Straftaten regeln kann, sondern dient lediglich der Beschränkung auf Regelungen, die sich auf bedeutsame
Straftaten von Gewicht beziehen (BVerGE 133, 277 [318]).
Brunn - Kapitel C.VI.0.
Seite 146
b) Staatenübergreifende Verbrechensbekämpfung
Schließlich ist der Bundesgesetzgeber auch befugt, die staatenübergreifende (internationale) Verbrechensbekämpfung gesetzlich zu regeln (BVerfGE 100, 313 [369]).
14. Statistik für Bundeszwecke (Art. 73 Abs. 1 Nr. 11 GG)
Die Statistik hat erhebliche Bedeutung für eine staatliche Politik. Ist die Kenntnis der relevanten Daten
und die Möglichkeit, die durch sie vermittelten Informationen mit Hilfe der Chancen, die eine automatische
Datenverarbeitung bietet, für die Statistik zu nutzen, schafft die für eine am Sozialstaatsprinzip orientierte
staatliche Politik unentbehrliche Handlungsgrundlage (BVerfGE 65, 1 [47]).
a) Verbleibende Länderkompetenzen
Der Bund hat die Zuständigkeit jedoch nur, wenn er die Statistik zur Bewältigung einer Bundesaufgabe
benötigt; andernfalls sind die Länder zuständig (BVerfGE 8, 104 [119]).
b) Erfassung von inneren Tatsachen und Meinungen
Nicht von vornherein ausgeschlossen ist es, dass bei der Erhebung auch innere Tatsachen und Vorgänge sowie
politische Wertungen und Meinungen der Bürger ermittelt werden (BVerfGE 8, 104 [111]).
Umso mehr ist eine Abschottung der Statistik geboten (BVerfGE 65, 1 [50]).
VI. Konkurrierende Gesetzgebung des Bundes (Art. 72 und Art. 74 GG)
1.
Überkommene Regeln zum Gebrauchmachen einer Kompetenz durch den Bund (Art. 72 Abs.
1 GG)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
147
a)
147
Die Erfüllung des Tatbestandes des Gebrauchmachens
. . . . . . . . . . .
aa) Pflicht zur Verlautbarung der Absicht des Gebrauchmachens . . . . . . . . . . .
148
bb) Umfassende Regelung eines Sachbereichs als Kriterium . . . . . . . . . . . . . .
148
(1) Unvollständige Normen und “Lückenfüllungen“
. . . . . . . . . . . . . . . .
148
(2) Inanspruchnahme von Steuergegenständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148
cc) “Absichtsvolles Unterlassen“ (auch von Teilregelungen) als Gebrauchmachen . .
148
(1) “Beginn“ einer umfassenden Regelung
(2) Entschiedene Einzelfälle
b)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148
Die Folgen eines (zulässigen) Gebrauchmachens . . . . . . . . . . . . . .
aa) Sperrwirkung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) Regelmäßig keine Sperrwirkung eines nichtigen Gesetzes
149
149
. . . . . . . . . . .
149
. . . . . . . . . . . . . . . .
149
. . . . . . . . . . . . . . . . .
149
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149
(2) Rücknahme einer Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149
(2) Entschiedene Kollisionen mit Landesregelungen
bb) Ausnahme der Vorbehalte zugunsten der Länder
(1) “Unberührt-Bleiben“ von Landesrecht
Brunn - Kapitel C.VI.1.
2.
Seite 147
Neuere Regeln über die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung als Folge von Verfassungsänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . .
aa) Bedrohung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . .
(1) Bedrohung und Prognoseentscheidung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(2) Eingetretene oder drohende Überschreitung einer “Bandbreite“ unterschiedlicher Lebensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b)
bb) Keine Bundeskompetenz bei “ausreichenden“ Länderregelungen . . . . . . . . .
Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit . . . . . . . . . . . . . .
aa) Gemeinsames und Unterschiede in den Schwerpunkten
bb) Rechtseinheit
150
150
150
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151
. . . . . . . . . . .
151
(2) Erbschaftsteuerrecht als anerkennungswürdiges Beispiel . . . . . . . . . . . .
151
cc) Wirtschaftseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Beurteilung der Erforderlichkeit durch den Bundesgesetzgeber . . . . . . .
Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und verfassungsgerichtliche Überprüfung von
vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Tatsachen . . . . . . . . . . .
152
aa) Vergangene und gegenwärtige Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
152
bb) Zukünftige Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
152
. . . . . . . . . . . . . . . . .
(2) Erfordernis des angemessenen Prognoseverfahrens . . . . . . . . . . . . . . .
Einzelfälle, in denen die Voraussetzungen der Erforderlichkeit in jüngerer Zeit verneint
bzw. bejaht worden sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Verneinte Erforderlichkeit
3.
4.
150
151
(1) Erfordernis der ausreichenden Tatsachenbasis
e)
150
. . . . . . . . . . . . . .
(1) Vermeidung der Rechtszersplitterung als Rechtfertigung
c)
d)
150
150
151
151
152
152
152
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
153
bb) Bejahte Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Abweichende Regelungen durch die Länder (Art. 72 Abs. 3 GG) . . . . . . . . .
Freigaben sowie Ersetzungen durch Landesrecht (Art. 72 Abs. 4 und Art. 125 a Abs. 2 GG)
a) “Freigabe“ und “Ersetzung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
153
153
153
153
aa) Ersetzung als Regelung in eigener Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . .
153
bb) Verbot einer “Blockade“ durch den Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wahl zwischen “Modifizierung“ des Bundesrechts und Freigabe . . . . . . . .
“Mischfälle“
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
153
154
154
b)
c)
Materienübergreifend gilt bezüglich der Ausübung einer Gesetzgebungskompetenz - sei es durch den Bund,
sei es durch ein Land -, dass sich aus dem “Gebot wechselseitiger bundesstaatlicher Rücksichtnahme“ verfassungsrechtliche Grenzen ergeben können (BVerfGE 138, 261 [278]).
1. Überkommene Regeln zum Gebrauchmachen einer Kompetenz durch den Bund
(Art. 72 Abs. 1 GG)
Oft ist es vorgekommen, dass das Bundesverfassungsgericht eine (fehlende) Länderkompetenz gewissermaßen
als “Vorfrage“ der Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde eines Bürgers gegen ein belastendes Landesgesetz zu beurteilen hatte (vgl. etwa das Verfahren BVerfGE 138, 261); allerdings hat auch der Bund Anträge
gegen einzelne Länder gerichtet mit dem Ziel der Nichtigerklärung von entsprechendem Landesrecht.
a) Die Erfüllung des Tatbestandes des Gebrauchmachens
Unter “Gebrauchmachen“ ist eine erschöpfende materielle Regelung zu verstehen (BVerfGE 18, 407 [417];
vgl. auch BVerfGE 136, 194 [267 f.] “abschließender Charakter“ sowie BVerfGE 138, 261 [280]).
Brunn - Kapitel C.VI.1.
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aa) Pflicht zur Verlautbarung der Absicht des Gebrauchmachens
Beabsichtigt der Bundesgesetzgeber, eine solche erschöpfende materielle Regelung zu treffen, so muss er dies
in erster Linie in dem Bundesgesetz selbst zum Ausdruck bringen; ergänzend ist die Absicht in dem dem
Gesetz eigenen Regelungszweck, in der Gesetzgebungsgeschichte und in den Gesetzgebungsmaterialien zum
Ausdruck zu bringen (BVerfGE 98, 265 [300 f.]; vgl. auch BVerfGE 138, 261 [280] “hinreichend erkennbar“).
Oft ergibt aber die Auslegung, dass der Bundesgesetzgeber gerade keine abschließende Regelung bezweckte
(subjektive Sicht des Gesetzgebers) und/oder “objektiv“ (eindeutig) als abschließend zu verstehen war/ist
(BVerfGE 138, 261 [281]), etwa weil sich der Gesetzgeber “schlicht keine Gedanken machen musste“ (a.a.O.;
dort auch - unter Hinweis auf BVerfGE 109, 190 [235] - zur unzulässigen nachträglichen Umdeutung).
bb) Umfassende Regelung eines Sachbereichs als Kriterium
Maßgeblich ist, ob ein bestimmter Sachbereich tatsächlich umfassend und lückenlos geregelt ist (BVerfGE
102, 99 [114 f.]).
(1) Unvollständige Normen und “Lückenfüllungen“
Eine “unvollständige“ Norm beispielsweise stellt keine solche erschöpfende und lückenlose Regelung dar
(BVerfGE 18, 407 [417]), was aber nicht mit dem Fall verwechselt werden darf, dass der Gesetzgeber eine
erkannte (verfassungsrechtlich problematische) Lücke schließen will: die lückenfüllende Regelung kann
regelmäßig kompetenzrechtlich nicht anders bewertet werden als das lückenhafte Gesetz (BVerfGE 134, 33
[58]).
(2) Inanspruchnahme von Steuergegenständen
Zwar bedeutet in aller Regel die Inanspruchnahme eines Steuergegenstandes durch den Bundesgesetzgeber
eine erschöpfende Regelung im Hinblick auf diesen Steuergegenstand; einen Tatbestand, an den ein Bundesgesetz bereits eine Steuer geknüpft hat, kann der Landesgesetzgeber daher nicht mehr mit einer gleichartigen
Steuer belegen (BVerfGE 7, 244 [258 f.]).
Fehl ginge aber die Auffassung, dass die Regelung einer Steuermaterie ganz allgemein die Vermutung der
erschöpfenden Regelung des gesamten Steuergebietes bedeuten soll; die bundesrechtliche Inanspruchnahme
eines Steuergegenstandes bedeutet lediglich hinsichtlich dieses konkreten Steuergegenstandes eine erschöpfende und abschließende Regelung (BVerfGE 49, 343 [357 f.]).
cc) “Absichtsvolles Unterlassen“ (auch von Teilregelungen) als Gebrauchmachen
Von einer Kompetenz macht der Bund - wie vorstehend (3.b)bb)) angedeutet - nicht nur dann Gebrauch,
wenn er eine positive Regelung getroffen hat; vielmehr kann auch das absichtsvolle Unterlassen einer Regelung
eine Sperrwirkung für die Länder erzeugen (BVerfGE 113, 348 [371] sowie BVerfGE 138, 261 [280]).
(1) “Beginn“ einer umfassenden Regelung
Auch kann es als erschöpfendes Gebrauchmachen bewertet werden, wenn der Bundesgesetzgeber begonnen
hat, von seinem Recht zur Gesetzgebung auf einem abgrenzbaren Gebiet umfassend Gebrauch zu machen
(BVerfGE 34, 9 [28]).
(2) Entschiedene Einzelfälle
Beispielsfälle für - teils erschöpfendes, teils nicht erschöpfendes - Gebrauchmachen sind Regelungen der
Verwaltungsgerichtsordnung (BVerfGE 83, 24 [30]), des strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts der
Presseangehörigen (BVerfGE 36, 193 [210]) sowie des Ausschlusses weiterer Beschwerden gemäß § 310 StPO
(BVerfGE 48, 367 [376]).
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b) Die Folgen eines (zulässigen) Gebrauchmachens
Regelmäßig ist insoweit die Nichtigkeit von Landesrecht die (oft für das betroffene Land sehr verhängnisvolle,
weil kaum sinnvoll wiedergutzumachende) Folge (BVerfGE 138, 261 [283 f.] für Nichtigkeit bereits erlassenen
Landesrechts).
aa) Sperrwirkung
Ein erlassenes Bundesgesetz schafft eine Sperrwirkung für die Länder (BVerfGE 1, 283 [296]), und zwar
unabhängig davon, ob landesrechtliche Regelungen den bundesrechtlichen Bestimmungen widerstreiten oder
sie nur ergänzen, ohne ihnen sachlich zu widersprechen (BVerfGE 102, 99 [115]).
Eine Sperrwirkung ist regelmäßig zeitlich und sachlich begrenzt . Maßgeblich für die Bestimmung ihrer
Reichweite sind (die gesetzliche Regelung selbst und) der Regelungszweck sowie die Gesetzgebungsgeschichte
(BVerfGE 138, 261 [280 f.]; dort auch zum Verbot einer “Nachbesserung“ einer Bundesregelung durch die
Länder).
Auch Recht, das nach Art. 125 GG Bundesrecht geworden ist, entfaltet die Sperrwirkung (BVerfGE 58, 45
[60 f.]).
(1) Regelmäßig keine Sperrwirkung eines nichtigen Gesetzes
Freilich kann ein vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärtes Bundesgesetz die Sperrwirkung nicht
auslösen, weil die Feststellung der Nichtigkeit ex tunc wirkt (BVerfGE 7, 377 [387]).
(2) Entschiedene Kollisionen mit Landesregelungen
Ist ein erschöpfendes Bundesgesetz verkündet, aber noch nicht in Kraft getreten, so führt auch dieser Umstand bereits zur Nichtigkeit eines nach dem Zeitpunkt der Verkündung erlassenen Landesgesetzes (BVerfGE
36, 342 [363 f.]).
Eine spätere Beseitigung einer Sperre kann landesrechtlichen Vorschriften nicht zur Gültigkeit verhelfen, die
schon vorher erlassen worden sind; Recht, das der Landesgesetzgeber ohne Kompetenz gesetzt hat, ist von
Anfang an nichtig und kann nicht wieder aufleben (BVerfGE 29, 1 [17]).
Nichts anderes gilt sogar dann, wenn ein Landesgesetzgeber eine Bundesregelung - zu Recht - für offensichtlich
verfassungswidrig gehalten hat, was später vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden ist (BVerfGE 98,
265 [320 ff.]; vgl. aber die beachtlichen Gründe der abweichenden Meinung: BVerfGE 98, 265 [329, 352 f.]).
Lässt sich eine erschöpfende Bundesregelung nicht feststellen, so sind die Länder nicht verpflichtet, eine
“Homogenitätspflicht“ zu wahren (BVerfGE 49, 343 [359]).
bb) Ausnahme der Vorbehalte zugunsten der Länder
Auch bei einer “hinreichend erkennbaren“ (BVerfGE 113, 348 [372]) umfassenden und erschöpfenden Regelung durch den Bund sind landesrechtliche Regelungen insoweit zulässig, als das Bundesrecht Vorbehalte
(“Regelungsvorbehalt“; vgl. die Nachweise in der abweichenden Meinung BVerfGE 138, 261 [289, 291]) zugunsten der Landesgesetzgebung enthält (BVerfGE 20, 238 [251]; vgl. auch BVerfGE 109, 190 [234] sowie
BVerfGE 136, 194 [268] für eine ausdrücklich nicht abschließende Regelung).
(1) “Unberührt-Bleiben“ von Landesrecht
Bestimmt der Bundesgesetzgeber, dass bestimmte landesrechtliche Vorschriften “unberührt bleiben“, so kann
der Landesgesetzgeber dieses in Kraft bleibende Landesrecht abändern (BVerfGE 132, 372 [387]; grundlegend
BVerfGE 7, 120 [124]).
(2) Rücknahme einer Ermächtigung
Die Rücknahme einer den Landesgesetzgebern erteilten Ermächtigung setzt in der Regel eine ausdrückliche
Verlautbarung voraus (BVerfGE 60, 135 [161]).
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2. Neuere Regeln über die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung als
Folge von Verfassungsänderungen
In früheren Fassungen des Art. 72 GG war für alle Materien der konkurrierenden Gesetzgebung ein Erforderlichkeitszusammenhang (“Bedürfnis“) auszumachen (ausführlich BVerfGE 106, 62 [137 ff.]).
Aus dem Umstand, dass in Art. 72 Abs. 2 GG nunmehr ein Erforderlichkeitserfordernis nur für bestimmte
Materien der konkurrierenden Gesetzgebung aufgestellt wird, wird man zwingend schließen müssen, dass es
für die verbleibende “Kernkompetenz“ keine Erforderlichkeitsmerkmale mehr gibt (vgl. BVerfGE 138, 261
[279]).
Die folgende Darstellung betrifft daher nur die ausdrücklich in Abs. 2 geregelten Materien:
a) Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse
Eine Bestimmung ist zur “Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ nicht schon dann erforderlich, wenn
es nur um das Inkraftsetzen bundeseinheitlicher Regelungen oder um eine allgemeine Verbesserung der
Lebensverhältnisse geht.
aa) Bedrohung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse
Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist aber dann bereits nicht mehr gegeben oder bedroht und
der Bund zum Eingreifen ermächtigt, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet.
(1) Bedrohung und Prognoseentscheidung
Ein rechtfertigendes besonderes Interesse an einer bundesgesetzlichen Regelung kann mithin dann bestehen,
wenn sich abzeichnet - nachfolgend d) zum Spielraum des Gesetzgebers -, dass Regelungen in einzelnen
Ländern aufgrund ihrer Mängel zu einer mit der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse unvereinbaren
Benachteiligung der Einwohner dieser Länder führen und diese deutlich schlechter stellen als die Einwohner
anderer Länder (BVerfGE 140, 65 [80]).
(2) Eingetretene oder drohende Überschreitung einer “Bandbreite“ unterschiedlicher Lebensverhältnisse
Mit anderen Worten muss entweder die in der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes angelegte
Bandbreite unterschiedlicher Lebensverhältnisse überschritten sein (BVerfGE 112, 226 [247 f.]).
Oder es müssen die vorhersehbaren Einbußen in den Lebensverhältnissen von den betroffenen Ländern
durch eigenständige Maßnahmen entweder gar nicht oder nur durch mit den anderen Ländern abgestimmte
Regelungen bewältigt werden können (a.a.O. [248]).
bb) Keine Bundeskompetenz bei “ausreichenden“ Länderregelungen
Deshalb hat der Bund kein Recht zur Gesetzgebung, wenn landesrechtliche Regelungen zum Schutz der
in Art. 72 Abs. 2 GG genannten gesamtstaatlichen Rechtsgüter ausreichen; dabei genügt allerdings nicht
jede theoretische Handlungsmöglichkeit der Länder (BVerfGE 125, 141 [154]; im Übrigen gelten für die
Steuergesetzgebungskompetenzen nach Art. 105 Abs. 2 GG dieselben Voraussetzungen der Erforderlichkeit
einer bundesgesetzlichen Regelung: a.a.O. [154 f.]).
b) Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit
Allgemein gilt, dass eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich ist, wenn und soweit die mit ihr erzielbare Einheitlichkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik als Ganzem/r ist (BVerfGE 135, 155 [204]; vgl. auch BVerfGE 136, 69 [117]
sowie BVerfGE 136, 194 [241 ff.]).
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aa) Gemeinsames und Unterschiede in den Schwerpunkten
Die Gesichtspunkte der Wahrung der Rechts- und der Wirtschaftseinheit können sich überschneiden, weisen
aber unterschiedliche Schwerpunkte auf. Während die Wahrung der Rechtseinheit in erster Linie auf die
Vermeidung einer das Zusammenleben erheblich erschwerenden Rechtszersplitterung zielt, geht es bei der
Wahrung der Wirtschaftseinheit im Schwerpunkt darum, Schranken und Hindernisse für den wirtschaftlichen
Verkehr im Bundesgebiet zu beseitigen. Das Merkmal der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung
zur Erreichung der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Zwecke wird durch den Bezug auf das “gesamtstaatliche
Interesse“ in besonderer Weise geprägt.
Die Regelung durch Bundesgesetz muss danach nicht unerlässlich für die Rechts- oder Wirtschaftseinheit in
dem normierten Bereich sein. Es genügt vielmehr, dass der Bundesgesetzgeber anderenfalls nicht unerheblich
problematische Entwicklungen in Bezug auf die Rechts- oder Wirtschaftseinheit erwarten darf (BVerfGE 138,
136 [176 f.] sowie BVerfGE 140, 65 [87 f.]).
bb) Rechtseinheit
Was zunächst speziell die Wahrung der Rechtseinheit anbelangt, so können einheitliche Rechtsregeln erforderlich werden, wenn eine unterschiedliche rechtliche Behandlung desselben Lebenssachverhalts unter
Umständen erhebliche Rechtsunsicherheit und damit unzumutbare Behinderungen für den länderübergreifenden Rechtsverkehr erzeugen kann (BVerfGE 111, 226 [253 f.]).
(1) Vermeidung der Rechtszersplitterung als Rechtfertigung
Mit anderen Worten ist eine bundesgesetzliche Regelung zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich, wenn
und soweit die mit ihr erzielbare Einheitlichkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen Voraussetzung für die
Vermeidung einer Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen ist, die im Interesse sowohl des Bundes
als auch der Länder nicht hingenommen werden kann (BVerfGE 140, 65 [87]).
(2) Erbschaftsteuerrecht als anerkennungswürdiges Beispiel
Der Bundesgesetzgeber durfte davon ausgehen, dass eine nicht hinnehmbare Rechtszersplitterung mit nicht
unerheblichen Nachteilen und Erschwernissen für Erblasser und Erwerber betrieblichen Vermögens wie auch
für die Finanzverwaltung zu befürchten wäre, bliebe es den Ländern überlassen, ob, in welchem Umfang und
in welcher Ausgestaltung im Einzelnen sie Regeln für beispielsweise die erbschaftsrechtliche Begünstigung
des Betriebsübergangs schaffen wollen (BVerfGE 138, 136 [178]).
cc) Wirtschaftseinheit
Was sodann speziell die Wahrung der Wirtschaftseinheit anbelangt, so liegt sie im gesamtstaatlichen Interesse, wenn es um die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik durch
bundeseinheitliche Rechtsetzung geht.
Der Erlass von Bundesgesetzen zur Wahrung der Wirtschaftseinheit steht dann im gesamtstaatlichen, also
im gemeinsamen Interesse von Bund und Ländern, wenn uneinheitliche Landesregelungen oder Untätigkeiten
der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich bringen (BVerfGE 106, 62 [147]; vgl. auch
BVerfGE 140, 65 [87 f.]).
c) Die Beurteilung der Erforderlichkeit durch den Bundesgesetzgeber
Die Merkmale des Art. 72 Abs. 2 GG sind unbestimmte Gesetzesbegriffe (BVerfGE 106, 62 [148]).
Deshalb besteht zwar kein freier gesetzgeberischer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Voraussetzungen
des Art. 72 Abs. 2 GG. Weil es aber zumeist (auch) um die methodisch unsichere Abschätzung zukünftiger
Entwicklungen geht (ausführlich nachfolgend d)), braucht sich der Gesetzgeber kein “Tauglichkeitsoptimum“
vorzunehmen; es genügt vielmehr, wenn nach seiner Einschätzung mit Hilfe des Gesetzes der gewünschte
Erfolg befördert werden kann (BVerfGE 106, 62 [149]).
Die verfassungsrechtliche Beurteilung hängt von der objektiven Rechtfertigungsfähigkeit der Einschätzung
des Gesetzgebers ab (BVerfGE 135, 155 [204]).
Brunn - Kapitel C.VI.2.
Seite 152
d) Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und verfassungsgerichtliche
Überprüfung von vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Tatsachen
Die gerichtliche Kontrolle der Auslegung der Merkmale des Art. 72 Abs. 2 GG (zusammenfassend BVerfGE
138, 136 [176 f.] für Steuergesetze sowie BVerfGE 140, 65 [94 ff.]) ist umfassend; sie geht über eine bloße
Vertretbarkeitskontrolle hinaus (BVerfGE 106, 62 [148]).
Dabei bezieht sich der erste Prüfungsschritt auf die Frage, ob eine Regelung des Bundesgesetzgebers zum
Schutz der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter zulässig ist (“wenn ... erforderlich“); im zweiten
Schritt ist das Ausmaß der Eingriffsbefugnis (“soweit ... erforderlich“) festzustellen (BVerfGE 125, 141 [154]).
Immer muss berücksichtigt werden, dass Art. 72 Abs. 2 GG den Bund auf den geringstmöglichen Eingriff
in das Gesetzgebungsrecht verweist.
“Erforderlich“ ist die bundesgesetzliche Regelung nur insoweit, als ohne sie die vom Gesetzgeber für sein
Tätigwerden im konkret zu regelnden Bereich in Anspruch genommene Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG
nicht oder nicht hinlänglich erreicht werden kann (BVerfGE 106, 62 [149]).
aa) Vergangene und gegenwärtige Tatsachen
Soweit es (zur Kontrolle des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG) der Feststellung vergangener und/oder gegenwärtiger Tatsachen bedarf, überprüft das Bundesverfassungsgericht insoweit uneingeschränkt (BVerfGE 106, 62 [150]).
Selbst eine fehlerhafte Tatsachenfeststellung des Gesetzgebers führt indessen nicht zum Verdikt der Verfassungswidrigkeit, wenn andere, zutreffende Erwägungen zu seiner Begründung herangezogen werden können
(BVerfGE 111, 226 [254]).
bb) Zukünftige Tatsachen
Entsprechendes gilt für Tatsachenfeststellungen, die als Grundlage prognostischer Entscheidungen dienen.
(1) Erfordernis der ausreichenden Tatsachenbasis
Überprüfbar ist auch insoweit vor allem, ob der Gesetzgeber seine Entscheidung auf möglichst vollständige
Ermittlungen gestützt und/oder ob er relevante Tatsachen übersehen hat (BVerfGE 106, 62 [150 f.]). Was
speziell den dem Gesetzgeber zustehenden Prognosespielraum anbelangt, so sind äußere oder vom Gesetzgeber zu vertretende Umstände wie Zeitnot oder unzureichende Beratung nicht geeignet, ihn zu erweitern
(a.a.O. [152]).
(2) Erfordernis des angemessenen Prognoseverfahrens
Die Prognose selbst muss sich methodisch auf ein angemessenes Prognoseverfahren stützen lassen, und dieses
muss konsequent verfolgt worden sein.
Das Prognoseergebnis ist daraufhin zu kontrollieren, ob die die prognostische Einschätzung tragenden
Gesichtspunkte mit hinreichender Deutlichkeit offengelegt worden sind oder ihre Offenlegung jedenfalls in
Verfahren möglich ist und ob in die Prognose keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind (BVerfGE
111, 226 [255]).
e) Einzelfälle, in denen die Voraussetzungen der Erforderlichkeit in jüngerer Zeit
verneint bzw. bejaht worden sind
Auch hier gilt selbstverständlich, dass Vollständigkeit nicht angestrebt wird.
Brunn - Kapitel C.VI.4.
Seite 153
aa) Verneinte Erforderlichkeit
Verneint worden ist die Erforderlichkeit beispielsweise für eine bundesrechtliche Regelung des Ladenschlusses
(BVerfGE 111, 10 [28 f.]), für die Einführung der Junior-Professur und Normierung von Voraussetzungen für
die Einstellung von Professoren (BVerfGE 111, 226 [265 ff.]), für den Grundsatz der Gebührenfreiheit von
Studien (BVerfGE 112, 226 [244 f.]), für eine vollständige bundeseinheitliche Regelung der Mindesthebesätze
für die Gewerbesteuer (BVerfGE 125, 141 [157 f.]) und für ein bundeseinheitliches Betreuungsgeld (BVerfGE
140, 65).
bb) Bejahte Erforderlichkeit
Bejaht worden ist die Erforderlichkeit beispielsweise für eine bundesgesetzliche Regelung des Rechts der
gesetzlichen Krankenversicherung (BVerfGE 113, 167 [198 f.]), für das Gentechnikgesetz (BVerfGE 128, 1
[34]), für die Filmförderung (BVerfGE 135, 155 [204]) sowie für das Erbschaftsteuerrecht (BVerfGE 138, 136
[176 ff.]).
3. Abweichende Regelungen durch die Länder (Art. 72 Abs. 3 GG)
Zu diesen neuen Bestimmungen, die den ebenfalls neuen Bestimmungen in Art. 84 Abs. 1 Sätze 2 bis 6 GG
(nachfolgend C.VIII.3. (vgl. S. 177) ) ähnlich sind, liegt - soweit ersichtlich - noch keine Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts vor (vgl. die abweichende Meinung BVerfGE 138, 261 [289, 293 ff.]).
4. Freigaben sowie Ersetzungen durch Landesrecht (Art. 72 Abs. 4 und Art. 125 a
Abs. 2 GG)
Der Sache nach regeln Art. 72 Abs. 4 und Art. 125 a Abs. 2 GG - bis auf den erfassten (früher oder später in
Kraft getretenen) Normenbestand - gleiche Sachverhalte; für kompetenzmäßig “ausgelaufenes“ Bundesrecht
wird eine Möglichkeit bereitgestellt, durch Bundesrecht eine Übernahme der Materie durch die Länder zu
ermöglichen.
Die (nur) in Art. 125 a GG enthaltene Bestimmung, dass das erlassene Bundesrecht als Bundesrecht fort gilt,
gilt selbstverständlich (unausgesprochen) auch für Art. 72 Abs. 4 GG, denn ein Erlöschen des Bundesrechts
ist nirgendwo bestimmt. Weil zwar von Art. 125 a Abs. 2 GG mehrfach Gebrauch gemacht worden ist,
nicht aber von Art. 72 Abs. 4 GG, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur über Art.
125 a Abs. 2 GG befunden worden (BVerfGE 135, 155 [205] sowie BVerfGE 136, 194 [241] freilich nicht
entscheidungserheblich); die nachfolgend dargestellten Erkenntnisse gelten selbstverständlich auch für Art.
72 Abs. 4 GG:
a) “Freigabe“ und “Ersetzung“
Allein eine Freigabe durch den Bund ermöglicht die Ersetzung durch eine landesrechtliche Regelung.
aa) Ersetzung als Regelung in eigener Verantwortung
Eine solche vorausgesetzte Ersetzung unterscheidet sich von einer nur teilweisen Änderung bei Fortbestand
der bundesrechtlichen Regelung. Die Ersetzung des Bundesrechts erfordert, dass der Landesgesetzgeber die
Materie, ggf. auch einen abgrenzbaren Teilbereich, in eigener Verantwortung regelt (BVerfGE 111, 10 [30]).
bb) Verbot einer “Blockade“ durch den Bund
Art. 125 a Abs. 2 GG darf niemals dazu führen, dass eine sachlich gebotene oder politisch gewollte Neuregelung nur deshalb unterbleibt, weil der Bund sie nicht (mehr) vornehmen darf, er aber auch nicht bereit
ist, die Materie den Ländern durch Freigabe zur Regelung zu überlassen; das dem Bund eingeräumte Ermessen ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes bundes- und länderfreundlichen Verhaltens entsprechend
eingeschränkt (a.a.O. [31]).
Brunn - Kapitel C.VII.0.
Seite 154
b) Wahl zwischen “Modifizierung“ des Bundesrechts und Freigabe
Erkennt der Bundesgesetzgeber einen Änderungsbedarf hinsichtlich des fortbestehenden Bundesrechts, so hat
er die Wahl zwischen einer Änderung seines Rechts oder einer Freigabe, die aber in sein Ermessen gestellt
ist (BVerfGE 111, 10 [30]).
Freilich darf der Bundesgesetzgeber sein Recht nur “modifizieren“; er darf es nicht grundlegend neu konzipieren, weil hierzu nur die Länder befugt sind, freilich erst nach einer Freigabe durch Bundesgesetz (a.a.O.
[31]).
c) “Mischfälle“
Weil Art. 125 a Abs. 2 GG voraussetzungsgemäß nur Recht erfassen kann, welches bis zum 15. November
1994 erlassen worden ist (während Art. 74 Abs. 2 GG nur Recht erfassen kann, welches nach diesem Zeitpunkt erlassen worden ist), kann die Konstellation auftreten, dass zwar eine ganze Materie (wie etwa das
Strafrecht) von Art. 125 a Abs. 2 GG erfasst wird, aber eine einzelne (neu zu erlassende oder erlassene)
Norm nach dem derzeit gültigen Verfassungsrecht zu beurteilen ist. Dann ist hinsichtlich der neuen Regelung
Art. 72 Abs. 2 GG als Schranke für die Ausübung der Bundeskompetenz zu beachten (BVerfGE 110, 141
[175]).
Auch insoweit gilt, dass ein Gesetz nicht erst mit seinem In-Kraft-Treten erlassen ist, sondern spätestens
mit seiner Verkündung (BVerfGE 110, 370 [386]). Und auch in diesem Zusammenhang gilt, dass die Reichweite einer kompetenzgerecht erteilten Verordnungsermächtigung von später erfolgten Einschränkungen der
Gesetzgebungskompetenz des Bundes unberührt bleibt (a.a.O.).
VII. Die Materien des Art. 74 GG im Einzelnen
1.
Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (BGB, Strafrecht, Gerichtsverfassung und -verfahren,
tung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Bürgerliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Strafrecht (“weites“ Verständnis in kompetenzrechtlicher Hinsicht) . . .
c)
Rechtsbera. . . .
. . . .
. . . .
aa) Kernbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
157
bb) Randbereiche
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
157
cc) Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . .
Gerichtsverfassung und gerichtliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . .
157
157
aa) Weitreichende Kompetenzen der Länder
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
158
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
158
(2) Amtsbezeichnungen der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
158
(3) Verfahrensrechtliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
158
(1) Organisation des Gerichtswesens
bb) Schwierige Abgrenzung der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von der
Vorsorge für die spätere Verfolgung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.
3.
156
156
157
158
(1) Vorsorge für eine spätere Straftatenverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . .
158
(2) Beschränkungen von Geheimnissen im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . .
158
cc) Verfassungsgerichtsbarkeit der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Rechtsanwaltschaft, Notariat und Rechtsberatung . . . . . . . . . . .
Personenstandswesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 2 GG) . . . . . . . . . . . . .
Öffentliche Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) . . . . . . . . . . . . . .
a) Erfassung sowohl der “traditionellen“ als auch neuen Fürsorge . . . . . .
b) Erfassung auch (nicht notwendig akuter) präventiver Maßnahmen . . . . .
c) Erfassung eines großen Personen- und Trägerkreises . . . . . . . . . .
d) Fürsorgerisches “Gesamtkonzept“ (verschiedene Arten von Fürsorgeleistungen)
aa) Selbständige Leistungen als Teile eines Gesamtkonzepts
. .
.
.
.
.
.
.
.
. .
.
.
.
.
.
.
.
158
159
159
159
159
159
159
160
. . . . . . . . . . . . .
160
Brunn - Kapitel C.VII.0.
4.
5.
Seite 155
bb) Abstimmung mit den Ländern . . . . . . . . . .
e) Entschiedene Einzelfälle . . . . . . . . . . .
Kriegsschäden und Wiedergutmachung (Art. 74 Abs. 1 Nr.
74 Abs. 1 Nr. 10 GG) . . . . . . . . . . . . . .
Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) . . . .
a) Zweck und Umfang der Materie . . . . . . . .
aa) Zweck von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 n.F. GG
b)
c)
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
9 GG), Kriegsbeschädigte (Art.
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
161
bb) Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Berufsordnende Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Einzelfälle für das Recht der Wirtschaft und Untergruppen . . . . . . . . .
161
161
161
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
bb) Untergruppe Gewerberecht (“umfassender“ Gewerbebegriff)
162
cc) Untergruppe Recht des Handels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162
dd) Privatrechtliches Versicherungswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Arbeitsrecht und Sozialversicherung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) . . . . . . . . .
a) Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162
162
162
aa) Abhängige Arbeitsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
163
bb) Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sozialversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
163
163
aa) Organisation der Sozialversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
163
bb) Abgrenzungen der Finanzierung gegenüber anderen Finanzierungsmitteln
. . .
163
. . . . . . . . . . . . .
163
(1) Verbot der Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben
(2) Weites Verständnis der Finanzierung der Sozialversicherung
10.
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cc) Einzelregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Enteignung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 14 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung u.a. (Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG)
Grundstücksverkehr, Bodenrecht, landwirtschaftliches Pachtwesen, Wohnungswesen,
Siedlungs- und Heimstättenwesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) . . . . . . . . . .
a) Grundstücksverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Bodenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Wohnungswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Siedlungswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen u.a. (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG) .
a) Maßnahmen gegen Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe . . . . .
163
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aa) Länderkompetenzen für Ausgestaltungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(1) Länderkompetenz für die Regelung der Berufsausübung (nach der Zulassung)
166
(2) Regelung der Zulassungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
166
bb) Randbereiche
11.
12.
162
. . . . . . . . . . .
b)
7.
8.
9.
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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Untergruppe Recht des Handwerks
6.
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166
(1) Altenpfleger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(2) Hebammen . . . . . . . . .
Tierschutz u.a. (Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG)
Schifffahrt und Wasserstraßen (Art. 74 Abs.
a) Schifffahrt . . . . . . . . . .
b) Wasserstraßen . . . . . . . . .
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1 Nr. 21
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GG)
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167
bb) Sonstige Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
167
aa) Abgrenzung zur wasserwirtschaftlichen Ordnung
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Brunn - Kapitel C.VII.1.
13.
Straßenverkehr u.a. (Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG) . . . . . . . . . . . . . . .
a) Straßenverkehrsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Zweck
b)
c)
14.
15.
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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
167
bb) Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bundesfernstraßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Straßenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Eingegrenzte Befugnisse des Bundes außerhalb des Fernverkehrs . . . . . . . . .
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bb) Länderkompetenz für das Straßenausbaubeitragsrecht . . . . . . . . . .
Schienenbahnen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 23 GG) . . . . . . . . . . . . . . .
Abfallwirtschaft, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG)
a) Abfallwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Abfallbeseitigung und -verwertung
16.
17.
18.
19.
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bb) Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Sonstiges Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Staatshaftung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Medizinisch unterstützte Erzeugung menschlichen Lebens u.a. (Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG)
a) Umfassende Zuständigkeit im Recht der Gentechnik . . . . . . . . . . . .
b) “Eingebettete“ Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Statusrechte und -pflichten (Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG) . . . . . . . . . . . . .
a) Ersetzung der früheren Art. 74 a GG und Art. 75 GG . . . . . . . . . . .
b) Denkbare Übernahmen früherer Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . .
Jagdwesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 28 GG), Naturschutz und Landschaftspflege (Art. 74 Abs.
1 Nr. 29 GG), Bodenverteilung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 30 GG), Raumordnung (Art. 74 Abs.
1 Nr. 31 GG), Wasserhaushalt (Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG) sowie Hochschulzulassung und
Hochschulabschlüsse (Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG) . . . . . . . . . . . . . . .
a) Wasserhaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Hochschulzulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Auch insoweit gilt, dass die aufgezählten Gegenstände der Gesetzgebung nicht jeder für sich in abstrakter Deutung zu bestimmen sind; ihre Abgrenzung ergibt sich auch aus dem Gesamtgefüge dieser Artikel
(grundlegend: BVerfGE 7, 29 [44]).
Ausschlaggebend für die Zuordnung ist auf die “wesensmäßige und historische Zugehörigkeit“ der Materie
zu dem einen oder anderen Bereich abzustellen. Die Einordnung der zu regelnden Materie richtet sich nach
ihrer besonderen Eigenart; dabei ist - soweit möglich - die herkömmliche Zuordnung zu berücksichtigen
(BVerfGE 48, 367 [373]).
1. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (BGB, Strafrecht, Gerichtsverfassung und -verfahren,
Rechtsberatung)
Während im letzten Jahrhundert die Kompetenzregeln des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG nahezu keine Rolle
spielten, ist nunmehr die Kompetenz für “Strafrecht“ in Teilen streitig geworden.
a) Bürgerliches Recht
Das bürgerliche Recht ist als Zusammenfassung aller Normen zu verstehen, die herkömmlicherweise dem
Zivilrecht zugerechnet werden, also nicht als Gegensatz zum öffentlichen Recht; auch das zur Freiwilligen
Gerichtsbarkeit gehörende gerichtliche Beurkundungswesen fällt hierunter (BVerfGE 11, 192 [199]). Grundsätzlich ist dieser Gesetzgebungsgegenstand in gleicher Weise wie in der Weimarer Reichsverfassung zu
interpretieren (BVerfGE 61, 149 [174 f.]).
Auch Vorschriften, die Eigentum der öffentlichen Hand begründen, wenn der betreffende Gegenstand herrenlos ist oder ein Eigentümer nicht ermittelt werden kann, können hierunter fallen (BVerfGE 126, 331
[357]). Weil das bürgerlich-rechtliche Schadensersatzrecht abschließend die Voraussetzungen und den Inhalt
von Schadensersatzansprüchen und deren Abwicklung bestimmt, könnte nur der Bundesgesetzgeber - nicht
Brunn - Kapitel C.VII.1.
Seite 157
aber ein Landesgesetzgeber - im Rahmen eines Enteignungsgesetzes Regelungen über Schadensersatz treffen
(BVerfGE 45, 297 [345]).
Hingegen kann die Regelung der Eigentums- und Haftungsverhältnisse an den öffentlichen Straßen der Länder
nicht dem Sachbereich bürgerliches Recht zugerechnet werden (BVerfGE 42, 20 [28 f., 32]).
b) Strafrecht (“weites“ Verständnis in kompetenzrechtlicher Hinsicht)
Dem - historisch begründeten - weiten (nach den beachtlichen Gründen der abweichenden Meinung BVerfGE 134, 33 [95 ff.] “überdehnten“ bzw. “sehr weiten“) Verständnis des Begriffs des Strafrechts steht die
abweichende (engere) Bedeutung in Art. 103 Abs. 2 GG (nachfolgend F.VI. (vgl. S. 723) ) nicht entgegen
(BVerfGE 134, 33 [57]), weswegen auch ein Gesetz, welches den Zweck verfolgt, Straftäter, deren Gefährlichkeit für hochrangige Rechtsgüter fortbesteht , im Anschluss an die verbüßte Strafhaft zum Schutz der
Allgemeinheit sicher unterzubringen, kompetenzgerecht erlassen worden sein kann (a.a.O.).
aa) Kernbereich
Zum Strafrecht gehört die Regelung aller, auch nachträglicher, repressiver oder präventiver staatlicher Reaktionen auf Straftaten, die an die jeweilige Straftat anknüpfen, ausschließlich für Straftäter gelten und ihre
sachliche Rechtfertigung auch aus der Anlasstat beziehen; danach ist die Gesamtheit der Rechtsnormen,
die für eine rechtswidrige Tat eine Strafe, Buße oder Maßregel der Besserung und Sicherung festsetzen, (
kompetenzrechtlich ) dem Strafrecht zuzuordnen (BVerfGE 109, 190 [212 f.]; bestätigt durch BVerfGE 134,
33 [55 f.]).
bb) Randbereiche
Auch das Ordnungswidrigkeitenrecht fällt hierunter (BVerfGE 27, 18 [32 ff.]). Entsprechendes gilt für die
Befugnis zum Erlass eines Straffreiheitsgesetzes (BVerfGE 2, 213 [222 ff.]).
Der Bund kann auch Landesrecht mit einer Kriminalstrafe bewehren. Er darf freilich nicht auf dem Umweg über die Kompetenz Strafrecht eine der Länderkompetenz unterliegende Materie selbst sachlich regeln
(BVerfGE 26, 246 [257 f.]).
In den Kompetenzbereich fällt auch eine allgemeine Einschränkung der Kostenerstattung für die Vollstreckung von Freiheitsstrafen und freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (BVerfGE
85, 134 [144 f.]).
Ebenfalls zum Strafrecht zu rechnen können solche Vorschriften sein, die als Sanktionen ärztlicher Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen erlassen worden sind (BVerfGE 98, 265 [312,
313 f.]). Auch die Verfolgung von Straftaten durch Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung kann
zu dieser Gesetzgebungsmaterie gehören (BVerfGE 113, 348 [371 f.]).
Hingegen gehört die Regelung der Verjährung für Pressedelikte nicht zum Gebiet des Strafrechts (BVerfGE
7, 29 [39]; möglicherweise gilt inzwischen Anderes).
cc) Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung
Sehr schwierig kann sich die Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung kompetenzrechtlich
darstellen (vgl. BVerfGE 128, 326 [387 f.]: Ausgestaltung der Anforderungen des Abstandsgebots gemeinsam
durch Bundes- und Landesgesetzgeber).
c) Gerichtsverfassung und gerichtliches Verfahren
Bislang ist eine erschöpfende und abschließende Regelung der gerichtsverfassungsrechtlichen Materie durch
den Bundesgesetzgeber nicht erfolgt, so dass den Ländern die Befugnis zur Gesetzgebung verblieben ist,
soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat (BVerfGE 56, 110 [119]).
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aa) Weitreichende Kompetenzen der Länder
Darüber hinaus sind auch bei umfassender und erschöpfender Regelung eines Gegenstandes der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz durch den Bund landesrechtliche Regelungen immer insoweit zulässig, als
das Bundesrecht Vorbehalte zugunsten der Landesgesetzgebung enthält, was beispielsweise bei § 187 Abs.
1 VwGO der Fall war (BVerfGE 29, 125 [137]; vgl. auch BVerGE 35, 65 [72, 75] für verwaltungsrechtliches
Widerspruchsverfahren; vgl. aber auch BVerfGE 37, 191 [198] für abschließende Bestimmung der örtlichen
Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte).
(1) Organisation des Gerichtswesens
Was insoweit das Verhältnis des Bundesgesetzgebers zum Landesgesetzgeber anbelangt, so kann auf der
einen Seite der Bundesgesetzgeber den Zuständigkeitskreis der obersten Bundesgerichte bezüglich des
Umfangs des revisiblen Rechts auch insoweit bestimmen, als es sich um die Anwendung von Landesrecht
handelt (BVerfGE 10, 285 [292, 294, 296]).
Auf der anderen Seite ist gem. Art. 30, 92 GG die Organisation der Gerichte Aufgabe der Länder
und speziell die Errichtung der Gerichte in den Ländern sowie die Veränderung ihrer Bezirke Sache der
Landesgesetzgeber; der Bund kann deshalb nicht selbst Sitz und Bezirk der Gerichte in den Ländern konkret
bestimmen, was aber nicht ausschließt, dass der Bund beispielsweise zur Errichtung gemeinsamer (Amts)Gerichte ermächtigt (BVerfGE 24, 155 [166 f.]).
(2) Amtsbezeichnungen der Richter
Die Regelung der Amtsbezeichnungen der Richter ist ebenso Sache des Bundesgesetzgebers (BVerfGE 38,
1 [8]; freilich abgeleitet aus Art. 98 GG) wie die Regelung einer Pflicht von Rechtsanwälten zum Tragen
einer Amtstracht in der mündlichen Verhandlung vor Gericht (BVerfGE 28, 21 [32]; fragwürdig zumindest
in Bezug auf die gewohnheitsrechtliche Begründung).
(3) Verfahrensrechtliches
Ebenfalls dem Recht des gerichtlichen Verfahrens zuzurechnen ist die Justizgewährung in Gestalt von Rechtsmitteln (BVerfGE 48, 367 [374] für weitere Beschwerde in pressebezogenen Beschlagnahmeverfahren). Entsprechendes gilt für das strafprozessuale Aussageverweigerungsrecht von Angehörigen etwa der Presse (BVerfGE 36, 193 [202 ff.]).
bb) Schwierige Abgrenzung der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von der Vorsorge für die
spätere Verfolgung von Straftaten
Sehr schwierig kann bisweilen die Abgrenzung zwischen einer vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten - für
die keine konkurrierende Zuständigkeit des Bundes besteht - und der Vorsorge für die spätere Verfolgung
von Straftaten sein, welche kompetenzmäßig dem gerichtlichen Verfahren zuzuordnen ist.
(1) Vorsorge für eine spätere Straftatenverfolgung
Bezweckt ein Gesetz die Sicherung von Beweisen für ein künftiges Strafverfahren, so ist dies Vorsorge für
die spätere Verfolgung von Straftaten (BVerfGE 113, 348 [370 f.]). Mithin sind Vorschriften dem Strafverfahrensrecht zuzuordnen, wenn sie (ausschließlich) der Beweisbeschaffung zur Verwendung in Strafverfahren
dienen (BVerfGE 103, 21 [30 f.] “genetischer Fingerabdruck“).
(2) Beschränkungen von Geheimnissen im Strafverfahren
Auch Maßnahmen zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses im Strafverfahren beruhen
regelmäßig auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (BVerfGE 30, 1 [29]).
cc) Verfassungsgerichtsbarkeit der Länder
Die Materie Verfassungsgerichtsbarkeit der Länder gehört nicht zur konkurrierenden Gesetzgebung, sondern
steht ausschließlich den Ländern selbst zu (BVerfGE 96, 345 [368 f.]).
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d) Rechtsanwaltschaft, Notariat und Rechtsberatung
Der Bundesgesetzgeber kann “für Rechtsanwaltschaft, Notariat und Rechtsberatung“ nicht nur die Zulassung
zum Beruf, sondern auch die Berufsausübung einschließlich des Gebührenwesens regeln (BVerfGE 17, 287
[292]; vgl. auch BVerfGE 47, 285 [313 f.] für notarielles Gebührenrecht).
Hingegen gehören zum traditionellen Gemeindeverfassungsrecht auch die Statuierung eines kommunalrechtlichen Vertretungsverbots für Angehörige der Kommunalverwaltung (BVerfGE 41, 231 [241 f.]; vgl. auch
BVerfGE 52, 42 [54 ff.]).
2. Personenstandswesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 2 GG)
Zum Personenstandswesen, das bislang wenige Probleme aufgeworfen hat, gehört auch die Einführung der
eingetragenen Lebenspartnerschaft (BVerfGE 105, 313 [338]).
3. Öffentliche Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG)
Zwar ist der Begriff der “öffentlichen Fürsorge“ im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts nicht eng auszulegen. Zu dieser Materie gehören nicht nur Bestimmungen
darüber, was die Träger der Fürsorge an materiellen Fürsorgeleistungen zu erbringen haben und auf welche
Weise dies geschehen soll. Der Regelungsbereich des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG umfasst auch organisatorische
Vorschriften über die Abgrenzung öffentlicher und privater Träger.
Bei der Bestimmung der Reichweite der aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG folgenden Gesetzgebungskompetenz
ist aber Zurückhaltung geboten, wenn mit ihr Regelungen gerechtfertigt werden sollen, von denen nach
dem Grundgedanken der Art. 70 ff. GG anzunehmen ist, dass der Regelungsgegenstand im Wesentlichen
oder weitgehend in der Kompetenz der Länder verbleiben soll. Das gilt insbesondere mit Blick auf das
Kommunalrecht (BVerfGE 137, 108 [165, 167]).
a) Erfassung sowohl der “traditionellen“ als auch neuen Fürsorge
Der Begriff der öffentlichen Fürsorge geht über die klassische Fürsorge (im Bundesrecht war bis vor wenigen
Jahren noch der aus der Weimarer Zeit stammende Begriff der “Krüppelfürsorge“ auszumachen) hinaus;
auch neue Lebenssachverhalte werden umgriffen, wenn sie nur in ihren wesentlichen Strukturelementen dem
überlieferten Bild entsprechen (BVerfGE 106, 62 [133]).
Aus der Kompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG scheiden indessen vor allem Gesetze aus, die der Krankenversorgung, der Seuchenbekämpfung oder in sonstiger Weise in erster Linie dem Gesundheitswesen dienen
(BVerfGE 88, 203 [329 f.]).
b) Erfassung auch (nicht notwendig akuter) präventiver Maßnahmen
Der Begriff der Fürsorge setzt voraus, dass eine besondere Situation zumindest potentieller Bedürftigkeit
besteht, auf die der Gesetzgeber reagiert. Dabei genügt es, wenn eine - sei es auch nur typisierend bezeichnete und nicht notwendig akute - Bedarfslage im Sinne einer mit besonderen Belastungen einhergehende
Lebenssituation besteht, auf deren Beseitigung oder Minderung das Gesetz zielt (BVerfGE 140, 65 [78 f.]).
Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ist mithin nicht auf Hilfsmaßnahmen bei wirtschaftlichen Notlagen oder bei akuter
Hilfsbedürftigkeit beschränkt, sondern schließt daneben vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Hilfsbedürftigkeit ein, soweit dies im Interesse fürsorgerischer Ziele erforderlich ist (BVerfGE 106, 62
[134]).
c) Erfassung eines großen Personen- und Trägerkreises
Vor dem vorstehenden Hintergrund sind auch unter Umständen Zwangsmaßnahmen gegen Hilfsbedürftige
selbst (BVerfGE 58, 208 [227]) oder gegen Dritte ([BVerfGE 57, 139 [159, 161 f.]) erfasst.
Brunn - Kapitel C.VII.5.
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Die Kompetenz ist auch keineswegs auf die Regelung der Hilfeleistung durch öffentlich-rechtliche oder
öffentlich-rechtlich beliehene Träger beschränkt (BVerfGE 106, 62 [134]); auch organisatorische Abgrenzungen der Tätigkeit der Träger der öffentlichen Hilfe von derjenigen der privaten Träger können erfasst sein
(BVerfGE 22, 180 [203]).
Auch die Heranziehung von ehemaligen Arbeitgebern zur Erstattung von geleisteter Arbeitslosenhilfe kann
dem verfassungsrechtlichen Gattungsbegriff der öffentlichen Fürsorge unterfallen (BVerfGE 81, 156 [186]).
d) Fürsorgerisches “Gesamtkonzept“ (verschiedene Arten von Fürsorgeleistungen)
Will der Bundesgesetzgeber verschiedene Arten von Leistungen der öffentlichen Fürsorge begründen, muss
grundsätzlich jede Fürsorgeleistung für sich genommen den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG genügen.
aa) Selbständige Leistungen als Teile eines Gesamtkonzepts
Allein die Verbindung mit einer Bestimmung, die bundesrechtlicher Regelung unterliegt, schafft demnach
noch nicht den bundesrechtlichen Regelungsbedarf für eine Bestimmung, die für sich genommen nicht die
Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt. Auch wenn der Bundesgesetzgeber selbständige Leistungen der öffentlichen Fürsorge als Teile eines Gesamtkonzepts begreift, teilen diese nicht allein wegen dieses
Verknüpfungswillens das kompetenzrechtliche Schicksal. Grundsätzlich ist der Bundesgesetzgeber bei der
Realisierung legislativer Gesamtförderungskonzepte vielmehr auf jene Fürsorgeinstrumente beschränkt, die
für sich genommen die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllen.
bb) Abstimmung mit den Ländern
Im Übrigen verbleibt ihm die Möglichkeit, eine übergreifende Konzeption in Kooperation mit den Ländern
und in Abstimmung mit deren Gesetzgebung zu verfolgen (BVerfGE 140, 65 [91 f.]).
e) Entschiedene Einzelfälle
Jugendfürsorge und Jugendpflege (BVerfGE 22, 180 [212 f.]) unterfallen ebenso der Kompetenzbestimmung
wie etwa die Errichtung einer Stiftung “Hilfswerk für behinderte Kinder“ (BVerfGE 42, 263 [281 f.]). Ebenso
erfasst sind das Schwerbehindertengesetz (BVerfGE 57, 139 [166 f.]) und die Kostenregelungen von Altenpflegegesetzen (BVerfGE 108, 186 [214]). Nichts anderes gilt für das Heimgesetz (BVerfGE 106, 62 [134]).
