Ethische Analyse der Argumente in Bezugnahme auf - Beck-Shop

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Kann Suizid mit ärztlicher Assistenz moralisch erlaubt sein? Ethische
Analyse der Argumente in Bezugnahme auf ALS-Patienten
Bearbeitet von
Katharina Himstedt
1. Auflage 2015. Taschenbuch. 160 S. Paperback
ISBN 978 3 95935 170 6
Format (B x L): 15,5 x 22 cm
Weitere Fachgebiete > Ethnologie, Volkskunde, Soziologie > Soziologie > Tod,
Sterbehilfe: Soziale und Ethische Themen
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Leseprobe
Textprobe
Kapitel 2. Abgrenzung des ärztlich assistierten Suizids von anderen Handlungen am Lebensende
Um die zur Frage der moralischen Legitimität des ärztlich assistierten Suizids adäquaten
Argumente aus der Diskussion über Handlungen am Lebensende herauszuarbeiten sowie um die
Argumentationen, die sich ggf. auf moralisch weniger problematische Alternativen stützen, zu
begreifen, ist ein Verständnis der verschiedenen Begrifflichkeiten und der Verortung sowie
Abgrenzung des ärztlich assistierten Suizids innerhalb dieses Spektrums obligat. Daher werden im
Folgenden zunächst die vom assistierten Suizid zu differenzierenden Arten der Behandlung
Sterbender erläutert, um anschließend Grenzen zum assistierten Suizid aufzuzeigen, welcher
dabei ebenfalls definiert und bezüglich seiner verschiedenen Ausprägungen beschrieben wird […]
Die Sterbebegleitung umfasst alle Maßnahmen zur Pflege und Betreuung von Todkranken und
Sterbenden wie körperliche Pflege, das Löschen von Hunger- und Durstgefühlen, Mindern von
Übelkeit, Angst und Atemnot, menschliche Zuwendung und seelsorgerischen Beistand, mit dem
Ziel die Fähigkeit, „den eigenen Willen auch in der Sterbephase zur Geltung zu bringen, so lange
zu erhalten, wie es medizinisch möglich, für den Betroffenen erträglich und von ihm gewollt ist“
(Deutscher Ethikrat, 2006, S. 53)
Therapien am Lebensende sind alle in der letzten Lebensphase erfolgende, lebensverlängernde
und Leid lindernde medizinische und palliativmedizinische Maßnahmen
Diese in Kauf genommene Nebenwirkung des vorzeitigen Todes zur intentionalen Linderung von
Leiden ist nicht rechtswidrig und wird auch als indirekte Sterbehilfe bezeichnet. Der Tod ist aber
weder direkt noch indirekt Ziel des Handelns, weshalb auf diesen Begriff verzichtet werden sollte.
Hinzu kommt, dass sonst auch anderer Einsatz von Medikamenten, deren Nebenwirkungen
lebensgefährlich sein können, so bezeichnet werden könnte. (Vgl. Deutscher Ethikrat, 2006, S.
51f, 54, 63f) Bei den gängigen im Sterbeprozess eingesetzten Schmerzmedikamenten ist der
Nebeneffekt der Lebensverkürzung durch medizinischen Fortschritt heute jedoch durchweg
vermeidbar geworden und nur noch als völlige Ausnahme notwendig. Denn die verwendeten
Substanzen Morphin und Benzodiazepine dosiert man zunächst niedrig und erhöht sie dann, bis
die Beschwerden zufriedenstellend gelindert sind, was in seltenen Fällen bis zum Schlaf bzw.
Bewusstseinsverlust (palliative Sedierung, s. u.) gesteigert werden kann. Damit wird dann eine
Symptomlinderung erreicht und die Dosis nicht weiter erhöht, folglich auch die Sterbephase nicht
verkürzt. (Vgl. Borasio, 2014, S. 54–57) Stattdessen besteht die Gefahr, dass unter dem Begriff
der indirekten Sterbehilfe Tötungen durchgeführt werden, die aufgrund fehlender Obduktion
unerkannt bleiben (vgl. Kreß, 2009a, S. 244f). Für solch eine vorsätzlich und auch für fahrlässige,
medizinisch unsachgemäße Behandlung ist diese Bezeichnung jedoch unzulässig verharmlosend
und fällt nicht unter die Kategorie der Therapie am Lebensende (vgl. Deutscher Ethikrat, 2006, S.