Sogar die Materie “Verbreitung jugendgefährdender Schriften“ soll hierunter fallen (BVerfGE 31, 113 [117]).
4. Kriegsschäden und Wiedergutmachung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 9 GG),
Kriegsbeschädigte (Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 GG)
Art. 74 Abs. 1 Nr. 9 GG betrifft nur die finanzielle Abgeltung der Kriegs- und Verfolgungsschäden (BVerfGE
3, 407 [419]; vgl. auch BVerfGE 126, 331 [356 f.]).
Was im Übrigen die Versorgung der Kriegsbeschädigten (Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 GG) anlangt (vgl. BVerfGE
57, 139 [166 f.]), dürfte für die “neuen“ Kriegsbeschädigten (etwa aus dem Afghanistan-Einsatz) ein anderer
Kompetenztitel heranzuziehen sein.
5. Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG)
Auch bei der - vielfältigen (BVerfGE 136, 194 [241 ff.] für Sonderabgabe zur Finanzierung der Tätigkeit des
Deutschen Weinfonds; freilich i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 17; vgl. auch BVerfGE 138, 261 [275 ff.] für Ladenschluss; dort [277] auch zu Modifikationen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG im Zuge der Föderalismusreform)
- Materie des Rechts der Wirtschaft tritt die Problematik der Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenz zu
dem Bereich der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf.
Brunn - Kapitel C.VII.5.
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Auch insoweit können Normen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in einem
bestimmten Sachbereich dienen, dem Sachbereich zuzurechnen sein, zu dem sie in einem notwendigen Zusammenhang stehen. Einen selbständigen, in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallenden Sachbereich
bildet nur das Polizeirecht im engeren Sinne ; es umfasst die Regelungen, bei denen die Aufrechterhaltung
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung der alleinige und unmittelbare Gesetzeszweck ist (BVerfGE 8, 143
[150]).
Folglich ließ sich das Sprengstoffgesetz nicht dem Recht der Wirtschaft zurechnen (BVerfGE 13, 367 [371
f.]). Hingegen ist ein vorkonstitutionelles Gesetz, welches sowohl einen wirtschaftspolitischen als auch einen
der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienenden Zweck verfolgte, wegen dieser
“doppelten Zweckbestimmung“ dem Recht der Wirtschaft zugeordnet worden (BVerfGE 8, 143 [148]).
a) Zweck und Umfang der Materie
Angesichts der “Vielfältigkeit“ der erwähnten Materien kann es nur Zweck der Vorschrift sein, ein Mindestmaß
an Abgrenzungsklarheit herzustellen (um zu vermeiden, dass ein - an sich sinnvolles - Gesetz vor dem
Bundesverfassungsgericht aus Kompetenzgründen scheitert).
aa) Zweck von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 n.F. GG
Es soll eine neu konturierte, klare föderale Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten erzielt werden
(BVerfGE 138, 261 [277]).
bb) Umfang
Zum Recht der Wirtschaft gehören jedenfalls alle das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung
als solche regelnden Normen, die sich in irgendeiner Form auf die Erzeugung, Herstellung und Verteilung
von Gütern des wirtschaftlichen Bedarfs beziehen (BVerfGE 8, 143 [149]; vgl. auch BVerfGE 26, 246 [254];
BVerfGE 116, 202 [215 f.] sowie BVerfGE 135, 155 [196] Filmabgabe, fragwürdig).
Namentlich trifft dies zu auf Gesetze, die ordnend und lenkend in das Wirtschaftsleben eingreifen (BVerfGE
4, 7 [13]). Im Rahmen derartiger Regelungen können auch Abgaben vorgesehen werden (BVerfGE 55, 274
[309]; vgl. indessen dazu, dass gegenüber Art. 105 GG (nachstehend C.IX.7. (vgl. S. 194) ) die Zuständigkeit
in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG subsidiär ist: BVerfGE 4, 7 [13]).
b) Berufsordnende Gesetze
Zuständig ist der Bund auch für Gesetze, die Berufe in der Wirtschaft rechtlich ordnen und ihre Berufsbilder
rechtlich fixieren. In diesem Rahmen kann der Gesetzgeber sowohl den Inhalt der beruflichen Tätigkeit wie
auch die Voraussetzungen für die Berufsausbildung (Ausbildung, Prüfungen) normieren (BVerfGE 26, 246
[255]).
Deshalb steht das Schulrecht als Teil der Kulturhoheit der Länder nicht in Frage, wenn die Anforderungen an
Ausbildung und Prüfungen als Voraussetzungen für die Berufsausübung im Bereich des Rechts der Wirtschaft
geregelt werden (BVerfGE 119, 59 [82]; vgl. auch BVerfGE 106, 62 [132]).
c) Einzelfälle für das Recht der Wirtschaft und Untergruppen
Dem Recht der Wirtschaft zugeordnet worden sind Vorschriften über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen
(BVerfGE 116, 202 [216]), Rabattgesetze (BVerfGE 21, 292 [296]), Regelungen der Aufbürdung von Rentenaltlasten von einer Berufsgenossenschaft auf andere Berufsgenossenschaften (BVerfGE 23, 12 [22 ff.]),
gesetzgeberische Maßnahmen, die zur Lenkung der Konjunktur den privaten Verbrauch drosseln sollten
(BVerfGE 29, 402 [409]), sowie Regeln über ärztliche Gebührenvorschriften (BVerfGE 68, 319 [327 ff.]).
Demgegenüber verneint wurde die Zuständigkeit für das Spielbankenrecht (BVerfGE 28, 119 [146 ff.]; vgl.
auch BVerfGE 102, 147 [214]), für das öffentlich-rechtliche Versicherungswesen (BVerfGE 41, 205 [218 f.])
sowie für das Ingenieurgesetz (BVerfGE 26, 246 [254]).
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aa) Untergruppe Recht des Handwerks
Die Kompetenz des Bundes zur gesetzlichen Regelung des Handwerksrechts ergreift jeden einzelnen Zweck
des Handwerks entsprechend seiner Eigenart in vollem Umfang; dementsprechend können auch vom Bund
geregelt werden eine entsprechende Altersgrenze und eine dieser angepasste Altersversorgung (BVerfGE 1,
264 [272]).
bb) Untergruppe Gewerberecht (“umfassender“ Gewerbebegriff)
Entsprechend dem traditionellen Gewerbebegriff in früheren Verfassungen ist auch der grundgesetzliche
Begriff des Gewerbes umfassend zu verstehen (BVerfGE 5, 25 [29]).
Dementsprechend fällt auch der Betrieb einer Apotheke unter den traditionellen Begriff des Gewerbes (a.a.O.;
vgl. auch BVerfGE 41, 344 [351 f., 355] für die Ausrüstung von Aufzugsanlagen, wenn sie im Rahmen einer
wirtschaftlichen Unternehmung Verwendung finden).
Für das Recht der gewerblichen Sportwetten (Regelung eines staatlichen Wettmonopols) hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass eine Kompetenz des Bundes nicht an dem ordnungsrechtlichen Aspekt
der Regelungsmaterie scheitern muss (BVerfGE 115, 276 [318 f.]).
Demgegenüber muss ein Landesgesetzgeber, der die Erhebung einer Steuer zulässt, mit der gewerbepolizeiliche oder sozialpolitische Nebenzwecke verfolgt werden, nicht auf dem Gebiet des Gewerberechts tätig werden
(BVerfGE 13, 181 [196]).
cc) Untergruppe Recht des Handels
Ladenschluss-Regelungen können auch zum Recht des Handels gehören (BVerfGE 1, 283 [292]; vgl. auch
neuerdings ausführlich BVerfGE 138, 261 [275 ff.] zur Abgrenzung von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG im Zusammenhang mit “arbeitszeitrechtlichen Regelungen“).
dd) Privatrechtliches Versicherungswesen
Wie bereits erwähnt, erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes für das privatrechtliche
Versicherungswesen nicht auf die hoheitlich ausgestalteten Gebäudeversicherungen bei öffentlich-rechtlichen
Zwangs- oder Monopolanstalten (BVerfGE 10, 141 [162 f.]).
Demgegenüber widerspricht die Anordnung einer Versicherungspflicht (Kontrahierungszwang) durch den
Bundesgesetzgeber nicht dem Begriff des privatrechtlichen Versicherungswesens (BVerfGE 103, 197 [218]).
Entsprechendes gilt für den Bundesgesetzgeber, wenn er für einen von ihm neu geschaffenen Typ von privatrechtlicher Versicherung Regelungen des sozialen Ausgleichs vorsieht (a.a.O. [217]; vgl. auch BVerfGE 123,
186 [235]).
6. Arbeitsrecht und Sozialversicherung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG)
Sowohl quantitativ als auch qualitativ dürfte die Kompetenz in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG (vgl. neuerdings
BVerfGE 138, 261 [273] für konkurrierende Kompetenz im Hinblick auf das Arbeitszeitrecht; dort [279 ff.]
auch dazu, dass der Bund von seiner Kompetenz zur Regelung der Arbeitszeit an Samstagen keinen abschließenden Gebrauch gemacht hat; kritisch demgegenüber die abweichende Meinung BVerfGE 138, 261
[289, 293] “Vernebelung der Kompetenzregelung“) die gewichtigste sein.
a) Arbeitsrecht
Das Arbeitsrecht hat sich als Ganzes im Laufe der Jahrzehnte zu einem selbständigen und eigenständigen
Rechtsgebiet entwickelt, das neben dem bürgerlichen Recht steht (BVerfGE 7, 342 [348]; vgl. auch BVerfGE
77, 308 [328]).
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aa) Abhängige Arbeitsverhältnisse
Es begründet insbesondere eine umfassende Kompetenz für die Regelung der Rechtsbeziehung zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer und erstreckt sich sowohl auf privatrechtliche als auch auf öffentlich-rechtliche
Bestimmungen über abhängige Arbeitsverhältnisse (BVerfGE 106, 62 [132 f.]; vgl. indessen auch BVerfGE
11, 89 [98] dazu, dass dahinsteht, ob gesetzliche Bestimmungen für Angestellte und Arbeiter des Bundes nur
vom Bund getroffen werden könnten).
bb) Einzelfragen
Auch betriebliches Ausbildungsrecht kann, soweit es arbeitsvertragliche Regelungen betrifft, dem Arbeitsrecht zugeordnet werden (BVerfGE 106, 62 [133]), und zur Bundeskompetenz gehört es auch, Kinderzuschläge
zum Arbeitslohn gesetzlich anzuordnen (BVerfGE 11, 105 [115 f.]).
Was den Erholungsurlaub von Arbeitnehmern anbelangt, so kommt es darauf an, ob eine Bundesregelung
erschöpfend ist (BVerfGE 7, 342 [347, 351 ff.]); ist dies nicht der Fall, können die Länder entsprechend regeln.
Entsprechendes gilt für das sog. öffentliche Arbeitsrecht (BVerfGE 38, 281 [299]).
b) Sozialversicherung
Der Begriff Sozialversicherung (vgl. ausführlich zum “Sozialstaat“ nachstehend D.IV.) ist hier als weitgefasster verfassungsrechtlicher Gattungsbegriff zu verstehen. Neue Lebenssachverhalte können in das Gesamtsystem einbezogen werden, wenn die neuen Sozialleistungen in ihren wesentlichen Strukturelementen (insbes.
hins. organisatorischer Durchführung bzw. abzudeckender Risiken) dem Bild entsprechen, das durch die
“klassische“ Sozialversicherung geprägt ist (BVerfGE 75, 108 [146]; vgl. auch BVerfGE 114, 196 [221].
Seit jeher war es für diese Materie kennzeichnend, dass das Prinzip versicherungsrechtlichen Risikoausgleichs
sozial modifiziert und mit Elementen der öffentlichen Fürsorge verbunden wurde und wird (BVerfGE 113,
167 [196]).
Speziell in den Zusammenhängen der Krankenversicherung ist in jüngster Zeit die Frage von Leistungsansprüchen bei lebensbedrohlichen Krankheiten aufgeworfen worden (vgl. BVerfGE 140, 229 [236 f.]).
aa) Organisation der Sozialversicherung
Das Grundgesetz schreibt die Organisation der Sozialversicherung nicht vor (BVerfGE 89, 365 [377]). Folglich
erstreckt sich der Kompetenztitel auf sämtliche mit der Sozialversicherung zusammenhängenden organisationsrechtlichen Fragen; selbst landesunmittelbare Sozialversicherungsträger könnte der Bund aus eigenem
Recht bilden (BVerfGE 113, 167 [201]; grundlegend: BVerfGE 11, 105 [123 f.]; vgl. auch BVerfGE 109, 96
[109 f.]).
bb) Abgrenzungen der Finanzierung gegenüber anderen Finanzierungsmitteln
Traditionell weckt der Kompetenztitel “Begehrlichkeiten“ (hauptsächlich des Haushaltsgesetzgebers), welchen das Bundesverfassungsgericht teils entgegengetreten, teils wohlwollend begegnet ist.
(1) Verbot der Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben
Der Kompetenztitel dient nicht dazu, Mittel für die Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben aufzubringen.
Die Finanzmasse der Sozialversicherung ist tatsächlich und rechtlich von den allgemeinen Staatsfinanzen
getrennt. Ein Einsatz der Sozialversicherungsbeiträge zur Befriedigung des allgemeinen Finanzbedarfs des
Staates ist ausgeschlossen (BVerfGE 75, 108 [146 ff.]).
(2) Weites Verständnis der Finanzierung der Sozialversicherung
Demgegenüber ist die Kompetenz aus sich heraus auch und gerade auf die Regelung der Finanzierung der
Sozialversicherung gerichtet. Dies gilt nicht nur in einem engeren Sinn für die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen, sondern in einem weiteren Sinn auch für Regelungen über die Erstattung und den Ausgleich
von Sozialversicherungsleistungen (BVerfGE 113, 167 [195]).
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Freilich bedarf die Heranziehung nicht selbst Versicherter zu entsprechenden Zahlungen eines sachorientierten Anknüpfungspunktes in den Beziehungen zwischen Versicherten und Zahlungspflichtigen (BVerfGE
81, 156 [185]).
Auch Regelungen zur finanziellen Entlastung der Sozialversicherungssysteme dienen dem Erhalt ihrer
Leistungsfähigkeit und sind von dem Kompetenztitel erfasst (BVerfGE 114, 196 [221]).
Allgemein ist es grundsätzlich unschädlich, wenn neben Versichertenbeiträgen weitere Einnahmequellen
bestehen (BVerfGE 109, 96 [110] für Zuschüsse aus Steuermitteln).
cc) Einzelregelungen
Die Zugehörigkeit zur Kompetenz ist beispielsweise bejaht worden für die Familienversicherung (BVerfGE
113, 167 [196]), für die Erhebung der Künstlersozialabgabe (BVerfGE 75, 108 [148]), für die Einführung der
sozialen Pflegeversicherung (BVerfGE 103, 197 [215]), für das System des Kindergeldgesetzes (BVerfGE 11,
105 [113]) sowie “gerade noch“ für den Schwangerschaftsabbruch (BVerfGE 88, 203 [314]).
Demgegenüber stellt die beamtenrechtliche Krankenfürsorge gegenüber der Sozialversicherung ein “aliud“
dar (BVerfGE 62, 354 [366]).
7. Enteignung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 14 GG)
Wie bereits erwähnt (vorstehend 1.a)), könnte nur der Bundesgesetzgeber Schadenersatzregelungen im Rahmen eines Enteignungsgesetzes schaffen (BVerfGE 45, 297 [345]).
8. Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung u.a. (Art. 74 Abs. 1 Nr.
17 GG)
Von dieser Kompetenz kann die Erhebung einer Sonderabgabe zur Finanzierung des Deutschen Weinfonds
gedeckt sein (BVerfGE 136, 194 [241]).
Von der Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung wird auch die Pferdezucht umgriffen (BVerfGE 88,
366 [378, 379]). Die Förderung der Erzeugung ist nicht auf solche Maßnahmen begrenzt, die zugleich der
Sicherung der Ernährung dienen (a.a.O.). Freilich hat die Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung
in erster Linie positiv gestaltende Maßnahmen finanzieller, organisatorischer oder marktlenkender Art zum
Gegenstand (a.a.O.).
Auch Vorschriften zur Gründung eines Wasserbeschaffungsverbandes können der Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung bzw. der Sicherung der Ernährung dienen (BVerfGE 58, 45 [56 ff.]). Schließlich kann
auch die Normierung von Ausgleichsabgaben kompetenzgerecht erfolgen (BVerfGE 18, 315 [329]).
9. Grundstücksverkehr, Bodenrecht, landwirtschaftliches Pachtwesen,
Wohnungswesen, Siedlungs- und Heimstättenwesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG)
Alle Materien, die in Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG aufgeführt sind, sind gleichwertig nebeneinander gestellt
(BVerfGE 3, 407 [414]).
a) Grundstücksverkehr
Zum Grundstücksverkehr können auch Bestimmungen darüber gehören, inwieweit Eigentums- und sonstige
Rechtsänderungen an Grundstücken im Zusammenhang mit der baulichen Ordnung einer Genehmigungspflicht unterliegen (BVerfGE 3, 407 [429]).
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b) Bodenrecht
Zur Materie Bodenrecht gehören (nur) solche Vorschriften, die den Grund und Boden unmittelbar zum
Gegenstand rechtlicher Ordnung haben, also die rechtlichen Beziehungen des Menschen zum Grund und
Boden regeln; so gehört zum Bodenrecht das Recht der städtebaulichen Planung, der Baulandumlegung und
Zusammenlegung von Grundstücken (BVerfGE 34, 139 [144]).
Während also die Materie Bodenrecht auch das Bauplanungsrecht umfasst (BVerfGE 65, 283 [288]), ist das
Bauordnungsrecht eine selbständige Rechtsmaterie, die einer bundesgesetzlichen Regelung nicht zugänglich
ist (BVerfGE 40, 261 [266]).
c) Wohnungswesen
Hierzu gehören auch Maßnahmen zur Förderung des Wohnungsbaus (BVerfGE 21, 117 [128]). Der Bund könnte auch einzelne spezifisch das Wohnungswesen berührende baupolizeiliche Vorschriften erlassen (BVerfGE
3, 407 [433]). Kompetenzgerecht erlassen werden können auch Regelungen über die Erhebung einer Ausgleichsabgabe von Inhabern einer öffentlich geförderten Wohnung (BVerfGE 78, 249 [266]).
d) Siedlungswesen
Gegenüber seiner ursprünglichen Bedeutung - landwirtschaftliche Besiedlung - ist der Begriff des Siedlungswesens umfassender geworden und schließt auch die Wohnsiedlung ein (BVerfGE 3, 407 [418 f.]).
10. Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei
Menschen und Tieren, Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen u.a.
(Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG)
Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG stellt keine Globalermächtigung des Bundes für den Bereich des Gesundheitswesens
dar, sondern führt enumerativ und spezifisch einige Felder auf, bei denen der Bund normierungsbefugt ist
(BVerfGE 102, 26 [37]).
a) Maßnahmen gegen Krankheiten
Ob ein umfassendes Rauchverbot von der Kompetenz gedeckt wäre, ist bislang offen geblieben (BVerfGE
121, 317 [347]).
b) Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe
Zum Recht der Zulassung zum ärztlichen Beruf gehören jedenfalls alle Vorschriften, die sich auf Erteilung,
Zurücknahme und Verlust der Approbation oder die Befugnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs beziehen
(BVerfGE 7, 18 [25]).
Freilich sind ärztliche Berufe lediglich die Berufe des Arztes, des Zahnarztes und des Tierarztes, weshalb der
Bund zur Regelung des Facharztwesens keine Gesetzgebungszuständigkeit besitzt (BVerfGE 33, 125 [152
ff.]).
aa) Länderkompetenzen für Ausgestaltungsregelungen
Von der Kompetenz, die Zulassung zu regeln, wird nicht umgriffen, ausgestaltende Regelungen der ärztlichen Berufsausübung zu treffen; bundesgesetzliche Regelungen über die Erteilung der Approbation schließen
deshalb nicht aus, dass der Zugang zu einer speziellen ärztlichen Tätigkeit durch ein Land an weitere Erfordernisse geknüpft wird, solange nicht der Zugang zur ärztlichen Tätigkeit als Ganzer abweichend geregelt
wird (BVerfGE 98, 265 [305 f.]).
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(1) Länderkompetenz für die Regelung der Berufsausübung (nach der Zulassung)
Generell steht den Ländern die (ausschließliche) Befugnis zu, etwa die Berufsausübung der Ärzte nach ihrer
Zulassung zu regeln und im Zusammenhang mit der Ordnung des ärztlichen Berufsbildes etwa Werbeverbote
für zugelassene Ärzte zu normieren (BVerfGE 71, 162 [171 f.]).
Zu Berufsausübungsregelungen, die den Ländern zugewiesen sind, gehören auch präventive Verbote mit
Erlaubnisvorbehalt (BVerfGE 98, 265 [305]). Folglich gehört zur “Zulassung“ auch nicht die Berufsgerichtsbarkeit (BVerfGE 4, 74 [83]).
(2) Regelung der Zulassungsvoraussetzungen
Demgegenüber befugt die Kompetenz für die Regelung der Berufszulassung auch zur Regelung von Zulassungsvoraussetzungen und deren Nachweis (BVerfGE 106, 62 [130]; vgl. auch a.a.O. [131] für Regelung des
Prüfungswesens).
bb) Randbereiche
Wegen der zunehmenden Bedeutung des “Gesundheitsmarkts“ dürfte die Prognose nicht verfehlt sein, dass
zukünftig hierüber erbittert gestritten werden dürfte.
(1) Altenpfleger
Anders als der Beruf des Altenpflegehelfers gehört der Beruf des Altenpflegers zur Materie “andere Heilberufe“ (BVerfGE 106, 62 [104 f.]).
(2) Hebammen
Was das Hebammenwesen anlangt, so können die Anerkennung, die aufgrund einer Prüfung erteilt wird, und
die Niederlassungserlaubnis ohne Bedenken dem Zulassungswesen nach Art. 74 Abs. Nr. 19 GG zugerechnet
werden. Dagegen gehört etwa eine statuierte Pflicht zur Abführung eines Teils der Einkünfte an ein Land
nicht zur Zulassung zum Hebammenberuf (BVerfGE 17, 287 [292]).
11. Tierschutz u.a. (Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG)
Der Begriff des Tierschutzes ist weit auszulegen . Er bezieht sich insbesondere auf Haltung, Pflege,
Unterbringung und Beförderung von Tieren, aber auch auf deren Schlachtung sowie auf Tierversuche.
Dabei geht es der Kompetenznorm in erster Linie darum, Regelungen zu ermöglichen, deren Zweck es ist,
Tieren bei Vorgängen der genannten Art Schmerzen , Leiden oder Schäden soweit wie möglich zu
ersparen. Im Interesse der wirksamen Sicherung dieses Zweckes gestattet Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG dem
Bund auch Regelungen zur Überwachung und zur Förderung des Tierschutzes (BVerfGE 110, 141 [171];
vgl. auch BVerfGE 119, 59 [83] zum Tierschutz als einem wichtigen Gemeinschaftsgut sowie BVerfGE 127,
293 [328 f.] zum Tierschutz als Belang von Verfassungsrang, Art. 20 a GG).
12. Schifffahrt und Wasserstraßen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG)
Neuere Rechtsprechung zu dieser Materie ist nicht ersichtlich; offenbar sind sich Bund und Länder insoweit
einig.
a) Schifffahrt
Bei der Gesetzgebungsbefugnis für die Schifffahrt ist an Regelungen über die technische Beschaffenheit, die
Ausrüstung und die Bemannung der Schiffe, die Festsetzung des Entgeltes, die Sorge für die Leichtigkeit und
Sicherheit des Verkehrs sowie das Signalwesen zu denken (BVerfGE 15, 1 [12]).
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b) Wasserstraßen
Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG rechtfertigt nur Regelungen, die
sich auf die Wasserstraßen als Verkehrswege beziehen.
aa) Abgrenzung zur wasserwirtschaftlichen Ordnung
Dabei kann der Bund spezifische Regelungen im Interesse des Schiffsverkehrs treffen, auch wenn sie zugleich
zwangsläufig die allgemeine wasserwirtschaftliche Ordnung, abgesehen von der Schifffahrt, berühren. Im
Übrigen stehen dem Bund keine allgemeinen wasserwirtschaftlichen Gesetzgebungsbefugnisse an den dem
allgemeinen Verkehr dienenden Wasserstraßen zu (BVerfGE 15, 1 [9 ff.]).
bb) Sonstige Abgrenzungen
Was im Übrigen die Binnenwasserstraßen anbelangt, so unterliegen der konkurrierenden Gesetzgebung des
Bundes nur jene Wasserstraßen des allgemeinen Verkehrs, die durch Staatsvertrag vom 29. Juli 1921 vom
Reich übernommen wurden (BVerfGE 2, 347 [376]). Bundeswasserstraßen, die Binnenwasserstraßen sind,
und Binnenwasserstraßen im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG sind begrifflich nicht dasselbe. Der Rhein
oberhalb von Basel, der Bodensee und andere größere süddeutsche Seen werden von der Kompetenz erfasst,
ohne Bundeswasserstraßen zu sein (BVerfGE 15, 1 [8 f.]).
13. Straßenverkehr u.a. (Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG)
Dem Bund ist in Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG die konkurrierende Befugnis zur abschließenden Regelung des
Rechts des Straßenverkehrs verliehen worden, was die Annahme ausschließt, dass die normative Ordnung
von Teilbereichen aus der Ermächtigung an den Bund ausgeklammert und den Ländern zur ausschließlichen
Wahrnehmung zugewiesen wäre (BVerfGE 67, 299 [320]).
a) Straßenverkehrsrecht
Namentlich das Straßenverkehrsrecht ist sachlich begrenztes Ordnungsrecht, für das dem Bund - abweichend
vom sonstigen Polizei- bzw. Ordnungsrecht - die Gesetzgebungskompetenz zusteht.
aa) Zweck
Es dient dem Zweck, die spezifischen Gefahren, Behinderungen und Belästigungen auszuschalten oder wenigstens zu mindern, die mit der Straßenbenutzung unter den Bedingungen des modernen Verkehrs verbunden
sind. Es regelt in diesem Rahmen die Anforderungen , die an den Verkehr und die Verkehrsteilnehmer gestellt werden, um Gefahren von anderen Verkehrsteilnehmern oder Dritten abzuwenden und den optimalen
Verlauf des Verkehrs zu gewährleisten (BVerfGE 40, 371 [380]).
bb) Einzelfragen
Dementsprechend besitzt der Bund die Zuständigkeit für ein Verbot verkehrsgefährdender Außenwerbung
, was aber nicht ausschließt, dass auch der Landesgesetzgeber Vorschriften über Außenwerbung innerhalb
geschlossener Ortschaften erlässt (BVerfGE 32, 319 [326 f.]; vgl. auch BVerfGE 40, 371 [380] für “rollende“
Reklame).
Demgegenüber ist das Parken von Fahrzeugen durch Bundesrecht erschöpfend geregelt (BVerfGE 67, 299
[324 ff.]).
b) Bundesfernstraßen
Was die Gesetzgebungskompetenz des Bundes bei Bundesfernstraßen anbelangt, so ergibt sie sich hinsichtlich
eines kreuzungsbeteiligten Stücks einer Bundesfernstraße zumindest für das materielle Planfeststellungsrecht
auch aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG (BVerfGE 26, 338 [377]).
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c) Straßenrecht
Was schließlich das Straßenrecht (und dessen Abgrenzung zum Straßenverkehrsrecht) anbelangt, so dient
das Straßen- und Wegerecht der Bereitstellung von Wegen und Straßen für die in der Widmung festgelegte
besondere Verkehrsfunktion, während das Straßenverkehrsrecht (vorstehend a)) die gewissermaßen polizeilichen Anforderungen an den Verkehr und die Verkehrsteilnehmer bzw. Außenstehende regelt, um Gefahren
abzuwehren und die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu gewährleisten.
aa) Eingegrenzte Befugnisse des Bundes außerhalb des Fernverkehrs
Mithin reicht im Bereich der öffentlichen Straßen, die nicht dem Fernverkehr dienen, die Befugnis des Bundes
zur Gesetzgebung lediglich aus, den wegerechtlich zugelassenen Verkehr zu regeln; weitergehende Regelungen,
insbesondere der Rechtsverhältnisse der Verkehrswege selbst, sind ausschließlich Sache des jeweiligen Landes.
Im Sinne der Unterscheidung von “Verkehrsarten“ und “Verkehrswegen“ handelt es sich beim Gemeingebrauch um die - dem Bund regelmäßig nicht zustehende - Regelung einer Straße als Verkehrsweg. Demgegenüber ist die Regelung der Ausübung des Gemeingebrauchs ausschließlich Sache des Straßenverkehrsrechts.
Eine solche Regelung darf aber nicht im Ergebnis auf eine Erweiterung oder Beschränkung der Widmung etwa durch Zulassung oder Untersagung einer ganzen Verkehrsart - hinauslaufen, da diese Frage bereits zum
Gemeingebrauch selbst gehört (BVerfGE 67, 299 [314 f., 322]).
bb) Länderkompetenz für das Straßenausbaubeitragsrecht
Folglich steht den Ländern beispielsweise für das Straßenausbaubeitragsrecht - Materie “Straßenbau“ - die
Kompetenz zu, sofern es sich nicht um den Bau und die Unterhaltung der Landstraßen des Fernverkehrs
handelt (BVerfGE 137, 1 [19]).
14. Schienenbahnen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 23 GG)
Weil das Grundgesetz hinsichtlich von Bergbahnen den Ländern das Recht zur Gesetzgebung ausdrücklich
vorbehalten hat (BVerfGE 56, 249 [263]) und das Recht der Eisenbahnen des Bundes eigenen Regeln folgt, ist
das Recht der Schienenbahnen ( Bahnen mit einem festen Spurweg ) verhältnismäßig eng. Die Kompetenz
des Bundes für diese Materie (vgl. BVerfGE 45, 297 [323] für einen Fall nicht erschöpfender Kompetenz im
Personenbeförderungsrecht) umfasst auch die Regelung des Baus und der Veränderung solcher Schienenbahnen.
Der Bund hat aber nicht die Befugnis, bei Kreuzungen nicht bundeseigener Eisenbahnen mit Straßen die
Planfeststellung für das kreuzungsbeteiligte Stück einer Straße zu regeln, die nicht Straße für den Fernverkehr
ist (BVerfGE 26, 338 [382 ff.]; vgl. auch a.a.O. [388] für Regelungen über die Verteilung der Kosten von
Baumaßnahmen an Bahnen).
15. Abfallwirtschaft, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24
GG)
Diese Kompetenz dürfte auch in Zukunft noch Streitigkeiten hervorgerufen, weil womöglich einzelnen Ländern die Aktivitäten des Bundes als unzureichend erscheinen. Überdies ist auf diesen Gebieten eine besonders
intensive Befassung der gemeinschaftsrechtlichen Normgeber zu beobachten.
a) Abfallwirtschaft
Was zunächst das Recht der Abfallwirtschaft anbelangt, so ist dem Bundesgesetzgeber insoweit eine Zuständigkeit zur umfassenden Regelung eingeräumt (BVerfGE 98, 106 [120]).
aa) Abfallbeseitigung und -verwertung
Namentlich soll die Zuständigkeit des Bundes eine sachlich lückenlose Regelung über die Beseitigung des
gesamten (umweltschädlichen) Abfalls ermöglichen. Darüber hinaus deckt die Kompetenznorm Regelungen
der Abfallverwertung (BVerfGE 110, 370 [384]).
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bb) Mittel
Die Kompetenznorm gibt nicht vor, welcher Mittel sich der Bundesgesetzgeber zur Verwirklichung seines
Regelungsziels bedienen darf. Neben etwa dem Abgabenrecht kann er auch haftungsrechtliche Instrumente einsetzen, solange die eingesetzten Instrumente sich insgesamt als Ordnungselemente des Abfallrechts
darstellen (a.a.O. [385]).
b) Sonstiges Umweltrecht
Auch im Übrigen Umweltrecht können neben verbindlichen Anordnungen (insbesondere Geboten, Verboten
und Erlaubnisvorbehalten) auch Instrumente mittelbarer Verhaltenssteuerung eingesetzt werden. Innerhalb
dieser Instrumente mittelbaren Einwirkens lassen sich unterscheiden eine zielgebundene Kooperation von
einer zielorientierten steuerlichen Verhaltenslenkung (BVerfGE 98, 106 [120 ff.]; vgl. auch BVerfGE 98, 83
[101 ff.]).
16. Staatshaftung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG)
Durch diese Kompetenznorm ist die Entscheidung BVerfGE 61, 149 überholt (vgl. zur gemäß Abs. 2 notwendigen Zustimmung des Bundesrates vorstehend C.II.3. (vgl. S. 119) ).
17. Medizinisch unterstützte Erzeugung menschlichen Lebens u.a. (Art. 74 Abs. 1
Nr. 26 GG)
Bislang hat sich das Bundesverfassungsgericht - soweit ersichtlich - lediglich zur zweiten Alternative (Gentechnologie) geäußert.
a) Umfassende Zuständigkeit im Recht der Gentechnik
Insoweit ist eine umfassende Zuständigkeit begründet worden zur Regelung des Rechts der Gentechnik, welche
neben der Humangenetik auch die Gentechnik in Bezug auf Tiere und Pflanzen umfasst. Ermöglicht werden
nicht nur Vorschriften, die Forschung und Entwicklung unter Einsatz gentechnischer Verfahren betreffen,
sondern auch sonstige die Verwendung von und den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen
regelnde Bestimmungen.
b) “Eingebettete“ Bestimmungen
Mithin deckt der Kompetenztitel auch rechtlich und funktional in das Gentechnikrecht (nur) eingebettete
Bestimmungen ab (etwa über den Umgang mit in den Verkehr gebrachten Produkten, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten, ein Register über den Anbau gentechnisch veränderter Organismen sowie die
Ergänzung und Konkretisierung der zivilrechtlichen Ansprüche bei Nutzungsbeeinträchtigungen). Ein solches weites Verständnis verhindert eine Zersplitterung des Gentechnikrechts in verschiedene Kompetenzen
(BVerfGE 128, 1 [33 f.]).
18. Statusrechte und -pflichten (Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG)
Ob es so klug war, dass die Länder einen Kompetenzzuwachs angefordert haben, lässt sich womöglich mit
guten Gründen bezweifeln (Abwerbung von Personen durch “reiche“ Bundesländer).
a) Ersetzung der früheren Art. 74 a GG und Art. 75 GG
Es lässt sich für einen beträchtlichen Teil der Materie sagen, dass diese Kompetenznorm an die Stelle des
früheren Art. 74a GG (hierzu vor allem BVerfGE 106, 225 [242 f.] sowie BVerfGE 107, 218 [240, 256]) sowie
des Art. 75 GG (vgl. hierzu BVerfGE 111, 226 [246 ff.] sowie BVerfGE 111, 226 [274] abweichende Meinung)
getreten ist (vgl. zu der gem. Abs. 2 notwendigen Zustimmung des Bundesrates vorstehend C.II.3. (vgl. S.
119) ).
Brunn - Kapitel C.VIII.0.
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b) Denkbare Übernahmen früherer Rechtsprechung
Aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den gültigen Begriffen ist - soweit ersichtlich noch nicht vorhanden (vgl. allgemein und umfassend zum Recht der Beamten gem. Art. 33 GG nachstehend
D.VII.2.).
Mit einer gewissen Vorsicht lässt sich für den Begriff der Laufbahnen auf die Entscheidung BVerfGE 38, 1
zu den Amtsbezeichnungen sowie - was den Begriff der Besoldung anbelangt - auf die Entscheidungen
BVerfGE 62, 354 und BVerfGE 106, 225 zurückgreifen. Hiernach sind unter “Besoldung“ sämtliche in Erfüllung der Alimentationspflicht (vgl. hierzu ausführlich nachfolgend D.VII.2.c)dd) (vgl. S. 313) ) gewährten
Leistungen zu verstehen, also nicht nur Geld-, sondern auch Sachbezüge. Die freie Heilfürsorge ist nicht anders zu behandeln als die ihr von der Zweckrichtung her verwandte Beihilfe, die als zur Alimentation gehörig
betrachtet wird (BVerfGE 62, 354 [368]; vgl. auch BVerfGE 107, 218 [241 f.] für Ortszuschlag).
19. Jagdwesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 28 GG), Naturschutz und Landschaftspflege
(Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG), Bodenverteilung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 30 GG),
Raumordnung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG), Wasserhaushalt (Art. 74 Abs. 1 Nr.
32 GG) sowie Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse (Art. 74 Abs. 1 Nr.
33 GG)
Sämtliche Materien waren (teilweise) der Rahmengesetzgebung des Bundes in Art. 75 GG zugeordnet. Insoweit kann nochmals auf BVerfGE 111, 226 (246 ff.) aufmerksam gemacht werden. Aktuelle Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts ist - soweit ersichtlich - noch nicht vorhanden.
a) Wasserhaushalt
Was den Begriff des Wasserhaushalts anbelangt, so können mit Vorsicht möglicherweise die Entscheidungen
BVerfGE 10, 89; BVerfGE 14, 1; BVerfGE 15, 1; BVerfGE 58, 45 sowie BVerfGE 58, 300 herangezogen
werden.
b) Hochschulzulassung
Was den Begriff der Hochschulzulassung anbelangt, so mag BVerfGE 112, 226 (242 ff.) weiterführend sein.
VIII. Bundesgesetzgebung und Verwaltungskompetenzen (Art. 83 ff. GG)
1.
2.
Die Bedeutung des Demokratieprinzips (Volkssouveränität), des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit sowie des Gebots der Bundesstaatlichkeit für die Regelung der Verwaltungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Demokratie und Volkssouveränität sowie problematische “Verflechtung von Zuständigkeiten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Rechtsstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Bundesstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Grundsatz der Verwaltung von Bundesgesetzen durch die Länder (Art. 83 und Art. 84 Abs. 1
GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Ausführung von (Landesgesetzen und) Bundesgesetzen ohne Verwaltungsverfahrensregelungen, allgemeine Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Bundeskompetenz (nur) bei Bedürfnis nach “einheitlicher Vollzugspraxis“
. . .
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bb) Allgemeine Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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cc) Reichweite von Vollzugsakten der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(1) Vollzug von Landesgesetzen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(2) Vollzug von Bundesgesetzen (als eigene Angelegenheiten der Länder und Wirkungen im ganzen Bundesgebiet) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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b)
c)
d)
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(3) Übergreifende Verpflichtungen zur Rücksichtnahme . . . . . . . . . . . . . .
Ausführung von Bundesgesetzen mit Verfahrensregelungen (Art. 84 Abs. 1 GG) . .
Kein Gesetzesvorbehalt für Verwaltungsaufbau, Behördenzuständigkeit und Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
“Regelungen“ von Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . .
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175
aa) Schwieriger Abgrenzungsbereich bei materieller Regelung mit oder ohne Verfahrensfestlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(1) Verneinte Regelungen des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(2) “Verdeckte“ Regelungen des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) Verwaltung von Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(1) Unmittelbar den Zwecken der Verwaltung dienendes Vermögen
. . . . . . .
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(2) Kulturelle Verwaltungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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cc) Behörden
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(1) Gemeinde- und sonstige Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(2) Quantitative Vermehrung von Aufgaben
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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dd) (Übertragung von Aufgaben auf) Gemeinden und Gemeindeverbände . . . . . .
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(1) Gegenstandslose frühere Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(2) Zuordnung der Gemeinden und Gemeindeverbände zu den Ländern . . . . .
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ee) Insbesondere: Mischverwaltung
3.
4.
5.
6.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(1) Kriterien einer Verfassungswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(2) Zulässige Durchbrechungen des Verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Abweichungsmöglichkeiten (Art. 84 Abs. 1 Sätze 2 - 6 GG) . . . . . . . . . . .
Pflicht zur Zustimmung des Bundesrats als Folge von bestimmten Verfahrensregelungen (Art.
84 Abs. 1 Satz 6 sowie Abs. 5 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Zweck eines Zustimmungserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . .
b)
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aa) Auslegung der Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) Art. 84 Abs. 5 GG (neu) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Voraussetzungen einer Zustimmungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . .
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aa) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Folgen des Vorliegens der Voraussetzungen der Zustimmungsbedürftigkeit
Bundesaufsicht (Art. 84 Abs. 3 und Abs. 4 GG) . . . . . . . . . . .
a) Zwecke der Bundesaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) “Durchgriff“ auf die Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . .
“Bundesauftragsverwaltung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Charakter der Bundesauftragsverwaltung der Länder . . . . . . . .
b) Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Ausgabentragung und Verteilung von Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) Wahrnehmungs- und Sachkompetenz (als unterschiedlich ausgestaltete Länderkompetenzen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(1) Wahrnehmungskompetenz (Handeln und Verantwortlichkeit nach außen) . .
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(2) Grundsätzliche Zulässigkeit eines “An-sich-Ziehens“ des Bundes . . . . . . .
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7.
Seite 172
Bundeseigene Verwaltung (Art. 86 ff. GG) . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Bundesgrenzschutz (Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG) . . . . . . . . . . . . . .
b) Soziale Versicherungsträger (Art. 87 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . .
aa) Führung durch Körperschaften
c)
d)
e)
f)
g)
h)
i)
j)
k)
l)
m)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
bb) Kompetenz zu Überführungen . . . . . . . . . .
Errichtung selbständiger Bundesoberbehörden (Art. 87
Organisationsformen “funktionaler Selbstverwaltung“
Bundeswehrverwaltung (Art. 87 b GG) . . . . . .
Luftverkehrsverwaltung (Art. 87 d GG) . . . . .
Eisenbahnverkehrsverwaltung (Art. 87 e GG) . . .
. . .
Abs.
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3 GG)
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aa) Traditionelle Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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ff. GG)
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bb) Ausschluss weiterer Rechte des Bundestags . . . . . . . . . . .
Postwesen und Telekommunikation . . . . . . . . . . . .
Bundesbank (Art. 88 Satz 1 GG) . . . . . . . . . . . . .
Übertragungen auf die Europäische Zentralbank (Art. 88 Satz 2 GG)
Bundeswasserstraßen (Art. 89 GG) . . . . . . . . . . . .
Bundesstraßen (Art. 90 GG) . . . . . . . . . . . . . .
Gemeinschaftsaufgaben, Verwaltungszusammenarbeitsfälle (Art. 91 a
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aa) Zweck der Vorschrift des Art. 91 e GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) Art. 91 e Abs. 2 GG als “Einräumung einer Chance“ . . . . . . . . . . . . . . .
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cc) Gesetzgebungskompetenz und -auftrag (Art. 91 e Abs. 3 GG) . . . . . . . . . .
183
Oft darf sich der Bundesgesetzgeber nicht mit einer Prüfung der Gesetzgebungskompetenzen der Artikel 70
ff. GG begnügen, sondern muss auch die Art. 83 ff. GG beachten, sofern zur Regelung - neben materiellen
Eingriffsbefugnissen oder Ansprüchen in einem meist öffentlich-rechtlichen Gesetz - auch die Materien “Verwaltungsverfahren“ bzw. “Behörden“ anstehen. Zu viele Gesetzgebungskompetenzen des Bundes sind allein
im (seit 2006) gültigen Art. 84 Abs. 1 GG “versteckt“, zu dem zwar sehr wenig aktuelle, aber gleichwohl
übertragbare überkommene Rechtsprechung des Verfassungsgerichts existiert.
[1] Dass der Bund überhaupt die Materie Verwaltungsverfahren regeln darf, erschließt sich aus dem Grundgesetz nicht ohne weiteres; für die früher gültigen Fassungen der Kompetenznormen hat das Bundesverfassungsgericht eine Annexkompetenz des Bundes für das Verwaltungsverfahren teils verneint, teils bejaht
(BVerfGE 26, 281 [300] und BVerfGE 77, 288 [298 f.]; vgl. aber auch skeptisch: BVerfGE 137, 108 [165];
grundlegend: BVerfGE 3, 407 [424 f.]).
Möglicherweise kann man aus den Sätzen 2 - 6 von Art. 84 Abs. 1 GG in seiner gültigen Fassung schließen,
dass dem Bund nunmehr eine “Grundkompetenz“ in Verwaltungsverfahrensfragen zusteht.
[2] Im Übrigen gilt auch und gerade im Verwaltungsverfahrensrecht, dass der Bund nicht gehindert ist, die
Länder zu (bundeseinheitlich) gleichlautenden Bestimmungen zu bewegen (BVerfGE 40, 237 [253]).
1. Die Bedeutung des Demokratieprinzips (Volkssouveränität), des Grundsatzes der
Rechtsstaatlichkeit sowie des Gebots der Bundesstaatlichkeit für die Regelung der
Verwaltungskompetenzen
Demokratie und Volkssouveränität erschöpfen sich im repräsentativ-parlamentarischen System des Grundgesetzes nicht in Zurechnungsfiktionen und stellen auch nicht nur formale Mindestanforderungen an den Legitimationszusammenhang zwischen dem Volk und den handelnden Staatsorganen. Sie sind vielmehr Rechtsprinzipien, die ihren praktischen Niederschlag in der Verfassungswirklichkeit finden müssen.
Die Wahlen zum Bundestag und zu den Volksvertretungen der Länder dienen so gesehen nicht nur der
Kreation dieser Verfassungsorgane, sondern weisen auch eine real- wie personalplebiszitäre Dimension auf,
welche die mit der Wahl verbundene politische Richtungsentscheidung auch konkret erfahrbar macht.
Brunn - Kapitel C.VIII.2.
Seite 173
a) Demokratie und Volkssouveränität sowie problematische “Verflechtung von
Zuständigkeiten“
Eine Verflechtung von Zuständigkeiten stellt sich vor diesem Hintergrund als Problem dar, weil sie dazu
führen kann, dass der Auftrag des Wählers auf Bundes- oder Landesebene durch die Mitwirkung anderer
Ebenen relativiert und konterkariert wird. Das gilt auch im Hinblick auf die Verwaltungskompetenzen.
Demokratische Verantwortlichkeit setzt auch hier grundsätzlich eine hinreichend klare Zuordnung voraus. Der
wahlberechtigte Bürger muss wissen können, wen er wofür - nicht zuletzt durch Vergabe oder Entzug seiner
Stimme - verantwortlich machen kann. Daran fehlt es, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter
unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen.
Das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gebietet deshalb nicht nur eine weitgehende
Normierung von Zuständigkeitszuweisungen , Verfahren und Aufsichtsrechtsverhältnissen , sondern
enthält auch ein grundsätzliches Verbot der Mischverwaltung .
b) Rechtsstaatlichkeit
Die Anforderungen des Demokratieprinzips berühren sich insoweit mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG), der mit Blick auf die Verwaltungsräume von Bund und Ländern und im Interesse
eines effektiven Rechtsschutzes eine klare und auf Vollständigkeit angelegte Zuordnung von Kompetenzen
der handelnden Staatsorgane gebietet. Auch das Rechtsstaatsprinzip verlangt mit Blick auf die für die Ausrichtung und das Verständnis der Verfassungsordnung maßgebliche Sicht des Bürgers zuallererst Klarheit
der Kompetenzordnung .
c) Bundesstaatlichkeit
Das Gebot der Bundesstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 1 GG) schließlich gebietet zwar in seinem verfassungsänderungsfreien Kern “lediglich“, dass den Ländern im Bereich aller drei Staatsfunktionen - Legislative,
Exekutive und Judikative - Aufgaben von substantiellem Gewicht als “Hausgut“ unentziehbar verbleiben
(BVerfGE 137, 108 [143 f.]; vgl. auch - freilich für parlamentarische Anfragen zu Bundespolizeieinsätzen im
Landesbereich - BVerfGE 139, 194 [223 ff.]).
Nicht fernliegend dürfte aber die Vermutung sein, dass - angesichts einer “Austrocknung“ der Länderkompetenzen - bald Streitverfahren mit Berufung auf diesen Grundsatz anhängig gemacht werden.
2. Grundsatz der Verwaltung von Bundesgesetzen durch die Länder (Art. 83 und
Art. 84 Abs. 1 GG)
[1] Die Verwaltungszuständigkeiten von Bund und Ländern sind in den Art. 83 ff. GG erschöpfend geregelt
und grundsätzlich nicht abdingbares Recht. Bund und Länder dürfen von der in diesen Bestimmungen vorgeschriebenen “Verwaltungsordnung“ nicht abweichen. Es gilt der allgemeine Verfassungssatz, dass weder der
Bund noch die Länder über ihre im Grundgesetz festgelegten Kompetenzen verfügen können; Kompetenzverschiebungen zwischen Bund und Ländern sind auch mit Zustimmung der Beteiligten nicht zulässig. Auch
organisatorische Regelungen können nicht abbedungen werden (BVerfGE 63, 1 [38 f.]; vgl. auch BVerfGE
119, 331 [364 f.] sowie BVerfGE 137,108 [147 f.]).
Mitplanungs-, Mitverwaltungs- und Mitentscheidungsbefugnisse des Bundes (gleich welcher Art) im Aufgabenbereich der Länder sind ausgeschlossen, soweit nicht die Verfassung dem Bund entsprechende Sachund Verwaltungskompetenzen übertragen hat (BVerfGE 137, 108 [148] sowie BVerfGE 139, 194 [226]).
[2] Die Kompetenzaufteilung nach Art. 30 GG und Art. 83 ff. GG ist eine wichtige Ausformung des bundesstaatlichen Prinzips im Grundgesetz und zugleich ein Element zusätzlicher funktionaler Gewaltenteilung. Sie
verteilt politische Macht und setzt ihrer Ausübung einen verfassungsrechtlichen Rahmen, der diese Machtverteilung aufrechterhalten und ein Zusammenwirken der verschiedenen Kräfte sowie einen Ausgleich widerstreitender Belange ermöglichen soll (BVerfGE 108, 169 [181]; dort auch dazu, dass die Grundsätze der
Normenklar- bzw. Normenwahrheit [hier D.V.3.a) (vgl. S. 258) ] sowie der Widerspruchsfreiheit auch im
vorliegenden Zusammenhang gelten; ebenso BVerfGE 119, 331 [366]).
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Vor diesem Hintergrund ist beispielsweise der Einsatz von Kräften der Bundespolizei zur Wahrnehmung von
Aufgaben eines Landes nur aufgrund ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Ermächtigung zulässig, wie sie das
Grundgesetz in Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG für Fälle von besonderer Bedeutung unter engen Voraussetzungen
vorsieht. Ein darüber hinausgehender regelmäßiger Einsatz von Kräften der Bundespolizei zur Wahrnehmung
von Aufgaben der Länder wäre ebenso wenig zulässig wie der Ausbau der mit begrenzten Aufgaben betrauten
Bundespolizei zu einer allgemeinen, mit der Polizei der Länder konkurrierenden Polizei des Bundes.
Zudem hat der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Verwaltungszuständigkeiten die rechtsstaatlichen
Grundsätze der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit zu beachten, um die Länder vor einem Eindringen des Bundes in den ihnen vorbehaltenen Bereich der Verwaltung zu schützen und eine Aushöhlung des
Grundsatzes des Art. 30 GG zu verhindern.
[3] Die einfachrechtlichen Regelungen über die Zuständigkeiten bei Unterstützungseinsätzen der Bundespolizei für die Länder sind daher so auszugestalten, dass sie eine klare und widerspruchsfreie Zuordnung der
Kompetenzen und der Verantwortung des Bundes und des jeweiligen Landes ermöglichen (BVerfGE 139, 194
[226 f.]).
a) Ausführung von (Landesgesetzen und) Bundesgesetzen ohne
Verwaltungsverfahrensregelungen, allgemeine Verwaltungsvorschriften
Zum einen ist die Ausführung von Landesgesetzen durch Bundesbehörden nach dem Grundgesetz schlechthin
ausgeschlossen (BVerfGE 21, 312 [325]).
Zum anderen spricht eine Vermutung für die Landeszuständigkeit, wenn es um die Ausführung von Bundesgesetzen geht, d.h. die verwaltungsmäßige Ausführung von Bundesgesetzen (BVerfGE 11, 6 [15]; vgl. auch
BVerfGE 108, 169 [179] sowie BVerfGE 139, 321 [353]). Schwierig kann die Bestimmung der Reichweite von
Länderakten sein, die Bundesrecht vollziehen (nachfolgend cc)).
aa) Bundeskompetenz (nur) bei Bedürfnis nach “einheitlicher Vollzugspraxis“
Das Grundgesetz gibt dem Bund freilich die Befugnis zur - ausschließlichen oder konkurrierenden - Gesetzgebung auf solchen Gebieten, auf denen eine einheitliche Vollzugspraxis durch Länder von besonderer
Bedeutung ist. Die einheitliche Geltung von Rechtsvorschriften im Bundesgebiet darf nicht dadurch illusorisch gemacht werden, dass ihre Ausführung von Land zu Land erhebliche Verschiedenheiten aufweist.
Vor allem der Erlass von allgemeinen Verwaltungsvorschriften (Art. 84 Abs. 2 GG) soll eine einheitliche
Ausführung gewährleisten (BVerfGE 11, 6 [18]; vgl. auch BVerfGE 90, 145 [190 f.]).
bb) Allgemeine Verwaltungsvorschriften
Als allgemeine Verwaltungsvorschriften sind solche Regelungen zu verstehen, die für eine abstrakte Vielheit
von Sachverhalten des Verwaltungsgeschehens verbindliche Aussagen treffen, ohne auf eine unmittelbare
Rechtswirkung nach außen gerichtet zu sein (BVerfGE 100, 249 [258]).
Nur von der Bundesregierung als Kollegium können (mit Zustimmung des Bundesrates) solche allgemeinen
Verwaltungsvorschriften erlassen werden (aa.O. [261]; vgl. auch BVerfGE 126, 77 [102] zum Unterschied zu
gesetzlichen Regelungen des Verwaltungsverfahrens).
cc) Reichweite von Vollzugsakten der Länder
Ein Land ist bei Ausübung seiner Verwaltungshoheit grundsätzlich auf sein eigenes Staatsgebiet beschränkt.
(1) Vollzug von Landesgesetzen
Für den Vollzug von Landesgesetzen gilt eine Einschränkung dieses Grundsatzes dann, wenn er - etwa durch
Staatsvertrag - abbedungen oder die Ausübung der Verwaltungshoheit die Hoheitsgewalt anderer Länder
nicht beeinträchtigt.
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(2) Vollzug von Bundesgesetzen (als eigene Angelegenheiten der Länder und Wirkungen im ganzen
Bundesgebiet)
Soweit Bundesgesetze im Sinne des Art. 83 GG vollzogen werden, werden diese von den Ländern als eigene
Angelegenheiten ausgeführt; in diesem Bereich spricht eine Vermutung für die Landeszuständigkeit. Die
Länder sind deshalb grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, zur Ausführung von Bundesgesetzen in eigener
Verantwortung verwaltend tätig zu werden. Der im Vollzug eines Bundesgesetzes ergangene Verwaltungsakt
eines Landes beansprucht grundsätzlich im ganzen Bundesgebiet Geltung.
(3) Übergreifende Verpflichtungen zur Rücksichtnahme
Unabhängig davon, ob die Länder Landes- oder Bundesrecht vollziehen, unterliegen sie der aus dem Bundesstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG folgenden Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten. Diese Pflicht
verlangt, dass sowohl der Bund als auch die Länder bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaates und auf die Belange der
Länder nehmen (BVerfGE 139, 321 [359] für Staatskirchenrecht; vgl. aber auch BVerfGE 139, 321 [371 ff.]
abweichende Meinung).
b) Ausführung von Bundesgesetzen mit Verfahrensregelungen (Art. 84 Abs. 1 GG)
Obgleich Art. 83 GG sowie Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG bestimmen, dass die Länder die Bundesgesetze
als eigene Angelegenheiten ausführen und deshalb die Länder auch die Einrichtung der Behörden und das
Verwaltungsverfahren regeln, kann es gleichwohl zu Zweifelsfragen kommen, wenn es darum geht, ob und
inwieweit der Bund trotz des vorstehenden Grundsatzes es unternehmen darf, das Verwaltungsverfahren zu
regeln. Zunächst zu den Grundregeln und -begriffen:
c) Kein Gesetzesvorbehalt für Verwaltungsaufbau, Behördenzuständigkeit und
Verwaltungsverfahren
Das Grundgesetz enthält keine ausdrückliche Vorschrift, die eine Regelung des Verwaltungsaufbaus, der
Behördenzuständigkeiten oder des Verwaltungsverfahrens durch Gesetz fordert. Zumindest gibt es keinen
Gesetzesvorbehalt für die leistungsgewährende Verwaltung.
Nicht einmal die Erstreckung des Rechtsschutzes für den Staatsbürger durch das Grundgesetz lässt den
Schluss zu, dass auf dem Gebiet des Verwaltungsverfahrens und der Verwaltungszuständigkeiten durchgehend
eine gesetzliche Normierung bestehen müsste (BVerfGE 8, 155 [166 ff.]; fragwürdig, weil durch BVerfGE 119,
331 [366] entschieden worden ist, dass eine hinreichend klare Zuordnung von Verwaltungszuständigkeiten
vor allem im Hinblick auf das Demokratieprinzip erforderlich ist, was ohne gesetzliche Bestimmungen schwer
zu gewährleisten ist; vgl. indessen BVerfGE 12, 205 [247] dazu, dass der VIII. Abschnitt des Grundgesetzes
sowohl für die gesetzesakzessorische wie für die gesetzesfreie Verwaltung andere Regelungen im Sinne von
Art. 30 GG trifft).
d) “Regelungen“ von Verwaltungsverfahren
Vorschriften über das Verwaltungsverfahren sind jedenfalls gesetzliche Bestimmungen, die die Tätigkeit
der Verwaltungsbehörden im Blick auf die Art und Weise der Ausführung des Gesetzes einschließlich ihrer
Handlungsformen, die Form der behördlichen Willensbildung, die Art der Prüfung und Vorbereitung der
Entscheidung, deren Zustandekommen und Durchsetzung sowie verwaltungsinterne Mitwirkungs- und Kontrollvorgänge in ihrem Ablauf regeln (BVerfGE 55, 274 [297 ff., 320 f.]; vgl. auch die abweichende Meinung
BVerfGE 55, 274 [331, 341 ff.] sowie BVerfGE 114, 196 [224]).
aa) Schwieriger Abgrenzungsbereich bei materieller Regelung mit oder ohne Verfahrensfestlegung
Eine zulässige “Annexregelung“ stellten die Vorschriften im JWG des Jahres 1961 über Aufbau und Verfahren
des Jugendamtes dar, weil diese Regelungen “sachbezogen und für die Gewährung eines wirksamen Gesetzesvollzuges notwendig“ waren (BVerfGE 22, 180 [211]; vgl. aber a.a.O. [210] dazu, dass die Bestimmung
der öffentlichen Jugendhilfe zur Selbstverwaltungsangelegenheit der Gemeinden und Gemeindeverbände und
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der Sozialhilfe zur Selbstverwaltungsangelegenheit der kreisfreien Städte und Landkreise einen unzulässigen
Eingriff in die Verwaltungskompetenz der Länder darstellte).
(1) Verneinte Regelungen des Verfahrens
Keine Regelungen des Verwaltungsverfahrens sind Beendigungen von entsprechendem Landeshandeln sowie
Bestimmungen über Auskunftsrechte und Akteneinsicht durch andere Behörden (BVerfGE 10, 20 [49]) sowie
über Schweigepflichten (BVerfGE 14, 197 [221]).
Keine Regelung des Verfahrens von Landesbehörden liegt auch vor, wenn eine Norm einen materiellrechtlichen Anspruch gewährt und damit zwar ein Handeln der Behörde erzwingt, aber das Verfahren hierfür
- auch nicht indirekt - nicht mit festlegt (BVerfGE 75, 108 [149 ff., 152]).
(2) “Verdeckte“ Regelungen des Verfahrens
Gleichwohl muss immer bedacht werden, dass ein Gesetz in ein und derselben Vorschrift zugleich dem
Bürger Rechte gewähren oder Pflichten auferlegen und der Verwaltung Handlungsanweisungen erteilen kann.
Eine solche - möglicherweise “verdeckte“ - Regelung eines “Wie“ des Verwaltungshandelns liegt dann vor,
wenn die den Bürger betreffende materiell-rechtliche Vorschrift zugleich die zwangsläufige Festlegung eines
korrespondierenden verfahrensmäßigen Verhaltens der Verwaltung bewirkt (BVerfGE 55, 274 [321]; vgl. auch
BVerfGE 105, 313 [331]).
bb) Verwaltung von Vermögen
Was die Verwaltung von Vermögen anbelangt, so folgt die Verwaltung des Finanzvermögens (das der öffentlichen Verwaltung lediglich mittelbar durch seinen Kapitalwert dient und dessen Erträgnisse zur Finanzierung
des Verwaltungsaufwandes nutzbar gemacht werden) weitgehend den Regeln des Privatrechts .
(1) Unmittelbar den Zwecken der Verwaltung dienendes Vermögen
Anders ist es regelmäßig beim Verwaltungsvermögen, welches (sowohl durch seinen Gebrauch wie durch seine
Zweckbestimmung) unmittelbar den Zwecken der Verwaltung dient (BVerfGE 10, 20 [37]).
(2) Kulturelle Verwaltungsaufgaben
Was speziell kulturelle Verwaltungsaufgaben anbelangt, kann es sich um die Verwaltung von Verwaltungsvermögen im vorstehenden Verständnis handeln. Dies kann dann der Fall sein, wenn es um die Errichtung
und Unterhaltung von Akademien, Forschungsanstalten, Hochschulen, Theatern und Museen geht; zur Erfüllung seiner Aufgaben im Bereich der Kultur muss der Staat auch solche Gegenstände erwerben und erhalten,
die für die Kulturpflege unentbehrlich sind (BVerfGE 10, 20 [36 f.]).
Die kulturellen Angelegenheiten fallen indessen regelmäßig in den Bereich der Länder (BVerfGE 12, 205
[229]; vgl. auch a.a.O. [250, 252] dazu, dass die Veranstaltung von Rundfunksendungen nicht Aufgabe des
Bundes ist).
cc) Behörden
Unter einer Behörde versteht man im Allgemeinen eine in den Organismus der Staatsverwaltung eingeordnete organisatorische Einheit von Personen und sächlichen Mitteln, die - mit einer gewissen Selbständigkeit
ausgestattet - dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Staatszwecke oder von
ihm geförderter Zwecke tätig zu sein (BVerfGE 10, 20 [48]).
(1) Gemeinde- und sonstige Behörden
Im Sinne von Art. 84 GG Behörden sind nicht nur Verwaltungseinheiten der unmittelbaren Staatsverwaltung auf der Länderebene, sondern auch die Gemeinden und Gemeindeverbände (BVerfGE 77, 288 [299]).
Auch sonstige Behörden und Körperschaften der mittelbaren Landesverwaltung können angesprochen sein
(BVerfGE 114, 196 [223 f.] für Krankenkassen).
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(2) Quantitative Vermehrung von Aufgaben
Ist eine Behörde im Sinne von Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG eingerichtet, was insbesondere auch durch die Festlegung des näheren Aufgabenkreises erfolgt, so greifen rein quantitative Vermehrungen bereits bestehender
Aufgaben nicht in den den Ländern vorbehaltenen Bereich ein (BVerfGE 75, 108 [149 ff.] sowie BVerfGE
114, 196 [224] für bloße Konkretisierungen bzw. Wiederholungen).
dd) (Übertragung von Aufgaben auf) Gemeinden und Gemeindeverbände
Gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG dürfen durch Bundesgesetz Gemeinden und Gemeindeverbänden (zu Art.
28 Abs. 2 GG - Garantie der kommunalen Selbstverwaltung - ausführlich: BVerfGE 137, 108 [156 ff. sowie
176 f.]) Aufgaben nicht übertragen werden.
(1) Gegenstandslose frühere Rechtsprechung
Damit ist wohl die Rechtsprechung gegenstandslos, wonach der Bund nach Art. 84 Abs. 1 GG im Rahmen
seiner materiellen Gesetzgebungszuständigkeit die Einrichtung und das Verfahren kommunaler Behörden
regeln konnte, sofern dies für die Gewährleistung eines wirksamen Gesetzesvollzugs notwendig war (BVerfGE
22, 180 [210]).
(2) Zuordnung der Gemeinden und Gemeindeverbände zu den Ländern
Unberührt hiervon bleibt, dass Gemeinden und Gemeindeverbände staatsorganisations-rechtlich und finanzverfassungsrechtlich den Ländern zugeordnet sind. Sie können sich zwar auf die Selbstverwaltungsgarantie in
Art. 28 Abs. 2 GG stützen, bleiben jedoch hinsichtlich der grundgesetzlichen Verteilung der Verwaltungskompetenzen stets Bestandteil der Länder (BVerfGE 119, 331 [364] sowie BVerfGE 137, 108 [147] “zweistufiger
Bundesstaat des Grundgesetzes“).
ee) Insbesondere: Mischverwaltung
Kennzeichnendes Moment einer Mischverwaltung ist die gemeinsame Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben (BVerfGE 127, 165 [191 f.]).
(1) Kriterien einer Verfassungswidrigkeit
Im vorliegenden Zusammenhang ist Mischverwaltung jede Verwaltungstätigkeit, bei der die sachlichen Entscheidungen in einem irgendwie gearteten Zusammenwirken von Bundes- und Landesbehörden getroffen werden. Aus dieser Einordnung folgt zwar noch nichts für die Frage, ob die Mischverwaltung rechtlich zulässig ist;
verfassungswidrig ist eine Mischverwaltung nur, wenn ihr zwingende Kompetenz- oder Organisationsnormen
oder sonstige Vorschriften des Verfassungsrechts entgegenstehen (BVerfGE 63, 1 [38]).
(2) Zulässige Durchbrechungen des Verbots
Im vorliegenden Zusammenhang muss aber eine Mischverwaltung vom Grundgesetz jedoch ausdrücklich
zugelassen werden (BVerfGE 108, 169 [182]; vgl. auch BVerfGE 119, 331 [364 f.]), was nunmehr durch
beispielsweise (Art. 91 a sowie) Art. 91 e GG der Fall ist:
Zwar durchbricht Art. 91 e Abs. 1 GG das grundsätzliche Verbot der Mischverwaltung, aber dabei handelt
es sich nicht um einen Fall des Art. 79 Abs. 3 GG, weswegen der verfassungsändernde Gesetzgeber zur
Normierung befugt war (BVerfGE 137, 108 [143 ff.]; dort [145] auch dazu, dass insoweit das Verbot einer
Aufgabenübertragung auf Gemeinden - Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG, Art. 85 Abs. 1 Satz 2 GG - nicht gilt).
3. Abweichungsmöglichkeiten (Art. 84 Abs. 1 Sätze 2 - 6 GG)
Soweit ersichtlich, hat das Bundesverfassungsgericht zu den neuen Regelungen über abweichende Regelungen
und strikt bundeseinheitliche Regelungen des Verwaltungsverfahrens ohne Abweichungsmöglichkeiten für die
Länder noch nicht entschieden (vgl. indessen BVerfGE 126, 77 [100] sowie BVerfGE 128, 1 [35] nicht tragend).
Insoweit gelten ähnliche Maßstäbe wie für die neuen Bestimmungen in Art. 72 Abs. 2 und Abs. 3 GG (hierzu
vorstehend VI. 3.).
Brunn - Kapitel C.VIII.4.
Seite 178
4. Pflicht zur Zustimmung des Bundesrats als Folge von bestimmten
Verfahrensregelungen (Art. 84 Abs. 1 Satz 6 sowie Abs. 5 GG)
Um die Länder vor einem Eindringen des Bundes in den ihnen vorbehaltenen Bereich der Verwaltung zu
schützen, macht das Grundgesetz das Zustandekommen von bestimmten Bundesgesetzen, die Vorschriften
über das Verwaltungsverfahren enthalten, von der Zustimmung des Bundesrates abhängig.
a) Zweck eines Zustimmungserfordernisses
Dieses Zustimmungserfordernis soll die Grundentscheidung der Verfassung zugunsten des föderalistischen
Staatsaufbaus mit absichern und verhindern, dass “Systemverschiebungen“ im bundesstaatlichen Gefüge im
Wege der einfachen Gesetzgebung herbeigeführt werden (grundlegend: BVerfGE 37, 363 [379 ff.]; vgl. auch
BVerfGE 105, 313 [331]).
aa) Auslegung der Bestimmungen
Die Voraussetzungen für die Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes im Sinne von Art. 84 GG dürfen
deshalb weder erweiternd noch einengend ausgelegt werden (BVerfGE 55, 274 [319 f.]).
Man wird deswegen Art. 84 Abs. 1 Satz 6 GG (“Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.“)
auf die Fälle des Satzes 5 beschränken müssen; indessen hätte es auch einen gewissen Sinn, wenn trotz
der eingeräumten Länderkompetenzen auch in den Fällen der voranstehenden Sätze 2 bis 4 der Bundesrat
zustimmen müsste.
bb) Art. 84 Abs. 5 GG (neu)
Zum neuen Art. 84 Abs. 5 GG (zustimmungsbedürftiges Gesetz über Einzelweisungen in besonderen Fällen)
liegt noch kein Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts vor; unzulässig dürfte ein “Sammelgesetz“ sein,
welches für viele Bundesgesetze (gewissermaßen pauschal) Befugnisse zu Einzelweisungen verleiht, weil dies
mit dem Ausnahmecharakter der Norm (“besondere Fälle“) nicht vereinbar wäre.
b) Voraussetzungen einer Zustimmungsbedürftigkeit
Das Zustimmungserfordernis gilt allein für solche Bundesgesetze, die - strikt, ohne Abweichungsmöglichkeiten
- selbst das Verfahren der Landesbehörden regeln, also verbindlich die Art und Weise und die Formen ihrer
Tätigkeit zur Ausführung des Gesetzes vorschreiben (BVerfGE 55, 274 [319]; vgl. auch BVerfGE 77, 288
[299] für Gemeinden und Gemeindeverbände).
aa) Einzelfälle
Ein Regelungscharakter liegt nicht vor, wenn Verfahrensbestimmungen eine bestehende und von den Ländern
schon zu beachtende Verfahrensregelung nur wiederholen bzw. konkretisieren (BVerfGE 114, 196 [224]).
Schwierig kann es - wie bereits dargelegt (2.d)aa)) - werden, wenn ein Gesetz sowohl materiell-rechtliche
Regelungen als auch Vorschriften für das Verwaltungsverfahren der Landesverwaltung enthält und durch
eine Änderung materiell-rechtlicher Normen die nicht ausdrücklich geänderten Vorschriften über das Verwaltungsverfahren bei sinnorientierter Auslegung ihrerseits eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite
erfahren; dann liegt regelmäßig Zustimmungsbedürftigkeit vor (BVerfGE 37, 363 [383]).
bb) Gerichtsverfahren
Für die Verfahren vor Gerichten ist Art. 84 Abs. 1 GG nicht heranziehbar (BVerfGE 14, 197 [219]).
Brunn - Kapitel C.VIII.6.
Seite 179
c) Folgen des Vorliegens der Voraussetzungen der Zustimmungsbedürftigkeit
Regelt ein Bundesgesetz, das die Länder als eigene Angelegenheit ausführen, das Verwaltungsverfahren,
so bedarf nach Art. 84 Abs. 1 GG das Gesetz “als Ganzes“ der Zustimmung des Bundesrats, wobei der
Ausdruck Bundesgesetz nicht das Gesetz im Sinne einer einzelnen Norm meint, sondern das Gesetz als
gesetzgebungstechnische Einheit (BVerfGE 8, 274 [294 f.]; vgl. auch BVerfGE 55, 274 [319, 326 f. ]).
Gleichwohl kann der Bundesgesetzgeber das Zustimmungserfordernis dadurch “umgehen“, dass er ein Gesetz
in zustimmungspflichtige und nichtzustimmungspflichtige Regelungen unterteilt, was das Grundgesetz nicht
verbietet (BVerfGE 114, 196 [230]; dort auch zum “Willkürverbot“).
5. Bundesaufsicht (Art. 84 Abs. 3 und Abs. 4 GG)
Art. 84 GG vermittelt zwischen der Gesetzgebungskompetenz des Bundes und der Verwaltungskompetenz
der Länder, indem er dem Bund Einflussmöglichkeiten auf die Anwendung des von ihm gesetzten Rechts
einräumt.
a) Zwecke der Bundesaufsicht
Der Bund soll die Möglichkeit haben, auf eine einheitliche Geltung der Rechtsvorschriften hinzuwirken. Der
Gesichtspunkt der Wirksamkeit des Gesetzesvollzugs tritt hinzu. Die Bundesaufsicht ist anlassunabhängig
und zielt auch auf die Beeinflussung des zukünftigen Gesetzesvollzugs (BVerfGE 127, 165 [203, 207]; vgl.
a.a.O. [221] sowie BVerfGE 137, 108 [149] auch dazu, dass die Möglichkeit der Aktenanforderung auf Fälle
beschränkt ist, in denen es Anhaltspunkte für einen Rechtsverstoß gibt, und ein routinemäßiges Aktenvorlagewesen unzulässig ist, wodurch die Aufsichtsmöglichkeiten geringer sind als bei der Bundesauftragsverwaltung).
b) “Durchgriff“ auf die Gemeinden
Regelmäßig - sieht man von Sonderfällen wie etwa Art. 91 e Abs. 2 GG und Art. 106 Abs. 8 GG ab - ist
dem Bund ein “unmittelbarer Durchgriff auf die Gemeinden“ versagt (BVerfGE 137, 108 [149 f.]; dort [150
f.] auch dazu, dass sich die Finanzkontrolle i.S.v. Art. 91 e Abs. 2 Satz 2 GG von einer “Aufsicht“ abhebt).
6. “Bundesauftragsverwaltung“
Für den Bundesgesetzgeber spielt Art. 85 GG lediglich insoweit eine Rolle, als in Art. 85 Abs. 1 GG Regelungsmöglichkeiten durch Bundesgesetz und Regelungsverbote enthalten sind. Was die übrigen Absätze
anbelangt, so ist im Wesentlichen über die Voraussetzungen und die Folgen des Weisungsrechts gestritten
worden (vgl. BVerfGE 81, 310 [331 ff.] und BVerfGE 102, 167 [172 ff.] sowie BVerfGE 104, 249 [265 ff.]).
a) Charakter der Bundesauftragsverwaltung der Länder
Entgegen dem ersten Anschein ist auch diese Art der Verwaltung eine Form der Landesverwaltung ;
die Länder üben hierbei Landesstaatsgewalt aus, ihre Behörden handeln als Landesorgane , nicht als
Bundesorgane (BVerfGE 81, 310 [331]; vgl. auch BVerfGE 104, 249 [264]).
b) Folgen
Im Gegensatz zu Regelungen gem. Art. 84 Abs. 1 GG besteht im Bereich dieser Verwaltung kein Zustimmungserfordernis für bundesgesetzliche Regelungen des (“bloßen“) Verwaltungsverfahrens (BVerfGE 126, 77
[100]).
Anders ist es gem. Art. 85 Abs. 1 Satz 1 GG, wonach bundesgesetzliche Regelungen zur Einrichtung der
Behörden, die Bundesgesetze im Auftrag des Bundes auszuführen haben, (zwar zulässig sind, aber) der
Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Diese Bestimmung dient dem Schutz der Verwaltungshoheit der
Länder (a.a.O. [98]; grundlegend: BVerfGE 75, 108 [150]).
Brunn - Kapitel C.VIII.7.
Seite 180
aa) Ausgabentragung und Verteilung von Kompetenzen
Handeln die Länder im Auftrag des Bundes, so trägt der Bund nicht nur gemäß Art. 104 a Abs. 2 GG die
sich daraus ergebenden Ausgaben , sondern es sind auch die Kompetenzen dergestalt verteilt , dass dem
Land unentziehbar die Wahrnehmungskompetenz zusteht, die Sachkompetenz hingegen von vornherein
nur unter dem Vorbehalt ihrer Inanspruchnahme durch den Bund (BVerfGE 81, 310 [332]).
bb) Wahrnehmungs- und Sachkompetenz (als unterschiedlich ausgestaltete Länderkompetenzen)
Durch das Atomrecht sind diese Kompetenzformen in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten.
(1) Wahrnehmungskompetenz (Handeln und Verantwortlichkeit nach außen)
Die Wahrnehmungskompetenz, nämlich das Handeln und die Verantwortlichkeit nach außen im Verhältnis
zu Dritten, bleibt stets Landesangelegenheit (und ein Eintrittsrecht des Bundes ist nicht vorgesehen).
(2) Grundsätzliche Zulässigkeit eines “An-sich-Ziehens“ des Bundes
Anders ist es bei der Sachbeurteilung und Sachentscheidung. Zwar liegt die Sachkompetenz zunächst ebenfalls
beim Land. Der Bund kann sie aber nach eigener Entscheidung dadurch an sich ziehen , dass er die
Sachentscheidungsbefugnis ausdrücklich oder konkludent auf sich überleitet. Eine solche Inanspruchnahme
ist nicht auf Ausnahmefälle begrenzt und auch nicht weiter rechtfertigungsbedürftig (BVerfGE 104, 249 [264
f.]; vgl. auch BVerfGE 126, 77 [102]).
7. Bundeseigene Verwaltung (Art. 86 ff. GG)
Ein reiches Betätigungsfeld hat der Bundesgesetzgeber im Zusammenhang der Regelungen der bundeseigenen
Verwaltungen. Größere Probleme sind insoweit bislang nicht aufgetaucht, weswegen auch der Fundus an
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts begrenzt ist:
a) Bundesgrenzschutz (Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG)
Der Bundesgesetzgeber darf dem Bundesgrenzschutz weitere Verwaltungsaufgaben zuweisen, wenn er sich
für deren Wahrnehmung auf eine Kompetenz des Grundgesetzes stützen kann, die Aufgabe von Verfassungs
wegen nicht einem bestimmten Verwaltungsträger vorbehalten ist und die Zuweisung der neuen Aufgabe das
Gepräge des Bundesgrenzschutzes als einer Sonderpolizei zur Sicherung der Grenzen des Bundes und zur
Abwehr bestimmter, das Gebiet oder die Kräfte eines Landes überschreitender Gefahrenlagen wahrt.
Der Bundesgrenzschutz darf indessen nicht zu einer allgemeinen, mit den Landespolizeien konkurrierenden
Bundespolizei ausgebaut werden und damit sein Gepräge als Polizei mit begrenzten Aufgaben verlieren
(BVerfGE 97, 198 [217 f.]).
b) Soziale Versicherungsträger (Art. 87 Abs. 2 GG)
Unter Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG fallen auch Krankenversicherungsträger, denn der Begriff der Sozialversicherung ist derselbe wie der von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG verwendete. Da Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG eine
Ausnahme zu der Regel der Landeseigenverwaltung enthält, ist die Zuweisung zur bundeseigenen Verwaltung
auf die landesübergreifenden Versicherungsträger beschränkt (BVerfGE 114, 196 [223]).
aa) Führung durch Körperschaften
Da Art. 87 Abs. 2 GG bestimmt, dass die sozialen Versicherungsträger als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts zu führen sind, ist eine mittelbare Verwaltung (durch eigenständige Körperschaften ) vorgeschrieben, und eine unmittelbare Verwaltung durch Bundesbehörden ist nicht zulässig (BVerfGE
63, 1 [36]).
Brunn - Kapitel C.VIII.7.
Seite 181
bb) Kompetenz zu Überführungen
Der Bund hat es aufgrund seiner Sachgesetzgebungskompetenz weitgehend in der Hand, ob er landesunmittelbare Sozialversicherungsträger und damit deren Beitragsaufkommen in die Bundesverwaltung überführt
oder nicht.
Es wäre folglich mit dem Grundgesetz grundsätzlich auch zu vereinbaren, wenn der Bundesgesetzgeber etwa
sämtliche Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zusammenfasste und den nunmehr einzigen Träger
nach Art. 87 Abs. 2 GG als bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierte (BVerfGE
113, 167 [201 f., 223]; dort [206] auch dazu, dass das Grundgesetz für die Sozialversicherung ein “in sich
geschlossenes und spezielles kompetenzrechtliches Normkonzept bietet“).
c) Errichtung selbständiger Bundesoberbehörden (Art. 87 Abs. 3 GG)
Art. 87 GG stellt unterschiedliche Möglichkeiten bereit, zwischen denen der Bund wählen darf, soweit die
jeweiligen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der Einrichtung der jeweiligen Behörde erfüllt sind.
Zieht der Bund im Interesse effektiver Aufgabenbewältigung die in Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG ermöglichte
Organisationsform der nach Art. 87 Abs. 1 GG eröffneten vor, so ist dies verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden (BVerfGE 110, 33 [50 f.]; vgl. auch BVerfGE 104, 238 [247] sowie grundlegend BVerfGE 14, 197
[214]; dort auch dazu, dass Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG nicht nur für die gesetzesakzessorische, sondern auch
für die gesetzesfreie Verwaltung gilt).
Im vorliegenden Zusammenhang ist dann beispielsweise auch die gesetzliche Regelung des Verwaltungsverfahrens vor einer Bundesoberbehörde erlaubt (BVerfGE 31, 113 [117]).
d) Organisationsformen “funktionaler Selbstverwaltung“
Die bei In-Kraft-Treten des Grundgesetzes vorhandenen, historisch gewachsenen Organisationsformen der
sog. funktionalen Selbstverwaltung sind vom Verfassungsgeber zur Kenntnis genommen und durch Erwähnung als mit der Verfassung grundsätzlich vereinbar anerkannt worden (BVerfGE 107, 59 [89 f.]).
e) Bundeswehrverwaltung (Art. 87 b GG)
Während Art. 87 a GG (Streitkräfte) für den (einfachen) Gesetzgeber nicht von besonderer Bedeutung ist,
weil die Verfassung die wesentlichen Voraussetzungen des Streitkräfteeinsatzes im Äußeren und im Inneren
selbst regelt (vgl. BVerfGE 121, 135 [160 f.] sowie BVerfGE 124, 267 [276] für den Parlamentsvorbehalt beim
Streitkräfteeinsatz; vgl. BVerfGE 132, 1 [9 ff.] und BVerfGE 126, 55 [69 ff.] zum Einsatz im Inneren), hat
der Bundesgesetzgeber durch Art. 87 b GG Gesetzgebungskompetenzen.
Insoweit gilt, dass zustimmungsbedürftig nach Art. 87 b Abs. 2 Satz 1 GG nicht nur ein solches Bundesgesetz ist, das den Gesetzesvollzug einer Verwaltungsmaterie erstmals den Ländern voll entzieht und in die
Bundeseigenverwaltung überführt oder bestimmt, dass es von den Ländern im Auftrag des Bundes ausgeführt wird; das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates greift vielmehr auch dann ein, wenn ein
Änderungsgesetz die früher mit der Zustimmung des Bundesrates in die Bundeseigenverwaltung oder Bundesauftragsverwaltung überführte Verwaltungsaufgabe so umgestaltet oder erweitert, dass dieser Vorgang
angesichts des Grundsatzes des Art. 83 GG einer neuen Übertragung von Ausführungszuständigkeiten auf
den Bund gleichkommt (BVerfGE 48, 127 [177 ff.]).
f) Luftverkehrsverwaltung (Art. 87 d GG)
Die Übertragung von Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung auf die Länder als Auftragsverwaltung bedarf
eines Bundesgesetzes, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, weil es sich hierbei um eine “besonders
gewichtige Berührung der föderalen Ordnung und des Interessenbereichs der Länder“ handelt (BVerfGE 126,
77 [110 f.]; vgl. auch BVerfGE 133, 241 [261 f.]; grundlegend: BVerfGE 97, 198 [226]).
Der Zustimmungsvorbehalt entfällt indessen, wenn den Ländern dieser Aufgabenbereich entzogen wird, jedenfalls dann, wenn der Aufgabenbereich ihnen nach der primären grundgesetzlichen Aufgabenzuordnung
ohnehin nicht zugewiesen ist (BVerfGE 133, 241 [270 ff.]).
Brunn - Kapitel C.VIII.7.
Seite 182
g) Eisenbahnverkehrsverwaltung (Art. 87 e GG)
Der Begriff der Eisenbahnverkehrsverwaltung umfasst alle hoheitlichen Ordnungs- und Steuerungsaufgaben,
die das Eisenbahnwesen einschließlich des Baus und des Betriebs der Eisenbahnen betreffen (BVerfGE 97,
198 [222]).
aa) Traditionelle Aufgaben
In diesem Rahmen umfasst die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zumindest auch die Wahrnehmung der
Aufgaben, die herkömmlich der ehemaligen Bahnpolizei und dem Fahndungsdienst der Deutschen Bundesbahn zukamen (a.a.O. [218 ff.]).
bb) Ausschluss weiterer Rechte des Bundestags
Soweit im Zusammenhang mit Art. 87 e Abs. 4 und 5 GG der Bundesgesetzgeber tätig werden kann (unter dem Zustimmungsvorbehalt durch den Bundesrat), ist der Deutsche Bundestag hierauf beschränkt; den
genannten Vorschriften ist u.a. zu entnehmen, dass das Parlament seinen Anteil an der Erfüllung der Gewährleistungspflicht durch Gesetzgebung zu leisten hat, was weitere Mitwirkungs- oder Zustimmungsrechte
des Bundestages ausschließt (BVerfGE 129, 356 [368 f.]).
h) Postwesen und Telekommunikation
Was das in Art. 87 f Abs. 1 GG vorgesehene Bundesgesetz anbelangt, so sollte der Bereich des Postwesens
nur mit der Maßgabe aus der staatlichen Regie entlassen werden, dass dabei die Verantwortung des Staates
für die ehedem aus der Daseinsvorsorge entstandenen Aufgaben nicht aufgegeben wurde bzw. wird; der
Infrastrukturgewährleistungsauftrag begründet die staatliche Verantwortung, marktwirtschaftlich bedingte
Nachteile für eine Grundversorgung der Bevölkerung mit Postdienstleistungen zu verhindern (BVerfGE 108,
370 [393 f.]; vgl. auch BVerfGE 130, 52 [71 f.]).
Dies gilt auch für das früher sog. “Fernmeldewesen“, weil der Begriff “Telekommunikation“ nur diesen früher
gebräuchlichen Ausdruck ohne sachliche Änderung ersetzen sollte (BVerfGE 108, 169 [183]; dort auch dazu,
dass das Wort “Hoheitsaufgaben“ verdeutlichen und terminologisch klarstellen soll, dass die verbliebenen
staatlichen Kompetenzen keinesfalls das verwaltungsmäßige Erbringen von Telekommunikationsdienstleistungen umfassen können).
Im Übrigen kann Art. 87 f Abs. 2 GG keineswegs eine Festlegung der Erbringung von Postdienstleistungen
auf das Wettbewerbsprinzip entnommen werden (BVerfGE 108, 370 [393]).
i) Bundesbank (Art. 88 Satz 1 GG)
Art. 88 geht als lex specialis dem Art. 87 GG vor. Dies hatte u.a. zur Folge, dass die Bundesbank (mit
Mittel- und Unterbehörden) errichtet werden konnte, ohne dass die besonderen Voraussetzungen des Art.
87 Abs. 3 Satz 2 GG vorliegen mussten. Außerdem konnten ohne Zustimmung des Bundesrates entweder
durch ausdrückliche Änderung und Ergänzung des Bundesbankgesetzes oder durch besondere Gesetze der
Bundesbank weitere Aufgaben übertragen werden, soweit diese noch in ihren Geschäftskreis fielen (BVerfGE
14, 197 [215 f.]).
j) Übertragungen auf die Europäische Zentralbank (Art. 88 Satz 2 GG)
Art. 88 Satz 2 GG sieht ausdrücklich vor, dass die Aufgaben und Befugnisse der Deutschen Bundesbank (im
Rahmen der Europäischen Union) der Europäischen Zentralbank übertragen werden dürfen (BVerfGE 134,
366 [389]).
Die Regelung in Art. 88 Satz 2 GG besagt auch, dass eine Inanspruchnahme dieser Ermächtigung als solche nicht der Verfassung, insbesondere nicht dem Grundrechten widerspricht (BVerfGE 89, 155 [174]; vgl.
auch BVerfGE 97, 350 [370 ff.] dazu, dass die Ersetzung der Deutschen Mark durch eine andere Währung
ausreichend verfassungsrechtlich legitimiert ist).
Brunn - Kapitel C.VIII.7.
Seite 183
k) Bundeswasserstraßen (Art. 89 GG)
Wie bereits zur Kompetenz in Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG dargelegt (C.VII.12. (vgl. S. 166) ), sind Bundeswasserstraßen, die Binnenwasserstraßen sind, und dem allgemeinen Verkehr dienende Binnenwasserstraßen
im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG begrifflich nicht dasselbe (BVerfGE 15, 1 [7 f.]).
Für die von Art. 89 GG erfassten Bundeswasserstraßen trifft Abs. 2 zugunsten des Bundes eine Kompetenzentscheidung zwischen Bund und Ländern (BVerfGE 21, 312 [322]).
l) Bundesstraßen (Art. 90 GG)
Die Auftragsverwaltung nach Art. 90 Abs. 2 GG umfasst die gesamte Bundesstraßenverwaltung, mithin
sowohl die Hoheitsverwaltung als auch die Vermögensverwaltung der Bundesfernstraßen.
Mit dieser Verwaltungszuständigkeit korrespondiert die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Bau
und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG. Regelungen
über die Abstufung einer Bundesstraße in eine Straßenklasse nach Landesrecht zählen nicht zu den Regelungen über Landstraßen für den Fernverkehr. Dem Bund stehen lediglich die Möglichkeiten offen, eine als
Bundesfernstraße entbehrlich gewordene Straße in Ausübung seines Weisungsrechts zu entwidmen oder dem
Land nach Vereinbarung zur Übernahme zu überlassen (BVerfGE 102, 167 [173 ff.]).
Für eine Übernahme gemäß Art. 90 Abs. 3 GG dürfte kein Bundesgesetz notwendig sein.
m) Gemeinschaftsaufgaben, Verwaltungszusammenarbeitsfälle (Art. 91 a ff. GG)
Soweit ersichtlich, haben die nach Art. 91 a Abs. 2 und Abs. 3 Satz 3 GG sowie Art. 91 c Abs. 4 Satz 2 GG
vorgesehen Gesetze (mit Bundesratsvorbehalt) noch keine Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
hervorgebracht. Anders verhält es sich mit Art. 91 e GG, insbesondere Abs. 3:
aa) Zweck der Vorschrift des Art. 91 e GG
Bei Art. 91 e GG handelt es sich um eine eng begrenzte Durchbrechung der grundsätzlich auf Trennung
von Bund und Ländern angelegten Verteilung der Verwaltungszuständigkeiten nach den Art. 83 ff GG.
Sie beschränkt sich auf die Regelung der Verwaltungs- und Finanzierungszuständigkeiten im Bereich der
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die in Art. 20 Abs. 1 bis Abs. 3 GG enthaltenen und durch Art. 79
Abs. 3 GG abgesicherten Systementscheidungen der Demokratie sowie des Rechts- und Bundesstaates stellt
sie nicht in Frage (BVerfGE 137, 108 [143]).
In seinem Anwendungsbereich verdrängt Art. 91 e GG sowohl die Art. 83 ff GG als auch Art. 104 a
GG (a.a.O. [Ls. 1]). Er begründet eine unmittelbare Finanzbeziehung zwischen dem Bund und den Optionskommunen und ermöglicht eine Finanzkontrolle, die sich von der staatlichen Aufsicht wie auch von der
Finanzkontrolle durch den Bundesrechnungshof unterscheidet (a.a.O. [Ls. 2]).
bb) Art. 91 e Abs. 2 GG als “Einräumung einer Chance“
Art. 91 e Abs. 2 GG räumt den Gemeinden und Gemeindeverbänden eine Chance ein, die Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende als kommunale Träger alleinverantwortlich wahrzunehmen. Die gesetzliche Ausgestaltung dieser Chance muss willkürfrei erfolgen. Ihre Wahrnehmung fällt in den Schutzbereich
der Garantie kommunaler Selbstverwaltung (a.a.O. [Ls. 3]).
cc) Gesetzgebungskompetenz und -auftrag (Art. 91 e Abs. 3 GG)
Nach Art. 91 e Abs. 3 GG regelt das Nähere über das Zusammenwirken von Bund und Ländern oder der nach
Landesrecht zuständigen Gemeinden und Gemeindeverbände bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende ein
Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Die Vorschrift weist dem Bund eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zu und enthält zugleich einen
Gesetzgebungsauftrag, der bewusst weit gefasst wurde und dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung einen
großen Spielraum lassen soll. In der Sache bezieht er sich, wie dargelegt, auf die nähere Ausgestaltung der
Brunn - Kapitel C.IX.0.
Seite 184
gemeinsamen Einrichtungen (Art. 91 e Abs. 1 GG), die Anzahl möglicher Optionskommunen, das von ihnen
zu durchlaufende Verfahren und - im Falle der Zulassung - die Kostentragung für die Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Art. 91 e Abs. 2 Satz 2 GG). Freilich ist diese Aufzählung nicht abschließend
(a.a.O. [160, 168 f.]).
IX. Gesetzgeber und “Steuerstaat“ (Finanzverfassung gem. Art. 104 ff. GG);
insbesondere Gesetzgebungskompetenz für nicht-steuerliche Abgaben sowie
Steuern
1.
2.
3.
4.
Grundsatz des “festen Rahmens“ der Finanzverfassung . . . . . . . . . . . . .
a) Finanzverfassung als für den Gesetzgeber “unübersteigbare“ Grenze . . . . . .
b) Verbot von Analogien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Grundsatz der strikten Kompetenztrennung bei Steuern (Art. 105 GG) einerseits und nichtsteuerlichen Abgaben andererseits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sonderfall der Finanzierung der Sozialversicherung . . . . . . . . . . . . . .
Nichtsteuerliche Abgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Allgemeines (insb. Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen) . . . . . . . .
b)
c)
189
bb) Erfordernis der deutlichen Unterscheidung von Steuern . . . . . . . . . . . . . .
189
cc) Erfordernis der Belastungsgleichheit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
189
(1) Hintergrund des Ausnahmecharakters (gegenüber Steuern) von Abgaben . .
190
(2) Keine “Umwandlung“ einer unzulässigen Abgabe in eine zulässige Steuer . .
190
dd) Staatliche Preisreglementierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gebühren und Beiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190
190
aa) Gemeinsames (Leistung und Gegenleistung) und Unterschiedliches von Gebühren
und Beiträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190
bb) Gebührenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190
cc) Gebührenzwecke
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
191
dd) Rechtssicherheit, Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sonderabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
191
191
. . . . .
191
(1) Erfordernis einer “Konkurrenzsituation zur Steuer“ . . . . . . . . . . . . . .
191
(2) Fehlende Konkurrenzsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
191
bb) Enge Voraussetzungen für die (weitere) Zulässigkeit von Sonderabgaben
(1) “Gruppenbelastung“
(1a)
. . . .
192
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192
Zu Gunsten der Belasteten wirkendes Verbot der gleichheitswidrigen
“Verschonung Näherer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192
“Willkürliche“ Gruppenbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192
(2) Meist unschädliche Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192
(3) Prüfpflichten des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Andere Abgaben (“eigener Art“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192
193
aa) Regelzweck des “Ausgleichs von Belastungen“ Anderer . . . . . . . . . . . . . .
193
(1b)
5.
6.
189
189
189
189
aa) Erfordernis der besonderen sachlichen Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Sonderabgabenbegriff (Konkurrenz zur Steuer, Gegenleistungsfreiheit)
d)
188
188
188
bb) Ausgleich eines “Sondervorteils“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gesetze gem. Art. 104 a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gesetze gem. Art. 104 b Abs. 1 und Abs. 2 GG (Art. 104 a Abs. 4 GG a.F.) - Bundesfinanzhilfe
a) “Wesentliche“ Bestandteile eines entsprechenden Gesetzes . . . . . . . . . .
b) Keine Ermächtigung der Bundesverwaltung durch Art. 104 b Abs. 2 Satz 1 GG zur
Regelung von Verwaltungsbefugnissen gegenüber den Ländern . . . . . . . .
193
193
193
193
194
Brunn - Kapitel C.IX.0.
7.
Seite 185
Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Steuern (Art. 105 GG) . . . . . . . . .
a) Geltung des Art. 70 Abs. 1 GG auch für das Steuerrecht . . . . . . . . . .
aa) Materieller Gehalt einer Abgabe als maßgeblicher Gesichtspunkt für die Abgrenzung der Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b)
c)
194
aa) Maßgeblicher Steuerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
195
(1) Maßgebliche gesetzliche Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
195
(2) Erfordernis des endgültigen Zuflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
195
(3) Kreis der Steuerpflichtigen (Pflicht zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben)
195
(1) (Un-)Zulässige Mittel der Lenkung
195
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
196
. . . . . . . .
196
(2a)
Erforderliche Erkennbarkeit zulässiger Zwecke . . . . . . . . . . .
196
(2b)
Zulässigkeitshindernis der “Widersprüchlichkeit der Rechtsordnung“
196
cc) Abgrenzungen gem. Art. 105 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 72 Abs. 2 GG
. . . . . . .
196
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
196
(2) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
196
dd) Länderkompetenz für nicht gleichartige Verbrauch- und Aufwandsteuern . . . .
197
(1) Erschöpfende Regelungen
(1) Verbrauchsteuer (auf Überwälzung auf den Verbraucher angelegte Warensteuer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
197
(2) Aufwandsteuer (Konsum als Indikator für eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Pflichtigen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
197
(3) Gleichartigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Bundesgesetze mit Zustimmungserfordernis (Art. 105 Abs. 3 GG) . . . .
Der Bundesgesetzgeber und die Verteilung des Steueraufkommens (Art. 106 GG)
a) Vertikale Steuerverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. .
.
.
.
197
197
197
197
aa) Ausgestaltung als Gemeinschaftsteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
197
bb) Befriedigung von Deckungsbedürfnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Einzelne in Art. 106 Abs. 1 und Abs. 2 GG genannte Steuern (Verkehr-, Erbschaft- und
Vermögensteuer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
198
aa) Verkehrsteuern
c)
. .
.
.
.
. .
.
.
.
198
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
198
(1) Luftverkehrsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
198
(2) Grunderwerbsteuer (als “Rechtsverkehrsteuer“)
. . . . . . . . . . . . . . . .
198
bb) Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
198
cc) Vermögensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
Art. 106 Abs. 3 ff. GG als erste Stufe der gesetzlichen Verteilung des Finanzaufkommens 199
aa) Planungsgrundlage
d)
194
195
. . . . . . . . . . . . . . . . .
(2) Rechtfertigungsfähigkeit für steuerliche Be- und Entlastungen
b)
194
bb) “Strenger“ Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ausschließliche Gesetzgebung des Bundes über Zölle und Finanzmonopole (Art. 105 Abs.
1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Konkurrierende Gesetzgebung (Art. 105 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . .
bb) Steuer (auch) als zulässiges Lenkungsinstrument
8.
194
194
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
199
bb) Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gewerbesteuer und Grundsteuer gem. Art. 106 Abs. 6 GG . . . . . . . . . .
199
199
Brunn - Kapitel C.IX.0.
9.
10.
Seite 186
Verkehrsbezogene Länderanteile (Art. 106 a GG sowie Art. 106 b GG) . . . . . . .
Art. 107 GG (Finanzausgleich; Ergänzungszuweisungen) . . . . . . . . . . . .
a) (Nicht allein durch Art. 107 GG erreichbare) Ziele und Zwecke des Art. 107 Abs. 1 GG
aa) Art. 107 GG als einer der tragenden Pfeiler der bundesstaatlichen Ordnung
b)
200
(2) Verbindliche Ordnung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
200
bb) Aufbau des Art. 107 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
200
cc) Ergänzende Vorschriften des Verfassungsrechts, welche indessen außerhalb des Finanzausgleichssystems bleiben müssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
200
(1) Weitere Finanzierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201
(2) Auswirkungen der Finanzleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die für den Bundesgesetzgeber maßgeblichen Rechtsquellen und deren Umsetzung .
201
201
aa) Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201
bb) Die vier Stufen der Verteilung des Finanzaufkommens
. . . . . . . . . . . . . .
201
(1) Erste Stufe (Umsatzsteuerverteilung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201
(2) Zweite Stufe (Unterdurchschnittlichkeit der Einnahmen; Art. 107 Abs. 1 Satz
4, Hs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201
(3) Dritte Stufe (horizontaler Finanzausgleich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201
(4) Vierte Stufe (Sonderlasten)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
202
(5) Schlusskorrektur? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
202
cc) Einzelfragen auf den einzelnen Stufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
202
(1) Erste Stufe (Umsatzsteuerverteilung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
202
(2) Zweite Stufe (Unterdurchschnittlichkeit der Einnahmen)
. . . . . . . . . . .
202
(2a)
Kriterium der Einwohnerzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
202
(2b)
“Strukturelle Eigenart“ von Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . .
202
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
203
(3a)
“Reihenfolge“ der Finanzkraft der ausgleichspflichtigen Länder . .
203
(3b)
“Finanzkraft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
203
(3c)
Finanzkraft von Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
203
(4) Vierte Stufe (Bundesergänzungszuweisungen)
12.
200
(1) Zweck (hinreichende Finanzausstattung von Gesamtstaat und Gliedstaaten)
(3) Dritte Stufe (Horizontaler Finanzausgleich)
11.
. .
199
199
200
. . . . . . . . . . . . . . . . .
203
(4a)
Freiheiten für den Gesetzgeber (zulässige Varianten) . . . . . . . .
203
(4b)
“Leistungsschwäche“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
204
(4c)
Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Finanzverwaltung (Art. 108 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Verhältnis der einzelnen Absätze des Art. 108 GG zu den Art. 83 ff. GG . . . .
b) Oberfinanzdirektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Art. 109 GG (Haushaltswirtschaft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) “Schuldenbremse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Verantwortung des Haushaltsgesetzgebers für das “gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht“
204
204
204
204
205
205
205
aa) Verantwortung für die Auswirkungen des Haushalts . . . . . . . . . . . . . . . .
205
bb) “Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ als unbestimmter Verfassungsbegriff . .
205
Brunn - Kapitel C.IX.0.
Seite 187
13.
Art. 109 a GG (Haushaltsnotlagen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
205
14.
Art. 110 (Haushaltsplan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
206
a)
206
b)
c)
Die besondere Bedeutung des Gesetzgebers
. . . . . . . . . . . . . . .
aa) Herausragende Stellung des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
206
bb) Wahrnehmung durch das Plenum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
206
cc) Missgriff des Gesetzgebers durch “Griff in die Kasse der Sozialversicherung“ . .
207
Die vier Haushaltsgrundsätze im Einzelnen
. . . . . . . . . . . . . . .
aa) Grundsatz der Vollständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
207
(1) Zweck (vollständiger Überblick über Finanzvolumen und Aufgabenlast) . . .
207
(2) Nachtragshaushalt
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
207
bb) Grundsatz der Haushaltswahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
207
(1) Prognosen und Prognosegrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
207
(2) Pflichtverletzungen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
208
cc) Verfassungsgebot der Ausgeglichenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
208
dd) Verfassungsgebot der Vorherigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
208
(1) Verpflichtungen vor und nach Ablauf der Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . .
208
(2) Gebot der Vorherigkeit und Nachtragshaushalt
. . . . . . . . . . . . . . . .
208
(3) Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme zwischen Verfassungsorganen . . .
208
Haushaltsgesetz und Haushaltsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Haushaltsgesetz (Art. 110 Abs. 2 GG)
209
bb) Haushaltsplan (Art. 110 Abs. 1 und Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
209
. . . . . . . . . . . . .
(2) Nicht erfasste Einnahmen und Ausgaben (vom Bund “beherrschte“ juristische
Personen und privatrechtlich organisierte Gesellschaften) . . . . . . . . . . .
Ablauf des Verfahrens und Rechte sowie Pflichten von Beteiligten . . . . . . .
aa) Bundestag und Bundesregierung als Hauptakteure
. . . . . . . . . . . . . . . .
bb) Überstaatliche Vereinbarungen und Verantwortung des Bundestages
15.
208
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) Grundsatz der Budgetöffentlichkeit und Ausnahmen
d)
207
209
209
209
209
. . . . . .
210
(1) Verbot des “Auslieferns“ an “finanzwirksame Mechanismen“ . . . . . . . . .
210
(2) Völkervertragliche “Mechanismen“
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
210
cc) Einfluss von Fraktionen und Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
210
Art. 111 GG und Art. 112 GG (Ausgaben vor Etatgenehmigung bzw. überplanmäßige und
außerplanmäßige Ausgaben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
210
a)
210
b)
Art. 111 GG
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Vorläufige Haushaltsführung der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . .
211
bb) Enge Begrenzung des Spielraums der Bundesregierung
211
Art. 112 GG
. . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
211
aa) Notkompetenz und zusätzliche Prüfungs- und Verfahrenspflichten des Finanzministers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
211
bb) Subsidiarität der Notkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
211
Brunn - Kapitel C.IX.2.
16.
Art. 114 GG (Rechnungslegung und Rechnungsprüfung) . . . . . . . . . . . .
a) Die gewöhnlichen Aufgaben des Bundesrechnungshofs . . . . . . . . . . .
aa) Rechnungsprüfung
211
212
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
212
bb) Rechnungsunabhängige Prüfung (Bundesexekutive als Prüfungsadressatin) . . .
212
cc) Weitere Aufgaben (insbesondere: spezielle Beratung des Parlaments) . . . . . .
Bundesrechnungshof und Länderbereich . . . . . . . . . . . . . . . .
212
212
aa) Grenzen der Erhebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
212
bb) Einzelbefugnisse (u.a. Durchführung von Erhebungen) . . . . . . . . . . . . . .
Art. 115 GG (Kreditbeschaffung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Art. 115 Abs. 1 GG als Konkretisierung des demokratischen Parlamentsvorbehalts .
213
213
213
b)
17.
Seite 188
aa) Pflicht des Parlaments, wesentliche Entscheidungen (Entwicklung des Gesamtschuldenstands) selbst zu treffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b)
c)
bb) Kontrollmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigung, die zumindest bestimmbar den Höchstbetrag festlegen muss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Insbesondere: Gewährleistungsübernahme . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Pflicht zu “flankierenden Rahmenbedingungen“
d)
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
bb) Gesetzliche Bindungen von Inanspruchnahmen und Mitwirkungen des Bundestags
Insbesondere: Gewährleistungsermächtigungen im Rahmen internationaler Übereinkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
213
213
214
214
214
214
214
Im Gegensatz zu manchen Kompetenzen der Art. 70 ff. GG, welche sich ganz überwiegend auf eine reine
Aufgabenzuweisung beschränken, enthalten die Regelungen des X. Abschnitts (nicht nur Aufgabenzuweisungen, sondern) auch inhaltliche Vorgaben (Maßstäbe), über deren Umfang und Grenzen bereits heftig vor
dem Bundesverfassungsgericht gestritten worden ist.