52, 54)
Zu den Therapien am Lebensende zählt dahingegen die zuvor erläuterte Form der meist
vorübergehend erfolgenden, palliativen Sedierung zur Behandlung von anders nicht zu
beherrschenden Symptomen wie Schmerzen, Panikzuständen oder extremer Unruhe. Aufgrund
der zeitlichen Begrenzung trifft an dieser Stelle der Begriff der „terminalen Sedierung“, der zudem
den Eindruck erweckt, dass der Tod das Ziel dieser Maßnahme sei, nicht den Sachverhalt. Wenn
der Tod durch eine terminale Sedierung tatsächlich herbeigeführt wird, handelt es sich wiederum
um eine Tötung (auf Verlangen), die nicht verharmlost werden sollte. (Vgl. Deutscher Ethikrat,
2006, S. 52f) Dennoch kommt es legitimerweise vor, dass eine kontrollierte Sedierung bis zum
Todeszeitpunkt beibehalten wird, die also im zeitlichen Sinne terminal ist, wenn dies die einzige
Möglichkeit darstellt, die Symptome in den letzten Stunden der Patienten ausreichend zu lindern.
Problematisch ist hierbei die oft routinemäßige Durchführung solcher Maßnahmen zur Beruhigung
v. a. des pflegerischen und ärztlichen Personals, bei der dem Patienten die Kommunikation in der
Sterbephase genommen wird. Eine Sonderform dieser Sedierung in der Terminalphase besteht
darin, den Patienten vor dem Verzicht auf eine lebensverlängernde medizinische Maßnahme
(Zulassen des Sterbens, s. u.) in einen narkoseähnlichen Zustand zu versetzten, um Leiden in der
Sterbephase wie beispielsweise eine Atemnot bei Abschalten eines Atemgeräts zu vermeiden
(Vgl. Borasio, 2014, S. 57f)
Zulassen des Sterbens bedeutet, dass eine lebensverlängernde medizinische Behandlung
unterlassen wird, sofern das dem Wunsch des Patienten entspricht, und dadurch der
krankheitsbedingte Tod voraussichtlich früher als bei einer Weiterbehandlung eintritt. Dabei kann
die lebensverlängernde Maßnahme sowohl erst gar nicht eingeleitet, als auch nicht fortgeführt
bzw. aktiv beendet werden. Auch dieses aktive Eingreifen, wie die Entfernung einer Magensonde
oder das Abschalten eines Beatmungsgerätes, ist rechtlich zulässig. Der Verwendung des Begriffs
der „passiven Sterbehilfe“ ist bezüglich dieses Aspekts missverständlich, da fälschlich
angenommen werden könnte, dass die beschriebenen „aktiven“ Handlungen unter die aktive
Sterbehilfe, d. h. unter Tötung auf Verlangen fallen. (Vgl. Deutscher Ethikrat, 2006, S. 50, 54, 64f)
Die Legitimität des Zulassens des Sterbens stützt sich im Wesentlichen auf das Verbot ärztlicher
Zwangsbehandlung. Eine Behandlung gegen den Patientenwillen ist nur bei psychischen
Erkrankungen erlaubt, da man hier davon ausgeht, dass der Patient keine freie Entscheidung
treffen kann (vgl. Borasio, 2014, S. 28). Selbst vor dem Eintritt der Sterbephase und auch wenn
ärztliche Maßnahmen vital indiziert sind, dürfen diese nicht durchgeführt werden, wenn der
einwilligungsfähige Patient dies dem Selbstbestimmungsrecht entsprechend ablehnt, da sonst
eine Körperverletzung (strafbar nach §§ 223ff StGB) vorliegt (vgl. Deutscher Ethikrat, 2006, S. 64f)
Bei der Tötung auf Verlangen wird der Tod, der krankheitsbedingt noch nicht eintreten würde,
herbeigeführt, indem ein anderer auf ernsthaften Wunsch des Betroffenen eine für diesen
todbringende Handlung ausführt, indem er beispielsweise eine tödliche Spritze injiziert oder ihm
eine Überdosis an Medikamenten verabreicht. Der Begriff der „aktiven Sterbehilfe“ sollte nicht
verwendet werden, da das Wort „Hilfe“ positiv besetzt ist, was zu einer Beschönigung der
Handlung führt. Diese ist trotz Einwilligung des Betroffenen nach Paragraph 216 des
Strafgesetzbuchs in Deutschland verboten, auch wenn sich der ausdrückliche Sterbewunsch im
Vergleich zu Totschlag (§212 StGB) oder Mord (§212 StGB) unrechts- und schuldmildernd
auswirkt. Nicht verwendet wird der im Ausland gängige Begriff der Euthanasie, da dieser in
Deutschland mit der Ermordung kranker und behinderter Menschen während des NS-Regimes
assoziiert wird und das Recht auf Leben nicht zur Disposition steht (Vgl. Deutscher Ethikrat, 2006,
S. 49f, 55, 68f)
Tötungen ohne Verlangen bestehen u. a. dann, wenn Ärzte und Angehörige aufgrund des
mutmaßlichen Willens eines nicht entscheidungsfähigen Patienten, in einer solchen Situation
möglichst schnell sterben zu wollen, dessen Tötung vornehmen. In den Niederlanden und Belgien
wurden solche LAWERs (life-terminating act without explicit request) bereits durchgeführt (Vgl.
Borasio, 2014, S. 68).
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