Hier soll es “nur“ darum gehen, welche Verfassungsbestimmungen bzw. verfassungsrechtlichen Grundsätze der
Bundesgesetzgeber zu beachten hat, wenn er Steuern - welche einem “strengen“ Gesetzesvorbehalt unterliegen
(BVerfGE 137, 350 [364] “Diktum des Gesetzgebers“) - und nicht-steuerliche Abgaben regelt sowie den zahlreichen - Gesetzgebungsaufträgen in den Art. 104 ff. GG folgt:
1. Grundsatz des “festen Rahmens“ der Finanzverfassung
Die Regelungen des X. Abschnittes des Grundgesetzes müssen aus zwingenden bundes-staatsrechtlichen
Gründen als eine für Bund und Länder abschließende Regelung verstanden werden (BVerfGE 67, 256 [286]).
a) Finanzverfassung als für den Gesetzgeber “unübersteigbare“ Grenze
Die Finanzverfassung des Grundgesetzes bildet eine in sich geschlossene Rahmen- und Verfahrensordnung
. Sie ist auf Formenklarheit und Formenbindung angelegt. Diese fördern und entlasten den politischen
Prozess, indem sie ihm einen festen Rahmen vorgeben. Der Rahmen selbst stellt eine Grenze dar, die der
einfache Gesetzgeber nicht überschreiten darf.
b) Verbot von Analogien
Deshalb findet sich für Analogieschlüsse , die notwendig zu einer Erweiterung oder Aufweichung dieses
Rahmens führen würden, in diesem Bereich kein rechtlicher Grund (BVerfGE 105, 185 [193 f.]).
Brunn - Kapitel C.IX.4.
Seite 189
2. Grundsatz der strikten Kompetenztrennung bei Steuern (Art. 105 GG) einerseits
und nicht-steuerlichen Abgaben andererseits
Der grundgesetzlichen Finanzverfassung liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Finanzierung der staatlichen
Aufgaben in Bund und Ländern einschließlich der Gemeinden grundsätzlich aus dem Ertrag der in Art. 105
ff. GG geregelten Einnahmequellen erfolgt und nur ausnahmsweise, d.h. unter besonderen Voraussetzungen,
Einnahmen außerhalb des von der Finanzverfassung erfassten Bereichs erschlossen werden dürfen (BVerfGE
78, 249 [266 f.]; vgl. auch BVerfGE 110, 370 [387]).
Für nicht-steuerliche Abgaben (nachfolgend 4.), etwa für Gebühren, sind die Gesetzgebungskompetenzen aus
den allgemeinen Regeln der Art. 70 ff. GG herzuleiten (BVerfGE 108, 1 [13] sowie BVerfGE 113, 128 [145]).
Daher steht den Ländern etwa für das Straßenausbaubeitragsrecht (Materie “Straßenbau“) die Sachkompetenz zu; anders ist es bei Vorschriften über den Bau und die Unterhaltung der Landstraßen des Fernverkehrs
- Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG - (BVerfGE 137, 1 [19]).
3. Sonderfall der Finanzierung der Sozialversicherung
Die vor- und nachstehenden Grundsätze gelten nicht für die Erhebung und Verwaltung von Sozialversicherungsbeiträgen. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, Art. 87 Abs. 2 GG und Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG bilden
ein in sich geschlossenes Regelungssystem für die Sozialversicherung und deren Finanzierung. Diese Bestimmungen gehen als speziellere Normen den allgemeinen, steuerzentrierten Vorschriften des X. Abschnitts des
Grundgesetzes vor (BVerfGE 113, 167 [199 f., 202]).
4. Nichtsteuerliche Abgaben
Maßgeblich für die Qualifizierung einer Abgabe als Steuer oder nichtsteuerliche Abgabe ist die Ausgestaltung
des betreffenden Gesetzes. Die Einordnung der Abgabe richtet sich nicht nach ihrer gesetzlichen Bezeichnung,
sondern nach ihrem tatbestandlich bestimmten, materiellen Gehalt.
[1] Steuern sind öffentliche Abgaben, die als Gemeinlast ohne individuelle Gegenleistung (“voraussetzungslos“) zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs eines öffentlichen Gemeinwesens erhoben werden.
[2] Erweist sich eine Abgabe wegen ihres Gegenleistungscharakters als nichtsteuerliche Abgabe , stehen die
finanzverfassungsrechtlichen Vorschriften des Grundgesetzes ihrer Erhebung nicht entgegen. Das Grundgesetz
enthält keinen abschließenden Kanon zulässiger Abgabetypen. Abgaben, die einen Sondervorteil ausgleichen
sollen, sind als Vorzugslasten zulässig. Darunter fallen Gebühren und Beiträge (BVerfGE 137, 1 [17 f.]).
a) Allgemeines (insb. Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen)
Aus der Begrenzungs- und Schutzfunktion der bundesstaatlichen Finanzverfassung ergeben sich Grenzen für
die Auferlegung von Abgaben in Wahrnehmung einer dem Gesetzgeber (nach den vorstehenden Darlegungen)
zustehenden Kompetenz (BVerfGE 93, 319 [342 f.]).
aa) Erfordernis der besonderen sachlichen Rechtfertigung
Deshalb bedürfen nicht-steuerliche Abgaben - über die Einnahmeerzielung hinaus oder an deren Stelle - einer
besonderen sachlichen Rechtfertigung (BVerfGE 135, 155 [206]).
bb) Erfordernis der deutlichen Unterscheidung von Steuern
Sie müssen sich zudem ihrer Art nach von der Steuer, die “voraussetzungslos auferlegt und geschuldet wird“,
deutlich unterscheiden (BVerfGE 108, 186 [216]; dort [235] auch zu den Bestimmtheitsanforderungen an
Gesetze über öffentlich-rechtliche Abgaben).
cc) Erfordernis der Belastungsgleichheit
Insbesondere muss die Erhebung einer nicht-steuerlichen Abgabe der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen (hierzu ausführlich nachfolgend E.III.1.h)cc) (vgl. S. 475) ) Rechnung tragen.
Brunn - Kapitel C.IX.4.
Seite 190
(1) Hintergrund des Ausnahmecharakters (gegenüber Steuern) von Abgaben
Der Schuldner einer nicht-steuerlichen Abgabe ist regelmäßig zugleich Steuerpflichtiger und wird als solcher
schon zur Finanzierung der die Gemeinschaft treffenden Lasten herangezogen (BVerfGE 93, 319 [343]). Das
schließt nicht aus, dass verschiedene Formen von Abgaben (das Grundgesetz enthält keinen abschließenden
Kanon zulässiger Abgabetypen) als verfassungsrechtlich zulässig gelten müssen (a.a.O. [343 ff.]).
(2) Keine “Umwandlung“ einer unzulässigen Abgabe in eine zulässige Steuer
Die Folge etwa einer unzulässigen Überhöhung einer Abgabe ist nicht etwa diejenige, dass eine solche Abgabe
begrifflich zu einer Steuer würde; vielmehr muss es bei ihrer Zuordnung zu den allgemeinen Sachgesetzgebungskompetenzen der Art. 70 ff. GG unabhängig davon bleiben, ob die Bemessung der Abgabe sachlich
gerechtfertigt oder möglicherweise unzulässig überhöht ist (BVerfGE 108, 1 [13 f.]).
dd) Staatliche Preisreglementierungen
Die vorbezeichneten Maßstäbe für die Auferlegung nicht-steuerlicher Abgaben gelten indessen nicht für etwa
staatliche Preisreglementierungen, weil die sich nur im Bereich privatautonom vereinbarter Leistungsbeziehungen auswirken und deshalb der Schutzzweck der Rechtsprechung zu den Sonderabgaben nicht eingreift
(BVerfGE 114, 196 [249 f.]).
b) Gebühren und Beiträge
Nur wenige Spezialisten dürften in der Lage sein, ohne Zuhilfenahme einschlägiger Rechtsprechung mit den
folgenden Begriffen “trittsicher“ umzugehen:
aa) Gemeinsames (Leistung und Gegenleistung) und Unterschiedliches von Gebühren und Beiträgen
Gebühren sind öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die aus Anlass individuell zurechenbarer Leistungen
dem Gebührenschuldner durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt
werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu
decken.
Das gilt entsprechend für Beiträge , die im Unterschied zu Gebühren schon für die potentielle Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung oder Leistung erhoben werden. Durch Beiträge sollen die Interessenten
an den Kosten einer öffentlichen Einrichtung beteiligt werden, von der sie potentiell einen Nutzen haben.
Der Gedanke der Gegenleistung , also des Ausgleichs von Vorteilen und Lasten ist der den Beitrag im
abgabenrechtlichen Sinn legitimierende Gesichtspunkt. Während bei den Zwecksteuern die Ausgaben- und
die Einnahmenseite voneinander abgekoppelt sind, werden bei den nichtsteuerlichen Abgaben in Form von
Beiträgen die Rechtfertigung und die Höhe der Abgabe gerade durch den öffentlichen Aufwand vorgegeben
(BVerfGE 137, 1 [18]).
bb) Gebührenbegriff
Das Grundgesetz enthält keinen eigenständigen Gebührenbegriff, aus dem sich unmittelbar Kriterien für
die Verfassungsmäßigkeit von Gebührenmaßstäben, Gebührensätzen oder Gebührenhöhen ableiten ließen
(BVerfGE 97, 332 [344 f.]).
Demnach muss ein allgemeiner Gebührenbegriff zugrunde gelegt werden. Hiernach sind Gebühren öffentlichrechtliche Geldleistungen, die aus Anlass individuell zurechenbarer öffentlicher Leistungen dem Gebührenschuldner durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maßnahmen auferlegt werden und
dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistungen deren Kosten ganz oder teilweise zu decken. Aus
dieser Zweckbestimmung folgt, dass Gebühren für staatliche Leistungen nicht völlig unabhängig von den
tatsächlichen Kosten der gebührenpflichtigen Staatsleistung festgesetzt werden dürfen; die Verknüpfung zwischen Kosten und Gebührenhöhe muss sachgerecht sein (a.a.O. [345]; vgl. auch BVerfGE 132, 334 [349]).
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cc) Gebührenzwecke
Neben den zulässigen Gebührenzwecken “Kostendeckung“ (BVerfGE 108, 1 [18]) sowie “Vorteilsabschöpfung“
(a.a.O.) können auch Lenkungszwecke und soziale Zwecke als zulässige Gebührenzwecke anerkennungswürdig
sein; ein solcher sozialer Zweck kann etwa durch Abstufungen der Gebührenbelastung nach Leistungsfähigkeit
unterhalb einer kostenorientierten Obergrenze verfolgt werden (a.a.O.; vgl. auch BVerfGE 132, 334 [349]).
Diese zulässigen Gebührenzwecke muss der Gesetzgeber allerdings vor allem im Wortlaut des Gesetzes deutlich machen (BVerfGE 108, 1 [20]; vgl. auch BVerfGE 132, 334 [350] zur “Normenwahrheit“).
dd) Rechtssicherheit, Vertrauensschutz
Vor allem gilt zwar, dass die Anforderungen an die gesetzgeberische Gebührenbemessung, die komplexe
Kalkulationen, Bewertungen, Einschätzungen und Prognosen voraussetzen kann, nicht überspannt werden
dürfen (BVerfGE 108, 1 [19]).
Indessen darf aber der Gesetzgeber nicht unbegrenzt zuwarten, bis er - was im Grundsatz zulässig ist - einen in
der Vergangenheit liegenden Vorteil ausgleichen will; der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr,
dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang
er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss. Deshalb kann der Gesetzgeber aus Gründen des
Vertrauensschutzes verpflichtet sein, Verjährungsregelungen zu treffen (BVerfGE 133, 143 [159 f.]).
c) Sonderabgaben
Auch insoweit soll die Finanzverfassung des Grundgesetzes (durch einschränkende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie entsprechende gesetzliche Regelungen) vor Aushöhlung bewahrt werden; Sonderabgaben unterliegen engen Grenzen und müssen deshalb (gegenüber Steuern) “seltene Ausnahmen bleiben“
(BVerfGE 108, 186 [217]; vgl. auch BVerfGE 135, 155 [207]).
Dies ist allerdings nicht nur auf bundesrechtliche Sonderabgaben beschränkt, sondern kann auch landesrechtliche Sonderabgaben betreffen (BVerfGE 92, 91 [115 f.]).
aa) Sonderabgabenbegriff (Konkurrenz zur Steuer, Gegenleistungsfreiheit)
Entscheidend für die Qualifizierung einer Abgabe als Sonderabgabe ist ihr materieller Gehalt und nicht
etwa, wie das Abgabengesetz selbst die Abgabe klassifiziert (BVerfGE 55, 274 [304 f.]).
Auch die Einstellung des Aufkommens in den allgemeinen Haushalt ändert nichts an dem durch die Fassung
der Abgabentatbestände bestimmten materiellen Gehalt (BVerfGE 108, 186 [213]).
(1) Erfordernis einer “Konkurrenzsituation zur Steuer“
Der Begriff der Sonderabgabe umfasst nur einen näher eingegrenzten Teil der nicht-steuerlichen Abgaben.
Nicht-steuerliche Geldleistungen sind immer nur dann Sonderabgaben, wenn es zu einer Konkurrenzsituation
zur Steuer kommt (BVerfGE 81, 156 [186 f.]; vgl. auch BVerfGE 123, 132 [140 f.]).
Wesentliches Merkmal einer Sonderabgabe ist es nämlich, dass sie eine Geldleistungspflicht begründet, der
keine Gegenleistung der öffentlichen Hand entspricht. Aus diesem Grund gerät jede Sonderabgabe zwangsläufig in Konkurrenz zu dem verfassungsrechtlich umfassend geregelten Institut der Steuer, mit der sie jedenfalls
insoweit übereinstimmt, als sie den Betroffenen eine Geldleistungspflicht voraussetzungslos - d.h. ohne Rücksicht auf eine korrespondierende Gegenleistung der öffentlichen Hand - auferlegt. Zur Sonderabgabe gehört
ferner, dass sie nicht aus einer eigenen Abgabenkompetenz erhoben wird, sondern unter Inanspruchnahme
von Kompetenzen zur Regelung bestimmter Sachmaterien, die ihrer Art nach nicht auf Abgabenerhebung
bezogen sind (BVerfGE 81, 156 [186 f.).
(2) Fehlende Konkurrenzsituationen
Ist mithin maßgeblich, ob mangels sonstiger spezieller Sach- und Zweckzusammenhänge eine Konkurrenz
zur Steuer nicht von vornherein ausgeschlossen ist (BVerfGE 108, 186 [219]), so steht der Qualifizierung
als Sonderabgabe entgegen, wenn eine Geldleistungspflicht unter Inanspruchnahme von Gesetzgebungssachkompetenzen normiert wird, die bereits aus sich heraus auch auf die Regelung der Finanzierung, mithin
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die Erhebung von Abgaben, gerichtet sind; zu dem bei der Erhebung von Sonderabgaben typischerweise
drohenden Konflikt mit den Regelungen der Finanzverfassung kann es dann nicht kommen (BVerfGE 75,
108 [148] für Künstlersozialversicherung).
bb) Enge Voraussetzungen für die (weitere) Zulässigkeit von Sonderabgaben
Der Gesetzgeber darf sich des Finanzierungsinstruments der Sonderabgabe nur zur Verfolgung eines Sachzwecks bedienen, der über die bloße Mittelbeschaffung hinausgeht. In dem Gesetz muss die gestaltende
Einflussnahme auf den geregelten Sachbereich zum Ausdruck kommen. Die einen Sachbereich gestaltende
Sonderabgabe darf nur eine vorgefundene homogene Gruppe (nachfolgend (1)) in Finanzverantwortung nehmen. Die Gruppe muss durch besondere gemeinsame Gegebenheiten von der Allgemeinheit und anderen
Gruppen abgrenzbar sein.
(1) “Gruppenbelastung“
Nur eine - bereits vorgegebene - “homogene“ Gruppe darf mit der Sonderabgabe belegt werden; sie muss zu
dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck in einer Beziehung spezifischer Sachnähe stehen, aufgrund
deren ihr eine besondere Finanzierungsverantwortung zugerechnet werden kann, und außerdem muss das
Abgabenaufkommen gruppennützig verwendet werden (BVerfGE 135, 155 [206 ff.] für Filmförderung sowie
BVerfGE 136, 194 [242 f.] für Abgabe nach § 43 WeinG; dort [243] auch dazu, dass eine “vollständige
Interessenharmonie“ nicht vorlangt ist, sondern ein “rechtfertigendes Maß an spezifischer Gemeinsamkeit“).
(1a) Zu Gunsten der Belasteten wirkendes Verbot der gleichheitswidrigen “Verschonung Näherer“
Von der Belastung mit einer Sonderabgabe dürfen Gruppen nicht ausgeschlossen werden, die zum Sachzweck
der Abgabe in gleicher oder größerer Nähe stehen als die Abgabebelasteten (BVerfGE 136, 194 [246]).
(1b) “Willkürliche“ Gruppenbildungen
Es ist dem Gesetzgeber insbesondere verwehrt, für die beabsichtigte Abgabenerhebung beliebig Gruppen
nach Gesichtspunkten zu bilden, die nicht in der Rechts- oder Sozialordnung vorgegeben sind (BVerfGE 82,
159 [180 f.]; vgl. auch BVerfGE 110, 370 [392] zu dem Erfordernis einer spezifischen Sachnähe der Abgabepflichtigen zu der zu finanzierenden Aufgabe bzw. zur sachgerechten Verknüpfung zwischen Belastungen und
Begünstigungen).
(2) Meist unschädliche Effekte
Nicht geboten ist eine jederzeitige Gleichverteilung des Nutzens unter allen Abgabebelasteten; ein “Mitprofitieren“ Außenstehender ist im begrenzten Umfang zulässig, auch mittelbare (und nicht nur unmittelbare)
Nutzeffekte können berücksichtigungsfähig sein, und die Anforderung der gesamtgruppennützigen Verwendung bezieht sich (nicht auf einzelne finanzielle Maßnahmen, sondern) auf das Abgabenaufkommen als Ganzes (BVerfGE 136, 194 [259]).
(3) Prüfpflichten des Gesetzgebers
Auch wenn alle vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind, ist der Gesetzgeber gehalten, in angemessenen
Zeitabständen zu überprüfen, ob seine ursprüngliche Entscheidung für den Einsatz des gesetzgeberischen
Mittels “Sonderabgabe“ aufrecht zu erhalten ist (BVerfGE 82, 159 [181]; vgl. auch BVerfGE 124, 348 [366]
sowie BVerfGE 124, 235 [244 f.]; dort [250] auch zum Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers; vgl. darüber
hinaus BVerfGE 108, 186 [218 f.] sowie BVerfGE 136, 194 [261] für das Erfordernis haushaltsrechtlicher
Informationspflichten durch Dokumentation der Sonderabgaben; zusammenfassend: BVerfGE 135, 155 [206
f.]).
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d) Andere Abgaben (“eigener Art“)
Unter besonderen Voraussetzungen können - neben Steuern, Gebühren und Beiträgen sowie Sonderabgaben
- auch andere Abgaben verfassungsrechtlich möglich sein (BVerfGE 82, 159 [181]).
Auch insoweit ist die Zulässigkeit einer Abgabe nicht etwa davon abhängig, ob sie sich den gebräuchlichen
Begriffen (etwa der Gebühr oder des Beitrags) einfügt (BVerfGE 93, 319 [345]).
aa) Regelzweck des “Ausgleichs von Belastungen“ Anderer
Ausgleichsabgaben “eigener Art“ sind regelmäßig dadurch gekennzeichnet, dass ihr Zweck nicht die Finanzierung einer besonderen Aufgabe ist, sondern der Ausgleich einer Belastung (anderer Pflichtigen), die sich
aus einer primär zu erfüllenden öffentlich-rechtlichen Pflicht ergibt. Sie wird denjenigen auferlegt, die diese
Pflicht - aus welchen Gründen auch immer - nicht erfüllen, und soll damit auch zur Erfüllung der Pflicht
anhalten (BVerfGE 92, 91 [117]; vgl. auch BVerfGE 78, 249 [266 ff.] für “Abschöpfungsabgabe“, mit der eine
Fehlleitung von Subventionen ausgeglichen werden soll).
bb) Ausgleich eines “Sondervorteils“
Zulässig kann es freilich auch sein, einen Einzelnen zu belasten, dem die Nutzung einer bestimmten Ressource
eröffnet wird, womit er einen Sondervorteil gegenüber all denjenigen erhält, die das Gut nicht oder nicht
im gleichen Umfang nutzen dürfen (BVerfGE 93, 319 [345 f.] für Wasserpfennig).
Auch die Erhebung des “Kabelgroschens“ nach einem Staatsvertrag über die Höhe der Rundfunkgebühr
verstieß nicht gegen das Grundgesetz (BVerfGE 90, 60 [105]; vgl. auch BVerfGE 114, 371 [386] für Teilnehmerentgelt zur Mitfinanzierung privaten Rundfunks, fragwürdig).
5. Gesetze gem. Art. 104 a GG
Der Gesetzgeber kann gem. Art. 104 a Abs. 5 GG auch eine verschuldensunabhängige Haftung begründen.
Eine Beschränkung auf evidente oder grobe Rechtsverstöße kann dem Gesetzgebungsauftrag in Art. 104 a
Abs. 5 Satz 2 GG nicht entnommen werden. Das Ausführungsgesetz braucht keine übergreifende Kodifizierung des Verwaltungshaftungsrechts zu sein; möglich - und jeweils am Verfassungsrecht zu messen - sind auch
Teilausführungsregelungen im Zusammenhang bereichsspezifischer Sachregelungen (BVerfGE 127, 165 [205];
dort [205 und 207] auch dazu, dass der Bundesverwaltung die Befugnis eingeräumt werden darf, zum Zwecke
der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Haftungsanspruchs bei den Landesverwaltungen
Berichte anzufordern, Akten beizuziehen und Unterlagen einzusehen).
Eine - der Sache nach - “Abweichung“ von den Grundsätzen des Art. 104 a (Abs. 1, 3 und 5) GG stellt die
neu geschaffene Vorschrift des Art. 91 e Abs. 2 Satz 2 GG dar, die aber verfassungsrechtlich zulässig erlassen
worden ist (BVerfGE 137, 108 [147]).
6. Gesetze gem. Art. 104 b Abs. 1 und Abs. 2 GG (Art. 104 a Abs. 4 GG a.F.) Bundesfinanzhilfe
Das “Nähere“ kann nicht auf andere Weise als durch zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz oder Verwaltungsvereinbarung geregelt werden; denn die verfassungsrechtlich gewährleistete Mitwirkung der Länder bei
der Entscheidung über die Grundlagen der Finanzzuweisungen ist nur in diesen beiden Beteiligungsformen
ausreichend gesichert (BVerfGE 41, 291 [304]). Das Zustimmungsgesetz muss alles Wesentliche enthalten
und darf dies weder Verwaltungsvorschriften noch Ermessensentscheidungen eines Bundesministeriums noch
gar einer bloßen Verwaltungspraxis überlassen.
a) “Wesentliche“ Bestandteile eines entsprechenden Gesetzes
Wesentliche Bestandteile dieser Gesetze sind mindestens - erstens - Regelungen über die Auswahl der zu fördernden Investitionsvorhaben, - zweitens - die Bestimmung der Höhe des Bundesanteils an den förderungsfähigen Investitionskosten an dem auch insoweit durch Art. 104 b GG gezogenen Rahmen und schließlich drittens - die Fixierung eines einheitlichen Maßstabes, nach dem der Bund - vorbehaltlich einer allseitigen
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Einigung mit den Ländern - mangels feststehender oder berechenbarer Landesquoten verfährt, wenn die
Summe der von den Ländern angeforderten Bundesmittel den Ansatz im Bundeshaushalt übersteigt (BVerfGE 39, 96 [116 f.]; vgl. indessen BVerfGE 127, 165 [202] dazu, dass noch offen ist, ob die zur früheren
Rechtslage entwickelten Grundsätze unter der Geltung des Art. 104 b GG weiterhin zu beachten sind).
b) Keine Ermächtigung der Bundesverwaltung durch Art. 104 b Abs. 2 Satz 1 GG
zur Regelung von Verwaltungsbefugnissen gegenüber den Ländern
Art. 104 b Abs. 2 Satz 1 GG enthält keine Ermächtigung zu Regelungen, die der Bundesverwaltung Verwaltungsbefugnisse gegenüber den Ländern einräumen. Die Auslegung von Regelungskompetenzen kann zwar
ergeben, dass damit in bestimmtem Umfang Verwaltungskompetenzen des Bundes verbunden sein sollen,
worauf aber nur bei hinreichend deutlichen Anhaltspunkten geschlossen werden kann, welche hier nicht
ersichtlich sind (BVerfGE 127, 165 [192 f.]).
7. Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Steuern (Art. 105 GG)
Das Steuerrecht dürfte selbst für ausgesprochene Fachleute als ein nahezu undurchdringlicher “Dschungel“
erscheinen. Hier geht es “nur“ um Begriffsklärungen und Zuordnungen. Wegen des “Mischcharakters“ der
Kompetenzregeln, die auch - zumindest was die einzelnen Abgrenzungen anbelangt - materielles Verfassungsrecht enthalten, kann es nicht ausbleiben, dass hier ähnliche oder gar gleiche - vom Bundesverfassungsgericht
beantwortete - Fragen angesprochen werden (müssen), die auch an anderen Stellen (etwa Art. 3 Abs. 1 GG
[E.III.1.h)aa) (vgl. S. 466) und E.III.1.h)bb) (vgl. S. 472) ] sowie Art. 14 GG [E.XIV.1.d)aa) (vgl. S. 657)
und E.XIV.1.d)bb) (vgl. S. 658) ] behandelt werden (müssen)).
Die (wohl) schwierigsten Aufgaben (im Hinblick auf das materielle Steuerrecht) erwachsen dem Steuergesetzgeber, wenn es darum geht, wie dem Grundsatz der Belastungsgleichheit entsprochen werden kann (hierzu
ausführlich E.III.1.h)aa)(1) (vgl. S. 466) ).
a) Geltung des Art. 70 Abs. 1 GG auch für das Steuerrecht
Art. 70 Abs. 1 GG gilt als Grundregel der bundesstaatlichen Verfassung für jede Art von Gesetzgebung, also
auch für das Gebiet des Steuerrechts. Die Länder können daher solche Steuern erfinden und regeln, die nicht
durch Art. 105 GG der ausschließlichen oder konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes zugewiesen sind (BVerfGE 16, 64 [79]; vgl. BVerfGE 98, 83 [101] dazu, ob die Länder außerhalb der Zuständigkeit
des Art. 105 GG ein Steuererfindungsrecht haben).
aa) Materieller Gehalt einer Abgabe als maßgeblicher Gesichtspunkt für die Abgrenzung der Kompetenzen
Für die Abgrenzung der Kompetenzbereiche der Bundes- und Landesgesetzgebung nach Art. 105 GG kommt
es nicht darauf an, wie ein Abgabengesetz selbst eine öffentlich-rechtliche Abgabe klassifiziert, sondern entscheidend ist der materielle Gehalt der Abgabe (BVerfGE 7, 244 [251 f.]).
bb) “Strenger“ Gesetzesvorbehalt
Im Steuerrecht, dessen Steuerbelastungsentscheidungen weitgehend vom Willen des Gesetzgebers zu Belastungsgegenstand und Tarif abhängen, ist im Übrigen von einem “strengen Gesetzesvorbehalt“ auszugehen
(BVerfGE 137, 350 [364]).
b) Ausschließliche Gesetzgebung des Bundes über Zölle und Finanzmonopole (Art.
105 Abs. 1 GG)
Zölle sind formal bestimmt als die Abgaben, die nach Maßgabe des Zolltarifs von der Warenbewegung über
die Zollgrenze erhoben werden. Deshalb können Länder nicht andere Abgaben vom Warenverkehr über
eine Grenze regeln, sofern sie dadurch in die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes über das Zollwesen
eingreifen (BVerfGE 8, 260 [269]).
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Die Bestätigung des Bestandes der Finanzmonopole vornehmlich in Art. 105 Abs. 1 GG enthält zugleich die
grundgesetzliche Billigung ihrer Struktur im Großen. Damit werden diejenigen Beschränkungen der freien
wirtschaftlichen Betätigung des Einzelnen, die sich aus der vom Grundgesetz angetroffenen Struktur der
Monopole notwendig ergeben, im Prinzip hingenommen und gebilligt (BVerfGE 14, 105 [111]).
c) Konkurrierende Gesetzgebung (Art. 105 Abs. 2 GG)
Nach Art. 105 Abs. 2 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Steuergesetze,
wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Art.
72 Abs. 2 GG vorliegen.
Das Aufkommen der Erbschaftsteuer beispielsweise steht zwar vollständig den Ländern zu (Art. 106 Abs.
2 Nr. 2 GG). Für den Bereich der Erbschaftsteuer besitzt der Bund die Gesetzgebungskompetenz aber
gleichwohl deshalb, weil die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse
eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht - Art. 72 Abs. 2 GG (nachstehend cc)) - (BVerfGE 138,
136 [176]).
aa) Maßgeblicher Steuerbegriff
Unter den Steuern im X. Abschnitt des Grundgesetzes sind nur solche den Steuerbegriff erfüllenden Abgaben
zu verstehen, die vom Bund, von den Ländern oder von Gebietskörperschaften erhoben werden (BVerfGE
10, 141 [176]).
(1) Maßgebliche gesetzliche Definition
Die im deutschen Steuerrecht eingebürgerte Begriffsbestimmung der Steuer, die in der gesetzlichen Definition
des § 1 Abs. 1 der (Reichs-)Abgabenordnung ihren Niederschlag gefunden hat, gilt auch für das Grundgesetz
und muss deshalb den Kompetenzvorschriften über die Steuergesetzgebung zugrunde gelegt werden (BVerfGE
7, 244 [251]; vgl. auch BVerfGE 98, 106 [123] sowie BVerfGE 110, 274 [294]).
(2) Erfordernis des endgültigen Zuflusses
Weil nur Abgaben erfasst werden, die dem Staat endgültig zufließen, sind keine Steuern im Sinne der Kompetenzbestimmung Abgaben, deren Rückzahlung von vornherein vorgesehen ist, wie dies bei den sog. Zwangsanleihen der Fall ist (BVerfGE 67, 256 [282 f.]).
(3) Kreis der Steuerpflichtigen (Pflicht zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben)
Der Kreis der Abgabepflichtigen ist nicht auf solche Personen begrenzt, die einen wirtschaftlichen Vorteil
aus öffentlichen Vorhaben ziehen (BVerfGE 65, 325 [344]), weil die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben, zu
deren Finanzierung Zwecksteuern dienen, nicht den Charakter einer Gegenleistung des Abgabeberechtigten
zugunsten des Abgabepflichtigen hat, wodurch sich - wie dargestellt (vorstehend 4.a) und b)) - Steuern im
Übrigen von Gebühren und Beiträgen unterscheiden (BVerfGE 7, 244 [254]).
Einen unzulässigen Missbrauch stellte es allerdings dar, wenn das Steuergesetz dem ihm begrifflich zukommenden Zweck, Steuereinnahmen zu erzielen, geradezu zuwiderhandelte, indem es ersichtlich darauf ausginge,
die Erfüllung des Steuertatbestandes praktisch unmöglich zu machen, also in diesem Sinne eine “erdrosselnde“ Wirkung auszuüben (BVerfGE 16, 147 [161]).
bb) Steuer (auch) als zulässiges Lenkungsinstrument
Bisweilen kann der Zweck, Einkünfte für die Bestreitung allgemeiner Staatsaufgaben zu erzielen, in den
Hintergrund treten. Zulässiger (Haupt-)Zweck kann es auch sein, Steuern zum zentralen Lenkungsinstrument aktiver staatlicher Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik zu erheben (BVerfGE 55, 274 [299]; vgl. auch
BVerfGE 135, 126 [142]):
Brunn - Kapitel C.IX.7.
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(1) (Un-)Zulässige Mittel der Lenkung
Der Gesetzgeber darf eine Steuerkompetenz grundsätzlich auch ausüben und damit Differenzierungen verfolgen, um Lenkungsauswirkungen zu erzielen. Er darf nicht nur durch Ge- und Verbote, sondern ebenso durch
mittelbare Verhaltenssteuerung auf Wirtschaft und Gesellschaft gestaltend Einfluss nehmen. Der Bürger
wird dann nicht rechtsverbindlich zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet, erhält aber durch Sonderbelastung eines unerwünschten Verhaltens oder durch steuerliche Verschonung eines erwünschten Verhaltens
ein finanzwirtschaftliches Motiv, sich für ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu entscheiden (BVerfGE
137, 350 [367 f.]).
Nicht-steuerlicher Art wären hingegen Regelungen, die auf eine Steuerkompetenz nicht gestützt werden
könnten, bei denen die steuerliche Lenkung nach Gewicht und Auswirkung einer verbindlichen Verhaltensregel nahekommt, die Finanzfunktion der Steuer also durch eine Verwaltungsfunktion mit Verbotscharakter
verdrängt wird (BVerfGE 98, 106 [118]; vgl. auch BVerfGE 135, 126 [142]).
(2) Rechtfertigungsfähigkeit für steuerliche Be- und Entlastungen
Wenn solche Förderungs- und Lenkungsziele von erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidungen getragen
werden, sind sie geeignet, rechtfertigende Gründe für steuerliche Belastungen oder Entlastungen zu liefern.
(2a) Erforderliche Erkennbarkeit zulässiger Zwecke
Dabei genügt es, wenn die gesetzgeberischen Entscheidungen anhand der üblichen Auslegungsmethoden
festgestellt werden können. Lenkungszwecke können sich etwa aus den Gesetzesmaterialien ergeben. Möglich
ist auch, den Zweck aus einer Gesamtschau der jeweils normierten Steuervorschriften zu erschließen (BVerfGE
137, 350 [367 f.]).
(2b) Zulässigkeitshindernis der “Widersprüchlichkeit der Rechtsordnung“
Allerdings ist die Ausübung der Steuergesetzgebung zur Lenkung in einem anderweitig geregelten Sachbereich
nur zulässig, wenn dadurch die Rechtsordnung nicht widersprüchlich wird (BVerfGE 98, 106 [119]; vgl. auch
BVerfGE 98, 83 [98]).
cc) Abgrenzungen gem. Art. 105 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 72 Abs. 2 GG
Für die Steuergesetzgebungskompetenzen gelten - wie vorstehend vor aa) angedeutet- dieselben Voraussetzungen der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung wie für Art. 72 Abs. 2 GG (BVerfGE 125,
141 [154 f.]; vgl. auch BVerfGE 138, 136 [176 ff.]).
(1) Erschöpfende Regelungen
Die Inanspruchnahme eines Steuergegenstandes durch den Bundesgesetzgeber bedeutet eine erschöpfende
Regelung, weswegen der Landesgesetzgeber einen Tatbestand, an den ein Bundesgesetz bereits eine Steuer
geknüpft hat, nicht mehr mit einer gleichartigen Steuer belegen kann (BVerfGE 7, 244 [258 f.]; vgl. auch
BVerfGE 16, 64 [75] dazu, dass entscheidend ist, ob die eine Steuer dieselbe Quelle wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ausschöpft wie die andere).
(2) Einzelfälle
Weil dem Bund das Aufkommen der Gewerbesteuer weder ganz noch zum Teil originär zusteht, steht bei
dieser Materie dem Bund das Recht zur Gesetzgebung nur zu, wenn die Voraussetzungen des Art. 72 Abs.
2 GG erfüllt sind (BVerfGE 125, 141 [153]).
Hingegen war der Stabilitätszuschlag eine Einkommensteuer, weshalb der Bundesgesetzgeber zum Erlass
des Stabilitätszuschlaggesetzes befugt war (BVerfGE 36, 66 [70 f.]).
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dd) Länderkompetenz für nicht gleichartige Verbrauch- und Aufwandsteuern
Ob ein Landesgesetzgeber sich mit dem Erlass eines Steuergesetzes im Rahmen der Kompetenzgrundlage
aus Art. 105 Abs. 2 a Satz 1 GG hält, hängt allein vom Charakter der geschaffenen Steuer ab. Dieser
wird zwar auch durch den vom Gesetzgeber gewählten Steuermaßstab mitbestimmt. Von Einfluss auf die
kompetenzielle Einordnung einer Steuer ist der Besteuerungsmaßstab indessen nur, soweit er deren Typus
prägt, nicht hingegen im Hinblick auf seine sonstige Eignung, den Besteuerungsgegenstand in jeder Hinsicht
leistungsgerecht zu erfassen (BVerfGE 123, 1 [17]; vgl. auch BVerfGE 135, 126 [142]).
(1) Verbrauchsteuer (auf Überwälzung auf den Verbraucher angelegte Warensteuer)
Eine Verbrauchsteuer ist eine Warensteuer , die den Verbrauch vertretbarer, regelmäßig zum baldigen
Verzehr oder kurzfristigen Verbrauch bestimmter Güter des ständigen Bedarfs belastet. Als Besteuerung
des Verbrauchs wird sie in der Regel bei demjenigen Unternehmer erhoben, der das Verbrauchsgut für die
allgemeine Nachfrage anbietet, ist aber auf Überwälzung auf den Verbraucher angelegt (BVerfGE 98, 106
[123 f.]; vgl. auch BVerfGE 110, 274 [297 f.]).
(2) Aufwandsteuer (Konsum als Indikator für eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Pflichtigen)
Eine Aufwandsteuer ist eine Steuer auf die in der Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf
zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (BVerfGE 16, 64 [74]; vgl. auch BVerfGE 123,
1 [15]).
Ausschlaggebendes Merkmal ist der Konsum in Form eines äußerlich erkennbaren Zustandes, für den finanzielle Mittel verwendet werden. Der Aufwand im Sinne von Konsum ist typischerweise Ausdruck und
Indikator der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, ohne dass es darauf ankäme, von wem und mit welchen
Mitteln dieser finanziert wird und welchen Zwecken er des Näheren dient (BVerfGE 65, 325 [347 f.]; vgl.
auch BVerfGE 114, 316 [334] für Zweitwohnungsteuer).
(3) Gleichartigkeit
Das Gleichartigkeitsverbot des Art. 105 Abs. 2 a GG hat gegenüber dem entsprechenden traditionellen
steuerrechtlichen Begriff einen engeren Sinn. Seine Voraussetzungen sind nicht so streng wie im Bereich der
konkurrierenden Gesetzgebung, weil anderenfalls die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis der Länder für
die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern leer liefe (BVerfGE 65, 325 [350 f.]).
d) Bundesgesetze mit Zustimmungserfordernis (Art. 105 Abs. 3 GG)
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hierzu sind - soweit ersichtlich - noch nicht ergangen.
8. Der Bundesgesetzgeber und die Verteilung des Steueraufkommens (Art. 106 GG)
Angesichts der Fülle an Kompetenzen, die Art. 106 Abs. 3 ff. GG enthält, ist es erstaunlich, dass das
Bundesverfassungsgericht bislang nur wenige Entscheidungen hierzu gefällt hat.
a) Vertikale Steuerverteilung
Art. 106 GG regelt die sog. “vertikale Steuerverteilung“, die das Verhältnis des Bundes zur Ländergesamtheit
betrifft. Art. 106 GG weist die Erträge bestimmter Steuern entweder dem Bund (Art. 106 Abs. 1 GG) oder
den Ländern (Art. 106 Abs. 2 GG) zu.
aa) Ausgestaltung als Gemeinschaftsteuern
Die vom Ertrag her bedeutendsten Steuern - Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer - sind
als Gemeinschaftsteuern ausgestaltet; dabei sind Bund und Länder am Aufkommen der Einkommensteuer
(auch nach Abzug des den Gemeinden zufließenden Anteil) und der Körperschaftsteuer je zur Hälfte beteiligt, während ihre Anteile an der Umsatzsteuer variabel sind und durch Bundesgesetz mit Zustimmung des
Bundesrates festgelegt werden (Art. 106 Abs. 3 GG; neuerdings wird auch das Aufkommen der Umsatzsteuer
nach Art. 106 Abs. 5a GG den Gemeinden zugewiesen).
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bb) Befriedigung von Deckungsbedürfnissen
Diese variable Festlegung ist nicht beliebig, sie orientiert sich vielmehr an einer gleichmäßigen Deckung der
notwendigen Ausgaben von Bund und Ländern bei der Abstimmung der jeweiligen Deckungsbedürfnisse
aufeinander im Sinne eines billigen Ausgleichs (Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG).
Damit erhält bereits die vertikale Steueraufteilung, bezogen auf die Ländergesamtheit, ausgaben- und bedarfsorientierten Charakter (BVerfGE 72, 330 [383 f.]; vgl. auch BVerfGE 116, 327 [378 f.] sowie BVerfGE
125, 141 [158 ff.]).
b) Einzelne in Art. 106 Abs. 1 und Abs. 2 GG genannte Steuern (Verkehr-,
Erbschaft- und Vermögensteuer)
In der Ordnung des Grundgesetzes deckt der Staat seinen Finanzbedarf grundsätzlich durch steuerliche
Teilhabe am Erfolg privaten Wirtschaftens; er belastet durch die Besteuerung von Einkommen und Ertrag
den privaten Vermögenserwerb und durch die Besteuerung von Umsatz, Verkehrs- und Verbrauchsvorgängen
die private Verwendung von Vermögen (BVerfGE 93, 121 [134]).
aa) Verkehrsteuern
Was zunächst die in Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG und Art. 106 Abs. 2 GG genannten Verkehrsteuern anbelangt,
so gehört zum “Wesen“ der Verkehrsteuern, dass sie an Akte oder Vorgänge des Rechtsverkehrs, an einen
rechtlichen oder wirtschaftlichen Akt, an die Vornahme eines Rechtsgeschäfts, einen wirtschaftlichen Vorgang
oder einen Verkehrsvorgang anknüpfen (BVerfGE 16, 64 [73]).
(1) Luftverkehrsteuer
In diesem Sinne handelt es sich bei der Luftverkehrsteuer um eine Verkehrsteuer; sie ist eine sonstige auf
motorisierte Verkehrsmittel (Schiffe, Bahnen, Flugzeuge) bezogene Steuer i.S.d. Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG
i.V.m. Art. 105 Abs. 2, 1. Alt. GG, für die der Bund die Kompetenz hat (BVerfGE 137, 350 [361 ff.]).
(2) Grunderwerbsteuer (als “Rechtsverkehrsteuer“)
Als “Rechtsverkehrsteuer“ (BVerfGE 139, 1 [14 f.]) dürfte folglich auch die Grunderwerbsteuer, die den
Ländern zusteht und seit einigen Jahren hinsichtlich des Steuersatzes von den Ländern geregelt werden darf
(BVerfGE 139, 285 [286]), eine Verkehrsteuer sein.
bb) Erbschaftsteuer
Spätestens durch die Entscheidung BVerfGE 93, 165, wonach u.a. der steuerliche Zugriff seine Grenze dort
findet, wo die Steuerpflicht den Erwerber übermäßig belastet und die ihm zugewachsenen Vermögenswerte
grundlegend beeinträchtigt (a.a.O. [Ls. 2]), ist die Erbschaftsteuer in den verfassungsrechtlichen Blick geraten; zutreffend fordert die ergänzende abweichende Meinung der Entscheidung BVerfGE 138, 136 (252 ff.)
in diesen Zusammenhängen - und in Fortentwicklung der abweichenden Meinung BVerfGE 93, 121 [149 ff.]
zur Vermögensteuer - auch die Beachtung des Sozialstaatsprinzips bei der Gestaltung der Erbschaftsteuer.
Schwierige Aufgaben sind dem Gesetzgeber vornehmlich durch die Entscheidung BVerfGE 138, 136 erwachsen; hiernach kann nämlich der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sein, wenn die gebotene
gleichheitsgerechte Belastung durch eine Steuer durch bestimmte Steuervergünstigungen in Frage gestellt
wird - Leitsatz 1 -, und besteht die Gesetzgebungskompetenz des Bundes (a.a.O. [176 ff.]), auch wenn die
Erbschaftsteuer (wohl) allein den Ländern zugutekommt (Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG).
cc) Vermögensteuer
Was sodann die in Art. 106 Abs. 2 Nr. 1 GG angesprochene Vermögensteuer angeht, so kann auch der
ruhende Bestand des Vermögens Anknüpfungspunkt für eine Steuerbelastung sein, wie dies insbesondere bei
der Vermögensteuer und den Realsteuern der Fall ist.
Sie werden vom Grundgesetz bei der Regelung der Ertragshoheit (Art. 106 Abs. 2 Nr. 1 und - was Realsteuern
anbelangt - Art. 106 Abs. 6 GG) in ihrer historisch gewachsenen Bedeutung aufgenommen und als zulässige
Form des Steuerzugriffs anerkannt (BVerfGE 93, 121 [134 f.]).
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c) Art. 106 Abs. 3 ff. GG als erste Stufe der gesetzlichen Verteilung des
Finanzaufkommens
Auf der ersten Stufe, der Verteilung der Ertragshoheit über das Steueraufkommen zwischen Bund und
Ländern, ist die variable vertikale Verteilung des Umsatzsteueraufkommens zwischen Bund und Ländergesamtheit nach Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG an verfassungsrechtlich vorgegebene Grundsätze gebunden.
Im Rahmen der laufenden Einnahmen haben Bund und Länder gleichmäßigen Anspruch auf Deckung ihrer
notwendigen Ausgaben .
aa) Planungsgrundlage
Der Umfang der notwendigen Ausgaben stützt sich nach Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 Satz 2 GG auf
eine Planungsgrundlage , die sicherstellt, dass Bund und Länder bei der Ermittlung der notwendigen
Ausgaben und der laufenden Einnahmen jeweils dieselben Indikatoren zugrunde legen, deren Entwicklung
in finanzwirtschaftlicher Rationalität über Jahre hin beobachten, aufeinander abstimmen und fortschreiben,
auf dieser Grundlage dem Haushaltsgesetzgeber jeweils in Bund und Ländern dauerhafte Grundlagen für
Planungen geben und in dem kontinuierlich fortgeschriebenen Kriterium der Notwendigkeit gewährleisten,
dass nicht eine großzügige Ausgabenpolitik sich bei der Umsatzsteuerzuteilung refinanzieren könnte, eine
sparsame Ausgabenpolitik hingegen verminderte Umsatzsteueranteile zur Folge hätte (BVerfGE 101, 158
[220]).
bb) Einzelfragen
Während Art. 106 Abs. 3 GG mithin Einnahmen verteilt, deren Rechtsqualität fest steht, können nichtsteuerliche Einnahmen sich nicht in steuergleiche Einnahmen verwandeln, selbst wenn sie außergewöhnlich
hohe Erträge erbringen (BVerfGE 105, 185 [194]).
Was die Einkommensteuer anbelangt, so konnten Ergänzungsabgaben bzw. Stabilitätszuschläge , welche
in der Vergangenheit erhoben worden sind, Einkommensteuern sein bzw. ihnen gleichstehen (BVerfGE 32,
333 [338] sowie BVerfGE 36, 66 [70 f.]).
d) Gewerbesteuer und Grundsteuer gem. Art. 106 Abs. 6 GG
Die 1997 erfolgte Änderung des Art. 106 Abs. 6 GG bestätigte den schon zuvor vom Bundesverfassungsgericht
vertretenen Standpunkt, dass die Gewerbesteuer als solche mit ihrer Verankerung im Grundgesetz in ihrer
Grundstruktur und herkömmlichen Ausgestaltung verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Eine Prüfung der
gesetzlichen Ausgestaltung der Gewerbesteuer am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG (E.III.1.) wird dadurch
allerdings nicht entbehrlich (BVerfGE 120, 1 [25 ff.]).
Entsprechendes gilt für die Erhebung der Grundsteuer (hierzu BVerfGE 10, 372 [376 ff.] und BVerfGE 86,
148 [225]).
Was insgesamt die kommunale Finanzhoheit anbelangt, so ist sie durch Art. 106 Abs. 6 GG und sodann
durch Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG konstitutiv verstärkt worden, weswegen Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG geeignet
ist, das verfassungsrechtliche Bild der Selbstverwaltung mitzubestimmen (BVerfGE 125, 141 [158 f.]).
9. Verkehrsbezogene Länderanteile (Art. 106 a GG sowie Art. 106 b GG)
Zu diesen neueren Länderanteilen liegt noch - soweit ersichtlich - keine Senatsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor.
10. Art. 107 GG (Finanzausgleich; Ergänzungszuweisungen)
Selten sind über Bundesgesetze, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, wie es in Art. 107 GG mehrfach der Fall ist, solche erbitterten Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht (seit dessen Bestehen;
vgl. bereits BVerfGE 1, 82 sowie BVerfGE 1, 117) geführt worden (und sie werden - wohl - auch weiterhin
geführt werden) wie im Zusammenhang des Art. 107 GG.
Brunn - Kapitel C.IX.10.
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a) (Nicht allein durch Art. 107 GG erreichbare) Ziele und Zwecke des Art. 107 Abs.
1 GG
Hier kann es nur darum gehen, die für den Gesetzgeber zu erreichenden Ziele und Zwecke des Art. 107
GG ins Bewusstsein zu rufen, die das Bundesverfassungsgericht aus Art. 107 GG abgeleitet hat; Einzelheiten
hierzu sind zu unübersichtlich und können nur mit Hilfe von Spezialschrifttum einer Beantwortung zugeführt
werden.
aa) Art. 107 GG als einer der tragenden Pfeiler der bundesstaatlichen Ordnung
Art. 107 GG bildet - ebenso wie die übrigen finanzverfassungsrechtlichen Normen des Grundgesetzes - einen
der tragenden Pfeiler der bundesstaatlichen Ordnung.
(1) Zweck (hinreichende Finanzausstattung von Gesamtstaat und Gliedstaaten)
Insgesamt sollen diese Artikel eine Finanzordnung sicherstellen, die den Gesamtstaat und die Gliedstaaten
am Ertrag der Volkswirtschaft sachgerecht beteiligt. Nur auf der Basis einer hinreichenden Finanzausstattung
sind die Länder und ist der Bund in der Lage, die eigene Staatlichkeit zu entfalten. Insofern ist es unabdingbar,
dass die bundesstaatliche Verfassung die finanziellen Positionen des Bundes und seiner Glieder bestimmt und
absichert.
(2) Verbindliche Ordnung
Diese Ordnungsfunktion der Finanzverfassung schließt es aus, ihre Regelungen - sei es insgesamt, sei es in
Teilen - als Recht von minderer Geltungskraft anzusehen, das (etwa bis zur Willkürgrenze) abweichenden
Kompromissen und Handhabungen zugänglich ist, sofern nur ein vertretbares Ergebnis erreicht wird. Das
Grundgesetz hat auch in diesem Bereich, der nicht das Verhältnis des Bürgers zum Staat, sondern das
Verhältnis zwischen Bund und Ländern sowie der Länder untereinander betrifft, rechtliche Positionen,
Verfahrensregeln und Handlungsrahmen festgelegt, die Verbindlichkeit beanspruchen (BVerfGE 72, 330
[388 f.]).
bb) Aufbau des Art. 107 GG
Art. 107 Abs. 1 GG bestimmt als Teil eines mehrstufigen Systems zur Verteilung des Finanzaufkommens
im Bundesstaat, was den einzelnen Ländern als eigene Finanzausstattung zusteht.
Art. 107 Abs. 2 GG korrigiert diese Ergebnisse dieser primären Steuerverteilung, soweit sie auch unter
Berücksichtigung der Eigenstaatlichkeit der Länder (aus dem bundesstaatlichen Gedanken der Solidargemeinschaft heraus) unangemessen sind. Ziel dieser Verteilung ist es, Bund und Länder finanziell in die Lage
zu versetzen, die ihnen verfassungsrechtlich zukommenden Aufgaben auch wahrzunehmen ; erst dadurch
kann die staatliche Selbständigkeit von Bund und Ländern real werden, können sich Eigenständigkeit und
Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenwahrnehmung entfalten.
Im Hinblick auf die mit dieser Aufgabenverteilung verknüpfte Ausgabenbelastung, die in Art. 104 a GG
geregelt ist, soll im Rahmen der vorhandenen Finanzmasse Bund und Ländern, soweit möglich, eine
angemessene Finanzausstattung verschafft werden. Von diesem Ansatzpunkt her regelt das Grundgesetz die
Verteilung des Finanzaufkommens in verschiedenen, aufeinander aufbauenden und aufeinander bezogenen
Stufen, wobei jeder Stufe bestimmte Verteilungs- und Ausgleichsziele zugeordnet sind.
Daraus ergibt sich insgesamt ein verfassungsrechtlich normiertes Gefüge des Finanzausgleichs, das zwar in
sich durchaus beweglich und anpassungsfähig ist, dessen einzelne Stufen aber nicht beliebig funktional
ausgewechselt oder übersprungen werden können (BVerfGE 72, 330 [382 ff.]; vgl. auch BVerfGE 86, 148 [213
ff.]; BVerfGE 101, 158 [214] sowie BVerfGE 116, 327 [378]).
cc) Ergänzende Vorschriften des Verfassungsrechts, welche indessen außerhalb des Finanzausgleichssystems bleiben müssen
Bei allem ist zu bedenken, dass außerhalb des Steuerzuweisungs- und Finanzausgleichssystems der Art. 106
GG und Art. 107 GG auch die Bundesfinanzierung von bundesmitbestimmten Länderaufgaben Ausgleichswirkungen entfaltet.
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(1) Weitere Finanzierungsinstrumente
Die Mitfinanzierungen nach Art. 91 a ff. GG, die Bundesfinanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden nach Art. 104 b GG, die anteilige Übernahme von Ausgaben für den
Vollzug von Bundesgeldleistungsgesetzen nach Art. 104 a Abs. 3 GG und der Bundesausgleich für bundesveranlasste besondere Einrichtungen von Ländern und Gemeinden nach Art. 106 Abs. 8 GG bieten ebenfalls
Bundesfinanzierungsinstrumente, die Aufgabenlasten der Länder mindern und ihnen die Wahrnehmung ihrer
Aufgaben erleichtern.
(2) Auswirkungen der Finanzleistungen
Freilich betreffen die Verteilungswirkungen dieser Bundesfinanzleistungen besondere Lasten und Bedarfe,
die im Länderfinanzausgleich und bei den Bundesergänzungszuweisungen unberücksichtigt bleiben. Sie
stehen daher (im Maßstab wie in der Rechtsfolge) außerhalb dieses Verteilungssystems (BVerfGE 101, 158
[225 f.]).
b) Die für den Bundesgesetzgeber maßgeblichen Rechtsquellen und deren
Umsetzung
Das variable Steuerzuweisungs- und -ausgleichssystem stützt sich in seiner Konkretheit wie in seiner Zeitwirkung auf drei aufeinander aufbauende Rechtserkenntnisquellen :
aa) Rechtsquellen
Das Grundgesetz gibt in der Stetigkeit des Verfassungsrechts die allgemeinen Prinzipien für die gesetzliche
Steuerzuteilung und den gesetzlichen Finanzausgleich vor; der Gesetzgeber leitet daraus langfristige ,
im Rahmen kontinuierlicher Planung fortzuschreibende Zuteilungs- und Ausgleichsmaßstäbe ab; in Anwendung dieses den Gesetzgeber selbst bindenden Maßstab gebenden Gesetzes (Maßstäbegesetz) entwickelt
das Finanzausgleichsgesetz sodann kurzfristige, auf periodische Überprüfung angelegte Zuteilungs- und
Ausgleichsfolgen (BVerfGE 101, 158 [216 f.]; dort [218] auch dazu, dass das Maßstab gebende Gesetz in
zeitlichem Abstand vor seiner konkreten Anwendung im Finanzausgleichsgesetz beschlossen und sodann in
Kontinuitätsverpflichtungen gebunden werden muss, die seine Maßstäbe gegen aktuelle Finanzierungsinteressen, Besitzstände und Privilegien abschirmen).
bb) Die vier Stufen der Verteilung des Finanzaufkommens
Wie bereits angedeutet, steht der mehrfach geänderte Art. 107 GG in einem engen Zusammenhang mit Art.
106 GG.
(1) Erste Stufe (Umsatzsteuerverteilung)
Sie ist erst vollziehbar, nachdem der Gesetzgeber die verfassungsrechtlich vorgegebenen Grundsätze des
Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nrn. 1 und 2 GG inhaltlich verdeutlicht und insbesondere den Tatbestand der
“laufenden Einnahmen“ und der “notwendigen Ausgaben“ so bestimmt und berechenbar geformt hat, dass
daraus Verteilungsschlüssel abgeleitet werden können.
(2) Zweite Stufe (Unterdurchschnittlichkeit der Einnahmen; Art. 107 Abs. 1 Satz 4, Hs. 2 GG)
Auf der zweiten Stufe ist der Gesetzgeber ermächtigt, die Unterdurchschnittlichkeit der Einnahmen berechenbar zu definieren und das Gesamtvolumen der Ergänzungsanteile näher zu bestimmen.
(3) Dritte Stufe (horizontaler Finanzausgleich)
Die dritte Stufe verlangt vom Gesetzgeber ebenfalls zunächst eine Maßstabgebung , aus der dann die
konkreten Ansprüche und Verbindlichkeiten abgeleitet werden können. Nach Art. 107 Abs. 2 Satz 2 GG
genügt es nicht, dass das Finanzausgleichsgesetz die Ausgleichsansprüche und die Ausgleichsverbindlichkeiten
regelt, vielmehr sind die “Voraussetzungen“ für Ausgleichsansprüche und Ausgleichsverbindlichkeiten sowie
die “Maßstäbe“ für die Höhe der Ausgleichsleistungen im Gesetz zu bestimmen (BVerfGE 101, 158 [215 f.];
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vgl. auch BVerfGE 72, 330 [395 ff.] dazu, dass Art. 107 Abs. 2 GG den horizontalen Finanzausgleich und
die Bundesergänzungszuweisungen dem freien Aushandeln der Beteiligten entzieht, sie gewissen normativen
Vorgaben unterstellt und sie in die Verantwortung des Bundesgesetzgebers gibt).
(4) Vierte Stufe (Sonderlasten)
Auf der vierten Stufe schließlich wird der Gesetzgeber ermächtigt, für benannte und begründete Sonderlasten
Ergänzungszuweisungen vorzusehen (BVerfGE 101, 158 [216 f.]; dort [235 f.] auch dazu, dass im Ergebnis
dem Gesetzgebungsauftrag der Art. 107 Abs. 3 GG und Art. 107 Abs. 2 GG nur ein Gesetz genügt, das
sich nicht auf die Regelung von Verteilungs- und Ausgleichsfolgen beschränkt, sondern vielmehr Zuteilungsund Ausgleichsmaßstäbe benennt, die den rechtfertigenden Grund für diese Verfassungskonkretisierung und
Verfassungsergänzung erkennen lassen; vgl. allgemein zu Begründungsverpflichtungen des Gesetzgebers
A.II.3.d) (vgl. S. 22) ).
(5) Schlusskorrektur?
Dem Gesetzgeber ist es zwar von Verfassungs wegen nicht von vornherein verwehrt, das Ergebnis des von
ihm festgelegten Verfahrens, das auf einen angemessenen Ausgleich zielt und diesen an sich zu bewirken in
der Lage ist, aus besonderen Gründen noch einmal zu korrigieren.
Doch verletzt eine solche Korrektur dann das verfassungsrechtliche Willkürverbot , wenn der Gesetzgeber
selbst gesetzte Maßstäbe für die - stufenweise - Bewirkung des angemessenen Ausgleichs ohne irgendwie
einleuchtenden Grund wieder verlässt und dies Ergebnisse hervorruft, die zu den selbstgesetzten Maßstäben
und Ausgleichsschritten im Widerspruch stehen (BVerfGE 86, 148 [251 ff.]; vgl. auch BVerfGE 101, 158 [231
ff.]; dort [215 und 219] auch allgemein zu gesetzgeberischen Konkretisierungs- und Ergänzungspflichten).
cc) Einzelfragen auf den einzelnen Stufen
Die Fülle an zu beachtenden allgemeinen Maßstäben bedingt eine noch größere Fülle an Schwierigkeiten im
Einzelnen.
(1) Erste Stufe (Umsatzsteuerverteilung)
Insoweit darf auf die vorstehenden Darlegungen zu Art. 106 GG verwiesen werden.
(2) Zweite Stufe (Unterdurchschnittlichkeit der Einnahmen)
Entschließt der Gesetzgeber sich dazu, von der Ermächtigung des Art. 107 Abs. 1 Satz 4 GG Gebrauch
zu machen und für einen Teil des Länderanteils am Aufkommen der Umsatzsteuer Ergänzungsanteile für
steuerschwächere Länder vorzusehen, steht erst nach der Zuteilung dieser Ergänzungsanteile die eigene Finanzausstattung der einzelnen Länder fest (BVerfGE 72, 330 [385]; vgl. auch BVerfGE 116, 327 [379]).
(2a) Kriterium der Einwohnerzahl
Da der horizontale Finanzausgleich nach Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG in erster Linie ein Ausgleich des Finanzaufkommens ist und dazu dient, den Ländern staatliche Selbständigkeit durch eine aufgabengerechte
Finanzausstattung zu ermöglichen, was verlangt, die absoluten Erträge der Länder im Hinblick auf das Verteilungsziel des Länderfinanzausgleichs angemessen vergleichbar zu machen, wodurch erst die Erträge als
Indikatoren für die Finanzkraft der Länder im Hinblick auf die Erfüllung der ihnen verfassungsrechtlich
zugewiesenen Aufgaben dienen, ist das geeignete und grundsätzlich angemessene Kriterium hierfür die
Einwohnerzahl. Sie ist der gegebene Bezugspunkt, wenn es um den Vergleichsmaßstab für die Fähigkeit der
Länder geht, ihre Aufgaben zu erfüllen.
(2b) “Strukturelle Eigenart“ von Ländern
Nur wo die Angemessenheit dieses Kriteriums aus unverfügbar vorgegebener struktureller Eigenart von Ländern, wie sie den Stadtstaaten eigentümlich ist, von vornherein entfällt, ist es gerechtfertigt, die tatsächliche
Einwohnerzahl als Bezugspunkt für die Vergleichbarmachung des Finanzaufkommens zu modifizieren (BVerfGE 86, 148 [238 f.]; vgl. auch BVerfGE 101, 158 [229]; dort [230 f.] auch dazu, dass die Einbeziehung der
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neuen Länder in den Länderfinanzausgleich es erforderlich macht, die Finanzkraft der Stadtstaaten der
Finanzkraft dünn besiedelter Flächenstaaten gegenüberzustellen und zu prüfen, ob eine Ballung der Bevölkerung in einem Land oder eine unterdurchschnittliche Bevölkerungszahl einen abstrakten Mehrbedarf pro
Einwohner rechtfertigen kann).
(3) Dritte Stufe (Horizontaler Finanzausgleich)
Der Finanzausgleich zwischen den Ländern (Art. 107 Abs. 2 GG) ist kein Mittel, das Ergebnis der in Art.
107 Abs. 1 GG geregelten primären Steuerverteilung durch ein neues System zu ersetzen, das etwa allein
vom Gedanken der finanziellen Gleichheit der Länder geprägt wird, ihre Eigenstaatlichkeit und Eigenverantwortung jedoch nicht mehr berücksichtigt. Seine Zielrichtung ist vielmehr, solche Unterschiede in der
Finanzkraft der Länder, die durch die primäre Verteilung des Steueraufkommens nicht aufgehoben, sondern
möglicherweise erst offenbar werden, aber gleichwohl im Hinblick auf die bundesstaatliche Solidargemeinschaft als unangemessen gelten müssen, in gewissem Umfang - wenn auch nicht voll - auszugleichen
(BVerfGE 86, 148 [214 f.]; vgl. auch BVerfGE 101, 158 [222] sowie BVerfGE 116, 327 [380]).
(3a) “Reihenfolge“ der Finanzkraft der ausgleichspflichtigen Länder
Ausgleichsverpflichtungen dürfen insbesondere nicht dazu führen, dass die Reihenfolge der Finanzkraft
der ausgleichspflichtigen Länder verändert wird (a.a.O. [250] bzw. [222] bzw. [380]), was wohl auch bedingt,
dass die Reihenfolge der Finanzkraft der ausgleichsberechtigten Länder im Grundsatz nicht verändert werden
darf.
(3b) “Finanzkraft“
Dabei ist der Begriff der Finanzkraft in Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG umfassend zu verstehen; er darf
nicht allein auf die Steuerkraft reduziert werden (BVerfGE 72, 330 [397 ff.]; dort [402 ff.] sowie in BVerfGE
101, 158 [225] auch zu den Sonderbelastungen aus der Unterhaltung und Erneuerung von Seehäfen und den
denkbaren Folgen).
(3c) Finanzkraft von Gemeinden
Was insbesondere das Gebot des Art. 107 Abs. 2 Satz 1, Hs. 2 GG betrifft, Finanzkraft und Finanzbedarf der
Gemeinden (Gemeindeverbände) zu berücksichtigen, so ist dieses dem Ziel eines angemessenen Ausgleichs
der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder zu- und untergeordnet; es verpflichtet den Gesetzgeber, die
Finanzkraft der Gemeinden einzubeziehen , soweit dem nicht spezifische Gründe aus den Verhältnissen
der Gemeinden entgegenstehen (BVerfGE 86, 148 [216 ff.]; vgl. auch BVerfGE 101, 158 [230]).
(4) Vierte Stufe (Bundesergänzungszuweisungen)
Bundesergänzungszuweisungen sind als Ergänzung , nicht als Ersatz oder Fortsetzung des horizontalen
Finanzausgleichs angelegt (BVerfGE 116, 327 [381]). Sie sollen ergänzende Korrekturen ermöglichen, wenn
die Steuerverteilung innerhalb der Ländergesamtheit und auch der angemessene Ausgleich unter den Ländern zu einer Finanzausstattung führen, die nach dem bundesstaatlichen Prinzip solidarischen Einstehens
füreinander noch als änderungsbedürftig erscheint (BVerfGE 101, 158 [232 f.]; vgl. auch BVerfGE 116, 327
[377 ff.] “abschließender Bestandteil des mehrstufigen Systems zur Verteilung des Finanzaufkommens im
Bundesstaat“).
(4a) Freiheiten für den Gesetzgeber (zulässige Varianten)
Bei der nach diesem Maßstab erfolgenden Verteilung der Bundesergänzungszuweisungen steht es dem Bundesgesetzgeber frei, entweder die Finanzkraft der leistungsschwachen Länder allgemein anzuheben oder
Sonderlasten von Ländern zu berücksichtigen oder beides miteinander zu verbinden (BVerfGE 72, 330 [403
f.]; vgl. auch BVerfGE 101, 158 [234] sowie BVerfGE 116, 327 [381]; dort [381 f.] auch dazu, ob Sonderlasten
einzelner Länder auch dann berücksichtigt werden dürfen, wenn deren Finanzkraft nach Durchführung des
Länderfinanzausgleichs den Länderdurchschnitt erreicht oder überschritten hat; “Begründungspflicht“).
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(4b) “Leistungsschwäche“
Die in Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG vorausgesetzte Leistungsschwäche ist die mangelnde Fähigkeit eines
Landes, mit den nach dem horizontalen Finanzausgleich zugewiesenen Mitteln die von der Verfassung zugewiesenen Aufgaben wahrzunehmen. Gründe für eine Leistungsschwäche können eine unterdurchschnittliche
Finanzkraft nach Durchführung des horizontalen Finanzausgleichs oder Sonderbedarfe bzw. Sonderlasten
sein (BVerfGE 116, 327 [384]).
Alle diese Gründe für eine Leistungsschwäche müssen vom Gesetzgeber benannt und begründet werden
(BVerfGE 122, 1 [38]; dort auch zum föderativen Gleichbehandlungsgebot; “Länder als es staatliche Gebietskörperschaften grundsätzlich gleichen Ranges“).
(4c) Einzelfragen
Im Einzelnen hat sich das Bundesverfassungsgericht u.a. mit den Fragen befasst,
• ob der Gesetzgeber Bundesergänzungszuweisungen zum Ausgleich hoher Kosten der politischen Führung gewähren darf (BVerfGE 101, 158 [235]),
• ob eine Haushaltsnotlage zum entscheidenden Tatbestand einer Leistungsschwäche werden darf (BVerfGE 116, 327 [383 ff.]),
• ob maßgeblich berücksichtigt werden darf, ob das betreffende Land die eigenen Handlungsmöglichkeiten
ausgeschöpft hat (a.a.O. [390]),
• ob und wie darauf zu reagieren ist, dass in mehreren Ländern solche Haushaltsnotlagen aufgetreten
sind (a.a.O. [388]), und schließlich,
• ob (zunächst) das Land einer Darlegungs- und Begründungslast insoweit unterliegt, als es die Ausschöpfung aller eigenen Potentiale in überzeugungskräftiger, auch in tatsächlicher Hinsicht belegter
Weise zu begründen hat, und welche Folgen es hat, wenn diesen Anforderungen genügt worden ist
(a.a.O. [390 f.]).
11. Finanzverwaltung (Art. 108 GG)
Art. 108 Abs. 1 bis 5 und Abs. 7 GG regelt die verfassungsrechtliche Verteilung der Steuerverwaltungshoheit
auf Bund und Länder in Ergänzung des VIII. Abschnitts des Grundgesetzes als lex specialis gegenüber den
Art. 83 ff. GG (BVerfGE 106, 1 [20]).
a) Verhältnis der einzelnen Absätze des Art. 108 GG zu den Art. 83 ff. GG
Was speziell Art. 108 Abs. 1 Satz 2 GG betrifft, so begründet er Gesetzgebungskompetenzen des Bundes im
Verhältnis zu den Ländern und enthält einen speziellen organisatorischen Gesetzesvorbehalt im Verhältnis
des Parlaments zur Regierung, indem er die allgemeine Organisationsgewalt der Bundesregierung gem. Art.
86 Satz 2 GG beschränkt.
Ähnliches gilt für Art. 108 Abs. 2 Satz 2 GG, der für den Bereich des Aufbaus der Länderfinanzbehörden
einen auch spezifisch bundesstaatlich geprägten Gesetzesvorbehalt enthält, wie er auch außerhalb der Finanzverwaltung nach den allgemeinen Regeln der Art. 84 Abs. 1 GG und Art. 85 Abs. 1 GG gilt (a.a.O.
[22]).
Die genannten Absätze sowie Abs. 4 Satz 1 begründen keinen Parlamentsvorbehalt im Sinne eines generellen
oder grundsätzlichen Verbots der Rechtsetzungsdelegation auf der Grundlage des - vgl. hierzu C.III.1. - Art.
80 Abs. 1 GG (a.a.O.). Für ein Delegationsverbot liefern die genannten Vorschriften keine hinreichenden
Anhaltspunkte (a.a.O. [23]).
b) Oberfinanzdirektionen
Die einfachgesetzliche Ausformung der engen personellen und organisatorischen Verflechtung von Bundesund Länderfinanzverwaltungen zum einen in Gestalt des “janusköpfigen“ Oberfinanzpräsidenten , der sowohl
Bundesbeamter als auch Landesbeamter ist, und zum anderen durch die Funktion der Oberfinanzdirektion
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als gemeinsame Mittelbehörde der Bundes- und Landesfinanzverwaltung kann als einfachgesetzliche Ausprägung der in Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG verankerten Kooperationsermächtigung angesehen werden, wonach
ein Zusammenwirken von Bundes- und Landesfinanzbehörden vorgesehen werden kann, wenn und soweit
dadurch der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird. Die Oberfinanzdirektion
soll nämlich aufgrund ihrer Doppelfunktion der Einheitlichkeit des Gesetzesvollzugs und damit einer gleichmäßigen Besteuerung dienen und zugleich die Verwaltungseffizienz fördern (a.a.O. [20 f.]), woraus aber
keine verfassungsrechtliche Verpflichtung folgt, diese besondere Form beizubehalten (a.a.O. [22]).
12. Art. 109 GG (Haushaltswirtschaft)
Art. 109 GG ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten erheblich umgestaltet worden. Weil Art. 109 GG in
der Praxis offenbar gut gehandhabt wird, war Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hierzu selten;
in den letzten Jahren sind die Entscheidungen BVerfGE 127, 165 (190 ff.) sowie BVerfGE 129, 170 (182))
hervorzuheben, die indessen für das Bundesgesetz, welches in Art. 109 Abs. 4 GG vorgesehen ist (und auch
für das Bundesgesetz des Art. 109 Abs. 5 GG), nicht ergiebig sind.
a) “Schuldenbremse“
Neuerdings ist in der Entscheidung BVerfGE 139, 64 (125, 139 f.; dort [125 f., 139] auch zu Art. 143 d GG)
Maßgebliches zu Art. 109 Abs. 3 GG (“Schuldenbremse“) verlautbart worden, wobei es im Schwerpunkt um
die Alimentation der Beamten und Richter ging (im Einzelnen nachfolgend D.VII.2. und D.VII.3.).
b) Verantwortung des Haushaltsgesetzgebers für das “gesamtwirtschaftliche
Gleichgewicht“
Von den älteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist die Entscheidung BVerfGE 79, 311 maßstabsbildend: Infolge der Einfügung des Art. 109 Abs. 2 GG in das Grundgesetz haben die öffentlichen
Haushalte von Verfassungs wegen nicht mehr nur eine Bedarfsdeckungsfunktion .
aa) Verantwortung für die Auswirkungen des Haushalts
Dem Haushaltsgesetzgeber ist zugleich eine Verantwortung für die Auswirkungen des Haushalts auf die Gesamtwirtschaft auferlegt worden; er hat in und bei seinen Bedarfsdeckungsentscheidungen den Erfordernissen
des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen (a.a.O. [329 ff.]; dort [330 f.] auch dazu, dass
wegen der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung eine Kreditaufnahme des Bundes Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG
in einem engen Sachzusammenhang mit Art. 109 Abs. 2 GG steht).
bb) “Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ als unbestimmter Verfassungsbegriff
Was den Begriff des “gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ angeht, so liegt hier ein unbestimmter Verfassungsbegriff vor, der einen in die Zeit hinein offenen Vorbehalt für die Aufnahme neuer, gesicherter
Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften als zuständiger Fachdisziplin enthält (a.a.O. [338 f.]; dort [343
ff.] auch zum Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers sowie zu seinen Darlegungsverpflichtungen).
13. Art. 109 a GG (Haushaltsnotlagen)
Zum neuen - seit dem Jahre 2009 geltenden - Art. 109 a GG liegt - soweit ersichtlich - noch keine Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor, die für das Bundesgesetz, welches in Art. 109 a Abs. 1 GG
vorgesehen ist, von größerer Bedeutung wäre.
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14. Art. 110 (Haushaltsplan)
Das Budgetrecht stellt ein zentrales Element der demokratischen Willensbildung dar; die Hoheit über den
Haushalt ist der Ort konzeptioneller politischer Entscheidungen über den Zusammenhang von wirtschaftlichen Belastungen und staatlich gewährten Vergünstigungen. Deshalb wird die parlamentarische Aussprache
über den Haushalt - einschließlich des Maßes der Verschuldung - als politische Generaldebatte verstanden
(BVerfGE 129, 124 [177 f.]; vgl. auch BVerfGE 130, 318 [343 f.] sowie BVerfGE 135, 155 [416]).
[1] Zum einen dient das Budgetrecht als Instrument umfassender parlamentarischer Regierungskontrolle .
Zum anderen aktualisiert der Haushaltsplan den tragenden Grundsatz der Gleichheit der Bürger bei der
Auferlegung öffentlicher Lasten als eine wesentliche Ausprägung rechtsstaatlicher Demokratie (BVerfGE 129,
124 [177]; vgl. auch BVerfGE 131, 152 [204 f.]).
Die notwendige Bedingung für die Sicherung politischer Freiräume im Sinne des Identitätskerns der Verfassung (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, Art. 79 Abs. 3 GG) besteht darin, dass der Haushaltsgesetzgeber seine
Entscheidungen über Einnahmen und Ausgaben frei von Fremdbestimmung seitens (u.a.) der Organe und
anderer Mitgliedstaaten der EU trifft und dauerhaft “Herr seiner Entschlüsse“ bleibt (BVerfGE 129, 124
[179 f.] sowie BVerfGE 135, 317 [401]).
[2] Die Absätze 1 und 2 des Art. 110 GG bilden die Grundlage der für das parlamentarische Budgetrecht nachfolgend a) - wesentlichen verfassungsrechtlichen Haushaltsgrundsätze - nachfolgend b) - der Vollständigkeit und Wahrheit, der Ausgeglichenheit und der Vorherigkeit des Haushaltsgesetzes - nachfolgend c) - in
Verbindung mit dem Haushaltsplan (BVerfGE 119, 96 [118]).
Um die Vollständigkeit des Haushaltsplans zu gewährleisten, kann eine verfassungsrechtliche Pflicht bestehen, nach Maßgabe des Art. 110 Abs. 3 GG eine Änderungsvorlage zum Haushaltsplan ( Nachtragshaushalt
) einzubringen (BVerfGE 135, 317 [416]).
a) Die besondere Bedeutung des Gesetzgebers
Die Kompetenz zur Feststellung des Haushaltsplanes liegt nach Art. 110 Abs. 2 GG ausschließlich beim Gesetzgeber; dessen herausragende Stellung findet darin Ausdruck, dass Bundestag und Bundesrat berechtigt
und verpflichtet sind, nach Art. 114 GG (nachfolgend 16.) den Haushaltsvollzug der Bundesregierung zu
kontrollieren (grundlegend: BVerfGE 45, 1 [32]; vgl. auch BVerfGE 92, 130 [137] “Vorrang des Haushaltsgesetzgebers gegenüber der Exekutive“; BVerfGE 129, 124 [178] sowie BVerfGE 130, 318 [343]).
aa) Herausragende Stellung des Bundestages
Dem Bundestag kommt im Verhältnis zu den anderen an der Feststellung des Haushaltsplans beteiligten
Verfassungsorganen eine überragende verfassungsrechtliche Stellung zu. Er trifft mit der Entscheidung über
den Haushaltsplan, der ein Wirtschaftsplan und zugleich ein staatsleidender Hoheitsakt in Gesetzesform ist,
eine wirtschaftliche Grundsatzentscheidung für zentrale Bereiche der Politik während des Planungszeitraums
(BVerfGE 70, 324 [355]; vgl. auch BVerfGE 130, 318 [342]).
Insbesondere ist es Sache des Gesetzgebers, abzuwägen, ob und in welchem Umfang zur Erhaltung demokratischer Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume auch für die Zukunft Bindungen in Bezug auf das
Ausgabenverhalten geboten und deshalb - spielgelbildlich - eine Verringerung der Spielräume in der Gegenwart hinzunehmen ist (BVerfGE 135, 317 [404 f.] “Vermeidung irreversibler rechtlicher Präjudizierungen
künftiger Generationen“).
bb) Wahrnehmung durch das Plenum
Budgetrecht und haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages werden grundsätzlich
durch Verhandlung und Beschlussfassung im Plenum wahrgenommen, durch den Beschluss über das Haushaltsgesetz, durch finanzwirksame Gesetze oder durch einen sonstigen, konstitutiven Beschluss des Plenums
(BVerfGE 130, 318 [347]; vgl. auch BVerfGE 135, 317 [427 f.]).
Brunn - Kapitel C.IX.14.
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cc) Missgriff des Gesetzgebers durch “Griff in die Kasse der Sozialversicherung“
Der Gesetzgeber darf sich seiner Regelungskompetenz für die Sozialversicherung nicht bedienen, um dadurch Mittel für die Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben aufzubringen. Die Finanzmasse der Sozialversicherung ist tatsächlich und rechtlich von den allgemeinen Staatsfinanzen getrennt ; ein Einsatz der
Sozialversicherungsbeiträge zur Befriedigung des allgemeinen Finanzbedarfs des Staates ist ausgeschlossen
(BVerfGE 75, 108 [148]).
Dagegen dürfte in der Vergangenheit immer einmal wieder verstoßen worden sein.
b) Die vier Haushaltsgrundsätze im Einzelnen
In den Jahren 1967 und 1969 (“Große Koalition“) sind erhebliche Veränderungen der Art. 109 GG und Art.
110 GG vorgenommen worden.
aa) Grundsatz der Vollständigkeit
Der Verfassungsgrundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans hat seinen Sinn nicht nur in der finanzwirtschaftlichen Funktion des Haushaltsplans selbst und in dem Umstand, dass das Haushaltsbewilligungsrecht eines der wesentlichsten Instrumente der parlamentarischen Regierungskontrolle ist; er aktualisiert
auch den fundamentalen Grundsatz der Gleichheit der Bürger bei der Auferlegung öffentlicher Lasten und
ist damit eine wesentliche Ausprägung rechtsstaatlicher Demokratie (BVerfGE 55, 274 [302 f.]).
(1) Zweck (vollständiger Überblick über Finanzvolumen und Aufgabenlast)
Er zielt darauf ab, das gesamte staatliche Finanzvolumen der Budgetplanung und -entscheidung von
Parlament und Regierung zu unterstellen. Nur dadurch ist gewährleistet, dass das Parlament in regelmäßigen
Abständen den vollen Überblick über das dem Staat verfügbare Finanzvolumen und damit auch über
die dem Bürger auferlegte Abgabenlast erhält, soweit sie der Verantwortung des Parlaments unterliegen.
Nur so können Einnahmen und Ausgaben vollständig den dafür vorgesehenen Planungs-, Kontroll- und
Rechenschaftsverfahren unterworfen werden.
Demgemäß ist der Grundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplanes berührt, wenn der Gesetzgeber
Einnahmen- und Ausgabenkreisläufe außerhalb des Budgets organisiert (BVerfGE 82, 159 [179]; vgl. auch
BVerfGE 113, 128 [147] sowie BVerfGE 119, 96 [118]).
(2) Nachtragshaushalt
Erweisen sich die vorhandenen Haushaltsansätze als zu gering oder ergeben sich sachliche Bedürfnisse, die das
Haushaltsgesetz nicht berücksichtigt hat, kann im Interesse der Vollständigkeit eine verfassungsrechtliche
Pflicht bestehen, nach Maßgabe von Art. 110 Abs. 3 GG einen Nachtragshaushalt einzubringen (BVerfGE
135, 317 [416]).
bb) Grundsatz der Haushaltswahrheit
Aus dem Verfassungsgebot der Haushaltswahrheit folgt die Pflicht zur Schätzgenauigkeit mit dem Ziel, die
Wirksamkeit der Budgetfunktionen im parlamentarischen Regierungssystem zu gewährleisten. Die für die
Einnahmen- und Ausgabenschätzungen erforderlichen Prognosen (allgemein A.II.3.a) (vgl. S. 16) ) müssen
aus der Sicht ex ante sachgerecht und vertretbar ausfallen:
(1) Prognosen und Prognosegrundlagen
Wie andere Prognosen sind auch die vielfach erforderlichen Einnahmen- und Ausgabenschätzungen nicht
schon dann als Verstoß gegen das Wahrheitsgebot zu bewerten, wenn sie sich im Nachhinein als falsch erweisen. Was als - im vorstehenden Verständnis - sachgerecht und vertretbar zu gelten hat, kann nur aufgrund
einer Gesamtbewertung der konkreten Entscheidungssituation unter Berücksichtigung des betroffenen Sachund Regelungsbereichs, der Bedeutung der zu treffenden Entscheidung und deren Folgen sowie der verfügbaren Tatsachengrundlagen für die Prognose bestimmt werden (BVerfGE 119, 96 [129 f.]; vgl. auch BVerfGE
135, 317 [416 f.]).
Brunn - Kapitel C.IX.14.
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(2) Pflichtverletzungen
Welche Verhaltensanforderungen an die beteiligten Verfassungsorgane im Einzelnen aus dieser Pflicht der
Haushaltswahrheit folgen, lässt sich kaum generell und abstrakt bestimmen. Jedenfalls ist die Pflicht verletzt durch bewusst falsche Etatansätze, aber auch durch “gegriffene“ Ansätze, die trotz nahe liegender
Möglichkeiten besserer Informationsgewinnung ein angemessenes Bemühen um realitätsnahe Prognosen zu
erwartender Einnahmen oder Ausgaben vermissen lassen (BVerfGE 119, 96 [130] sowie BVerfGE 135, 317
[416 f.]).
cc) Verfassungsgebot der Ausgeglichenheit
Das Gebot des Ausgleichs von Einnahmen und Ausgaben beschränkt sich auf eine formale , rechnerische
Regel und dient so lediglich einer sinnvollen Darstellung des vollständigen Haushalts.
Unter Einnahmen sind danach auch Einnahmen aus Krediten zu verstehen, so dass auch ein Haushalt mit
einem erheblichen Anteil an Einnahmen aus Krediten im Sinne des Art. 110 Abs. 1 Satz 2 GG ausgeglichen
sein kann und sein muss (BVerfGE 119, 96 [119]; vgl. indessen auch BVerfGE 119, 96 [155, 158] abweichende
Meinung).
dd) Verfassungsgebot der Vorherigkeit
Das Gebot der Vorherigkeit zielt auf die Sicherung der Budgethoheit des Parlaments in zeitlicher Hinsicht
und will insbesondere die Leitungsfunktion des Haushalts für das gesamte Haushaltsjahr gewährleisten.
(1) Verpflichtungen vor und nach Ablauf der Pflicht
Alle am Gesetzgebungsverfahren mitwirkenden Verfassungsorgane sind verpflichtet, an der Erfüllung des
Vorherigkeitsgebots mitzuwirken, also auch die Regierung, der die ausschließliche haushaltsgesetzliche
Initiativkompetenz zukommt. Diese Kompetenz umfasst (das Recht und) die Pflicht zur rechtzeitigen Einbringung.
Diese Pflichten aller Verfassungsorgane bestehen auch nach Fristablauf fort mit dem Ziel, das noch fehlende
Haushaltsgesetz so zügig wie möglich zu verabschieden, um mit dessen rückwirkender Inkraftsetzung die
Rechte des Parlaments wieder herzustellen (BVerfGE 119, 96 [120 f.]; dort auch zu Folgen einer Pflichtverletzung: sie lässt die Wirksamkeit des Haushaltsgesetzes unberührt).
(2) Gebot der Vorherigkeit und Nachtragshaushalt
Im Hinblick auf den Schutzzweck des Vorherigkeitsgebots ist dessen entsprechende Anwendung auf die
Einbringung eines Nachtragshaushalts nicht angezeigt, obgleich im Gegensatz zu den eindeutig bestimmten
Anforderungen an das Vorherigkeitsgebot hinsichtlich des Haushaltsgesetzes gem. Art. 110 Abs. 2 Satz 1
GG die Voraussetzungen einer verfassungswidrigen Verspätung eines Nachtragshaushalts in keiner Weise
normativ klar und bestimmt sind (BVerfGE 119, 96 [122 f.]).
(3) Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme zwischen Verfassungsorganen
In jedem Falle gelten hier die allgemeinen Grundsätze zu den Anforderungen an die gebotene gegenseitige
Rücksichtnahme zwischen Verfassungsorganen , und die Maßstäbe können nicht wesentlich anders ausfallen
als diejenigen Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht auch sonst - also unter dem allgemeinen Aspekt
der Organtreue und unter dem spezielleren des bundesfreundlichen Verhaltens im Verhältnis zwischen dem
Bund und den Ländern - an die gebotene gegenseitige Rücksichtnahme im Verhältnis zwischen Verfassungsorganen anlegt.
Nach diesen Grundsätzen dürfen Kompetenzen weder missbräuchlich noch im Widerspruch zu prozeduralen
Anforderungen zu Lasten eines anderen Verfassungsorgans ausgeübt werden (a.a.O. [124 ff.]).
c) Haushaltsgesetz und Haushaltsplan
Haushaltsgesetz und Haushaltsplan bilden eine Einheit (BVerfGE 20, 56 [91]).
Brunn - Kapitel C.IX.14.
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aa) Haushaltsgesetz (Art. 110 Abs. 2 GG)
Es stellt nicht lediglich ein im Haushaltsplan enthaltenes Zahlenwerk fest, sondern enthält zugleich die
Bewilligung der im Haushaltsplan ausgeworfenen Mittel, also die Ermächtigung an die Regierung, diese
Mittel für die in den Titeln des Haushaltsplans festgelegten Zwecke auszugeben (BVerfGE 20, 56 [90 ff.];
dort [89 f.] auch dazu, dass Haushaltsgesetze im Normenkontrollverfahren auf ihre Vereinbarkeit mit dem
Grundgesetz geprüft werden können).
Der einzelne Bürger kann aus dem Haushaltsgesetz regelmäßig keine unmittelbaren Ansprüche auf Gewährung einer Leistung herleiten (BVerfGE 38, 121 [125 f.]).
bb) Haushaltsplan (Art. 110 Abs. 1 und Abs. 2 GG)
Der Haushaltsplan, der durch das Haushaltsgesetz festgestellt wird, ist ein Wirtschaftsplan und zugleich
ein staatsleitender Hoheitsakt in Gesetzesform. Er ist als “staatliches Gesamtprogramm für die staatliche
Wirtschaftsführung und damit zugleich für die Politik des Landes während der Etatperiode“ zu charakterisieren. Denn diese Umschreibung erfasst zutreffend die Eigenart des Haushaltsplans, welcher - zeitlich
begrenzt und ausgabenbezogen - ein Regierungsprogramm in Gesetzesform enthält und die Regierungspolitik in Zahlen widerspiegelt (BVerfGE 79, 311 [328 f.]; vgl. auch BVerfGE 129, 124 [178] sowie BVerfGE
130, 318 [343]).
(1) Grundsatz der Budgetöffentlichkeit und Ausnahmen
Es gilt der Grundsatz der Budgetöffentlichkeit als Verfassungsgrundsatz ; er folgt aus dem allgemeinen
Öffentlichkeitsprinzip der Demokratie (BVerfGE 70, 324 [358]; dort allerdings auch zu Ausnahmen wegen
Geheimhaltungsbedürftigkeit; demgegenüber BVerfGE 70, 324 [380 ff.] abweichende Meinung; vgl. auch
BVerfGE 131, 152 [206]).
Auch wenn von einer Publizierung der gesetzlich festgestellten Einzelpläne im Bundesgesetzblatt abgesehen
werden kann, sind die gesamten Einzelpläne in die Kraft des Gesetzes einzubeziehen (BVerfGE 20, 56 [93]).
(2) Nicht erfasste Einnahmen und Ausgaben (vom Bund “beherrschte“ juristische Personen und privatrechtlich organisierte Gesellschaften)
Einnahmen und Ausgaben des Bundes sind lediglich solche der Gebietskörperschaft Bund. Nicht erfasst
sind die Einnahmen und Ausgaben von bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts
oder von privatrechtlich organisierten Gesellschaften, die im Eigentum des Bundes stehen oder an denen der
Bund beteiligt ist.
Zwar lässt der Wortlaut des Art. 110 Abs. 1 GG eine Auslegung zu, nach der zum Bund im Sinne dieser
Vorschrift alle Verwaltungseinheiten der unmittelbaren und mittelbaren Bundesverwaltung zu rechnen
wären, unabhängig von ihrer Rechtsform. Verfassungstradition und Entstehungsgeschichte des Art. 110 Abs.
1 GG haben aber das Bundesverfassungsgericht dazu bewogen, den Begriff des Bundes hier eng auszulegen
(BVerfGE 129, 356 [366]).
d) Ablauf des Verfahrens und Rechte sowie Pflichten von Beteiligten
Allein die durch Art. 111 Abs. 1 GG bestimmte enge Begrenzung des Spielraumes der Bundesregierung
während des etatlosen Zustandes zeigt die verfassungsrechtlichen Verpflichtungen aller beteiligten Verfassungsorgane auf - wie bereits erwähnt (b)dd)) -, daran mitzuwirken, dass der Haushaltsplan regelmäßig vor
Ablauf des vorherigen Rechnungsjahres verabschiedet werden kann (BVerfGE 45, 1 [32 f.]).
aa) Bundestag und Bundesregierung als Hauptakteure
Im Bereich des Haushaltswesens stehen sich die Bundesregierung als bestimmendes Organ der Exekutive
und der Bundestag gegenüber (a.a.O. [46 ff.]).
Weil auch ein Nachtragshaushalt dem Einbringungsmonopol der Bundesregierung nach Art. 110 Abs. 3 GG
unterfällt, kann der Bundestag nicht von sich aus eine Erhöhung einer Titelsumme über den Weg eines
Nachtragshaushalts beschließen (BVerfGE 70, 324 [357]).
Brunn - Kapitel C.IX.15.
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bb) Überstaatliche Vereinbarungen und Verantwortung des Bundestages
Der Deutsche Bundestag darf seine Budgetverantwortung nicht durch unbestimmte haushaltspolitische
Ermächtigungen auf andere Akteure übertragen.
(1) Verbot des “Auslieferns“ an “finanzwirksame Mechanismen“
Insbesondere darf er sich, auch durch Gesetz, keinen finanzwirksamen Mechanismen ausliefern, die - sei
es aufgrund ihrer Gesamtkonzeption, sei es aufgrund einer Gesamtwürdigung der Einzelmaßnahmen - zu
nicht überschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen ohne vorherige konstitutive Zustimmung führen
können.
(2) Völkervertragliche “Mechanismen“
Namentlich dürfen keine dauerhaften völkervertragsrechtlichen Mechanismen begründet werden, die auf
eine Haftungsübernahme für Willensentscheidung anderer Staaten hinauslaufen, vor allem, wenn sie mit
schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind.
Jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs im internationalen oder
unionalen Bereich muss vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden, und darüber hinaus muss gesichert
sein, dass hinreichender parlamentarischer Einfluss auf die Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung
gestellten Mitteln besteht (BVerfGE 129, 124 [178 ff.]; dort [182 f.] auch zum Einschätzungsspielraum des
Gesetzgebers, was die Wahrscheinlichkeit anbelangt, für Gewährleistungen einstehen zu müssen; vgl. auch
BVerfGE 130, 318 [344 f.] sowie BVerfGE 135, 317 [402 f.]; dort [424 f.] auch zu den Anforderungen aus Art. 38
Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 1 und 2 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG “haushaltspolitische Gesamtverantwortung“).
cc) Einfluss von Fraktionen und Abgeordneten
In der parlamentarischen Demokratie muss gewährleistet sein, dass grundsätzlich sowohl jede Fraktion insbesondere die Opposition - als auch die einzelnen Abgeordneten ihre Vorstellungen über die Verwendungsmöglichkeiten der Haushaltsmittel darlegen und dadurch die Entscheidung über den Haushaltsplan
beeinflussen können (BVerfGE 66, 26 [38]).
Freilich ist das Recht des einzelnen Abgeordneten auf Mitwirkung durch die Befugnis des Deutschen
Bundestages begrenzt , in dem von der Verfassung vorgezeichneten Rahmen seine Arbeit und die Erledigung
seiner Aufgaben zu organisieren (BVerfGE 130, 318 [349]).
Diese Befugnis zur Selbstorganisation erlaubt es aber nicht, den Abgeordneten Rechte vollständig zu
entziehen; soweit Abgeordnete durch Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf einen beschließenden
Ausschuss von der Mitwirkung an der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung ausgeschlossen werden
sollen, ist dies nur zum Schutz anderer Rechtsgüter mit Verfassungsrang und unter strikter Wahrung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig (a.a.O. [349 f.]).
15. Art. 111 GG und Art. 112 GG (Ausgaben vor Etatgenehmigung bzw.
überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben)
Die Ermächtigungen der Art. 111 GG und Art. 112 GG ersetzen die Ermächtigung des Haushaltsgesetzes
zur Ausgabe von Mitteln (BVerfGE 20, 56 [90]).
a) Art. 111 GG
Art. 111 GG soll nicht das Haushaltsbewilligungsrecht des Gesetzgebers vorübergehend ersetzen, sondern
lediglich für den - vom Grundgesetz als kurzfristige Ausnahmesituation gedachten - etatlosen Zustand eine
vorläufige Haushaltsführung ermöglichen (BVerfGE 45, 1 [32 f.]; vgl. auch BVerfGE 66, 26 [38]).
Brunn - Kapitel C.IX.16.
Seite 211
aa) Vorläufige Haushaltsführung der Bundesregierung
Eine vorläufige Haushaltsführung der Bundesregierung soll nur die Ausgaben leisten, die nötig sind,
um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten, gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen,
rechtlich begründete Verpflichtungen des Bundes zu erfüllen oder um Bauten, Beschaffungen oder sonstige
Leistungen fortzusetzen oder Beihilfen für diese Zwecke weiter zu gewähren, sofern in dem Haushaltsplan
eines Vorjahres bereits derartige Beträge bewilligt worden sind.
bb) Enge Begrenzung des Spielraums der Bundesregierung
Diese enge Begrenzung des Spielraums der Bundesregierung während des etatlosen Zustandes korrespondiert
mit der verfassungsrechtlichen Verpflichtung aller beteiligten Verfassungsorgane, daran mitzuwirken, dass der
Haushaltsplan regelmäßig vor Ablauf des vorherigen Rechnungsjahres verabschiedet werden kann (BVerfGE
45, 1 [32 f.]; vgl. auch BVerfGE 102, 176 [187]).
b) Art. 112 GG
Die in Art. 112 GG enthaltenen Grundsätze gelten auch im etatlosen Zustand (BVerfGE 45, 1 [37]).
aa) Notkompetenz und zusätzliche Prüfungs- und Verfahrenspflichten des Finanzministers
Der Grundsatz, dass Verfassungsorgane bei Inanspruchnahme ihrer verfassungsmäßigen Kompetenzen
Rücksicht zu nehmen haben auf die Interessen der anderen Verfassungsorgane , bewirkt bei der Ausübung
der (subsidiären) Notkompetenz (BVerfGE 135, 317 [417]) des Bundesministers der Finanzen aus Art. 112
GG zusätzliche Prüfungs- und Verfahrenspflichten vor und bei ihrer Wahrnehmung.
Es besteht eine besondere Kommunikations- und Konsultationspflicht zum Zwecke der Prüfung, ob eine im
Hinblick auf die zeitliche Dringlichkeit des Bedürfnisses rechtzeitige Bewilligung durch den Gesetzgeber
möglich ist (BVerfGE 45, 1 [37 ff.]; dort auch zu “anders nicht zu meisternden Schwierigkeiten im Verwaltungsablauf“ sowie zu Unterrichtungspflichten des Finanzministers gegenüber der Bundesregierung und den
Folgen einer Pflichtverletzung).
bb) Subsidiarität der Notkompetenz
Mit anderen Worten darf dem Bundesminister der Finanzen der Weg des Art. 112 GG nicht freigegeben
werden, wenn zeitgerecht durch einen Ergänzungs- oder Nachtragshaushalt oder im Wege des Art. 111 GG
die Rechtsgrundlage für die Ausgabe hätte beschafft werden können (a.a.O. [48 ff.]; dort auch zu “politisch
besonders heiklen und folgenreichen Bereichen“).
16. Art. 114 GG (Rechnungslegung und Rechnungsprüfung)
Während der voranstehende Art. 113 GG offenbar in der Praxis kaum eine Rolle spielt und deswegen auch
keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts notwendig war, ist Art. 114 GG vor allem in jüngerer Zeit
vom Bundesverfassungsgericht bewertet worden.
[1] Sehr früh ist entschieden worden, dass die Befugnis des Bundesrechnungshofs zur Rechnungsprüfung (Art.
114 Abs. 2 GG) nicht die verfassungsgerichtlichen Verfahren zur Überprüfung eines Bundeshaushaltsgesetzes zu ersetzen vermag; grundsätzlich sind nämlich Haushaltsgesetz und Haushaltsplan nicht Gegenstand,
sondern Maßstab für die Rechnungsprüfung.
[2] Eine verbindliche Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen des Haushaltsgesetzes liegt
außerhalb der dem Rechnungshof durch Art. 114 Abs. 2 GG zugewiesenen Aufgabe. Wenngleich der Rechnungshof Haushaltsansätze und ihre Verwendung als verfassungswidrig beanstanden kann, so sind doch
solche Beanstandungen ohne Einfluss auf die Gültigkeit der Bestimmungen des Haushaltsgesetzes (BVerfGE
20, 56 [95 f.]).
Brunn - Kapitel C.IX.16.
Seite 212
a) Die gewöhnlichen Aufgaben des Bundesrechnungshofs
Die Finanzkontrolle des Bundesrechnungshofs (hierzu BVerfGE 137, 108 [151]) besteht aus der Prüfung
der Rechnung (Rechnungsprüfung - nachfolgend aa) -) sowie der Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung (rechnungsunabhängige Prüfung - nachfolgend bb)
-); im Übrigen werden seine Befugnisse durch Bundesgesetz (Art. 114 Abs. 2 Satz 3 GG) geregelt.
aa) Rechnungsprüfung
Die Rechnungsprüfung hat unter den Maßstäben der Finanzkontrolle besondere Bedeutung. Diese Aufgabe
des Bundesrechnungshofs ist nicht nur durch die Verfassung selbst festgelegt, sie hat auch besonderes rechtliches Gewicht. Denn während die Funktion des Haushaltskreislaufs im Übrigen von der Aufgabenerfüllung
des Bundesrechnungshofs prinzipiell unabhängig ist, ist die Rechnungsprüfung Voraussetzung der Entlastung
der Bundesregierung durch Bundestag und Bundesrat gem. Art. 114 Abs. 1 GG (BVerfGE 127, 165 [213]).
bb) Rechnungsunabhängige Prüfung (Bundesexekutive als Prüfungsadressatin)
Die rechnungsunabhängige Prüfung der gesamten Haushalts- und Wirtschaftsführung am Maßstab der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bezieht sich auch auf die der Mittelbewirtschaftung vorausgehenden Verwaltungsentscheidungen. Adressat ist die Bundesexekutive , nicht Prüfungsadressat ist hingegen der Gesetzgeber hinsichtlich des Inhalts der von ihm erlassenen Gesetze.
Die Festlegung des Gesetzesinhalts ist nicht Teil der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes. Die
Auswirkungen gesetzlicher Regelungen können lediglich Inhalt von Beratungen nach § 88 Abs. 2 BHO sein.
Daher bezieht sich insbesondere die Wirtschaftlichkeitskontrolle im Rahmen der rechnungsunabhängigen
Prüfung auf die Ergebnisse der Tätigkeit der Bundesverwaltung und nicht auf die Wirtschaftlichkeit von
Gesetzesinhalten (a.a.O. [213 f.]).
cc) Weitere Aufgaben (insbesondere: spezielle Beratung des Parlaments)
Gemäß Art. 114 Abs. 2 Satz 3 GG kann der Gesetzgeber den Bundesrechnungshof weitere Aufgaben übertragen. Dazu gehört insbesondere die Beratung des Parlaments, die vor dem Hintergrund der 1969 eingeführten
jährlichen Berichtspflicht gegenüber Bundestag und Bundesrat (Art. 114 Abs. 2 Satz 2 GG) und der damit
verbundenen stärkeren Orientierung des Bundesrechnungshof auf die gesetzgebenden Körperschaften hin zu
sehen ist.
Die Beratung kann die Wirtschaftlichkeit von Gesetzesinhalten zum Gegenstand haben und damit einen
bedeutsamen Beitrag zur Gesetzesfolgenabschätzung leisten (a.a.O. [215]).
b) Bundesrechnungshof und Länderbereich
Angesichts der Verflechtung von Bundes- und Länderfinanzen in verschiedenen Teilbereichen der Finanzverfassung, namentlich bei den Gemeinschaftsaufgaben und den Finanzhilfen, bedarf der Bundesrechnungshof
eines Instrumentariums der Informationsbeschaffung, um seine Aufgabe der Prüfung der Haushalts- und
Wirtschaftsführung des Bundes zu erfüllen. Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG schließt daher Erhebungen des
Bundesrechnungshofs im Länderbereich nicht grundsätzlich aus (BVerfGE 127, 165 [211]).
aa) Grenzen der Erhebungen
Die Grenzen der Befugnisse des Bundesrechnungshofs im Verhältnis zu den Ländern sind der Verfassung im
Wege der Auslegung (allgemein hierzu A.III.2. (vgl. S. 36) ) des Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG zu entnehmen.
Dabei muss das Interesse des Bundesrechnungshofs an effektiver Aufgabenerfüllung mit dem Anliegen der
Länder an der Wahrung ihrer Haushaltsautonomie (Art. 109 Abs. 1 GG) in Ausgleich gebracht werden.
In der bundesstaatlichen Kompetenzordnung können Effektivitätsgesichtspunkte nur dann ausschlaggebend
sein, wenn die auszulegende Kompetenzvorschrift und ihr Zusammenhang mit weiteren Vorschriften hierfür
ausreichende Anhaltspunkte bieten. Das ist bei Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG nicht der Fall. Den Aufgaben
des Bundesrechnungshofs steht die verfassungsrechtliche Absicherung gegenläufiger Länderinteressen durch
Art. 109 Abs. 1 GG gegenüber, ohne dass den Vorschriften eine Vorrangregel entnommen werden könnte
(a.a.O. [211 ff.]).
Brunn - Kapitel C.IX.17.
Seite 213
bb) Einzelbefugnisse (u.a. Durchführung von Erhebungen)
Mithin hat der Bundesrechnungshof die Befugnis, zum Zwecke der Feststellung von Rechtsverletzungen seitens einer Landesbehörde bei den obersten Landesbehörden - nur mit deren Zustimmung oder Zustimmung
des Bundesrates auch bei nachgeordneten Behörden - Erhebungen durchzuführen und Berichte anzufordern. Er kann sich von diesen Behörden Akten übersenden lassen, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen
Rechtsverstoß vorliegen.
Diese Erhebungen müssen die Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes oder die Beratung
des Bundesgesetzgebers bezwecken (a.a.O. [221]).
Außerdem kann er Entsprechendes gegenüber den übrigen Landesverwaltungen vornehmen (a.a.O. [221 f.]).
17. Art. 115 GG (Kreditbeschaffung)
Art. 115 GG ist im Jahr 2009 beträchtlich umgestaltet worden; die zur alten Fassung ergangene Rechtsprechung (vgl. insbesondere BVerfGE 67, 256; BVerfGE 79, 311 sowie BVerfGE 119, 96) kann indessen immer
noch sinngemäß fruchtbar gemacht werden. Ebenfalls im Jahr 2009 ist das in Art. 115 Abs. 1 GG vorgesehene
Bundesgesetz in Kraft gesetzt worden, welches bereits verändert worden ist.
[1] Zuvörderst sichert die Vorschrift das Haushaltsrecht, insbesondere das Ausgabenbewilligungsrecht des
Parlaments, begründet jedoch keine Kompetenzen des Bundes im Verhältnis zu den Ländern oder besondere
Befugnisse des Staates im Verhältnis zum Einzelnen. Art. 115 Abs. 1 GG entfaltet seine Wirkung gerade
und nur im Inter-Organ-Verhältnis zwischen Parlament und Regierung (BVerfGE 67, 256 [281]).
[2] Der Zweck der Norm ist, dass der Bund nicht durch parlamentarisch unkontrollierte Eingehung lang- und
kurzfristiger Schulden in unübersehbare Rückzahlungsverpflichtungen verstrickt werden kann, die künftige
Haushalte nachhaltig belasten (a.a.O. [280 f.]; dort auch zur Frage, ob Zwangsanleihen erfasst werden).
[3] Wenig lässt sich zusätzlich aus dem Demokratieprinzip (nachfolgend D.III.) ableiten: Zwar entspricht der
Demokratie der Gedanke der Herrschaft auf Zeit und die Achtung der Entscheidungsfreiheit auch künftiger
Generationen. Es gehört aber ebenso zu den Aufgaben des demokratischen Gesetzgebers, über die Amtsperioden hinauszusehen, Vorsorge für die dauerhafte Befriedigung von Gemeinschaftsinteressen zu treffen und
damit auch die Entscheidungsgrundlagen nachfolgender Amtsträger inhaltlich vorauszubestimmen.
Wie weit ihm dabei - im Interesse künftiger Generationen - Grenzen gezogen sind, hat das Grundgesetz in
Art. 115 GG selbst festgelegt und damit das Demokratieprinzip insoweit verfassungskräftig konkretisiert
(BVerfGE 79, 311 [343]; dort [339 ff.] auch zu Darlegungsverpflichtungen und -lasten des Haushaltsgesetzgebers, die auch heute noch Bedeutung erlangen können).
a) Art. 115 Abs. 1 GG als Konkretisierung des demokratischen
Parlamentsvorbehalts
Auch die neu gefasste Vorschrift des Art. 115 Abs. 1 GG erweist sich als Konkretisierung des demokratischen
Parlamentsvorbehalts.
aa) Pflicht des Parlaments, wesentliche Entscheidungen (Entwicklung des Gesamtschuldenstands)
selbst zu treffen
Sie sichert das Budgetrecht auch für künftige Haushaltsjahre und verpflichtet das Parlament, die für die
Entwicklung des Gesamtschuldenstands wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen (allgemein zu dieser
Verpflichtung nachfolgend D.V.3.b) (vgl. S. 261) ) und sie nicht durch allgemein formulierte Ermächtigungen
der Exekutive zu überlassen.
bb) Kontrollmöglichkeiten
Zugleich gewährleistet Art. 115 Abs. 1 GG die Aufmerksamkeit des Parlaments sowie der interessierten
Öffentlichkeit für aktuelle und/oder potentielle Belastungen des Staatshaushalts und ermöglicht eine - nicht
zuletzt auch verfassungsgerichtliche - Kontrolle (BVerfGE 130, 318 [346]).
Brunn - Kapitel C.IX.17.
Seite 214
b) Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigung, die zumindest bestimmbar den
Höchstbetrag festlegen muss
Nach Art. 115 Abs. 1 Satz 1 GG bedürfen die Kreditaufnahme sowie die Übernahme von Bürgschaften,
Garantien oder sonstigen Gewährleistungen - hierzu nachfolgend c) und d) - jedenfalls “einer der Höhe nach
bestimmten oder bestimmbaren“ gesetzlichen Ermächtigung.
Der parlamentarische Gesetzgeber muss danach den finanziellen Umfang der Ermächtigung zur Kreditaufnahme oder Gewährleistungsübernahme durch einen bestimmten - oder wenigstens bestimmbaren - Höchstbetrag
selbst festlegen (BVerfGE 130, 318 [346]).
c) Insbesondere: Gewährleistungsübernahme
Das Grundgesetz stellt in Art. 115 Abs. 1 GG die Gewährleistungsübernahme - die als Haftung für die Verbindlichkeiten Dritter eine “potentielle Neuverschuldung“ darstellt - der unmittelbaren Staatsverschuldung
insofern ausdrücklich gleich. Die Exekutive soll nicht im Wege der Kreditaufnahme und/oder der Gewährleistungsermächtigung das Budgetrecht des Parlaments aushöhlen oder umgehen können (BVerfGE 130,
318 [345 f.]).
aa) Pflicht zu “flankierenden Rahmenbedingungen“
Soweit mit dem Risiko einer schwerwiegenden Reduzierung des Spielraums für künftige haushaltspolitische Entscheidungen gerechnet werden muss, darf sich der Gesetzgeber nicht auf die Festlegung der
vorerwähnten Höhe beschränken ; vielmehr muss er auch flankierende Rahmenbedingungen festlegen, die
gewährleisten, dass die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages gewahrt bleibt.
bb) Gesetzliche Bindungen von Inanspruchnahmen und Mitwirkungen des Bundestags
Letzteres kann durch gesetzliche Bindung der Inanspruchnahme an risikobegrenzende Kriterien und dadurch geschehen, dass die wesentlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der
Gewährleistungsermächtigungen ihrerseits an die Mitwirkung des Bundestages gebunden bleiben.
Bestimmtheit der gesetzlichen Inanspruchnahme-Voraussetzung und Notwendigkeit der Mitwirkung des Bundestages stehen dabei in einem wechselbezüglichen Verhältnis; die Wahrung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages erfordert grundsätzlich, dass der Bundestag einen insgesamt bestimmenden
Einfluss nimmt (BVerfGE 130, 318 [346 f.]; vgl. bereits BVerfGE 129, 124 [183 f.]).
d) Insbesondere: Gewährleistungsermächtigungen im Rahmen internationaler
Übereinkünfte
Gewährleistungsermächtigungen gem. Art. 115 Abs. 1 GG, mit denen völkervertragliche Vereinbarungen
umgesetzt werden, können nach Art und Umfang zu massiven Beeinträchtigungen der Haushaltsautonomie
führen.
Während herkömmliche Gewährleistungsermächtigungen für gewöhnlich keine außergewöhnlichen Risiken für die Haushaltsautonomie mit sich bringen und daher das Grundgesetz insoweit keine Begrenzung
vorsieht, haben Gewährleistungsermächtigungen, die die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen internationaler Übereinkünfte zur Erhaltung der Liquidität von Staaten der Währungsunion eingeht, durchaus das
Potential , die Möglichkeiten politischer Gestaltung des Bundestages in verfassungsrechtlich unzulässigem
Umfang einzuschränken (BVerfGE 129, 124 [171]; dort [170] - sowie in BVerfGE 135, 317 [403 f.] - auch
dazu, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber durch die tatbestandliche Konkretisierung und sachliche
Verschärfung der Regeln für die Kreditaufnahme von Bund und Ländern klargestellt hat, dass eine verfassungsrechtliche Bindung der Parlamente und damit eine fühlbare Beschränkung ihrer Handlungsfähigkeit
notwendig ist, um langfristig die demokratische Gestaltungsfähigkeit für das Gemeinwesen zu erhalten;
dort [179] insbesondere zu “finanzwirksamen Mechanismen“, welche zu unüberschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen führen können).
Brunn - Kapitel D.I.1.
Seite 215
D. “Verfassungsfeste“ Grundsätze (Art. 79 Abs. 3 GG) sowie
Demokratie-, Sozialstaats- , Rechtsstaats- und
Gewaltenteilungsgrundsätze (Art. 20 GG)
Wie bereits eingangs (A.I.2.b) (vgl. S. 3) ) angesprochen, kann sogar der verfassungsändernde Gesetzgeber
durch die Verfassung gehindert sein, entsprechende Grundgesetzänderungen vorzunehmen (wodurch sich im
Übrigen die “Ur-Verfassung“ des Jahres 1949 die eigene Verfassungsgemäßheit “bescheinigt“ hat). Deshalb
hier ein kursorischer Überblick über die in Betracht zu ziehenden “ewigen“ Grundsätze:
I. Überblick über (möglicherweise) veränderungsfeste Verfassungsgebote.
1.
2.
Art. 79 Abs. 3 GG (Kriterien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Allgemeines (Übersicht; BVerfGE 109, 279) . . . . . . . . . . . . . . .
b) “Ausnahmevorschrift“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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216
216
aa) Respektierung des verfassungsändernden Gesetzgebers durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
216
bb) Keine Gleichsetzung des Menschenwürdegehalts eines Grundrechts mit der Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
“Niedergelegte“ Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Menschenwürde und Menschenrechte (Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 GG) .
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216
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b)
c)
d)
e)
aa) Menschenrechte (Art. 1 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) Wesensgehaltsgarantie Art. 19 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . .
Sozialstaatsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Grundlegende Gerechtigkeitspostulate (grundlegende Elemente des Rechtsstaatsprinzips,
insbesondere Rechtsgleichheit und Willkürverbot) . . . . . . . . . . . . .
Gewaltenteilungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Wahrung der Gewichtsverteilung zur Vermeidung von Übergewichten . . . . . .
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bb) Unantastbarkeit des Kernbereichs jeder Gewalt
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. . . . . . . . . . . . . . . . . .
cc) Zugunsten der Länder garantierte Unentziehbarkeit von Aufgaben mit substantiellem Gewicht (im Bereich aller drei Staatsfunktionen) durch das Gebot der Bundesschaftlichkeit (Art. 20 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ohne die verfassungsgerichtliche Auslegung wäre die (vor allem Gesetzgebungs-)Praxis angesichts der “lapidaren“ Fassung des Art. 79 Abs. 3 GG wohl kaum in der Lage, die hierdurch gezogenen Grenzen zu erkennen
und zu beachten.
1. Art. 79 Abs. 3 GG (Kriterien)
Ausführliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 79 Abs. 3 GG (zumal eine Verletzung
bejahende oder auch nur in Betracht ziehende) ist spärlich; verfassungsändernde Gesetze dürfen (zumindest)
- erstens - die Menschenwürde nicht verletzen und - zweitens - die “Staatsstrukturprinzipien“ des Art. 20
GG nicht antasten (BVerfGE 113, 273 [296]).
Relativ ausführlich hat sich das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2004 (im Zusammenhang mit Art. 13
Abs. 3 GG) geäußert:
Brunn - Kapitel D.I.2.
Seite 216
a) Allgemeines (Übersicht; BVerfGE 109, 279)
Art. 79 Abs. 3 GG verbietet Verfassungsänderungen, durch welche die in Art. 1 GG und Art. 20 GG
niedergelegten Grundsätze berührt werden. Zu ihnen gehört das Gebot der Achtung und des Schutzes der
Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), aber auch das Bekenntnis zu unverletzlichen und unveräußerlichen
Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit (Art.
1 Abs. 2 GG). In Verbindung mit der in Art. 1 Abs. 3 GG enthaltenen Verweisung auf die nachfolgenden
Grundrechte sind deren Verbürgungen insoweit der Einschränkung durch den Gesetzgeber grundsätzlich
entzogen, als sie zur Aufrechterhaltung einer dem Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 GG entsprechenden Ordnung
unverzichtbar sind.
Ebenso sind grundlegende Elemente des Rechts- und des Sozialstaatsprinzips, die in Art. 20 Abs. 1 und 3
GG zum Ausdruck kommen, zu achten.
b) “Ausnahmevorschrift“
Art. 79 Abs. 3 GG ist eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift , die den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht hindert, die positivrechtlichen Ausprägungen dieser Grundsätze aus sachgerechten Gründen zu
modifizieren.
aa) Respektierung des verfassungsändernden Gesetzgebers durch das Bundesverfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht des verfassungsändernden Gesetzgebers zu respektieren, einzelne
Grundrechte zu ändern, einzuschränken oder sogar aufzuheben, sofern er die in Art. 1 GG und Art. 20 GG
niedergelegten Grundsätze nicht berührt. Aus sachgerechten Gründen erfolgende Modifikationen der positivrechtlichen Ausprägung dieser Grundsätze sind diesem Gesetzgeber nicht verwehrt.
Was im Rahmen einzelner Grundrechte zum Gewährleistungsinhalt des Art. 1 Abs. 1 GG gehört, ist durch
Auslegung der jeweiligen Grundrechtsnorm eigenständig zu bestimmen.
bb) Keine Gleichsetzung des Menschenwürdegehalts eines Grundrechts mit der Wesensgehaltsgarantie
(Art. 19 Abs. 2 GG)
Verfassungsänderungen sind nicht an der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG zu messen. Diese
Garantie bindet den einfachen, aber nicht den verfassungsändernden Gesetzgeber. Eine Antastung des Wesensgehalts im Sinne von Art. 19 Abs. 2 GG kann zwar im Einzelfall zugleich den von Art. 79 Abs. 3 GG
geschützten Menschenwürdegehalt eines Grundrechts beeinträchtigen. Der Wesensgehalt ist aber nicht mit
dem Menschenwürdegehalt eines Grundrechts gleichzusetzen. Eine mögliche Kongruenz im Einzelfall ändert
nichts daran, dass Maßstab für eine verfassungsändernde Grundrechtseinschränkung allein der durch Art. 79
Abs. 3 GG geschützte Menschenwürdegehalt eines Grundrechts ist (BVerfGE 109, 279 [310 f.]; dort [311 f.]
auch zur Menschenwürdegarantie).
2. “Niedergelegte“ Grundsätze
Auslegungsschwierigkeiten rufen insbesondere die Begriffe “niedergelegt“ und “berührt“ hervor, welche im
Grundgesetz eher unüblich sind.
a) Menschenwürde und Menschenrechte (Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Abs. 3
GG)
Zu den “in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätzen“ i.S.v. Art. 79 Abs. 3 GG (vgl. auch BVerfGE
123, 267 [343] “Ewigkeitsgarantie“ sowie die - umstrittene, Art. 13 Abs. 3 GG betreffende - Entscheidung
BVerfGE 109, 279 [310 f.]; demgegenüber - nachvollziehbar - BVerfGE 109, 279 [382, 383 f.] abweichende
Meinung) gehört - erstens - (nicht nur) der in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz der Menschenwürde
(nachstehend II.).
Brunn - Kapitel D.I.2.
Seite 217
aa) Menschenrechte (Art. 1 Abs. 2 GG)
Auch das in Art. 1 Abs. 2 GG (nachstehend E.I.2. (vgl. S. 366) ) enthaltene Bekenntnis zu unverletzlichen
und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage der menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und
der Gerechtigkeit erlangt insoweit Bedeutung; in Verbindung mit der in Art. 1 Abs. 3 GG (nachstehend
E.I.3.) enthaltenen Verweisung auf die nachfolgenden Grundrechte (ausführlich zu Grundrechten nachfolgend
E.II. bis XVI.) sind deren Verbürgungen insoweit einer Einschränkung grundsätzlich entzogen, als sie zur
Aufrechterhaltung einer dem Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 GG entsprechenden Ordnung unverzichtbar sind.
bb) Wesensgehaltsgarantie Art. 19 Abs. 2 GG
Den einfachen (nicht aber unbedingt den verfassungsändernden) Gesetzgeber bindet die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG (hierzu E.I.3.d) (vgl. S. 374) ). Eine Antastung dieses Wesensgehalts kann zwar wie gerade dargelegt - im Einzelfall zugleich den von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Menschenwürdegehalt
eines Grundrechts beeinträchtigen. Der Wesensgehalt ist aber nicht mit dem Menschenwürdegehalt eines
Grundrechts gleichzusetzen (BVerfGE 109, 279 [310 f.]).
b) Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG)
Zu den “festesten“ Prinzipien dürfte - zweitens - das in Art. 20 Abs. 1 GG angesprochene Demokratieprinzip
(nachfolgend III.) gehören, welches große Bedeutung für die Zusammensetzung der Verfassungsorgane (Art.
20 Abs. 2 Satz 2 GG) hat, welche die Staatsgewalt(en) ausüben, die vom Volk auszugehen hat (Art. 20 Abs.
2 Satz 1 GG).
Schwierige Aufgaben hat dabei der Wahlrechtsgesetzgeber zu bewältigen (nachfolgend D.III.3. und D.III.4.),
wobei entscheidend ist, dass ein hinreichend effektiver Gehalt an demokratischer Legitimation, ein bestimmtes Legitimationsniveau , erreicht wird (BVerfGE 89, 155 [171 f.]; vgl. auch BVerfGE 135, 317 [386] für
Vorgänge, welche demokratische Grundsätze berühren, die Art. 79 Abs. 3 GG auch dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers entzieht), weil das Recht der Bürger, in Freiheit und Gleichheit durch Wahlen
und Abstimmungen die öffentliche Gewalt personell und sachlich zu bestimmen, der elementare Bestandteil
des Demokratieprinzips ist. Der Anspruch auf freie und gleiche Teilhabe an der öffentlichen Gewalt ist in
der Würde des Menschen verankert. Er gehört zu den durch Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG i.V.m. Art. 79
Abs. 3 GG als unveränderbar festgelegten Grundsätzen des deutschen Verfassungsrechts (BVerfGE 123, 267
[341]; dort [344] auch zur “Ewigkeitstheorie“).
c) Sozialstaatsgrundsatz
Zu den (in Teilen) unantastbaren Grundprinzipien gehört - drittens -, was zumindest das “Existenzminimum anbelangt, - wegen seiner Verbindung mit der Menschenwürde und den Menschenrechten - auch der
Sozialstaatsgrundsatz (nachfolgend D.IV.).
d) Grundlegende Gerechtigkeitspostulate (grundlegende Elemente des
Rechtsstaatsprinzips, insbesondere Rechtsgleichheit und Willkürverbot)
Auch grundlegende Gerechtigkeitspostulate dürfen - viertens (nachfolgend D.V.) - nicht außer Acht gelassen
werden. Dazu gehören der Grundsatz der Rechtsgleichheit (hierzu E.III.1.) und das Willkürverbot; ebenso
sind grundlegende Elemente des Rechts- (und des Sozial-) staatsprinzips, die in Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3
GG zum Ausdruck kommen, zu achten (BVerfGE 84, 90 [121]; vgl. auch BVerfGE 109, 279 [310]; dort auch
dazu, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht gehindert ist, die positivrechtlichen Ausprägungen der
genannten Grundsätze aus sachgerechten Gründen zu “modifizieren“).
Soweit in der - fragwürdigen - Entscheidung BVerfGE 30, 1 (26 ff.; vgl. demgegenüber die abweichende Meinung a.a.O. [33 ff., 40 f.] sowie neuerdings BVerfGE 137, 108 [145] “sehr enge Interpretation von Art. 79 Abs.
3 GG“; stattdessen - andeutungsweise - möglicherweise maßgeblich: “unverhältnismäßige Beschränkungen“
sowie “substantielle Erosion“) verneint worden ist, dass bestimmte aus Art. 20 GG ableitbare Grundsätze
(wie etwa der Grundsatz des möglichst umfassenden Gerichtsschutzes) zu den unveränderbaren und “niedergelegten“ Grundsätzen zu rechnen seien, kann dies hier dahinstehen, weil hiervon zwar womöglich der
verfassungsändernde Gesetzgeber nicht betroffen wäre, wohl aber der einfache Gesetzgeber.
Brunn - Kapitel D.II.1.
Seite 218
Entsprechendes gilt für die Darlegungen, mit denen Art. 16 a Abs. 2 Satz 3 GG für unbedenklich befunden
worden ist (BVerfGE 94, 49 [104]).
e) Gewaltenteilungsgrundsatz
Nur selten dürften für den Gesetzgeber Anlass und Notwendigkeit bestehen, sich bei neuer Rechtsetzung
über Inhalt und Grenzen des - fünftens - Gewaltenteilungsgrundsatzes (im Einzelnen nachfolgend D.VI.)
Gewissheit zu verschaffen; der Respekt der Gewalten voreinander lässt kaum befürchten, dass zukünftig
in nennenswerter Zahl durch Gesetze (verfassungswidrige) “Übergriffe“ in den Kernbereich einer Gewalt,
welche zweifelsfrei die Verfassung verletzen würden (D.VI.1.b) (vgl. S. 270) ), beabsichtigt oder ermöglicht
werden. Gleichwohl sollen die wichtigsten Erkenntnisse des Verfassungsgerichts hierzu bereits hier vorgestellt
werden:
aa) Wahrung der Gewichtsverteilung zur Vermeidung von Übergewichten
Der im Grundgesetz niedergelegte Grundsatz der Gewaltenteilung zielt zwar nicht auf eine strikte Trennung
der Staatsfunktionen ab. Gleichwohl muss aber die in der Verfassung vorgenommene Gewichtsverteilung
zwischen den drei Gewalten gewahrt werden, damit keine Gewalt ein von der Verfassung nicht vorgesehenes
Übergewicht über eine andere erhält.
bb) Unantastbarkeit des Kernbereichs jeder Gewalt
Ebenso wenig darf eine Gewalt der für die Erfüllung ihrer verfassungsgemäßen Aufgaben erforderlichen
Zuständigkeiten beraubt werden. Der Kernbereich ihrer Entscheidungsbefugnisse ist unantastbar . Damit
ist ausgeschlossen, dass eine der Gewalten die ihr von der Verfassung zugeschriebenen typischen Aufgaben
verliert (BVerfGE 139, 321 [362]; vgl. auch BVerfGE 139, 194 [223 ff.] für Kontrollfunktion des Parlaments
im parlamentarischen Regierungssystems; dort [225 ff.] auch für die getrennten Legitimationen, die jeweils
vom Bundesvolk und dem Landesvolk vermittelt werden).
cc) Zugunsten der Länder garantierte Unentziehbarkeit von Aufgaben mit substantiellem Gewicht (im
Bereich aller drei Staatsfunktionen) durch das Gebot der Bundesschaftlichkeit (Art. 20 Abs. 1 GG)
Das Gebot der Bundesstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 1 GG) gebietet im Übrigen in seinem verfassungsänderungsfesten Kern , dass den Ländern im Bereich aller drei Staatsfunktionen Aufgaben von substantiellem
Gewicht als “Hausgut“ unentziehbar verbleiben (BVerfGE 137, 108 [144]).
II. Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG)
1.
Zusammenfassung des 1. Senats aus dem Jahre 2004 (BVerfGE 109, 279) . . . . . .
a) Anknüpfung an historische Erfahrungen sowie Schwerpunkt-Verlagerungen . . . .
b) “Objektformel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Schutz eines Straftäters (Verbot der Behandlung als bloßes Objekt der Verbrechensbekämpfung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.
3.
bb) (Allgemeine) Grenzen der Objektformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) “Heimliches“ staatliches Vorgehen und Beobachten . . . . . . . . . . . .
Vorläufige (neuere) Zusammenfassung aus dem 2. Senat (2 BvR 1111/13) . . . . . .
Unionsrecht und geltend gemachte Verletzungen der Menschenwürde (“Identitätskontrolle“)
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Unter welchen Umständen die Menschenwürde (im Einzelnen auch nachstehend E.I.) verletzt sein kann, lässt
sich nicht generell sagen, sondern immer nur in Ansehung des konkreten Falles.
Bei allen Ungewissheiten wird es wohl dabei bleiben, dass der (strafrechtliche) Schuldgrundsatz - weil im
Rechtsstaatsprinzip und in der Menschenwürde verankert - zur Verfassungsidentität im Sinne von Art. 79
Abs. 3 GG zu rechnen ist (BVerfGE 140, 317 (343]).
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1. Zusammenfassung des 1. Senats aus dem Jahre 2004 (BVerfGE 109, 279)
Die Menschenwürde ist tragendes Konstitutionsprinzip und oberster Verfassungswert. Der Gewährleistungsgehalt dieses auf Wertungen verweisenden Begriffs bedarf der Konkretisierung. Dies geschieht in der Rechtsprechung in Ansehung des einzelnen Sachverhalts mit dem Blick auf den zur Regelung stehenden jeweiligen
Lebensbereich und unter Herausbildung von Fallgruppen und Regelbeispielen. Dabei wird der Begriff der
Menschenwürde häufig vom Verletzungsvorgang her beschrieben.
a) Anknüpfung an historische Erfahrungen sowie Schwerpunkt-Verlagerungen
Anknüpfend an die Erfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus standen in der Rechtsprechung zunächst
Erscheinungen wie Misshandlung, Verfolgung und Diskriminierung im Zentrum der Überlegungen. Es ging
insbesondere, wie das Bundesverfassungsgericht in einer seiner ersten Entscheidungen formulierte, um den
Schutz vor “Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung usw.“ (vgl. BVerfGE 1, 97 [104]).
Später wurde die Menschenwürdegarantie im Hinblick auf neue Gefährdungen maßgebend, so in den 1980er
Jahren für den Missbrauch der Erhebung und Verwertung von Daten (vgl. BVerfGE 65, 1).
Im Zusammenhang der Aufarbeitung des Unrechts aus der Deutschen Demokratischen Republik wurde die
Verletzung von Grundsätzen der Menschlichkeit unter anderem bei der Beschaffung und Weitergabe von
Informationen zum Gegenstand der Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 93, 213 [243]).
Gegenwärtig bestimmen insbesondere Fragen des Schutzes der personalen Identität und der psychischsozialen Integrität die Auseinandersetzungen über den Menschenwürdegehalt.
b) “Objektformel“
Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt betont, dass es mit der Würde des Menschen nicht vereinbar
ist, ihn zum bloßen Objekt der Staatsgewalt zu machen (vgl. BVerfGE 30, 1 [25 f. und 39 ff.]; BVerfGE 96,
375 [399]).
aa) Schutz eines Straftäters (Verbot der Behandlung als bloßes Objekt der Verbrechensbekämpfung)
So darf ein Straftäter nicht unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und
Achtungsanspruchs behandelt und dadurch zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung und Strafvollstreckung gemacht werden (vgl. BVerfGE 45, 187 [228]; BVerfGE 72, 105 [116]).
bb) (Allgemeine) Grenzen der Objektformel
Allerdings sind der Leistungskraft der Objektformel auch Grenzen gesetzt (vgl. BVerfGE 30, 1 [25]). Der
Mensch ist nicht selten bloßes Objekt nicht nur der Verhältnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung,
sondern auch des Rechts, dem er sich zu fügen hat. Die Menschenwürde wird nicht schon dadurch verletzt,
dass jemand zum Adressaten von Maßnahmen der Strafverfolgung wird, wohl aber dann, wenn durch die
Art der ergriffenen Maßnahme die Subjektqualität des Betroffenen grundsätzlich in Frage gestellt wird.
Das ist der Fall, wenn die Behandlung durch die öffentliche Gewalt die Achtung des Wertes vermissen lässt,
der jedem Menschen um seiner selbst willen zukommt. Solche Maßnahmen dürfen auch nicht im Interesse
der Effektivität der Strafrechtspflege und der Wahrheitserforschung vorgenommen werden.
c) “Heimliches“ staatliches Vorgehen und Beobachten
Dabei führt ein heimliches Vorgehen des Staates (ausführlich neuerdings BVerfGE 141, 220 [269 ff.]) an sich
noch nicht zu einer Verletzung des absolut geschützten Achtungsanspruchs. Wird jemand zum Objekt einer
Beobachtung, geht damit nicht zwingend eine Missachtung seines Wertes als Mensch einher.
Bei Beobachtungen ist aber ein unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung zu wahren. Würde der
Staat in ihn eindringen, verletzte dies die jedem Menschen unantastbar gewährte Freiheit zur Entfaltung in
den ihn betreffenden höchstpersönlichen Angelegenheiten. Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit
können einen Eingriff in diesen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht rechtfertigen
Brunn - Kapitel D.III.0.
Seite 220
(BVerfGE 109, 279 [311 ff.]; dort [313 f.] insbesondere auch dazu, dass der Schutz der Menschenwürde in
Art. 13 Abs. 1 GG konkretisiert wird, und dort [314] dazu, dass der hierdurch gewährleistete Schutz nicht
“durch Abwägung mit den Strafverfolgungsinteressen nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
relativiert werden“ darf).
2. Vorläufige (neuere) Zusammenfassung aus dem 2. Senat (2 BvR 1111/13)
In einer Kammerentscheidung, die zudem auch die Ausstrahlungswirkung auf den Inhalt des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts (BVerfGE 27, 344 [351] sowie BVerfGE 79, 256 [268]) in den Blick genommen hat,
hat das Gericht - für den Strafvollzug - wie folgt zusammengefaßt (2 BvR 1111/13 [30]; dort [39] auch zu
gerichtlichen Sachverhaltsaufklärungspflichten):
Die Würde des Menschen zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt (Art. 1 Abs.
1 GG). Der öffentlichen Gewalt ist danach jede Behandlung verboten, die die Achtung des Wertes vermissen
lässt, der jedem Menschen unabhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung, seinen Verdiensten oder der
Schuld, die er auf sich geladen hat, allein aufgrund seines Personseins zukommt (vgl. BVerfGE 1, 97 [104];
BVerfGE 87, 209 [228]; BVerfGE 107, 275 [284]; BVerfGE 109, 279 [313]).
Dem Recht auf Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) kommt in der Verfassung ein Höchstwert
zu; es ist als tragendes Konstitutionsprinzip im System der Grundrechte zu betrachten (vgl. BVerfGE 45,
187 [227] sowie BVerfGE 87, 209 [228]).
Dies entspreche auch der zu berücksichtigenden Rechtsprechung des EGMR (a.a.O. [31] unter Hinweis auf
BVerfGE 111, 307 [317]; BVerfGE 116, 69 [90]; BVerfGE 120, 180 [200 f.] sowie BVerfGE 128, 326 [370 f.]).
3. Unionsrecht und geltend gemachte Verletzungen der Menschenwürde
(“Identitätskontrolle“)
Wird insoweit die Verletzung der Menschenwürdegarantie geltend gemacht, so prüft das Bundesverfassungsgericht - ungeachtet der bisherigen Rechtsprechung zur Unzulässigkeit von Verfassungsbeschwerden und
Vorlagen, mit denen die Verletzung in Grundrechten des Grundgesetzes durch sekundäres Gemeinschaftsbzw. Unionsrecht gerügt wurde - einen solchen schwerwiegenden Grundrechtsverstoß im Rahmen der Identitätskontrolle (BVerfGE 140, 317 [334]; dort [366] auch zu “norminternen Direktiven“ des Art. 1 Abs. 1
GG).
Was das Verhältnis der Mitgliedstaaten (und damit auch der Bundesrepublik) untereinander anbelangt, so
gilt insoweit insbesondere, dass sie nicht die Hand zu Menschenrechtsverletzungen reichen dürfen (a.a.O.
[359]).
III. Demokratieprinzip und Volkssouveränität (Art 20 Abs. 1, 1. Alt. i.V.m. Abs. 2
Satz 1 GG)
1.
2.
Volkssouveränität . . . . . . . . . . . .
a) Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und
b) Länderbereich (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) .
Staatsvolk . . . . . . . . . . . . . . .
a) Wahlvolk . . . . . . . . . . . . . .
b)
. . . .
staatlicher
. . . .
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. . . .
. . . .
im Bund
. . . .
. . . .
. . . .
.
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.
.
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aa) Neuregelung des Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
225
bb) Unionsbürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Deutscheneigenschaft i.S.v. Art. 116 GG . . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Art. 116 Abs. 1 GG (Flüchtlinge und Vertriebene)
c)
. . . .
Herrschaft
. . . .
. . . .
. . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
226
bb) Art. 116 Abs. 2 GG (Wiedereinbürgerung von Ausgebürgerten) . . . . . . . . .
Verlust der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . .
226
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3.
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Wahlen als Legitimationsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Periodische Wahlen als “Quelle der Staatsgewalt“ . . . . . . . . . . . . .
aa) Freie Wahlen als Grundvoraussetzung für das Offenhalten der gebotenen Möglichkeit, von einer Minderheit zur Mehrheit zu werden . . . . . . . . . . . . . . . . .
227
(2) Chancengleichheit auch und gerade für Minderheiten . . . . . . . . . . . . .
227
(3) Wahlgesetzgebung als Tätigwerden “in eigener Sache“
. . . . . . . . . . . .
227
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
227
cc) Wahlen als “exklusive“ Legitimationsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228
(1) Verbot der “Entsendung“ von Abgeordneten durch Staat oder Parteien . . .
228
(2) Alternative der Repräsentation durch Auslosung . . . . . . . . . . . . . . . .
Verbot der (staatlichen) Beeinflussung von Wählern und Wahlen . . . . . . .
228
228
aa) Freie Meinungsbildung und Stimmabgabe des Wählers
c)
d)
. . . . . . . . . . . . . .
228
bb) (Unzulässige) Wahlbeeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Freie und offene Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten . . . . .
228
229
aa) “Dialog“ zwischen Parlament und den gesellschaftlichen Kräften . . . . . . . . .
229
bb) Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Einführung in die Grundsätze des Art. 38 GG (Zusammenhänge mit Art. 20 GG) .
229
229
aa) Art. 38 Abs. 1 GG
(1) Allgemeinheit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
229
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
229
(2) Unmittelbarkeit, Freiheit und Geheimheit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
229
(3) Bundesparlament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
230
(4) Repräsentationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
230
bb) Art. 38 Abs. 2 GG (Beeinflussung des passiven Wahlrechts durch den Gleichheitsgrundsatz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
230
cc) Art. 38 Abs. 3 GG (Ausgestaltungsauftrag des Gesetzgebers)
. . . . . . . . . .
230
dd) Rechte des Wahlberechtigten aus Art. 38 Abs. 1 und Abs. 2 GG . . . . . . . . .
230
(1) Subjektives Recht (“status activus“)
4.
227
(1) Freiheit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
bb) Erfordernis der Erneuerung der Legitimation
b)
226
227
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
230
(2) Mittelbare Betroffenheit (Verletzung der Verfassungsidentität) . . . . . . . .
231
ee) Zunehmende Bedeutung des Art. 20 Abs. 1 GG . .
Wahlgesetzgeber und Verwirklichung der Wahlrechtsgrundsätze
gebungsauftrags gem. Art. 38 Abs. 3 GG) . . . . . . . .
a) Zielsetzungen und zulässige Mittel der Zielerreichung . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
(Wahrnehmung des Gesetz. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
231
231
232
aa) Verfassungsrechtliche Zweckvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
232
(1) Die (zumindest) sieben Zielvorgaben für den Gesetzgeber . . . . . . . . . . .
232
(2) Gleiche Gewichtung der Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
232
(3) Übertragung auf andere Wahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
233
bb) Mehrheits- und/oder Verhältniswahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
233
(1) Freiheit des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
233
(2) Insbesondere: Verbindung der Systeme (Grabensystem) . . . . . . . . . . . .
233
cc) Allgemeine “Nachbesserungspflichten“ des Wahlgesetzgebers . . . . . . . . . . .
233
dd) Die Zusammenhänge zwischen den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit
und den Grundsätzen der Chancengleichheit der Parteien (insbesondere bei der
Errichtung von Sperrklauseln im Verhältniswahlrecht) . . . . . . . . . . . . . . .
233
Brunn - Kapitel D.III.0.
(1) Eng bemessener Spielraum des Gesetzgebers für Differenzierungen (“strenger
Maßstab“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234
(2) Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung als Rechtfertigung
234
(2a)
234
Gesetzgeberische Pflicht zur Orientierung an der politischen Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234
(3) Spezielle Prüf- und Änderungspflichten des Gesetzgebers bei veränderten tatsächlichen Gegebenheiten (insbesondere: Sperrklauseln) . . . . . . . . . . . .
234
(3a)
Verbot der “Festschreibung“ tatsächlicher und rechtlicher Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(3b)
Verlässliche Prognosen als gesetzgeberische Aufgaben . . . . . . .
Die Wahlrechtsgrundsätze in ihren Grundzügen . . . . . . . . . . . . . .
aa) Allgemeinheit der Wahl
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) Verbot des gruppengerichteten Wahlrechtsausschlusses
234
235
235
235
. . . . . . . . . . . .
235
(2) Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
235
bb) Unmittelbarkeit der Wahl
c)
. .
Keine einheitliche Bewertung der Volksvertretungen bezüglich ihrer
Funktionsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(2b)
b)
Seite 222
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
235
(1) Verbot von “Wahlmännern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
236
(2) Transparenzgebot und Verbot widersinniger Wirkungszusammenhänge
. . .
236
(2a)
Widersinnige Wirkungszusammenhänge im Abstrakten . . . . . .
236
(2b)
Widersinnige Wirkungszusammenhänge im Besonderen . . . . . .
236
cc) Freiheit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
236
(1) Unbeeinflusste Wahlrechtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
236
(2) Freies Wahlvorschlagsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
236
dd) Geheimheit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Insbesondere: Wahlrechtsgleichheit (i.V.m. “Chancengleichheit“) . . . . . . .
237
237
aa) Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit (insbesondere gleicher Zähl- und Erfolgswert)
als Grundanforderung an alle Wahlsysteme (Mehrheits- und Verhältniswahl) . .
237
(1) Gebot der Folgerichtigkeit und Verbot der strukturwidrigen Elemente . . . .
237
(2) Erfolgschancengleichheit im gesamten Wahlgebiet (Grundsatz) . . . . . . . .
238
(3) Einfluss von Zähl- und Erfolgswertgleichheit auf das Sitzzuteilungsverfahren
238
(4) Unterschiede bei Mehrheits- und Verhältniswahl . . . . . . . . . . . . . . . .
238
(4a)
Weitergehende Einflußnahmemöglichkeiten des Wählers bei der Verhältniswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
238
(4b)
Verhältniswahl und Gebot des gleichen Erfolgswerts jeder Stimme
238
(4c)
Pflichten des Gesetzgebers im Zusammenhang mit Stimmenanrechnungen auf einer Landesliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
239
(5) Gestaltungsfreiheit für Rechenverfahren zur Sitzverteilung bei der Verhältniswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
239
bb) Rechtfertigungen für Differenzierungen (insbesondere Funktionsfähigkeit des Parlaments) im Allgemeinen und Speziellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
239
(1) Kollisionen mit Verfassungswerten (zulässige Differenzierungsgründe) . . . .
239
(2) Spezieller Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für Differenzierungen . . . . . . . .
239
cc) Insbesondere: Differenzierungen bei der Wahlkreiseinteilung
. . . . . . . . . . .
239
Brunn - Kapitel D.III.0.
Seite 223
(1) Verteilung der Wahlkreise auf die Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
240
(2) “Geringfügigkeitsvorbehalt“
240
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
dd) Sonderfälle der (zulässigen und unzulässigen) “Überhangmandate“
(1) Verfehlung des Ziels eines vollen Ausgleichs
5.
. . . . . . .
240
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
240
(2) Entstehung von Überhangmandaten (Erhöhung der Gesamtzahl der Sitze) .
Legitimierungsbedürftige Wahrnehmung (vornehmlich behördlicher und richterlicher) staatlicher Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Allgemeines (“Sachlich-inhaltliche Legitimation“, “Legitimationsniveau“ und “amtsgebundene Legitimation“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
240
aa) Personelle sowie sachlich-inhaltliche Legitimation (“ununterbrochene Legitimationskette) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
241
bb) Legitimationsniveau (insbesondere Legitimation von - “herausgehobenen“ - Richtern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
241
b)
241
(2) Amtsgebundene Legitimation
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
241
(3) Ministerielle Auswahlkompetenz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Legitimation für Exekutiv-Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . .
241
242
aa) Unterscheidung Regierungs- und Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . .
242
. . . .
242
(2) Verkehr mit anderen Staaten im Speziellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
242
bb) “Innerdienstliche Entscheidungen“ (mit Außenwirkungen)
c)
Die
a)
b)
c)
240
(1) Legitimation von Richtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) Außen- und integrationspolitische Tätigkeit der Regierung allgemein
6.
240
. . . . . . . . . . . .
242
(1) Die Besonderheit von Entscheidungen mit zugleich Innen- wie Außenwirkung
243
(2) Gesetzgeber und Grenzen von Mitbestimmungsregelungen (“Drei StufenModell“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
243
cc) Besonderes Bestellungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
243
dd) Legitimation im Bereich funktionaler Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . .
243
ee) “Offenheit“ für andere Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt
außerhalb der unmittelbaren Staats- bzw. Gemeindeverwaltung . . . . . . . . . .
Beleihung Privater mit hoheitlichen Befugnissen . . . . . . . . . . . . .
Parteien und der Gesetzgeber
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Reichweite und Grenzen des Art. 21 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . .
Der Rang der Parteien als “verfassungsrechtliche Institutionen“ . . . . . . . .
Die Beteiligung an Wahlen (als unverzichtbares Element) und die Chancengleichheit
aa) Chancengleichheit bei Wahlen und deren Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . .
244
244
244
245
245
245
245
(1) Zusammenhang mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit der
Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
245
(2) Differenzierungsverbot
245
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(3) Zuweisung staatlicher Finanzmittel
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
246
(3a)
Zuweisungen an andere Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
246
(3b)
Zuweisungen an Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
246
(3c)
Zweckwidrige Verwendung staatlicher Mittel . . . . . . . . . . . .
246
bb) Einwirkungen von Staatsorganen auf die Chancengleichheit
. . . . . . . . . . .
cc) Insbesondere: Öffentliche Äußerungen (des Bundespräsidenten und) der Bundesregierung (bzw. deren Mitgliedern) und Chancengleichheit . . . . . . . . . . . .
(1) Bundesregierung und deren Informations- und Öffentlichkeitsarbeit . . . . .
246
246
247
Brunn - Kapitel D.III.1.
(2) Pflicht zur Beachtung des “Neutralitätsgebots“
Seite 224
. . . . . . . . . . . . . . . .
247
(3) Äußerungen einzelner Mitglieder der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . .
247
[1] Zu dem gem. Art. 79 Abs. 3 GG nicht antastbaren Gehalt des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1
und Abs. 2 GG; BVerfGE 137, 108 [143 f.]) gehört, dass die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und die
Ausübung staatlicher Befugnisse (nachstehend 5.) sich auf das Staatsvolk (nachstehend 2.) zurückführen
lassen und grundsätzlich ihm gegenüber verantwortet werden (BVerfGE 89, 155 [182]; vgl. auch BVerfGE
123, 267 [341 ff.] sowie BVerfGE 135, 155 [221 f.]). Ergänzend bestimmt Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG der
Sache nach, dass das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland Träger und Subjekt der Staatsgewalt ist
(BVerfGE 83, 37 [50 f.]).
Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG enthält eine Staatszielbestimmung und ein Verfassungsprinzip . Aufgrund seines
Prinzipiencharakters ist Art. 20 Abs. 2 GG entwicklungsoffen ; das Ausgehen der Staatsgewalt vom Volk
muss zwar für das Volk wie auch die Staatsorgane jeweils konkret erfahrbar und praktisch wirksam sein; bei
veränderten Verhältnissen können aber Anpassungen notwendig werden (BVerfGE 107, 59 [91]).
[2] Soweit im Hinblick auf das vorbezeichnete Volk von Selbstbestimmung (Volkssouveränität; nachstehend
1.) zu sprechen ist oder gesprochen wird, verwirklicht sich diese hauptsächlich in der Wahl (nachstehend
3. und 4.) von Organen (eines Herrschaftsverbandes), die öffentliche Gewalt ausüben.
Die Organe müssen durch Mehrheitsentscheidung der Bürger gebildet werden, die wiederkehrend Einfluss
auf die politische Grundausrichtung - personell und sachlich - nehmen können. Eine freie öffentliche Meinung
und eine politische Opposition müssen fähig sein, den Entscheidungsprozess in seinen wesentlichen Zügen
kritisch zu beobachten und Verantwortlichen sinnvoll zuzurechnen (BVerfGE 123, 267 [366]; dort [367] auch
zu plebiszitären Abstimmungen in Sachfragen).
Was die vorbezeichneten Wahlen angeht, so muss das Volk in einer Demokratie vornehmlich Gesetzgebung
(und Regierung) in freier und gleicher (nachstehend 4.) Wahl bestimmen können (a.a.O. [367] “Kernbestand“;
dort auch zum Mehrparteiensystem - nachstehend 6. zu den Parteien - und zum Recht “auf organisierte
politische Opposition “).
[3] Was die demokratische Legitimierung der Übertragung von Staatsgewalt auf EU - Organe anbelangt
(ausführlich vorstehend C.III.3.), so geht Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG zwar davon aus, dass die demokratischen
Grundsätze in der Europäischen Union nicht in gleicher Weise wie im Grundgesetz verwirklicht werden
können, aber die Ermächtigung zur europäischen Integration erlaubt eine andere Gestaltung politischer
Willensbildung, als sie das Grundgesetz für die deutsche Verfassungsordnung bestimmt. Dies gilt bis zur
Grenze der unverfügbaren Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 GG).
Auch und gerade im Anwendungsbereich des Art. 23 GG schließt Art. 38 GG aus, die durch eine Wahl
bewirkte Legitimation und Einflussnahme auf die Ausübung von Staatsgewalt durch die Verlagerung von
Aufgaben und Befugnissen des Bundestags so zu entleeren, dass das demokratische Prinzip - soweit es durch
Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG für unanfechtbar erklärt wird - verletzt wird (BVerfGE
89, 155 [182]; vgl. auch BVerfGE 97, 350 [369] sowie BVerfGE 131, 152 [217] dazu, dass die Wahrnehmung
der deutschen Mitgliedsrechte in den europäischen Organen durch die Beteiligungsrechte des Bundestages,
Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG, parlamentarisch mitverantwortet wird).
[4] Der Grundsatz der demokratischen Selbstbestimmung und der gleichheitsgerechten Teilhabe an der öffentlichen Gewalt bleibt auch durch den Friedens- und Integrationsauftrag des Grundgesetzes sowie den
verfassungsrechtlichen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit (A.III.3. (vgl. S. 42) sowie B.II.2.d) (vgl.
S. 89) ) unangetastet (BVerfGE 123, 267 [344]; vgl. auch BVerfGE 141, 1 [21 f.]; “Demokratie ist Herrschaft
auf Zeit“).
Freilich geht das Grundgesetz (Präambel, Art. 24 bis Art. 26 GG) von der Eingliederung des von ihm
verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengesellschaft aus; auch das Demokratieprinzip ist im
Lichte dieser Einordnung zu sehen (BVerfGE 63, 343 [370] für Anerkennung und Vollstreckung ausländischer
Hoheitsakte durch deutsche Behörden und Gerichte).
1. Volkssouveränität
Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG gestaltet den Grundsatz der Volkssouveränität (BVerfGE 137, 108 [143] “Demokratie und Volkssouveränität ... sind Rechtsprinzipien, die ihren praktischen Niederschlag in der Verfassungswirklichkeit finden müssen“) aus. Er legt fest, dass das Volk die Staatsgewalt, deren Träger es ist,
Brunn - Kapitel D.III.2.
Seite 225
außer durch Wahlen (nachstehend 3. und 4.) und Abstimmungen durch besondere Organe der Gesetzgebung,
der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung (nachfolgend VI. zum Grundsatz der Gewaltenteilung)
ausübt.
Das setzt voraus, dass das Volk einen effektiven Einfluss auf die Ausübung von Staatsgewalt durch diese
Organe hat. Deren Akte müssen sich daher auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm
gegenüber verantwortet werden.
a) Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft im Bund
Dieser Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft wird vor allem durch die
Wahl des Parlaments (nachfolgend 3. und 4.), durch die von ihm beschlossenen Gesetze als Maßstab der
vollziehenden Gewalt, durch den parlamentarischen Einfluss auf die Politik der Regierung sowie durch die
grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung (nachfolgend 5.) gegenüber der Regierung hergestellt
(BVerfGE 83, 60 [71 f.] sowie BVerfGE 135, 155 [221 f.] und BVerfGE 137, 185 [232] “Ausgehen von Staatsgewalt“ vom Volk muss für das Volk wie auch die Staatsorgane jeweils konkret erfahrbar und praktisch
wirksam sein; vgl. auch - was die soeben “ausgeklammerte“ Rechtsprechung und deren Träger anbelangt BVerfGE 93, 37 [67], wonach uneingeschränkte personelle Legitimation ein Amtsträger dann besitzt, wenn
er verfassungsgemäß sein Amt im Wege einer Wahl durch das Volk oder das Parlament erhalten hat, was
zur Folge hat, dass zumindest die Bundesverfassungsrichter, Bundesrichter sowie gewählten Richter der
Länder ausreichend demokratisch legitimiert sind; vgl. im Übrigen nachfolgend D.III.5.a)bb) (vgl. S. 241)
sowie D.VII.3.b) (vgl. S. 331) ).
b) Länderbereich (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG)
Gem. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG sind die Grundentscheidung des Art. 20 Abs. 2 GG für die Volkssouveränität
und die daraus folgenden Grundsätze der demokratischen Organisation und Legitimation von Staatsgewalt
auch für die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern verbindlich (BVerfGE 83, 60 [71]; dort [71 f.]
auch dazu, dass für die Beantwortung der Frage, ob ein - gemessen am Grundsatz der Volkssouveränität hinreichender Gehalt an demokratischer Legitimation erreicht wird, entscheidend ein bestimmtes Legitimationsniveau ist; vgl. auch BVerfGE 119, 331 [366] sowie BVerfGE 135, 317 [428 f.]).
2. Staatsvolk
Das Staatsvolk, von dem die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, wird nach dem
Grundgesetz von den Deutschen , also den deutschen Staatsangehörigen (BVerfGE 113, 273 [295] “Die
Staatsangehörigkeit ist die rechtliche Voraussetzung für den gleichen staatsbürgerlichen Status ...“) und den
ihnen nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen, gebildet.
a) Wahlvolk
Damit wird für das Wahlrecht (nachstehend 3. und 4.), durch dessen Ausübung das Volk in erster Linie
die ihm zukommende Staatsgewalt wahrnimmt, nach der Konzeption des Grundgesetzes die Eigenschaft als
Deutscher vorausgesetzt (grundlegend: BVerfGE 83, 37 [51 f.]; vgl. auch BVerfGE 123, 267 [405 f.] sowie
BVerfGE 119, 331 [366] für “Landesvolk“; vgl. zu Stadtstaaten und Bezirksversammlungen auch BVerfGE
83, 60 [75 f.]).
aa) Neuregelung des Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG
Was Wahlen in Kreisen und Gemeinden anbelangt, so ist Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG in das Grundgesetz eingefügt worden, und hiernach dürfen auch Personen wählen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates
der EU besitzen.
Brunn - Kapitel D.III.3.
Seite 226
bb) Unionsbürgerschaft
Die Unionsbürgerschaft (Art. 17 Abs. 1 Satz 2 EG) ist - ungeachtet ihrer sonstigen Bedeutung (BVerfGE
89, 155 [184 f.]) - freilich nur ein abgeleiteter und die nationale Staatsangehörigkeit ergänzender Status
(BVerfGE 113, 273 [298]).
b) Deutscheneigenschaft i.S.v. Art. 116 GG
Die im Kapitel XI. (Übergangs- und Schlussbestimmungen) angesiedelte Vorschrift des Art. 116 GG ist
nur vor dem Hintergrund der NS- und Kriegszeit sowie der “Nachkriegswirren“ zu begreifen; sie dürfte
größtenteils “vollzogen“ sein.
aa) Art. 116 Abs. 1 GG (Flüchtlinge und Vertriebene)
Neben den deutschen Staatsangehörigen sind in Art. 116 Abs.1 GG alternativ die “Flüchtlinge oder Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit“ (beachte auch die wohl obsolete Vorschrift des Art. 119 GG) oder deren
“Ehegatten oder Abkömmlinge“ zu Deutschen im Sinne des Grundgesetzes, also - neben der Wahlfähigkeit - auch etwa zu Inhabern der “Deutschengrundrechte“ (nachfolgend E.VIII. , E.IX. , E.XI. und E.XII.)
bestimmt worden.
Sie müssen freilich “Aufnahme“ in einem bestimmten Gebiet “gefunden“ haben; weil dies - erstens - nach
der Entscheidung BVerfGE 17, 224 (231) auch und gerade nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes geschehen sein kann und - zweitens - die Norm auch und gerade Abkömmlinge (Kinder und Kindeskinder)
bevorzugen kann, ist in der jahrzehntelangen “Anerkennungspraxis“ die Frage (und deren teilweise geradezu
absurde Beantwortung) in den Vordergrund getreten, wie das lange zurückliegende, für die Anerkennung
vorausgesetzte “Bekenntnis zum Deutschtum“ (a.a.O. [228]; vgl. auch BVerfGE 59, 128 [151]) eines meist
längst verstorbenen “Bekenners“ belegt werden kann, wenn erstmals bspw. sein Enkel als “Spätaussiedler“
Aufnahme (sucht und) findet.
Weil immer noch Spätaussiedler Aufnahme suchen, besteht hier dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf.
bb) Art. 116 Abs. 2 GG (Wiedereinbürgerung von Ausgebürgerten)
Demgegenüber hat - soweit ersichtlich - Art. 116 Abs. 2 GG, der der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts dient (BVerfGE 54, 53 [69 ff.), keinerlei Anwendungsschwierigkeiten bereitet (vgl. BVerfGE
8, 81 [85 f.] sowie BVerfGE 23, 98 [108 ff.]).
c) Verlust der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 GG)
Art. 16 Abs. 1 GG (vgl. im Einzelnen E.XV. ) unterscheidet zwischen der Entziehung der Staatsangehörigkeit
(BVerfGE 116, 24 [36 ff.]) und einem sofortigen Verlust und stellt an beide Verlustformen unterschiedliche
verfassungsrechtliche Anforderungen.
Die Entziehung ist nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG ausnahmslos verboten.
Im Gegensatz dazu kann ein sonstiger Verlust der Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG (etwa als
Folge einer “erschlichenen“ Einbürgerung, a.a.O. [46 ff.]) unter Umständen verfassungsrechtlich gerechtfertigt
werden (BVerfGE 135, 48 [58 f.]; dort [77 f.] auch zum Verbot der Inkaufnahme der Staatenlosigkeit, Art.
16 Abs. 1 Satz 2 GG).
3. Wahlen als Legitimationsgrundlage
Wie bereits angedeutet (vor 1. und 1.), verwirklicht sich in modernen Territorialstaaten die Selbstbestimmung
eines Volkes hauptsächlich in der Wahl von Organen eines Herrschaftsverbandes, die die öffentliche Gewalt
ausüben. Die Organe müssen durch Mehrheitsentscheidung der Bürger gebildet werden, die wiederkehrend
Einfluss auf die politische Grundausrichtung - personell und sachlich - nehmen können. Eine freie öffentliche
Meinung und eine politische Opposition müssen fähig sein, den Entscheidungsprozess in seinen wesentlichen
Zügen kritisch zu beobachten und Verantwortlichen sinnvoll zuzurechnen (BVerfGE 123, 267 [366]; dort
Brunn - Kapitel D.III.3.
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[367] auch zur Ergänzung des “Kernbestandes“ durch plebiszitäre Abstimmungen in Sachfragen sowie zum
Mehrparteiensystem und dem Recht “auf organisierte politische Opposition“).
Darüber hinaus weisen Wahlen auch eine “real- wie personalplebiszitäre Dimension“ auf, welche die mit der
Wahl verbundene politische Richtungsentscheidung auch konkret erfahrbar macht (BVerfGE 137, 108 [143
f.] “Verantwortungszuordnung“).
a) Periodische Wahlen als “Quelle der Staatsgewalt“
Mit allgemeinen, freien und gleichen Wahlen (insbesondere nachfolgend 4.) der Abgeordneten (nachfolgend
D.VII.1.) des Bundestages (vorstehend A.II.1.) betätigt das Bundesvolk seinen politischen Willen unmittelbar und regiert sich regelmäßig mittels einer Mehrheit in der so zustande gekommenen repräsentativen
Versammlung, aus der heraus der Kanzler und damit die Bundesregierung bestimmt werden. Immer wieder
geht mit periodisch wiederholten Wahlen vom Volk neu die Staatsgewalt aus (BVerfGE 123, 267 [340]
“Quelle der Staatsgewalt“).
aa) Freie Wahlen als Grundvoraussetzung für das Offenhalten der gebotenen Möglichkeit, von einer
Minderheit zur Mehrheit zu werden
In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird von ihm
in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung der vollziehenden Gewalt und
der Rechtsprechung ausgeübt (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG).
(1) Freiheit der Wahl
Wahlen vermögen demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG nur zu verleihen, wenn sie
frei sind. Dies erfordert nicht nur, dass der Akte der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck
bleibt, wie es Art. 38 Abs. 1 GG gebietet, sondern auch, dass die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen
Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können (nachfolgend b)).
(2) Chancengleichheit auch und gerade für Minderheiten
Im Wahlakt muss sich die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen hin vollziehen, nicht umgekehrt
von den Staatsorganen zum Volk hin. In einem freiheitlichen Staat, in dem der Mehrheitswille in den Grenzen der Rechtsstaatlichkeit entscheidet, müssen Minderheitsgruppen die Möglichkeit haben, zur Mehrheit zu
werden. Demokratische Gleichheit fordert, dass der jeweils herrschenden Mehrheit und der oppositionellen
Minderheit bei jeder Wahl aufs Neue grundsätzlich die gleichen Chancen im Wettbewerb um die Wählerstimmen offengehalten werden. Die Gewährleistung gleicher Chancen im Wettbewerb um Wählerstimmen
ist ein unabdingbares Element des vom Grundgesetz gewollten freien und offenen Prozesses der Meinungsund Willensbildung des Volkes (BVerfGE 138, 102 [109 f.]).
(3) Wahlgesetzgebung als Tätigwerden “in eigener Sache“
Jegliche Wahlgesetzgebung unterliegt einer strikten verfassungsgerichtlichen Kontrolle , weil mit Regelungen, die die Bedingungen der politischen Konkurrenz berühren, die parlamentarische Mehrheit gewissermaßen
in eigener Sache tätig wird und gerade bei der Wahlgesetzgebung die Gefahr besteht, dass die jeweilige Parlamentsmehrheit sich statt von allgemeinwohlbezogenen Erwägungen vom Ziel des eigenen Machterhalts leiten
lässt (BVerfGE 140, 1 [30]).
bb) Erfordernis der Erneuerung der Legitimation
Was speziell das vorstehend erwähnte Erfordernis der Erneuerung der Legitimation durch periodisch wiederholte Wahlen anbelangt, so gehört es (auch) zu den grundlegenden Prinzipien des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats , dass die Volksvertretungen in regelmäßigen, in im Voraus bestimmten Abständen
durch Wahlen abgelöst und neu legitimiert werden (grundlegend: BVerfGE 13, 54 [91] sowie BVerfGE 18,
151 [154]).
Brunn - Kapitel D.III.3.
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cc) Wahlen als “exklusive“ Legitimationsgrundlagen
Im demokratisch verfassten Staat des Grundgesetzes können nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Abgeordneten ihre Legitimation zur Repräsentation nur aus der Wahl durch
das Volk beziehen. Ein Abgeordnetensitz kann mithin nur aufgrund einer - wie auch immer ermittelten demokratischen Mehrheit erworben werden (BVerfGE 97, 317 [323]).
(1) Verbot der “Entsendung“ von Abgeordneten durch Staat oder Parteien
Dies erscheint zwar selbstverständlich, soweit dadurch ausgeschlossen wird, dass Abgeordnetensitze durch
Instanzen zwischen Wähler und Gewählten - etwa durch Ernennung durch die Regierung oder durch Entsendung durch Parteien - (BVerfGE 47, 253 [279 f.] sowie BVerfGE 95, 335 [350]) vergeben werden.
(2) Alternative der Repräsentation durch Auslosung
Indessen könnte dem Repräsentationsprinzip und dem Gedanken des Volkswillens auch durch die Möglichkeit Rechnung getragen werden, Abgeordnetensitze durch ein mechanisches Auswahlverfahren (“Verlosung“)
zu erwerben.
Die Folge wäre ein Deutscher Bundestag, welcher die wahlberechtigten Bürger nach dem “Gesetz der großen
Zahl“ viel genauer repräsentieren würde als bei der heutigen Form von Wahlen. Das Übergewicht der Beamten und Juristen würde entfallen; auch - die immer wieder als so gut wie nicht in den Parlamenten vertreten beklagten - Studenten, Hausfrauen, Krankenschwestern, Arbeitslosen, Arbeiter, Rentner etc. wären
entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil vertreten. Sie könnten sich auch - je nach ihrer politischen Grundausrichtung und möglicherweise angeleitet durch Parteien - zu Fraktionen zusammenfügen; auch die Wahl des
Bundeskanzlers und seiner Regierung wäre möglich, indem verschiedene Parteien dem so zusammengesetzten
Bundestag ihre Kandidaten vorstellten und sie zur Wahl stellten.
Bei der alltäglichen Gesetzgebungsarbeit bedürften die Abgeordneten indessen - als “Gegengewicht der Ministerien“ - eines deutlich erweiterten Apparates an personellen und sächlichen Mitteln, die gewissermaßen
den “Sachverstand“ erweitern könnten.
Indessen sind diese Ideen - ungeachtet ihrer verfassungsrechtlichen Anzweifelbarkeit (vgl. nachfolgend
D.VII.1.d)cc) (vgl. S. 299) ) - schon deswegen illusorisch, weil die Parteien niemals einen solchen Wechsel
durch den verfassungsändernden Gesetzgeber zuließen.
b) Verbot der (staatlichen) Beeinflussung von Wählern und Wahlen
Wie nachstehend (4. b) cc)) im Einzelnen dargelegt, müssen Wähler (und Wahlbewerber) möglichst unbeeinflusst und autonom (insbesondere frei von staatlicher Beeinflussung) ihre Entschlüsse vorbereiten und
treffen können.
aa) Freie Meinungsbildung und Stimmabgabe des Wählers
Vor dem bisher dargelegten Hintergrund ist es zwingend, dass - erstens - die Wähler ihr Urteil in einem
freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können sowie - zweitens - der Akt der
Stimmabgabe von Zwang und unzulässigem Druck frei bleibt (BVerfGE 73, 40 [85]).
bb) (Unzulässige) Wahlbeeinflussung
Selbstverständlich ist daher mit Art. 20 Abs. 2 GG unvereinbar eine auf Wahlbeeinflussung gerichtete,
parteiübergreifende Einwirkung von Staatsorganen als solchen zu Gunsten oder zu Lasten einzelner oder
aller am Wahlkampf beteiligten politischen Parteien oder Bewerber; eine solche verstößt gegen das Gebot
der Neutralität des Staates im Wahlkampf und verletzt die Integrität der Willensbildung des Volkes durch
Wahlen und Abstimmungen.
Mit anderen Worten ist es den Staatsorganen von Verfassungs wegen versagt, sich in amtlicher Funktion im
Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie unter Einsatz
staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen, insbesondere durch Werbung die Entscheidung des
Wählers zu beeinflussen (grundlegend: BVerfGE 44, 125 [141 ff.]).
Brunn - Kapitel D.III.3.
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c) Freie und offene Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten
Demokratie setzt darüber hinaus, soll sie sich nicht in einem rein formalen Zurechnungsprinzip erschöpfen,
freie und offene Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten voraus.
aa) “Dialog“ zwischen Parlament und den gesellschaftlichen Kräften
Dies gilt nicht nur für den Wahlakt selbst, in dem sich die Willensbildung vom Volk zu dem Staatsorgan hin
und nicht umgekehrt vollziehen muss; als gleichermaßen wichtig für die Legitimität demokratischer Ordnung
erweist sich der beständige Dialog zwischen Parlament und gesellschaftlichen Kräften. Das Recht des Bürgers
auf Teilhabe an der politischen Willensbildung äußert sich nicht nur in der Stimmabgabe bei Wahlen, sondern
auch in der Einflussnahme auf den ständigen Prozess der politischen Meinungsbildung.
bb) Öffentlichkeitsarbeit
Um den Bürger hierzu zu befähigen, bedarf es nicht zuletzt der Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und
gesetzgebenden Körperschaften (vgl. noch nachstehend D.III.6.c)cc) (vgl. S. 246) zu “fragwürdiger“ Öffentlichkeitsarbeit). Die für eine lebendige Demokratie wesentliche Kommunikation zwischen Regierenden und
Regierten kann ohne ein Mindestmaß an kontinuierlicher Befassung und Auseinandersetzung der Bürger mit
den politischen Entwicklungen kaum gelingen (BVerfGE 132, 24 [50 f.]).
d) Einführung in die Grundsätze des Art. 38 GG (Zusammenhänge mit Art. 20 GG)
Bei unbefangener Betrachtung des Art. 38 GG - ausführlich nachfolgend 4. - scheint er keine besonderen
Probleme aufzuwerfen.
aa) Art. 38 Abs. 1 GG
Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG stellt Wahlrechtsgrundsätze auf, welche ohne Weiteres verständlich erscheinen ;
Allgemeinheit und Gleichheit sichern die vom Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) vorausgesetzte Egalität der Staatsbürger (BVerfGE 99, 1 [13]), weil die Gleichbewertung aller Aktivbürger bei der Ausübung ihrer
staatsbürgerlichen Rechte zu den wesentlichen Grundlagen der freiheitlich demokratischen Grundordnung
im Sinne des Grundgesetzes gehört (BVerfGE 11, 351 [360]); mit anderen Worten entspricht es dem Demokratiegebot, dass jedem Staatsangehörigen, der aufgrund seines Alters (Art. 38 Abs. 2 GG) und ohne den
Verlust seines aktiven Wahlrechts wahlberechtigt ist, ein gleicher Anteil an der Ausübung der Staatsgewalt
zusteht (BVerfGE 123, 267 [342]).
(1) Allgemeinheit
Was speziell den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl angeht (nachfolgend D.III.4.b)aa) (vgl. S. 235)
), so ist offensichtlich, dass seine Funktion hauptsächlich darin besteht, Diskriminierungen bei der Wahlberechtigung und Wählbarkeit zu verhindern, und dass er dem Gesetzgeber insbesondere verbietet, bestimmte
Gruppen aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen (BVerfGE 15, 165 [167]; dort auch - insoweit fragwürdig - zur Briefwahl).
(2) Unmittelbarkeit, Freiheit und Geheimheit
Auch die Begriffe “Unmittelbarkeit der Wahl“, “Freiheit der Wahl“ und “Geheimheit der Wahl“ (nachfolgend
D.III.4.b)bb) (vgl. S. 235) ) erschließen sich gewissermaßen von selbst; mit dem Erfordernis der Unmittelbarkeit soll - anders als im US-amerikanischen Recht mit seinem Wahlmänner-Prinzip - erreicht werden,
dass zwischen Wähler und Kandidat keine weitere Instanz mit Entscheidungsbefugnis eingeschaltet werden
darf (BVerfGE 7, 63 [68] die Wähler müssen “das letzte Wort“ haben); mit der Freiheit wäre es unvereinbar,
wenn unzulässige Beeinflussungen von außen den Wahlentschluss beeinträchtigen könnten (a.a.O. [69]); und
das Prinzip der Geheimheit der Wahl bewahrt den Wähler - auch Privaten gegenüber - vor der Offenbarung,
wie er wählen will, wie er wählt und wie er gewählt hat.
Brunn - Kapitel D.III.3.
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(3) Bundesparlament
Die Erwähnung der “Abgeordneten des Deutschen Bundestages“ bedeutet, dass hierin (nur) eine Beschränkung auf das Bundesparlament (und nicht eine Erstreckung auf andere Vertretungskörperschaften) liegt (vgl.
BVerfGE 129, 300 [317] dazu, dass sich für die deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments etwa
der Grundsatz der Gleichheit der Wahl aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Gebot formaler
Wahlgleichheit ergibt).
(4) Repräsentationsprinzip
Mit Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG (Vertreter des ganzen Volkes) wird das Repräsentationsprinzip gewissermaßen
“festgeschrieben“.
bb) Art. 38 Abs. 2 GG (Beeinflussung des passiven Wahlrechts durch den Gleichheitsgrundsatz)
Was Art. 38 Abs. 2 GG anbelangt, so stand zumindest seit der Entscheidung BVerfGE 11, 351 (364) fest,
dass der Grundsatz der gleichen Wahl (ebenso wie das aktive Wahlrecht und das Wahlvorschlagsrecht)
auch die Ausgestaltung des passiven Wahlrechts maßgeblich bestimmt; mit anderen Worten haben alle
Aktivbürger, denen Art. 38 Abs. 2 GG die Wählbarkeit ausdrücklich garantiert, auch als Wahlbewerber ein
Recht auf Chancengleichheit, das eine Differenzierung nur aus zwingenden Gründen zulässt (BVerfGE 41,
399 [413]), was allerdings nicht ausschließt, dass Einzelbewerber nur mit anderen Einzelbewerbern verglichen
werden, nicht aber mit einem Bewerber, der von einer politischen Partei aufgestellt ist (BVerfGE 6, 121 [130]
heutzutage fragwürdig).
cc) Art. 38 Abs. 3 GG (Ausgestaltungsauftrag des Gesetzgebers)
Auch die Bedeutung des Ausgestaltungsauftrags in Art. 38 Abs. 3 GG (ausführlich nachfolgend 4.) scheint
auf den ersten Blick klar zu sein; die Ermächtigung deckt nur die Ausfüllung des von Art. 38 Abs. 1 und
Abs. 2 GG gesteckten Rahmens durch ein Ausführungsgesetz, wobei dem Gesetzgeber - wie in vielen anderen
Fällen auch - mit Blick auf die Bandbreite der nach Art. 38 Abs. 3 GG zu treffenden Entscheidungen und
die Vielzahl verfassungskonformer Ausgestaltungsvarianten zwar ein Entscheidungsspielraum eingeräumt ist
(BVerfGE 95, 335 [349 ff.]; freilich verlangt Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG aber stets, dass “die Abgeordneten“
gewählt werden, was eine “bloße“ Parteienwahl ausschließt).
Aber weil von der Ausgestaltung des Wahlrechts und den mit Wahlen verbundenen höchst bedeutsamen
Folgen vor und nach stattgefundenen Wahlen keine Unklarheiten bestehen dürfen, bedarf die Materie des
Wahlrechts im besonderen Maße der Rechtsklarheit (BVerfGE 79, 161 [168]).
dd) Rechte des Wahlberechtigten aus Art. 38 Abs. 1 und Abs. 2 GG
Während sich das Bundesverfassungsgericht in den ersten Jahrzehnten seiner Rechtsprechung im Hinblick
auf gesetzgeberische Wahlrechtsverstöße deutlich “zurückgehalten“ hat, ist in jüngerer und jüngster Zeit
festzustellen, dass das Bundesverfassungsgericht zunehmend differenziert (Verfassungs-)Recht spricht und
den Bundesgesetzgeber nicht “verschont“.
(1) Subjektives Recht (“status activus“)
Art. 38 Abs. 1 und Abs. 2 GG gewährleisten den wahlberechtigten Deutschen das subjektive Recht, an
der Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages teilzunehmen. Er verbürgt, dass dem Bürger das
Wahlrecht zum Deutschen Bundestag zusteht und bei der Wahl die verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätze
eingehalten werden (BVerfGE 89, 155 [171]; vgl. auch BVerfGE 129, 124 [167]).
Das Wahlrecht wird auch beeinträchtigt, wenn fällige Wahlen hinausgeschoben werden (BVerfGE 1, 14
[33]).
Die Ausübung des Wahlrechts stellt sich essentiell als Teilhabe an der Staatsgewalt, als ein Stück Ausübung
von Staatsgewalt im status activus dar (BVerfGE 122, 304 [307]).
Brunn - Kapitel D.III.4.
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(2) Mittelbare Betroffenheit (Verletzung der Verfassungsidentität)
Darüber hinaus kann der materielle Gewährleistungsgehalt des Art. 38 GG verletzt sein, wenn das Wahlrecht
in einem für die politische Selbstbestimmung des Volkes wesentlichen Bereich leerzulaufen droht, d.h. wenn
die demokratische Selbstregierung des Volkes - mittels des Deutschen Bundestages - dauerhaft derart eingeschränkt wird, dass zentrale politische Entscheidungen nicht mehr selbständig getroffen werden können
(BVerfGE 134, 366 [381] sowie BVerfGE 135, 317 [386]).
Insbesondere muss ein Verlust der nachhaltigen (dauerhaften) Haushaltsautonomie vermieden werden (BVerfGE 129, 124 [170 ff.]). Vor allem darf der Deutsche Bundestag seine Budgetverantwortung nicht durch
unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen auf andere Akteure übertragen, er darf sich keinen finanzwirksamen Mechanismen ausliefern, die zu unüberschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen ohne
vorherige konstitutive Zustimmung führen können (a.a.O. [179]).
Mit anderen Worten schützt Art. 38 GG die wahlberechtigten Bürger vor einem Substanzverlust ihrer verfassungsstaatlich gefügten Herrschaftsgewalt durch weitreichende oder gar umfassende Übertragungen von
Aufgaben und Befugnissen des Bundestages, vor allem auf supranationale Einrichtungen (BVerfGE 129, 124
[168]; vgl. auch BVerfGE 134, 366 [396 f.]).
Mit nochmals anderen Worten ist eine Verletzung der in Art. 79 Abs. 3 GG festgelegten Verfassungsidentität
(etwa durch Zustimmungsgesetzes zu Gemeinschaftsrecht oder zu sonstigem zwingenden Völkerrecht) aus der
Sicht des Demokratieprinzips zugleich ein Übergriff in die verfassungsgebende Gewalt des Volkes (BVerfGE
123, 267 [340 ff.]; dort [331 f.] auch zu verfassungsprozessualen Fragen, insbesondere zu den gem. Art. 93
Abs. 1 Nr. 4a GG genannten rügefähigen Rechten).
ee) Zunehmende Bedeutung des Art. 20 Abs. 1 GG
Für den Bundesgesetzgeber ist es zunehmend schwieriger geworden, die Vorgaben der Verfassung und der
dazu ergangenen Rechtsprechung zu erfüllen, was damit zusammenhängt, dass die Rechtsprechung zunehmend dazu übergegangen ist, als Prüfungsmaßstab nicht nur den Art. 38 GG heranzuziehen (bzw. den aus
Art. 3 GG ableitbaren speziellen Wahlgleichheitsgrundsatz), sondern auch die Art. 20 Abs. 1 GG und Art.
21 GG für das Wahlrecht fruchtbar zu machen.
Insbesondere erweist es sich zunehmend als “Quadratur des Kreises“, die grundsätzlich zulässige (BVerfGE
1, 208 [246]; dort aber bereits zum Gebot der “Folgerichtigkeit“) Verknüpfung von Mehrheitswahlrecht und
Verhältniswahlrecht mit ihren abstrakten und konkreten Gefahren zu beherrschen; hier kann es zunächst
sein Bewenden haben mit einer Aufzählung der schwer zu durchschauenden Begriffe wie “Zählwertgleichheit“, “Erfolgswertgleichheit“, “Chancengleichheit der Parteien“ “Wahlkreiseinteilungen“, “Sperrklauseln“
(funktionsfähiges Repräsentationsorgan), zulässige und unzulässige “Wahlwerbung“, “Ausgleich von Übergangmandaten“, “Kommunikationsfunktion der Wahl“ und “Beobachtungs- bzw. Überprüfungspflicht des
Gesetzgebers“.
Während in den unmittelbar nachfolgenden Kapiteln versucht wird, diese Begriffe zuzuordnen und ihren
wesentlichen Kern (nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) herauszuarbeiten, soweit es die
Vorbereitung und die Durchführung einer Wahl anbelangt, wird der Status der durch Wahlen erzeugten
Abgeordneten - wegen der Parallelen und Unterschiede zu Beamten und Richtern - erst später (nachfolgend
D.VII.1.) dargestellt:
4. Wahlgesetzgeber und Verwirklichung der Wahlrechtsgrundsätze (Wahrnehmung
des Gesetzgebungsauftrags gem. Art. 38 Abs. 3 GG)
Die Ausgestaltung des Wahlrechts ist Sache des Gesetzgebers.
Im Rahmen dieses Auftrages (Art. 38 Abs. 3 GG) obliegt es dem Gesetzgeber, durch die Verfassung legitimierte Ziele (nachfolgend a)) und den Grundsatz der Gleichheit der Wahl (nachfolgend c)) gegeneinander
abzuwägen. Er hat daher auch die Belange der Funktionsfähigkeit des Parlaments (nachfolgend a)dd)),
das Anliegen weitgehender integrativer Repräsentanz und die Gebote der Wahlrechtsgleichheit sowie der
Chancengleichheit der politischen Parteien (nachfolgend D.III.6. (vgl. S. 244) ) zum Ausgleich zu bringen.
Dabei darf eine differenzierende Regelung nicht an einem Ziel orientiert sein, das ein Gesetzgeber bei der
Ausgestaltung des Wahlrechts nicht verfolgen darf; Entsprechendes gilt, wenn die Regelung zur Erreichung
dieses Ziels nicht geeignet ist oder das Maß des zur Erreichung des Ziels Erforderlichen überschreitet.
Brunn - Kapitel D.III.4.
Seite 232
Dies gilt auch für die Entscheidung über den Einsatz von Sperrklauseln (nachfolgend a)aa) und dd)) im
Rahmen des Verhältniswahlrechts. Ob es zur Sicherung der Funktionsfähigkeit einer zu wählenden Volksvertretung einer Sperrklausel bedarf, ist auf der Basis einer Prognose - hierzu allgemein A.II.3.a)dd) (vgl. S.
19) - über die Wahrscheinlichkeit des Einzugs von Splitterparteien, dadurch künftig zu erwartender Funktionsstörungen und deren Gewicht für die Aufgabenerfüllung der Volksvertretung zu entscheiden. Diese
Prognoseentscheidung hat der Gesetzgeber im Rahmen des ihm übertragenen Auftrags zur Gestaltung des
Wahlrechts zu treffen (zusammenfassend: BVerfGE 135, 259 [299, 301 f.] abweichende Meinung m.w.N.).
a) Zielsetzungen und zulässige Mittel der Zielerreichung
Ohne eine sorgfältige Beachtung (zumindest) der maßstäblichen Entscheidungen BVerGE 131, 316 sowie
BVerfGE 135, 259 kann zukünftig kein verfassungsgemäßes Wahlrecht mehr geschaffen werden.
aa) Verfassungsrechtliche Zweckvorgaben
Vermutlich wird man bei genauerer Untersuchung der einschlägigen Rechtsprechung noch weitere Zwecke
entdecken; die folgende Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
(1) Die (zumindest) sieben Zielvorgaben für den Gesetzgeber
Die Wahl muss - erstens - den Abgeordneten demokratische Legitimation verschaffen. Mit Rücksicht auf
dieses Ziel muss der Gesetzgeber in Rechnung stellen, wie sich die Ausgestaltung des Wahlsystems auf
die Verbindung zwischen Wählern und Abgeordneten auswirkt und wie sie den durch die Wahl vermittelten
Prozess der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen (vorstehend D.III.3.c) (vgl. S. 228) ) beeinflusst.
Eine zu wählende Volksvertretung muss - zweitens - insbesondere für die Aufgaben der Gesetzgebung
und Regierungsbildung funktionsfähig sein (BVerfGE 131, 316 [335]; dort auch zur Sicherstellung der
Funktion einer Wahl als Vorgang der Integration politischer Kräfte sowie zur Möglichkeit der Orientierung
am gliedstaatlichen Aufbau der Bundesrepublik).
Der Wahlgesetzgeber darf - drittens - das jedem Bürger zustehende Recht auf freie und gleiche Teilhabe an der
demokratischen Selbstbestimmung nicht beeinträchtigen; aus der Gewährleistung allgemeiner, unmittelbarer,
freier, gleicher und geheimer Wahl in Art. 38 Abs. 1 GG folgt die verfassungsrechtliche Verpflichtung des
Gesetzgebers, ein Wahlverfahren zu schaffen, in dem der Wähler vor dem Wahlakt erkennen kann, welche
Personen sich um ein Abgeordnetenmandat bewerben und wie sich die eigene Stimmabgabe auf Erfolg oder
Misserfolg der Wahlbewerber auswirken kann.
Das Verfahren der Mandatszuteilung muss deshalb - viertens - grundsätzlich frei von willkürlichen oder
widersinnigen Effekten sein.
Zudem verbietet - fünftens - der Grundsatz der Wahlfreiheit eine Gestaltung des Wahlverfahrens, die die Entschließungsfreiheit des Wählers in einer innerhalb des gewählten Wahlsystems vermeidbaren Weise verengt
(a.a.O. [336]).
Der Wahlgesetzgeber muss - sechstens - Erfolgschancengleichheit im gesamten Wahlgebiet gewährleisten
(a.a.O. [337]). Dabei hat er insbesondere auch zu berücksichtigen, dass alle Wahlberechtigten auf der Grundlage möglichst gleich großer Wahlkreise - dies insbesondere im Zusammenhang mit einer Mehrheitswahl mit annähernd gleichem Stimmgewicht am Kreationsvorgang teilnehmen können (a.a.O.).
Schließlich versteht es sich von selbst, dass - siebtens - der Gesetzgeber zu Vorkehrungen verpflichtet ist, die
eine geheime Stimmabgabe (BVerfGE 5, 77 [82]; vgl. auch BVerfGE 12, 33 [35 f.] sowie BVerfGE 12, 132
[134]) sicherstellen.
(2) Gleiche Gewichtung der Vorgaben
Grundsätze für eine unterschiedliche Gewichtung der vorbezeichneten Wahlrechtsgrundsätze bestehen nicht
; allen Wahlrechtsgrundsätzen ist gemeinsam, dass sie grundlegende Anforderungen an demokratische
Wahlen stellen. Ihnen kommt gleichermaßen die Funktion zu, bei politischen Wahlen und Abstimmungen
i.S.v. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG das demokratische Prinzip wirksam zur Geltung zu bringen (BVerfGE 99, 1
[13]).
Brunn - Kapitel D.III.4.
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(3) Übertragung auf andere Wahlen
Deshalb gelten sie als allgemeine Rechtsprinzipien für Wahlen zu allen Volksvertretungen im staatlichen selbstverständlich auch im Unionsrahmen (ausführlich BVerfGE 135, 259 [280 ff.]) - und kommunalen Bereich
(BVerfGE 47, 253 [276 f.]; vgl. auch BVerfGE 120, 82 [102]); indessen dürfen (müssen) sie nicht unbesehen
auf andere Wahlen übertragen werden (BVerfGE 41, 1 [11 f.]).
bb) Mehrheits- und/oder Verhältniswahlen
Seit Jahrzehnten versucht der Gesetzgeber, die jeweiligen Vorteile der beiden Systeme zu kombinieren, wozu
er berechtigt war und ist.
(1) Freiheit des Gesetzgebers
Ob der Gesetzgeber in Erfüllung des Auftrags zur Regelung eines Wahlsystems nach Art. 38 Abs. 3 GG
das Verfahren der Wahl zum Deutschen Bundestag als Mehrheits- oder als Verhältniswahl ausgestaltet, steht
ihm grundsätzlich “offen“.
(2) Insbesondere: Verbindung der Systeme (Grabensystem)
Unter dem Gesichtspunkt der repräsentativen Demokratie kommt keinem der beiden Wahlsysteme ein Vorrang zu, weswegen der Gesetzgeber auch beide Gestaltungen miteinander verbinden kann, indem er einen
Teil der Mitglieder des Deutschen Bundestages nach dem Mehrheits- und den anderen nach dem Verhältniswahlprinzip wählen lässt (Grabensystem), eine Erstreckung des Verhältniswahlprinzips auf die gesamte
Sitzverteilung unter Vorbehalt angemessener Gewichtung der Direktmandate gestattet oder sich für eine
andere Kombination entscheidet (BVerfGE 131, 316 [335 f.]; dort [335] auch dazu, dass dem Gesetzgeber
grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt und das Bundesstaatsprinzip des Art. 20 Abs.
1 GG dem Gesetzgeber auch erlaubt, sich bei der Ausgestaltung des Wahlrechts an dem gliedstaatlichen
Aufbau der Bundesrepublik Deutschland zu orientieren; dort [336] freilich auch zu Grenzen der Gestaltungsmacht, insbesondere zur Beeinträchtigung des Rechts auf freie und gleiche Teilhabe an der demokratischen
Selbstbestimmung).
cc) Allgemeine “Nachbesserungspflichten“ des Wahlgesetzgebers
Der Wahlgesetzgeber ist (gewissermaßen permanent) verpflichtet, eine (jede) die Wahlgleichheit und die
Chancengleichheit berührende Norm des Wahlrechts zu überprüfen und ggf. zu ändern , wenn die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Norm durch neuere Entwicklungen (BVerfGE 95, 335 [405] für hinreichend deutlich erkennbare - gewandelte Sachlage) in Frage gestellt wird etwa durch eine Änderung
der vom Gesetzgeber vorausgesetzten tatsächlichen oder normativen Grundlagen oder dadurch, dass sich die
beim Erlass der Norm hinsichtlich ihrer Auswirkungen angestellte Prognose als irrig erwiesen hat (BVerfGE 120, 82 [108]; vgl. auch BVerfGE 129, 300 [321 f.] sowie BVerfGE 132, 39 [50]; speziell zu Sperrklauseln
nachfolgend dd) (3)).
dd) Die Zusammenhänge zwischen den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit und den Grundsätzen der Chancengleichheit der Parteien (insbesondere bei der Errichtung von Sperrklauseln im Verhältniswahlrecht)
Eng zusammenhängend mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und der Gleichheit (zusammenfassend:
BVerfGE 135, 259 [284]; im Einzelnen noch nachfolgend b) und c)) ist das Recht der politischen Parteien
(nachfolgend D.III.6.) auf Chancengleichheit (a.a.O. [285]).
Weil die vorgenannten Wahlrechtsgrundsätze ihre Prägung durch das Demokratieprinzip (vorstehend
D.III.1.) erfahren, muss auch im Bereich der Chancengleichheit der Parteien Gleichheit in einem strikten und formalen Sinn verstanden werden. Wenn die öffentliche Gewalt in den Parteienwettbewerb in
einer Weise eingreift, die die Chancen der politischen Parteien verändern kann, sind ihrem Ermessen daher
besonders enge Grenzen gezogen (a.a.O.), was zweifelsfrei auch für den Gesetzgeber zutrifft.
Brunn - Kapitel D.III.4.
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(1) Eng bemessener Spielraum des Gesetzgebers für Differenzierungen (“strenger Maßstab“)
Aus dem engen Zusammenhang zwischen Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien folgt
zwingend, dass die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Einschränkungen den gleichen Maßstäben folgt.
Zwar kann nicht von einem absoluten Differenzierungsverbot ausgegangen werden, aber aus dem formalen
Charakter der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien folgt, dass dem Gesetzgeber
bei der Ordnung des Wahlrechts nur ein eng bemessener Spielraum für Differenzierungen verbleibt. Bei der
Prüfung, ob eine Differenzierung innerhalb der Wahlrechtsgleichheit gerechtfertigt ist, ist grundsätzlich ein
strenger Maßstab anzulegen. Differenzierungen bedürfen zu ihrer Rechtfertigung stets eines besonderen,
sachlich legitimierten (in der Vergangenheit als “zwingend“ bezeichneten) Grundes.
Das bedeutet nicht , dass sich die Differenzierung als von Verfassungs wegen notwendig darstellen muss.
Differenzierungen im Wahlrecht können vielmehr auch durch Gründe gerechtfertigt werden, die durch die
Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sind, das der Wahlrechtsgleichheit die Waage halten kann.
(2) Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung als Rechtfertigung
Hierzu zählen insbesondere die mit der Wahl verfolgten Ziele. Dazu gehört - wie bereits erwähnt (vorstehend
aa)) - die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes und, damit zusammenhängend, die Sicherung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden
Volksvertretung. Eine (zu) große Zahl kleiner Parteien und Wählervereinigungen in einer Volksvertretung
kann zu ernsthaften Beeinträchtigungen ihrer Handlungsfähigkeit führen. Eine Wahl hat nicht nur das Ziel,
überhaupt eine Volksvertretung zu schaffen, sondern sie soll auch ein funktionierendes Vertretungsorgan
hervorbringen.
(2a) Keine einheitliche Bewertung der Volksvertretungen bezüglich ihrer Funktionsfähigkeit
Die Frage, was der Sicherung der Funktionsfähigkeit dient und dafür erforderlich ist, kann indes nicht für alle
zu wählenden Volksvertretungen einheitlich beantwortet werden, sondern bemisst sich nach den konkreten
Funktionen des zu wählenden Organs. Zudem kommt es auf die konkreten Bedingungen an, unter denen die
jeweilige Volksvertretung arbeitet und von denen die Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Funktionsstörungen abhängt.
(2b) Gesetzgeberische Pflicht zur Orientierung an der politischen Wirklichkeit
Weil sich das erlaubte Ausmaß differenzierender Regelungen vor allem danach richtet, mit welcher Intensität in das gleiche Wahlrecht und die Chancengleichheit der Parteien eingegriffen wird, hat sich der
Gesetzgeber bei seiner Einschätzung und Bewertung nicht an abstrakt konstruierten Fallgestaltungen,
sondern an der politischen Wirklichkeit zu orientieren. Gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und
der Chancengleichheit der Parteien wird verstoßen, wenn der Gesetzgeber mit der Regelung ein Ziel verfolgt,
das er bei der Ausgestaltung des Wahlrechts nicht verfolgen darf, oder wenn die Regelung nicht geeignet und
erforderlich ist, um die mit der jeweiligen Wahl verfolgten Ziele zu erreichen.
(3) Spezielle Prüf- und Änderungspflichten des Gesetzgebers bei veränderten tatsächlichen Gegebenheiten (insbesondere: Sperrklauseln)
Daraus folgt, dass der Gesetzgeber - wie bereits vorstehend cc) dargelegt - verpflichtet ist, eine die Wahlrechtsgleichheit und die Chancengleichheit berührende Norm des Wahlrechts zu überprüfen und zu ändern,
wenn die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Norm durch neue Entwicklungen in Frage gestellt wird,
etwa durch eine Änderung der vom Gesetzgeber vorausgesetzten tatsächlichen oder normativen Grundlagen
oder dadurch, dass sich die beim Erlass der Norm hinsichtlich ihrer Auswirkungen angestellte Prognose als
irrig erwiesen hat (“wesentliche Veränderung der Verhältnisse“).
(3a) Verbot der “Festschreibung“ tatsächlicher und rechtlicher Verhältnisse
Für Sperrklauseln im Verhältniswahlrecht (vgl. im Einzelnen noch nachfolgend c)) bedeutet dies, dass die
Vereinbarkeit einer Sperrklausel mit dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der
politischen Parteien nicht ein- für allemal abstrakt beurteilt werden kann. Eine Wahlrechtsbestimmung kann
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mit Blick auf eine Repräsentativkörperschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt gerechtfertigt sein, mit Blick
auf eine andere oder zu einem anderen Zeitpunkt jedoch nicht, weshalb eine einmal als zulässig angesehene
Sperrklausel nicht als für alle Zeiten verfassungsrechtlich unbedenklich eingeschätzt werden darf.
(3b) Verlässliche Prognosen als gesetzgeberische Aufgaben
Mit anderen Worten sind maßgeblich für die Frage der weiteren Beibehaltung, Abschaffung oder (Wieder)Einführung einer Sperrklausel allein die aktuellen Verhältnisse; der Gesetzgeber ist freilich nicht daran
gehindert, auch konkret absehbare künftige Entwicklungen bereits im Rahmen der ihm aufgegebenen Beobachtung und Bewertung der aktuellen Verhältnisse zu berücksichtigen, wobei maßgebliches Gewicht diesen
nur dann zukommen kann, wenn die weitere Entwicklung aufgrund hinreichend belastbarer tatsächlicher
Anhaltspunkte schon gegenwärtig verlässlich zu prognostizieren ist (BVerfGE 135, 259 [285 ff.]; dort [289]
auch zur Überprüfung der Bewertung des Gesetzgebers durch das Bundesverfassungsgericht: Bei der aufgegebenen Prognoseentscheidung darf der Gesetzgeber zur Rechtfertigung des Eingriffs nicht allein auf die
Feststellung der rein theoretischen Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Volksvertretung abstellen; vgl. hierzu auch a.a.O. [301 ff.] abweichende Meinung).
b) Die Wahlrechtsgrundsätze in ihren Grundzügen
In der Folge wird es unternommen, die in Art. 38 Abs. 1 GG genannten fünf Wahlrechtsgrundsätze (allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahl) - vertiefter als vorstehend D.III.3.d) (vgl. S. 229)
- darzustellen, obgleich eine konkrete Zuordnung von verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zu diesen
Wahlrechtsgrundsätzen nicht immer einfach ist; gerade das Wahlrecht ist ein Beispielsfall dafür, dass ein
sorgfältiger Gesetzgeber sich nicht mit einer kursorischen Untersuchung der vom Verfassungsgericht erarbeiteten Maßstäbe begnügen darf, sondern intensiv in die Materie einsteigen muss , will er vermeiden,
dass - trotz seiner ernsthaften Bemühungen um die Wahrung der Grundsätze - dieses seine Anstrengungen
als ungenügend beurteilt.
aa) Allgemeinheit der Wahl
Der Grundsatz der allgemeinen Wahl (BVerfGE 132, 39 [47]) verbürgt, dass grundsätzlich alle deutschen
Staatsbürger (vorstehend 2.b) zu Art. 116 GG) aktiv und passiv wahlberechtigt sind.
(1) Verbot des gruppengerichteten Wahlrechtsausschlusses
Dem Gesetzgeber ist es insbesondere verboten, bestimmte Gruppen aus politischen, wirtschaftlichen oder
sozialen Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen (BVerfGE 36, 139 [141]), wobei der Gesetzgeber zum Ausgleich vorgegebener Unterschiede zwischen konkurrierenden Bewerbern nicht verpflichtet
ist (BVerfGE 78, 350 [358]).
(2) Beschränkungen
Freilich darf der Gesetzgeber das (aktive) Wahlrecht auf Deutsche beschränken, welche im Geltungsbereich
des Grundgesetzes sesshaft sind (BVerfGE 58, 202 [205]).
Ausgeschlossen werden dürfen Personen, denen es von vornherein an den dafür erforderlichen geistigen Fähigkeiten fehlt (BVerfGE 36, 139 [141 f.] fragwürdig). Das Wahlrecht darf grundsätzlich auch vom Erreichen
eines gewissen Alters abhängig gemacht werden (BVerfGE 41, 1 [11 f.]), was sich konkret in Art. 38 Abs. 2
GG (BVerfGE 48, 64 [82]) niedergeschlagen hat.
bb) Unmittelbarkeit der Wahl
Wie bereits erwähnt (vorstehend D.III.3.d)aa) (vgl. S. 229) ), darf hiernach vor allem zwischen Wähler und
Kandidat keine Instanz mit Entscheidungsbefugnis eingeschaltet werden.
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(1) Verbot von “Wahlmännern“
Unmittelbarkeit der Wahl (BVerfGE 121, 266 [307]) bedeutet, dass die Wähler das letzte und damit entscheidende Wort haben müssen (BVerfGE 7, 63 [68]). Das ist nur der Fall, wenn die Mitglieder der Volksvertretung
direkt (und ohne Zwischenschaltung von Wahlmännern) gewählt werden; zwischen Wähler und Kandidaten
darf keine weitere Instanz mit Entscheidungsbefugnis eingeschaltet werden (BVerfGE 47, 253 [279 f.]).
Wenn es zulässig ist, dass die Wahl von Abgeordneten von der Wahl anderer (vorrangiger) Listenbewerber
abhängig gemacht wird, liegt bei nachträglichen Listenänderungen ein Verstoß gegen die Unmittelbarkeit
der Wahl vor (BVerfGE 3, 45 [50 f.].
(2) Transparenzgebot und Verbot widersinniger Wirkungszusammenhänge
Der vorstehend (D.III.4.a)aa)(1) (vgl. S. 232) ) erwähnte Grundsatz der Transparenz (Erkennbarkeit, welche
Personen sich um ein Abgeordnetenmandat bewerben und wie sich die eigene Stimmabgabe auf Erfolg oder
Misserfolg der Wahlbewerber auswirken kann) ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 95, 335 [350]) auch aus dem Unmittelbarkeitsgrundsatz.
(2a) Widersinnige Wirkungszusammenhänge im Abstrakten
Widersinnige Wirkungszusammenhänge zwischen Stimmabgabe und Stimmerfolg (D.III.4.a)aa)(1) (vgl. S.
232) ) können (nicht nur die Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien - BVerfGE 121, 266
[300] -, sondern auch) gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl verstoßen, da es für den Wähler
nicht mehr erkennbar ist, wie sich seine Stimmabgabe auf den Erfolg oder Misserfolg der Wahlbewerber
auswirken kann.
(2b) Widersinnige Wirkungszusammenhänge im Besonderen
Solcher widersinniger Wirkungszusammenhang kann bei einem Sitzzuteilungsverfahren vorliegen, das ermöglicht, dass ein Zuwachs an Stimmen zu Mandatsverlusten führt, oder dass für den Wahlvorschlag einer Partei
insgesamt mehr Mandate erzielt werden, wenn auf ihn selbst weniger oder auf einen konkurrierenden Vorschlag mehr Stimmen entfallen. Die Verteilung der Mandate auf die Parteien entsprechend dem Verhältnis
der Summen der Wählerstimmen darf im Grundsatz nicht dazu führen, dass die Sitzanzahl einer Partei erwartungswidrig mit der auf diese oder eine konkurrierende Partei entfallenden Stimmenzahl nicht korreliert
(Effekt des negativen Stimmgewichts).
Deshalb sind gesetzliche Regelungen, die derartige Effekte nicht nur in seltenen und unvermeidbaren Ausnahmefällen hervorrufen, mit der Verfassung nicht zu vereinbaren (BVerfGE 131, 316 [346 f.]).
cc) Freiheit der Wahl
Wie vorstehend (D.III.3.d)aa)(2) (vgl. S. 229) ) bereits angedeutet, darf der Wahlentschluss nicht durch
unzulässige Beeinflussungen von außen beeinträchtigt werden.
(1) Unbeeinflusste Wahlrechtsausübung
Von einer freien Wahl (BVerfGE 99, 1 [13]) kann nur die Rede sein, wenn der Wähler sein Wahlrecht ohne
öffentlichen (BVerfGE 44, 125 [139]) oder privaten Zwang (BVerfGE 66, 369 [380]) sowie ohne sonstige
unzulässige Beeinflussungen von außen ausüben kann (BVerfGE 7, 63 [69]).
(2) Freies Wahlvorschlagsrecht
Aus dem Grundsatz der Freiheit der Wahl folgt ein freies Wahlvorschlagsrecht (BVerfGE 41, 399 [417]).
Der Gesetzgeber muss dafür Sorge tragen, dass die Auswahl der Kandidaten weder rechtlich noch faktisch
ausschließlich den Führungsgremien der politischen Parteien (nachfolgend 6.) überlassen wird (BVerfGE
47, 253 [282]; dort [283] auch zum Bestehen einer Wahlalternative).
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dd) Geheimheit der Wahl
Die Geheimheit der Wahl stellt den wichtigsten institutionellen Schutz der Wahlfreiheit dar und wurzelt ebenso wie diese im Demokratieprinzip (BVerfGE 134, 25 [30] für Briefwahl und Erfordernis eines Wahlscheines;
dort auch zur Pflicht des Gesetzgebers, etwaige “kollidierende Grundentscheidungen“ einem angemessenen
Ausgleich zuzuführen).
c) Insbesondere: Wahlrechtsgleichheit (i.V.m. “Chancengleichheit“)
[1] In den letzten Jahren ist als Schwerpunkt der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung eindeutig der
Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit (BVerfGE 129, 300 [317 f.] sowie BVerfGE 135, 259 [284]) hervorgetreten.
Er ist gegenüber dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG der speziellere Grundsatz (BVerfGE
99, 1 [8 ff.]).
Es entspricht dem Demokratiegebot, dass jedem Staatsangehörigen, der aufgrund seines Alters und ohne den
Verlust seines aktiven Wahlrechts wahlberechtigt ist, ein gleicher Anteil an der Ausübung der Staatsgewalt
zusteht (BVerfGE 123, 267 [342]).
Weil die durch das Grundgesetz errichtete demokratische Ordnung im Bereich der Wahlen die Stimmen
aller Staatsbürger (unbeschadet der zwischen ihnen bestehenden Unterschiede) gleich gewichtet, ist eine
Differenzierung des Zählwertes und des Erfolgswertes der Wählerstimmen grundsätzlich ausgeschlossen
(BVerfGE 82, 322 [337]; vgl. zur Verpflichtung zur Einrichtung einer Wahlprüfung BVerfGE 85, 148 [157
f.]).
[2] Was insbesondere die Wahl der deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments anbelangt, so
ergibt sich der Grundsatz der Gleichheit der Wahl aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Gebot
formaler Wahlrechtsgleichheit (BVerfGE 129, 300 [317] sowie BVerfGE 135, 259 [283 f.]). Freilich gilt der
Grundsatz des “one man, one vote“ (Verbot des Klassenwahlrechts) nur innerhalb eines Staatsvolkes (bzw.
eines Landesvolkes), nicht in einem supranationalen Vertretungsorgan, wie dem EU-Parlament, das eine Vertretung der miteinander vertraglich verbundenen Völker bleibt (BVerfGE 123, 267 [371]), was zum Ergebnis
hat, dass (zwar die aus kleinen Bundesländern stammenden Wähler bei Bundestagswahlen nicht bevorzugt
werden dürfen, aber) die Wähler aus kleinen EU-Staaten bei Wahlen zum EU-Parlament (gegenüber Wählern aus bevölkerungsreichen Staaten) dadurch bevorzugt werden dürfen, dass sie proportional “zu viele“
Abgeordnete entsenden dürfen.
[3] Auch im Hinblick auf die gem. Art. 21 Abs. 1 GG, Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verfassungsrechtlich
verbürgte Chancengleichheit (BVerfGE 137, 29 [32]) der Parteien (nachfolgend 6.) hat Wahlrecht den gleichen
Anforderungen zu genügen, wie sie der Grundsatz der Wahlgleichheit für den einzelnen aktiven Wähler
aufstellt (BVerfGE 95, 408 [417]; vgl. auch BVerfGE 135, 259 [285 f.]).
aa) Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit (insbesondere gleicher Zähl- und Erfolgswert) als Grundanforderung an alle Wahlsysteme (Mehrheits- und Verhältniswahl)
Unabhängig von der jeweiligen Ausgestaltung des Wahlverfahrens sind alle Wähler bei der Art und Weise der
Mandatszuteilung strikt gleich zu behandeln. Die Stimme eines jeden Wahlberechtigten muss grundsätzlich
den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben. Alle Wähler sollen mit der Stimme,
die sie abgeben, den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis nehmen können (BVerfGE 130, 212 [225]).
(1) Gebot der Folgerichtigkeit und Verbot der strukturwidrigen Elemente
Bei allem hat der Gesetzgeber zunächst zu beachten, dass er verpflichtet ist, das ausgewählte Wahlsystem
in seinen Grundelementen folgerichtig zu gestalten (vorstehend D.III.3.d)ee) (vgl. S. 231) ), und er es zu
unterlassen hat, strukturwidrige Elemente (vorstehend D.III.4.a)aa)(1) (vgl. S. 232) und D.III.4.a)bb)(2)
(vgl. S. 233) ) einzuführen (BVerfGE 130, 212 [229]).
Die Einhaltung dieser Grundsätze - etwa im Zusammenhang mit Mehrheitswahlen - allein genügt jedoch
nicht als Rechtfertigung für Differenzierungen (nachstehend bb)), die zu ihrer Rechtfertigung stets eines
besonderen, sachlich legitimierten Grundes bedürfen. Es muss sich um Gründe handeln, die durch die Verfassung legitimiert und von mindestens gleichem Gewicht wie die Gleichheit der Wahl sind (BVerfGE 131,
316 [338]; dort [364] auch zu einer Verpflichtung zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung durch sachlich
legitimierte Gründe).
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(2) Erfolgschancengleichheit im gesamten Wahlgebiet (Grundsatz)
Der für alle Wahlsysteme einheitliche Maßstab verlangt, dass der Wahlgesetzgeber Erfolgschancengleichheit
im gesamten Wahlgebiet gewährleistet, wie bereits erwähnt worden ist (vorstehend D.III.4.a)aa)(1) (vgl.
S. 232) ).
Bei der Aufteilung des Wahlgebiets in mehrere selbständige “Wahlkörper“ müssen deshalb die Umstände,
die den möglichen Einfluss einer Stimme prägen, in allen Wahlkörpern annähernd gleich sein. Dies bedeutet,
dass für die Wahl von Abgeordneten in Ein-Personen-Wahlkreisen in Mehrheitswahl - d.h. nach dem
Verteilungsprinzip, dass nur die für den Kandidaten, der die absolute oder relative Mehrheit der Stimmen
erhalten hat, abgegebenen Stimmen zur Mandatszuteilung führen, während die auf alle anderen Kandidaten
entfallenden Stimmen unberücksichtigt bleiben - als Gebot der Erfolgschancengleichheit zu fordern ist, dass
alle Wahlberechtigten auf der Grundlage möglichst gleichgroßer Wahlkreise und damit mit annähernd
gleichem Stimmgewicht am Vorgang teilnehmen können (BVerfGE 131, 316 [337]).
(3) Einfluss von Zähl- und Erfolgswertgleichheit auf das Sitzzuteilungsverfahren
Das von dem Gesetzgeber festgelegte Sitzzuteilungsverfahren muss in allen seinen Schritten seine Regeln
auf jede Wählerstimme gleich anwenden und dabei auch die Folgen so ausgestalten, dass jeder Wähler den
gleichen potentiellen Einfluss auf das Wahlergebnis erhält. Bei unterschiedlich starken Möglichkeiten einer
Einflussnahme auf die Sitzzuteilung reicht es nicht , dass jeder Wähler - ex ante - gleichermaßen die Chance
einer stärkeren Einflussnahme hat, es muss vielmehr - wiederum ex ante betrachtet - gewährleistet sein, dass
alle Wähler durch ihre Stimmabgabe gleichen Einfluss auf die Sitzverteilung nehmen können (BVerfGE 131,
316 [336 ff.]; vgl. auch BVerfGE 135, 259 [284]).
Es versteht sich von selbst, dass das Gebot der Erfolgschancengleichheit unterschiedlich ausfällt, je nachdem,
ob das Sitzzuteilungsverfahren - wie beim Verteilungsprinzip der Mehrheitswahl - bereits mit dem Auszählen,
Gutschreiben und Addieren der Wählerstimmen beendet ist, oder ob sich - wie beim Verteilungsprinzip der
Verhältniswahl - noch ein Rechenverfahren anschließt, welches das Verhältnis der Stimmen für Parteilisten
zu den Gesamtstimmen feststellt und dementsprechend die Sitzzuteilung regelt:
(4) Unterschiede bei Mehrheits- und Verhältniswahl
Bei der Mehrheitswahl kann jeder Wähler auf die Mandatsvergabe allein durch Abgabe seiner gleichzuzählenden Stimme Einfluss nehmen, so dass sich - wie bereits erwähnt (vorstehend (2)) - die Erfolgschancengleichheit in der Gewährleistung annähernd gleich großer Wahlkreise und der gleichen Zählung und Gutschreibung
jeder gültig abgegebenen Wählerstimme erschöpft.
(4a) Weitergehende Einflußnahmemöglichkeiten des Wählers bei der Verhältniswahl
Bei der Verhältniswahl erhält jeder Wähler die weitergehende Möglichkeit, mit seiner Stimme entsprechend
dem Anteil der Stimmen für “seine“ Partei auch auf die Sitzzuteilung Einfluss zu nehmen. Die Erfolgschancengleichheit, die jeder Wählerstimme die gleichberechtigte Einflussnahmemöglichkeit für das Wahlergebnis
in allen Schritten des Wahlverfahrens garantiert, gebietet hier grundsätzlich, dass jede gültig abgegebene
Stimme bei dem Rechenverfahren mit gleichen Gewicht mitbewertet wird, ihr mithin ein anteilsmäßig gleicher Erfolg zukommt - Erfolgswertgleichheit - (BVerfGE 131, 316 [338]; vgl. auch BVerfGE 135, 259 [284]
für Europawahl).
(4b) Verhältniswahl und Gebot des gleichen Erfolgswerts jeder Stimme
Der wesentliche Unterschied bei den beiden Wahlsystemen ist daher der, dass der gleiche Erfolgswert einer
jeden Stimme für die Zuteilung der Parlamentssitze eine maßgebliche Bedeutung hat, während es für die
Direktwahl der Wahlkreiskandidaten auf die Erfolgschance einer jeden Stimme ankommt (BVerfGE 121,
266 [297]).
Indessen hebt die Auslese der Wahlkreiskandidaten nach dem Prinzip der relativen Mehrheit im Wahlkreis
den grundsätzlichen Charakter der Bundestagswahl als einer Verhältniswahl nicht auf (grundlegend: BVerfGE 6, 84 [90]; vgl. auch BVerfGE 121, 266 [297] sowie BVerfGE 122, 304 [314]). Solche Verhältniswahlen
sind jedenfalls auch dann unbedenklich , wenn sie nach “starren“ Listen erfolgen (BVerfGE 122, 304 [314]).
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(4c) Pflichten des Gesetzgebers im Zusammenhang mit Stimmenanrechnungen auf einer Landesliste
Ein solches vom Gesetzgeber zu schaffendes bzw. geschaffenes Wahlsystem muss dem Grundcharakter einer
Verhältniswahl Rechnung tragen, indem es etwa für eine Anrechnung der von einer Partei in den Wahlkreisen
errungenen Sitzen auf die der zugehörigen Landesliste zugefallenen Sitze Sorge trägt (BVerfGE 131, 316
[357 ff.]).
(5) Gestaltungsfreiheit für Rechenverfahren zur Sitzverteilung bei der Verhältniswahl
Weder das Verteilungsverfahren nach Niemeyer noch das Höchstzahlverfahren nach d’Hondt erscheint nach
Auffassung des Bundesverfassungsgerichts als prinzipiell “richtig“ und damit zur Wahrung des Grundsatzes
der Wahlrechtsgleichheit allein systemgerecht. Diesem Grundsatz lassen sich keine Anhaltspunkte dafür
entnehmen, dass eines der genannten Systeme für die Berechnung und Verteilung der Mandate den Vorzug
verdient, und unter diesen Umständen ist es der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers überlassen, für welches
System er sich entscheiden will (BVerfGE 79, 169 [171] zweifelhaft).
bb) Rechtfertigungen für Differenzierungen (insbesondere Funktionsfähigkeit des Parlaments) im Allgemeinen und Speziellen
Differenzierungen sind nur unter Voraussetzungen gerechtfertigt, die das Bundesverfassungsgericht seit seiner
Entscheidung im Jahre 1952 (BVerfGE 1, 208 [248 f.]) zunächst in der Formel eines “zwingenden Grundes“
zusammengefasst hatte.
(1) Kollisionen mit Verfassungswerten (zulässige Differenzierungsgründe)
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt allerdings nicht , dass sich die Differenzierungen
von Verfassungs wegen als zwangsläufig oder notwendig darstellen, wie dies etwa in Fällen der Kollision
der Wahlrechtsgleichheit mit den übrigen Wahlrechtsgrundsätzen oder anderen Grundrechten der Fall sein
kann.
Es werden auch Gründe zugelassen, die durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sind,
das der Wahlrechtsgleichheit die Waage halten kann. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Verfassung
diese Zwecke zu verwirklichen gebietet; in diesem Zusammenhang rechtfertigt das Bundesverfassungsgericht
Differenzierungen auch durch “zureichende“, “aus der Natur des Sachbereichs der Wahl der Volksvertretung
sich ergebende Gründe“.
Hierzu zählt insbesondere die - eingangs dieses Kapitels D.III.4.a)aa)(1) (vgl. S. 232) ) erwähnte - Verwirklichung der mit der Parlamentswahl verfolgten Ziele (BVerfGE 95, 408 [418]; vgl. auch BVerfGE 135, 259
[287]), namentlich der Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen
Willensbildung des Volkes oder der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung (BVerfGE 132, 39 [50]).
(2) Spezieller Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für Differenzierungen
Immer müssen differenzierende Regelungen zur Verfolgung ihrer Zwecke geeignet und erforderlich sein.
Ihr erlaubtes Ausmaß richtet sich daher auch danach, mit welcher Intensität in das - gleiche - Wahlrecht
eingegriffen wird. Ebenso können befestigte Rechtsüberzeugung und Rechtspraxis Beachtung finden. Der
Gesetzgeber muss sich bei seiner Einschätzung und Bewertung nicht an abstrakt konstruierten Fallgestaltungen, sondern an der politischen Wirklichkeit orientieren (BVerfGE 95, 408 [418 f.]; vgl. auch BVerfGE
131, 316 [339] sowie BVerfGE 135, 259 [287]; zur Feststellung eines Verstoßes gegen die Wahlgleichheit durch
das Bundesverfassungsgericht: BVerfGE 95, 408 [420]; vgl. auch BVerfGE 129, 300 [322 f.] sowie BVerfGE
131, 316 [338 f.]).
cc) Insbesondere: Differenzierungen bei der Wahlkreiseinteilung
Weil - wie soeben dargelegt - der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit keinem absoluten Differenzierungsverbot unterliegt, können Differenzierungen (allgemein und) speziell bei der Wahlkreiseinteilung durch Gründe
gerechtfertigt werden, die durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sind, das der Wahlgleichheit die Waage halten kann.
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(1) Verteilung der Wahlkreise auf die Länder
Speziell bei der Verteilung der Wahlkreise auf die Länder entsprechend ihren Bevölkerungsanteilen können daher Abbildungsunschärfen hinzunehmen sein. Die Bevölkerungsverteilung ist einem steten Wandel
unterworfen, und eine aus Gründen der Wahlorganisation erforderliche Stichtagsregelung kann den unvermeidlichen Umstand in Kauf nehmen, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse bis zum Wahltag wieder
verändern können.
(2) “Geringfügigkeitsvorbehalt“
Darüber hinaus ist der Gesetzgeber auch nicht gehalten, bei seiner Gestaltungsentscheidung tatsächliche
Gegebenheiten bereits dann zu berücksichtigen, wenn diese ihrer Natur oder ihrem Umfang nach nur unerheblich oder von vorübergehender Dauer sind; vielmehr darf er darauf abstellen, ob sich eine beobachtete
Entwicklung in der Tendenz verfestigt (BVerfGE 130, 212 [227 f.]; dort [229] auch dazu, dass Regelungen
einer besonders strengen verfassungsgerichtlichen Überprüfung unterliegen können, welche die Bedingungen
der politischen Konkurrenz berühren, die parlamentarische Mehrheit gewissermaßen in eigener Sache tätig
wird).
dd) Sonderfälle der (zulässigen und unzulässigen) “Überhangmandate“
Durch die Verrechnung der Wahlkreismandate mit den Listenmandaten wird im Grundsatz die Gesamtzahl
der Sitze - unbeschadet der vorgeschalteten Personenwahl - so auf die Parteilisten verteilt, wie es dem
Verhältnis der Summen ihrer Zweitstimmen entspricht, während die Erststimme grundsätzlich nur darüber
entscheidet, welche Personen als Wahlkreisabgeordnete in den Bundestag einziehen. Auf diese Weise wird
sichergestellt, dass jeder Wähler im Grundsatz nur einmal Einfluss auf die zahlenmäßige Zusammensetzung
des Parlaments nehmen kann.
(1) Verfehlung des Ziels eines vollen Ausgleichs
Allerdings führt die Form der Verbindung der Verhältniswahl mit dem Element der Personenwahl dazu, dass
die Verrechnung der Wahlkreismandate mit den Listenmandaten nicht stets einen vollen Ausgleich der
Sitzzuteilung im Sinne des Proporzes bewirken kann und soll. Soweit der Gesetzgeber klarstellt, dass die im
jeweiligen Land in den Wahlkreisen errungenen Sitze einer Partei verbleiben, ist dies im Grundsatz nicht
zu beanstanden.
(2) Entstehung von Überhangmandaten (Erhöhung der Gesamtzahl der Sitze)
Wird das Ziel des Verhältnisausgleichs durch den Rechenschritt unvollständig erreicht, weil die Sitze, die
einer Landesliste nach dem Verhältnis der Summen der Zweitstimmen zustehen, nicht ausreichen, um alle
errungenen Wahlkreismandate abzuziehen, so muss sich die Gesamtzahl der Sitze des Bundestages erhöhen;
es entstehen Überhangmandate jenseits der proportionalen Sitzverteilung (BVerfGE 131, 316 [358 f.]).
5. Legitimierungsbedürftige Wahrnehmung (vornehmlich behördlicher und
richterlicher) staatlicher Aufgaben
Wie vorstehend (vor D.III.1.) dargelegt, bedarf jede Ausübung von Staatsgewalt einer demokratischen Legitimation, was jegliche exekutivische und richterliche Gewaltausübung betrifft.
a) Allgemeines (“Sachlich-inhaltliche Legitimation“, “Legitimationsniveau“ und
“amtsgebundene Legitimation“)
Nur das vom Volk gewählte Parlament kann den Organ- und Funktionsträgern der Verwaltung auf allen
ihren Ebenen demokratische Legitimation vermitteln. Im Fall der nicht durch unmittelbare Volkswahl
legitimierten Amtswalter und Organe setzt die demokratische Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt
regelmäßig voraus, dass sich die Bestellung der Amtsträger auf das Staatsvolk zurückführen lässt und
ihr Handeln eine ausreichende sachlich-inhaltliche Legitimation erfährt. In personeller Hinsicht ist eine
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hoheitliche Entscheidung demokratisch legitimiert, wenn sich die Bestellung desjenigen, der sie trifft, durch
eine ununterbrochene Legitimationskette auf das Staatsvolk zurückführen lässt.
Die sachlich-inhaltliche Legitimation wird, was die Exekutive betrifft, durch die Gesetzesbindung und Bindung an Aufträge und Weisungen der Regierung vermittelt (BVerfGE 137, 185 [232 f.]).
aa) Personelle sowie sachlich-inhaltliche Legitimation (“ununterbrochene Legitimationskette)
Organe und Amtswalter bedürfen zur Ausübung von Staatsgewalt einer Legitimation, die auf die Gesamtheit der Staatsbürger, das Volk, zurückgeht, jedoch regelmäßig nicht durch unmittelbare Volkswahl
erfolgen muss. In diesem Bereich ist die Ausübung von Staatsgewalt demokratisch legitimiert, wenn sich
die Bestellung der Amtsträger - personelle Legitimation vermittelnd - auf das Staatsvolk zurückführen
lässt und das Handeln der Amtsträger selbst eine ausreichende sachlich-inhaltliche Legitimation erfährt;
uneingeschränkte personelle Legitimation besitzt ein Amtsträger dann, wenn er verfassungsgemäß sein Amt
im Wege einer Wahl durch das Volk oder das Parlament oder dadurch erhalten hat, dass er durch einen seinerseits personell legitimierten, unter Verantwortung gegenüber dem Parlament handelnden Amtsträger oder
mit dessen Zustimmung bestellt worden ist - sogenannte “ununterbrochene Legitimationskette“ - (BVerfGE
93, 37 [67]; vgl. auch BVerfGE 135, 155 [221 f.] sowie BVerfGE 135, 317 [428 f.]; zu Richtern nachstehend
bb) sowie cc) und nachfolgend D.VII.3.b) (vgl. S. 331) ).
bb) Legitimationsniveau (insbesondere Legitimation von - “herausgehobenen“ - Richtern)
Personelle und sachlich-inhaltliche Legitimation stehen in einem wechselbezüglichen Verhältnis der Art,
dass eine verminderte Legitimation über den einen Strang durch verstärkte Legitimation über den anderen
ausgeglichen werden kann, sofern insgesamt ein bestimmtes Legitimationsniveau erreicht wird, welches
umso höher sein muss, je intensiver die in Betracht kommenden Entscheidungen die Grundrechte berühren
(BVerfGE 130, 76 [124] sowie BVerfGE 135, 155 [222]; dort [225 ff.] auch zu besonders zusammengesetzten
Gremien).
(1) Legitimation von Richtern
Hieraus ist wohl zwingend abzuleiten, dass das Legitimationsniveau bei Richtern besonders hoch sein muss,
was bei - gem. Art. 94 ff. GG (nachfolgend cc) und D.VII.3.b)aa)(2) (vgl. S. 332) ) - gewählten Richtern
zweifelsfrei erreicht wird; hieraus dürfte auch folgen, dass - was die sog. hervorgehobenen Richterämter
anbelangt - nur entweder vom Parlament (bzw. einem Ausschuss) oder von den (ihrerseits gewählten) Richtern gewählte Präsidenten und Vorsitzende ausreichend mit hinreichendem Legitimationsniveau personell
und sachlich-inhaltlich legitimiert sind.
Die praktizierte Übung, (nicht nur die Richter zu ernennen, sondern sogar) die Personen für die Innehabung
von sog. “Beförderungsämtern“ durch Minister bzw. Senatoren auszuwählen (und sie - was den Bund betrifft
- vom Bundespräsidenten ernennen zu lassen), kann dieses hinreichende Legitimationsniveau nicht erreichen,
weil sie etwas voraussetzt, was sie zur Begründung vorgibt (gewissermaßen ein Zirkelschluss):
(2) Amtsgebundene Legitimation
Demokratische Legitimation ist nämlich die Ausübung der Staatsgewalt in ihrer jeweiligen Funktion . Der
demokratische Legitimationszusammenhang, der eine ununterbrochene Legitimationskette für einen Amtswalter begründet, bezieht sich jeweils auf das im Wege solcher Legitimation verliehene Amt, geht nicht
darüber hinaus. Tätigkeiten, die von den Aufgaben des übertragenen Amtes nicht umfasst werden, sind dadurch nicht mitlegitimiert; der Amtswalter handelt in diesem Bereich persönlich, nicht kraft demokratischer
Legitimation (BVerfGE 93, 37 [68]).
(3) Ministerielle Auswahlkompetenz?
Hieraus folgt, dass eine ministerielle Ernennungs- und Beförderungskompetenz hinsichtlich Richtern nur dann
vorläge, wenn es gerade dieses Handeln wäre, wozu ein Minister legitimiert ist. Mit anderen Worten müsste
das Parlament, welches nach der Verfassung die alleinige Kompetenz dafür hat, (Bundesverfassungsrichter
und) Richter der obersten Gerichtshöfe des Bundes zu wählen (die Minister haben bei der Wahl kein
Stimmrecht, sondern nur ein Organisationsrecht, bestenfalls ein Veto-Recht) , gerade hinsichtlich der äußerst
Brunn - Kapitel D.III.5.
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wichtigen personellen Auswahl für Beförderungsämter durch die Wahl des Regierungschefs, welcher den
Minister bestellen kann, zu einem nicht unbedeutenden Anteil auf sein Richter-Wahlrecht verzichtet und
es insoweit an den Minister “abgetreten“ hat, als dessen “Entscheidung“ von unterlegenen Wahlbewerbern
angefochten werden kann (so aber der Sache nach - gestützt auf Art. 33 Abs. 2 GG - leider 2 BvR 2453/15).
Demgegenüber spricht diese Praxis insbesondere gewählten Richtern der obersten Gerichte des Bundes
von vornherein die Kompetenz ab (und beschränkt sie auf ihren absoluten “Kernbereich“ Spruchtätigkeit),
intern darüber zu befinden, wer ihnen (im Geschäftsjahr) in den Spruchkörpern “vorsitzt“ und wer für sie
hinsichtlich der Wahrung der Kernbereiche der Rechtsprechung nach außen (insbesondere gegenüber dem
Haushaltsgesetzgeber) - als “Präsident/in - “spricht“ (bzw. auch, wer für eine wirksame “Richterkontrolle“
zu sorgen hat). Zu Recht würden sich Parlament und Exekutive solche bzw. ähnliche “Bevormundungen“
nicht gefallen lassen.
In der Folge werden staatliche Aufgaben (der Exekutive) angesprochen, deren Wahrnehmung demokratischer
Legitimation bedarf; aus dem Bereich des demokratisch zu legitimierenden Handelns scheiden dabei bloß
vorbereitende und rein konsultative Tätigkeiten grundsätzlich aus (BVerfGE 83, 60 [74] für “Beiräte“ und
“Expertengremien“).
b) Legitimation für Exekutiv-Aufgaben
Wie bereits angesprochen, kann das Legitimationsniveau bei den verschiedenen Erscheinungsformen von
Staatsgewalt im Allgemeinen und der vollziehenden Gewalt im Besonderen unterschiedlich ausgestaltet sein
(ausführlich in jüngerer Zeit: BVerfGE 135, 155 [221 ff.] für Filmförderungsanstalt sowie BVerfGE 136, 194
[261 ff.] für Deutschen Weinfonds als Anstalt des öffentlichen Rechts).
aa) Unterscheidung Regierungs- und Verwaltungshandeln
Innerhalb der Exekutive ist dabei auch die Funktionenteilung zwischen - erstens - der für die politische Gestaltung zuständigen, parlamentarisch verantwortlichen Regierung und - zweitens - der zum Gesetzesvollzug
verpflichteten Verwaltung zu berücksichtigen (BVerfGE 93, 37 [67]; vgl. auch BVerfGE 107, 59 [87] “alles
amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter“).
(1) Außen- und integrationspolitische Tätigkeit der Regierung allgemein
Weil das Regierungshandeln für den Bundestag als Gesetzgeber - abgesehen von Art. 59 Abs. 2 GG nur selten von Bedeutung ist, kann es hier mit einem Hinweis darauf sein Bewenden haben, wonach mit
Blick auf die außen- und integrationspolitische Tätigkeit der Exekutive zu berücksichtigen ist, dass die
sachlich-inhaltliche Legitimation nur begrenzt durch parlamentarische Vorgaben ausgestaltet werden kann.
(2) Verkehr mit anderen Staaten im Speziellen
Der Verkehr mit anderen Staaten, die Vertretung in internationalen Organisationen, zwischenstaatlichen
Einrichtungen und Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG) sowie die Sicherstellung der gesamtstaatlichen Verantwortung bei der Außenvertretung Deutschlands fallen grundsätzlich in
den Kompetenzbereich der Bundesregierung. Die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben notwendigen Freiräume stehen einer strikten parlamentarischen Determinierung entgegen. Die in dieser Hinsicht herabgesetzten
Anforderungen an die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation können dadurch ausgeglichen werden,
dass der jeweilige Amtswalter im Auftrag und nach Weisung der Regierung handelt und die Regierung damit
in die Lage versetzt, Verantwortung gegenüber dem Parlament und dem Volk zu übernehmen (BVerfGE 135,
317 [429 f.]; vgl. auch BVerfGE 137, 185 [235] für Rüstungsexportkontrolle).
bb) “Innerdienstliche Entscheidungen“ (mit Außenwirkungen)
Was im Übrigen das Legitimationsbedürfnis für exekutivisches amtliches Handeln mit Entscheidungscharakter (BVerfGE 83, 60 [73]) anbelangt, so hat sich für die sog. “innerdienstlichen Entscheidungen“ eine sehr
ausdifferenzierte Rechtsprechung entwickelt, insbesondere was Mitentscheidungsrechte (Mitbestimmung) betrifft. Im Grundsatz gilt:
Brunn - Kapitel D.III.5.
Seite 243
(1) Die Besonderheit von Entscheidungen mit zugleich Innen- wie Außenwirkung
Entscheidungen im internen Bereich von (Regierung und) Verwaltung stellen sich im Verhältnis zu den Bürgern (meist) als Ausübung von Staatsgewalt dar. Ihnen kommt indessen daneben eine auf den Binnenbereich
des öffentlichen Dienstes bezogene Bedeutung zu. Denn die in dem jeweiligen Dienstbereich Beschäftigten
, deren sich die staatlichen Organe bedienen müssen, um die ihnen übertragenen Aufgaben nach den Anforderungen der Verfassung erfüllen zu können, werden durch sie in ihren spezifischen Interessen als Dienstoder Arbeitnehmer berührt; dies unterscheidet solche innerdienstliche Maßnahmen von anderen Maßnahmen,
mit denen Staatsgewalt ausgeübt wird. Diese Besonderheiten darf der Gesetzgeber bei der Verwirklichung
des demokratischen Prinzips berücksichtigen, wenn er die Entscheidungsfindung für solche innerdienstlichen
Maßnahmen regelt (BVerfGE 93, 37 [68 f.]).
(2) Gesetzgeber und Grenzen von Mitbestimmungsregelungen (“Drei Stufen-Modell“)
Mitbestimmung darf sich einerseits nur auf innerdienstliche Maßnahmen erstrecken und nur soweit gehen,
als die spezifischen in dem Beschäftigungsverhältnis angelegten Interessen der Angehörigen der Dienststelle
sie rechtfertigen. Andererseits verlangt das Demokratieprinzip für die Ausübung von Staatsgewalt bei
Entscheidungen von Bedeutung für die Erfüllung des Amtsauftrages jedenfalls , dass die Letztentscheidung
eines dem Parlament verantwortlichen Verwaltungsträgers gesichert ist (a.a.O. [70]; dort [74] auch dazu,
dass der Gesetzgeber die Auswirkungen von Mitbestimmungsregelungen beobachten und Fehlentwicklungen
korrigieren muss; vgl. auch BVerfGE 107, 59 [88]). Für die gesetzgeberische Ausgestaltung ist ein “Drei
Stufen-Modell“ entwickelt worden:
• Bei der Regelung von Angelegenheiten, die in ihrem Schwerpunkt die Beschäftigten in ihrem Beschäftigungsverhältnis betreffen, typischerweise aber nicht oder nur unerheblich die Wahrnehmung von
Amtsaufgaben gegenüber dem Bürger berühren, gestattet das Demokratieprinzip eine weitreichende
Mitwirkung der Beschäftigten.
• Maßnahmen, die den Binnenbereich des Beschäftigungsverhältnisses betreffen, die Wahrnehmung des
Amtsauftrags jedoch typischerweise nicht nur unerheblich berühren, bedürfen eines höheren Maßes
an demokratischer Legitimation (verbindliche Letztentscheidung durch den Amtsträger).
• Innerdienstliche Maßnahmen, insbesondere organisatorische, personelle und - in Einzelfällen - soziale
Maßnahmen, die schwerpunktmäßig die Erledigung von Amtsaufgaben betreffen, unvermeidlich aber
auch die Interessen der Beschäftigten berühren, sind stets von so großer Bedeutung für die Erfüllung
des Amtsauftrags, dass die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung für sie keine substantielle Einschränkung erfahren darf; solche Maßnahmen dürfen nicht auf Stellen zur Alleinentscheidung
übertragen werden, die Parlament und Regierung nicht verantwortlich sind (BVerfGE 93, 37 [71 ff.]).
cc) Besonderes Bestellungsorgan
Sieht das Gesetz ein Gremium als Kreationsorgan für die definitive Bestellung eines Amtsträgers vor, das
nur teils aus personell legitimierten Amtsträgern zusammengesetzt ist, so erhält der zu Bestellende volle demokratische Legitimation für sein Amt nur dadurch, dass die die Entscheidung tragende Mehrheit
sich ihrerseits aus einer Mehrheit unbeschränkt demokratisch legitimierter Mitglieder des Kreationsorgans
ergibt. Die Vermittlung personeller demokratischer Legitimation setzt weiter voraus, dass die personell demokratisch legitimierten Mitglieder eines solchen Kreationsorgans bei ihrer Mitwirkung an der Bestellung
eines Amtsträgers ihrerseits auch parlamentarisch verantwortlich handeln (BVerfGE 93, 37 [67 f.]; vgl. auch
BVerfGE 107, 59 [88] “Prinzip der doppelten Mehrheit“).
Man dürfte nicht fehl gehen in der Annahme, dass das Bundesverfassungsgericht Ähnliches entscheiden
würde, wenn es um die personelle Zusammensetzung eines Richterwahlausschusses ginge, welcher nicht überwiegend aus Parlamentariern sowie ihrerseits durch parlamentarische Wahl legitimierten Richtern zusammengesetzt ist).
dd) Legitimation im Bereich funktionaler Selbstverwaltung
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Grundsätze zur Entfaltung des demokratischen Prinzips für die unmittelbare Staatsverwaltung auf Bundes- und Landesebene sowie die Selbstverwaltung in den Kommunen
entwickelt (BVerfGE 107, 59 [88 f.]). Weil der Verfassungsgeber die im Jahre 1949 vorhandenen, historisch gewachsenen Organisationsformen der funktionalen Selbstverwaltung (zwar nicht ausdrücklich geregelt, aber)
Brunn - Kapitel D.III.6.
Seite 244
zur Kenntnis genommen und durch Erwähnung ihre grundsätzliche Vereinbarkeit mit der Verfassung anerkannt hat (a.a.O. [90]), hat das Bundesverfassungsgericht erst verhältnismäßig spät zu solchen Erscheinungsformen (vgl. auch C.III.2. (vgl. S. 130) ) ausdrücklich Stellung genommen:
Außerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung und der gemeindlichen Selbstverwaltung ist - wie auch nachstehend ee) behandelt - das Demokratiegebot des Art. 20 Abs. 2 GG offen für Formen der Organisation
und Ausübung von Staatsgewalt, die vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation
aller Entscheidungsbefugten abweichen. Es erlaubt , für abgegrenzte Bereiche der Erledigung öffentlicher
Aufgaben durch Gesetz besondere Organisationsformen der Selbstverwaltung zu schaffen. Die funktionale
Selbstverwaltung ergänzt und verstärkt das demokratische Prinzip. Der Gesetzgeber darf ein wirksames
Mitspracherecht der Betroffenen schaffen und verwaltungsexternen Sachverstand aktivieren, einen sachgerechten Interessensausgleich erleichtern und so dazu beitragen, dass die von ihm beschlossenen Zwecke und
Ziele effektiver erreicht werden (a.a.O. [91 f.]; dort [89] zu Wasserverbänden als historisch gewachsene und
von der Verfassung grundsätzlich anerkannte Organisationsformen).
Was verbindliches Handeln mit Entscheidungscharakter anbelangt, ist diese den Organen von Trägern
der funktionalen Selbstverwaltung aus verfassungsrechtlicher Sicht nur gestattet, weil und soweit das Volk
auch insoweit sein Selbstbestimmungsrecht wahrt, indem es maßgeblichen Einfluss auf dieses Handeln behält.
Das erfordert, dass die Aufgaben und Handlungsbefugnisse der Organe in einem von der Volksvertretung
beschlossenen Gesetz ausreichend vorherbestimmt sind und ihre Wahrnehmung der Aufsicht personell
demokratisch legitimierter Amtswalter unterliegt (a.a.O. [94]).
ee) “Offenheit“ für andere Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt außerhalb der
unmittelbaren Staats- bzw. Gemeindeverwaltung
Außerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung (und der gemeindlichen Selbstverwaltung) ist das Demokratiegebot auch im Übrigen offen . Das “Ob“ und “Wie“ hängt insoweit auch davon ab, ob die institutionellen
Vorkehrungen eine nicht Einzelinteressen gleichheitswidrig begünstigende, sondern gemeinwohlorientierte
und von Gleichachtung der Betroffenen geprägte Aufgabenwahrnehmung ermöglichen und gewährleisten;
auch hier ist Bedacht zu nehmen auf parlamentarische Beobachtung und Kontrolle (BVerfGE 135, 155
[222 f.] für Filmförderungsanstalt; dort [225] auch dazu, dass ein “insgesamt notwendiges Maß an demokratischer Legitimation“ gewahrt sein kann, auch wenn nicht sämtliche Entscheidungsträger “in vollem Umfang“
legitimiert sind).
c) Beleihung Privater mit hoheitlichen Befugnissen
Für den Fall der Beleihung Privater müssen u.a. die Möglichkeiten parlamentarischer Kontrolle der Aufgabenwahrnehmung unbeeinträchtigt bleiben. Der parlamentarischen Kontrolle kommt hier besondere Bedeutung zu, weil die Beleihung Privater nicht zu einer Flucht aus der staatlichen Verantwortung für die
Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben führen darf. Die staatliche Gewährleistungsverantwortung für die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung schließt auch für das Parlament eine entsprechende Beobachtungspflicht
ein. Der demokratische Legitimationszusammenhang bleibt nur gewahrt , wenn das Parlament an der
Wahrnehmung dieser Beobachtungspflicht nicht gehindert ist (BVerfGE 130, 76 [123 f.]; dort [124 ff.] auch
dazu, dass sachlich-inhaltlich die Aufgabenwahrnehmung durch den Privaten durch dessen Bindung an
das Gesetz in Verbindung mit umfassenden Weisungsbefugnissen der verantwortlichen öffentlichen Träger
legitimiert sein kann; dort [127 f.] auch zum Erfordernis wirksamer Fachaufsicht insbesondere vermittels
Informationsgewinnungs- und -durchsetzungsmittel).
6. Die Parteien und der Gesetzgeber
Art. 21 GG hat die Parteien als verfassungsrechtlich notwendige - aber keinesfalls in den Bereich der organisierten Staatlichkeit einzufügende - Instrumente für die politische Willensbildung des Volkes anerkannt und
sie in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution gehoben (BVerfGE 121, 30 [54]; dort [56 ff.] auch zu
ihrer Grundrechtsträgerschaft).
Für den Gesetzgeber ist insoweit Art. 21 Abs. 3 GG (Gesetzgebungskompetenz) von Bedeutung.
Brunn - Kapitel D.III.6.
Seite 245
a) Reichweite und Grenzen des Art. 21 Abs. 3 GG
Diese ergeben sich aus dem Umfang der in Art. 21 Abs. 1 und Abs. 2 GG statuierten Inhalte (der weit
zu verstehen ist). Die Gesetzgebungsbefugnis umfasst insbesondere die Befugnis zur Konkretisierung des
Parteibegriffs (hierzu BVerfGE 91, 262 [267]; vgl. auch BVerfGE 134, 131 [129]) und zur Regelung der
Rechtsstellung im Rechtsverkehr und im gerichtlichen Verfahren (BVerfGE 121, 30 [47]).
Sie umfasst ferner die innere Ordnung und die Rechnungslegungspflicht (insbesondere “Parteienfinanzierung“;
hierzu BVerfGE 85, 264 [285 ff.]; BVerfGE 104, 287 [300]; BVerfGE 111, 54 [98 f.] sowie BVerfGE 111, 382
[408]), weiterhin das Verfahren und den Vollzug des Parteiverbots und schließlich - hier besonders bedeutsam
- zur Schaffung von Bestimmungen, mit denen die Rolle der Parteien in ihrer Vermittlungsfunktion zwischen
Volk und Staatsorganen ausgestaltet wird (BVerfGE 121, 30 [47]):
b) Der Rang der Parteien als “verfassungsrechtliche Institutionen“
Allerdings gehören die Parteien nicht zu den obersten Staatsorganen. Sie sind frei gebildete, im
gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppen, dazu berufen, bei der politischen Willensbildung des
Volkes mitzuwirken und in den Bereich der institutionellen Staatlichkeiten hineinzuwirken (grundlegend:
BVerfGE 20, 56 [100 f.]; BVerfGE 52, 63 [82 f.] sowie BVerfGE 85, 264 [284 ff.]; vgl. auch BVerfGE
104, 14 [19]). Sie sind keineswegs “sakrosankt“: Einschätzungen einer Partei etwa als rechtsextrem oder
verfassungsfeindlich sind Teil der öffentlichen Auseinandersetzung, denen die betroffene Partei - sofern sich
die Äußerungen im Rahmen von Gesetz und Recht halten - mit den Mitteln des Meinungskampfes begegnen
muss (BVerfGE 137, 29 [33]).
c) Die Beteiligung an Wahlen (als unverzichtbares Element) und die
Chancengleichheit
Von Verfassungs wegen ist wesentliches und unverzichtbares Element ihre Beteiligung an Wahlen (vorstehend
D.III.3. und D.III.4.) bzw. deren Vorbereitung (BVerfGE 91, 262 [267 f.]; dort auch dazu, dass sich darin
ihre Funktion nicht erschöpft).
aa) Chancengleichheit bei Wahlen und deren Vorbereitung
Hier (und auch im Übrigen) gewährleistet die Verfassung (und muss bereits der Gesetzgeber normativ sichern;
BVerfGE 121, 108 [123] “Wettbewerbsverfälschung“) die Chancengleichheit (BVerfGE 104, 14 [19 f.]; vgl.
auch BVerfGE 120, 82 [104]; BVerfGE 124, 1 [20]; BVerfGE 135, 259 [285 ff.] sowie BVerfGE 138, 102 [110
ff.]):
(1) Zusammenhang mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl
Die Gewährleistung gleicher Chancen im Wettbewerb um Wählerstimmen ist ein unabdingbares Element
des vom Grundgesetz gewollten freien und offenen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes.
Damit die Wahlentscheidung in voller Freiheit gefällt werden kann, ist es unerlässlich, dass die Parteien,
soweit irgend möglich, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilnehmen.
Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit steht in engem Zusammenhang mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG), die ihre Prägung durch
das Demokratieprinzip erfahren. Aus diesem Grund ist es - ebenso wie die durch die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl verbürgte gleiche Behandlung der Wähler - streng formal zu verstehen.
Das Recht der Parteien auf Chancengleichheit zieht so dem Ermessen des Gesetzgebers besonders enge
Grenzen.
(2) Differenzierungsverbot
Es enthält ein grundsätzliches Differenzierungsverbot, dessen Durchbrechung nur durch einen zwingenden
Grund zu rechtfertigen ist. Der Staat darf vor allem die vorgefundene Wettbewerbslage nicht verfälschen.
Denn der im Mehrparteiensystem angelegte politische Wettbewerb soll Unterschiede hervorbringen - je nach
Zuspruch der Bürger. Diesen darf die öffentliche Gewalt nicht ignorieren oder gar konterkarieren.
Brunn - Kapitel D.III.6.
Seite 246
(3) Zuweisung staatlicher Finanzmittel
Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit kann durch die Zuweisung staatlicher Finanzmittel
betroffen sein:
(3a) Zuweisungen an andere Parteien
Erfolgt die Zuweisung öffentlicher Mittel unmittelbar an politische Parteien, wirkt sich dies in jedem Fall
auf ihre Möglichkeit zur Teilnahme am politischen Wettbewerb aus. Ungeachtet der sich aus der Struktur
der Parteien als konkurrierender, aus eigener Kraft wirkender und vom Staat unabhängiger Gruppierungen ergebenden Grenzen staatlicher Parteienfinanzierung sind in diesen Fällen die verfassungsrechtlichen
Anforderungen des formalisierten Gleichheitssatzes strikt zu beachten.
(3b) Zuweisungen an Dritte
Erfolgt die Vergabe öffentlicher Finanzmittel an Dritte, kann - auch wenn der vorgesehene Verwendungszweck
dieser Mittel politische Bezüge aufweist - nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass durch die
Zuweisung der Mittel in das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit eingegriffen wird. Dies
gilt insbesondere, wenn die Mittel Institutionen zugewendet werden, die von den Parteien rechtlich und
tatsächlich unabhängig sind, ihre Aufgaben selbständig und eigenverantwortlich wahrnehmen und auch in
der Praxis die gebotene Distanz zu den jeweiligen Parteien wahren (BVerfGE 140, 1 [23 f.]).
(3c) Zweckwidrige Verwendung staatlicher Mittel
Werden durch den Haushaltsgesetzgeber zugewiesene Mittel nicht bestimmungsgemäß verwendet, ist zwischen der Bewilligung der Mittel und der Verwendung durch den Zuwendungsempfänger zu unterscheiden .
Nicht jede zweckwidrige, Art. 21 Abs. 1 GG missachtende Verwendung staatlicher Zuschüsse führt dazu, dass
der Haushaltsgesetzgeber bereits durch die Bewilligung dieser Mittel das Recht der politischen Parteien auf
Chancengleichheit verletzt hat. Vielmehr muss in diesen Fällen die zweckwidrige Verwendung der staatlichen
Mittel dem Haushaltsgesetzgeber zugerechnet werden können.
Dies ist der Fall, wenn bereits durch die Bewilligung der staatlichen Zuschüsse der zweckwidrigen Verwendung der Mittel das Tor geöffnet und so der Weg für eine verfassungswidrige Parteienfinanzierung geebnet
wird. Davon ist auszugehen, wenn Mittel in einem überhöhten, durch die Zweckbindung nicht gerechtfertigten Umfang zur Verfügung gestellt oder unzureichende Vorkehrungen zur Verhinderung einer zweckwidrigen
Verwendung dieser Mittel getroffen werden. Verfassungswidrig ist ein gesetzliches Regelungskonzept, wenn
die vorgesehenen Schutzmechanismen in einer Weise lückenhaft oder sonst unzureichend sind, die eine gegen das Grundgesetz verstoßende Beeinträchtigung der Chancengleichheit politischer Parteien fördert, das
Vollzugsdefizit also durch die Struktur der Norm determiniert ist (BVerfGE 140, 1 [25]).
bb) Einwirkungen von Staatsorganen auf die Chancengleichheit
Das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG kann auch dadurch verletzt
werden, dass Staatsorgane zugunsten oder zulasten einer politischen Partei in den Wahlkampf einwirken.
Deshalb ist es Staatsorganen als solchen von Verfassungs wegen versagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit
Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder
zu bekämpfen, insbesondere durch Werbung die Entscheidung des Wählers zu beeinflussen (BVerfGE 137,
29 [32]).
Dies gilt auch für den politischen Meinungskampf und Wettbewerb im Allgemeinen (BVerfGE 140, 225
[227]).
cc) Insbesondere: Öffentliche Äußerungen (des Bundespräsidenten und) der Bundesregierung (bzw.
deren Mitgliedern) und Chancengleichheit
Seit der politische (insbesondere der rechtsgerichtete) Extremismus zugenommen hat, hatte sich das Bundesverfassungsgericht öfter mit “kämpferischen“ Meinungsäußerungen zu befassen (vgl. etwa BVerfGE 140, 225
ff. einstweilige Anordnung; vgl. zur - weitergehenden - Äußerungsbefugnis des Bundespräsidenten BVerfGE
136, 323 [330 ff.]).
Brunn - Kapitel D.IV.0.
Seite 247
(1) Bundesregierung und deren Informations- und Öffentlichkeitsarbeit
Die Bundesregierung ist das oberste Organ der vollziehenden Gewalt. Gemeinsam mit den anderen dazu
berufenen Verfassungsorganen obliegt ihr die Aufgabe der Staatsleitung. Zwar vermitteln die einzelnen in
der Verfassung aufgeführten Aufgaben und Zuständigkeiten der Bundesregierung und ihrer Mitglieder nur
einen unvollständigen Ausschnitt des Aufgabenbestandes, der sich aus dem politischen Leitungsauftrag der
Bundesregierung ergibt. Das Grundgesetz setzt die Kompetenz der Bundesregierung zur Staatsleitung im
Sinne einer abschließenden Regelung nicht zugänglichen verantwortlichen Leitung des Ganzen der inneren
und äußeren Politik jedoch stillschweigend voraus.
Diese Kompetenz zur Staatsleitung schließt zwar als integralen Bestandteil die Befugnis der Bundesregierung zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit (allgemein vorstehend D.III.3.c)bb) (vgl. S. 229) ) ein.
Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften ist nicht nur zulässig, sondern auch
notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten. Darunter fällt
namentlich die Darlegung und Erläuterung der Politik der Regierung hinsichtlich getroffener Maßnahmen
und künftiger Vorhaben angesichts bestehender oder sich abzeichnender Probleme sowie die sachgerechte,
objektiv gehaltene Information über den Bürger unmittelbar betreffende Fragen und wichtige Vorgänge auch
außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit (BVerfGE 138, 102 [113 f.]).
(2) Pflicht zur Beachtung des “Neutralitätsgebots“
Die Bundesregierung hat aber die Pflicht, das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit und
das daraus folgende Neutralitätsgebot zu beachten: Die zulässige Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung
endet dort, wo die (unzulässige) Wahlwerbung beginnt. Insbesondere dürfen nicht unter Einsatz öffentlicher
Mittel Regierungsparteien unterstützt und Oppositionsparteien bekämpft werden.
Was insbesondere die Behauptung einer Verfassungsfeindlichkeit angeht, so verbietet es das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit der Bundesregierung, eine nicht verbotene politische Partei in der
Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen, wenn ein solches
Vorgehen bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht.
Diese Maßgaben gelten auch für die öffentliche Erörterung, ob gegen eine Partei ein Verbotsverfahren eingeleitet wird. Staatliche Stellen sind freilich nicht gehindert, das Für und Wider dieser schwerwiegenden
Maßnahme mit der gebotenen Sachlichkeit zur Debatte zu stellen. Erst wenn erkennbar wird, dass diese Debatte nicht entscheidungsorientiert, sondern mit dem Ziel der Benachteiligung der betroffenen Partei geführt
wird, kommt eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 21 Abs. 1 GG in Betracht.
(3) Äußerungen einzelner Mitglieder der Bundesregierung
Für das einzelne Mitglied der Bundesregierung kann nichts anderes gelten als für die gesamte Bundesregierung. Bei seiner Mitwirkung an der Wahrnehmung der Aufgaben der Bundesregierung nach Maßgabe des
Art. 65 GG ist es ebenfalls an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden (Art. 1 Abs. 3 GG
und Art. 20 Abs. 3 GG). Soweit ein Mitglied der Bundesregierung im Rahmen seiner Ressortzuständigkeit
ihm übertragene Regierungsaufgaben wahrnimmt, ist es daher in gleicher Weise wie die Bundesregierung
als Ganze zur Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit politischer Parteien gemäß Art. 21 Abs.
1 Satz 1 GG verpflichtet. Auch dem einzelnen Bundesminister ist es im Rahmen seiner Regierungstätigkeit
von Verfassungs wegen untersagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien zu identifizieren und
sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen (BVerfGE 138, 102 [114 ff., 116 f.];
dort [117 ff.] ausführlich zu den vielfältigen Formen der Teilnahme am “Meinungskampf“).
IV. Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 2. Alt. GG)
1.
Bekenntnis zum Sozialstaat (Konkretisierung durch den - regelmäßig über einen Gestaltungsraum verfügenden - Gesetzgeber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Adressaten von Leistungen (Hilfs- und Schutzbedürftige) . . . . . . . . . .
b)
249
249
aa) (Zulässige) Differenzierungen nach dem Grad der sozialen Schutzbedürftigkeit .
249
bb) Spezialregelungen für spezielle Bevölkerungsgruppen . . . . . . . . . . . . . . .
Grundaufgaben (Betreuung, Pflege, Krankheit) . . . . . . . . . . . . . .
249
249
Brunn - Kapitel D.IV.1.
2.
Menschenrecht und Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (auch) durch
den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Pflicht zur gesetzlichen Sicherung des unbedingt Erforderlichen . . . . . . . .
aa) Umfang der grundrechtlichen Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
250
bb) Konkreter Leistungsanspruch (subjektives Recht des Hilfsbedürftigen)
. . . . .
250
(1) Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
250
250
aa) Bemessung der (konkreten) Bedarfe der Hilfsbedürftigen . . . . . . . . . . . . .
251
bb) Methoden zur Bemessung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
251
(1) (Zulässige und unzulässige) “Schätzungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
251
(2) (Zulässige und unzulässige) Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
251
cc) Härtefallregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
251
dd) Zusammenfassung der gesetzgeberischen Verpflichtungen (Begründungsfähigkeit)
Sozialversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gesetzliche Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
251
251
252
aa) Berechtigung einer Sicherung der finanziellen Stabilität . . . . . . . . . . . . . .
252
bb) “Zwei Versicherungssäulen“
252
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
cc) Sonderfall der schwerwiegenden bzw. lebensbedrohlichen Krankheiten und Leistungsansprüche der Beitragspflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(1) Einflüsse der staatlichen (gesetzgeberischen) Schutzpflichten . . . . . . . . .
b)
4.
5.
6.
7.
8.
250
250
(2) Verfassungswidrigkeit bei defizitärer Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . .
Verfassungsrechtliche Vorgaben für das Vorgehen des Gesetzgebers (“Ergebnisorientierung“ des Verfahrens) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b)
3.
Seite 248
250
252
252
(2) Gesetzgeberische Pflichten im Zusammenhang mit Verfahren zur Bewertung
von medizinischen Notwendigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Arbeitslosenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
252
253
aa) Angemessener Ersatz für Ausfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
253
bb) Alternativen der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit . . . . . .
c) Hinterbliebenenversorgung . . . . . . . . . . . . . . .
d) Unfallversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Fürsorge für (insbesondere altersbedingt) Pflegebedürftige . . . .
Steuerfreiheit des (zu “verschonenden“) Existenzminimums . . . . .
a) Bedarf (nach Erfüllung der Steuerschuld) . . . . . . . . . .
b) Bemessung des zu verschonenden Existenzminimums . . . . . .
c) Sozialrechtlicher Mindestbedarf als Untergrenze . . . . . . . .
d) Sonstige Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte im Steuerrecht .
Anspruch auf Zutritt zu vom Staat geschaffenen Ausbildungseinrichtungen
Wiedergutmachung von Vermögensverlusten . . . . . . . . . . .
Resozialisierung von Straftätern . . . . . . . . . . . . . . .
Fremdrentengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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255
Vielleicht noch mehr als das - nachfolgend D.V. dargestellte - Rechtstaatsprinzip determiniert das Sozialstaatsprinzip, welches etwa in Art. 6 Abs. 4 GG eine Einzelkonkretisierung erfahren hat (nachfolgend E.VI.4.
(vgl. S. 555) ), das Handeln des modernen Gesetzgebers. Insbesondere im Zusammenhang der Problematik
eines “menschenwürdigen Existenzminimums“ kommt nämlich auch Art. 1 Abs. 1 GG ins Spiel.
Gleichwohl kann hier nicht allen Verästelungen nachgegangen, sondern nur Grundlegendes zum Sozialstaatsprinzip - das zwar hauptsächlich die Sozialversicherung (nachfolgend D.IV.3.) bestimmt, aber auch für andere
Materien (nachfolgend D.IV.4. bis 8.) Bedeutung haben kann - ausgebreitet werden:
Brunn - Kapitel D.IV.1.
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1. Bekenntnis zum Sozialstaat (Konkretisierung durch den - regelmäßig über einen
Gestaltungsraum verfügenden - Gesetzgeber)
Mit der Wendung vom “sozialen Bundesstaat“ enthält die Verfassung ein Bekenntnis zum Sozialstaat, das
zwar bei der Auslegung des Grundgesetzes wie bei der Auslegung anderer Gesetze von entscheidender Bedeutung sein kann, aber in erster Linie durch den Gesetzgeber zu verwirklichen ist (grundlegend: BVerfGE
1, 97 [105]; vgl. auch BVerfGE 65, 182 [193]); das Sozialstaatsprinzip ist auch nicht geeignet, Grundrechte
unmittelbar (also ohne nähere Konkretisierung durch den Gesetzgeber) zu beschränken (BVerfGE 59, 231
[262 f.]).
[1] Das Sozialstaatsprinzip begründet die Pflichten des Staates, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen;
bei der Erfüllung dieser Pflicht kommt dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu. Das Sozialstaatsprinzip stellt also dem Staat eine Aufgabe, sagt aber nichts darüber, wie diese Aufgabe im Einzelnen
zu verwirklichen ist (a.a.O. [263]; vgl. auch BVerfGE 100, 271 [284]). Auf dem Weg des “Fortschritts zu
sozialer Gerechtigkeit“ als einem leitenden Prinzip aller staatlichen Maßnahmen (BVerfGE 5, 85 [198]) darf
der Gesetzgeber beispielsweise auch mit Hilfe privater Wohlfahrtsorganisationen vorgehen (BVerfGE 22, 180
[204]).
[2] Zwingend ist freilich, dass der Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein
seiner Bürger schafft (BVerfGE 82, 60 [80]; vgl. auch BVerfGE 110, 412 [445 f.] und nachfolgend 2.).
a) Adressaten von Leistungen (Hilfs- und Schutzbedürftige)
Was die Adressaten von Leistungen anbelangt, so gehört auf der einen Seite die Fürsorge für Hilfsbedürftige
zu den selbstverständlichen Verpflichtungen eines Sozialstaats (BVerfGE 43, 13 [19]), was notwendig die
soziale Hilfe für Mitbürger einschließt, die wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen an ihrer persönlichen
und sozialen Entfaltung gehindert sind (BVerfGE 44, 353 [375]).
aa) (Zulässige) Differenzierungen nach dem Grad der sozialen Schutzbedürftigkeit
Auf der anderen Seite gilt auch der Grundsatz, dass derjenige mit seinen Wünschen nach staatlicher Hilfe
zurücktreten muss, der “sich aus eigener Kraft zu helfen in der Lage ist“ (BVerfGE 17, 38 [56]).
Sind mit anderen Worten - zum einen - Differenzierungen nach dem Grade der sozialen Schutzbedürftigkeit
der Empfänger zu rechtfertigen (BVerfGE 13, 248 [259]), so darf, wenn im Einzelfall ein Bedarf festgestellt
wird, der Gesetzgeber - zum anderen - auch Typisierungen (ausführlich nachstehend E.III.1.e) (vgl. S. 460)
) bestimmen oder vorsehen (BVerfGE 17, 1 [11]; vgl. auch BVerfGE 94, 241 [263]). “Unbilligkeiten“ im
Einzelfall können bisweilen unvermeidbar und hinzunehmen sein (BVerfGE 69, 272 [315]). Das Gebot der
Gleichheit darf auch nicht durch eine “beliebige“ Sozialgestaltung “aufgelöst“ werden (BVerfGE 12, 354
[367]).
bb) Spezialregelungen für spezielle Bevölkerungsgruppen
Bei Beamten (nachfolgend D.VII.2.) und Richtern (nachfolgend D.VII.3.) sichern die Grundsätze des Berufsbeamtentums, dass die Besoldung und Versorgung den Mindestanforderungen genügen, die sich auch aus
dem Sozialstaatsprinzip ergeben (BVerfGE 17, 337 [355]).
b) Grundaufgaben (Betreuung, Pflege, Krankheit)
Im Einzelnen muss - entsprechend den vorstehenden Darlegungen - die staatliche Gemeinschaft (über die
Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein hinaus) denjenigen, die außer Stande sind, sich
selbst zu unterhalten, helfen, sich soweit möglich in die Gesellschaft einzugliedern, ihre angemessene Betreuung in der Familie oder durch Dritte fördern sowie die notwendigen Pflegeeinrichtungen schaffen (BVerfGE
40, 121 [133]). Die Errichtung und Verwaltung von Vormundschaften gehören deshalb ebenfalls zu vorrangigen Aufgaben der staatlichen Wohlfahrtspflege (BVerfGE 54, 251 [268 f.]).
Der Schutz in Fällen von Krankheit ist in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine der Grundaufgaben des Staates (BVerfGE 68, 193 [209]; vgl. auch BVerfGE 11, 30 [48] dazu, dass es eine nicht auf
Kassenmitglieder beschränkte Aufgabe der Gesundheitsfürsorge ist, Maßnahmen zur ärztlichen Versorgung
Brunn - Kapitel D.IV.2.
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in dünn besiedelten Gebieten zu treffen). Die Energieversorgung gehört zum Bereich der Daseinsvorsorge (BVerfGE 66, 248 [258]) ebenso wie die Einrichtung und Unterhaltung von Kindergärten , wodurch
grundrechtliche Schutz- und Förderpflichten erfüllt werden (BVerfGE 97, 332 [347 f.]).
2. Menschenrecht und Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums
(auch) durch den Gesetzgeber
Seit jeher und neuerdings mehrfach bekräftigt steht das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Vordergrund. Dieses ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG (hierzu ausführlich
nachfolgend E.I.1.) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG; das Sozialstaatsgebot erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag,
jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern. Dieses Grundrecht ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den
Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens
und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat (BVerfGE 125, 175 [222]; vgl. auch BVerfGE 137,
34 [72]).
Als Menschenrecht steht es deutschen und ausländischen Staatsangehörigen gleichermaßen zu (BVerfGE
132, 134 [159]).
a) Pflicht zur gesetzlichen Sicherung des unbedingt Erforderlichen
Es ist begrenzt auf die Mittel, “die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind“.
aa) Umfang der grundrechtlichen Garantie
Die grundrechtliche Garantie umfasst die physische Existenz des Menschen (also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit) wie auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege
zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen
und politischen Leben, weil der Mensch als Person notwendig in sozialen Bezügen existiert (BVerfGE 125,
175 [223]; vgl. auch BVerfGE 132, 134 [160] sowie BVerfGE 137, 34 [76 f.]).
bb) Konkreter Leistungsanspruch (subjektives Recht des Hilfsbedürftigen)
Weil ein Hilfebedürftiger von Verfassungs wegen nicht auf freiwillige Leistungen des Staates oder Dritter
verwiesen werden darf, deren Erbringung nicht durch ein subjektives Recht des Hilfebedürftigen gewährleistet
ist, muss die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch einen gesetzlichen Anspruch
gesichert werden (BVerfGE 125, 175 [223]).
(1) Gesetzesvorbehalt
Erforderlich ist ein Parlamentsgesetz, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem
zuständigen Leistungsträger enthält (a.a.O.).
(2) Verfassungswidrigkeit bei defizitärer Gestaltung
Kommt der Gesetzgeber seiner Pflicht nicht hinreichend nach, so ist das einfache Recht im Umfang seiner
defizitären Gestaltung verfassungswidrig (BVerfGE 132, 134 [160]).
b) Verfassungsrechtliche Vorgaben für das Vorgehen des Gesetzgebers
(“Ergebnisorientierung“ des Verfahrens)
Die Vorgehensweise des Gesetzgebers ist durch die Verfassung bereits im Wesentlichen vorgegeben. Entscheidend ist, dass die Anforderungen des Grundgesetzes, tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge
zu tragen, im Ergebnis nicht verfehlt werden (BVerfGE 137, 34 [73 f.]).
Brunn - Kapitel D.IV.3.
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aa) Bemessung der (konkreten) Bedarfe der Hilfsbedürftigen
Zunächst hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen; hierzu hat er zunächst die Bedarfsarten sowie die dafür anzuwendenden Kosten zu ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs zu bestimmen (BVerfGE 125,
175 [225]; vgl. auch BVerfGE 137, 34 [73]).
bb) Methoden zur Bemessung
Für die Bestimmung der konkreten Leistungen zur Existenzsicherung darf jedenfalls keine Methode gewählt
werden, die Bedarfe von vornherein ausblendet, wenn diese ansonsten als existenzsichernd 
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